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Schimpfen ist weder für Kinder noch für Eltern angenehm, und doch ist es in vielen Familien ein fester Bestandteil der Erziehung. Wenn das Kind etwas angestellt hat, wenn es bockt oder nicht hören will, dann wird geschimpft. Eltern ertappen sich dabei, dass sie sich nicht anders zu helfen wissen. Es gibt Studien darüber, dass Kinder alle 3 bis 9 Minuten zurechtgewiesen, geschimpft und bestraft werden – im Supermarkt sogar noch öfter. Aber kann Schimpfen einem Kind auch schaden? Und geht es überhaupt ohne? Tatsächlich kann Schimpfen unerwünschte Nebenwirkungen haben: Das Selbstwertgefühl der Kinder leidet, der Lerneffekt ist selten positiv und es belastet der Beziehung; die Eltern plagt danach oft ein schlechtes Gewissen, das Gefühl von Hilflosigkeit und Scham. Nicola Schmidt will das Schimpfen aus der Erziehung bannen und bessere Alternativen zeigen. Ein wichtiger Schritt ist es, die Ursachen für das Schimpfen zu erkennen – nicht selten sind das Stress und Überforderung. Durch Organisation des Familienalltags, simple Minuten-Übungen und Schulung der Achtsamkeit kommt man oft schon ein riesiges Stück voran. Auch um Kommunikation geht es, um Regeln und darum, wie man mit Fehlern umgeht: Mit Klarheit, Empathie und Spiegelung lassen sich Konflikte besser lösen als mit Lautstärke. Eine Sieben-Tage-Challenge gibt Eltern einfache Schritte an die Hand, mit denen sie binnen einer Woche aus der Schimpffalle heraus- und wieder in den grünen Bereich kommen.
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Seitenzahl: 225
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© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019
© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019
Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.
Projektleitung: Silke Foos
Lektorat: Rita Steininger
Bildredaktion: Simone Hoffmann
Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München
eBook-Herstellung: Yuliia Antoniuk
ISBN 978-3-8338-7227-3
3. Auflage 2020
Bildnachweis
Coverabbildung: Stocksy
Illustrationen: Claudia Klein
Fotos: Stocksy, iStockphoto
Syndication: www.seasons.agency
GuU 8-7227 07_2020_01
Aktualisierung 2020/012
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»Zählen Sie bis zehn!« Wie oft haben wir diesen Ratschlag schon gehört? Oder gedacht? Oder – verflucht? Viele Bücher gegen das Schimpfen oder Strafen von Kindern legen großen Wert darauf, dass Eltern lernen, sich selbst zu beherrschen. Das Problem daran ist: Wenn wir uns beherrschen könnten, würden wir ja nicht meckern, motzen, schimpfen oder brüllen, richtig? Viele Eltern sagen mir, in der Theorie sei ihnen alles völlig klar, aber in der Praxis würden sie dann doch die Beherrschung verlieren.
Daher werden wir in diesem Buch andere Wege gehen. Wir beginnen bei der Frage: Was stresst uns Eltern so sehr, dass wir die Beherrschung verlieren? Was brauchen wir, um in einem so ausbalancierten Zustand zu bleiben, dass wir weiterhin die klugen, ruhigen Eltern sind, die wir sein möchten? Wie können wir Regeln durchsetzen, ohne unsere Kinder zu beschämen oder zu bestrafen? Und vor allem werden wir uns mit der Frage beschäftigen: Wie machen wir es uns leicht? Wie können wir sein – statt was müssen wir tun –, damit es leicht ist? Denn sobald wir verstehen, was in unserem Gehirn passiert, bevor wir meckern, schimpfen oder brüllen, können wir unsere Aufmerksamkeit auf die richtigen Dinge richten.
Der wichtigste und einfachste Grund, ein Kind nicht zu schimpfen, ist: Es funktioniert nicht. Alle Studien weisen darauf hin, dass Schimpfen, Schreien oder gar Strafen nicht funktionieren. Nichts davon vermag Kinder davon abzuhalten, verbotene Dinge zu tun. Wenn wir unseren Kindern soziale Regeln beibringen wollen, müssen wir es anders angehen. Wie, das habe ich in diesem Buch für Sie zusammengetragen. Wie wir in den Zustand kommen, uns in großer Wut auch selbst an unsere Ideale zu erinnern – auch das steht in diesem Buch.
