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Jean Pauls pädagogische Schrift "Levana" ist eines der ersten Werke überhaupt das sich kritisch mit der Kindeserziehung und den Auswirkungen auf das spätere Leben befasst.
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Seitenzahl: 553
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Erziehlehre (Levana)
Jean Paul
Inhalt:
Jean Paul – Biografie und Bibliografie
Erziehlehre (Levana)
Erstes Bändchen
Vorrede zur zweiten Auflage
Vorrede zur ersten Auflage
Erstes Bruchstück
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Zweites Bruchstück
Erstes Kapitel
Zweiten Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Drittes Bruchstück
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zweites Bändchen
Anhang zum dritten Bruchstücke
Komischer Anhang und Epilog des ersten Bändchens
Viertes Bruchstück
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Fünftes Bruchstück
Erstes Kapitel
Drittes Bändchen
Sechstes Bruchstück
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Siebentes Bruchstück
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Achtes Bruchstück
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Neuntes Bruchstückchen oder Schlußstein
Erziehlehre (Levana), Jean Paul
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849632942
www.jazzybee-verlag.de
Eigentlich Jean Paul Friedrich Richter, unter dem Namen Jean Paul berühmt gewordener Schriftsteller, geb. 21. März 1763 in Wunsiedel als Sohn eines Rektors und Organisten, gest. 14. Nov. 1825 in Bayreuth, verbrachte seine Kindheitsjahre, seit 1765, in dem Dorfe Joditz bei Hof, besuchte erst seit 1776 in dem nahen Schwarzenbach, wohin sein Vater versetzt worden war, regelmäßig die Schule, gewann aber die wesentlichsten Anregungen aus einer von früh an lebhaft, freilich auch wahllos betriebenen Lektüre, über die er in dicken Folianten ausführliche Auszüge eintrug. Um Ostern 1779 bezog er das Gymnasium in Hof. Durch den bald darauf erfolgten Tod des Vaters und der Großeltern geriet er mehr und mehr in materielle Bedrängnis, die ihn aber nicht hinderte, Ostern 1781 die Universität Leipzig zu besuchen, um Theologie zu studieren. Doch nahm er es mit den Studien (nur der Philosoph Platner fesselte ihn eine Weile) nicht sehr ernst und wandte sich bald ausschließlich der literarischen Tätigkeit zu, durch die er sich auch leichter über die äußere Not hinweghelfen zu können hoffte. Von bekannten Schriftstellern wirkten jetzt außer Hippel, der schon auf der Schule sein Lieblingsautor gewesen war, Rousseau und die englischen Humoristen und Satiriker stark auf ihn ein. Für sein erstes Buch, das nach des Erasmus' »Encomium moriae« verfaßte »Lob der Dummheit«, in dem er die Dummheit redend einführt, fand er keinen Verleger (es wurde erst lange nach Jean Pauls Tode bekannt). Besser ging es den des Dichters Eigenart schon deutlich verratenden »Grönländischen Prozessen«, die wenigstens einen Verleger fanden (Berl. 1783), wenn sie auch von dem Publikum und der Kritik sehr kühl aufgenommen wurden. Um den drängenden Gläubigern zu entrinnen, begab sich R. Ende 1784 heimlich von Leipzig hinweg und traf vom Frost erstarrt in Hof bei der Mutter ein, von wo es ihm auch in den nächsten Jahren nicht gelingen wollte, literarische Beziehungen anzuknüpfen, die seiner Not hätten ein Ende machen können. Erst zu Anfang 1787 bot sich dem Dichter wenigstens ein Unterkommen als Hauslehrer dar, er übernahm den Unterricht eines jüngeren Bruders seines Freundes Örthel in Töpen. Seine dortige Stellung war jedoch unbehaglich, und schon im Sommer 1789 kehrte er nach Hof zurück. Inzwischen schrieb er neue Satiren u. d. T.: »Auswahl aus des Teufels Papieren« (Gera 1789), die ebenso wenig Aufsehen erregten wie Jean Pauls Erstlingswerk. Im März 1790 übernahm er aufs neue ein Lehramt. Einige Familien in Schwarzenbach beriefen ihn zum Unterricht ihrer Kinder, und jetzt betrieb der Dichter sein Amt in angenehmen persönlichen Verhältnissen mit wahrhaft begeisterter Freudigkeit. Die Sonntagsbesuche in Hof gewährten erquickliche Erholung, und in dem damals mit seinem dortigen Freund Otto immer inniger geschlossenen Herzensbund erwuchs ihm ein köstlicher Besitz für sein ganzes späteres Leben. Um jene Zeit entstanden einige kleinere Humoresken: »Die Reise des Rektors Fälbel und seiner Primaner«, »Des Amtsvogts Freudels Klaglibell über seinen verfluchten Dämon« und das »Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz in Auenthal«. Sogleich nach Vollendung des »Wuz« begann R. einen großen Roman, dessen Plan ihn schon länger beschäftigte. Während der Arbeit zwar verflüchtigte sich der ursprüngliche Plan, die »Unsichtbare Loge« (Berl. 1793, 2 Bde.) blieb unvollendet; »eine geborne Ruine« nannte der Dichter selbst sein Werk, in dem neben einzelnen unvergleichlich schönen Stellen bereits die ganze Unfähigkeit Jean Pauls zu plastischer Gestaltung, die maßlose Überwucherung der phantastischen Elemente und alles, was sonst den reinen Genuß an seinen Dichtungen stört, zutage trat. Gleichwohl bildet das Erscheinen des Buches in Jean Pauls Leben einen Wendepunkt günstigster Art. Im Herbst 1792 legte er seine Hand an ein neues Werk, den »Hesperus« (Berl. 1795), der sich gleich der »Unsichtbaren Loge« eines großen Erfolgs beim Publikum erfreute. Seit dem Frühling 1794 wieder in Hof bei der Mutter weilend, schrieb er in den nächstfolgenden Jahren: »Das Leben des Quintus Fixlein« (Bayr. 1796), ein humoristisches Idyll wie das »Leben Wuz'«, nur in breiterer Anlage; die »Biographischen Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin« (Berl. 1796), ein Romantorso mit satirischem Anhang; die »Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten Siebenkäs« (das. 1796–97, 4 Bde.), in gewissem Sinne die beste Schöpfung des Dichters, der in den Persönlichkeiten des sentimentalen Siebenkäs und des satirischen Leibgeber die entsprechenden Elemente seiner eignen Natur zu verkörpern versuchte. Noch während der Arbeit an dem letztgenannten Roman empfing Jean Paul eine briefliche Einladung nach Weimar, von weiblicher Hand geschrieben. In der Ilmstadt, meldete die Briefstellerin, die sich Natalie nannte (welchen Namen der Dichter alsbald einer Gestalt im »Siebenkäs« anheftete), seien die besten Menschen von Jean Pauls Werken entzückt. Ohne Verzug folgte dieser dem Ruf. Seine Aufnahme übertraf alle seine Erwartungen; vor allen andern begegnete ihm Charlotte v. Kalb (die pseudonyme Briefschreiberin) mit glühender Verehrung. Jean Paul hat von ihr manche Züge für die Schilderung der hypergenialen Linda im »Titan« entlehnt. Zurückhaltender empfingen Goethe und Schiller den Hesperusverfasser, der sich in Weimar meist im Kreis des ihm wahlverwandten Herder bewegte. In jene Zeit fallen die Anfänge des »Titan«, die Abfassung des »Jubelsenior« (Leipz. 1797) und die Schrift »Das Kampanertal, oder: Die Unsterblichkeit der Seele« (Erfurt 1798). Im Sommer 1797 trat eine neue weibliche Gestalt auf die Lebensbühne des Dichters, Emilie v. Berlepsch, eine junge und schöne Witwe, mit der Jean Paul eine Reihe wunderlich exaltierter Szenen durchmachte. Fast hätte eine (vermutlich unglückliche) Heirat den dramatischen Abschluß gebildet. Im Oktober 1797 führte eine Reise nach Leipzig den nun berühmt Gewordenen auf den Schauplatz seiner einstigen Kümmernis, und jetzt drängten sich die Bewunderer um ihn. 1798 folgte auf Einladung der Herzogin Amalie ein abermaliger Besuch in Weimar. Nach einem kurzen Aufenthalt in Hildburghausen (Frühjahr 1799), wo er vom Herzog den Titel eines Legationsrats erhielt, ging Jean Paul nach Berlin, in der Absicht, sich dort dauernd niederzulassen. Im Mai 1801 verheiratete er sich daselbst mit der Tochter des Tribunalrats Meyer, aber eine vom König erbetene Versorgung blieb versagt. Von den damals entstandenen Werken sind hervorzuheben: »Palingenesien« (Gera 1798, 2 Bde.); »Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf« (das. 1799; unter den hier vereinigten kleinern Aufsätzen seien erwähnt: »Der doppelte Schwur der Besserung« und die »Neujahrsnacht eines Unglücklichen«) und die »Clavis Fichtiana« (Erfurt 1800), eine Satire auf den Fichteschen Idealismus; er widmete sie F. H. Jacobi, den er als den größten Philosophen der Zeit bewunderte. In Berlin behagte es dem Dichter nicht auf die Dauer; bald nach seiner Hochzeit nahm er seinen Wohnsitz in Meiningen, wo er zum Herzog Georg in vertraute Beziehungen trat und den »Titan« (Berl. 1800–03, 4 Bde.) vollendete. Doch schon im Mai 1803 verließ er Meiningen wieder und siedelte sich nach kurzem Aufenthalt zu Koburg in Bayreuth an, wo er bis zu seinem Tode wohnen blieb. Das nächste größere Werk des fortan in nur selten unterbrochener idyllischer Zurückgezogenheit lebenden Dichters war ein philosophisches, die »Vorschule der Ästhetik« (Hamb. 1805, 3 Bde.; Tübing. 