0,99 €
Storys und Interviews:
Interview mit der Vorsilbe Ver * Pitje * Interview mit einer guten Fee * Sprichwörter Floß-kel * Interview mit einem Einhorn * Drachenflieger * In der Schneekugel * Interview mit dem Glück * Fisch * Die Liebesschaukel – Voll verschaukelt * Croissants * Multitas-King * Homeoffice am Strand * Lokalverbot – Unterwegs mit KIM * Der Sitcom-Reisende * Sex and the Vernissage * Date in der Theaterloge * 2020 * Liebeszitate * Interview mit dem Zufall * Anna, die Ananas * Date am Strand * Interview mit Eirene * Bis zum Mindesthaltbarkeitsdatum und noch viel weiter * Ein außer Kontrolle geratener Wunschbrunnen
Essays:
Angst als Angstgegner * Archaismen vs. Neologismen * Avantgardismus-Kurs * Blaubeeren * Der Wald und ich – Mein grüner Freund * Édouard Manet * Ehrlichkeit und Maskerade * Ein Eskapist aus Leidenschaft * Ein Garten philosophiert * Ein jeder lernt nur, was er lernen kann * Eine Computermaus philosophiert * Entfremdungs-Übungen * Experten * Experten und Laien * Fantastische Unordnung * Feminismus * Franz Schubert und die Schubertiaden * Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel * Frösche * Ganz schwindelig von der Etikette und den Etiketten * Gelb * Glauben und Zweifel * Hestia * Im Wartezimmer der Intuition * Jeder Tag ist ein neuer Anfang * Monolithen * Peter der Große * Probleme * Prominent * Rot * Spoiler * Stadt der Zukunft * Stapel-weise * Sulamith und Salomo * Superlativitis * Ungeheuer – gar nicht teuer * Vorbilder * Zauber-Melodien * Zeitvergeudung * Zielgruppen * Zungenbrecher-Welt * Agenda Setting * Arnold Schönberg * Dekaden des Lebens * Dialekte * Friedrich II. * Haare * Idylle * Innere Werte * Neofeminismus * Selfpublishing
Prosagedichte:
Abschied vom Schnee * Absurdität * Alter * Bär * Betrachtungs-weise * Bettina von Arnim * Boomm! * Charakter * Das innere Faultier * Deko * Der tropfende Wasserhahn * Dichterlesung * Ein Zug philosophiert * Eins mit der Einsamkeit * Eislaufen * Ferienhäuser * Flatrate * Flexibilität * Gedanken-Malerei * Gemäldegalerie * Gespräch mit dem Februar * Halloween * Herbst trifft auf Halloween * Ich mach die Flatter * Kunst * Ludwig II. – Märchenkönig * Pferde * Plattdeutsch * Raben und Krähen * Relax-Town * Rosenkrieg * Save the Earth * Sollbruchstelle * Sorgen * Sturm * Tische – Ein tischfertiges Gedicht * US-Stadt * Viren * Weihnachtsgebäck im Gepäck * Wenn es funkt, funktioniert's * Wichte * Wie verwandelt * Zauberei * Zugfahrt * Heuschrecken * Neujahrstag * Spiegel
Drabbles (100-Wörter-Storys):
Biss * Zahnadu * Beim Augenarzt * Der Zahn der Zeit * Wettrennen der Bäume * Bäume, die in den Himmel wachsen * Herbst vs. Baum * Urlaub fürs Laub * Freunde * Das Geschenk * Waldeinsamkeit * Schneemann in Nöten * Der trampende Schneemann * Sammelleidenschaft * Gut gefüttert * Der Schluckspecht * Tier-Olympiade * Freudenbecher & Co. * Küchenmeister * Opti-Mist * Sparkurs * Abflug * Panik-Fachmann * Umschulung * Scheunenfund * Bon Voyage * Die Bremer Stadtmusikanten * Komödiant * Unwetter-Prüfung * Assistent bei Herkules * Aufgeweckt * Band und Bike * Veni, vidi, vici
Aphorismen
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Essays & Co.
Storys und Interviews:
Interview mit der Vorsilbe Ver * Pitje * Interview mit einer guten Fee * Sprichwörter Floß-kel * Interview mit einem Einhorn * Drachenflieger * In der Schneekugel * Interview mit dem Glück * Fisch * Die Liebesschaukel – Voll verschaukelt * Croissants * Multitas-King * Homeoffice am Strand * Lokalverbot – Unterwegs mit KIM * Der Sitcom-Reisende * Sex and the Vernissage * Date in der Theaterloge * 2020 * Liebeszitate * Interview mit dem Zufall * Anna, die Ananas * Date am Strand * Interview mit Eirene * Bis zum Mindesthaltbarkeitsdatum und noch viel weiter * Ein außer Kontrolle geratener Wunschbrunnen
Essays:
Angst als Angstgegner * Archaismen vs. Neologismen * Avantgardismus-Kurs * Blaubeeren * Der Wald und ich – Mein grüner Freund * Édouard Manet * Ehrlichkeit und Maskerade * Ein Eskapist aus Leidenschaft * Ein Garten philosophiert * Ein jeder lernt nur, was er lernen kann * Eine Computermaus philosophiert * Entfremdungs-Übungen * Experten * Experten und Laien * Fantastische Unordnung * Feminismus * Franz Schubert und die Schubertiaden * Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel * Frösche * Ganz schwindelig von der Etikette und den Etiketten * Gelb * Glauben und Zweifel * Hestia * Im Wartezimmer der Intuition * Jeder Tag ist ein neuer Anfang * Monolithen * Peter der Große * Probleme * Prominent * Rot * Spoiler * Stadt der Zukunft * Stapel-weise * Sulamith und Salomo * Superlativitis * Ungeheuer – gar nicht teuer * Vorbilder * Zauber-Melodien * Zeitvergeudung * Zielgruppen * Zungenbrecher-Welt * Agenda Setting * Arnold Schönberg * Dekaden des Lebens * Dialekte * Friedrich II. * Haare * Idylle * Innere Werte * Neofeminismus * Selfpublishing
Prosagedichte:
Abschied vom Schnee * Absurdität * Alter * Bär * Betrachtungs-weise * Bettina von Arnim * Boomm! * Charakter * Das innere Faultier * Deko * Der tropfende Wasserhahn * Dichterlesung * Ein Zug philosophiert * Eins mit der Einsamkeit * Eislaufen * Ferienhäuser * Flatrate * Flexibilität * Gedanken-Malerei * Gemäldegalerie * Gespräch mit dem Februar * Halloween * Herbst trifft auf Halloween * Ich mach die Flatter * Kunst * Ludwig II. – Märchenkönig * Pferde * Plattdeutsch * Raben und Krähen * Relax-Town * Rosenkrieg * Save the Earth * Sollbruchstelle * Sorgen * Sturm * Tische – Ein tischfertiges Gedicht * US-Stadt * Viren * Weihnachtsgebäck im Gepäck * Wenn es funkt, funktioniert's * Wichte * Wie verwandelt * Zauberei * Zugfahrt * Heuschrecken * Neujahrstag * Spiegel
Drabbles (100-Wörter-Storys):
Biss * Zahnadu * Beim Augenarzt * Der Zahn der Zeit * Wettrennen der Bäume * Bäume, die in den Himmel wachsen * Herbst vs. Baum * Urlaub fürs Laub * Freunde * Das Geschenk * Waldeinsamkeit * Schneemann in Nöten * Der trampende Schneemann * Sammelleidenschaft * Gut gefüttert * Der Schluckspecht * Tier-Olympiade * Freudenbecher & Co. * Küchenmeister * Opti-Mist * Sparkurs * Abflug * Panik-Fachmann * Umschulung * Scheunenfund * Bon Voyage * Die Bremer Stadtmusikanten * Komödiant * Unwetter-Prüfung * Assistent bei Herkules * Aufgeweckt * Band und Bike * Veni, vidi, vici
Aphorismen
Auch als Hardcover erhältlich:
ISBN 9798500281579, 528 Seiten, € 19,32
Moderator: "Ein guter Vorsatz – auch mal ins Gespräch zu kommen mit den Vorsilben. Heute bei uns zu Gast: das Ver. Oft verkannt. Aber eventuell auch verspielt?"
Ver: "Vielen Dank für die Einladung. Ich bin hier doch nicht verkehrt? Verbessert mich, verbannt mich, falls ich das hier verhaue. Ich könnte mich zur Not auch selbst verhauen."
Moderator: "Nur nicht so schüchtern. Du bist eine der wichtigsten Vorsilben. Ich selbst nutze Dich recht oft. Bei Dir geht es um Veränderungen. Du bewirkst etwas."
Ver: "Ja, aber meist nichts Gutes. Ich würde mich ja selbst aus dem Verkehr ziehen ... Überall, wo ich aufkreuze, herrscht Chaos, Anarchie! Aber wie vermeidet man sich selbst? Wie geht man sich selbst aus dem Weg? Alles ganz verwerflich, was ich tue."
Moderator: "Das sollte man nicht verallgemeinern ..."
Ver: "Als ob ich jeden Tag darüber nachdenken würde, wen ich heute verärgern könnte. So bin ich gar nicht! Ich bin eine ganz nette Vorsilbe; und ich wäre gerne konstruktiver. Aber das entspricht wohl nicht meinem Naturell. Ich verderbe es mir mit allen Verben! Sie meiden mich schon. Sie alle wollen das Er. Das ist erwünscht, ersehnt ... Es erdrückt mich! Ich ertrage das Er nicht! Wer hat es erfunden?! Es erreicht die Menschen, es erzielt mit ganz geringem Aufwand wahnsinnige Erfolge. Enttäuschte Gesichter, wenn mein Auftritt erfolgt. Das verfolgt mich."
Moderator: "Das Er kann erklären, aber Du kannst verklären. Ist doch was."
Ver: "Ja, die Vergangenheit verklären. Aber sinnvoller wäre es doch, sie zu erklären. Es bleibt dabei: Ich versorge Euch mit dem Unangenehmen. Ich sitze auf einer Veranda in Vermont und höre Verdi – das entspricht doch dem Klischee, das Ihr von mir habt?"
Moderator: "Nicht, dass ich wüsste. Dich beherrscht das Grundgefühl, verkehrt zu sein."
Ver: "Ich bin ein Bündnisgenosse des Chaos, bin ihm verpflichtet. Wer folgt wem auf den Fuß? Bin ich sein Gefolgsmann oder kündet mein Erscheinen erst den Untergang an? Läute ich das ein, habe ich die Ehre? Kaum eine Vorsilbe sonst ist dermaßen verrucht, verdorben, verkommen."
Moderator: "Jetzt sind wir also bei dem Seelenheil einer Vorsilbe angelangt ..."
Ver: "Ja, alles eine Vorhölle. Ich bin der Wermutstropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt!"
Moderator: "Wie passend. Meine Assistentin Vera bringt uns Wermutwein. Vera, was hast Du heute denn schon Verwerfliches gemacht?"
Vera: "Ich bin verkatert aufgewacht; und ich habe eine Kollegin verleumdet."
