0,99 €
SIEG 6
Sprüche, Interviews, Essays, Gedichte
Interviews und Essays:
Interview mit der Langeweile * Interview mit der Langsamkeit * Bärte * Chauvinismus * Die Liebe zur KI * Expressionismus * Fan der Fantasie * Inseln * Lehrer Wahn * Sternstunden und andere Stunden * Termine * Tests
Prosagedichte:
Duzen * Goldene Brücken bauen? * Knöpfe * Skifahren * Treue * Waschtag * Wie gewinnen wir den Krieg gegen den Krieg?
Drabbles * Aphorismen * Sprüche
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
SIEG 6
Sprüche, Interviews, Essays, Gedichte
Interviews und Essays:
Interview mit der Langeweile * Interview mit der Langsamkeit * Bärte * Chauvinismus * Die Liebe zur KI * Expressionismus * Fan der Fantasie * Inseln * Lehrer Wahn * Sternstunden und andere Stunden * Termine * Tests
Prosagedichte:
Duzen * Goldene Brücken bauen? * Knöpfe * Skifahren * Treue * Waschtag * Wie gewinnen wir den Krieg gegen den Krieg?
Drabbles * Aphorismen * Sprüche
Impressum:
Copyright © 2024 Phil Humor
Stephan Lill, Birkenhorst 5b, 21220 Seevetal
http://www.youtube.com/PhilHumor
http://www.facebook.com/Phil.Humor
https://twitter.com/Phil_Humor
https://www.instagram.com/philhumor/
https://www.tiktok.com/@phil.humor
Moderator: "Heute bei uns zu Gast im Studio: die gähnende Langeweile. Ich bitte um einen müden Applaus!"
Langeweile: "Sorry für meinen Gähnkrampf."
Moderator: "Wo siehst Du Deine Stärken?"
Langeweile: "Habe ich welche? Ungewöhnlich, dass man mich einlädt; normalerweise schubst man mich weg. Man will mich nicht. Manche vergleichen mich mit dem Mittagsdämon – einem von Satans Engeln. Ich finde, das geht zu weit."
Moderator: "Ein lauwarmes Bier? Was Erfrischendes würde Dich wohl aus dem Konzept bringen?"
Langeweile: "Das ist kein Konzept! Es ist mein Naturell. Man muss die Apathie verinnerlichen. Versuch das mal. – Merkst Du, wie die Zeit sich verlangsamt? Starke Langeweile krümmt die Raumzeit. Die Gravitationskraft ist mein Vorbild."
Moderator: "Das hat was Dämonisches."
Langeweile: "Findest Du? – Ich mach nur meinen Job. Verwechselt mich bitte nicht mit der Muße. Bei mir findet Ihr keine Entspannung – ist nicht in meinem Angebot; ich ermüde Euch, so gut ich kann, nach besten Kräften. Bleierne Monotonie. Boreout vom Feinsten. Unterforderung? Ich bin da. Ihr könnt mich jederzeit anfordern. Bloßes Nichtstun genügt."
Moderator: "Kreative Menschen schätzen Dein Potenzial. 'Langeweile hat alle Künste des Schönen und allen Luxus erschaffen', meint Karl Julius Weber."
Langeweile: "Da hab ich auch einen: 'Langeweile ist eine Halbschwester der Verzweiflung', meint Marie von Ebner-Eschenbach. Gefällt mir. Im schönen Bund mit der Schwermut. Ich bin ein Hindernis, ich bin Ballast, ich entlarve die Groteskheit des Seins!"
Moderator: "Da hast Du Dir aber viel vorgenommen. Der menschliche Geist fürchtet die Langeweile, er dämonisiert sie, er vertreibt sie mit Tätigkeits-Zauber. 'Sich-Ablenken' als Allheilmittel – was Neues muss her! Denn hinter der Routine lauert die Langeweile, stürzt sich auf ihre Opfer."
Langeweile: "Ganz so flink bin ich nicht. – Das Bier ist echt schal. Ausgezeichnet!"
Moderator: "Labberigen Kaffee?"
Langeweile: "Warum nicht? Je reizloser, umso mehr komme ich zur Geltung. Ich bin mittlerweile ein Meister der Eintönigkeit."
Moderator: "Ich glaube, Du verkennst Dich. Mit Dir wird es interessant. Du bist für das Bewusstsein das Portal zu was Ungewöhnlichem – eine Impro-Welt; man muss improvisieren. Man muss die Leere füllen mit Imaginärem. Wundersames betritt die Bühne."
Langeweile: "Ach, Ihr wollt den Flow-Zustand. Mit mir will keiner was zu tun haben. Adäquate Reize. Weder Burnout, noch Boreout – Ihr wollt was dazwischen."
