Ethisches Urteilen und menschliches Handeln in "Die Witwe Couderc" von Georges Simenon (10. Klasse Religion Gymnasium) - Elias Jaspers - E-Book

Ethisches Urteilen und menschliches Handeln in "Die Witwe Couderc" von Georges Simenon (10. Klasse Religion Gymnasium) E-Book

Elias Jaspers

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2020 im Fachbereich Didaktik - Theologie, Religionspädagogik, Note: 1,0, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Praktische Theologie), Veranstaltung: Seminar, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit zeigt exemplarisch, wie ein Unterrichtsentwurf aussehen kann. Sie folgt dabei den bewährten Schritten der Religionspädagogik. Darüber hinaus zeigt die Arbeit gewinnbringend, dass ein Unterrichtsentwurf im Unterrichtsfach Religion nicht nur mit der Bibel umgehen muss, sondern sich auch einer Buchbesprechung widmen kann. Mit dem Buch "Die Witwe Couderc" des Autors Georges Simenon und der Extremismus- und Terrorismusstudie des "Die Sicht der Anderen" des Bundeskriminalamtes werden überdies spannende Konnexionen zur biographischen- und soziologischen binnenfamiliären Dysfunktionen geleistet, sodass auch dezidiert die Themenbereiche Moral und Ethik abgedeckt werden. Auf der Suche nach dem anthropologisch Bösen findet die Arbeit über den kategorischen Imperativ und das Gebot der Nächstenliebe ihr Ziel in der Würde des Menschen und schließt mit einem strukturierten Unterrichtsverlauf sowie Musterarbeitsblättern ab.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Elias Jaspers

 

Die Witwe Couderc

Ein Unterrichtsentwurf

 

Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Lerngruppe

3. Fachwissenschaftliche Analyse

3.1 Der Roman

3.2 Soziale Dysfunktionen

3.3 Das Böse

3.4 Ethik

4. Didaktische Analyse

4.1 Exemplarität

4.2 Gegenwartsbedeutung

4.3 Zukunftsbedeutung

4.4 Sachstruktur

4.5 Zugänglichkeit

4.6 Kompetenzen und Lernziele

4.6.1 Urteilskompetenz

4.6.2 Sachkompetenz

4.6.3 Lernziel

4.7 UE im Kontext der Unterrichtsreihe

5. Methodische Entscheidungen

6. Unterrichtsverlauf

Literaturverzeichnis

Anhang

 

 

1. Einleitung

Der vorliegende Unterrichtsentwurf im Rahmen einer Hausarbeit behandelt eine Buchlesung und Besprechung, die sich am Kernlehrplan des Landes Nordrhein-Westfalen orientiert und mit dem Religionslehrbuch interagiert. Der Unterrichtsentwurf schließt eine Unterrichtsreihe, die im Folgenden auch vorgestellt wird, mit dem Thema menschliches Handeln / Ethik ab.

Nach Vorstellung der Lerngruppe und Lernvoraussetzungen wird der Roman, und das im Roman zu eruierende Thema, einer fachwissenschaftlichen Analyse unterzogen, der eine didaktische Analyse nach Klafki folgt.

Der Unterrichtsentwurf schließt mit der Begründung der methodischen Entscheidung und dem Ablauf der Unterrichtseinheit ab.

2. Lerngruppe

Aus der Klasse 10 des Gymnasiums nehmen von 27 Schülern (SuS) 9 SuS mit deutscher Staatsbürgerschaft am evangelischen Religionsunterricht teil. 8 SuS sind evangelisch getauft, von diesen 8 sind 7 in der Kirche aktiv; unregelmäßig bei Gottesdienstbesuchen, regelmäßig im Jugendkreis ihrer Gemeinde. Ein Schüler ist nicht getauft, zieht es aber vor, am evangelischen Religionsunterricht (RU) teilzunehmen.

Auf der linken Seite des Unterrichtsraums setzen sich jeweils zwei Schülerinnen zusammen. Auf der rechten Seite sitzen vor dem Lehrertisch drei Schüler, dahinter zwei Schüler – so ist die freiwillige Sitzordnung der SuS eine geschlechtertrennende.

Die vordere Mädchengruppe ist dabei immer konzentriert und ruhig, die hintere Mädchengruppe auf der linken Seite muss durchaus ermahnt werden, da sie zu flüsternden Dialogen neigen. Die vordere Jungengruppe steht sich freundschaftlich besonders nah, sie geben Kommentare zum Unterricht hin und wieder ungefragt ab, ohne aber dabei die Unterrichtseinheit (UE) zu stören.

Hie und da neigen die Jungen der vorderen Reihe dazu, sich mit den Jungen der hinteren Reihe auszutauschen. Auch hier reichen kurze Ermahnungen aus, um die UE fortzusetzen.

Bei Aufgaben, an denen man konzentriert arbeiten muss, machen alle Schüler ruhig mit. Insgesamt ist die Lerngruppe homogen und aufmerksam.

Das Fach evangelische Religion wird von den SuS auf der einen Seite als „leichtes“ Fach wahrgenommen und freuen sich die SuS immer wieder auf den Unterricht. Vorkenntnisse sind durch die Gemeindearbeit und auch die dortige Arbeit mit dem Jugendleiter in einfachen religiösen Themen vorhanden; bei komplexeren Themen und fachlichen Begriffen bedarf es der Erarbeitung und Erläuterung.

Entwicklungspsychologisch befindet sich die Klasse gem. Erikson in der Phase „Identität gegen Identitätskonfusion“ (Stufe V [Adoleszenz]);[1] nach Erikson „schließt die Identitätsbildung die kindliche Entwicklung ab und eröffnet den Weg ins Erwachsenenalter.“[2] Im Bezug auf das moralische Urteilen befinden sich die SuS nach Kohlberg auf Stufe 3/4 (Niveau II); Kohlberg spricht von einer konventionellen Moral – gesellschaftliche Normen werden als nicht weiter begründungsbedürftig angesehen.[3]

3. Fachwissenschaftliche Analyse

In der zu entwerfenden UE soll der Roman Die Witwe Couderc behandelt und die Unterrichtsreihe abgeschlossen werden. Der Roman dient dabei als Exemplarität der Themen, aber auch als Vergleich.

 

3.1 Der Roman

Die Witwe Couderc ist ein ca. zweihundert Seiten langer Roman des Schriftstellers Georges Simenon. Er handelt von zwei Protagonisten, die sich gleich zu Beginn des Romans begegnen: Jean und Tati (die Witwe). Der Klappentext beschreibt den Inhalt des Buches wie folgt:

„Fünf Jahre lang hat Jean im Gefängnis gesessen. Nun steht er auf der Straße und weiß nicht wohin. Bis Tati Couderc sich seiner annimmt. Sie lässt ihn nicht nur in ihr Haus, sondern auch in ihr Bett. Jean, der 28-jährige Sohn aus gutem Hause, der zum Mörder geworden ist, und Tati, die verwitwete Bäuerin von 45 Jahren, werden ein Paar, ein ungleiches Paar - aber es geht ihnen gut miteinander.

Viele Worte machen sie nicht und kommen sich doch immer näher. Und so könnte es ewig bleiben – wären da nicht die anderen: Tatis Familie, die ihr nichts gönnt, weder das Dach über dem Kopf noch den jungen Mann, und die schöne Félicie, blutjung, unverfroren und gierig.

Und so zieht das Misstrauen ein in diese Beziehung, und es kommt zur unausweichlichen Tragödie.“[4]

Dabei nimmt sich Tati Jeans an, während dieser ziellos, nach seinem Gefängnisaufenthalt, durch die Landschaft streunt und sich irgendwann bequemt, mit einem Bus zu fahren. In diesem Bus sitzt Tati, die einen solchen Mann noch nicht im Bus gesehen hat, und hatte das sofort begriffen.[5]

Ziel der Unterrichtseinheit ist dabei nicht die Besprechung des Romans, die schon in anderer Einheit erfolgte, sondern die Konzentration auf den männlichen Protagonisten Jean.

 

3.2 Soziale Dysfunktionen

Im Verlaufe des Romans erfährt der Leser viele Details über Jeans Sozialisierung: Das Elternhaus ist zwar finanziell gut aufgestellt, nicht gut aufgestellt aber seine Eltern.

Die Mutter ist verstorben[6] und war zuvor abwesend in der Erziehung ihrer Kinder (Jean hat eine jüngere, (labile)[7] Schwester (diese ist das Gegenteil von ihm, vor allem hinsichtlich der Behandlung durch den Vater)[8]), da sie wohl sehr kränklich war.[9] Der Vater ist nicht nur hartherzig,[10] sondern auch andauernd in Liaisonen mit verschiedenen Geliebten;[11] unter den Liebschaften hatte Jean wohl auch gelitten.[12]

In der Schule wird er von seinem Lehrer gedemütigt,[13] wird nicht versetzt und bekommt das Abitur, welches er zwei Mal nicht besteht, nur durch die Beziehungen und Mittel seines Vaters;[14] – dem sein Sohn dennoch egal ist.[15]

Jean lebt in seiner Studienzeit verschwenderisch, in unguter Beziehung mit (s)einer Geliebten,[16] bittet seinen Vater um Geld, als er keines mehr hat; dieser aber will ihn verleugnen, wenn er es einfordert. So kommt es auch dazu, dass er zum Dieb wird und seinem Vater eine Armbanduhr stiehlt.[17] Nach einem Pokerspiel kommt es dann zum Mord, weil ein Geldgeber weder Geld noch Schuldscheine an einen verzweifelten Jean zurückgeben will.[18]

Diesen jungen Mann bindet nun Tati an sich, er lebt mit ihr in einer merkwürdigen und verzerrten Beziehung, die nicht weiß, ob Jean Geliebter oder Sohn ist. Der Ausbruch aus der Beziehung könnte gelingen, da sich Jean im Laufe des Geschehens in Félicie verliebt hat, die Tati, sowie auch ihre Familie, nicht leiden kann; sie ahnt von der Beziehung, und will andere Menschen um Jean nicht haben.

Tati band Jean an sich, und bindet ihn an sich sosehr, dass diesem ein Ausbruch aus diesem Leben nicht gelingt.[19] In völligster Einengung begeht er seinen zweiten Mord – dabei hätte ein neues Leben mit Félicie stattfinden können: „Es wäre so einfach gewesen!“[20]

Zusammenfassend ist das zentrale Thema des Protagonisten also ein Thema von familiärer- und sozialer Dysfunktionalität.

In der Studie der Forschungsstelle Extremismus/Terrorismus des Bundeskriminalamtes in Kooperation mit der Universität Essen/Duisburg „Die Sicht der Anderen“ werden qualitativ die Biographien von Terroristen untersucht. Auf den ersten Blick ist Jean weder Extremist noch Terrorist – auch nicht auf einen zweiten.

Nur das Ergebnis der Studie ist interessant: Terroristen und Extremisten unterscheiden sich hinsichtlich ihrer sozialen Merkmale nicht grundlegend von anderen Delinquenten.[21] Und führt uns das Ergebnis mithin zu der Frage, wer Delinquent wird.

Dabei arbeitete die Studie mit neuen Modellen, die prozess- und entwicklungsorientiert sowie multidisziplinär angelegt sind; soziologisch und psychologisch-handlungstheoretische Erklärungsansätze verknüpft.[22] So wurde das familiäre Umfeld betrachtet, Peergroups, Ausbildung, Beruf, Wehrdienst, Alkohol- und Drogenkonsum, Einstellung zu Religion und Politik sowie andere persönliche Faktoren.[23] Letztlich zeigte das Untersuchungsergebnis auf:

„Multiple Problemlagen, gepaart mit einer oberflächlichen binnenfamiliären Kommunikationskultur prägten die familiären Umfelder unserer Interviewpartner. Schon früh waren die Befragten mit zahlreichen Entwicklungsbelastungen (z.B. Wechsel von Bezugspersonen, Verlust eines Familienangehörigen) konfrontiert, denen mangels geeigneter Bewältigungsstrategien in den Familien nicht adäquat begegnet werden konnte. Tendenziell bestand eine ausgeprägte Neigung zur Verdrängung, was sich vor allem in dysfunktionalen Bewältigungsstrategien, wie etwa dem Konsum von Drogen oder der Anwendung von Gewalt, ausdrückte.“[24] Und weiter:

„Allen Familien war gemeinsam, dass problematische Sachverhalte nicht konstruktiv miteinander kommuniziert und bearbeitet, sondern allenfalls in Form von Vorwürfen oder Schuldzuweisungen thematisiert wurden. Der Umgang mit schwierigen Situationen wurde hierdurch noch verkompliziert und jedes Familienmitglied war letztlich darauf angewiesen, im Alleingang einen eigenen Weg zu finden.

Eine langfristige konstruktive Lösung gelang in aller Regel nicht, sondern Probleme wurden weiter verschärft, da Familienmitglieder teilweise gegeneinander arbeiteten. Während es den Eltern beispielsweise primär darum ging, sich um sich selbst zu kümmern, Probleme und Stress zu reduzieren, konzentrierten sich die Befragten vor allem darauf, die Aufmerksamkeit, Anerkennung und Zuwendung der Eltern (zurück) zu gewinnen, was den Stress für die Eltern erhöhte.

In den meisten Fällen verstärkten sich auf eine solche Weise ungelöste Konflikte und mündeten schließlich in ein familiäres Chaos, welches selbst mit der Unterstützung von Ämtern und Hilfeangeboten kaum noch aufgefangen werden konnte.

Von den Eltern dem eigenen Schicksal überlassen worden zu sein, führte für die von uns Befragten nicht nur zu Gefühlen des Alleinseins, sondern auch zu dem Eindruck, durch Ereignisse oder durch das Umfeld fremdbestimmt zu werden. Als charakteristisch für unsere Befragungsteilnehmer erwiesen sich stark auf Kontrolle ausgerichtete Bewältigungsmuster. Dazu gehörte der Wunsch, sich einer Fremdbestimmung zu entziehen, um die Kontrolle über das eigene Leben und die eigene Gefühlswelt zurückzugewinnen.“[25]

Die benannten Aspekte des Ergebnisses der Studie korrelieren dabei stark mit den Aspekten des Protagonisten des Romans.