Moderator: "Immer tüchtig. Das Ver gibt uns so viel."
Ver: "Ich würde mich nicht verharmlosen. Mit mir ist es immer wie verhext. Ganz unschuldige Verben leite ich auf die dunkle Seite der Wort-Macht. Aus hauchen mache ich verhauchen; aus heben verheben; aus kommen verkommen ... Ich könnte so fortfahren, aber dann gleite ich vollends in meine depressive Phase. Das Er kann sich alles erschwindeln; ich verwerfe mich beim geringsten Anlass."
Moderator: "Dann ist Wermut vielleicht doch nicht das Richtige? Vera bringt uns Erdbeerbowle und Erdnuss-Likör."
Ver: "Das Er verkehrt in erlauchter Gesellschaft. Bei Gelegenheit erdolche ich es."
Moderator: "Immer schön, wenn man Pläne hat."
Ver: "Meine Devise: 'Es gibt nichts Verkehrtes, außer: Man tut es.' Und damit bin ich pausenlos beschäftigt. Mein Tag ist angefüllt mit Inkorrektheiten, Regelwidrigkeiten, unhaltbaren Zuständen, Irrtümern. Es ist alles dermaßen fehlgeleitet, als ob ich ein Verkehrspolizist in Ausbildung bin. Dabei mache ich den Job schon einige Jahre. Alles liegt im Argen! Ich ziehe nach Argentinien!"
Moderator: "Eine Vorsilbe als Drama-Queen."
Ver: "Man wird ja auch sonst mit keiner Silbe erwähnt. Ob Du es glaubst oder nicht, aber dies ist mein allererstes Interview! Wir Vorsilben werden fast nie irgendwohin eingeladen außerhalb unseres semantischen Hofs. Man hängt immer mit irgendwelchen Wörtern ab ... Das ist doch grundverkehrt! Dann schürt man den Neid zwischen den Vorsilben, macht jeder Versprechungen ... Dann das Gerangel bei den Dichtern – ob man auch gute Plätze in den Gedichten ergattern kann. So ein Interview schmeichelt mir ... Das macht einiges wieder wett."
Moderator: "Schön, wenn man helfen kann."
Vera bringt die Erdbeerbowle und den Erdnuss-Likör.
Moderator: "Vera, was sind Deine Lieblingswörter mit der Vorsilbe Ver?"
Vera: "Verhascht, verprassen, verpulvern, ... Ich sollte mein Talent erwähnen, alles zu verkomplizieren; vielleicht kommt es daher, weil ich verlottert bin?"
Moderator: "Mag sein. Das Ver hat so viel zu bieten. Verscherbeln, verscherzen, verschwenden, verschrecken, verschandeln ..."
Ver: "Soll das aufbauend sein? Ich bin ja noch schrecklicher, als ich vermutet habe. Da hilft die Erdbeerbowle auch nicht."
Vera: "Ich geh nachher noch auf eine Vernissage. Du könntest mitkommen."
Ver: "Das Ver ist kein gern gesehener Gast. Ich verbilde die Verben und mit ihnen die Sätze. Wo andere Erbauliches leisten, verbaue ich Aussicht, Landschaft, Zukunft. Ich bin perfekt darin; ich verstelle alles ohne Kompromisse! Ich verdränge das gerne; aber man kann es den Leuten nicht verdenken, wenn sie lieber nur denken ohne das Ver."
Moderator: "Dir liegt aber auch das Verdeutlichen oder das Verfeinern."
Ver: "O verderblich ist es, das Ver zu sich einzuladen. Verfemt ... Selbst der Geiger vergeigt es mit mir. Das Knäuel verknäult sich. Ich bin verantwortlich für alle größeren Pejorisierungs-Vorkommnisse! Die Sprache ist am Verrotten!"
Moderator: "Ich kenne leider keinen guten Vorsilben-Therapeuten."
Ver: "Das Präfix muss fix repariert werden! Ist ein Sprach-Doktor im Saal?"
Moderator: "Da muss man sich erkundigen. Was erhoffst Du Dir denn von ihm? Du bist erwünscht."
Ver: "Netter Trost-Versuch. Aber all das sind doch höchstens Trostpreise! Ich fühle mich wie in der Sendung 'Verstehen Sie Spaß?'. Alle amüsieren sich prächtig – nur man selbst fühlt sich so schrecklich fehl am Platz. Aber genau das macht mich ja aus: das Verkehrte, das Vermasseln. Ich vermute, darin bin ich gut. Aber ich hätte auch gerne mal die andere Seite kennengelernt. Das Präfix ist fix und fertig."
Moderator: "Verabschieden wir das Ver! Man sollte es nicht vernachlässigen. Ein Applaus wird Dir bestätigen, dass Du verdammt wichtig bist. Wir verlassen uns auf Dich!"
Ver: "Ich hab Euch nur verladen. Aber so ein wenig Zusatz-Trost ist in diesen Zeiten gar nicht so schlecht. Ich habe Euch am Haken. Und 'Fishing for Compliments' beherrsche ich nach wie vor recht gut. Ich verbuche das als Erfolg. Vielleicht machst Du aus dem Interview ja ein Buch? Was wäre die Wirklichkeit ohne das Verwirklichen?"
Moderator:
Es war einmal ein Wellensittich, dessen bester Freund lebte in einem Spiegel; aber er konnte ihn nicht daraus befreien; so sehr er sich auch bemühte und ihm gut zuredete. Der saß da irgendwie fest. Oft beriet er sich mit seinem anderen Freund darüber; mit dem stimmte ebenfalls irgendwas nicht. Der rotierte immer wie wild um seine Stange, sobald man ihn mit dem Schnabel anstieß. Sah witzig aus, aber der war doch nicht ganz dicht? Okay, ein bisschen Spaß machte es schon, ihn so rotieren zu lassen. Was wohl der Spiegel-Kamerad davon hielt?
Gelegentlich schaute ein Mensch zu ihm in den Käfig, unterhielt sich recht anständig mit ihm. Von ihm erfuhr er, dass er 'Pitje' hieß. Aha. Ein schöner Name. Dann forderte man ihn auf, sich im Zimmer umzusehen, 'ne Runde zu fliegen; sogar an den Gardinen konnte man sich festhalten. Er hatte zwar keine Vergleichsmöglichkeiten, aber es wirkte nicht wie ein riesiges Flug-Testgelände. Aber es machte einen Riesenspaß; schön laut.
Allerdings wollten sie immer wieder dieselben Sätze von ihm hören. Er hatte die sich gut gemerkt. Begeisterung bei denen auszulösen, von denen man abhängig ist, kann nicht verkehrt sein. Körner gab es en masse. So viel er haben wollte. Weintrauben – lecker! Er hatte noch nicht herausgefunden, mit welchem Satz er Weintrauben bestellen konnte. Seinem Spiegel-Freund bot er höflicherweise oft was von dem Knabberzeug an, aber der lehnte immer ab, ließ alles einfach zu Boden fallen. Na ja. Aber es war tröstlich, nicht der seltsamste Vogel im Revier zu sein. Sein Rotations-Freund – dem musste doch schon ganz schwummerig in der Birne sein; aber da half nichts: Pitje gönnte ihm noch 'ne Runde.
Der Service war nicht schlecht. Aber seltsam, wie die Menschen 'Nacht' definierten. Nacht war, wenn die Decke über den Bauer gezogen wurde. Ab dem Moment hieß die Parole: Schnabel halten. Er wäre gerne auch redegewandt wie die Menschen; sein Repertoire war doch recht dürftig; aber es genügte, um sie bei Laune zu halten. Sehr anspruchsloses Publikum.
Er hätte gar nicht blau sein dürfen – grün war die offizielle Farbe der Wellensittiche; man verdankte es der Kultur, sie mischte sich ein in die Natur, färbte wild drauf los; sah im Grunde auch viel netter aus. Wie es wohl wäre, so im Schwarm – wenn man einer von Hunderten war, austauschbarerer? Ach, für ihn fände sich hier doch sicherlich auch schnell ein Ersatz. Ein anderer würde seinen Bauer bewohnen; sein Spiegel-Freund würde gut Freund sein mit dem neuen Bewohner; man würde sich an ihn nicht mehr erinnern. Was hatte er geleistet? An Gardinen gezupft, auf Schultern gehockt, immer dieselben Sätze wiederholt, weil es das Publikum so wollte.
Vielleicht waren die Menschen genauso wie er: Wellensittiche, die sich an einige bekannte Sätze klammerten, daran festhielten? Es gab ihnen einen bisschen Würde; im Natur-Plan war es ja gar nicht vorgesehen, dass man Sprache für mehr verwendete als für Balz und Warnrufe. Ein ganz neues Feld für die Sprache. Und er hatte Anteil daran, durfte gewissermaßen in den großen Ballsaal der Kultur hineinblicken – zwar nicht als geladener Gast, aber nicht ganz unerwünscht. Man war mit der Kultur vertraut, man war von ihr berührt.
Ein Schwarmgeist – wäre das besser? Er hatte nie die Wahl. Sein Ego unterlag hier keinen Einschränkungen; er galt als einzigartig. Inmitten eines Schwarms hingegen wäre seine Einzigartigkeit mit einem Schlag weg. Bestimmung des Lebens verfehlt? Ein Leben hinter Gittern – wobei es für die Freiheit mittlerweile zu spät war. Kein Naturbursche mehr. Die Natur ist da sehr streng; die nahm ihn nicht wieder auf. Katzen wären vermutlich auch nicht sehr beeindruckt von seinen Sprachfähigkeiten. Besser, man hielt sich an den Komfort, den so ein eigener Bauer bot.
Langeweile war ein großes Thema; Futtersuche entfiel; stand ja alles da; Wasser wurde nachgeschenkt; man konnte sogar darin baden; eigentlich unhygienisch; aber was soll's? Ein bisschen schade war es, dass die Menschen sich an seinen Rundflügen nie beteiligten – man hätte so schön gemeinsam die Gegend unsicher machen können ... Ein Zimmer erschien auf einmal richtig groß ... Erweiterung des Umfeldes ins Unermessliche, wenn es auch nur ein Dutzend Quadratmeter sind; aber wie oft würde sein Bauer da hineinpassen? Erweiterung, Daseinsfülle.
Er hatte ein domestiziertes Wesen; sollte ihn das bekümmern? Der verlorenen Natur hinterhertrauern? Er war sich nicht ganz sicher, welche Gedanken von ihm stammten – und welche er einfach von den Menschen übernommen hatte. Er dachte ihre Gedanken weiter, so wie er ihre Sätze übernahm; er stülpte sich ihr Wesen über. Hielt sich zuweilen für einen Menschen. Wunderte sich dann allerdings, dass er so gut fliegen konnte. Sein anderer Spiegel-Freund war besonders witzig: Immer, wenn man ihn von sich stieß, kam er treu zurück. Er stand auf einer Kugel – wie ein Stehaufvogel; beinahe unheimlich. Aber es beschäftigte einen, die Gedanken umkreisten dieses seltsame Phänomen.