1813), ein Buch voll geistreichster Einfälle, wertvoll in den über die Theorie des Komischen handelnden Abschnitten. Danach folgte die Abfassung der »Flegeljahre« (Tübing. 1804–05, 4 Bde.). Auch in diesem Roman, der zu den genialsten Schöpfungen Jean Pauls gehört und ihm selbst die liebste blieb, hat er die eigne Doppelnatur, die Gemütsinnigkeit und die humoristische Neigung seines Wesens, jene in dem weich gestimmten Walt, diese in dessen Zwillingsbruder Vult, zur Darstellung bringen wollen. In der »Levana, oder Erziehungslehre« (Braunschw. 1807, 3 Bde.; Stuttg. 1815, 4. Aufl. 1861; neue Ausg. von R. Lange, Langensalza 1893) sollten die in der »Unsichtbaren Loge«, im »Titan« und in den »Flegeljahren« in Romanform dargelegten Grundsätze theoretisch ausgeführt wiederkehren. Während der Zeit der französischen Fremdherrschaft schrieb Jean Paul zu eigner und seines Volkes Erheiterung die Humoresken: »Des Feldpredigers Schmälzle Reise nach Flätz« (Tübing. 1809) und »Doktor Katzenbergers Badereise« (Heidelb. 1809, Bresl. 1823), zwei Erzählungen von derbster Komik. Aber auch in ernsthafteren, wenngleich an satirischen Schlaglichtern reichen Schriften suchte er den gesunkenen Mut der Nation auszurichten, so in der »Friedenspredigt in Deutschland« (Heidelb. 1808) und den »Dämmerungen für Deutschland« (Tübing. 1809). Das letztere Buch, gedruckt in der Zeit, als Davout das Bayreuther Land besetzt hielt, legt auch deshalb ein schönes Zeugnis für Jean Pauls männlichen Mut und edlen Sinn ab, weil er es veröffentlichte, nachdem ihm soeben durch den ganz von dem französischen Imperator abhängigen Fürst-Primas v. Dalberg eine Jahrespension von 1000 Gulden ausgesetzt worden war. Nachdem diese Pension mit dem Großherzogtum Frankfurt 1813 zu Ende gegangen, bezog der Dichter seit 1815 einen gleichen Jahresgehalt von dem König von Bayern. Aus den spätern Lebensjahren Jean Pauls sind zu verzeichnen als bedeutendere Schriften: »Das Leben Fibels« (Nürnb. 1811), »Der Komet, oder Nikolaus Marggraf« (Berl. 1820–22, 3 Bde.), die beiden letzten größeren Arbeiten des Dichters in der komischen Gattung; ferner das Buch »Selina, oder: Über die Unsterblichkeit der Seele« (Stuttg. 1827, 2 Bde.) und endlich das Fragment einer Selbstbiographie, das unter dem im Gegensatz zu Goethe gewählten Titel: »Wahrheit aus Jean Pauls Leben« (Bresl. 1826) erschien und die Jugenderinnerungen des Dichters enthält. Einen tiefen Schatten warf auf Jean Pauls Lebensabend der Tod seines einzigen Sohnes, der 1821 als Student in Heidelberg starb. Seitdem kränkelte er und war zuletzt über Jahresfrist des Augenlichts fast gänzlich beraubt. König Ludwig I. von Bayern ließ ihm 1841 in Bayreuth ein Erzstandbild (von Schwanthaler) errichten.
Jean Paul nimmt eine eigentümliche und schwer zu bezeichnende Stellung innerhalb unsrer klassischen Literaturperiode und zwischen den sich drängenden Richtungen seit dem Beginn des 19. Jahrh. ein. Unzweifelhaft vom besten Geiste des 18. Jahrh., von dem »Ideal der Humanität«, beseelt, schloss er sich doch in seiner Darstellungsweise weit mehr an die frühern Schriftsteller als an Lessing, Goethe oder Schiller an. Die Engländer, vor allen Swift und Sterne, die Franzosen Voltaire und Rousseau, die ostpreußische Schriftstellergruppe Hamann, Hippel und Herder beeinflussten die Entwickelung seines Talents und führten ihn im Verein mit seinem eignen Naturell und seinem persönlichen Schicksal auf wunderliche Abwege. Gemeinsam mit unsern großen Dichtern blieben R. die Überzeugung von der Entwickelungsfähigkeit des Menschengeschlechts und ein freiheitlicher Zug; aber er gelangte niemals zu einer Entwickelung im höheren Sinne des Wortes. Der Abstand zwischen seinen frühesten und spätesten Werken ist ziemlich unwesentlich; die Widersprüche des unendlichen Gefühls und des beschränkten realen Lebens bildeten den Ausgangspunkt aller seiner Romane; aus ihnen gingen die weichen, wehmut- und tränenvollen Stimmungen hervor, über die er sich dann durch seinen unter Tränen hell lachenden Humor erhob. In der empfindsamen Zeit, in der Jean Paul auftrat, musste er den größten Erfolg haben; die schreienden Mängel seiner Darstellung wurden geleugnet; ja, sie scheinen in den meisten Kreisen gar nicht empfunden worden zu sein. R. gelangte nur in dem Idyll und in den besten Episoden seiner größeren Romane zu wirklich künstlerischer Gestaltung; meist wurden bei ihm Handlung und Charakteristik unter einer wuchernden Fülle von Einfällen, reflektierenden Abschweifungen, Episoden und fragmentarischen Einschiebseln verdeckt und erstickt. Verhängnisvoller noch ward für ihn die oben schon erwähnte Vielleserei, in der er ein Gegengewicht gegen die Enge seiner Verhältnisse gesucht hatte, und in ihrer Folge die leidenschaftliche Bilderjagd und Zitatensucht. Alle diese Mängel vereint drückten seinem Stil mit endlosen Perioden und unzähligen Einschachtelungen den Charakter des Manierierten auf, den der Dichter nur da abstreift, wo er von seinem Gegenstand aufs tiefste ergriffen und in innerster Bewegung ist. Gegenüber dem Enthusiasmus, der R. eine Zeitlang zum gefeiertsten Schriftsteller der Nation erhob, heftete sich die spätere Kritik wesentlich an die bezeichneten Unvollkommenheiten seiner Erscheinung. Während in seinen ausgedehnteren Werken, der »Unsichtbaren Loge«, dem »Hesperus«, dem »Titan« und »Komet«, nur einzelne glänzende Beschreibungen, humoristische Episoden oder jene zahlreichen »schönen Stellen« noch zu fesseln vermögen, von denen mehrmals besondere Sammlungen veranstaltet wurden, gewähren alle in ihren Hauptteilen idyllischen oder entschieden humoristischen Dichtungen einen weit reinern Genuss und lassen das Talent und die tieferen Eigentümlichkeiten besser hervortreten. Immer steht die liebevolle, reine Teilnahme bei ihm an allen Mühseligen und Beladenen, an den Armen, Bedrückten und Bedrängten im Vordergrund. Sein Blick für das Köstliche im Unscheinbaren, das Große und Ewige im Beschränkten ist tief und beinahe untrüglich; auch seine Naturliebe verleiht allen seinen Werken Partien von bestrickendem Zauber. Seine scharfe Beobachtung des Komischen wirkt unwiderstehlich, und alle diese Vorzüge erwecken lebhaftes Bedauern, daß dem Dichter das Erreichen klassischer, künstlerisch vollendeter Form versagt blieb. Richters Werke erschienen gesammelt in erster, aber ungenügender Ausgabe in 60 Bänden (Berl. 1826–38), besser in 33 Bänden (das. 1840–42; 3. Ausg. 1860–62, 34 Bde.) sowie in Auswahl in 16 Bänden (2. Ausg., das. 1865); ferner in der Hempelschen Ausgabe, mit Biographie von Gottschall (das. 1879, 60 Tle.; Auswahl 31 Tle.) und eine Auswahl in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur« (hrsg. von Nerrlich, Stuttg. 1882 ff., 6 Bde.). Nach des Dichters Tod erschien noch »Der Papierdrache« (hrsg. von seinem Schwiegersohn Ernst Förster, Frankf. 1845, 2 Bde.). Von verkürzenden Bearbeitungen, die den Dichter der Gegenwart näher bringen wollen, sei erwähnt die des »Titan« von O. Sievers (Wolfenbüttel 1878). Von seinen Briefen sind zu nennen: »Jean Pauls Briefe an Friedrich Heinrich Jacobi« (Berl. 1828); »Briefwechsel Jean Pauls mit seinem Freund Chr. Otto« (das. 1829–33, 4 Bde.); »Briefwechsel zwischen Heinrich Voß und Jean Paul« (hrsg. von Abr. Voß, Heidelb. 1833); »Briefe an eine Jugendfreundin« (hrsg. von Täglichsbeck, Brandenb. 1858). Die »Briefe von Charlotte v. Kalb an Jean Paul und dessen Gattin« (Berl. 1882) und »Jean Pauls Briefwechsel mit seiner Frau und Christian Otto« (das. 1902) gab Nerrlich heraus. Aus der zahlreichen Literatur über R. heben wir hervor: Spazier, Jean Paul Friedrich R., ein biographischer Kommentar zu dessen Werken (Leipz. 1833, 5 Bde.); die Fortsetzung von »Wahrheit aus Jean Pauls Leben« von Otto und Förster (Bresl. 1826–33, 8 Hefte); E. Förster, Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Jean Paul (Münch. 1863, 4 Bde.); Henneberger, Jean Pauls Aufenthalt in Meiningen (Meiningen 1863); Planck, Jean Pauls Dichtung im Licht unsrer nationalen Entwickelung (Berl. 1868); Vischer, Kritische Gänge, neue Folge, Bd. 6 (Stuttg. 1875); Nerrlich, Jean Paul und seine Zeitgenossen (Berl. 1876) und Jean Paul, sein Leben und seine Werke (das. 1889); Jos. Müller, Jean Paul und seine Bedeutung für die Gegenwart (Münch. 1894), Die Seelenlehre Jean Pauls (das. 1894) und Jean Paul-Studien (das. 1899); Hoppe, Das Verhältnis Jean Pauls zur Philosophie seiner Zeit (Leipz. 1901); Reuter, Die psychologische Grundlage von Jean Pauls Pädagogik (das. 1902): Allievo, Gian Paolo R. e la sua Levana (Tur. 1900); Czerny, Sterne, Hippel und Jean Paul (Berl. 1904); F. J. Schneider, Jean Pauls Altersdichtung Fibel und Komet (das. 1901) und Jean Pauls Jugend und erstes Auftreten in der Literatur (das. 1905). Eine begeisterte, formvollendete »Denkrede auf Jean Paul« verfaßte Börne (1825).
