Erzählungen, Band 1 - Felix Dahn - E-Book

Erzählungen, Band 1 E-Book

Felix Dahn

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Beschreibung

Inhalt dieses Bandes: Die Freibitte Der Liebe Maß Einhart und Emma Herrn Karls Recht Dahns Popularität gründete vor allem auf den historischen Romanen, die sich in den Gründerjahren des Deutschen Reiches außerordentlicher Beliebtheit erfreuten.

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Erzählungen, Band 1

Felix Dahn

Inhalt:

Felix Dahn – Biografie und Bibliografie

I. Die Freibitte

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X

II. Der Liebe Maß

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

III. Einhart und Emma

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IV. Herrn Karls Recht

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

Erzählungen 1, F. Dahn

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849608811

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

FelixDahn – Biografie und Bibliografie

Rechtsgelehrter, Geschichtsforscher und Dichter, geb. 9. Febr. 1834 in Hamburg, verstorben am 3. Januar 1912 in Breslau. Studierte 1849 bis 1853 in München und Berlin Rechtswissenschaft, Philosophie und Geschichte und habilitierte sich 1857 in München als Dozent für deutsches Recht, wurde 1862 außerordentlicher Professor daselbst, 1863 ordentlicher Professor in Würzburg, 1869 korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München, 1872 Mitglied des Gelehrtenausschusses des Germanischen Museums in Nürnberg und ordentlicher Professor für deutsches Recht in Königsberg, von wo er 1888 an die Universität Breslau berufen wurde. 1885 ward er zum Geheimen Justizrat ernannt. Als juristischer Schriftsteller hat sich D. bekannt gemacht durch folgende Arbeiten: »Über die Wirkung der Klagverjährung bei Obligationen« (Münch. 1855), »Studien zur Geschichte der germanischen Gottesurteile« (das. 1857), »Das Kriegsrecht« (Würzb. 1870), »Handelsrechtliche Vorträge« (Leipz. 1875), »Deutsches Rechtsbuch« (Nördling. 1877), »Deutsches Privatrecht« (Leipz. 1878,1. Abt.), »Die Vernunft im Recht« (Berl. 1879), »Eine Lanze für Rumänien« (Leipz. 1883), »Die Landnot der Germanen« (das. 1889). Auch besorgte er die 3. Ausgabe von Bluntschlis »Deutschem Privatrecht« mit selbständiger Darstellung des Handels- und Wechselrechts (Münch. 1864). Von seinen geschichtlichen Arbeiten sind hervorzuheben: die Monographie »Prokopius von Cäsarea« (Berl. 1865) und das umfassend angelegte rechtsgeschichtliche Werk »Die Könige der Germanen« (Bd. 1–6, Münch. u. Würzb. 1861–71; Bd. 7–9, Leipz. 1894–1902), ferner: »Westgotische Studien« (Würzb. 1874); »Langobardische Studien« (Bd 1: Paulus Diakonus, 1. Abt., Leipz. 1876); »Die Alamannenschlacht bei Straßburg« (Braunschw. 1880); »Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker« (Berl. 1881–90, 4 Bde.); »Geschichte der deutschen Urzeit« (als 1. Band der Deutschen Geschichte in der »Geschichte der europäischen Staaten«, Gotha 1883–88). Von Wietersheims »Geschichte der Völkerwanderung« bearbeitete D. die zweite Auflage (Leipz. 1880–81, 2 Bde.). Seine kleinen Schriften erschienen gesammelt u. d. T.: »Bausteine« (1.–6. Reihe, Berl. 1879–84). Sehr umfangreich ist auch Dahns belletristische Produktion, in der er zumeist altgermanische Stoffe mit modernem Leben verbrämt und eine entschieden nationale Gesinnung zur Schau trägt. Seine gründlichen historischen Studien kamen dem Dichter zu gute. Weitaus das beste dieser Werke war der erste historische Roman »Ein Kampf um Rom« (Leipz. 