In diesem Buch werden wir uns selbst genauso fürsorglich behandeln wie unsere Kinder. Wir werden uns nicht einfach nur »zusammenreißen«. Sonst ist auch dieses Buch nur ein weiterer Punkt auf der »Du bist nicht gut genug«-Liste – das soll nicht sein! Denn der Terror des »Du musst!« ist für uns genauso giftig wie für unsere Kinder. Und er funktioniert auch bei uns ungefähr so gut, wie Diäten funktionieren – nämlich gar nicht. Wir wollen lieber freundlich zu uns sein und unsere Ziele mit Sanftmut und Achtsamkeit erreichen. Mit Verstehen. Mit Intellekt und Herz. Schritt für Schritt.
Eine Erziehung mit Druck, Strafen und Kontrolle ist das, was viele Menschen selbst in ihrer Kindheit erlebt haben. Aber autoritäre Erziehung erzeugt nachweislich Menschen, die mit den Herausforderungen unserer Zeit überfordert sind. Wir brauchen Menschen, die flexibel denken, die sich Herausforderungen stellen, die mit anderen auf Augenhöhe zusammenarbeiten können und für die Fürsorge, Solidarität und Gemeinschaft wichtige Werte sind. Ein Kind nicht zu schimpfen, kann die Welt verändern.
In diesem Buch werden wir uns ansehen, was überhaupt passiert, wenn wir in den Stresstunnel geraten, und wie wir wieder herauskommen. Wir können das üben – langsam, aber beharrlich. Wenn wir versuchen, alles in einer Woche zu erreichen, werden wir schnell ermüden. Daher empfehle ich Ihnen: Suchen Sie sich die Übungen oder Ideen heraus, die Sie spontan ansprechen. Und beginnen Sie mit diesen Ideen. Alles andere kann später folgen.
Wenn Sie sich jetzt immer noch fragen, warum Sie dieses Buch lesen sollen, habe ich noch eine Antwort für Sie: Weil es Ihr Leben einfacher machen wird. Und weil Sie völlig neue Wege finden werden, mit sich selbst und Ihren Kindern in Kontakt zu sein – ein Leben lang.
Ihre
Nicola Schmidt
Wie sehen Sie Ihre Kinder (oder Enkelkinder) und ihr Verhalten? Wenn wir etwas verändern wollen, hilft es, wenn wir uns erst einmal ganz genau anschauen, wie eigentlich der Stand der Dinge ist. Wenn wir genau wissen, wo wir stehen, kommen wir schneller dorthin, wo wir sein wollen. Unser Test hilft Ihnen, das herauszufinden.
Bitte geben Sie an, wie sehr Sie den folgenden Aussagen zustimmen würden – auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 10 (vollkommen).
1. Kinder wollen grundsätzlich kooperieren und lernen soziale Regeln durch achtsame Begleitung.
2. Kinder haben berechtigte Interessen und lernen mit der Zeit, diese konstruktiv einzubringen.
3. Kinder haben ein Recht auf eine eigene Meinung, respektvollen Umgang und Mitbestimmung.
4. Ich gebe meinen Kindern ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit.
5. Zwischen mir und meinen Kindern besteht ein Vertrauensverhältnis.
6. Auch wenn meine Kinder schwierig sind, empfinde ich eine tiefe Liebe zu ihnen.
7. Ich zeige meinen Kindern, wenn ich stolz auf sie bin.
0–21 PUNKTE: Was für eine mutige Idee, dieses Buch zu kaufen! Möglicherweise haben Sie Erfahrungen gemacht und einen Erziehungsstil entwickelt, der zu mehr Spannungen führt, als Ihnen selbst guttut. Sie werden im Laufe des Buches viele Entdeckungen machen!
22–49 PUNKTE: Ja, Eltern sein ist manchmal schwierig, aber Sie sind auf einem sehr guten Weg, Ihren Kindern respektvoll zu begegnen und sie stark fürs Leben zu machen. Trauen Sie sich und Ihren Kindern ruhig mehr zu!