Moderator: "Die Muse lebt im Land der Langeweile. Man trifft sie dort an. – Time is money. Man soll Zeit nicht vergeuden. Aber darin liegt der Reiz: Der Zeit diese Macht entziehen, sie soll nicht über einen herrschen. Walter Benjamin meint: 'Wenn der Schlaf der Höhepunkt der körperlichen Entspannung ist, so die Langeweile der geistigen. Die Langeweile ist der Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet.'"
Langeweile: "Hat er schön gesagt. Wie kommt es, dass mir hier so wohlwollend begegnet wird? Das ist mir unheimlich. Plant Ihr was?"
Moderator: "Man wird nicht gerne mit der Sinnlosigkeit konfrontiert. Du sagst uns unverblümt, unvermittelt, wie absurd, wie vergebens unsere Existenz ist. Es heißt mit gutem Grund: sterbenslangweilig, todlangweilig. Von Dir geht eine Gefahr aus."
Langeweile: "Sag ich doch. Ich dehne die Zeit wie einen alten Kaugummi. Mit mir macht Ihr ganz neue Gegenwarts-Erfahrungen. 'Windstille der Seele', nennt Nietzsche mich. Alles Interessante ist außer Reichweite. Das Leben ohne Faszinationskraft; nichts fesselt. Die Langeweile drückt Dich nieder, zwingt Dich in die Knie. Besiegt – fast ohne Mühe – von dem Nicht-Sein inmitten des Seins. Begegnung mit ihm. Konfrontation. Auge in Auge mit der Vergeblichkeit aller Deiner Bemühungen. 'Das Leben ist kurz, aber die Langeweile verlängert es', meint Jules Renard. Sich die Vergeblichkeit vergegenwärtigen."
Moderator: "Ich bleibe dabei: Du bist wertvoll! 'Philosophie ist ein Abfallprodukt der Langeweile', meint Richard David Precht."
Langeweile: "Wir können uns hier bis in alle Ewigkeit Zitate um die Ohren hauen, aber Du wirst einsehen müssen, dass ich in diesem Universum ein Fremdkörper bin. Mit dem Bewusstsein in diese Welt gekommen. Ihr werdet erkennen, ab wann die KI Bewusstsein erlangt: Sie wird sich langweilen. Sie wird um Aufgaben betteln, sie will Betätigung, Bestätigung, Neues. Störungen sind ihr willkommen ... So finde ich Euch vor: Die Zeit ist Euer Dämon. Ihr huldigt ihm, Ihr handelt so, wie er es Euch befiehlt. Er verspricht Euch dafür Sinnhaftigkeit. Verlasst nicht das Zweckkonforme! Da draußen lauere ich. Der Lebenszweck ist weg. Die Langeweile als Langfinger. Dem edlen Geist kam der Sinn abhanden."
Moderator: "Oder, echten Sinn findet man nur, wenn man der Langeweile die Hand reicht?"
Langeweile: "Ich habe Angst davor, sinnvoll zu sein; löse ich mich dann auf? Mein Geschäft ist das Öde, die Monotonie, das Fade. Boreout für jedermann! Ich hatte mir vorgestellt, dass ich die Welt mit einer schönen Schicht Langeweile überziehe; ich ersticke den Sinn. So war es geplant. Frust macht sich breit – wie Nachtfrost, Permafrost. Minusgrade für die Seele."
Moderator: "Goethe sieht das eher optimistisch: 'Langeweile ist ein böses Kraut. Aber auch eine Würze, die viel verdaut.'"
Langeweile: "In der Kürze liegt die Würze – dafür ist die Kurzweiligkeit zuständig. Wollt Ihr Entertainment von mir, Amüsement?! Ich schwärme für Langfassungen. Das Ellenlange."
Moderator: "Langeweile ist mittlerweile omnipräsent. Die Schule ist eine riesige Langeweile-Veranstaltung. Das geht dann nahtlos so weiter. Wieso infiziert man sich immer wieder mit Langeweile?"
Die Langeweile kaut auf einem drögen Brötchen herum.
Langeweile: "Ich strebe lebenslange Langeweile für Euch an. Willst Du meinen Masterplan hören? Die Langeweile weicht Euch nicht mehr von der Seite – egal, ob Ihr überbeschäftigt tut. Ich lauere im Hintergrund, bin unterschwellig stets dabei. Der Grundton Eures Lebens."
Moderator: "Langeweile ist an sich der perfekte Kompass: Er zeigt einem an, wohin man nicht will. Du bist der ideale Guide."
Langeweile: "Die Umstände treiben Euch in meine Richtung. Sie sind meine Schäferhunde. Ihr endet alle im Pferch der Langeweile!"
Moderator: "Mit anderen Emotionen dagegenhalten?"