Er wiederholte zuweilen seinen Namen – fast wie eine Beschwörungsformel – in einem rasenden Tempo, als ob in "PitjePitjePitjePitje..." irgendeine verborgene Weisheit steckte – sein persönliches Mantra. Musste doch eine Bedeutung haben, dass die Menschen es immer in so einem seltsamen Ton zu ihm sagten. Fast beschwörend.
Er hörte hin, wenn im Gespräch die Rede von ihm, Pitje, war. Da konnte er noch so beschäftigt sein – das war etwas Außergewöhnliches, das galt ihm. Das galt es, herauszufiltern. So etwas hatten die Wildtiere nicht vorzuweisen: einen eigenen Namen. Das unterschied ihn von ihnen. Beschwörungs-Zauber ...
Moderator: "Bei uns im Studio: eine gute Fee. Name ist der Redaktion bekannt. Es geht um Wünsche, das Wünschenswerte und Wunschgegner. Inwiefern sind gute Feen heutzutage noch relevant? Gilt es, die Fehler des Weihnachtsmannes auszubügeln? Muss man hinter ihm herräumen?"
Fee: "Das ist bei uns ja streng limitiert: drei Wünsche pro Person. Ich wäre gern spendabler; zumal die meisten völlig Wunsch-unerfahren sind. Sie stümpern sich da durch. Wir haben eigens dafür einige Märchen in Umlauf gebracht, anhand derer man erkennen kann, wie man es nicht machen sollte."
Moderator: "Märchen also als Feen-Gebrauchsanleitung? Könnte man das so sagen?"
Fee: "Ja, es heißt ja Fairy Tales. Es geht um uns – und die Gesetze der Feenwelt. Es erfordert einfach eine ganz andere Logik, ein anderes Herangehen. 'Wünsche sind Lebewesen: Wer sie gebiert, muss sie ernähren, auch wenn sie mitunter die ganze Wirklichkeit verzehren.' Das ist aus einem Lied von Peter Horton. Er hat das ganz gut auf den Punkt gebracht. Jede Magie verlangt nach Energie. Die muss von irgendwoher kommen. Ich rede hier von Seelen-Energie."
Moderator: "Was wären denn drei gut formulierte Wünsche? Gibt es eine Statistik darüber, welche Wünsche funzen?"
Fee: "Wenn man den Turbo einschaltet, wird es turbulent. Nicht jeder kommt gut klar mit einer Hochleistungs-Seele. Die fordert einen, die will was. Die ist scharf auf Eskapaden. Passt einem das? Fühlt man sich der noch verbunden? Wie ein zu großer Hund, der an der Leine zerrt."
Moderator: "Die Seele will aber nun doch nicht Gassi gehen?"
Fee: "Irgendwo hinken Vergleiche immer. Mit jedem erfüllten Wunsch verändert man sich. Es verändert einen. Es macht was mit einem. Ist man sich selbst noch treu? Vielleicht ist man nun der Typ aus dem Katalog – aber das Ich floatet völlig unabhängig über all dem, wie ein Luftballon, der sich losgerissen hat."
Moderator: "Sehr dramatisch. Da kriegt man ja richtig Angst, sich was zu wünschen. Vielleicht ist man da mit allgemeinen Wünschen auf der sicheren Seite? Weltfrieden beispielsweise?"
Fee: "Ein Wischiwaschi-Thema. Es muss konkreter sein. Sonst lehnen wir das wegen Unerfüllbarkeit ab."
Moderator: "Ist das nicht nur eine billige Ausrede, weil Ihr gar nicht in der Lage seid, zu liefern?"
Die Fee schwingt ihren Zauberstab. Der Moderator hat plötzlich grüne Haare.
Moderator: "Bringt Ihr mit solchen Tricks Eure Gegner zum Schweigen? Kein Wunder, dass die Feen immer mehr in Verruf geraten."
Fee: "Gute Feen, böse Feen – wer will das schon genau trennen? Man macht sein Ding. Man will sich schließlich auch mal amüsieren ... Nach all den Überstunden; da ist man irgendwie schräg drauf."
Moderator: "Was ist mit den altmodischen Vorstellungen von Herzensgüte und Mildtätigkeit?"
Fee: "Was soll damit sein? Auf den Sperrmüll damit!"
Moderator: "Kann es sein, dass bei Dir ein Burn-out diagnostiziert wurde? Du wirkst ziemlich entzaubert, flügellahm, frustriert."
Fee: "Unser Job ist sinnlos! Mit jedem erfüllten Wunsch wachsen zehn neue. Wie bei einer übermächtigen Hydra! Ein Wunsch-Monster haben wir in die Welt gesetzt! Ein entsetzliches. Die Welt wurde nicht besser – keine Spur davon. Ich sprach neulich noch mit dem Weihnachtsmann darüber. Auch er ist frustriert. Wobei wir ja nicht nur so einseitig das Materielle abdecken – bei uns geht es ja immer auch um Stabilisierung der Psyche. Mut, Hoffnung: einzahlen auf dieses Seelen-Konto. Wenn die Menschen nicht mehr an sich selber glauben, dann helfen wir aus, dann müssen wir einspringen. Das ist unser Hauptaufgabengebiet."
Der Moderator macht sich Notizen.
Fee: "Analysierst Du mich? Was wird das hier?! Ich brauche keine Therapie. Die Welt wird zunehmend inkompatibel mit uns Feen! Daran liegt es. Das driftet alles auseinander. Und plötzlich heißt es, man sei eine böse Fee, nur weil man sich nicht so ganz exakt an die Vorgaben hält; ein bisschen improvisieren; ein wenig für sich abzweigen. Politiker-Denke. ... Da hat man all diese Möglichkeiten – kann Kürbisse in Kutschen verwandeln – in Staatskarossen ... Man kann jeden zum König machen – wenn man so will ein Königsmacher. Aber immer Graue Eminenz – immer im Hintergrund, im Verborgenen agieren. Das ist so ermüdend; wie sehnt man sich dann nach dem Rampenlicht."
Moderator: "Was wären denn Deine drei Wünsche? Sollte man guten Feen gelegentlich auch mal einen Wunsch erfüllen?"
Fee: "Geht das Wünschen immer einher mit Egoismus? Ohne Egoismus gäbe es auch keine Empathie. Als rein altruistisches Wesen könnte ich mich ja gar nicht hineindenken in die Begriffs- und Wunsch-Welt von Egoisten. Aber ich berate ja ständig Egoisten. Soll Egoisten auf die Sprünge helfen. Sie womöglich bei ihrem Egoismus unterstützen. Wem rate ich zu, wem rate ich ab? Ich bin ja keine Maschine, kein Automat, der das Gewünschte einfach ausspuckt."
Moderator: "Dann macht Dir Dein Egoismus zu schaffen? Hast Du Angst, dass Du mit weniger Egoismus gefühlloser werden würdest?"
Fee: "Egoismus hält einen am Leben. Ich kann da nicht völlig loslassen. Ich habe den Weihnachtsmann gelegentlich auf seinen Touren begleitet. Ich wollte von ihm lernen. Wo sind denn die Vorbilder für uns Feen? An was soll man sich orientieren?"
Sie zaubert fliegende Eichhörnchen.
Fee: "Das mach ich immer, wenn ich nervös bin: Ich zaubere mir irgendwas Goldiges. Ich stelle mir das vor wie Fort Knox – Seelen-Gold. Aber mein Tresor ist leer!"
Moderator: "Wir stellen das zurzeit bei sehr vielen Feen fest: Wer immer nur gibt, dessen Magie-Vorrat nie aufgefüllt wird, der ist bald ausgelaugt wie eine Salz-Brezel, an der zu viel geleckt wurde. Du kannst hier auf den Zetteln mal ankreuzen, welche Geschenke Du am dringlichsten benötigst. Wir können nicht alles zusichern – aber es wird alles Menschenmögliche versucht. Die Menschen geben mal zurück – jetzt sind wir mal dran. Die Aktion heißt 'Tue Gutes für die guten Feen'. Eine Art Payback-System. Ein wenig Altruismus unter den guten alten Egoismus-Teig heben. Mal sehen, ob das aufgeht."
Fee: "Ich bin ganz gerührt. Jetzt stehe ich vor der Schwierigkeit, das alles einzudampfen auf drei Wünsche. Alle meine Konzepte, meine Ideale, all das Unverwirklichte. – Aber im Grunde hilft schon dieses Interview. Was ist meine Bestimmung? Es ist für Feen ja nicht üblich, zu beichten. Aber einfach zugeben, dass man nicht perfekt ist; dass es ein Lernprozess ist … Ich bin so oft durch die Feen-Doktorprüfung gerasselt ... Und dann spielt man mit dem Gedanken, das Lager zu wechseln; sich bei den bösen Feen mal ein wenig umschauen, was da so los ist. Es hieß immer, dass in Wünschen eine ganz besondere Magie stecke; man müsse es verstehen, sie zu extrahieren. Ein Wunsch-Alchimist: Jemand, der aus Wünschen Gold gewinnt. Im Grunde so etwas wie Rumpelstilzchen – aus dem Gedanken-Stroh etwas spinnen, das man in seinem persönlichen Fort Knox lagern kann – Seelen-Tresore füllen. Herzenswünsche spielen dabei eine ganz besondere Rolle."
Sie gibt ihm die Zettel zurück.
Fee: "Vielen Dank. Fühle mich wie im Restaurant – auf der Speisekarte auswählen, was einem genehm wäre. Auch eine Fee braucht Feedback; dann bekomme ich ein Feeling für die tatsächlichen Wünsche. Hinter die Fassaden schauen – lernt man in den Feen-Grundkursen. Erfülle ich das, was die Leute sagen oder das, was sie sich denken? Meist schalte ich die Option 'Gedankenlesen' aus – es bedeutet nur mehr Verantwortung. Lieber oberflächlich bleiben; sachlich; fast wie eine Beamtin. Meine Routiniertheit ersetzt echte Anteilnahme. Ich verstecke mich hinter meiner Routiniertheit – sie ist mein Schild, mein Schutz. So bin ich eine One-Woman-Army. Aber mein Gutsein bröckelt. – Jeder im Publikum hat einen halben Wunsch frei. Ich muss das rationieren. Aber Ihr könnt Euch mit jemandem zusammentun, dann addiert sich das. 'Einigung' heißt das Zauberwort – das viel zu selten ausgesprochen wird."
Im Publikum wird gewispert und getuschelt. Die gute Fee lässt schon mal ein paar Geld-Koffer im Studio über ihren Köpfen kreisen. Aber es sind vor allem ihre Heiler-Fähigkeiten gefragt.
Fee: "Gesundheit ist immer noch der Hit. Der Vorteil bei mir ist: Ihr braucht nicht an mich zu glauben. Hin und wieder wird die Welt zu einem Feenmärchen. Dann dimmen wir das Real Life, drosseln seine Macht. Voilà – und es ist vollbracht. Denn Magie ist nichts anderes, als seinen Wünschen den Vortritt zu lassen; sollen sie sich freiweg äußern; es ist ihre Bühne; keinerlei Rücksicht auf Machbarkeit, Durchsetzbarkeit – im Verbund mit der Fantasie und etwas Feenstaub verändern wir Entscheidendes."