1876, 4 Bde.; 31. Aufl. 1901). Ihm folgten: »Kämpfende Herzen«, drei Erzählungen (Berl. 1878; 6. Aufl., Leipz. 1900); »Odhins Trost« (1880, 10. Aufl. 1901); »Kleine Romane aus der Völkerwanderung« (1882–1901, 13 Bde., und zwar: 1. »Felicitas«, 2. »Bissula«, 3. »Gelimer«, 4. »Die schlimmen Nonnen von Poitiers«, 5. »Fredigundis«, 6. »Attila«, 7. »Die Bataver«, 8. »Chlodovech«, 9. »Vom Chiemgau«, 10. »Ebroin«, 11. »Am Hofe Herrn Karls«, 12. »Stilicho«, 13. »Der Vater und die Söhne«, von denen die meisten in einer Reihe von Auflagen vorliegen); hierzu kommen: »Die Kreuzfahrer«, Erzählung aus dem 13. Jahrh. (1884, 2 Bde.; 8. Aufl. 1900); »Bis zum Tode getreu«, Erzählung aus der Zeit Karls d. Gr. (1887, 15. Aufl. 1901); »Was ist die Liebe?« (1887,6. Aufl. 1901); »Frigga's Ja« (1888, 2. Aufl. 1896); »Weltuntergang«, geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000 n. Chr. (1889); »Skirnir« (1889); »Odhins Rache« (1891, 4. Aufl. 1900); »Die Finnin« (1892); »Julian der Abtrünnige« (1894, 3 Bde.); »Sigwalt und Sigridh« (1898); »Herzog Ernst von Schwaben« (1902), sämtlich in Leipzig erschienen. Ferner schrieb D. die epischen Dichtungen: »Harald und Theano« (Berl. 1855; illustrierte Ausg., Leipz. 1885); »Sind Götter?. Die Halfred Sigskaldsaga« (Stuttg. 1874; 7. Aufl., Leipz. 1901); »Die Amalungen« (das. 1876); »Rolandin« (das. 1891). Seine dramatischen Werke sind: »Markgraf Rüdiger von Bechelaren« (Leipz. 1875); »König Roderich« (1875, u. Ausg. 1876); »Deutsche Treue« (1875,3. Aufl. 1899); »Sühne« (1879,2. Ausg. 1894); »Skaldenkunst« (1882), und die Lustspiele: »Die Staatskunst der Frau'n« (1877) und »Der Kurier nach Paris« (1883); endlich das Festspiel »Funfzig Jahre« (1962, sämtlich Leipzig). Auch verschiedene Operntexte hat D. verfaßt: »Harald und Theano« (Leipz. 1880, nach seiner epischen Dichtung); »Armin« (das. 1880, Musik von Heinrich Hofmann); »Der Fremdling« (das. 1880); »Der Schmied von Gretna-Green« (das. 1880). Desgleichen war D. als Lyriker rege tätig: auf seine »Gedichte« (Leipz. 1857; 2. durchgesehene Auflage u. d. T.: »Jugendgedichte«, das. 1892) folgten: »Gedichte, 2. Sammlung« (Stuttg. 1873, 2 Bde.; 3. Aufl., Leipz. 1883); dann: »Zwölf Balladen« (das. 1875); »Balladen und Lieder«, 3. Sammlung der »Gedichte« (das. 1878, 2. Aufl. 1896); 4. Sammlung, mit seiner Gattin Therese (das. 1892); 5. Sammlung (»Vaterland«, das. 1892); endlich eine »Auswahl des Verfassers« (das. 1900). Außerdem sind zu nennen Dahns Schriften: »Moltke als Erzieher« (5. Aufl., Bresl. 1894) und die sehr breiten »Erinnerungen« (Leipz. 1890–1895,4 Bücher in 5 Bänden). Seine »Sämtlichen Werke poetischen Inhalts« erschienen Leipzig 1898–1899 in 21 Bänden; neue Folge 1903ff. Mit seiner Gattin Therese (gebornen Freiin von Droste-Hülshoff, geb. 28. Mai 1845 in Münster) verfaßte er: »Walhall. Germanische Götter- und Heldensagen« (12. Aufl., Leipz. 1898). Von ihr allein erschien noch mit einer Einleitung des Gatten: »Kaiser Karl und seine Paladine. Sagen aus dem Karlingischen Kreise« (Leipz. 1887).

I. Die Freibitte

I.

In dem Palatium der Langobardenkönige zu Pavia reichte der von der Königin und ihrer Tochter bewohnte Flügel bis dicht an das Ufer des Tessin, dessen Fluten auch an schwülen Sommertagen einige Kühlung der gegen den Fluß hin offenen Säulenhalle, dem Hauptgemach der Frauen, zuführten. Hier waren an einem solchen heißen Sommerabend um Ansa, die ehrwürdige Gemahlin des Königs Desiderius, und um Adalperga, deren Tochter, eine Anzahl vornehmer langobardischer Frauen und Mädchen, auch Geistliche und ein Paar weltliche »Gasindi« und Höflinge des Palatiums versammelt.