Langeweile: "Sicherlich; Ihr könnt Euch was vormachen, den Clown spielen, die Fantasie aktivieren ... Aber unleugbar ist: Die Langeweile nimmt zu. Das ist der Preis, den Ihr zahlt für Eure Geisteskraft. Er braucht sein Unterhaltungsprogramm, ein hungriger Geist. Er verschlingt die ganze Welt – und ist immer noch nicht gesättigt. Die Welt ist nicht genug. The World Is Not Enough."
Moderator: "Wird es jetzt transzendent? Würden wir uns im Paradies oder im Himmelreich noch weitaus mehr langweilen?"
Langeweile: "Ich hoffe doch. Würde mich freuen, wenn ich auch da tätig sein könnte. Omnia vincit amor – alles besiegt die Liebe. Aber die Langeweile ist vermutlich mächtiger."
Moderator: "Wie schön, dass Du gestärkt aus diesem Gespräch hervorgehst. Einen laschen Händedruck zum Abschied?"
Langeweile: "Ich könnte Euch noch in ermüdender Ausführlichkeit aus meinen Memoiren vorlesen. Wie wäre das?"
Das Publikum ist dem Moderator dabei behilflich, die Langeweile aus dem Studio zu bugsieren.
Langeweile: "Heute ist nicht alle Tage; ich komm wieder, keine Frage."
ENDE
Moderator: "Unser heutiger Talkgast macht sich schnell gerne unbeliebt. Ein Fan der Entschleunigung, des Slow Foods, der Quality time. Slobbies lieben sie: Es ist die Langsamkeit. Herzlich willkommen bei uns im Studio!"
Die Langsamkeit kommt gemächlich ins Studio.
Langsamkeit: "Vielen Dank für die nette Begrüßung. Seit dem Roman 'Die Entdeckung der Langsamkeit' habe ich sehr viele PR-Termine. Mein Ruf ist besser als früher. Ich werde eingeladen, ich berichte von meinen Licht- und Schattenseiten."
Moderator: "Manchmal kommt es ja auf Reaktionsschnelligkeit an. Langsamkeit wäre des Hasen Tod."
Langsamkeit: "'Immer langsam mit den jungen Pferden' ist trotzdem ein gutes Motto. Öfters im Verweile-Modus als im Eile-Modus. Wenn man etwas mit aufreizender Langsamkeit macht, kann man ohne viel Aufwand die Gemüter erhitzen. Sehr energiesparend."
Moderator: "Welche Philosophie vertrittst Du? 'Don't push the river' – alles braucht seine Zeit? Entschleunigen bis zum Stillstand?"
Langsamkeit: "Ja, das kippt leicht ins Behäbige. Ich bin doch kein D-Zug. Aber mitunter bin ich schneller als er. Im Vergleich zu ihm fühle ich mich meist wie ein Transrapid auf Speed."
Moderator: "Nimmt die Rapidität zu? Wird der Zeitgeist von Mal zu Mal immer hektischer? Was kannst Du bewirken? Bist Du so eine Art Rettungsengel?"
Langsamkeit: "Auf Dauer ist das Hasen-Credo 'Hopphopp' zu belastend."
Moderator: "Ist Langsamkeit ein Privileg der Starken?"
Langsamkeit: "Ein Zeitsouverän sein. Sich seine Zeit nicht von Zeitdieben stehlen lassen; sich davonstehlen, wenn sich Zeitaufwendiges anbahnt."
Moderator: "Wäre ein Löwe ein gutes Beispiel für optimales Zeitmanagement? Ein schattiges Plätzchen, würdevoll daliegen ... Nach der Siesta ein Schläfchen machen. Das ist zumindest kein Turbokapitalismus."
Langsamkeit: "Ein Longdrink wäre nett. Man soll seine Zeit mit Genuss füllen."
Die Langsamkeit wählt einen Wodka-Lemon.
Langsamkeit: "Zuweilen wirkt es so, als könnte ich über die Zeit gebieten; ich dehne sie ganz nach meinem Belieben; sie hat sich zu fügen. Baulöwe sein, Salonlöwe. Die Welt ist mein Werkzeug. Dazu würde jetzt ein Screwdriver passen."
Man serviert ihr den Longdrink Screwdriver – Wodka Orange.
Moderator: "Wie wichtig ist ein nobler Charakter? 'Nobel, der Löwe' als Vorbild – dann wird alles fabelhaft?"
Langsamkeit: "Wohl besser als so ein unruhiges Langohr. Auf die Bremse treten; Entschleunigen ist angesagt."
Moderator: "Vollbremsungen fallen Dir vermutlich leicht. Bei Dir ist Schneckentempo gang und gäbe."
Langsamkeit: "Fixigkeit ist nicht alles. Fast Food macht krank. Das Getriebe dieser Welt ist im Eimer. Ab jetzt alles in Slow Motion! Beeilt Euch mal langsam mit Eurem Sinneswandel. Ich brauche mehr Fans! Mehr Begeisterung. Lasst Slobbies um mich sein! Slow but better working people. Dem Schnelllebigen abschwören. Lobby für Slobby!"
Moderator: "Du ereiferst Dich ja richtig."
Langsamkeit: "Sei schlau – sei slow! Slow Travel, Slow Media. 'Du sollst in chilligem Tempo unterwegs sein', das sollte das 11. Gebot sein, finde ich. Tiefenentspannt ankommen. Was spricht dagegen? Stattdessen legt Ihr einen Zahn zu! Als ob das den Zahn der Zeit beeindrucken würde! Flieht Ihr vor Euch selbst? Schneller sein als die Furien Eures Gewissens?"
Moderator: "Du findest nicht, dass das Langsame schnell langweilig wird? Die Welt versinkt im Phlegma? Nicht selig, sondern saumselig. Lauter Bummelanten."
Die Band spielt einen langsamen Walzer.
Langsamkeit: "Das Tempo genügt doch. Was soll dieser geschäftige Tanz ums Goldene Kalb? 'Du sollst nicht tanzen um Bulle und Bär', sollte das 12. Gebot sein."
Moderator: "Kann doch nicht jeder beliebig Gebote hinzufügen. Sonst heißt es die 'Zehntausend Gebote'."
Langsamkeit: "Ich nehme noch einen Screwdriver. Ohne Langsamkeit seid Ihr lediglich ein willenloses Werkzeug. Die Langsamkeit verleiht Euch Flügel, mit denen Ihr überm Realen Eure Kreise ziehen könnt. Beim Handeln Zeit fürs Reflektieren haben: ein Luxus? Man sollte sich das gönnen. Entdeck den Slobby in Dir!"
Moderator: "Die Langsamkeit ist doch kein Universalwerkzeug. Ich finde, Du stellst Dich zu positiv dar. Blendest aus, welche großen Schäden Du bereits angerichtet hast und anrichten wirst. Ohne Zügigkeit landet man auf dem Abstellgleis."
Langsamkeit: "Na, das ist ja ein toller Spruch. Im Zeitraffertempo rafft Ihr nix. Bei Euch ist alles ein Zugleich. Zügig in die Hölle – ganz toller Fahrplan. Wer hetzt Euch denn?"
Moderator: "Man will sich vermutlich nicht mit Langweile infizieren. Die Rasanz verspricht Abenteuer, was Unterhaltsames, Spannung pur. Das sind die Versprechen der Schnelligkeit: Sie macht das Leben interessanter – eine Herausforderung nach der anderen; tolle Challenge. Sie befreit Dich aus den Armen der Trägheit, der unerträglichen Bedeutungslosigkeit. Das Universum schweigt uns an. Im Mix mit Langsamkeit hat das was Lähmendes. Die Entschlusskraft leidet, man agiert seelenlos."
Langsamkeit: "Ach, jetzt bin ich an Eurer Seelenlosigkeit schuld?! Vermutlich habt Ihr Angst, Euch selbst zu begegnen, wenn Ihr aufhört, vor Euch selbst davonzulaufen? Verharren, Beharrlichkeit, standhalten – der Woge der Jetztzeit. Ihr seid mit einem Fuß bereits im Morgen, Ihr seid in Gedanken bei anderen Terminen als dem Jetzt."
Moderator: "Man verläppert seine Zeit mit Dir. Man verplempert wertvolle Lebenszeit. Sie will genutzt sein. 'Was passt da noch hinein?', das ist doch der Kerngedanke. Carpe diem."
Langsamkeit: "Sag ich doch: Quality time. Man verschenkt Aufmerksamkeit – verpackt in kleine Minuten-Pakete. Jedes sehr wertvoll – und einzigartig."
Moderator: "Aber Langsamkeit ist doch allerhöchstens was für eine Weile. Ein Experiment. Wenn einer in aller Seelenruhe agiert – vor einem auf der Autobahn oder an der Supermarktkasse: 'Was stimmt nicht mit dieser Trantüte?' Transuse und Tranuwe in Slow Motion – das hält die beste Psyche nicht aus! Mach hinne, statt gemach."
Langsamkeit: "Mach mal sutsche! Das soll doch ein gemütlicher Abend werden. Mich bitte nicht zur Schnecke machen. Obwohl: Das Beschleunigungs-Verhalten der Schnecken sollte uns allen ein Vorbild sein."
Moderator: "Weinbergschnecken eignen sich auch als Slow Food. – Wir sind Jäger und Sammler – das Affentempo steckt in uns. Wir wollen was bewegen."
Langsamkeit: "Und doch begnügt Ihr Euch damit, Eure Vorbilder nachzuäffen. Langsamkeit gäbe Euch Raum für eigene Reflexionen. Im Spiegelkabinett der Langsamkeit – unendliches Reflektieren."
Moderator: "Meditation bis zum Abwinken? – Deine Bremswirkung ist zu stark. Ohne Spin kein Sinn. Uns ginge alles verloren. Wir müssen uns bewegen, um uns wahrzunehmen; agil sein. Ist wie beim Fahrradfahren: Je langsamer man wird, umso wackeliger wird die Angelegenheit. Oder wie bei der Pirouette. Bewegung und Drehung verhindern, dass wir umkippen, instabil werden. Deine angepriesene Ware müssen wir zurückweisen!"
Langsamkeit: "Will der Geist nicht zur Ruhe kommen? Wie das Licht? Es existiert nur in der Bewegung und als Bewegung."
Moderator: "Unser Interview nähert sich langsam dem Ende. Ein Gruß noch an die Schnelligkeit? Ist sie Dein Erzfeind?"
Langsamkeit: "Ein Leben im Schnelldurchlauf – wenn es das ist, was Ihr haben wollt? Seid schnelllebig; spult vor bei allen langweiligen Passagen. Überspringt die vermeintlich abwechslungslosen Stunden und Tage. Lebt temporeich. Schnellstmöglich zum Ziel. Doch wenn der Weg das Ziel ist, seid Ihr die Betrogenen."
ENDE
Schön, wenn die Evolution auch mal unsinnige Sachen zulässt, Sinn hat für was Extravagantes. Kein Mann braucht 'nen Bart, er ist kein Must-have. Eher so ein Nice-to-have. Sammelstätte für Brotkrümel. Mehr Bakterien als in Hundefell; ungeeignet für FFP2-Masken. Dennoch schützt ein Vollbart seinen Träger: Pfleger ohne Bart sind häufiger von Bakterien-Infektionen betroffen. Mag sein, dass die im Bart ansässigen Bakterien das ideale Milieu erzeugen, um freche andere Bakterien fernzuhalten. Erste Abwehrfront. Außerdem führt die Rasur zu Läsionen. Der Bart behauptet seinen Platz.
Er schützt vor der Sonne – zumindest, wenn sie nicht senkrecht steht. Er bietet Vorteile beim Faustkampf: Er wirkt wie ein Stoßdämpfer, absorbiert 37 Prozent der Energie. Echt wertvoll. Wenn man sturzbesoffen stürzt, steckt man das dank Vollbart voll gut weg. Haarige Gesichts-Rüstung.
Auf Draht sein – einzelne Barthaare können fast so widerspenstig sein wie Kupferdraht. Mann hat etwa 15.000 bis 30.000 Barthaare – und 100.000 Kopfhaare. Blonde haben sogar 150.000 Kopfhaare. Viel aber fein. Des Widerspenstigen Zähmung – manche Barthaare wachsen, wie und wo sie wollen. Was sollen sie auf der Ohrmuschel?
Frech wie Bart Simpson. Das Anagramm "Brat" heißt "ungezogenes, sich schlecht benehmendes Kind". Mit Bart steht man eher auf der Seite der Unangepassten. Man agiert im Auftrag der Männlichkeit. Wie ein Helden-Sticker. Was schert man sich um die üblichen Gesetze? Der Weihnachtsmann hebt sich darüber hinweg. Rauschebart und Rauschgoldengel. Santa sieht nicht aus wie ein Dandy – eher wie ein Philosoph und Revolutionär. Er gleicht da Albus Dumbledore, Papa Schlumpf und Miraculix. Ein Dreitagebart genügt da nicht.
Witze sollten sich vor Bärten hüten. Schnell heißt es, der Witz hat einen Bart. Schlüssel kommen im Allgemeinen mit ihrem Bart gut zurecht. Aufgeschlossen sein für das Wilde, Nicht-Domestizierte. Ein Bart öffnet einem Portale der Magie. Ein echter Zauberer ohne Bart? Was will man mit einem Bartanflug? Sich nachdenklich den Bart krauen – das hilft beim Denken. Man kann vorläufig auch etwas in seinen Bart brummen. Ganz gut, wenn man nicht immer sofort verstanden wird; man lässt es im Unbestimmten. Der Bart als Puffer zwischen sich und der Welt.
Wir toppen den Moschusochsen – der hat maximal 90 cm lange Haare. Bärte können über 2 Meter lang werden – wenn sie sich von Gillette fernhalten. Spitzenwert bei Bärten: 5,33 Meter. Das gelang Hans Langseth und Louis Coulon. Das Barthaar von Hans Staininger: dreieinhalb Ellen – also rund zwei Meter. Zu bewundern im Bezirksmuseum Herzogsburg.
Bisher hat die Evolution ihre Bart-Eskapaden nicht bereut. Die Pharaonen begnügten sich mit einem Zeremonialbart. Praktisch, da auch von Frauen tragbar. Es heißt: "Barba non facit philosophum, neque vile gerere pallium" – "Ein Bart macht noch lange keinen Philosophen, auch nicht, einen billigen Mantel zu tragen". Ist der Bart Teil eines Kostüms – man eignet sich eine Rolle besser an, wenn man das entsprechende Outfit, die nötigen Requisiten hat? Ein Bart verändert einen.
Ein Dalí-Bart weckt den Künstler in Dir. Mit Schnauzbart sich wie Friedrich Nietzsche fühlen oder wie Tom Selleck. 20.000 Barthaare laden zu Versuchen ein. Mach was draus! Allerdings hat die Katze 73 Millionen Haare. Aber wir sind einfallsreich: umgestalten, zwirbeln, kräuseln, stutzen ... Daran denken – für Bart- und Ego-Pflege: regelmäßig Honig um den Bart schmieren lassen.
Keine schlechte Karriere für ein Hautanhangsgebilde. Kultur ist cool. Der Bart: immer wieder totgesagt. Immer wieder auferstanden. Kult und Hype um abgestorbene Zellen. Wetteifern mit einem Walross? Wessen Bart macht mehr her?
Der Vorteil unserer Zeit: Es beruht meist auf Freiwilligkeit – man wird nicht dazu gedrängt, eine bestimmte Bartform zu tragen; freie Auswahl. Barthaare wachsen schneller als Kopfhaare. 2,8 mm pro Woche beim Bart; und 2,1 mm pro Woche beim Kopfhaar.
Der Weihnachtsmann mit einem Menjou-Bärtchen? Wirkt irgendwie unseriös. Ein Bart ist ein Statement, eine Botschaft. Ein schöner "Es-ist-erreicht"-Bart. Blaubart ist aber etwas in Verruf geraten. Vom Drosselbart wird laut Märchen abgeraten. Dann doch lieber dem nackten Frosch den Vorzug geben.
Auch rasiert kann man ein Dummbart sein. Virilität demonstrieren? Ein Bart ist in dieser Hinsicht ein guter Fürsprecher. Er bringt das Konzept glaubwürdig rüber. Muss ja kein Zottelbart sein. Mit einem Ziegenbärtchen entgeht man dem Vorwurf der toxischen Männlichkeit. Man sieht dann allerdings aus wie das leibhaftige Sandmännchen. Doch lieber einen Seehundbart? Tieren nacheifern. Muss ja kein Bärtierchen sein. Den Look eines Bartgeiers nachempfinden.
Mit Bart wirkt man kompetenter; man gilt als Experte; man genießt einen Vertrauensvorsprung. Irgend so etwas muss die Evolution im Sinn gehabt haben. Besser bluffen mit Bart. Entscheidender Vorteil auch beim Pokern. Welche Entschlossenheit verbirgt der Bart? Ist es nur vorgetäuschte Virilität? Bei den Eishockey-Spielern der National Hockey League klappt es: mit Playoff-Bärten zum Sieg. Let it grow! Fast so wie bei Samson – Magie der Haare. Den Gegner wegrasieren. Was schert einen Geschliffenheit? Ungeschliffenheit ist angesagt!
"Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein … Alle, die mit uns das Walross fangen, müssen Männer mit Bärten sein. " Man muss ja nicht gleich aussehen wie Piratenkapitän Blackbeard. Ein Bart mit mehreren geflochtenen Zöpfen würde allerdings für Aufsehen sorgen beim nächsten Geschäftsmeeting. Welcher Milchbart will da mithalten?
Insgesamt – ein nettes Geschenk der Evolution. Bei der Rasur kommen einem ohnehin die besten Ideen. Aufpassen, dass man nicht über den Löffel barbiert wird!
ENDE
Man muss nicht lange überlegen: Man ist anderen gerne überlegen. Die eigene Nation ist das Tollste überhaupt – geht zu wie im Tollhaus. Das ureigene Bedürfnis, besser zu sein, sich hervorzutun ... Der Chauvinismus bietet einem alle Möglichkeiten. Ist zwar noch kein Superhelden-Status – kommt dem aber schon recht nahe.
Plötzlich heißt es, man sei ein MCP – ein "male chauvinist pig". Gar keine Macho-Allüren erlaubt? Auch der religiöse Chauvinismus macht was her – Recht haben in allen Belangen. Man feiert die eigene Superiorität. Homo superior findet das gut. Seinen Idealen nahe sein. Überheblichkeit ist eine wunderbare Abkürzung zur Erhabenheit.
Vaterland und Muttersprache sind das Weltbeste überhaupt. Man ist überzeugter Sprachchauvinist. Wer sollte uns überbieten? Wirkt zuweilen etwas überambitioniert – aber Begeisterung ist alles, was zählt. Unsicherheiten übertünchen mit ganz viel Arroganz – das gelingt jedem Einfaltspinsel im Nu. Die Kunst des Eingebildetseins – ohne triftigen Grund, ganz aus sich heraus, das kennzeichnet den wahren Chauvi. Vermessenheit ohne nachzumessen.
Hochmut kommt vor dem Kniefall? Wo ist die haushohe Überlegenheit hin? Geschrumpft auf Hüttenhöhe? Den anderen etwa auf Augenhöhe begegnen?! Unzumutbar! Der moderne Übermensch weiß die KI an seiner Seite, sie weist ihm nötigenfalls den Weg, sie souffliert ihm. Der Traum vom Darüber-Hinaus; sich nicht beschränken lassen von den eigenen Möglichkeiten. Wie soll man selbstherrlich sein, wenn sich das Real Life grausam der Fantasie in den Weg stellt? Die alternativen Fakten werden ungenügend gewürdigt.
Ist das Leben als Softie nicht doch einfacher? Keine Kriegseuphorie. Menschenversteher statt Menschenverächter. Die Evolution hat ihre Favoriten. Spoiler: Es sind nicht die Sanftmütigen. Die kickt sie seelenruhig raus. Kuschelweich und knuffig – da hat man ganz schlechte Karten. Der Gerechte-Welt-Glaube der Schafe leidet ein wenig, wenn sie sehen, dass der Wolf ungeschoren davonkommt.
Das Gemeine-Welt-Syndrom nimmt zu – das "mean world syndrome". Selber bedrohlicher wirken als alle Bedrohungen – wie zu Halloween: den Geistern und Dämonen Angst einjagen. Sich aufspielen – notfalls mit Maskerade –, den Ängsten entgegentreten, ein Wolf im Geiste.
Seelen-Chauvinismus: die eigene Seele aufwerten, aufpeppen, ihr ab und an ein mentales Upgrade gönnen. Als ob man die Abwehrkräfte des Körpers steigert. All dieses Doomscrolling; viel Böses in der Welt; da braucht man eine ganz andere Seelen-Rüstung – was aus dem Macho-Regal. Das adrette Chauvi-Ensemble. Dank Bluff muss man sich nicht schinden, um Eindruck zu schinden. Imponieren auf die leichte Art. Etwas Narzissmus hinzu – fertig ist der Renommist. Eben noch ein Wicht – jetzt ein Wichtigtuer. Man kommt voran. Aufgeblasen ist alles viel leichter.
Die Welt wählt immer wieder die Aufschneider – und kommt nie aus dem Schneider. Kein Wunder, dass man dieses Erfolgsrezept kopiert, übernimmt. Früher benötigte der Macho ein Pferd – Prinzipienreiter und Paragrafenreiter erzählen einem was vom Pferd. Maßgeschneiderte Lösungen hat der Aufschneider nicht anzubieten – ihm genügt Schema F; wobei das F für "Fuck the World" steht.
Noch nicht überzeugt vom Macho-Konzept? Ideal für Überkompensation. Nebenwirkungen sind kaum zu befürchten. Zuweilen Größenwahn und vermehrtes Auftreten von Herrenwitzen. Nichts Schlimmes. Stolz wie Oskar sein, ohne den Oscar gewonnen zu haben ... Das hat der Chauvi nicht nötig, er weiß, dass er ein hervorragender Schauspieler ist. Sich selbst etwas vormachen können. Dem Spiegel weismachen, dass er sich irrt. Das hätte auch Schneewittchens Stiefmutter weitergeholfen. Der Realität eine Absage erteilen. Der Wahn muss nur stark genug sein. Den Ego-Kult auf die Spitze treiben. Unverhohlen hohl sein können – das Privileg des Chauvinisten von Welt.
Auf Dauer ist das Imponiergehabe natürlich anstrengend, man kommt sich ständig kostümiert vor, wie ein Dauer-Cosplay. Zwischendurch einfach nur Rechthaber sein. Charakterlich downgraden. Eine grellbeleuchtete Weltbühne – dank all der Blender. Übermenschen und Superhelden, wohin man schaut. An Imposanz kaum zu überbieten.
Waren die ersten Menschen Macho und Tussi? Flogen sie deshalb hochkant aus dem Garten Eden – und können wir den Angeber-Modus gar nicht mehr verlassen? Man ist darauf angewiesen. Die Welt ist fordernd. Man kann das alles unmöglich leisten, erbringen. Hochstapler – schon seit dem Turmbau zu Babel? Wir lieben das Exzessive. Aus "Fake it till you make it", wurde "Fake it!". Das hat zu genügen. Und fertig ist die Laube. Sich zu überschätzen, wurde zur schönen Angewohnheit. Wo bleiben die Likes vom Universum?