50–70 PUNKTE: Sie denken: »Kinder sind in sich gut, okay – aber warum räumen sie ihren Kram dann nicht weg, wenn man sie darum bittet?« Damit sind Sie in bester Gesellschaft. Wir werden in diesem Buch herausfinden, wie wir Konflikte zur Zufriedenheit aller lösen.
1. Um Regeln und Verbote durchzusetzen, muss man auch mal laut werden.
2. Kinder dürfen die Entscheidungen ihrer Eltern nicht infrage stellen.
3. Regeln werden aufgestellt und gelten dann als eherne Gesetze – keine Diskussion.
4. Eltern dürfen ihren Kindern nicht alles durchgehen lassen.
5. Wenn ein Kind nicht hört, ist eine Strafe das richtige Mittel.
6. Ich versuche, meine Kinder zur Selbstständigkeit zu erziehen.
7. Kinder sollten altersentsprechende Verantwortung tragen.
8. Entscheidungen treffen die Eltern, nicht die Kinder.
0–24 PUNKTE: Sie pflegen einen Führungsstil, der auf die Rechte der Kinder setzt, ihnen aber wenig Verantwortung gibt. Kinder wollen beitragen und soziale Regeln lernen – geben Sie ihnen eine Chance!
25–55 PUNKTE: Ein Führungsstil, der auf Verantwortung aller, die Rechte aller und gleichzeitig klare Führung setzt – in diesem Buch werden Sie noch weitere Anregungen zu Ihrem Ansatz finden.
56–80 PUNKTE: Kontrolle und autoritäre Führung können ein Gefühl von Sicherheit geben – aber eine trügerische Sicherheit. Es gibt viel effektivere Wege, sich miteinander gut zu fühlen. Blättern Sie weiter!
1. Wie weit haben Sie in letzter Zeit Ihre negativen Gefühle im Griff?
2. Wie zufrieden sind Sie mit dem Klima in Ihrer Familie?
3. Wie gut können Sie Konflikte in Ihrer Familie friedlich lösen?
0–12 PUNKTE: Überlegen Sie, wie sehr Sie gestresst sind. Vielleicht ist etwas Entlastung grundsätzlich eine gute Idee, um das Familienklima zu verbessern – auch dazu finden Sie hier Ideen.
13–24 PUNKTE: Der ganz normale Wahnsinn – alle Eltern haben manchmal das Gefühl, dass es besser laufen könnte. Schauen Sie nach der Lektüre des Buches auf diese Seite zurück – und stellen Sie sich die Fragen erneut!
25–30 PUNKTE: Wow – toll, dass Sie mit ihrer Familie noch weiter gehen wollen, obwohl sich schon alles eigentlich super anfühlt!
Hier geht es darum, dass wir unseren Verstand auf einen Nordstern, eine Richtung ausrichten. Wenn wir unserem Gehirn nicht ganz genau sagen, wo es langgeht, werden wir irgendwo landen, aber nicht dort, wo wir hinwollen. Daher schreiben wir hier kurz auf, wie es jetzt ist und wie es sein soll. Sie können im Laufe der Lektüre immer wieder zu dieser Bestandsaufnahme zurückkehren. Schreiben Sie kurz auf:
» Warum haben Sie dieses Buch gekauft? Was hat Sie motiviert?
» Welche Fragen beschäftigen Sie bezüglich Ihrer Kinder?
» Was sind Ihre größten Stärken als Mutter oder Vater, Großmutter oder Großvater?
» Was würde ein heimlicher Beobachter im Alltag an Ihnen bewundern, was können Sie richtig gut?
» Wie sieht Ihr Kind Sie? Welche positiven Eigenschaften würde Ihr Kind Ihnen zuschreiben?
Wenn Sie mehrere Kinder haben, beantworten Sie die Frage für jedes Kind einzeln. Nennen Sie dazu jeweils ein Beispiel aus dem Alltag. Das könnte sein: Mein Kind sieht mich als warme und liebevolle Mutter; zum Beispiel nehme ich es immer in den Arm, wenn es aus der Schule kommt, und knuddle es ganz fest.
Wie möchten Sie als Begleiter Ihres Kindes sein? Was wäre das beste Ich, das Sie gerne hätten für ein friedliches Zusammenleben in Ihrer Familie? Beschreiben Sie, wie Sie sein möchten, wie es sich anfühlen würde, wie der Alltag ablaufen würde und wie Sie und Ihre Kinder sich fühlen werden, wenn es so weit ist.