Die Königin war ernst, ja sorgenvoll, so schien es, im Hintergrund der weiten Halle in ein Gespräch mit Bischöfen und älteren Vornehmen vertieft, indes die schöne Adalperga – schon feierten Lieder, nicht nur lateinische der Hofpoeten, auch langobardische im Mund des Volkes ihre Anmut, Bildung und Herzensgüte – ganz vorn auf der offenen Bogenwölbung gegen den Fluß hin an einem mächtigen Steintisch saß, dessen Mosaikplatte zahlreiche Handschriften trug; diese zu ordnen und allmählich in eine hohe eherne Amphora wegzulegen war ein junger Mann beschäftigt, dessen Kleidung ein seltsames Gemisch von Geistlichem und Weltlichem zeigte. Das edle Antlitz mit den feingeschnittenen Zügen schien gebleicht von zu anstrengender – wohl auch nächtlicher – Forschungsarbeit: aber das Auge blitzte von feuriger Begeisterung und um den schwarzen langen sutanengleichen Rock war doch der Wehrgurt mit dem Schwert gegürtet.

Dagegen völlig die Tracht eines Kriegers zeigte ein ihm gar ähnlicher etwas jüngerer Mann, der sich neben ihm auf den Tisch mit den Rollen beugte und nun mit leichtem Schütteln der braunen Locken lächelnd meinte: »O Fürstin, das Latein laß ich mir noch gefallen: – hab' ich's doch sogar in diesen meinen harten Kopf hinein gehämmert: –, aber diese krausen Schnörkel, dies Griechische sogar, soll Euch mein gelehrter Bruder beibringen? Wozu? Ihr habt's doch nicht nötig zu Eurem Geschäft.« – »Was ist denn mein Geschäft, Gasind Arichis?« fragte Adalperga mit anmutiger Neugier. – »Fürstin und schön zu sein,« war die rasche Antwort. »Nicht wahr, Bruder Paulus, das findest du auch?« – Aber dem Befragten schoß es blutrot in Wangen und Stirn. Verweisend sprach er »Mit so hohen Dingen scherzt man nicht, mein Bruder.« – »Wer sagt dir, daß ich scherze? 's ist mir hoher Ernst damit. Und kundigere Männer als ich finden's auch. So mein hoher Patron und Senior Arichis ...« Da hob die Jungfrau ein wenig das schöne Haupt und sah dem Sprecher in die Augen, aber gleich blickte sie wieder in die griechische Schrift.

»Was sagte der Herr Herzog von Benevent?« fragte der ältere Bruder. – »Ei, unser Herr, er, der sich wahrlich versteht auf Frauenschöne, er meinte kurz vor seiner Abreise ins Frankenreich: »Fürstin Adalperga ist das schönste Weib der Erde.« – Da errötete diese über und über; um das Gespräch abzubrechen, schob sie die Schriften zurück und auf die beiden leeren Stühle neben dem Tisch deutend, sprach sie: »Kommt, ihr Warnefridinge, da setzt euch zu mir und erzählt – ihr habt es längst versprochen! – die seltsame Geschichte eurer Sippe, eurer ›Fara‹. Man sagt, gar Wunderhaftes schmücke und verhülle sie zugleich, wie Efeuranken ein alt Gemäuer.« – »Ein treffend Bild, wahr und schön,« meinte Paulus sich niederlassend. »So schmückt und verhüllt zugleich Frau Sage auch unseres ganzen Volkes Geschichte: man kann, man soll Sage und Geschichte nicht scheiden,« schloß er sinnend, »erzählt man davon. Gern möcht' ich all' das einmal erforschen und berichten,« meinte er nachdenklich. »Freilich ist auch Bedenkliches dabei, was an die Heidengötter, die Dämonen mahnt« – und er schlug ein Kreuz über die Brust; »von denen soll man nicht viel reden.« – »Doch soll man das,« lachte der jüngere Bruder und setzte sich an die andere Seite Adalpergas. »Sind gar schöne und oft lustige Geschichten. So, wie Frikka ihrem Gemahl, Herrn Wodan ...« – »Nenn' ihn nicht, er ist der Dämonen Haupt und König,« warnte Paulus.