Ihrer Königlichen Majestät der Königin CAROLINE von Bayern in tiefster Ehrfurcht gewidmet von dem Verfasser
Allergnädigste Königin!
Durch den hohen Namen Eurer Königlichen Majestät will der Verfasser die Levana für die Mütter einweihen, wie die Fahnen des Vaterlandes durch eine Fürstin, welche sie mit ihrer Arbeit ausschmückt, eine neu begeisternde Macht gewinnen.
Verzeihen Eure Majestät die Zueignung eines Werkes, das Deutschland selber, insofern seine Zustimme die verbesserte Auflage veranlaßte, einer Fürstin zueignet, für welche die besseren und wärmeren Stellen darin nichts sein können als Ihre eigenen Erinnerungen.
Wenn schon in jedem tiefen Stande das Mutterherz der weibliche Ordensstern und die Sonne ist, welche den Morgentau der ersten Tränen sanft erwärmt und trocknet: so erfreut den Zuschauer noch inniger diese Sonne, je höher sie steht und eine weite Zukunft erwärmt; und wenn eine hohe Mutter Ihr Herz gleich Ihrer Schönheit vervielfältigt und durch Ihr Ebenbild ferne Zeiten und Länder beglückt.
Noch höher wird diese Freude, wenn die Mutter zugleich die Mutter ihres Landes ist und den Zepter zum Zauberstabe erhebt, welcher die Trauerträne vor Ihr, noch ehe sie abgetrocknet ist, zu einer Freudenträne erhellt.
Sollte die tiefe Ehrfurcht eines Untertans verbieten, diese Freude in einer Zueignung auszusprechen?
Mit tiefster Ehrfurcht Eurer Königlichen Majestät
untertänigstgehorsamster Jean Paul Fr. Richter
Man gibt mit Liebe und Achtung den Lesern und Leserinnen die zweite Auflage einer Erziehlehre, wenn man das Vergreifen der ersten als einen Beweis ansieht, daß, während die kriegerischen Vesuve und Ätna ihre Feuer und Donner ineinanderspielten, doch das deutsche Vater- und Mutterherz Ruhe, Sorgfalt und Liebe genug behalten, um sich mit den geistigen Angelegenheiten der Kinderwelt abzugeben, so wie die Eltern diese zuerst etwan aus Feuer und Wasser rettend auf die Arme nehmen.
Möge nur die Levana dieser Teilnahme der elterlichen Liebe recht würdig gewesen sein!
Diese Auflage enthält außer den kleinen Verbesserungen und außer den großen ortmäßigen Einschaltungen einiger in zwei Zeitschriften verstreueten und anderer, auch ungedruckter Erziehbeiträge noch manche nähere Bestimmungen, zu welchen ich mich durch die Urteile eines und des andern freundlichen Richters, besonders des jenaischen und hallischen, aufgefodert fand.
Denn kein Tadel ist wohl mehr zu erwägen als der von Freundlichgesinnten und Gleichgestimmten; nicht einmal das Lob der Feinde wiegt so entschieden vor – da es ebensooft Falle als Fallschirm sein kann –; auch will man vor einem wohlwollenden Tadler weder eignes Ja noch Nein, sondern nur die Sache beschützen.
Nur einem kritischen Urteilverfasser hab' ich nichts zu sagen, weil er selber nichts gesagt; wiewohl schon die Äußerung ihm zu viel ehrend sagen würde, hätt' er sein Urteil nicht unter die Göttingschen gelehrten Anzeigen gemischt, welche noch immer durch gelehrte den Ruhm ihres Reichtums ebenso fortbewähren, als sie durch ästhetische und philosophische die Anhänge der nach langem Einschläfern eingeschlafnen Nicolais-Bibliothek so täuschend fortliefern, daß sogar ein eingeschränkter Kopf mit diesen allgemein-deutsch-bibliothekarischen Nachzüglern schon zufrieden sein kann.
Übrigens reift der Verfasser dieses weniger an fremden Verfassern als an eignen Kindern weiter. Leben belebt Leben, und Kinder erziehen besser zu Erziehern als alle Erzieher. Lange vor der ersten Levana waren überhaupt Kinder (d. h. also Erfahrungen) dessen Lehrer und die Bücher zuweilen die Repetenten. Indes Erfahrungen können, da ihre Anzahl nie bis zur Kraft beweisender Allgemeinheit zu erschöpfen ist, etwas nur durch ein Gemüt aussagen, das ihnen das Geistige und Allgemeine aus sich selber unterlegt und ablernt. Daher können Erziehlehren bei der Unerschöpflichkeit der Regeln und der Schwierigkeiten ihrer jedesmaligen Auswahl nur durch Anregung und Erwärmen elterlicher Liebe und eigentümlicher Kraft beglückend und schaffend helfen. Jede wahre Kraft, es sei des Herzens oder des Kopfes, kann bei Kinderliebe, auch in der Ferne gewöhnlicher Methoden, mit Segen erziehen.
Die Menge und der Abgang der Erziehschriften erklären sich aus dem Umstande, daß unter allen Ämtern das erziehende am stärksten mit Amtinhabern besetzt ist, unter allen von beiden Geschlechtern zugleich, von den Eltern, ja sogar von denen, welche keine gewesen, so daß folglich der Erziehlehrer nicht etwan wie ein Gottes-, Rechts- und sonstiger Gelehrter für sein Fach, sondern für alle Fächer aller Leute schreibt. – Wir Deutschen aber besonders tun teils aus Überfluß an Menschenliebe, teils aus Mangel an Geld, teils aus Mangel an zusammenhaltenden Mitgliedern für Kinder schreibend auf dem Papier eben das geistig, was körperlich in Paris das Kinderspital les enfants malades und in Madrid der Hülf-Klub für die auf den Gassen verlaufenen Kinder versuchen: wir wollen ihre Seelen heilen und belehren.
Der Verfasser erlaubt sich hier nur die Anführung von vier bedeutenden Erziehwerken, die er seit der Herausgabe des seinigen gelesen. – Die Lehre des Allgemeinen ohne die des Besonderen ist so gut wie die Lehre des Besonderen ohne Allgemeines ein Abweg von der richtigen Lehre, die beides verbindet; diese fruchtbringende Verbindung findet man aber in Schwarzens »Erziehungslehre«, besonders in den reichen Absonder-Reihen der Gemütarten (in der 1sten Abt. des 3ten Bandes). Solcher Blumenkatalogen von Kinderseelen kann man nicht zu viele bekommen; es sind gleichsam die kleinen linnéischen Nummernzettel an den Gewächsen einer Baum- und Blumenschule. Alle unsere Fachwerke der kindlichen Charaktere aber sind so geräumig und dadurch so wenig abteilend, als etwan ein hohes Büchergestell mit bloßen zwei Brettern wäre. Knospen-Zeichnungen künftiger Genies z. B. haben wir fast nicht, außer erst von diesen selber, wenn sie schon Blüten und Früchte getragen; allein ein fremdes frühes Beobachten derselben würde reicher und reiner darreichen als ihr eignes spätes Erinnern; nur schade, daß die Erzieher selten vorauswissen, welches Kind mehr wird als sie selber. Zwar werden durch diese Unwissenheit der Erzieher nicht eben an einem Genie die Kräfte des Geistes verwildern, verwachsen, erschlaffen – denn dasselbe (z. B. Winckelmann) bricht wie der Nachtschmetterling bei der Entpuppung durch die harte Erde aller Einengungen ohne Abnützung der zarten Flügel hindurch –; aber die Kräfte des Herzens, die es selber oft wenig zu regeln weiß, können von ungelenken Händen leicht in ewige Fehler umgebogen werden. Das Beste also wäre, daß ein Vater immer seine Kinder, wo nur möglich (und dies ist leicht, da er solche zu sehr wünscht), für genial ansähe und deshalb auf geradewohl Ernteregister ihrer Entwicklungen hielte.