Man ist guter Dinge. Eine Gesundheits-Welle breitet sich aus ...
Moderator: "Das dürfte die Ärzte arbeitslos machen. Klappt ja gut. Das Sein an sich ist ja ein Geschenk. Aber wir misstrauen Geschenken. Was ist die Gegenleistung? Was will das Sein von uns?"
Fee: "Ein Geschenk ist eine Aufmerksamkeit. Vielleicht wünscht es sich schlicht und einfach eine große Portion Aufmerksamkeit? Aber heißt das, dass man ständig ans Bewusstsein gefesselt ist? Ist Unaufmerksamkeit dann die Flucht-Reaktion – weil man einfach diesen Dauerbeschuss der Aufmerksamkeit nicht aushält? Was berücksichtigt man? Welche Reihenfolge soll gelten? Die Aufmerksamkeit richten auf die Welt, die nähere Umgebung, das innere Universum? Wem soll der Fokus gelten? Was zieht die Aufmerksamkeit auf sich? Arbeitet man gegen an? Ich sage das deshalb, weil Aufmerksamkeit und Wünsche möglichst deckungsgleich sein sollten; es verstärkt die Magie. Macht uns Feen die Arbeit ein kleines bisschen leichter."
Moderator:
Wenn man nicht weise oder eloquent ist, kann man Hilfe bei einer KI suchen; nachrüsten. Eine KI als Alltags-Souffleur. Ich teste erst mal das Standard-Modell 'Sprichwörter Floß-kel'. Quasi ein Upgrade zum Sprichwort-Meister; rhetorisch fit für alle Lebenslagen. Die gesammelten Lebensweisheiten der Altvorderen. Damit kann ja nichts schiefgehen.
Unschön ist allerdings, dass die KI besonders witzig sein will. Sie verdreht gelegentlich die Sprichwörter, will zeigen, dass sie mitdenkt. Schade, dass die Apps sich weiterentwickeln. Sie sehen sich nicht mehr nur als bloße Souffleusen, sondern entdecken auch ihr Potenzial als Dramaturgen und Regisseure. Das Beraten ist ja ganz schön, aber allmählich werden wir zu Marionetten der KIs.
Ich diskutiere mit meiner Dating-Partnerin Lucy darüber. Soll man den Sprach-Apps weiterhin den direkten Zugriff auf das Sprachzentrum im Gehirn erlauben? "Wenn wir so weitermachen, mutieren wir doch alle zu Cyborgs!", rege ich mich auf.
Wie sich herausstellt, hat sich Lucy ebenfalls für die App 'Sprichwörter Floß-kel' entschieden. Ein Match, wenn man so will. Eine Übereinstimmung. Sind wir beide so verunsichert, dass man nach diesem Rettungsring greift? Ein höchst wackeliges Floß: zusammengebundene Wörter – wie Baumstämme. Ist man selbst nicht mehr dazu in der Lage? Haben die Apps einen überrundet? Kommt man ohne Zugriff auf Datenbanken einfach nicht mehr weiter? Und das bei einem simplen Smalltalk?! Aber wir sitzen uns schweigend gegenüber. Wir haben Zugriff auf dieselbe Sprichwörter-Datenbank. Bereichert das die Konversation? Man ist so verzweifelt, dass man es darauf ankommen lässt.
"Früher hat man Gedichte auswendig gelernt. Das wäre passend für solche Anlässe." Hat man sich wirklich nichts zu sagen? Man stützt sich auf Apps; wie ein Schauspieler, der seinen Text nicht gelernt hat, weil er sich auf seine Souffleuse voll und ganz verlässt.
"Ein Lächeln ist die schönste Sprache der Welt", erwidert Lucy. "Ja, und Lachen ist die beste Medizin."
Trotzdem sitzen wir uns mit ernsten Gesichtern gegenüber. Wenn man Zugriff auf die weltweiten Gesprächs-Protokolle hat, sich da durchscrollt, stellt man fest, dass man dem eigentlich nichts Neues hinzufügen könnte. Wie ein Theaterstück, das schon viel zu lange läuft.
"Wir sind kein Novum. Mein Leben ist keine Novelle. Eher die Kopie einer Kopie. Aber in der digitalen Welt sind Original und Kopie ohnehin dasselbe", sagt Lucy.
Das Café ist gemütlich. Wir haben uns eine große Auswahl an Keksen auf den Tisch stellen lassen. "Marmor, Stein und Eisen bricht, aber Omas Plätzchen nicht!", kommentiere ich meinen Versuch, mit einem besonders harten Keks fertig zu werden. "Schlimmer, als die Cookies im Internet. Man muss allem zustimmen; als ob es da um eine dauerhafte Beziehung ginge."
"Willst Du nichts Dauerhaftes?", hakt Lucy nach. Besser, ich bleibe auf meinem Sprichwörter-Terrain. Beziehungs-Fragen zu diesem Zeitpunkt sind mehr als gefährlich. Man will sich ja nicht festlegen. Unverbindlich sei der Mensch, hilfreich und weg. Ich tue so, als ob ich mich an einem Keks verschluckt habe. "Huster, bleib bei Deinem Leisten", kommentiert sie das ungerührt. Mein Husten kommt nicht glaubhaft genug rüber.
Die 'Sprichwörter Floß-kel' schlägt mir den Satz vor "Lange Haare – kurzer Verstand" – und leitet ihn auch gleich weiter an mein Sprachzentrum. Was rede ich da? Ich halte mir die Hände vor den Mund. Lucy – die sehr schöne lange, rote Haare hat – schaut mich noch misstrauischer als vorher an. "Rotes Haar und Erlenhecken wachsen nicht auf guten Flecken", lege ich nach. Völlig unpassend! Das kommt davon, wenn man Sprachassistenten vollen Zugang zum Hauptrechner erlaubt. Man kommt sich ja mittlerweile selbst wie ein Computer vor mit all den Verdrahtungs-Möglichkeiten und Schnittstellen zur digitalen Welt. Man wurde da eingebaut, integriert. Man ist ein Teil dieses digitalen Ensembles – und man findet es auch noch gut. Es zieht einen da hinein! Süchtig nach den Apps, die einen ins Verderben ziehen. Wollte ich diese Sprichwörter-Schlacht? Führt die App nur aus, was ich insgeheim plane, von dem mir aber mein Bewusstsein keine Meldung macht?
"Probieren geht über Studieren!", rechtfertige ich die Tatsache, dass ich gerade drei Kekse im Mund habe. Keine Ahnung, ob Lucy mich versteht, denn es mischen sich auch sehr viele Kekskrümel in meine Äußerungen. "Und was machst Du beruflich?", frage ich sie. Irgendwas mit Schulterzucken? Kekse erschweren das Verständnis der Menschen untereinander. Lektion des Tages. "So fühlt sich doch ein durchschnittlicher Internet-Surfer: Jeder bietet ihm Cookies an. Kein Wunder, dass man sich dann nicht mehr versteht." Ich finde meine Logik brillant.
Lucy kann mir leider gedanklich nicht folgen; ihr Schulterzucken hat schon was Chronisches. Hoffentlich ist es nichts Ernstes. Ich fühle mich mittlerweile wie Krümelmonster. Da hat man doch in der Sesamstraße was gelernt. Grundlegende Bildung fürs ganze Leben. Jetzt brauche ich noch blaues Fell. Einige der Kekse sind Hasch-Cookies – ich hätte genauer auf die Speisekarte gucken sollen; aber so ist es auch sehr schön. Man ist und isst viel relaxter. Noch ein Hasch-Brownie für das innere Krümelmonster – es will befreit werden!
"Es ist kein Topf so schief. Er findet seinen Deckel", tröste ich Lucy. Guter Anmachspruch. Ich bin genial. Sprichwörter sind als Anmachsprüche völlig unterschätzt.
"Ich verplempere hier meine Zeit", lautet Lucys vorläufiges Resümee. Ich versuche, sie zu küssen; aber dabei sind die Kekse in meinem Mund nicht wirklich hilfreich. Es wirkt eher wie eine Fütterungs-Aktion. "Zu Hilfe", ruft Lucy.
"Eine Bordstein-Schwalbe macht noch keinen Sommer", sage ich – wohl auf Veranlassung meiner tollen Sprach-App. Die bringt einen echt weiter. Lucy macht böse Miene zum guten Spiel. Sogar sehr böse Miene.
"Schenk mir Dein bezauberndstes Lächeln", fordere ich sie auf.
"Du gehst mir auf die Palme!" Tja, ihre Sprach-App ist ihr auch nicht so eine Hilfe.
Ich versuche, meinen Keks-Konsum zu rechtfertigen: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein." Die Bibel ist Gott sei Dank immer dann zur Stelle, wenn eine gute Ausrede benötigt wird.
"Da zieht sich jemand aus der Atmosphäre!", lautet Lucys Vorwurf. So richtig kommen wir mit der KI-Software nicht weiter. Aber ihre Soufflier-Dienste werden weiterhin benötigt. Nichts ist schlimmer, als sich nichts zu sagen zu haben, sich anschweigen zu müssen, weil der dürftige Vorrat an Ideen verbraucht ist. Man ist ja dankbar für jedes Stichwort, man greift danach wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm. Die 'Sprichwörter Floß-kel'. Aber ein Floß ist keine Yacht. Es lebt sich nicht allzu bequem darauf. Sehr beengt das Ganze. Oder kommt das der Intimität zugute?
Ich sage: "Die Frau ist des Mannes Visitenkarte." Und das im Zeitalter des Feminismus. Wem kann man einen Vorwurf machen, wenn die App angeblich direkt ans Unterbewusstsein angeschlossen ist? Dann hat man doch alles selbst zu verantworten, was 'Sprichwörter Floß-kel' so von sich gibt? Beängstigend. Aber auch aufregend. Ein Sprachabenteuer.
"Los, sag mal was!", fordere ich Lucy auf. "Sei wagemutig." Ich gehe mit gutem Beispiel voran. "Der Magen einer Sau, die Gedanken einer Frau und der Inhalt einer Worscht bleiben ewig unerforscht." Lockt sie das aus der Reserve?
"Vielleicht sollten wir uns einfach schweigend gegenübersitzen? Warum haben wir so viel Angst vor dem Schweigen?"
"Wenn der Kuchen spricht, schweigen die Krümel", entgegne ich. Eine Kuchen-Auswahl hat sich inzwischen unseren Keksen dazugesellt. Recht voll unser Tisch. "Warum muss es erst immer eine Hauptmahlzeit geben? Kann das Leben nicht nur aus Nachtisch bestehen?", stelle ich die hochphilosophische Frage in den Raum.
"Aber Vorspeisen lehnst Du nicht kategorisch ab?", fragt Lucy anzüglich. "Ein anständiges unanständiges Vorspiel wäre mir schon wichtig." Wobei wir beim Thema wären. Erstaunlich, dass die App uns bis hierhin gelotst hat. Der gebe ich vermutlich doch 5 Sterne.