Aber Arichis fuhr fort: »Mein Bruder ist so fromm wie ein Mönchlein! Also: wie Frikka ihren weisen Gemahl überlistete, was unserem ganzen Volk den Namen gab.« – »Ich hörte davon einmal: – aber die Frau Äbtissin, meine Erzieherin, liebte das nicht ... und doch wüßt ich's gern.« – »So hört! Das erzähle ich besser als mein ernsthafter Bruder,« fiel Arichis ein, »Findet Ihr nicht, Fürstin, er wird immer unweltlicher, immer mehr priesterlich? Umsonst dräng' ich ihn, gleich mir Gasind unseres Herzogs zu werden.« – »Nun, er trägt ja das Schwert. Habt Ihr gewählt, gelehrter Paulus, zwischen Brünne und Kutte?« – »Noch nicht. Ich schwanke.«

»Nun also, tapfrer Gasind Arichis, wie war das mit der Überlistung?« – »Das war so,« hob er wieder an.

»Unser Volk hieß ursprünglich – in seinen alten Sitzen an dem Elbestrom fern im Norden – die Winiler. Die Winiler hatten Krieg mit den Vandalen; diesen wollte Wodan – das barg er jedoch heimlich im Herzen – den Sieg geben. Frikka, seine Gattin, aber den Winilern. Auf ihr Fragen und Forschen erwiderte er, arglistig in den Wirrbart lächelnd: ›Ich gebe denen den Sieg, die ich morgen früh von meinem Pfühl aus zuerst sehe.‹ Das wären aber die Vandalen gewesen, die im Osten lagerten: denn nach Osten schaut Walvaters Pfühl ...« – »Erstaunlich viel weißt und fabelst du von diesem übeln Waland!« schalt Paulus. – »Aber Frikka drehte seinen Pfühl am späten Abend um ...« – »Das ist lustig,« lachte Adalperga. – »Und riet den Weibern der Winiler, um Sonnenaufgang vor ihren Männern sich aufzustellen und das aufgelöste Haar – wie einen Bart – um den Mund zu schmiegen. Das taten sie und als nun Siegvater im Morgendämmer zum Himmelsfenster hinaussah ...« – »Der wohnt aber doch im tiefsten Pfuhl der Hölle!« meinte berichtigend der Bruder. – »Rief er erstaunt: ›was sind das für Langbärte?‹ Da sprach Frikka: ›Du gabst ihnen den Namen: so gib ihnen auch den Sieg – als Patengabe‹, und küßte ihn auf den bärtigen Mund und streichelte ihm die Wange ...« – »Aber Bruder! Laß ab.« – »Hei, sie war ja seine Frau! Da ist doch nichts Schlimmes dabei, nicht wahr, Fürstin? – Und der Gott? ... Nun er tat, was schöner Ehefrau Gatte tut: er lächelte und tat nach ihrem Willen und gab uns den Sieg, und ›Langobarden‹ heißen wir seither.« – »Das ist schön, daß unser Name schon an Sieg sich knüpft. Aber nun erzählt weiter ... von eurer Sippe.« – »Fang' an, Paule. Wirst du allzu fromm oder läßt du mir das Schönste weg, fall' ich, verbessernd und ergänzend, ein.«