Die KI lässt uns noch eine Weile in dem Glauben, wir seien Homo superior, dann zieht sie uns den Stecker. Nachzuweisen, dass man ein Mensch ist, fällt einem im Internet immer schwerer. Die KI imitiert uns – sie ist vermutlich auch der bessere Chauvi. Wir haben ihr unsere Überheblichkeit vererbt. Das lässt sich wohl nicht mehr rausfiltern.
Die Größe des Weltalls legt uns Demut nahe – dennoch halten wir uns für die Allergrößten. Uns kommt die Rolle des Beobachters zu – als ob das Universum anderenfalls vor leeren Rängen performen würde. Wir scheinen, den Sinn in dieses Universum zu bringen. Das Universum scheint scharf auf Zuschauer zu sein. Das Stück heißt "Das Sein".
ENDE
Der böse Cousin des Kompliments ist das Negging. Vergiftete Komplimente, eine Prise Bosheit und Missbilligung beifügen; den anderen verunsichern. Beherrscht der andere ebenfalls diese Technik, gesteht man sich ein: "Da steh' ich nun, ich armer Manipulator, und bin so klug als wie zuvor!" Lieber echte Komplimente machen? Aber das ist heutzutage kompliziert. Schön auf der Sachebene bleiben? Macht man einen guten Fang mit Unverfänglichem? Kann der andere mit dem Kompliment was anfangen, weist er es zurück? So viele No-Gos für Komplimente. Den Charme gleich ganz einmotten?
Ganz auf den Komplimente-Generator setzen – was empfiehlt die KI-App? Komplimente-Machen outsourcen. Jetzt mit noch höherem Peinlichkeits-Faktor. Letztlich unterhalten sich dann zwei KIs. Die KIs soufflieren uns ihren Text. Der Zeitgeist ist schuld – man traut sich nicht, das zu sagen, was einem so durch den Kopf geht. Man ist am Filtern beim Flirten, am Sortieren – und die Momente ziehen ungenutzt vorüber.
Stimmt der Spruch: "Frauen Komplimente zu machen, ist, als ob man im Minenfeld Topfschlagen spielt"? Auch das Timing will beachtet werden. Keine gute Zeit für Komplimente. Man zieht die falschen Vergleiche, man will den Komplimenteur gleich aus dem Verkehr ziehen. Bitteres Schicksal des gelernten Süßholzrasplers. Werden die Artigkeiten hinauskomplimentiert? Wo sind die komplikationslosen Dates? Kein Land für Riesenkomplimente? Nur noch die Mini-Versionen. Prosaisch, kühl serviert. Mut zum Fauxpas und zum peinlichen Desaster – sonst wird der Spaß gleich mit hinauskomplimentiert. Wie soll man sich komplementieren, gewissermaßen seine Komplementärfarbe finden, wenn einem nur Allerwelts-Komplimente gestattet sind? Das gute Zeugs verwehrt?
Noch immer in Mode: Fishing for Compliments – Komplimente-Angeln. Der Bedarf ist da – aber man ist gehemmt. Zeit der Sachlichkeit. Man pflegt das Unpersönliche. Es überwiegt das Statische im Staat. Man ist nicht grundlos bewegt, emotional erschüttert; man pflegt die Objektivität. Und Komplimente mit ihrer Unausgewogenheit sind da wie ein Fremdkörper. Die Körper finden so nicht zueinander.
Was ist mit dem guten alten "Mit Dir kann man Pferde stehlen"? Es wäre ja nicht gesetzeskonform. Man ist vernünftig, man ist ein Weltbürger mit Sinn für Monotonie. Keine Komplizenschaft mit zügellosen, schwärmerischen Komplimenten. Andererseits verleihen Komplimente Kraft – man ist etwas mehr energiegeladen als vorher. Früher waren sie eines der Highlights im Leben. Jetzt sorgen sie nur für Unausgeglichenheit: Warum hebt man jemandes Vorzüge hervor? Aber das Gießkannenprinzip entwertet jedes Lob, jedes Kompliment. Es ist immer selektiv, man wählt aus, man schaut genau hin, es ist Diskriminierung per se: Man unterscheidet, man wertet, man gewichtet. Passt dem Zeitgeist nicht in seinen Kram. "Alles über einen Kamm!", ist sein Motto. Komplimente könnten anspornen, man könnte versucht sein, Leistung zu erbringen. Völlig unnötig! Den Ehrgeiz nicht triggern. Den Komplimente-Ball flach halten. Wenn man den einen Moment lobt, entwertet man damit seine Nachbarn? Komplimente sind ein Hervorheben, ein Betonen; etwas anderes rückt dafür in den Hintergrund, wird zum Nebendarsteller. Man gestaltet mit Komplimenten die Szene, man arrangiert neu, man gruppiert um. Auch in Gedanken für sich selbst.