Das Leichte ist richtig. Beginne richtig, und es ist leicht. Fahre leicht fort, und es ist richtig.
Dschuang-Tsu
Es passiert, wenn niemand damit rechnet: Eben gehen wir alle noch fröhlich durch den Supermarkt, plötzlich beginnen die Kinder zu zanken und innerhalb weniger Sekunden sind wir mitten im heftigsten Streit. Das ganze System kippt, nur weil wir heute keine zweite Packung Schokokekse kaufen wollten.
Aber wie kann das sein? Wie kann es sein, dass vernünftige Erwachsene, die in Meetings oder am Arbeitsplatz endlose Geduld mit Kunden und Kollegen haben, von ihren Kindern (oder auch Partnern) innerhalb von wenigen Sekunden von 0 auf 180 gebracht werden? Wie schafft es ein laufender Meter von drei Jahren, einen erwachsenen Homo sapiens mit nur zwei frechen Antworten vom entspannten Einkaufsmodus in den gestressten Gefahrenmodus umzuschalten? Und warum können wir uns oft so wenig dagegen wehren? Wer kennt es nicht, dass wir in der Wut oder im Stress Dinge sagen oder tun, die uns später leidtun, die wir sonst nie sagen würden, die uns manchmal sogar peinlich sind, wenn andere mitgehört haben.
Und nicht zuletzt müssen wir uns ja eingestehen, dass diese Methode alles andere als effektiv ist. Müssen wir uns doch das eine oder andere Mal hinterher heimlich fragen, ob diese Standpauke
» wirklich NOTWENDIG war,
» unbedingt SO LAUT sein musste, dass es jeder mitbekommt,
» beim Kind etwas BEWIRKT hat, außer es zum Weinen zu bringen.
Das Unglaubliche: Am nächsten Morgen kann es sein, dass wir in der gleichen Situation völlig entspannt reagieren. Nur Hirnforscher können uns erklären, woran das liegt.
Lassen Sie uns eine Reise ins menschliche Gehirn unternehmen und beginnen wir dazu mit einer ruhigen, friedlichen Situation: Wir sitzen am Frühstückstisch, es ist Sonntagmorgen, alle sind ausgeschlafen und entspannt. Ein Kind sitzt mit am Tisch und schmiert sich ein Frühstücksbrot. Es greift nach der Schokocreme. Da bringt es aus Versehen mit der Hand das vor ihm stehende Glas zum Umkippen. Unsere Augen nehmen die Bewegung wahr und sehen das Glas fallen. Bevor wir jetzt reagieren, muss unser Kopf einen sehr komplexen Prozess bewältigen. Die Augen schicken die Information über die Bewegungen am Tisch erst an das sensorische System im hinteren Teil des Gehirns. Dieses verarbeitet die Bilder und schickt sie weiter an unseren hauptsächlichen Denkapparat, den »präfrontalen Cortex«. Nennen wir ihn hier der Einfachheit halber unseren »Verstand«. Er ist zuständig für die ENTSCHEIDUNG, was wir jetzt tun. Das sensorische System »fragt« also erst mal nach: »Ich habe hier Bewegungsbilder von einem fallenden Glas. Wie bewerten wir sie? Wie müssen wir reagieren?«
Der Verstand analysiert die Bilder und stellt fest, dass das Glas noch leer war, dass nichts kaputtgegangen ist und das Kind sich nicht wehgetan hat. Es bewertet demnach die Situation als »nicht gefährlich«. Diese BEWERTUNG schickt es weiter an verschiedene Schaltstellen im Gehirn, ebenso an das motorische System. Jetzt können wir entspannt einen Arm nach vorne strecken, das Glas aufstellen und vielleicht sagen: »Du hast Hunger, was? Sei bitte vorsichtig!« Dies ist der normale Informationsfluss im Gehirn. Wir sehen etwas, bewerten es und reagieren dann. Der Clou an der Sache ist die Analyse und Bewertung.
Wir reagieren im normalen Alltag nicht instinktiv oder im Affekt, sondern nach einem blitzschnell ablaufenden Denkvorgang, der uns sagt, was jetzt eine kluge Handlung wäre.