"Füchse kennt man bald am Schwanz", sagt Lucy. Na, sie muss es ja wissen. Ein Date hat ja doch immer was von einem Theaterstück – wie man sich auch aufführt, so ganz ohne Soufflier-Hilfe bleibt einem nur das Improvisieren. Ist aber für das Stück und das beste Stück nicht gut. Sprichwörter haben sich bewährt, sie begleiten uns durch alle Fährnisse: Unsere Vorfahren haben sich nicht mit ihnen verfahren. Das spricht doch für sie. Dann können sie den vergleichsweise simplen Job als Smalltalk-Unterstützer kaum vermasseln.
"Fünf Minuten vor der Zeit, ist aber nicht des Liebhabers Pünktlichkeit", ermahnt Lucy mich. Ich haue beim Kuchen ordentlich rein, kommentiere das mit: "Dummheit frisst, Intelligenz säuft, das Genie macht beides." Tja, gelungenes Selbstlob.
"Zwei Dumme, ein Gedanke. Ich habe noch nie Kuchen reingeschaufelt – beidhändig … Irgendwann sollte man damit beginnen!"
"Immer diese Zurückhaltung. Man will vornehm wirken – dabei kommt die Ehrlichkeit zu kurz. Brauchen Dates Ehrlichkeit?"
"Keine Ahnung, brauchen sie", fragt Lucy mich. "Die Wahrheit von heute ist die Lüge von morgen. Lass uns lieber die sein, die wir schon immer sein wollten. So ein Date sollte man nicht mit allzu viel Ehrlichkeit ruinieren." Ich würde ihr gerne zustimmen, aber sollte man seiner Fantasie wirklich eine Generalvollmacht erteilen? Was die damit alles anstellen würde ...
"Mein Freund hat mich verlassen."
"Echt?"
"Nein, ist als Rollenspiel gedacht. Mach mit. Tröste mich!"
"Geflickte Freundschaft wird selten wieder ganz. Oder wie meine Sprach-App meint: Gefickte Freundschaft wird selten wieder ganz."
"Die ist so weise, die Sprach-App."
"Ja, ich denke auch; manchmal ist es schwer zu unterscheiden: Spricht aus mir die Weisheit oder die App?"
Kann auch am Zuckerschock liegen, aber wir beide sind seltsam high. "Aus dem Stein der Weisen macht ein Dummer Schotter", Lucy macht ihr Kuchenstück mit der Gabel platt.
"Ess-Sitten werden völlig überbewertet."
Lucy meint: "Ich bin der App ganz dankbar für ihre Pässe. Es sind nicht immer Steilvorlagen – aber es lässt sich was draus machen. Wie beim Fußball – man spielt plötzlich mit mehr als 11 Mann. Es ist ein wenig wie Betrug. Aber man sollte öfters die Apps einwechseln und mit aufs Spielfeld lassen. Meine Erlaubnis haben sie."
"Dann macht der Libero bald Liebe?", frage ich hoffnungsfroh.
"Wie beim Shopping: Die eigenen Schnäppchen ins Trockene bringen", entgegnet Lucy. Aha, ich bin ein Schnäppchen. Das sehe ich als Wertsteigerung an.
"Jetzt bring mich auf die Palme! Kokosnüsse sind im Angebot."
"Da greif ich zu! Je höher der Affe steigt, desto mehr Hintern er zeigt." Allmählich wird unser Gespräch völlig sinnfrei – aber seltsamerweise törnt es uns beide an. Dass mit Sprichwörtern auch Dirty Talk möglich ist, hat uns keiner gesagt. Die App dürfte gar nicht jugendfrei sein.
"Erst hielt ich die App für eine windige Sache, aber unser Date hat durch sie an Fahrt gewonnen."
"Fehlt es am Wind, so greife zum Ruder", meint Lucy. "Zugriff erfolgt in 5 Sekunden." Nette Ankündigung.
"Noch ein kleines Baiser?"
"Aber bitte mit Sahne", antwortet sie mir. "Wir blasen zum Sturm auf das Kuchenbuffet. Wir pusten und prusten, fast geht nichts mehr rein", singt sie. Kuchen und Kekse heben eindeutig die Stimmung und anderes. "Ich könnte heulen wie ein Schoßhund", schlägt sie vor. Ich bin mir nicht sicher, wie ich das zu deuten habe, aber es hört sich gut an.
"Du bist eine Trophäe auf Deinem Gebiet", bestätige ich ihr. Toll, diese vagen Komplimente. Man legt sich nicht fest.
Ich singe ihr ein Ständchen. "Wo man singet, lass dich ruhig nieder", meint sie und setzt ihre Avancen fort. "Sag mir, wie verdorben Du bist", will sie wissen.
"Ich bin Politiker. Politik verdirbt den Charakter." Das genügt ihr; sie ist vollends überzeugt. Schön, wenn man einen Beruf hat, dessen Qualitäten auch bei einem Date zum Tragen kommen.
Moderator: "Heute bei uns im Studio ein Gast, auf den ich ganz besonders stolz bin. Kein B-Promi – er spielt in der obersten Mythen-Liga mit. Ein besonders schönes Exemplar eines Einhorns."
Einhorn: "Vielen Dank für die nette Begrüßung. Bitte vermeide das Wort 'Mythen'. Ich bekomme dann immer Beklemmungen – als ob mit mir irgendwas nicht stimmen würde. Die Realität ist so ein fragiles Gebilde; jeder will dazugehören; man will nicht nur Traumgespinst sein."
Moderator: "Schade. Mir ging es vor allem darum, mit philosophischer Trennschärfe Deinen Real-Gehalt offenzulegen. Fühlst Du Dich manchmal wie ein Protagonist in einem von Dir erdachten Szenario? Wie oft am Tag erscheinst Du Dir selbst unwirklich? Hat Dein Leben etwas seltsam Vages?"
Einhorn: "Bin ich hier beim Tierarzt, oder was?! Man sollte Fabelwesen nicht derart verunsichern. Mein Horn ist manchmal schon sehr lästig. Man stößt überall gegen. Ich kann nicht mal richtig grasen. Aber ich esse ohnehin lieber Donuts."
Moderator: "Natürlich. Das ist der Vorteil, wenn man nicht allzu sehr im Realen beheimatet ist: Man hat die Auswahl, kann sich selbst freier definieren. Vielleicht beneiden wir Euch deshalb? Wie beurteileilst Du den Einhörner-Hype? Normale Tiere haben das Nachsehen."
Einhorn: "Nichts ist schlimmer, als der Vergessenheit anheimgegeben zu werden. Man ist gerne en vogue. Man surft auf der Popularitäts-Welle. War ja früher schrecklich, wie das tapfere Schneiderlein mit dem Einhorn umgesprungen ist. Keinerlei Respekt. Hier bekomme ich Donuts und Süßigkeiten."
Es langt ordentlich zu.
Moderator: "Kann Dein Horn irgendwas? Angeblich kann es Tote zurück ins Leben holen."
Einhorn: "Ja, das klappt ganz gut. Aber man muss mir vorher Donuts opfern. Ist Usus von alters her: Deals mit den Göttern und deren Haustieren. Pegasus und der Phönix essen übrigens auch gerne Donuts. 'ne Cola wär nicht schlecht. Symboltier zu sein, das macht einen nicht satt. Wenn man das Gute verkörpern soll, dann will man auch anständige Verpflegung! Ist doch nicht zu viel verlangt? Das Gute gibt es nicht gratis. Selbst ein Automat spuckt nur etwas aus, wenn man ihn entsprechend mit Scheinchen füttert. Wenn man Scheinchen hat, muss man sich nicht mit dem bloßen Schein begnügen: Denn Fantasie ist eine Währung – Du erhältst beinahe alles im Tausch für ein bisschen Glauben. Man investiert am Glaubens-Automaten. Lohnende Investitionen. Investiere in Einhörner-Aktien!"
Moderator: "Heikle Sache. Die Realität hat ja auch viel Schönes. Dennoch faszinieren uns Einhörner; gerade dadurch, dass sie sich dem Zugriff der Realität entziehen. Was sagst Du zum Vorwurf des Eskapismus? Wenn man sich Dir und Deinesgleichen anschließt, hagelt es Vorwürfe, dass man so realitätsfern sei."
Einhorn: "Das betrifft auch die Protagonisten aus Euren Lieblingsbüchern: Ihr reist mit ihnen in Bereiche, wo die Realität nichts zu melden hat. Vielleicht kommt von dorther ihre Sorge, dass sie den Einfluss über Euch verlieren könnte? Als Fiktions-Wesen ist man der natürliche Antagonist der Realität; man hat aber auch mehr Möglichkeiten. Glücklicherweise bietet das Universum genügend Raum für alle Arten der Fantasie; man muss sich nicht beschränken, einschränken. Zig Parallelwelten eröffnen ganz tolle Möglichkeiten. Wie wäre es mir sonst möglich, mich selbst gegen Löwen behaupten zu können? Oder hast Du schon einmal erlebt, dass ein Einhorn einem Löwen unterlegen gewesen wäre? Wir spielen sogar besser Schach als die Löwen. Übrigens: In der Magie-Version des Schachspiels ersetzt das Einhorn den Springer. Wir können jede andere Schachfigur imitieren – allerdings jeweils nur einmal pro Spiel. Dame sein, Turm, Läufer, ein Bauer ..."
Moderator: "Sollten wir unbedingt nach der Sendung spielen. Einhorn-Schach – kannte ich noch gar nicht. Früher hielt man fälschlicherweise den Stoßzahn des Narwals für ein Einhorn-Horn. Gerne wurdest Du auch mal verwechselt mit dem Nashorn."
Einhorn: "Was soll man machen? Wir hätten gerne früher Interviews gegeben, das alles aufgeklärt; aber glaubst Du, jemand hätte uns mal eingeladen? Da stromert man durch die Weltgeschichte, fühlt sich innig verbunden mit Eurem Geschick – und dann sucht man nicht mal das Gespräch mit uns!? Wir waren fassungslos! Was ist nur aus uns geworden? Verkommen zu einer bloßen Zaubertrank-Zutat."
Es schlürft Champagner aus einem Kübel.
Einhorn: "Macht Ihr alle Eure Mythen-Gäste betrunken, damit sie sich vergessen? Komisch, Ihr wollt Eure Realität hin und wieder vergessen; wir wollen vergessen, dass die Realität uns nie wirklich haben wollte. Sie stößt uns ab. So oft wir es auch versuchen. Immunitätsabwehr – als wenn von der Fantasie was zu befürchten sei. Ein Einhorn-Horn, das sich in Eure Realität bohrt wie eine Injektionsnadel. Zu drastisch der Vergleich? Ja, man möchte gerne Fuß fassen im Milieu des Seins. Man ist immer so außen vor. Sehnsucht des Potenziellen nach dem Verwirklichten. Ich bin angefüllt mit Möglichkeiten wie eine mit Süßigkeiten und Früchten gefüllte Piñata. Schlag mich!"
Moderator: "Das kommt jetzt doch sehr plötzlich. Ist mit dem Sender auch nicht abgesprochen."