Wie nun Schwarz in seiner Erziehlehre durch Vereinzelung in das Besondere und durch edle Gemütlichkeit mehr die Mütter anspricht: so wendet sich Niethammer im Streite des Philanthropinismus und Humanismus mehr den Vätern zu, indem er die formelle Bildung durch Sprache als die Bildung des Ganzen mit Recht der materiellen durch Sachen als der teilweisen vorschickt und vorzieht und den innern Menschen mehr durch geistiges Arbeiten als durch geistiges Füttern stärken und stählen will. Seiner schönen Feindschaft gegen die jetzige Zeit, welche durch Naturgeschichten, Bertuchische Bilderbücher und andere Sachregister des Auges die Lehrstuben zu Alpen macht, wo die Pflanze mager und klein und deren Blume übergroß getrieben wird, stimmte ich zu meiner Freude schon früher im 1sten und 2ten Kapitel des 7ten Bruchstücks vor und jetzo nach. Die Bildkraft der Philologie wird ihr eigner Beweis durch seine logischmeisterhafte Darstellung. Nur schließet er mit Unrecht, wie es scheint, von den Mitarbeitern am Weinberge formeller Bildung den tiefpflanzenden Pestalozzi aus, der vielleicht sogar unter die Vorarbeiter gehört. Da Pestalozzis anfängliche Ernten unscheinbar, nämlich nur Wurzeln sind, die man nicht zum Vorzeigen aufdecken kann: so unterscheidet sich sein formelles Bilden durch Mathematik von dem des Humanismus durch Philologie ja nur im Werkzeug. Beide Lehrer fahren in ihrem Erntewagen demselben Ziele zu, nur aber sehen beide, einander entgegensitzend, sich und entgegengesetzte Wege an.
Graser stellt in seinem Werke »Divinität der Menschenbildung« die vier großen Hinanbildungen zur Gottheit, gleichsam die vier Evangelien Gerechtigkeit, Liebe, Wahrheit und Kunst oder Schönheit, als die vier Erziehelemente auf. Freilich hätt' er statt der ebenso ausländischen als außerirdischen »Divinität« sprach- und lebenrichtiger »Gottähnlichkeit« gesagt, zumal da die beste Erziehung, als ein zweites Nachschaffen des göttlichen Ebenbildes im Menschen, uns alle doch nur als dunstige kalte Nebensonnen der ur-lebendigen Welt-Sonne zurücklassen kann, die nicht höher stehen als die Erdenwolken. Der Erziehgrundsatz der Divinität zwar lag schon in dem frühern der Humanität, da wir ja die Gottheit nur im Menschen als Gottmensch finden und kennen; aber der Glanz des in der reinen Ewigkeit wohnenden Ideals wirft uns das Licht auf unseren Richtsteig heller als die von der Zeit getrübte Menschen-Realität. – Übrigens überrascht der Verfasser, der dem Allgemeinsten das Bestimmte weniger ein- als anwebt, am Schlusse angenehm mit bestimmten Verkörperungen, nämlich mit so praktischen Anweisungen, daß man gern noch recht vielen durch Ausleeren früherer Transzendental-Bogen Platz und Spielraum gegeben hätte. Kann er aber nicht viele gewöhnliche weiße Bogen nehmen und uns auf ihnen eine so lange Fortsetzung seiner Unterricht-Praxis geben, als wir jetzo schon in Händen zu haben wünschten?
In der »allgemeinen Pädagogik« von Herbart kann die schöne, mit Lichtern und Reizen bestechende Sprache gleichwohl nicht den Wunsch abwenden, daß er das Titel-Vorrecht »allgemeine« nicht möchte so allgemein genutzt haben und durchgeführt, so daß der Leser die zu weiten Formen mit ergänzendem Inhalt füllen muß. An einem Philosophen findet man freilich, wenn er Erziehlehrer ist, oft genug nur den Polarstern, welcher zwar zu einer langen Reise um die Welt, aber zu keiner kurzen in der Welt gut anweiset; wie denn überhaupt Philosophen den jüdischen Propheten (oder auch den Wetterpropheten) gleichen, welche leichter ein Jahrhundert als ihren nächsten Todes-Tag wahrsagen, so wie – wenn ich mir ein zu starkes Gleichnis erlaube – in der Geschichte sich auch die Vorsehung nicht an Jahren, sondern an Jahrhunderten entschleiert, und an diesen kaum, da das enthüllende Jahrhundert wieder der Schleier des nächsten wird. – Wo aber Herbart die Muskel- und Bogen-Sehne des Charakters stärken und spannen will: da tritt er kräftig in das Besondere und Bestimmte hinein – und mit schönem Rechte, da sein Wort- und sein Gedankengang ihm selber einen zusprechen. Gewiß bleibt für die Erziehung der Charakter das wahre Elementarfeuer; hab' ihn nur der Erzieher, so wird dasselbe, wenn nicht anzünden, doch wärmen und Kräfte treiben. Das jetzige Jahrhundert – eine vulkanische Insel, welche glüht, treibt, zittert und erschüttert – sollte endlich vom politischen Kolosse, der jetzo auf den Ufern zweier Jahrhunderte steht, aus den Siegen über seine hin- und hertreibenden Walfischfahrer den Inhalt und Gehalt eines Charakters gelernt und ersehen haben; denn ein Charakter ist ein Fels, an welchem gestrandete Schiffer landen, und anstürmende scheitern. Keine glückliche Völker-Zukunft war überhaupt von jeher anders aufzubauen als von Händen, die aus Zeig- und Schreibfingern sich geistig zu Fäusten ballten. Dies spricht jetzo schon die steinalte Geschichte, sagt aber als eine geschwätzige Frau und Sibylle Jahr für Jahr immer mehr, und sie weiß gar nicht aufzuhören. – –
Dieser neueste, sogar mit Auslassung mancher anderer Einnahmen berechnete Reichtum an Erziehwerken erhebt unter den europäischen Völkern das deutsche zum erziehenden; und deutsche Schulen sollten, wie mehre Städte in Frankreich, den Ehrennamen »die guten« führen. Ja man könnte, so wie Lessing die unscheinbaren Juden die Erzieher des Menschengeschlechts nannte, an den Deutschen uns vielleicht die Erzieher der Zukunft versprechen. Liebe und Kraft, oder innere Harmonie und Tapferkeit sind die Pole der Erziehung; so erlernte Achilles vom Zentaur zugleich das Lyra-Spielen und das Bogen-Schießen.
Möchten wir doch überhaupt bedenken, ehe wir die Verwechslung der Seefahrer, welche oft Eisfelder für das Land ansahen, umkehren und das Land der Zukunft für ein Eisfeld halten, daß allen Völkern der Erde, sogar den knechtischen, geschweige freiern, die Kinderstube der Erziehung als ein Sonnenlehn und eine Freistatt der Freiheit verblieb, von Zeit und Verhältnis unerobert.
Unter allen geheimen Gesellschaften und Klubs, welche der Staat oft in bedenklichen Zeiten untersagt, werden doch die Familienklubs von so vielen Kindern, als man taufen ließ, unbedenklich geduldet. So laßt uns denn mit dem kurzen Kinderarm, d. h. mit dem langen Hebelarm die Zukunft bauen und bewegen und unverdrossen und tapfer das Gute der Zeit erhöhen helfen, und das Schlechte unterhöhlen. Ja sogar der, für dessen Kinder die Frucht-Lese zu lange ausbliebe, sage zu sich: »meine Engel sind ja auch Menschen« und säe fort.
Baireuth, den 21. Nov. 1811.
Jean Paul Fr. Richter
Noverre foderte von einem guten Ballettmeister außer der Tanzkunst bloß noch Meß-, Ton- und Dichtkunst, Malerei und Anatomie. Hingegen über die Erziehung schreiben, heißt beinahe über alles auf einmal schreiben, da sie die Entwickelungen einer ganzen, obwohl verkleinerten Welt im kleinen (eines Mikrokosmus des Mikrokosmus) zu besorgen und zu bewachen hat. Alle Kräfte, womit die Völker arbeiten oder glänzen, waren früher als Keime unter der Hand des Erziehers dagewesen. Ginge man noch weiter, so begehrte jedes Jahrhundert, jedes Volk, zuletzt jeder Knabe und jedes Mädchen seine eigne Erziehlehre, Fibel, Hausfranzösin usw.
Wenn folglich über eine Sache wie diese nur acta sanctorum, eigentlich sanctificandorum (Akten weniger der Heiligen als der zu Heiligenden) geschrieben werden können – noch sind die pädagogischen so wenig als die Bollandischen im letzten Monat – und wenn ein Foliant nichts ist als ein Bruchstück: so gibt es eben darum über einen so unerschöpflichen Gegenstand kein Buch zu viel, selber hinter dem besten, ausgenommen das schlechteste; und da, wo nur Bruchstücke möglich sind, machen nur alle mögliche das Ganze aus.
Damit glaubt der Verfasser sowohl seine Kühnheit als seine Armut entschuldigt; denn beide grenzen, wie im Staate, gern zusammen. Er hat nicht alles gelesen, was über die Erziehung geschrieben worden, sondern etwa nur eines und das andere. Rousseaus Emil nennt er zuerst und zuletzt. Kein vorhergehendes Werk ist seinem zu vergleichen; die nachfolgenden Ab- und Zuschreiber erscheinen ihm ähnlicher. Nicht Rousseaus einzelne Regeln, wovon viele unrichtig sein können ohne Schaden des Ganzen, sondern der Geist der Erziehung, der dasselbe durchzieht und beseelt, erschütterte und reinigte in Europa die Schulgebäude bis zu den Kinderstuben herab. In keinem Erziehwerke vorher war Ideal und Beobachtung so reich und schön verbunden als in dem seinigen; er wurde ein Mensch, dann leicht ein Kind, und so rettete und deutete er die kindliche Natur. Basedow wurde geistiger Verleger und Übersetzer in Deutschland – diesem Lande der Pädagogopädien (der Erziehung zu kindlichen Erziehern) und der Kinderliebe –, und Pestalozzi ist nun der stärkende Rousseau des Volks.
Einzelne Regeln ohne den Geist der Erziehung sind ein Wörterbuch ohne Sprachlehre; nicht nur kann kein bloßes Regelnbuch die Unendlichkeit der Einzelwesen und der Verhältnisse erschöpfen und aussondern, sondern dasselbe würde, gesetzt es wäre vollendet und vollendend, doch einer Heillehre ähnlich sein, welche nur gegen die einzelnen Zeichen einer Krankheit stritte und z. B. vor einer Ohnmacht gegen Ohrenbrausen und Augenfunkeln etwas Schwächendes, gegen Blässe und Kälte des Gesichts etwas Stärkendes, gegen Übelkeit etwas Abführendes verordnete. Aber dies taugt nicht! Ungleich dem gewöhnlichen Erzieher begieße nicht die einzelnen Zweige, sondern die Wurzel, die jene schon wässern und entfalten wird. Weisheit, Sittlichkeit sind kein Ameisenhaufen abgetrennter zusammentragender Tätigkeiten, sondern organische Eltern der geistigen Nachwelt, welche bloß der weckenden Nahrung bedürfen. Wir kehren die Unwissenheit der Wilden, welche Schießpulver säeten, anstatt es zu machen, bloß um, wenn wir etwas zusammensetzen wollen, was sich nur entfalten läßt.
Allein obgleich der Geist der Erziehung – überall das Ganze meinend – nichts ist als das Bestreben, den Idealmenschen, der in jedem Kinde umhüllt liegt, frei zu machen durch einen Freigewordenen; und ob er gleich bei der Anwendung des Göttlichen aufs Kindliche einzelne Brauchbarkeiten, zeitige, individuelle oder nächste Zwecke verschmähen muß: so muß er sich doch, um zu erscheinen, in die bestimmtesten Anwendungen verkörpern.
Hier unterscheidet sich der Verfasser – aber zu seinem philosophischen Nachteile – von den neuern übersinnigen Vorstehern an Erziehschultafeln, welche darauf mit so runder Kreide schreiben, daß man alles in den breiten Strichen finden kann, was man – vorher mitbringt, welche einen vollständigen Erzieh-Brownianismus mit den zwei Worten liefern: 1) stärke, 2) schwäche; wiewohl der Brownianer Schmidt gar nur ein Wort sagte: stärke. Doktor Tamponet behauptete, auch im Vaterunser woll' er Ketzereien aussparen, sobald man es begehre; die jetzige Zeit weiß umgekehrt in jeder Ketzerei ein Vaterunser zu finden. Der Gewinn freilich aus solchem philosophischen Indifferenzieren (Gleichsetzen) ist für eine Mutter, die ein gegebnes Kind zu entwickeln hat, unerheblich, obschon dergleichen hoch- und wohlklingende, zusammengetragene Werke durch Klingeln und Stehlen immer von Kunstsinn zeugen; daher Gall diesem Sinne ganz recht mitten zwischen dem Ton- und dem Dieb-Sinn das Lager anwies.
– Doch diese Sprache gehört nicht einmal in die Vorrede; dem Werke selber verbot sie ohnehin der Gegenstand, weswegen dieses in der Form als mein ernsthaftestes angesehen werden mag, dem nur selten ein kurzer komischer Anhang mitzugeben war.
Der Leser nehm' es gelinde auf, wenn er einiges Gedruckte hier im Wiederdrucke findet; das Gedruckte ist als Bindmittel und Bast des Ungedruckten unentbehrlich – nur muß die Bastpflanze nicht den ganzen Garten besetzen, anstatt die Bäume bloß zu verbinden. Doch gibts noch zwei bessere Entschuldigungen. Bekannte Erziehungregeln gewinnen neu, wenn neue Erfahrung sie wieder bewährt; der Verfasser aber war im Falle, dreimal an fremden Kindern jedes Alters und Talents sie zu machen; und jetzo genießt er von seinen eigenen das pädagogische jus trium liberorum (das Dreikinderrecht); und jede fremde Erfahrung in diesem Buche ist vorher die seinige geworden. Zweitens wird jetzo die Büchertinte oder Druckschwärze, wie sympathetische Dinte, so schnell bleich – so wie sichtbar –, daß es gut ist, in den neuesten Büchern alte Gedanken zu sagen, weil man die alten Werke, worin sie stehen, nicht liest; von manchen Wahrheiten müssen, wie von fremden Musterwerken, in jedem Jahrfunfzig neue Übersetzungen gegeben werden. Ja ich wünschte, man trüge sogar altdeutsche Muster von Zeit zu Zeit ins Neudeutsche und mithin in die Lesebibliotheken über.
Warum gibt es von allem Blumen- und Unkrautlese, nur aber noch keine Wein- und Fruchtlese aus den unzähligen Erziehbüchern? Warum darf auch nur eine einzige gute Beobachtung und Regel verloren gehen, bloß weil sie etwa in einem zu dickschweren Werke eingekerkert niedersinket, oder in einem einblättrigen verflattert, z. B. in einer Einladungschrift? Denn Zwerge und Riesen leben, auch als Bücher, nicht lange. – Unser Zeitalter, dieses Luft- und Ätherschiff, welches zugleich durch Anzünden neuer Lämpchen und durch Auswerfen alten Ballastes immer höher stieg, könnte, dächt' ich, nun mit dem Auswerfen nachlassen und Altes lieber einsammeln als herabschleudern.
So wenig zwar eine solche uneinige Gedankenkollekte die Regel selber lehren könnte: so würde sie den Erziehsinn, der diese anweiset, doch wecken und schärfen. Daher sollte jede Mutter – noch besser aber jede Braut – auch vielbändige und vielseitige anderer Art, z. B. das große Revisionswerk der Erziehung, dem kein Volk etwas Ähnliches entgegenzustellen hat, lesen und sich daran, wie ein Juwel, allseitig zubilden und zuschleifen, damit die mütterliche Individualität leichter die dunkle kindliche ausfinde, schone, achte und hebe.
Etwas anders als ein solches Stufenkabinett edler Gedanken, oder gar meine schwache Levana mit ihren Bruchstücken auf dem Arme, bleibt stets ein ordentliches vollständiges System der Erziehung, welches teils schon einer und der andere geschrieben hat, teils schreiben wird. Es ist schwer, ich meine das Ziel, nicht das Mittel. Denn leicht ists, dem Buchbinderkleister den Buchmacherkleister vorauszuschicken und tausend überlieferte Gedanken mit fünf eigenen zusammenzuleimen, sobald man nur in der Vorrede aufrichtig anmerkt, man habe seine Vorgänger benutzt, aber im Werke selber keinen einzigen anführt, sondern dem Leser eine solche verkleinerte Leihbibliothek in einem Bande für ein geistiges Faksimile verkauft. Wie viel besser wäre hier ein Lückenmacher als ein Lückenbüßer! Wie viel besser wäre es, wenn gesellige (nämlich freundlich zu Hunderten den nämlichen Weg mit einerlei Naturgetön ziehende) Schriftsteller ganz aussterben, so wie es in den tropischen Ländern (nach Humboldt) keine gesellschaftlichlebende Pflanzen, die unsere Wälder einförmig machen, gibt, sondern neben jedem Baum ein neuer prangt. – Ein Tagebuch über ein gewöhnliches Kind wäre besser als ein Buch über Kinder von einem gewöhnlichen Verfasser, ja die Erziehlehre jedes Menschen wäre bedeutend, sobald er nur schriebe, was er nicht abschriebe. Ungleich dem Gesellschafter, sollte der Verfasser nur immer sagen: ich, und kein Wort mehr.
Das erste Bändchen dieses Werks behandelt weitläufiger die Knospenzeit des Kindes als das zweite und dritte die Blütenzeit. In der ersten wird gleichsam das akademische Triennium (Dreijahr), nach welchem sich erst das Seelentor, die Sprache, auftut, der Gegenstand der Sorge und des Blicks. Hier sind Erzieher die Horen, welche die Himmelstüren öffnen oder schließen. Hier ist noch die rechte Erziehung möglich, die entfaltende; durch welche die lange zweite, die heilende, oder Gegenerziehung zu ersparen wäre. Für das Kind – noch in angeborner Unschuld, bevor die Eltern ihre Baumschlangen geworden – sprachlos noch unzugänglich der mündlichen Vergiftung – nur von Gewohnheiten, nicht von Worten und Gründen gezogen – auf dem engen dünnen Gipfel der Sinnlichkeit desto leichter und weiter bewegt – für das Kind wird auf dieser Grenzscheidung des Menschen und Affen, in diesen Jahren, wo der Mensch, nach dem finstern Austerleben eines einsamen Fötus, zum ersten Male in Gesellschaft kommt und an ihr sich bildet und färbt, das Wichtigste entschieden. Die elterliche Hand kann den aufkeimenden Kern, nicht aber den aufblühenden Baum bedecken und beschatten. Alle erste Fehler sind folglich die größten; und die geistigen Krankheiten werden, ungleich den Pocken, desto gefährlicher, je jünger man sie bekommt. Jeder neue Erzieher wirkt weniger ein als der vorige, bis zuletzt, wenn man das ganze Leben für eine Erziehanstalt nimmt, ein Weltumsegler von allen Völkern zusammengenommen nicht so viele Bildung bekommt als von seiner Amme.