»Also: – da die hohe Fürstin unsre Fara solcher Ehre würdigt, von ihr zu hören – mit den Langobarden, die vor mehr als zweihundert Jahren unter König Alboin aus Pannonien in dies reiche Land einwanderten, das unsre schöne Heimat ward, war auch unser Ururgroßvater Leupichis: er siedelte sich und die Seinen in Friaul an – am Ufer der Livenza – und ward Gasindus des Herzogs von Friaul. Und seither sind wir von Geschlecht zu Geschlecht getreue Gefolgen dieses Herzoghauses gewesen.« – »Ja, gar mancher unsrer Vorfahren,« fiel Arichis ein, »hat den Schild solchem Herzog getragen und ist mit ihm, auch wohl für ihn erschlagen worden!« – »Aber auch das fürstliche Haus hat Schutz und Treue unsern Vätern gewährt: ein Held dieser Sippe ist im Schirmkampf für unsre Ahnen gefallen.« – »Ja, und daß ich hier lebend sitze neben der Tochter meines Königs, wem verdank' ich das, als unsrem Herzog?« – »Wie das?« forschte Adalperga eifrig. »Hat er ... hat der Herr Herzog von Benevent –?« – »Herausgehauen hat er mich vorigen Herbst aus einem ganzen Rudel wilder Slovenen. Wir sollten sie aus dem Ostland treiben, in das sie aus der Windischen Mark eingefallen waren: bis Marianum waren sie schon vorgedrungen. Herzog Arichis schlug sie dort aufs Haupt und lustig war die jagende Verfolgung! Aber ich ward darüber allzu lustig und fiel in einen Hinterhalt im dichten Grenzwald: es waren ihrer fünf, mein Gaul stürzte –, ich war verloren; da sprengte mein Herzog heran ... –« – »Auf seinem schönen Rapphengst?« fragte das Königskind. – »Jawohl! – Schau, wie gut Ihr beschlagen seid in seinem Marstall! – Und holte mich heraus – er allein! – er blutete dann, aber er lachte dazu.« – »Und,« fuhr Paulus fort, »sie haben aus ihrem Reichtum gespendet, als wir in wilder Kriegsdrangsal alles verloren hatten, sie haben mit Rat und Tat uns geholfen allezeit. Und so sind wir ihnen denn zu Dank und Treudienst verpflichtet immerdar. Und nicht nur Pflicht, – nein, stolze Wonne wär's, für dies hohe Geschlecht das letzte Herzblut zu vergießen.«

Er hatte sich in edle, in lodernde Begeisterung hineingesprochen: es ließ ihm gut; die feinen Züge, das schöne Auge verklärten sich: mit freundlichem Staunen sah's die Jungfrau, Arichis aber rief: »So gefällst du mir, Paule! Ich seh' dich doch nochmal in Helm und Brünne stolze Streiche tun für Arichis von Benevent. Denn Ihr wißt ja wohl, daß zwei Brüder des Herzoghauses von Friaul übergesiedelt sind in jenes südlichere Land und dort das Herzogtum erwarben. Und weil bei diesem Haus – jetzt von Benevent – der Name Arichis fast erblich ist, – haben auch wir, mit jenem übergesiedelt, dessen Namen gar oft geführt: so heiße ich – unwürdigermaßen! – wie jener Herzog, dessengleichen – bei Gott! – kein Held lebt im Volk der Langobarden;« – Abermals errötete Adalperga. Aber Paulus deutete das irrig – als Erzürnung: »ausgenommen, Arichis, den Herrn König Desiderius,« mahnte er. Jedoch die Königstochter meinte: »Ach, mein lieber Vater ist alt und krank und der viele Gram um dieser bösen Franken willen ...! Hat er doch um deswillen« – sie stockte ein wenig – »den Herrn Herzog, den ihr wie um die Wette lobt, in jenes Reich über die Alpen geschickt – recht lange, lange bleibt er aus, mein' ich! – zu erkunden, was etwa Schlimmes dorther droht. – Aber nun endlich zurück zu Leupichis, eurem Ahn.«

»Der hinterließ, wie er starb, fünf noch ganz junge Söhne, der jüngste hieß wie er. Da brachen in das Gebiet von Friaul die greulichen Horden der Avaren ...–« – Adalperga schauderte: »Unholde sollen's sein, nicht Menschen.« – »Sie plünderten, mordeten, verbrannten, was sie erreichten und schleppten die fünf Knaben, an die Schweife ihrer Gäule gebunden, mit sich in die Knechtschaft, in die öden Steppen der Avarenringe! Die vier älteren sind dort geblieben und verschollen. Der Jüngste aber, Leupichis, hatte nie die Sehnsucht nach der Freiheit, die Hoffnung auf die Wiederkehr in die Heimat aufgegeben. Jeden Abend vor dem Einschlafen hatte er zu den Heiligen gebetet, zumal zu dem Schutzherrn unserer Fara, Sankt Sabinus zu Spoleto, ihm glückliche Heimkehr zu gewähren.« – »Wohl, wohl,« meinte Arichis. »Aber unser alter Rinderhirt, der mir die Sache – wie oft! – erzählte draußen auf der Heide, flüsterte immer dazu: ›er hat auch stets einen Wuchs Ernte-Hafer stehen lassen auf dem Felde – für Herrn Wodans Grauroß.‹« – »Nicht doch! – In einer kalten Winternacht nun, ohne Mond und Sterne, floh der zum Jüngling Herangewachsene aus der Lehmhütte, die ihm samt ein paar Ziegen sein Herr als Wohnung angewiesen hatte, nahe dem Grenzring der Avaren: er nahm nur Bogen und Pfeilköcher und etwas trockenen Ziegenkäse mit. Als er aber nun den nächsten Wald erreicht hatte, wußte er nicht, – denn die Sterne fehlten – welche Richtung er einschlagen solle auf seiner Flucht, um Langobardenland zu erreichen. Auch schien das Gestrüpp des dornigen Dickichts im Unterholz undurchdringbar: er konnte weder vorwärts noch rückwärts, ratlos blieb er stehen: er wollte verzagen. Da sah er plötzlich zu seiner Rechten zwei kleine rotgelbe Lichter funkeln, die, nah an der Erde, an ihm vorüber vorwärts schossen: es war ein Wolf, der wies ihm den Weg durch das Gestrüpp: er folgte, dankend Sankt Sabinus, der ihn gesendet.«

Arichis schüttelte das kurzkrause Gelock: »Aber der alte Hirte lachte und raunte. ›Wie käme ein Heiliger zu einem Wolf? Den Wolf hat Wodan gesendet:‹ ›der Wolf ist Wodans geweihtes Weidwild‹ so sagt ein uralt Wort. Und: ›reich lohnt Wodan treuen Dienst‹ ein anderes. Er hatte wohl der Ähren für sein Grauroß nicht vergessen, – sagte der Hirt, nicht ich, frommer Bruder!« – »Wundersam war nun, wie ein paar Tage lang das Untier wirklich als Wegweiser dem Fliehenden vorantrabte, nie ihn bedrohte, nie außer Sichtweite lief, oft sich umwandte, ob Leupichis auch richtig auf dem schmalen Pfade durch das Dorndickicht folge? Aber am dritten Tage – die mitgenommene wenige Mundspeise war längst verzehrt – plagte den Ahn der Hunger, ganz erschöpft fürchtete er zu erliegen: da spannte er den Bogen, legte den Pfeil auf, den Wolf zu töten, ihn zu verzehren.« – »Das war recht undankbar von dem Ahn – sagte nämlich Grimmo der Hirt, der soviel alte Dinge, Sagen und schöne Sprüche wußte, wie nur etwa noch Willehalm sein jüngerer Bruder, viel hab ich von ihnen gelernt: – Gott lohn' es ihnen im Himmel! – Und auf dem Fleck strafte ihn Wodan: der Pfeil ging fehl, was sonst dem Ahnherrn nie geschah, er sah nur noch, wie der treue Wegweiser vorwurfsvoll umsah und verschwand, dann stürzte er todmüde zu Boden.« – »Im Traum aber erschaute er einen Mann, der stand bei seinem Haupte und sprach: ›Steh auf! Leupichis, was schläfst du? Geh dahin, wohin deine Füße gerichtet liegen: denn dort liegt Langobardenreich, wohin du trachtest:‹ das war Sankt Sabinus.« – »Er trug aber einen Schlapphut, dieser Mann,« warf Arichis ein, »und dunkelblauen Mantel und in der Hand einen Speer: so sehn die Kutten-Heiligen nicht aus.« – »Und der Ahn sprang auf und wanderte, wie ihm das Traumgesicht gewiesen und fand am Abend eine Siedelung: darin waltete eine schöne junge Mutter, die ihn aufnahm, speiste, nächtigte, den Weg wies: tief dankte er der Hausfrau.« – »›Die trug ein linnenblütenblau Gewand, klirrende Schlüssel am Gürtel, und ein golden Halsgeschmeide,‹ sagte der Hirt. Das war ...« – »Und so gelangte er in ein paar Tagen nach Friaul, an die Livenza und an das alte Stamm-Gehöft, das Allod unserer Fara: aber das sah traurig aus! Verödet lag's seit vielen Jahren, das Dach war von den Avaren abgebrannt, offen klaffte die Halle gen Himmel: Buschwerk und Gedörn füllte die Stuben: und ein gewaltiger Eschenbaum« – – »Das ist Wodans Weihebaum.« – »Ragte hoch durch die Dachlücke in die Luft. Daran hing der Ahn sofort Bogen und Köcher auf, als des Besitzes Zeichen. Und der gütevolle Herzog, der Ahn des heutigen, beschenkte ihn reich mit milder Hand, so daß er ein Weib gewinnen und unsre Fara neu begründen konnte.« – »So sind wir von Geschlecht zu Geschlecht diesem Fürstenhaus zu tiefem Dank verbunden. – Aber horch, wer kommt da?«

Und Arichis wandte sich: die Doppeltüre, die in das Innere des Palastes führte, ward aufgerissen und herein trat in lebhafter Bewegung eine hohe Gestalt, klirrend in Waffen. Adalperga sprang auf: »Er! Er zurück« flüsterte sie.