Einhorn: "Ich habe goldene Hufe. Trotz allem lediglich ein Symbol-Tier. Man kommt da einfach nicht raus. Wie ein Abonnement auf das Irreale und Surreale. Mein Status ist: unglücklich. Mit meinem Horn spieße ich mühelos Drachen und Kleinwagen auf. Aber die Realität als Ganzes kann man nicht aufspießen wie einen überdimensionalen Schmetterling."
Moderator: "Es heißt, nur Jungfrauen seien in der Lage, Einhörner einzufangen. Wir haben einige Jungfrauen eingeladen; dürfen die ihr Glück mal versuchen?"
Einhorn: "Och, ich sitz gerade so gemütlich. Fangt Euch einen Schnupfen ein!"
Alle im Studio niesen.
Moderator: "Vermag man als Repräsentant des Guten auch Böses zu tun?
Einhorn: "Warum nicht? Wenn es der Erheiterung dient. Ich habe mich da nie sonderlich zurückgehalten. Ich liebe es, Streiche auszuhecken! Zur Not schieben wir es auf den Champagner. Eine gute Ausrede gehört zu meinem Standard-Equipment. Ich sehe mich da in der Tradition des Tricksters. Man muss sich ja selbst definieren; überlässt man es der Realität, kann das ja nur im Chaos enden."
Moderator: "Auf einer Weisheits-Skala von 1 bis 10 – wie weise bist Du?"
Einhorn: "Pack zu den drei Weisen aus dem Morgenland noch Archimedes und Pythagoras – das entspricht 5 Promille meiner Weisheit."
Moderator: "Tabellenerster in der Angeber-Liga – ist das ein vorstellbares Ziel für Dich?"
Einhorn: "Wenn ich fleißig trainiere. Ich will ja nicht verkommen – nur eine Requisite sein in der Literatur, eine Randbemerkung des Seins. Stofftier-Status ist uns Einhörnern zu wenig! Bloßes Symbol, Konturen ohne Füllung – eine Projektions-Landschaft?! Was bin ich beispielsweise für Dich?"
Moderator: "Es gibt eindeutig zu wenig Magie-Tiere. Man sollte sie nicht jagen mit der Flinte der Skepsis. Ich unterhalte mich immer wieder gerne mit Leuten aus der Magie-Szene. Einhörner gehören mit ins Reinkarnations-Programm. Die anderen Tiere wirken da beinahe schon langweilig. Oder als Krafttier."
Einhorn: "Ja, der Bedarf an zuverlässigen Einhörnern steigt ständig. Ein regelrechter Boom. Das bereitet dem Sein Sorgen – es ist ein Anhänger der Illusionslosigkeit – das schränkt seine Möglichkeiten natürlich erheblich ein. Ich verstehe mich gut auf Illusionen."
Das Einhorn dimmt sich selber runter. Es wird zur Nebel-Gestalt.
Einhorn: "Sich selbst mal zurücknehmen – täte Euch auch ganz gut. Aber Euch ist die Seins-Gewissheit außerordentlich wichtig. Sklaven des Realen. Als ob Sekundenkleber Euch mit all den Sekunden verbinden würde – so haftet Ihr an der Zeit, bewegt Euch mit ihr, lasst Euch von ihr mitzerren. Ich bin da freier, ich galoppiere auf der Weide der Fantasie. Kommt in die Hufe – und folgt mir nach!"
Es verschwindet vollends. Schnappt sich vorher aber noch die Donuts-Reste.
Moderator: "Nächste Woche haben wir das tapfere Schneiderlein zu Gast. Unsere Top-Themen dann: 'Schicksal zum Selber-Schneidern' – 'Riesen und ihre Riesenfehler' – 'Verbohrte Einhörner'. Wir wiegen uns in der Hoffnung, dass Ihr uns gewogen bleibt."
ENDE
Es war einmal ein Eremit, der hoch oben in den Bergen vor seiner Höhle meditierte. Seit Tagen belästigte ihn ein Drache. Der behauptete, er sei Fluglehrer und könne ihm das Gedankenfliegen beibringen – und außerdem böte er Rundflüge an übers Tal. Mit dem Preis – da ließe sich gewiss etwas machen. Es sei – wie so vieles im Leben – Verhandlungssache.
Der Eremit gab sich alle erdenkliche Mühe, den Drachen zu ignorieren, denn es ging ihm vor allem um Wahrheit und Wahrheitserkundung. Was sollte er mit einem Fantasma, einer Ausgeburt seiner Fantasie? Er haute nach dem Drachen; aber das war ja schon ein Zugeständnis von dessen Existenz. Ignorieren war aber schwer, wenn der Drache ihm ständig die Sicht aufs Tal versperrte.
"Geh weg!", fauchte der Eremit. Der Drache fauchte ebenfalls – aber er entfachte dabei ein gemütliches Lagerfeuer.
"Das Emotionale mit dem Nützlichen kombinieren – meine erste Lektion – die ist gratis. Meine bisherigen Kunden waren sehr zufrieden mit mir – so sie denn noch leben."
Der Eremit schloss die Augen und sagte sich wieder sein Mantra: "Es gibt keine Drachen."
"Da muss ich widersprechen. Ich könnte Dein Mentor sein. Drachen sind echt tolle Mentoren. Wir belehren die Toren. Darauf zu beharren, dass es nur die eine festgelegte Realitäts-Form gibt, ist doch wahrlich töricht. Das ist gleitend, da finden sich Übergänge, interessante Überlappungen mit der Fantasie."
"Aha! Du gibst also zu, dass Du ein Hirngespinst bist?"
"Was war denn mit Deinen bisherigen Gedankenflügen? Das alles hat doch Auswirkungen auf die Realität. Du öffnest Pforten zum Noch-Nicht. Du bildest, züchtest Kreaturen, die es hinüberschaffen können ins Real-Reich. Verschließ Dich nicht vor dieser Erkenntnis."
"Ich schließ alles zu! Alle Pforten sind ab sofort dicht!"
"Kein Grund, hysterisch zu werden. Ein ganz normales Gespräch zwischen Drache und Drachenlehrling."
Der Eremit sah an sich herab. Er verwandelte sich in einen Drachen.
"Kämpf nicht dagegen an. Wie wollen wir übers Tal fliegen, wenn Du keine Flügel hast? Immer nur hier zu sitzen, macht den Kohl auch nicht fett. – Sag, wenn Du startklar bist."
Der Eremit fühlt sich überhaupt nicht startklar; trotzdem flatterte er versuchsweise mit den Flügeln.
"Bei der Ausbildung zum Gedankenflieger kommt es auch auf die nötige Praxis an. Man kann stundenlang übers Fliegen meditieren – aber es wirklich zu tun – das macht den Unterschied aus."
"Wie viele Deiner Flugschüler haben überlebt?", erkundigte sich der Eremit, der sehr viel auf Statistiken gab.
"Stell Dir vor, das hier ist eine Superhelden-Akademie. Du bist ein Pionier auf dem Feld der Fantasie-Akrobatik. Abstürze eingeschlossen. Aber das ist halb so wild. Meistens."
Der Eremit fühlte sich wie ein junger Adler, dem sein Vater gerade einen Vortrag darüber hielt, dass die Höhe belanglos sei, wenn man genügend Vertrauen zu seinen Flügeln und seiner Flugfähigkeit besaß. "Mich einem nicht-existenten Drachen anzuschließen, ist eventuell etwas voreilig", gab der Eremit zu bedenken.
"Ja, das wäre in der Tat fatal. Wäre gut, wenn man die Illusion sauber von den Fakten trennen könnte. Andererseits ist das Gehirn ein Fakten-Lieferant: Ideen als Vorläufer, als Vorform des Seienden. So werden Universen gemacht. Ich weiß Bescheid."
Das beruhigte den Eremiten nicht sonderlich. Er wollte zurück zu seiner alten Form der Wahrheitssuche. Das hatte etwas entschieden Gemütlicheres. Allerdings hatte er damit kaum Fortschritte erzielt. Nötigte ihn sein Unterbewusstsein auf diese Art, den entscheidenden Schritt zu tun? "Ein Bungee-Seil wäre nett. So als Absicherung."
"So zögerlich?" Der Drache flog eine Runde. "Das ist Drachen-leicht", rief er.
Der Eremit bemühte sich um seine Rückverwandlung. Teilweise hatte er Erfolg damit. "Halb Drache, halb Mensch. Andererseits entgeht mir hier eine echt tolle Gelegenheit. Ich würde den Drachen vermissen, sollte er sich entschließen, mich als unwürdigen Schüler anzusehen. Er ist sehr engagiert. Entweder überlistet er gerne Eremiten oder aber er ist ein Agent der Wahrheit." Die Neugier kam ihm zu Hilfe – wie es so ihre Art ist.
"Du musst an die Gedankenfreiheit glauben. Lass Dich nicht einschränken von all dem, was schon gedacht wurde. Solange Du Dich lediglich in dem Umfeld bewegst, bist Du selbst nur Historie. Sei gegenwärtig! Sei derjenige, der über die Grenzen des Gestern tritt. Durchbrich die Mauer zum Verflossenen, Erloschenen. Es ist alles verflogen. Flieg neuer Realität entgegen, die Züge von Dir hat. Noch ehe Dein Interesse verfliegt. Die Zeit verfliegt – doch Du kannst ihr Begleiter sein. Flieg an meiner Seite."
Der Eremit begnügte sich zunächst mit ein paar Hüpfern. So weit die Flügel tragen – das waren in seinem Fall beachtliche eineinhalb Meter. "Nicht schlecht", lobte er sich selbst. Noch weit entfernt von Adler-Würde. "Soll ich mich um Gedankenleere bemühen?"
"Wie Du willst", antwortete ihm der Drache, der jetzt in Rückenlage flog. Man gewann den Eindruck, dass er als Angeber unterwegs war. Der Eremit suchte nach weiteren Voraussetzungen – oder waren es schlichtweg Ausreden? Eine seiner Verzögerungs-Taktiken? Buddha wäre schon längst mit vorzeigbarem Denk-Material nach Hause gekommen. Was hatte er vorzuweisen? Er hatte das Tal und die Berge verinnerlicht – sie waren jetzt Teil seiner Seelenlandschaft. Aber was machte der Drache darin?
"Ich komme nur auf Einladung. Ich unterrichte die Lernwilligen. Indiskret bin ich nur ausnahmsweise. Wir teilen uns dieselben Gedanken – da kann die Privatsphäre schon drunter leiden." Das klang beinahe wie eine Entschuldigung. "Das Gedankenlesen fällt mir insofern leicht."
"Ich habe mich um Gedankenleere bemüht. Ich hoffe, ich habe Dich nicht gelangweilt", antwortete der Eremit.
"Ich habe auf meinen Reisen viele Gedankenlose getroffen, mir ist viel Gedankenlosigkeit begegnet."
Der Eremit sagte: "Aufmerksamkeit mit Gedankenleere zu kombinieren – inwiefern unterscheidet sich das von der üblichen Gedankenlosigkeit? Ich wollte geistesgegenwärtig sein und nicht geistesabwesend. Und jetzt passiert mir das Malheur mit einem Drachen, der mein Fluglehrer sein will."