Wenigstens mit innigster Liebe für die kleinen Wesen, die leichten Blumengötterchen in einem bald verwelkten Eden, ist dieses Buch geschrieben; Levana, die mütterliche Göttin, welche sonst den Vätern Vaterherzen zu verleihen angeflehet wurde, möge die Bitte, die der Titel des Buchs an sie tut, erhören und dadurch ihn und dieses rechtfertigen. Leider raubt entweder der Staat oder die Wissenschaft dem Vater die Kinder über die Hälfte; die Erziehung der meisten ist nur ein System von Regeln, sich das Kind ein paar Schreibtische weit vom Leibe zu halten und es mehr für ihre Ruhe als für seine Kraft zu formen; höchstens wöchentlich einige Male ihm unter dem Sturmwinde des Zornes so viel Mehl der Lehren zuzumessen, als er verstäuben kann. Aber ich möchte die Geschäftmänner fragen, welche Bildung der Seelen mehr auf der Stelle erfreuend belohne als die der unschuldigen, die dem Rosenholze ähnlich sind, das Blumenduft ausstreuet, wenn man es formt und zimmert. Oder was jetzo der fallenden Welt – unter so vielen Ruinen des Edelsten und Altertums – noch übrig bleibe als Kinder, die Reinen, noch von keiner Zeit und Stadt Verfälschten. – Nur sie können in einem höhern Sinn, als wozu man sonst Kinder gebrauchte, in dem Zauberkristall die Zukunft und Wahrheit schauen und noch mit verbundenen Augen aus dem Glückrade das reichere Schicksal ziehen. Das heimliche häusliche Wort, das der Vater seinen Kindern sagt, wird nicht vernommen von der Zeit; aber wie in Schallgewölben wird es an dem fernen Ende laut und von der Nachwelt gehört.
Es wäre daher mein größter Lohn, wenn nach zwanzig Jahren ein Leser von ebenso vielen Jahren mir Dank sagte, daß das Buch, das er lieset, von seinen Eltern gelesen worden.
Baireuth, den 2ten Mai 1806.
Jean Paul Fr. Richter
Kap. I. Wichtigkeit der Erziehung § 1-3. Kap. II. Schulrede gegen ihren Einfluß § 4-15. Kap. III. Schulrede für denselben § 16-21
§ 1
Als Antipater von den Spartern funfzig Kinder als Geiseln begehrte: so boten sie ihm an deren Statt hundert vornehme Männer an, ungleich den gewöhnlichen Erziehern, welche gerade das Opfer umkehren. Die Sparter dachten recht und groß. In der Kinderwelt steht die ganze Nachwelt vor uns, in die wir, wie Moses ins gelobte Land, nur schauen, nicht kommen; und zugleich erneuert sie uns die verjüngte Vorwelt, hinter welcher wir erscheinen mußten; denn das Kind der feinsten Hauptstadt ist ein geborner Otaheiter, und der einjährige Sanskulotte ein erster Christ, und die letzten Kinder der Erde kamen mit dem Paradiese der ersten Eltern auf die Welt. So sind (nach Bruyn) physisch die Kinder der Samojeden schön, und nur die Eltern häßlich. Gäb' es eine vollendete und allmächtige Erziehkunst und eine Einigkeit der Erzieher mit sich und mit Erziehern: so stände – da jede Kinderwelt die Weltgeschichte von neuem anfängt – die nächste und durch diese die fernere Zukunft, in welche wir jetzo so wenig sehen und greifen können, viel schöner in unserer Gewalt. Denn womit wir sonst noch auf die Welt – mit Taten und Büchern – wirken können, dies findet immer schon eine bestimmte und erhärtete und schon unsersgleichen; nur aber mit dem Erziehen säen wir auf einen reinen weichen Boden entweder Gift- oder Honigkelche; und wie die Götter zu den ersten Menschen, so steigen wir (physisch und geistig den Kindern Riesen) zu den Kleinen herab und ziehen sie groß oder – klein. Es ist rührend und erhaben, daß jetzo vor dem Erzieher die großen Geister und Lehrer der nächsten Nachwelt als Säuglinge seines Milchglases kriechen – daß er künftige Sonnen als Wandelsternchen an seinem Laufband führt; – es ist aber auch desto wichtiger, da er weder wissen, ob er nicht einen künftigen Höllengott der Menschheit, oder einen Schutz- und Lichtengel derselben vor sich habe und entwickle oder verwickle, noch voraussehen kann, an welchen gefährlichen Stellen der Zukunft der Zauberer, der, in ein kleines Kind verwandelt, vor ihm spielt, sich aufrichte als Riese.
§ 2
Die jetzige Zukunft ist bedenklich – die Erdkugel ist mit Kriegpulver gefüllt – ähnlich der Zeit der Völkerwanderungen, rüstet sich unsere zu Geister- und Staatenwanderungen, und unter allen Staatgebäuden, Lehrstühlen und Tempeln bebt die Erde. – Wißt ihr, ob der kleine Knabe, der neben euch Blumen zerreißet, nicht einst aus seinem Korsika-Eiland als ein Krieggott in einem stürmischen Weltteil aussteigen werde, um mit den Stürmen zu spielen, oder umzureißen, oder zu reinigen und zu säen? War es denn gleichgültig, ob ihr erziehend sein Fenelon, seine Cornelia oder sein Dubois gewesen seid? Denn wiewohl ihr die Kraft des Genius nicht brechen und richten könnt – je tiefer das Meer, desto steiler ist uns die Küste –: so könnt ihr doch im einweihenden wichtigsten Jahrzehend des Lebens, im ersten, unter diesem Erstgeburttore aller Gefühle, die gelagerte Löwenkraft mit allen zarten Gewohnheiten des schönen Herzens, mit allen Banden der Liebe umgeben und überstricken. Ob denselben festen Genius entweder ein Engel oder ein Teufel ausbilde, ist weit weniger einerlei, als ob ihm entweder ein gelehrter Fakultist oder ein Karl der Einfältige vorlehre.
Wiewohl eine Erziehlehre zuerst genialer Wesen gedenken muß, da diese, so selten sie auch aufgehen, doch allein die Weltgeschichte regieren, als Heerführer entweder der Seelen oder der Körper oder beider: so würde jene gleichwohl einer praktischen Anweisung, wie man sich zu verhalten habe, falls man das große Los gewinne, zu ähnlich lauten, wenn sie nicht die Mehrheit der Mittelgeister, welche ja die Zukunft bilden, auf die ein großer wirken kann, extensiv ebenso wichtig finden wollte als einen genialen intensiv. – Und darum, da ihr teils der Zukunft, wie einer Bettlerin das Almosen, durch Kinder geben lasset, und teils letzte selber als Unbewaffnete in eine bedeckte Zeit versenden müßt, deren giftige Lüfte ihr gar nicht kennt: so ist ja auf der Seite der Nachwelt nichts Wichtigeres als: ob ihr euern Zögling als das Fruchtkorn einer Ernte, oder ob ihr ihn als das Pulverkorn einer Mine zuschickt, das sich und alles entwickelt, – und auf der Seite des Kindes: ob ihr ihm einen oder keinen Zauber- und Edelstein mitgegeben, der es bewahrt und unversehrt durchführt.
Ein Kind sei euch heiliger als die Gegenwart, die aus Sachen und Erwachsenen besteht. Durch das Kind setzt ihr, wiewohl mit Mühe, durch den kurzen Hebelarm der Menschheit den langen in Bewegung, dessen weiten Bogen ihr in der Höhe und Tiefe einer solchen Zeit schwer bestimmen könnt. – Aber etwas anders wißt ihr gewiß, daß nämlich die moralische Entwickelung – welches die Erziehung ist, so wie die intellektuelle der Unterricht – keine Zeit und Zukunft kennt und scheuet. In dieser gebt ihr dem Kinde einen Himmel mit einem Polstern mit, der es immer leitet, vor welche neue Länder es auch später komme.
§ 3
Ein vollendetes Kind wäre eine himmlische Seelen-Aurora; wenigstens wäre seine Erscheinung nicht so vielfach bedingt und schwierig als die eines vollendeten Mannes. An diesem formt alles, vom Staate an bis auf ihn selber; – am frischen Kinde aber wiederholen Eltern Lykurgs und Moses' gesetzgebende bildende Rolle mit völliger Gewalt, ihren Zögling (Bildling) besser als einen spanischen oder jüdischen Staat rein abzuscheiden und ohne Berührung auszuformen.
Folglich sollte man von der uneingeschränkten Monarchie der Eltern sich mehr versprechen – Kinder, in diesem Erbreiche ohne salisches Gesetz und in einem solchen Überfluß von Gesetzen und Gesetzgebern lebend, daß der Regenten oft sogar mehre sind als der Untertanen, und das regierende Haus größer als das regierte – überall Kabinettordres und beleidigte Majestäten und schnellste mandata sine clausula vor sich, und hinter dem Spiegel den Hoheitpfahl der Rute – in ihrem Landvater ihren Brotherrn besitzend, so wie ihren Zucht- und Freudenmeister – gegen ihn durch keine fremde Macht beschützt, da man wohl Mißhandlungen an Sklaven (in manchen Ländern), auch am Vieh (in England), aber nirgends die an Kindern bestraft – Kinder also, so ohne Oppositionpartei und Antiministerial-Zeitung – ohne Repräsentanten und so uneingeschränkt beherrscht, sollten aus dem kleinsten Staate im Staate, dächte man, weit mehr gebildet hervorgehen, als Erwachsene von der größten Erziehanstalt, vom Staate selber erzogen, geliefert werden.
Gleichwohl scheinen beide Erziehanstalten oder Staaten so gleichförmig zu wirken, daß es der Mühe wert ist, nach der Wichtigkeit der Erziehung auch ihre Möglichkeit zu überlegen in folgenden zwei Reden.
Antrittrede im Johanneum-Paulinum; oder Erweis, daß Erziehung wenig wirke
§ 4
Verehrtestes Scholarchat, Rektorat, Kon- und Subrektorat, Tertiat! Werteste Lehrer der untern Klassen und Kollaboratores! Ich drücke, hoff' ich, mein Vergnügen, als letzter Lehrer in unserer Erziehanstalt angestellt zu sein, nach meinen Kräften aus, wenn ich meinen Ehrenposten mit dem Erweise antrete, daß Schulerziehung so wie Hauserziehung weder üble Folgen habe, noch andere. Bin ich so glücklich, daß ich uns allen eine ruhige Überzeugung von dieser Folgenlosigkeit zuführe: so trage ich vielleicht dazu bei, daß wir alle unsere schweren Ämter leicht und heiter bekleiden – ohne Aufblähen – mit einer gewissen Zuversicht, die nichts zu fürchten braucht; – täglich gehen wir hinter den Zöglingen aus und ein und sitzen auf dem Lehrstuhl als unserem Sorgestuhl, und jede Sache geht ihren Gang.
Zuerst, glaub' ich, muß ich darstellen, wer erzieht und weiterbildet – denn gebildet, so oder so, ist doch alles neben und in uns –; darauf kommen wir von selber auf uns, und ich weise die leichte Verwechslung nach.
§ 5
Woher kommt es, daß noch kein Zeitalter so viel über die Erziehung sprach und riet und tat als unseres, und unter den Ländern wieder keines so viel als Deutschland, in welches Rousseaus geflügelte Samenkörner aus Frankreich verweht und eingeackert wurden? – Die Alten schrieben und taten wenig dafür; ihre Schulen waren mehr für Jünglinge als Kinder, und in Athens philosophischen Schulen war oder wurde der Zuhörer oft so alt als der Lehrer. Sparta war eine Stoa oder Garnisonschule für Eltern und Kinder zugleich. Die Römer hatten griechische Sklaven zu Schullehrern, ohne daß die Kinder weder Griechen noch Sklaven wurden. In den Zeiten, wo große glänzende Taten des Christentums und des Rittertums und der Freiheit wie Sterne am dunkeln Horizont Europas aufgingen, lagen die Schulgebäude nur als dumpfe, kleine, düstere Wilden-Hütten oder Mönchzellen verstreuet umher. Und was haben die politischen Selbstlauter Europens, die Engländer, deren Eiland eine Bürgerschule und deren Wahl nach sieben Jahren eine wandernde siebentägige Sonntagschule ist, noch jetzo Besseres als bloße Verziehanstalten? – Wo schlagen die Kinder den Eltern ähnlicher nach – und zu etwas anderm als seinem Spiegel, es sei zu einem platten, hohlen oder hohen, kann doch der Lehrer den Zögling nicht gießen und schleifen wollen – als eben da, wo die Erzieher schweigen, bei den Wilden, Grönländern und Quäkern? Und je weiter man in die Zeiten hinab, zu den eisgrauen Völkern hinein sieht, desto weniger Lehrbücher und Cyropädien – schon aus Mangel aller Bücher – gab es; desto mehr war der Mann in den Staat verloren; desto weniger wurde das Weib, das hätte erziehen können, dazu gebildet: dennoch wurde jedes Kind das Ebenbild der Eltern, was mehr ist, als die besten begehren dürfen, da Gott selber das seinige an den Menschen als Zerrbild sehen muß. Und sind nicht unsere jetzigen bessern Erziehanstalten ein Beweis, daß man sich aus schlechtern frei und eigenhändig zu höhern heben kann und folglich zu allen andern Anstalten desfalls?
§ 6
Wer erzieht denn aber in Völkern und Zeiten? – Beide! – Die lebendige Zeit, die mit so vielen tausend Menschen, durch Taten und Meinungen, und zwanzig, dreißig Jahre unaufhörlich, den Menschen wie mit einem Meere von Wellen anstrebt, ab- und zuführend, muß bald den Niederschlag der kurzen Erziehjahre, wo nur ein Mensch und nur Worte sprachen, wegspülen oder überdecken. Das Jahrhundert ist das geistige Klima des Menschen; die bloße Erziehung ist das Treibhaus und der Treibscherben, woraus man ihn in jenes auf immer hinausstellt. Unter Jahrhundert wird hier das reale Jahrhundert verstanden, das oft so gut aus Jahrzehenden als aus Jahrtausenden bestehen kann, und das sich, wie die Religion-Zeitrechnungen, nur von großen Menschen datiert.
Was vermögen abgeschiedene Worte gegen lebendig dastehende Tat! Die Gegenwart hat zu den neuen Taten auch neue Worte; der Erzieher hatte nur tote Sprachen für die Schein-Leichen seiner Muster.
Der Erzieher wurde ja selber erzogen, und von dem Geiste der Zeit, den er etwa aus der Jugend austreiben will (so wie sich eine ganze Stadt über den Geist der ganzen Stadt aufhält), ist er ohne sein Wissen früher besessen. Nur leider glaubt jeder so gerade und winkelrecht im Zenit des Weltall zu stehen, daß nach seiner Berechnung über seinem Kopfe Sonnen und Geschlechter kulminieren müssen, und er selber wie ein Gleicher-Länder keinen andern Schatten werfe als in sich hinein. Denn wäre dies nicht: wie können so viele – wie auch ich künftig vorhabe – über einen Geist der Zeit sprechen, da jedes Wort die Erlösung und Erhebung daraus voraussetzt, so wie man Ebbe und Flut nicht auf dem Meere spüren kann, sondern erst an seinen Grenzen, den Küsten? So wird ein Wilder sich einen Wilden nicht so klar entwerfen als ein Gebildeter. Aber, in Wahrheit, die Maler des Zeitgeistes schilderten meistens den nächstvergangnen ab, mehr nicht. Wie nicht einmal der große Mensch, Dichter und Denker sich ganz seiner so durchsichtig bewußt ist, daß der Kristalleuchter und das Licht eins würden: so noch weniger andere Menschen; jeder liegt, so leicht blühend er sich nach oben auftue, noch belastet mit einer Wurzel in der finstern festen Erde.
§ 7
Volk- und Zeit-Geist entscheidet und ist der Schulmeister und das Schulmeisterseminar zugleich; denn er greift den Zögling mit zwei mächtigen Händen und Kräften formend an: mit lebendiger Tatlehre und mit unausgesetzter Einheit derselben. Wenn – um von der Einheit anzufangen – die Erziehung gleich dem Testament ein fortdauernder Akt (actus continuus) sein muß, dem unterbrechende Einmengungen die Kraft entziehen: so erbauet nichts so fest als die Gegenwart, die keine Minute aufhört und sich ewig wiederholt, und die mit Not, mit Freude, mit Städten, Büchern, Freunden, Feinden, kurz mit tausendhändigem Leben auf uns eindringt und zugreift. Kein Volklehrer bleibt sich so gleich als das lehrende Volk. Die Geister, zu Massen eingeschmolzen, büßen von freier Bewegung – welche Körper gerade durch Masse zu gewinnen scheinen, z. B. die Weltkörper, vielleicht das Körper-All – etwas ein und rücken nur als schwerfällige Kolosse auf alten, eisern überlegten Gleisen besser fort. Denn so sehr auch Heiraten, Alter, Töten und Hassen sich bei dem Einzelwesen dem Gesetze der Freiheit unterwerfen: so kann man doch über ein ganzes Volk Geburt- und Sterblisten machen, und man kann herausbringen, daß im Kanton Bern (nach Mad. Stael) die Zahl der Ehescheidungen, wie in Italien die der Ermordungen, von Jahrzehend zu Jahrzehend dieselbe ist. – Muß nun nicht auf einer solchen immer und gleich wirkenden Lebenwelt der kleine Mensch wie auf einer fliegenden Erde fortgetragen werden, wo die einzelnen Richtungen, die der Erzieher geben kann, nichts vermögen, weil sie noch dazu selber erst auf ihr den Richtwinkel unbewußt empfangen? – Daher säen eben, trotz aller verschiedenen Re- und Informatoren, Völker wie Wiesen sich selber aus zu gleichem Schmelz; daher behauptet sogar in Residenzen, wohin sich alle Lehrbücher und Lehrmeister und selber Eltern aller Arten ziehen, der Geist sich unverändert fest.
Die Wiederholung ist die Mutter – nicht bloß des Studierens, auch der Bildung. Wie der Freskomaler, so gibt der Erzieher dem nassen Kalke Farben, die immer versiegen, und die er von neuen aufträgt, bis sie bleiben und lebendig blühen: wer trägt dann z. B. in Neapel die Farben am öftersten an einer Geistestafel auf, ein Hofmeister, oder die Zahl von 30 000 Advokaten, 30 000 Lazzaronis und 30 000 Mönchen, eine Parzen-Drei oder Neuntöter-Neune, wogegen der Vesuvius ein stiller Mann ist, der vom heiligen Januar (obwohl nicht im Januar) mit sich reden läßt?
Freilich könnte man sagen, auch in Familien erziehe neben der Volkmenge eine pädagogische Menge Volks, wenigstens z. B. Tanten, Großväter, Großmütter, Vater, Mutter, Gevatter, Hausfreunde, jährliche Dienerschaft, und an der Spitze winke der Informator mit Zeigefingern, so daß sich – könnte man fortfahren, weil man recht behalten wollte – ein Kind unter diesen Vielherren wirklich einem indischen Sklaven viel ähnlicher, als man dächte, ausprägte, welcher mit den eingebrannten Stempeln seiner Wechselherren umhergeht; aber wie schwindet die Menge dahin gegen die höhere, von der sie selber gefärbt wurde, so wie alle heiße Marken des Sklaven doch die heiße schwarze Färbung der Sonne nicht überwinden, sondern vielmehr sie einnehmen als ein Wappen in schwarzem Feld!
§ 8
Die zweite Überkraft, womit der Zeit- und Volkgeist erzieht und siegt, ist die lebendige Tat. Nicht das Geschrei, sagt ein sinesischer Autor, sondern der Aufflug einer wilden Ente treibt die Herde zur Folge und zum Nachsteigen. Ein erlebter Krieg gegen einen Xerxes glühet das Herz ganz anders, reiner und stärker an, als dreimal ihn exportieren im Cornel, Plutarch und Herodot; denn letztes und die ganze Schulphrasen-Erziehung ist nur eine geistige Korknachbildnerei (Phelloplastik nach Böttigers Zurückübersetzung ins Griechische), um antike Tempel und Prachtgebäude in leichten Korkformen gäng und gäbe zu machen. Ja, die bloßen Ahnenbilder von Taten in Plutarchs Westmünsterabtei werfen die Aussaat des göttlichen Worts tiefer ins Herz als ein oder ein paar tausend Predigtbände voll wahrer Kanzelberedsamkeit. Himmel, wären Worte zu Taten dicht zu schlagen, nur tausend zu einer: könnt' es dann auf einer Erde, wo von Kanzeln, Lehrstühlen, Bücherschränken aller Zeiten unaufhörlich die Flocken der reinsten kalten Ermahnungen schneien, noch eine einzige Leidenschaft geben, die vulkanisches Feuer auswürfe? Wäre die Geschichte rund herum dann nicht mit lauter Schneekratern und Eisbergen besetzt? – Ach! verehrteste Schullehrer, wenn wir selber nicht einmal von starken Gymnasium-Bibliotheken, welche jahrzehendelang predigen können, dahin gebracht werden, daß wir Monatheilige, ja nur Wochenheilige werden: was dürfen wir uns viel von den wenigen Bänden von Worten versprechen, die wir in der Schulstunde fallen lassen? – Oder auch mehr die Eltern sich zu Hause? –
Die pädagogische Unmacht der Worte beichtet sich leider selber in einem besondern Falle, der sich in jedem von uns täglich erneuert. Jedes Ich zerteilt sich nämlich in einen Lehrer und in dessen Schüler, oder zerspällt sich in den Lehrstuhl und in die Schulbank. Sollten Sie nun aber glauben, daß dieser ewige Hauslehrer in den vier Gehirnkammern – der seinem Stubenkameraden und Philanthropisten und Pensionär tägliche Privatissima liest – der ein Früh- und Spätprediger und Nachtprediger ist – der mit dem conversatorium und repetitorium wohl nie nachläßt – der den Zögling, den er liebt wie sich, und umgekehrt, überall mir Lehrnoten begleitet als Hofmeister auf Reisen, als Hofmeister auf Lotterbetten, auf Weinbänken, auf Thron- und andern Sitzen, auf Lehr- und Nachtstühlen – der als das unumschränkteste Oberschulkollegium, das unter der Hirnschale zu finden ist, mit dem Scholaren, wie ein Werber mit einem Rekruten, stets in einem Bette schläft und von Zeit zu Zeit manches erinnert, wenn der Mensch sich vergessen hat – – kurz, sollten Sie es wohl glauben, daß ein so äußerst seltner Mentor, der von der Zirbeldrüse, als der Loge zum hohen Licht, ewig herunter lehrt, gleichwohl nach funfzig und mehr Dezisionen und Jahren nichts Besseres an seinem Telemach erlebt, als was die reine Minerva (der sehr bekannte und anonyme Mentor im Telemach) mit allen ihren Keuschheiten im größten Kopfe von der Welt, in Jovis seinem, auch erleben mußte, nämlich, daß sie ihrem Schüler keine einzige seiner tierischen Verwandlungen ersparen konnte? – Schwerlich wäre dergleichen glaublich, wenn wir nicht täglich die kläglichsten Fälle davon sähen – in uns selber. So ist es z. B. in der Gelehrtengeschichte etwas sehr Gewöhnliches und Erbärmliches, daß treffliche Männer sich mehre Jahrzehende hindurch vorsetzten, morgens früher aufzustehen, ohne daß – wenn sie es nicht etwa am jüngsten Tage durchtreiben – viel daraus geworden.
§ 10
Lassen Sie uns zurückkommen; und wenn wir leicht gefragt haben, ob der Mensch durch tausend äußere fremde Worte glücklicher zu bekehren sei als durch Billionen innere eigne, uns gar nicht sehr verwundern, daß der Wortstrom, den man der Jugend mitgibt ins Weltmeer, damit er sie darin trage und lenke, vor den allseitigen Wogen und Winden zerlaufe. Sondern lassen Sie uns bemerken, daß man auf Rechnung der Schulstuben, d. h. der Worte, so manche Sachen schreibt, welche bloß auf dem organisierenden Gemeinboden der Taten sich erhalten, sowie man sonst allgemeine Pestvergiftungen zu zufälligen Brunnenvergiftungen der Juden machen wollte. Das Schulgebäude der jungen Seele besteht nicht aus bloßen Hör- und Lehrzimmern, sondern auch aus dem Schulhof, der Schlafkammer, der Gesindestube, dem Spielplatze, der Treppe und aus jedem Platze. Himmel! welche Verwechslungen anderer Einflüsse immer zum Vorteil und Vorurteil der Erziehung! Der körperliche Wachstum des Zöglings nährt und treibt einen geistigen hervor! Dennoch wird dieser dem pädagogischen Lohbeete zugeschrieben, gleich als ob man nicht klüger und länger zugleich werden müßte! Ebenso richtig könnte man den Laufbändern das Verdienst der Muskelbänder anrechnen. – Eltern halten so oft bei eigenen Kindern für Wirkung der Geistespflege und Anlage, was sie bei fremden nur für Folgen menschlicher Entfaltung nehmen würden. Der Täuschungen sind noch so viele! War ein großer Mann durch eine Erziehanstalt gegangen, so wird er immer daraus erklärt; entweder wurde er ihr ungleichartig, so wird sie als bildender Gegenreiz angerechnet; oder wurde ers nicht, so gilt sie als Lebenreiz. So könnte man freilich die blaue Bibliothek, deren Umschlag den Bibliothekar Duval die ersten Rechenexempel lehrte, für ein Rechenbuch und eine Rechenschule nehmen. Wenn Eltern – oder der Mensch überhaupt – doch mit aller Erziehung nichts suchen können, als ihr körperliches Ebenbild immer schöner zu ihrem geistigen zu machen und folglich dieses Abbild mit dem verschossenen Glanze des Urbilds zu überfirnissen: so müssen sie ja äußerst leicht in den Irrtum fallen, die angeborne Ähnlichkeit für eine anerzogne zu halten und körperliche Väter für geistige, Natur für Freiheit. Es gilt aber für Kinder in dieser und voriger Rücksicht, was für Völker gilt: man fand in der neuen Welt zehn Gebräuche der alten wieder – sechs sinesische in Peru, vier hottentottische im westlichen Afrika –, ohne daß gleichwohl irgendeine nähere andere Abstammung diese Ähnlichkeiten vermittelte als die allgemeine von Adam oder der Menschheit.
§ 11
Wird dürfen uns, treffliche Mitarbeiter, überhaupt mit Verdiensten um die Menschheit schmeicheln, sobald der Satz wahr ist, daß wir wenig oder nichts durch Erziehen wirken. Wie in der mechanischen Welt jede Bewegung, sobald der Widerstand der Reibung fehlte, sich unaufhörlich fortpflanzte und jede Veränderung eine ewige wäre: so würde in der geistigen, sobald der Zögling weniger tapfer dem Erzieher widerstände und obsiegte, ein so abgeschabtes Leben sich ewig wiederkäuen, als wir noch gar nicht kennen. Ich meine dies: sollten einmal alle Gassen und Zeiten des armen Erdbodens mit matten steifen Ebenbildern aus pädagogischen Fürsten- und Schwabenspiegeln angefüllt werden, nämlich mit Konterfeien von Schulleuten, so daß folglich jede Zeit von der andern Männchen auf Männchen abgedruckt würde: was braucht' es dazu, zu diesem langweiligen Jammer, anders weiter, als daß die Erziehung über Erwarten gelänge und ein Hof- und Schulmeister seinen Kopf wie einen gefürsteten könnte abgeprägt umlaufen lassen in allen Händen und Ecken? – Und daß eine ganze Ritterbank zu einer Sitzung von turnierfähigen Kandidaten würde, weil sie vorher von stillen bürgerlichen wäre rein und gut nachgeformt worden? –
Aber wir dürfen das Gegenteil hoffen; noch immer verhält sich der Schulmann und Hofmeister später zum Edelmann wie Gott zur Natur, von welchem Seneka richtig schreibt: semel jussit, semper paret; d. h. die Hofmeisterstube wird sehr bald gesperrt, und das Vorzimmer und der Audienzsaal aufgetan.
Um nicht in den Fehler derer zu fallen, welche den Vogel Phönix und den Mann im Monde unbeweibt vorführen, gedenk' ich hier auch der Mädchen, denen, wie den Tauben und Kanarienvögeln, fremde Farben, welche der erste Regen- und Mausermonat ausstreicht, angemalet werden sowohl von Hofweibern als von Hofmeistern. Aber, wie gesagt, später wird jede Frau etwas Besonderes, ein schönes Idiotikon ihrer vielen Sprachprovinzen.
§ 12