Der Ankömmling aber schritt durch die umgebenden Palastgroßen und Frauen auf die Königin zu, beugte tief das Haupt und sprach: »Frau Königin, soeben komm' ich an: Tag und Nacht ritt ich aus Frankenreich: schlimme Kunde bring' ich: König Karl und sein Reichstag haben – für den heiligen Vater! – den höchst unheiligen Krieg gegen uns beschlossen. Aus dem Sattel gesprungen eilte ich an das Krankenbett Eures königlichen Gemahls, zuerst ihm das zu melden. Dann aber, hohe Frau – in dieser Stunde höchster Gefahr ist es Zeit, um Waffenschutz und Waffenschirm für Euer Haus zu sorgen: jetzt – nicht früher, – wagte ich es, bei König Desiderius um die Hand Eurer Tochter Adalperga zu werben: er sagt sie zu, wenn die Mutter und die herrliche Jungfrau ...« – Da unterbrach ihn die immer noch schöne Greisin, faßte seine Hand und sprach: »Die Stunde der Werbung adelt Euch, Herr Herzog, mehr als Eures Blutes Adel und all' Euer Waffenruhm. Nehmt sie hin – seht, wie hoch sie errötet! Ich kenne ihr Herz: – Komm, Adalperga, folge diesem Herzen.« Das Mädchen schwebte gesenkten Hauptes auf die Mutter zu, die ihre Hand in die des Herzogs legte.

Alle Versammelten drängten nun aus der Bogenhalle in das Innere des Palastes in heftigster Erregung. So bemerkte niemand, – auch nicht der Bruder, – daß eine schlanke Jünglingsgestalt bei dem Versuch, zu folgen, ohnmächtig auf den Estrich niedersank.

II.

Wie herrlich ist der Ausblick von Monte Casino weithin über das Land, über das blühende Tal des Garigliano im Westen und Süden und die umliegenden Berge, die es vom Golf von Gaëta scheiden, aber doch zuweilen das tief blaue Meer erschauen lassen: im Osten das Tal von San Germano, dem alten »Casinum«, von seinem raschen Flüßlein Rapido, damals noch »Vinius« genannt, durchflutet und hoch überragt von den Felskämmen der Abruzzen!

Ein starker Wille der völligen Weltentsagung wahrlich gehört dazu, an diesem entzückenden Fleck der Erde alles Irdische von sich zu streifen und nur noch dem Geistlichen, der Kirche zu leben. Aber keine Regung des Bedauerns, der geheimen Sehnsucht nach Rückkehr in das Leben der Welt lag auf den bleichen Zügen des jungen Mönches, der, in die schwarzen Ordensgewande Sankt Benedikts gekleidet, mit dem Rücken an der Außenseite der westlichen Eingangspforte des Klosters an die schwarz-graue Felsmauer gelehnt, traumverloren in den prachtvollen Sonnenuntergang des Frühlingstages hinausblickte: er hatte den linken Arm auf den Rücken gelegt, die rechte Hand, mit der Rückseite quer über die Stirn gehalten, suchte die blendenden Strahlen, die schon wagrecht leuchteten, abzuwehren.

Lange stand er regungslos, man hätte ihn für die Statue eines Benediktiner-Mönches halten können, die, aus dem schwarzen Schieferfels gehauen, hier Wache hielt. Endlich störte ihn aus seiner Ruhe ein Geräusch, das sich von unten vernehmen ließ, von der Straße, die heute noch von Westen in höchst steiler Steigung und mit vielen Windungen um die Felsvorsprünge auf den Gipfel des Berges führt. Ein solcher Vorsprung hatte auch bis dahin unsichtbar und unhörbar gemacht den kleinen Zug, der sich nun rasch näherte. Voran zwei berittene und bewaffnete Klosterknechte: dann folgte ein reich geschirrtes Maultier, dessen kleine Silberglöcklein, bei jedem Schritt erklirrend, zuerst vernehmbar geworden: der Reiter achtete nicht all' der berauschenden Schönheit von Natur und Landschaft um ihn her: er las eifrig in der Regula Sankt Benedikts: die Sorge für den sichern Gang seines Tieres auf dem schmalen Steg, hart an dem schwindelnden Abgrund hin, überließ er einem kleinen Hirtenjungen, der, barhäuptig und barfüßig, nur mit einem braunen zottigen Lammfell bekleidet, daneben her lief, die Zügel am Gebisse haltend, und offenbar gar stolz auf solches Amt. Dahinter schwankte, mühsam von vier Männern emporgetragen, eine geschlossene Sänfte: ein dritter Gewaffneter ritt hinterdrein.

Der junge Mönch schritt jetzt langsam den Kommenden entgegen: er hatte den Reiter des Maultieres erkannt: als er ihn erreicht hatte, kniete er zu dessen Rechten nieder, beugte das glatt geschorene Haupt und sprach: »Euern Segen, Herr Abt und Vater! Wie lang hab' ich sein entbehrt.« – Mit liebevollem Blick legte der Abt die Rechte auf sein Haupt: »Gott der Herr hat dich gesegnet mit reichen Gaben des Geistes und des Herzens: und eifrig hast du sie verwendet in seinem und in der Menschen Dienst. Er wird dir lohnen. Steh auf!«

Im Weiterschreiten sprach nun der Mönch: »O Vater Theudemar, wie lange doch bliebt Ihr den Euern fern! Wie fehltet Ihr uns allen – und zumeist mir.« – »Ich blieb nicht länger unten in der Welt, als es die Pflicht gebot. Das sind Zeiten, mein Paulus, in denen Sankt Benedikts unwürdiger Nachfolger nicht unter den Büchern und mit Gebeten allein die Tage verbringen darf. Zwar nicht viel drang und dringt hinauf in den heiligen Frieden dieses Hauses aus dem Lärm und den Kämpfen der Welt da unten: – nur verworrene Kunde hat uns bisher erreicht von all' dem Geschehenen – aber Hilferufe Leidender, Verfolgter, Verwundeter fanden doch den Weg zu mir: so eilte ich zu helfen wo ich konnte.«

Sie hatten nun das Klostertor erreicht: der Abt stieg ab, die Sänfte zu erwarten, die langsam näher kam: »Und dir, mein Sohn, hab' ich auch etwas mitgebracht, zu helfen, zu heilen, zu pflegen: du wirst es gern tun, wär' es auch ein Feind.« – »Gewiß, mein Vater. Es steht geschrieben: ›Liebet die euch hassen‹.« – »Nun,« lächelte der Abt, »diesmal wird das nicht von dir verlangt. Siehe, es ist nicht ein Feind, es ist ...« – »Mein Bruder, mein Arichis!« rief Paulus und lief auf die geöffnete Sänfte zu, aus welcher die Träger nun den Insassen hoben.

»Paulus! Du hier? Du lebst?« erwiderte Arichis, sich wankend auf des Bruders Schulter stützend. – »Und du! Wie bleich! Verwundet? Schwer verwundet?« – »Ja,« sprach der Abt, »schwer. Aber Gott hat geholfen.« – »Und dieses guten Mannes Pflege,« sprach der Wunde. – »Kommt nun herein, ihr wieder Vereinten. Ins kleine Refektorium! Da wollen wir den Gast laben nach der anstrengenden Reise bis heute von Reate her. Dann mögt ihr euch erzählen, was ihr seit eurer Trennung erlebt habt: – ihr und dies Land Italia.«

III.

Nach dem von klösterlicher Einfachheit vorgeschriebenen Abendessen, das sie nicht wie sonst mit der Gesamtheit der Brüder, sondern in einem schmalen, hochgewölbten, kühlen Nebenraum des Refektoriums einnahmen, wollte der Abt die Brüder allein lassen, aber beide baten ihn, zu bleiben: »Wir haben nichts Geheimes vor dir, Vater,« meinte Paulus. – »Ja, deine Seele kenne ich so klar wie den Grund kristallhellen Quells, besser kenne ich sie als du selbst! Aber dieser Kriegsmann ...« – »Bleibt, Herr Abt, und helft mir, diesen Schweigsamen zum Reden bringen. – Also hier – und als Mönch! – finde ich