"Das ist doch alles nur Brainstorming", antwortete der Drache, "ich konnte das nicht mit ansehen, wie Du Dich mit der Realität anlegst, diesem Fakten-Drachen. Ein anderer Drache muss Dir zu Hilfe kommen. Einer, der die Gedankenfliegerei perfektioniert hat."
"Nicht unbescheiden", dachte der Eremit. Er hatte mittlerweile raus, wie er Feuer-Atem erzeugen konnte. "Eine ganz andere Art der Erleuchtung. Etwas überraschend. Mir geht ein Licht auf."
"Dann üben wir jetzt erst mal die Gedankensprünge. Das bloße Gehen bringt einen nicht weiter im Reich des Kreativen." Der Drache sprang wie ein gigantischer Frosch den Berg hinab. Die Ziegen flohen panisch.
"Ich fühle mich springlebendig", sagte der Eremit, dem immer größere Sprünge gelangen; die Flügel waren eine gute Hilfe; immer öfters war es ein Gleitflug. Er fing an, der Luft zu vertrauen, sie würde ihn tragen, sie gab ihm Halt. All das Unsichtbare um ihn herum, trug ihn. Er war in seinem Element. "Ich bin ein Drachenflieger", dachte er. Wie ein Delfin, der sich aus dem Meer emporschnellt, so würde er sich aus dem Sein herausschnellen – eine neue Dimension entdecken. Leider geriet er ins Trudeln. Kam sich vor wie eine Schneelawine ohne Schnee.
Wir sitzen in einer Schneekugel fest. Eingesperrt mit einem verrückten Schneemann. Tja, das kommt davon, wenn man die Gefühle der Frühlingsgöttin verletzt. Sie spricht nicht gut an auf Verbesserungsvorschläge. Ich hatte gerade Dornröschen befreit – hatte den obligatorischen Kuss erhalten – alles eben so Sachen, die ein Märchenprinz zu erledigen hat. Der Märchenwald erschien mir antiquiert. "Wie sind nur Mythen-Ableger!", lautete mein Vorwurf. "Das ist doch alles Schnee von gestern." Tja, und jetzt sitze ich inmitten von herabrieselndem Schnee und denke über meine Optionen nach.
Es ist nicht sehr hilfreich, dass Dornröschen Vorwürfe auf mich niederprasseln lässt. "Wie bescheuert ist das denn? Die Frühlingsgöttin höchstpersönlich zu kritisieren?! Kaum wacht man aus seinem 100-jährigen Schlaf auf – schon steckt man in einer überdimensionalen Schneekugel ... Von einem Fluch gleich in den nächsten! Na, wunderbar!"
Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich sie nie wachgeküsst. Ach, hätte ich doch. Ich kann schönen Frauen nicht widerstehen.
"Der Herr Prinz war wohl etwas unüberlegt?" Sie hört nicht auf, mich 'Herr Prinz' zu nennen. Sie deutet auf den Schneemann. "Und wer ist das?"
Der Schneemann ist dabei, weitere Schneemänner zu bauen. "Beachtet mich gar nicht. Ich finde es hier herrlich!"
"Soll ich Dir dabei helfen, ein Entschuldigungs-Schreiben an die Frühlingsgöttin aufzusetzen?" Dornröschen zeigt sich von ihrer versöhnlichen Seite.
"Das müsste ich alleine hinkriegen. Ich bin Schriftsteller, Autor."
"Ein sonderbares erstes Date."
"Ich hatte schon seltsamere Dates", sage ich ausweichend. Erst mal abchecken, wie sich Dornröschens Stimmung weiterentwickelt. "Was hältst Du davon, wenn wir dieses Kapitel 'Frühlingsgefühle im Schnee' nennen? Ich unterteile mein Leben gerne in Kapitel. Alles bekommt eine Überschrift. Man kann das gut abheften, wiederfinden. Und irgendwie wird es bedeutender – wenn man sich vorstellt, dass es als Roman-Inhalt gedacht ist."
"Ein philosophierender Prinz – das hat mir ja noch gefehlt!" Sie stöhnt.
Der Schneemann hat sich zu uns gesetzt. "Ich kann mir keine Frühlingsgefühle leisten. Ich muss die Wärme meiden. Immer von Kälte umgeben." Er lässt sich nach hinten fallen, rudert mit den Armen: Er macht einen Schneeengel.
"Ist doch romantisch hier", versuche ich Dornröschen für die Situation zu begeistern.
Sie untersucht den Brunnen, der neben dem Schloss steht. "Wir müssen die Lage sondieren. Wir müssen eine Befreiungs-Aktion starten. Wir müssen aus dieser Schneekugel raus!" Sie hyperventiliert.
"Darf ich Dich daran erinnern, dass unüberlegte Aktionen nicht so Dein Ding sind? Stichwort: Spindel." Tja, ich habe es drauf mit dem Provozieren. Ihre Augen glühen. Der Schneemann nimmt Deckung hinter mir.
Aus dem Brunnen kommen Geräusche. Fangen so Horror-Geschichten an? Das würde mir jetzt aber die Romanze vollends versauen. Aber es ist nur Goldmarie. Sie schwingt sich über den Brunnenrand. Wir kennen uns bereits. Ich hatte schon das Vergnügen. Mehrmals.
"Wie klein die Welt ist", meint sie. Sie sieht sich um.
Dornröschen will Goldmarie wieder in den Brunnen zurückschieben. "Das ist mein Prinz! Such Dir einen eigenen!"
Eifersucht hätte ich jetzt nicht von ihr erwartet, kommt mir aber gelegen. "Sei doch nicht so egoistisch. Unser Dreier mit Pechmarie war super. Dieses Monogame ist doch echt hinterwäldlerisch", rügt Goldmarie sie.
"Aber allerhöchstens einen Quickie", willigt Dornröschen ein.
"Ein Fluch der Frühlingsgöttin", sage ich zur Erläuterung. "Eine solide Schneekugel. Als Souvenir geeignet. Man sollte sich aus jedem Kapitel seines Lebens Souvenirs aufheben."
"Philosophiert er wieder?"
"Ja, es lässt sich nirgendwo abstellen", meint Dornröschen. Sie betastet mich, als ob sie auf der Suche nach einem Schalter wäre.
"Könnte mich mal jemand massieren? Ich habe fürchterliche Rückenschmerzen", beklagt sich der Schneemann.
Es schneit noch heftiger. Was löst das aus? Sind das Erziehungsmaßnahmen der Frühlingsgöttin? Was will sie erreichen?
"Lasst uns ins Schloss gehen. Ist Euch aufgefallen, dass es unglaublich viele Schlösser in der Märchenwelt gibt? Es wimmelt nur so von Prinzen, Bällen, verzauberten Kutschen, Fluch-süchtigen Kreaturen. Man verflucht sich, man verwünscht sich."
"Ja, ist schon krass", pflichtet Goldmarie mir bei. Sie glitzert, funkelt – unaufhörlich rieselt Gold von ihr – sie lässt eine Spur von Gold hinter sich im Schnee.
Der Schneemann wälzt sich darin. "Ich bin goldig!"
"Normalerweise gibt gelber Schnee mir zu denken – aber in diesem Fall ..." Dornröschen wälzt sich ebenfalls darin.
Schrecklich, wohin einen Gold-Sucht führen kann. Ich kratze an Goldmarie. Viel praktischer, als darauf zu warten, dass das Gold abbröckelt. "Wie beim Apfelbaum", philosophiere ich, "da kommt es auch darauf an, das durch Schütteln zu beschleunigen."
"Aber will der Apfelbaum das auch?", gibt Goldmarie zu bedenken.
"Du kannst bei mir schütteln, wenn Du magst", sage ich zu ihr – vielleicht eine Spur zu anzüglich.
"Es schüttelt mich", meint Dornröschen, "wie lasterhaft die Märchenwelt geworden ist.
"Du bist doch auf Küsse angewiesen, um aus Deinem überlangen Mittagsschlaf aufzuwachen!"
"Das ist keine Fehlfunktion – das ist romantisch!", keift sie. Nun gut, lassen wir es dabei bewenden.
Das Schloss sieht von innen wie eine Arena aus. "Sollen hier Kämpfe ausgetragen werden?"
"Ich wollte schon immer ein Gladiator werden", begeistert sich der Schneemann. Ich weise ihn darauf hin, dass seine dünnen Stöcker-Arme nicht wirklich muskulös wirken. "Alles eine Sache des richtigen Trainings", gibt er sich zuversichtlich. "ich könnte Bäume ausreißen. Und mir neue Arme besorgen. Hilfst Du mir?"
"Beine statt Schneekugeln wären auch nicht schlecht." Allmählich finde ich das Leben in der Schneekugel ganz witzig. Dank Magie ist alles Nötige vorhanden – allerdings auch einiges Unnötige. Aus dem Wäldchen stürmen Yetis, Trolle, ein paar Drachen und ein Werwolf, der sich nach dem Weg erkundigt. Die sollten doch erst im nächsten Kapitel auftauchen – dieses hier hatte ich fest für ungezügelte Romantik eingeplant. Aber, wie es so ist, das Leben wirft das über den Haufen, ignoriert Deine Wünsche.
Wir bitten unsere Gäste in die Arena – wir bilden Mannschaften, Teams; wobei der Werwolf jeden verärgert durch seine bissige Art. Seltsamerweise schneit es auch im Schloss. Die Frühlingsgöttin ist wirklich sehr nachtragend. Kann es nicht mal gut sein lassen.
Der Schneemann wird aufgerüstet – dicke Mahagoni-Arme. Er macht einen auf Windmühle, rudert damit wild herum, verletzt ein paar Drachen. "Pass doch auf!" Goldmarie flirtet mit einem Yeti. Ich hatte eigentlich vor, ihr ein Prosagedicht zu schenken, aber das wird sie wohl nicht umhauen. Der Yeti haut sie jedenfalls um; mehrmals. Sollte ich einschreiten? Die Feder ist mächtiger als das Schwert – und so attackiere ich ihn mit einer Gänsefeder. Er guckt leicht irritiert.
"Federn haben was Erotisches", meint Dornröschen. Sie streicht sich damit sinnlich übers Gesicht. Wow! Auch der Yeti meint, sie sei ein echter Hingucker. Wunderbar, das lenkt ihn ab, ich erledige ihn mit dem Schwert. Ist auf Dauer doch zuverlässiger. In der Arena spielen sich seltsame Dinge ab: Drachen spielen Skat und ein paar Neuankömmlinge wollen wissen, wo es zum Rapunzel-Turm geht. Die Frühlingsgöttin hat sich offensichtlich von meinen Büchern inspirieren lassen. Soso, sie liest die also. Schön, wenn einem die eigene Fantasie im Real Life wiederbegegnet.
Der Schneemann verhaut den Werwolf – wird dabei aber gebissen – und mutiert zum Werschneemann. Sieht nicht gut aus. Die Trolle fliehen vor ihm. Wir haben das Schloss vorerst wieder für uns. "Jetzt machen wir es uns gemütlich!", verkünde ich.
