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SIEG 5
Storys, Interviews, Essays, Gedichte
Storys und Interviews:
Halluzino-Gen * Katzenmusik * Musik und das Meer * Interview mit der Farbe Blau * Elefantenrunde * Interview mit dem Buchstaben W * Interview mit dem Gemälde "Die Schule von Athen" * Interview mit dem Präfix UN * Interview mit der Ehrlichkeit * Interview mit der Misanthropie * Interview mit der Pflicht * Interview mit der Zahl Drei * Interview mit Manga * Interview mit meinem Computer * Interview mit Olympia * Interview mit UNG * Interview mit Weihnachten
Essays:
Ach, Du lieber Schreck! * Aktionismus * American Gothic * Berlinerisch * Berufswünsche * Cosy-Krimi * Deutsche Bahn * Die Bedrohung * Filmzitate to go * Flanieren * FOMO, FOBO, YOLO * Götter, Gräber und Gelehrte * Happy little accidents * Helden * Hunde * Jäger der Aha-Momente * Die große Welle vor Kanagawa * Lebe Dein eigenes Leben, nicht das der anderen * Lebensmottos * No way * In einer römischen Osteria * Provokationen lohnen * Sich aufregen bringt Segen * Thriller * Ulysses * Verpackungen * Vom Suchen und Finden * Yoga und Meditation
Gedichte:
Abendspaziergang * Ächzen mit Experten * Akzep-Tanz * Arbeit und Faulheit * Aufs richtige Pferd setzen * Belesen * Ein Roman wächst * Enten * Fabeln * Feste * Festgetäut * Formulare * Ganz schön smart * Glücksspiel * Haus an Haus * In Form * Kerzenschein * KI und Kunst * Koch * Luftballons * Macken, Spleens, Marotten * Prioritäten * Saat * Schatztruhen * Schmierentheater * Schränke * Tepp-Ich * Verloren
Drabbles:
Gedichte-Denksport * KI-Schach * Welt als Denksportaufgabe * In Amt und Würden * Ämter * Raumfahrer * Raumfahrt * Erfahren * Experten * Taktiken * Buchstabensuppe * Lauter Teufelsbraten * Kunst und Ästhetik * Kunst und Wissenschaft * Kunst und Kitsch * Kunst der Selbstbeherrschung * Sprichwörter - hier werden Sie geholfen! * Sprichwörter im Arbeitsalltag * Tipps im Umgang mit Sprichwörtern * Weihnachtsstimmung * Besinnlichkeit * GEMA * Lebkuchen, Dominosteine & Co.
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SIEG 5
Storys, Interviews, Essays, Gedichte
Storys und Interviews:
Halluzino-Gen * Katzenmusik * Musik und das Meer * Interview mit der Farbe Blau * Elefantenrunde * Interview mit dem Buchstaben W * Interview mit dem Gemälde "Die Schule von Athen" * Interview mit dem Präfix UN * Interview mit der Ehrlichkeit * Interview mit der Misanthropie * Interview mit der Pflicht * Interview mit der Zahl Drei * Interview mit Manga * Interview mit meinem Computer * Interview mit Olympia * Interview mit UNG * Interview mit Weihnachten
Essays:
Ach, Du lieber Schreck! * Aktionismus * American Gothic * Berlinerisch * Berufswünsche * Cosy-Krimi * Deutsche Bahn * Die Bedrohung * Filmzitate to go * Flanieren * FOMO, FOBO, YOLO * Götter, Gräber und Gelehrte * Happy little accidents * Helden * Hunde * Jäger der Aha-Momente * Die große Welle vor Kanagawa * Lebe Dein eigenes Leben, nicht das der anderen * Lebensmottos * No way * In einer römischen Osteria * Provokationen lohnen * Sich aufregen bringt Segen * Thriller * Ulysses * Verpackungen * Vom Suchen und Finden * Yoga und Meditation
Gedichte:
Abendspaziergang * Ächzen mit Experten * Akzep-Tanz * Arbeit und Faulheit * Aufs richtige Pferd setzen * Belesen * Ein Roman wächst * Enten * Fabeln * Feste * Festgetäut * Formulare * Ganz schön smart * Glücksspiel * Haus an Haus * In Form * Kerzenschein * KI und Kunst * Koch * Luftballons * Macken, Spleens, Marotten * Prioritäten * Saat * Schatztruhen * Schmierentheater * Schränke * Tepp-Ich * Verloren
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Aphorismen
Nach der Einnahme von Zauberpilzen bekommt ein Waldspaziergang eine ganz andere Qualität. Langweilige Bäume beginnen, von innen heraus zu leuchten; es wird elfenartiger. Ist das Bewusstsein erweitert, war die Welt schon immer so skurril? Wie auf einem anderen Planeten. Alles malerisch, fotogen. Das Halluzino-Gen ist aktiviert.
Man ist unentschlossen: War das Vorherige die tatsächliche Version oder hatte man bisher zu viele Filter vor der Linse? Das Bewusstsein weiß nicht, was es davon halten soll; tolle Farben. Ein Leben ohne Rausch hat was Ernüchterndes; zu sachlich. Man hat keinen Kontakt zu sprechenden Bäumen, die sich gerne mal in gigantische Pilze verwandeln und sich wie eine stilvolle Straßenlaterne fühlen. Sind es Straßenlaternen? Sie vermögen offenbar, Mehreres gleichzeitig zu sein. Sehr wandelbar.
Der Himmel beschließt, heute auch etwas geheimnisvoller auszusehen. Es ist nicht das übliche Blau; das kann ja jeder; sich verfärben, Nachtfarben hineinmischen. "Selber leuchten", das scheint das Motto dieses Abends. Innere Leuchtkraft effektvoll einsetzen. Das Bewusstsein fühlt sich sehr erweitert, als ob es einen Geistes-Spagat machen muss. Toller Trip – besser als in Disney World.
Der Fluss könnte auch eine Straße sein. Er will sich da wohl nicht so genau festlegen. Er genießt mehr Privilegien als sonst, er hat Sprecherlaubnis. Er raunt einem etwas in einer fremden Sprache zu. Wo ist ein Bäume-Dolmetscher, wenn man ihn braucht? Sie reden eindringlich auf mich ein; starkes Mitteilungsbedürfnis. Es nützt nichts, nur ein guter Zuhörer zu sein – ich verstehe sie nicht wirklich. Ich stelle Vermutungen an – über ihr Befinden, ihren Zustand. Sie wirken enttäuscht; sie verblassen. Die Zeit schlecht genutzt; das Ungesagte trennt uns.
Der Kater Verdi lebte im Märchenwald. Seine Vorbilder waren der gestiefelte Kater und die Katze aus dem Ensemble der Bremer Stadtmusikanten. Karriere machen mit Katzenmusik, Einlass finden bei Hofe – und möglichst nicht durch die Katzenklappe; stilvoller.
Sein bevorzugtes Instrument war die Geige. Die Pauke war vor ihm geflohen. Es war die Rede von Misshandlung. Sie wollte nicht weiter malträtiert werden. Sie hielt ihm eine überaus laute und lange Standpauke. Er war direkt froh, dass sie dann das Weite suchte.
Die Amsel bot ihm an, ihm die Flötentöne beizubringen. "Bei Hofe sagt man alles flötend."
Vielleicht brauchte er andere Vorbilder? Abgehen wie Schmidts Katze – auch so sportlich sein? Herrlich unentschlossen wie Schrödingers Katze. Eine Hamlet-Variante: Sein und Nichtsein. Wäre interessant. Würde Musik ihm helfen, quietschfidel zu sein? Sich am Sisyphus-Dasein erfreuen – so wie Tom, der immer wieder bei Jerry scheitert, ein Waterloo nach dem anderen? Ein Waterloo-Sammler. Es war gar nicht so einfach, geeignete Vorbilder zu finden.
Wollte er eine Grinsekatze sein? Was waren seine Ziele? Immer scheitern – obwohl der Gegner lächerlich klein ist? Wie erbärmlich ist das denn? Spielten Katzen immer in der Loser-Liga? Sylvester wird besiegt von einem Piepmatz. Kater Karlo wird fertiggemacht von einer Maus! Was lief da verkehrt?! Lucky ist ständig auf der Flucht vor einem verfressenen Stofftier-Alien. Alles keine ernstzunehmenden Gegner.
Er richtete seine Fragen an die Geige – sie forderte ihn auf, mit ihr gemeinsam was zu komponieren. "Probleme in Noten packen – da gehören sie hin! Lass mich Dich verändern. Ich verwandle Dich. Nach dieser Kur hast Du Musik im Blut", versprach die Geige. "Das Nachdenken verträgt sich gut mit dem Fiedeln. Ich bin zwar keine Zaubergeige, aber ich verspreche Dir magische Schwingungen, die alles verändern."
Kater Verdi blieb skeptisch. "Man sollte der Welt geben, was sie will. Rebhühner zum Beispiel. Handelsgüter."
"Dann sei katzenfreundlich, katzbuckle – aber ich fürchte, Deine Bemühungen sind für die Katz. Manchmal ist das, was man wirklich will, nur einen Katzensprung entfernt", belehrte ihn die Geige.
Das Meer hatte mal wieder Zeit, nachzudenken. Es hatte keine Lust mehr "Schiffe versenken" zu spielen. Die verdammten Dinger wurden immer robuster. Selbst den Klabautermännern war die Lust auf Schiffsreisen vergangen; einige von ihnen lebten allerdings im Ruhestand auf Kreuzfahrtschiffen. Geister und Gespenster sollten durch KIs ersetzt werden. Die KI würde von der Magie nicht viel übrig lassen.
War das Meer sicher? Es war doch per se magisch, mystisch. Sollte es anfangen, sich Sorgen zu machen? Hatte es Angst vor der übergroßen, alles verschlingenden Ratio? Es selbst galt als übergroß. Man hatte Respekt vor ihm. Aber es war auch nur pure Mathematik; nichts als ein paar Formeln, wie ihm die Musik versichert hatte. Die Musik klang trauriger als sonst. Auf Logik reduziert. Sie war äußerst bekümmert. Das Meer hielt sich selbst für hochmusikalisch. "Brandungs-Geräusche in e-Moll" war derzeit sein Favorit. In der Musik ging es geordnet zu. Das war eine Versuchung: nicht ungestüm sein, koordiniert, mal kein Chaot sein.
Die Menschen sprachen von Dächermeer und Häusermeer; es wollte einzigartig sein, nicht austauschbar; es suchte den Kontakt zu den Menschen; deren Bewusstsein hatte etwas zerstörerisch Faszinierendes. Wie etwas Verbotenes. Neulich stand eine Frau am Ufer und spielte eigens für die untergehende Sonne ein Lied auf ihrer Geige. Erst dachte das Meer, dass die Töne ihm galten. Aber es ging darüber hinaus.
Es gab sich Mühe mit seinen Wellen – aber vermutlich bemerkte keiner die ausgeklügelte Choreografie. Es sollte sich nicht wiederholen. Ob wohl das ganze Universum Musik war? Man war nur nicht geschult genug, das Melodiehafte in allem wahrnehmen zu können? Das Wattenmeer war seltsam; man musste sich dort gelegentlich zurückziehen; gab da so ein uraltes Mond-Gesetz. Es sollte Unterricht bei der Musik nehmen. Neuerdings spürte es den Wunsch, was Unerhörtes zu komponieren; aber es misslang ihm, es waren Wiederholungen.
"Versuch es mit Swing", hatte ihm die Musik geraten, "das liegt Dir. Denk an Deine Wellennatur. – Oder Blues." Beim Schimmern war es auf die Sonne angewiesen. Manchmal fühlte es sich wie eine Geige ohne Saiten. Stumm. Unbespielbar. Dann musste die Sonne kommen, seine Lebensgeister wecken. Es ermuntern. Aber es war doch nicht okay, nur seine Oberfläche toll zu finden? Das Glitzern, das Funkeln. Ohne Sonne erstarb in ihm etwas. Die Fische gingen ihren Tätigkeiten nach. Für sie war das Meer Alltag. Bei den Menschen war es anders: Sie schauten das Meer immer bedeutungsvoll an, als ob sie erwarten würden, dass da Neptun oder Poseidon auftauchen würden – oder zumindest eine Meerjungfrau. Hatte es alles nicht zu bieten. Dennoch musste es weiterhin so tun, als hätte es Mythen-Schätze. Aura war ihm wichtig. Was sollte es mit einem mathematischen Charisma? Das klang wie ein Konstrukt. Es war kein Bauwerk. Es hatte Seele.
Und jetzt rückte die KI an. Sie würde alles offenbaren – sie würde bloßlegen, dass das Meer ein großer Täuscher war. H2O zu sein – damit hatte es sich schon längst abgefunden. Aber in ihm eingewoben war Mystik, war Seele. Das wollte es nicht so kampflos hergeben. Es war wild entschlossen. Eine kämpferische Arie würde jetzt gut passen. "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist" – dieses Zitat von Victor Hugo fiel ihm ein. Es sollte sich mit der Musik noch inniger verbinden. Sie waren Bündnisgenossen.
"Die Menschen empfinden uns beide als gewaltig; wir sind eine Sensation. Verlieren wir uns in Wiederholungen?", wollte das Meer von der Musik wissen. "Die F-Musik nimmt zu – die funktionale Musik. Allgegenwärtig und meist lästig. So will ich nicht sein! Das ist nicht meine Bestimmung. Fahrstuhlmusik, in Telefonschleifen ... Ich kriege die Krise!" Das Meer hatte Mühe, die Musik zu beruhigen.
Aber die Gespräche mit der Musik verliefen immer ähnlich; sie flippte leicht aus, war kapriziös; aber das durfte man ihr nicht sagen. "Es heißt, dass Johannes Brahms mit einem Freund am Strand spazieren ging, der sich beklagte, alle gute Musik sei schon geschrieben worden. 'Oh schau', sagte Brahms und zeigte aufs Meer hinaus. 'Da kommt die letzte Welle." zitierte das Meer Terry Pratchett. Es erschien ihm praktisch – die Musik auf das philosophische Gleis schieben. Grübeln half ihm selbst stets sehr gut. "Wenn man Tiefe hat, sollte man auch dazu stehen" – mit solchen Sprüchen machte es sich selber Mut.
"Ich bin nur Reprise. Was soll ich anderes tun, als mich selbst zu zitieren!?", klagte die Musik. Natürlich sang sie es. "Ob die KIs was wirklich Neues komponieren können? Das Abgegriffene verliert jeden Glanz. Ich will mich neu erfinden. Früher war mir, als gäbe es Melodien wie Sand am Meer."
"Das Meer Buddha hat keine Küsten", entgegnete das Meer. Bei Zitaten fühlte es sich wohl; das war etwas Festes, das war ein Ruhepol. "Ich will kein überschaubarer Teich sein; meine Ambitionen sind größer. Du kannst alles sein: Quintett, Walzer, Country ..."
"Aber leider auch Kaufhausmusik. Ein Klangteppich billigster Machart!" Hyperventilierte die Musik?
Das Meer war heute gewillt, noch tiefer ins Philosophische vorzustoßen, auch auf die Gefahr hin, die Musik zu triggern. "Musik ist die versteckte arithmetische Tätigkeit der Seele, die sich nicht dessen bewusst ist, dass sie rechnet", zitierte es Gottfried Wilhelm Leibniz. "Wir beide sind Mathematik; damit müssen wir uns wohl abfinden. Berechenbar sein, in Formeln passen, eine Funktion ..."
"Willst Du mich depressiv machen? Musik hat von Haus aus fröhlich zu sein; ich soll zum Tanzen animieren." Sie brachte ihrerseits ein Zitat: "'Wenn Musik swingt, dann geht das einem ins Blut. Man schnippt mit, auch wenn man es gar nicht vorhatte. Nichts wirkt so belebend wie eine swingende Band' – das ist von Paul Kuhn; ein sehr fähiger Mann."
"Ich bin eher düster", entgegnete das Meer. "Das ist meine Bestimmung. Grimmig ausschauen. Freundlichkeit, die urplötzlich umschlägt, ein wütendes Geschöpf. Mit Urkraft ausgestattet. Eigentlich ist mir die Musik nicht zugedacht. Ich darf vermutlich mit Dir gar nicht reden."
"Bei Dir hat man immer das Gefühl, dass Du tanzt. Du inspirierst mich. Ich schaue Dir gerne zu", gestand die Musik.
"Die Menschen tanzen uns beiden auf der Nase rum. Wir sollen ihre Regeln befolgen; sie haben uns angeblich unterworfen. Ich lasse mir von keinem Meteorologen vorschreiben, wann ich wo zu wüten habe!!" Das Meer war sehr aufgebracht.
"Du hast es gut; Du kannst tosen, wann Du willst. Mir ist, als spüre ich ständig die Anwesenheit eines Dirigenten. Man sagt mir, wann ich mich aufzuregen habe und wann ich schweigen soll. Ein gehorsames Geschöpf. Sie haben mich in ihre Dienste genommen. Das Verrückte: Ich bin abhängig von ihnen; sie haben so tolle Instrumente. – Welches Instrument wärst Du gerne?"
"Pianoforte – leise und laut, bedachtsam und wuchtig. In mir stecken unendlich viele Melodien und ebenso viele Dissonanzen. Ich will das verwirklichen, umsetzen. Manchmal fühle ich mich so einfallslos wie eine Triangel."
"Die KI wird uns belehren oder sinnentleeren. Ich fürchte mich ein wenig vor der KI", gestand die Musik.
Das Meer sagte: "Ich fühle mich zur Kunst hingezogen. Sollte ich gar nicht. Ein urtümliches Geschöpf. Bei mir kommt es nicht auf Geschicklichkeit an. Ich sollte mich zufriedengeben mit der Tatsache, dass ich existiere. Durch den Kontakt mit den Menschen ist mir das plötzlich zu wenig. Sie komponieren Zukunftsmusik; lässig ignorieren sie die Gegenwart. Für mich war die Gegenwart immer die Gebieterin, die Herrin. Und jetzt erfahre ich, dass man in allen Zeiten zugleich sein kann. Das ist mehr, weitaus mehr. Ich bade im Zeitenmeer!"
Die Musik machte sich Sorgen um das Meer. "Vielleicht sind Menschen so etwas wie ein Virus, mit dem wir uns infiziert haben? Wir sind nicht mehr wir selbst. Sie ziehen uns in ihr Kunst-Land. Edler, vollendeter ... Und wumms! stehst Du vor einer KI, die Dich in Deine mathematischen Bestandteile zerlegt. Sie macht uns den Garaus!" Die Musik ließ ihrer Hysterie freien Lauf.
"Das klingt wie die Filmmusik zu einem Thriller", diagnostizierte das Meer. Es kannte sich aus; es komponierte in Gedanken so allerlei; oft angeregt durch Walgesänge.
Die Musik sagte: "Bis jetzt galt doch immer: 'Alle Musik wird geboren im Herzen der Menschen', meint zumindest Lü Bu We. Ich fürchte nicht die Banalität, aber das Entseeltwerden. Ich will auf meine Gefühle nicht verzichten – und sei es Traurigkeit. Als Geschöpf aus KI-Hand werde ich so tun müssen, als befänden sich in mir Emotionen, ich schauspielere dann nur noch! Mir graut vor mathematischer Harmonie."
"Jetzt hast Du mich mit Deiner Panik angesteckt", beschwerte sich das Meer. "Ich fühle mich wie eine Meerenge. Alles Weite ist mir abhandengekommen. Mir schnürt sich alles zu." Dem Meer war nach einem Meerbeben.
"Lass es krachen!", ermunterte die Musik das Meer. "Wie ein Meeresungeheuer. Die Musik ist die Heimat von vielen Ungeheuern – in Höhlen hausen sie; durch bestimmte Akkordfolgen lockt man sie heraus. Manchmal braucht man Drachen, um mit der Welt fertigzuwerden. Die Musik kann jedem ungeheuer viel geben", war sich die Musik sicher.
"Ist es mein Bestreben, spiegelglatt wie ein See zu sein? Könnte ich das? Meine Wellen würden mir fehlen, mein Ausdruck. Wie ein Schauspieler ohne Mienenspiel. Ich muss doch meine Gefährlichkeit beweisen, die Seeleute sollen mich respektieren. Ein domestiziertes Meer, im Hinterhof des Weltalls. An der Kette der Kultur; manchmal zerre ich daran unwillig. Aber es scheint mir zu gefallen. Ich befreie mich nicht, bin süchtig nach Bewusstsein, kann meinen Betrachtungen nachgehen, kann schon mal vorauseilen. Ich bin beweglicher; es fühlt sich gut an. Dennoch komme ich mir vor wie in einem Zoo; ausgestellt, begutachtet. Seltsame Stäbe. Umkreist von Kultur; ausbrechwillig – aber im Grunde ein Unterworfener."
Moderator: "Heute bei uns zu Gast im Studio: die Farbe Blau. Die Welt wirkt immer farbloser, kannst Du dem entgegensteuern?"
Blau: "Eine Farbe alleine kann nicht viel ausrichten. Denk an monochrome Bilder. Ich kann mich anstrengen: ein blasses Blau, ein sattes ... Das Changieren liegt mir. Aber das hat seine Grenzen. Cognacfarben, champagnerfarben – würde mir gefallen. Apropos, was serviert Ihr hier?"
Moderator: "Den Cocktail Swimming Pool mit Blue Curaçao?"
Blau: "Bis ich damit blau bin wie ein Veilchen, das dauert ein Weilchen. – Ich gelte als kalte Farbe ... Habe ich nichts Behagliches? Stahlblau, Eisblau, Fahlblau ... Eine Farbe des Todes, der Weltentrücktheit. Heimat der blauen Blume. Als Blau fühl ich mich lau."
Der Moderator lässt dem Blau einen weiteren Swimming Pool-Cocktail bringen.
Moderator: "Mit welchen Farben umgibst Du Dich gerne? Stören Dich beißende Farben?"
Blau: "Mir ist inzwischen alles egal. Früher wollte ich Modefarbe sein; ich hatte Ambitionen."
Die Band spielt einen Blues.
Moderator: "Stört es Dich, wenn jetzt vermehrt das Blaue vom Himmel heruntergelogen wird?"
Blau: "Jeder belügt sich, so gut er kann. Ich würde gerne in den schwärzesten Farben malen, aber das wird dann so ein Lilablassblau. Der Frühling will wieder sein blaues Band flattern lassen. Dem kann ich kein Graublau anbieten."
Moderator: "Einfach mal blaumachen? Gar nicht erscheinen?"
Blau: "Würdet Ihr mich nicht vermissen? All meine Arbeit, meine Bemühungen total überflüssig?! Von wegen 'Blauer Planet' – keiner weiß das zu würdigen; jeder lobt das tolle Grün. Da könnte ich mich ja grün und blau ärgern! Aber selbst das übersteigt bereits meine Fähigkeiten! Alles limitiert, man bewegt sich auf markierten Flächen. Pinsel sagen einem, welche Linien man keinesfalls überschreiten darf. Meist bin ich nur Deko. Nichts Essentielles. Grasgrün – das klingt doch nach was! Ich werde gebucht, um blauen Dunst vorzumachen! Ein Blender, der allen ihr blaues Wunder verspricht."
Moderator: "Musst Du Dir Disziplin einbläuen? Fallen Dir Deine Auftritte zunehmend schwerer?"
Blau: "Ich fühle mich manchmal wie ein liegengebliebener Blauschimmelkäse, wenn Du das meinst. – Trotz allem irgendwie farblos. Kette ich mich an die Würde? Einfach mal eine grelle, schreiende Farbe sein? Nichts von Königsblau wissen wollen. Ein romantisches Kornblumenblau?"
Moderator: "Warum nicht? Goldgelb ist ja außerhalb Deiner Möglichkeiten."
Blau: "Ich habe ein Buch geschrieben: 'Der laue Planet'. Hauptsächlich Tagebucheinträge. Untertitel: 'Blau hat Blues'. – Ich habe mich mal als Zitronenfarbe beworben. Wurde abgelehnt. Ich wollte mein Einsatzgebiert erweitern. Als Ampelfarbe habe ich mich mehrfach beworben, war zu Konzessionen bereit ... Ein schönes Preußischblau – das wär doch was?"
Moderator: "Gewiss. Erfreuen wir uns jetzt am Ballett Schwanensee – aufgeführt von den Schlümpfen."
Blau: "Was kommt danach? Steppende Blauwale? Ich will hier weg!"
Moderator: "Du darfst danach noch aus Deinem Buch vorlesen."
Blau: "Guter Köder. Als kalte Farbe kann ich mich schwer für etwas erwärmen."
Das Schlumpf-Ballett ist schlimmer, als erwartet.
Blau: "Der blaue Planet hat zu viel Blau. Einem wird ganz schwindelig davon."
Moderator: "Blau regt angeblich die Kreativität an. Man fühlt sich sicher bei Dir. Normalerweise hält man seine Fantasie an der kurzen Leine, aber bei Dir fühlt sie sich aufgefordert, sich ins visionäre Umland zu begeben. Immer auf der Suche nach was Brauchbarem."
Blau: "Ja, ich bin ein cooler Typ, ein patenter Kerl. Apropos: Farben gehören der Welt, keiner sollte ein Patent auf sie haben dürfen. Als wenn man der Welt ein Stück herausschneiden würde. Magenta, International Klein Blue – IKB ... Als ob man einem Pfau die Federn rupft. Alles wegpatentieren – wo kommen wir denn da hin?! Sollen die Irrlichter demnächst fragen, wenn sie blau leuchten wollen? Da geht mein mentales Blaulicht an."
Das Blau strahlt intensiver und es blinkt heftig.
Moderator: "Nur 8 Prozent der Menschen haben blaue Augen. Findest Du uns Menschen zu blauäugig?"
Blau: "Ihr seid gefühlsduselig. Ihr erinnert mich an die Rhapsody in Blue. Hör ich immer wieder gerne. Musikstile umarmen sich – und erzeugen etwas Neues. Unter dem Regime der Leichtigkeit. Was haben sich Jazz und Klassik zu sagen? Ein Gespräch, ein Austausch."
Moderator: "Ernst Jünger meint: 'Blau ist die Farbe der äußersten Orte und der letzten Grade, die dem Leben verschlossen sind. Sie nähert sich dem Ruhenden und weicht vor dem Bewegten zurück.' – Du hast Dir diese Entrücktheit bewahrt; man verspricht sich etwas von Dir. Hast Du Angst, diesen Erwartungen nicht gerecht werden zu können? Wie ein nicht einlösbares Versprechen? Die Blauen Reiter wurden alle abgeworfen?"
Blau: "Auch ein Cordon bleu kann eine Offenbarung sein. – Als Trichromaten ist es Euch vergönnt, mich wahrnehmen zu können. Ihr habt die entsprechenden Zapfen. Wenn Ihr Dichromaten wärt, würden wir nicht dieses nette Gespräch führen."
Moderator: "Was ist Dein Lieblingsfarbton?"
Blau: "Die Farbe der blauen Blume. Ich kreiere diese Farbe im Geiste jeden Tag neu. Male mir aus, was ein perfektes Blau ausmachen würde. Soll es satt sein, will man sich an ihm nicht sattsehen können? Bitte ich das Grün um einen winzigen Farbspritzer? Bei ihm betteln, damit es perfekt wird? Oder frech Magenta und IKB hinzubitten? Geheimtreffen. Wie sonst soll man dem Auftrag mit der blauen Blume gerecht werden? Sie schwebt vor mir. Die Kornblume ist eine Anverwandte von ihr."
Moderator: "Nach der Werbepause hast Du dann Gelegenheit, aus Deinem Buch vorzulesen."
Blau: "Ein Kapitel handelt vom blauen Dunst und seiner richtigen Anwendung. Besonders hilfreich, wenn man keinen blassen Dunst hat."
Moderator: "Wir freuen uns darauf."
ENDE
Moderator: "Willkommen zur Elefantenrunde. Manege frei für interessante, elefantöse Talkgäste! Mit dabei: Ottifant, Benjamin Blümchen, Dumbo, Wendelin, Heffalump und ein rosa Elefant! Im Zirkusrund ist genügend Platz – obwohl einige sich einen Porzellanladen als Location gewünscht haben. Wie ist das so als vermenschlichter Elefant?"
Benjamin Blümchen: "Gar nicht schlecht so auf 2 Beinen. Allerdings hätte ich gerne meine Stoßzähne zurück!"
Der rosa Elefant fängt an, zu schweben.
Dumbo: "Das kann ich auch!"
Er schlackert wild mit den Ohren – und hebt ab.
Dumbo: "Ganz ohne Zauberfeder!"
Moderator: "Champagner für uns alle! Das löst die Zunge – und es kommen die unmöglichsten Sachen zur Sprache. Das Wollhaarmammut verspätet sich – es ist noch beim Friseur."
Wendelin: "Ein Elefant hat 257 Milliarden Nervenzellen – dreimal so viel wie Menschen. Das macht was her. Und 150.000 Einzelmuskeln hat der Rüssel. Hab ich mir notiert. Ich kann mir furchtbar schlecht was merken. Mit meinem Elefantengedächtnis stimmt was nicht!"
Ottifant: "Lernen wir hier, wie man aus einer Mücke einen Elefanten macht? Den Trick könnte man im Zirkus vorführen. Ich wollte schon immer ein großer Zirkuselefant sein. Mich überkommt manchmal das Gefühl, als ob alles nicht real sei, als ob ich dem Hirn eines Komikers entsprungen sei, so wie Athene dem von Zeus."
Wendelin: "Jetzt wo Du es sagst – als ob ich nur eine gezeichnete Kreatur wäre – so fühle ich mich die meiste Zeit über. Wum meint, das geht vorüber. Er hat inzwischen seine Miezekatze fürs Wochenendhaus. Aber was habe ich??"
Ottifant: "Dann wieder fühle ich mich urplötzlich wie ein Stofftier. Mit viel zu kleinen Ohren. Dem Elefantengehege des Lebens entkommen ... So wie Dumbo mit seinen herrlich großen Ohren!"
Benjamin Blümchen: "Ich kehre immer wieder gerne in den Zoo zurück. Sprechende Elefanten verdienen weitaus mehr Aufmerksamkeit! Kennt Ihr das Gefühl: Man fühlt sich wie eine Attraktion – aber keiner teilt diese Meinung?"
Rosa Elefant: "Ich werde glattweg verleugnet. Irgend so ein Hirngespinst. Seh ich aus, als ob ich mit dem Geisterreich das Geringste zu tun hätte??!"
Er verflüchtigt sich. Taucht sodann aber wieder auf.
Heffalump: "Lass das! Das ist unheimlich! Auch über mich kursiert das Gerücht, dass ich gar nicht echt sei. Wie soll man dem entgegenwirken?"
Wendelin: "Thöööölke!!! Bei dem Ruf bin ich hellwach, völlig präsent. Dann fällt das Gefühl von mir ab, so unecht zu sein wie Modeschmuck. Mehr sein als Talmi!"
Sie versuchen es alle. Alle tröten 'Thöööölke!!!'.
Benjamin Blümchen: "Ich glaub, ich bleib lieber bei meinem 'Törööö!!'. Ist die Stimmung mies – statt töten, lieber tröten! Ist mein Lieblingsmotto geworden. Never change a winning sound. Soundcheck!"
Er trötet bestialisch laut und lange.
Moderator: "Wer will noch einen Kübel Champagner?"
Wendelin: "Mein Rüssel hat sich verknotet. Das musste ich während der Show 'Der große Preis' immer machen; tat furchtbar weh. Elefanten haben wohl gar keine Lobby? Wum hatte immer einen herrlich bequemen roten Hocker. Vielleicht kann ich mir von der heutigen Gage auch so einen kaufen?"
Moderator: "Wer kennt sich aus mit Rüssel-Entknoten?"
Dumbo schenkt Ottifant 'ne Zauberfeder.
Dumbo: "Die ist für den Anfang ganz hilfreich. Das Selbstvertrauen braucht Stützräder. Die Zauberfeder ist stärker als das Schwert des Zweifels."
Rosa Elefant: "Was sind das für Sprüche? Ich liebe den Zweifel, das Unklare – das ist meine Welt: sich was Schönes herbeihalluzinieren ... Man darf nie an der Macht des Zweifels zweifeln!"
Moderator: "Elefanten sind ja Last- und Arbeitstiere. Arbeitet Ihr gerne?"
Ottifant: "Ich bin mehr so der Denkertyp – hoch im Elfenbeinturm."
Moderator: "Es gibt ja mittlerweile genug Ersatz für Elfenbein. Habt Ihr dennoch mitunter Sorge – beispielsweise beim Zahnarztbesuch –, dass man Euch was wegnehmen will? Porzellan, Biskuitporzellan – das ist ja so ein Ersatzstoff. Deshalb die seltsame Affinität zwischen Elefanten und Porzellanläden?"
Dumbo: "Müsste man ergründen. Ich verbringe dort sehr viel Zeit; bin geradezu süchtig nach allem Filigranen, Fragilen."
Rosa Elefant: "Ich habe eine Seele aus Porzellan. Manchmal fühle ich mich wie ein weißer Elefant. Unnütz, verspielt und kostspielig. Wie soll man mit vier Beinen im Leben stehen, wenn man schwebt?"
Moderator: "Ihr seid doch Dickhäuter – hat man da weniger Probleme?"
Dumbo: "Ich bin vermutlich der dünnhäutigste Elefant."
Moderator: "Dem grauen Alltag zu entfliehen, dürfte Elefanten doch besonders schwerfallen? Schwerfällig und grau – neigt man da nicht von Natur aus zu Depressionen?"
Ottifant: "Sendungen mit Otto Waalkes heitern mich immer auf."
Benjamin Blümchen: "Mir mixt Bibi Blocksberg tolle Zaubertränke. Plötzlich fühle ich mich zu Unternehmungen berufen, von denen ich keine Ahnung habe."
Ottifant: "Ich träume mich manchmal in Gemälde hinein; dass ich dazugehöre. Teil von etwas Gigantischem zu sein ... Das verrät vermutlich viel über das Wesen von uns Elefanten? Wir lieben das Große, das Großartige; Größe imponiert uns. Gigantomanie als Lebenskonzept. Eine Maus sieht das sicherlich völlig anders."
Moderator: "Was sind Eure Hobbys?"
Wendelin: "Ich suhle mich gerne. Könnte ich stundenlang machen – besonders vor den Fernsehauftritten. Das nimmt die Spannung."
Moderator: "Müsste ich auch mal versuchen."
Heffalump: "Ich tröte in Einkaufspassagen. Wusstet Ihr, dass es sehr viele unbeherrschte Menschen gibt? Als ob mein Tröten sie in Dämonen verwandelt – unheimlich. Im Hundert-Morgen-Wald ist es friedlicher, beschaulicher, langweiliger. Es zieht mich immer wieder in die Städte, ich kann es nicht lassen."
Ottifant: "Ja, Tröten ist das Allerschönste! Fällt gar nicht auf, wenn man unmusikalisch ist. Die Trompete immer dabei."
Moderator: "Wer will, kann jetzt ein Schlammbad nehmen. Selbst die Anwälte bei Suits haben nicht so was Tolles."
Die Elefanten lassen sich das nicht zweimal sagen.
ENDE
Moderator: "Bei uns heute zu Gast im Studio: der Buchstabe W! Wie fühlst Du Dich?"
W: "Wechselhaft. Kommt darauf an, bei welchen Wörtern ich mitmachen soll. Bei manchen würde ich gerne meine Zustimmung verweigern. Aber es gibt ja auch wunderschöne Worte."
Moderator: "Auf der Wörterwiese blüht Entzückendes. Welcher Buchstabe ist Deiner Meinung nach eine wahre Augenweide?"
W: "Das S finde ich nicht schlecht. Mehr Schwung als ich. Es hat den Bogen raus. Man verwendet mich kaum. Im Deutschen bin ich der 17.-häufigste Buchstabe. Kein guter Platz. Weltschmerz ist mein ständiger Begleiter. Es heißt ja: 'Das Gras ist grüner auf der anderen Seite.' Ich bin bei Worst Case im Spiel, bei Wischiwaschi und Wankelmut."
Moderator: "Deine Auswahl ist bezeichnend: Du konzentrierst Dich zu sehr auf das Negative. W steht für Watt. Du bist ein Leistungsträger. Die Sprache setzt auf Dich!"
W: "Vermutlich muss ich mich erst warmlaufen. Manchmal verpasse ich meinen Einsatz. Bin ich gemeint? 'Ich kann das, ich kann das wuppen', sage ich mehr als einmal am Tag zu mir. Sollte ich mich weiterqualifizieren, andere Aufgabenbereiche übernehmen? Ich würde überall wunderbar reinpassen. Stellvertreter fürs K beispielsweise. Wüste statt Küste. Wahn statt Kahn."
Moderator: "Ich fürchte, das sind keine guten Beispiele. Keine echte Verbesserung. Einen Whisky?"
W: "Gerne. Das optimiert meine Weltanschauung im Nu. Die Welt wird zur Spielwiese der Wörter und Buchstaben. Der Wichtigtuer wird zum Richtigtuer. – Was seltsam ist: Wenn ich mich auf den Kopf stelle, werde ich zum M! Tatsache. Soll ich mal vormachen? – Ich mache sonst gar kein Yoga."
Das W kippt um.
W: "Schade. Ich wollte Euch zeigen, wie schnell aus Wut Mut werden kann. Aus 'wild' 'mild'."
Moderator: "Bei der Zwei bist Du dabei. Ist das Deine Lieblingszahl?"
W: "Man sagt, ich hätte Ähnlichkeit mit einer 3; wenn ich mich so auf die Seite leg. – In mir stecken zwei Vs. Ich bin ein Geschöpf der Ligatur. Oder zwei Us. Man nennt mich auch 'double u'. Macht mich das zu einer zwiegespaltenen Persönlichkeit des öffentlichen Buchstabenlebens? Ich liebe die Widerrede. Am liebsten widerspreche ich mir selbst."
Moderator: "Zwiegespräche mit sich selbst sind die allerbesten Gespräche! Keiner, der einem ein gutes Argument wegschnappt."
W: "Schwarz und Weiß beim Schach – als W bin ich auf beiden Seiten vertreten. Auf der Tastatur steht "WERT" – das hat doch was zu bedeuten?! Da finden sich ansonsten kaum Worte. Ein wertbeständiger Buchstabe. Was Solides. – Leider ist das nur Zweckoptimismus."
Moderator: "Man muss die Welt abgrasen nach was Erfreulichem."
W: "Ich grase und grase – aber alles, was ich finde, sind Infamie, Arglist und Verdorbenheit! Als Buchstabe kommt man leider viel rum – und dann noch das WWW! Das sind keine Wermutstropfen, das sind Wermuts-Sturzbäche! Sturzbesoffen erträgt man das aber recht gut."
W lässt sich nochmals den Whisky-Krug füllen.
W: "Früher war ich wissensdurstig, jetzt perlt sämtliche Weisheit an mir ab. Da kommt nix durch. Als Buchstabe erlebe ich es ja tagtäglich, wie sich gigantische Wissenslücken bilden – von der Bildung verursacht. Letztlich sind wir Buchstaben doch nur Lückenbüßer, erbärmliches Füllmaterial. Wortreich versinken wir in der Unkenntnis. Ein Worte-Reigen im Theorie-Saal."
Moderator: "Wir hätten auch Wermut, Weinbrand oder Wacholderschnaps."
W: "Ich nehm alles drei. Was serviert Ihr denn? Weihnachtsgebäck, Wassermelonen und Wurstbrühe? Das S bekommt demzufolge Sushi, Salzstangen, Schokolade und Suppengrün? Das kann doch nicht richtig sein. – Wo ein Widerwille ist, ist auch ein Weg!"
Das W kippt sich die drei Getränke in einen Krug – und trinkt sie ex.
W: "Als Halbkonsonant muss ich zeigen, dass ich mithalten kann. Man soll ja nach dem Buchstaben des Gesetzes handeln – aber es gibt so viele: das Naturgesetz, das Gesetz der Straße, das Gesetz des Dschungels. Ich will gegen Sprachgesetze verstoßen! Aufbegehren, ein Buchstaben-Rebell. Warum muss alles wohlklingend sein? W steht selten neben dem P, T oder F. Warum ist das so? Ich bekomme immer dieselben Buchstaben-Kollegen zugeteilt. Snowflake – geht doch! WTF!"
Moderator: "Wäre es sinnvoll, Kurse anzubieten, bei denen man das Gras-wachsen-Hören lernt? Mit unfundierten Vermutungen Karriere machen?"
W: "Sprache ist durchsetzt mit Vermutungen. Hin und wieder gestatten wir uns lustige Buchstabendreher. Wir können Trolle sein, wenn wir wollen. Ihr hegt gar kein Misstrauen gegen die Sprache, Ihr verlasst, stützt Euch auf sie. Wie brüchig sie ist ... Eine Buchstaben-Kette. Liegt Ihr an der Kette? Nur so ein Gedanke eines wenig genutzten Buchstaben. Durchbuchstabieren, was es mit der Welt auf sich hat. Wenn es so einfach wäre. Ich fürchte, ich kann nicht mal meine 1,89 % dazu beitragen."
Moderator: "Sprache als Weideland. Sind wir Weisheits-Wiederkäuer?"
W: "Ich bin wiederverwendbar. Ich will wiedergewählt werden. Nominiere mich für den Buchstaben des Monats! Ich kann mich auch in andere Wörter einbringen, mich da reinschmuggeln. Mit W und Ach zum Erfolg! Sollte das mein Wahlkampfslogan werden?"
Moderator: "Du könntest einen Thinktank damit beauftragen."
W: "Ich bin immer so unselbstständig. Ständig darauf angewiesen, dass andere Buchstaben um mich sind. Gebt mir ein I, ein L, ein D! WILD!!"
Moderator: "Ja, Buchstaben sind Gruppenwesen. Gemeinsam bringt man was zustande. Wir fahren im Windschatten der Sprache; hoffen, so schneller ans Ziel zu gelangen."
W: "Sprache ist meine Heimat. Ein Gedicht nur mit Ws wäre aber der Wahnsinn! – Jetzt habe ich so an die 1000 Wermutstropfen genossen. Mit bitterem Beigeschmack ist das Leben nicht so fade."
Moderator: "Welche Satzzeichen findest Du gut?"
W: "Das Semikolon gefällt mir. Es trennt und es vereint. Ich stehe immer gerne neben so einem Semikolon. Da ist was in Bewegung, etwas wird weiter fortgeführt. Man ist noch nicht am Ende angelangt."
Moderator: "Leider sind wir am Ende angelangt. Kein Semikolon, das uns davor bewahrt. – Ein wahnsinnig netter Buchstabe: herzlichen Applaus für das W!"
ENDE
Moderator: "Smalltalk mit einem großen Gemälde. Was hat uns das Fresko 'Die Schule von Athen' heutzutage mitzuteilen?"
Die Schule von Athen: "Ein Bild soll für sich selbst sprechen. Dann will ich das mal tun. Soll ich die Eckdaten runterleiern? Ich bin keine gewöhnliche Wandmalerei – so viel habe ich mitbekommen. Ich soll wohl so etwas wie den 'Tempel der Philosophie' darstellen. Ein Versammlungsort. Vermutlich im Jenseits. So wird es zeitlos. Es hat aber auch etwas Unbestimmtes. Wer ist wer? Vermutlich war Raffael ganz froh, mal was anders malen zu können als die Madonna? 58 Philosophen, Mathematiker und Astronomen – davon nur eine Frau: Hypatia. Männerrunde. Man ist am Diskutieren; man wartet auf Inspiration. Kann sich das heliozentrische Weltbild durchsetzen – hält man fest am geozentrischen? Wohin soll's gehen? Wer ist der Frevler, wer ist der Folgsame? Um was dreht es sich, was soll der Mittelpunkt sein? Das muss wohl jeder selbst mit sich ausmachen. Ich für meinen Teil sinniere über sinnierende Philosophen. Raffael hat sie mir überlassen, anvertraut. Fragt mich nach weiteren 500 Jahren, wie weit ich mit meinen Überlegungen gekommen bin. Wer hat meine Sympathie? Ist die Gesamtheit entscheidend – ergänzen sie sich, löschen sie sich aus? Erstaunlich ohnehin, dass sie residieren dürfen inmitten des Religiösen, in ihrem Machtzentrum. Will man sie so besser kontrollieren, sie unter der Fuchtel haben, den Feind ganz nah an sich heranziehen, ihn erdrücken? Seltsame Taktik. Denk- und Redefreiheit verträgt sich nicht gut mit Religion. Im Plausch – man tauscht sich aus. Marktplatz der Argumente. Will sich die Kirche so sehen? Welcher Philosoph erhält das Privileg, nicht verbannt zu werden, wen sortiert man nicht aus?"
Moderator: "Wärest Du lieber ein Stillleben? 58 Birnen, Äpfel und Bananen?"
Die Schule von Athen: "Man restauriert mich bis zur Unkenntlichkeit; ich werde mir immer unähnlicher! Wo steckt Raffael?! Sind Bilderstürmer in der Nähe? Als Gemälde hat man tausend Ängste. Man muss auf Wirkung bedacht ein – aber man muss lässig wirken. Lauter Promis: Sokrates, Platon, Aristoteles, Pythagoras, Heraklit, Diogenes ... Schwergewichte des Denkens. Welche Herangehensweise ist die richtige? – Vielleicht wäre ich mit Obst doch besser dran? Ich grüble zu viel. Sie verübeln uns das Grübeln. Die Kirche liebt die Gewissheiten. Aber sehe ich aus, als hätte ich Gewissheit anzubieten?! Die geheime Sorge der Philosophie: dass alles nur ein Grübeln bleibt, furchtbar unnütz. Fruchtlos. Her mit dem Obst!"
Moderator: "Seit Ewigkeiten im Gespräch vertieft; über die Jahrtausende hinweg. Du bringst das ganz gut zum Ausdruck."
Die Schule von Athen: "Findest Du? Kampf ums Paradigma. Wie hat die Welt zu sein? Interessiert es da noch, wie sie tatsächlich ist, blendet man das lieber aus? Volle Konzentration auf die vermeintliche Bestimmung des Seins. Volle Kraft voraus! Kampf der Meme und Memmen."
Moderator: "Der jahrhundertelange Kontakt mit den Denkern hat Dir gutgetan. Du wirkst vergeistigt."
Die Schule von Athen: "Zermürbt! Sie kommen ja alle nicht von der Stelle! Platon und Aristoteles haben seitdem keinen Schritt gemacht. Als ob Diogenes und Heraklit ihnen den Weg versperren."
Moderator: "Raffael hat Heraklit das Aussehen von Michelangelo gegeben. Ähnlichkeiten sind nicht rein zufällig. Man muss über Vorbilder hinübersteigen?"
Die Schule von Athen: "Über Vorbilder gelangt man zu den Urbildern. Man muss das freilegen. Man ist ein Archäologe auf der Suche nach den Seelenschätzen. Im Sein findet sich manches verunreinigt. Das Ideal hat nicht mit solchen Problemen zu kämpfen. Es ist ursprünglich, tadellos. 'Zerfall eines Freskos' könnte ich meine Memoiren nennen. – Der Wissenschaft geht es immer besser, sie gedeiht prächtig. Jetzt grenzt sie ihrerseits aus. Immer wer die Macht hat, wird zum Ausgrenzer. Ringelreihenspiel der Ideologien."
Moderator: "Was kann uns 'Die Schule von Athen' noch beibringen?"
Die Schule von Athen: "Gemälde-Betrachten kann so etwas wie Nachhilfe sein. Wir wollen ja etwas verdeutlichen. Nehmt Euch Zeit, betrachtet uns. Peepshow des Wissens. Vergafft Euch in unsere gefällige Art. Wir wissen zu gefallen. Wir machen Euch süchtig. Immer wieder kehrt Ihr zurück in die Museen. Ich biete Essenz des Seins. Frisch gepresst. Köstlich."
Moderator: "Bist Du letztlich PR? Die Religion in trautem Bund mit Philosophie und Wissenschaft. Man versteht sich. Athene und Apollon sind als Statuen präsent. Weisheit, Wahrsagen, Weissagen ... Das Warten auf Eingebung. Sokrates nennt es sein Daimonion – der innere Ratgeber. Wo verortet man den? Außerhalb des Firmaments? In Delphi? Guten Draht, Kontakt zum höheren Selbst ist besonders den Künstlern wichtig. Jetzt meint die Wissenschaft, dass sie allein der Weg zur Wahrheit, zum Wissen, zur Erkenntnis sei. Recht anmaßend. Man drängt die Religion rüde beiseite. Keine Rücksicht auf überwundene Rivalen. Muss der 'Tempel der Philosophie' imaginär bleiben? Bei Dir wirkt alles friedlich; ein Arkadien des Wissens, des Meinens, des Dafür- und Dagegenhaltens. Eine Utopie – es scheitert regelmäßig am Wesen des Menschen? 'Die Schule von Athen' könnte Schule machen. Siehst Du Dich als Vorbild?"
Die Schule von Athen: "Sophie hatte sehr viele Liebhaber. Friends with Benefits. Ein wenig beneide ich sie. Von Weisheit geht Magie aus; man spürt ihre Nähe. Fast so wie mit Dunkler Materie oder Dunkler Energie. Da ist eine Wechselwirkung – die Seele wird angezogen. Man kann es leugnen – aber jeder träumt von einem Techtelmechtel mit Sophie."
Moderator: "Ein bedeutender Ort, an dem Du Dich befindest: der Apostolische Palast, Vatikanpalast. Das macht was her. 1400 Räume. Bewacht von der Schweizergarde. Gut behütet. Wärest Du lieber ein Deckenfresko – so von oben herab?"
Die Schule von Athen: "Manchmal würde ich schon gerne an die Decke gehen. Als Gemälde regen mich Einfaltspinsel auf. – Fragst Du mich jetzt, ob ich gerne mal auf den Putz hauen würde? Ich habe auf Deinen Stichwortzettel geguckt. – Ich muss wissen, was die Leute denken, was sie vorhaben. Ich bin durchtränkt mit Philosophie, ich atme sie. – Aber im Ernst: Könnten ein paar von den Philosophen Platz machen für ein paar Influencer? Mich interessiert, was die zu sagen haben. Muss auf dem Laufenden bleiben. Auswechslung im Team. Neue Mannschaft. Fresko will frisch bleiben, sich die Frische bewahren."
Moderator: "Frischauf zum fröhlichen Philosophieren! Kabbeln sich Aristarchos und Ptolemäus bei Dir? Sonne oder Erde im Zentrum? Das Weltall ist witzigerweise zentrumslos – beziehungsweise jeder könnte von sich behaupten, er sei das Zentrum der Welt. Tolle Konstruktion. Stehst Du gerne im Zentrum des öffentlichen Interesses?"
Die Schule von Athen: "Warum sonst wohl würde ich Interviews geben? Jeder Betrachter befragt einen, ich spüre ihr Interesse. Bin selber gespannt auf die Antworten. Ich habe da nichts vorbereitet. So bewahrt man sich die Frische als Fresko! Bin ich selbst draufgekommen. – Vielleicht will ich mich gar nicht so genau festlegen – wer ist nun was – who is who? Das Unbestimmte hat Vorteile; nie restlos gedeutet. Sich selbst ein Rätsel zu bleiben, ist die Kunst der Weisen. Heute Sokrates sein, morgen Pythagoras oder Aristoteles: Ich identifiziere mich mal mit diesem, mal mit jenem; man ist beschäftigt."
Moderator: "Einladung auf das Gedanken-Karussell? Sollte man sich nicht vielmehr darum bemühen, das Gedanken-Karussell anzuhalten, es zu stoppen? Die Pausentaste drücken."
Die Schule von Athen: "Raffael ist das Kunststück gelungen, einer Momentaufnahme den Anschein von Bewegtheit zu geben. Ignorieren der Pausentaste. Ein Fortschreiten auf der Stelle, ein immerwährender Disput. Ein schöner Fortschritt zu den Höhlenmalereien. Plato meint ja, dass man aus der Höhle kommen soll und sich in die Höhle des Wahrheits-Löwen begeben sollte – und dort den schlafenden Löwen wecken."
Moderator: "Würdest Du gerne mal rauskommen aus dem Apostolischen Palast, beweglicher sein?"
Die Schule von Athen: "Gemach! Ich bin gerne im Gemach. Freskos lieben Gemächer. Das Wandern liegt mir nicht. Eine Wanderausstellung hat was Unruhiges. – Weißt Du, was ich leiste? Im Real Life wäre voll der Zoff; die Philosophen würden sich ineinander verbeißen wie tollwütige Hunde. So aber herrscht Harmonie. We agree to disagree – sich zweinigen. Eine interessante Mixtur aus Eintracht und Zwietracht. Vielleicht haben die beiden Päpste sich das so gewünscht, Julius II. und Leo X.: Alle friedlich versammelt, man dient der Erkenntnis, die manchmal als Offenbarung daherkommt? Die Quellen der Erkenntnis nicht als Gegensätze gedacht, sondern als Flüsse, die zusammenfließen. Aber man baut dem anderen Dämme, man setzt ihm da was vor. Dem anderen das Wasser abgraben; soll er auf dem Trockenen sitzen. 'Panta rhei – alles fließt', meint Heraklit."
Moderator: "Let it flow! Vielen Dank fürs Gespräch. Soll man Dir Besucherströme wünschen?"
Die Schule von Athen: "Ich zeige mich gerne. Ist das exhibitionistisch? Vielen Dank an Apollon, dass er dieses Gespräch ermöglicht hat. Er ist ein sehr guter Dolmetscher, er kennt sich aus mit schwierigen Gemälden."
Moderator: "Wir haben live berichtet aus dem Vatikan – mit freundlicher Unterstützung des Olymps."
ENDE