Dornröschen meint, sie müsse den Sex von hundert Jahren nachholen. Alles kein Problem. Oder brauche ich auch ein Upgrade? Mit Durchhalteparolen allein komme ich hier nicht weiter.
Goldmarie will mitmachen. "Ich kann Dich mit Gold einseifen", lautet ihr Angebot.
Dornröschen ist in Tiefschlaf gefallen. Verdammt! Oder tut sie nur so, legt sie es auf einen besonders intensiven Kuss an? Ich versuche alles – auch Goldmarie beteiligt sich daran – und überdeckt Dornröschens Körper mit Küssen.
"Sexy", meint auch der Werschneemann. Bei einigen Kamasutra-Stellungen ist er durchaus nützlich.
"Akrobatik-Sex ist toll", meint Goldmarie. Das ist aufführungsreif. Wir versuchen jetzt die Pyramiden-Form.
"In der Arena sind wir goldrichtig." Einige Trolle spenden uns Applaus. Dornröschen ist gar nicht wieder wachzukriegen – wir bauen sie aber trotzdem in unsere Nummern ein. Unbeteiligt beteiligt. Sie soll nicht sagen, dass wir sie vernachlässigen.
Zu guter Letzt taucht die Frühlingsgöttin auf. Der Werschneemann geht gleich auf sie los. "Bei Euch in der Schneekugel ist ja allerhand los. Ich sehe, Ihr habt die Zeit gut genutzt. Zur Besinnung kommen ..."
"Ist ja nicht wie nachsitzen. Ich empfinde das hier nicht als Strafe", sage ich.
Dornröschen wird von Goldmaries Lustgestöhne geweckt. "Hab ich was verpasst?" Sie ist über und über mit Gold bedeckt – und außerdem völlig unbekleidet.
"Eine richtige Liebes-Arena", lobt uns die Frühlingsgöttin, "ich mag es gerne, wenn es zur Sache geht. Man muss dann auch schon mal selbst mit Hand anlegen. Der Natur nur ihren Lauf zu lassen, das ist im Allgemeinen einfach zu wenig. Man kann mehr tun." Sie nimmt den Platz von Goldmarie ein. Ein Liebes-Rodeo bei dem klar ist, dass sie gedenkt im Sattel zu bleiben.
"Krass", meint der Werschneemann, der sich allmählich zurückverwandelt. "Die wilde Version gefiel mir ganz gut. Ich hatte Power. Das Böse nimmt man dann so mit in Kauf. Ein zu sanftes Gemüt ist nichts für die raue Welt."
"Du hast ihn mit Deiner Philosophiererei angesteckt", stellt Dornröschen fest.
"Es sollte im Märchenreich weitaus mehr Lustschlösser geben", lautet meine Erkenntnis des Tages.
Die Frühlingsgöttin lässt ihr blaues Band flattern durch die Lüfte. Das sieht ganz reizend aus; und auch ihre übrigen Klamotten wirft sie rasch beiseite. "So ist es viel luftiger. Horch, von fern ein leiser Harfenton!"
Stimmt, ein paar Trolle zupfen auf Harfen und einer bläst eine Schalmei. "Romantik pur."
"Veilchen träumen schon, wollen balde kommen!", verkündet die Frühlingsgöttin – und meint vermutlich sich damit. Aber auch die Veilchen kommen – ein regelrechter Blumen-Orgasmus rings um uns her. Da wird echt was aufgeboten, da wird jeder Blumenladen ganz neiderfüllt, wie sich das hier füllt.
"Ein Klavier, ein Klavier!", ruft Dornröschen – der Werwolf hämmert ganz beschwingt auf einem fliegenden Klavier. Macht schon einen Unterschied, ob die Frühlingsgöttin gute Laune hat – und es liegt an mir, sie bei Laune zu halten. Ungeübten dürfte das schwer fallen, aber als Märchenprinz kommt man ganz schön rum – jede Woche eine Prinzessin retten, das summiert sich. Viele sind überaus dankbar; sind auch schöne Müllerstöchter dabei; wobei die massenhafte Existenz von bösen Stiefmüttern hier durchaus hilfreich ist – deren Stieftöchter fliegen geradezu in die Arme eines Retters. Man muss sich nur passend platzieren.
Die Frühlingsgöttin ist begeistert von mir – es flattern diverse blaue Bänder durch die Lüfte; der Schneemann verheddert sich in einigen. Er sieht recht unglücklich aus. "Diese Frühlingsgefühle machen mir Angst. Ein Übermaß an Frühling. Wo ist mein Freund, der Winter?"
Es hat in der Tat aufgehört zu schneien. Dafür rieseln Blütenblätter herab, Rosen-Lianen schlingen sich um uns.
"Nicht schon wieder!", schreit Dornröschen. Sie hat immer noch ein Rosen-Trauma. Wird man wohl auch nicht so schnell wieder los. Ich bekomme Heuschnupfen. Das alles ist der Romantik doch eher abträglich. Die Klavier-Musik des Werwolfes vermengt sich mit seinem Geheule – klingt wie Zwölftonmusik vom Feinsten. Der Mond fragt an, ob bei uns alles okay sei.
"Ist der Fluch jetzt aufgehoben?", will ich von der Frühlingsgöttin wissen.
"Ich glaube, ich verfluche noch ein paar Märchenprinzen. Das fängt an, mir Spaß zu bringen."
Na, wie schön. Sie kommt auf ihre Kosten. "Im Grunde stecken wir doch alle unter solchen Schneekugeln – wir erleben eine Miniatur-Welt, können immer nur das Umliegende erfassen, alles andere ist jenseits unseres Wahrnehmungs-Horizonts. Das ganze Weltall ist so eine Schneekugel – kein Mensch weiß, was dahinter ist. Abgekapselt, ausgeschlossen", sage ich.
Die Rosen merken vermutlich, dass Dornröschen Angst vor ihnen hat. Sie wird von ihnen verfolgt. Ich sollte ihr zu Hilfe eilen. Aber das wäre doch auch ein Job für den Schneemann? Er schwingt sich wie ein Tarzan mit Mahagoni-Armen zu ihr – nutzt dafür die Rosen-Lianen.
Moderator: "Das Glück bei uns im Studio. Welch ein Glück!"
Glück knabbert an einem Glückskeks.
Glück: "Oh, sind wir schon auf Sendung?"
Moderator: "Was hältst Du von Glücks-Ritualen? Kann man Dich damit beeindrucken? Kurzum: Wie abergläubisch bist Du?"
Glück: "Ich verrate hier doch nicht meine Geschäftsgeheimnisse! Frische Blumen – Ihr wollt, dass ich mich wohl fühle. Man umwirbt mich ... Ich muss dagegen ankämpfen. Ihr macht es einem leicht, dass man hochmütig wird. Die Kunst, sich rar zu machen. Darf nicht zu verschwenderisch sein – auch wenn ich es gerne wäre. Es bricht mir das Herz, wenn ich mich abwenden muss – aus rein statistischen Gründen. Muss ja dem Unglück auch seinen Anteil, seine Beute überlassen."
Moderator: "Ich bin einigermaßen geschockt. Du wirkst doch recht abgebrüht. – Wie ist Deine Leistungsbilanz? Was sind für Dich Erfolge?"
Glück: "Ich darf mir massig Fehler leisten. Auch der Reue die Treue halten. Man muss intensiv bereuen können. Aus Schaden wird man klug. Und es betrifft ja nicht mich persönlich. Ihr seid so etwas wie meine Versuchskaninchen – um es salopp zu sagen. … Die Kekse sind echt lecker! Und da sind Berliner. Mit was die wohl gefüllt sind?"
Moderator: "Mal schauen, ob Du Glück hast."
Glück pfeffert den Berliner angewidert in die Ecke.
Glück: "Na, da habt Ihr Euch ja richtig Mühe gegeben. Alle Scheußlichkeiten dieser Erde! Wow. Ich bin beeindruckt."
Moderator: "Tolle Frisur!"
Glück: "Ja, das sind Glückssträhnen. Ich treffe mich ab und zu mit Fortuna. Sie kann nicht nur hervorragend Bilanzen frisieren. Sie hat auch Phaetons Sonnenwagen frisiert."
Moderator: "Eigentlich wollte ich nur wissen, wie ich im Lotto gewinnen kann."
Der Moderator zückt den Kugelschreiber.
Glück: "Interessante Definition von Glück. Und so uneigennützig. Ist aber weit verbreitet bei Euch Menschen dieses Phänomen: kurzsichtig, engstirnig, kleinkariert, provinziell ..."
Der Moderator nutzt die Pause, als Glück Luft holt.
Moderator: "Ich will da mal dazwischengehen. Du meinst also, es liegt an uns, wenn wir kein Glück haben? Falsches Verhalten?"
Glück: "Nun, ich bin kein Psychologe – und die Bewirtung ist hundsmiserabel ... Ich habe überhaupt keinen Bock mehr zu antworten!"
Moderator: "Überaus aktiv warst Du ja nicht in der Historie; hattest wohl Besseres zu tun?"
Glück: "Das ist der Nachteil bei meiner Tätigkeit: Keinem fällt auf, was man da den ganzen Tag leistet. Man rackert sich ab ... Es sind die kleinen Triumphe, die winzigen Highlights – das könnte sich summieren – wenn man es denn bemerken würde. Aber Ihr habt die schöne Angewohnheit, Riesenpräsente zu erwarten, die ich Euch dann in feierlichen Momenten überreichen soll. Nee Du. Ich bin doch nicht Euer Dienstsklave."
Ein mechanisches Glücksschweinchen saust im Studio umher.
Glück: "Wie originell. Mich mit Symbolen bannen, mich herbeizitieren mit magischen Formeln."
Moderator: "Geht das denn? Was müsste man z. B. sagen?"
Glück: "'ne Menge Magie ist da schon im Spiel. Es ist z. B. unmöglich, Glück zu empfinden,
ohne die Magie des Augenblicks festzustellen, zu erkennen. Dass es etwas Besonderes ist; dass das ganze Leben eingebettet ist in ein Märchen. Die Magie, die Euch begegnet, vergesst Ihr, so wie Ihr Träume vergesst – eben noch waren sie präsent – schon wurden sie Euch genommen, einfach so. Heißt aber nicht, dass sie nicht da waren, dass Ihr sie nicht für echt hieltet; dass Ihr erneut jedes Mal wieder darauf hereinfallen werdet. Ich und meine Clique machen Euch was vor. Ihr seht immer nur Euren Zeitabschnitt. Das Bewusstsein spielt sich auf als Chef, stolziert da in seinem mentalen Büro hin und her. Es ärgert sich, dass es keinen unmittelbaren Zugriff hat auf das Glück, dass es sich ihm immer entzieht, wie eine Sekretärin, die nicht willens ist, sich verführen zu lassen."
Moderator: "Kein Flirt mit dem Glück? Keine andauernden Romanzen? Netter Vergleich."
Glück: