Europarecht - Dieter Krimphove - E-Book

Europarecht E-Book

Dieter Krimphove

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Beschreibung

Das Europarecht ist im Hinblick auf Lebens-, Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen der EU-Bürger überall präsent. Seine Kenntnis ist daher unerlässlich. Das Werk erläutert wissenschaftlich fundiert und praxisorientiert die Organe und Institutionen der Europäischen Gemeinschaften und des Europarechts, seine Rechtsquellen und Grundfreiheiten bis hin zu den Europäischen Politiken. Tipps für Klausur und Praxis, Schaubilder und Tabellen erleichtern das Verständnis und den Umgang mit dem Europarecht im Studium und in der täglichen Praxis. Wichtige Entscheidungen zu den im Buch behandelten Themen, interaktive Fälle und ein Multiple-Choice-Test stehen auf der Verlagshomepage als Download zur Verfügung.

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Kompass Recht

herausgegeben von Dieter Krimphove

Europarecht

Mit umfassendem Material

von

Professor Dr. jur. Dieter KrimphoveUniversität Paderborn

4. aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

4. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-043792-0

E-Book-Formate:

pdf:  ISBN 978-3-17-043793-7

epub:  ISBN 978-3-17-043794-4

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Das Europarecht ist im Hinblick auf Lebens-, Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen der EU-Bürger überall präsent. Seine Kenntnis ist daher unerlässlich. Das Werk erläutert wissenschaftlich fundiert und praxisorientiert die Organe und Institutionen der Europäischen Gemeinschaften und des Europarechts, seine Rechtsquellen und Grundfreiheiten bis hin zu den Europäischen Politiken. Tipps für Klausur und Praxis, Schaubilder und Tabellen erleichtern das Verständnis und den Umgang mit dem Europarecht im Studium und in der täglichen Praxis. Wichtige Entscheidungen zu den im Buch behandelten Themen, interaktive Fälle und ein Multiple-Choice-Test stehen auf der Verlagshomepage als Download zur Verfügung.

Prof. Dr. jur. Dieter Krimphove ist Inhaber des Lehrstuhls für Europäisches Wirtschaftsrecht an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Paderborn.

Vorwort

Europarecht ist weit mehr als die staats- und völkerrechtliche Ordnung der Organe der Europäischen Gemeinschaften und deren Rechtsbeziehung zu den Europäischen Mitgliedstaaten. Bereits heute beeinflusst das geltende Europarecht die Rechtsordnungen eines jeden Mitgliedstaates zu ca. 90 %. Das Europarecht „beherrscht“ nahezu vollständig die Lebens-, Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen eines jeden einzelnen Bürgers. Die Kenntnis des Europarechtes in seiner gesamten Breite ist daher unerlässlich.

Der Forderung nach einem umfassenden Verständnis des Europarechts steht allerdings die unüberschaubare Flut sich inhaltlich ständig ändernder Europäischer Verordnungen, Richtlinie und Entscheidungen der Kommission und des EuGH entgegen. Eine verlässliche Vermittlung des Europarechtes erhält der Leser nun nicht durch das „Zusammenstreichen“ des Europarechtes auf seine spektakulären – wenn auch inhaltlich unzusammenhängenden – „Highlights“. Erforderlich ist vielmehr eine aktuelle, knappe, komprimierte und dennoch vollständige, systematische und wissenschaftlich verlässliche Darstellung der Funktionsweise, Institute und Strukturen des Europarechts. Nur so ist es möglich, dem Leser eine greifbare Vorstellung dessen zu liefern, was Europarecht – nicht nur in seiner wissenschaftlichen Diskussion, sondern auch im Alltag eines jeden in der Europäischen Union lebenden und wirtschaftenden Bürgers – ausmacht.

Diesem Ziel ist nachfolgendes Buch und das zum Download zur Verfügung stehende Zusatzmaterial verpflichtet.

Das Buch schildert prägnant die Organe und Institutionen der Europäischen Gemeinschaften und des Europarechtes, die Wirkungsweise des Europarechtes, seine verschiedenen Rechtsquellen und Grundfreiheiten bis hin zu den unterschiedlichen „Europäischen Politiken“, wie etwa die Verbraucher-, Sozial- und Wettbewerbspolitik.

Der nachfolgende Buchtext berücksichtigt die mit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages einhergehenden Änderungen.

Die jeweils eingefügten Fälle und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (im Folgenden EuGH) zählen zum Standard-Repertoire eines jeden Studenten und Praktikers. Sie veranschaulichen eingehend die Problematik des Europarechts und weisen auf dessen Lösungsanstöße und Entwicklungstendenzen hin.

Tipps, besondere Vermerke, zahlreiche Schaubilder, Tabellen, Zusammenfassungen und schließlich die ausführlichen Lösungsskizzen erleichtern das Verständnis und den Umgang mit dem Europarecht im Studium und in der täglichen Praxis.

Paderborn, im Frühjahr 2023Professor Dr. jur. Dieter Krimphove

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abkürzungsverzeichnis

1. KapitelDie Bedeutung des Europarechts

I.Die Europäischen Gemeinschaften2

II.Von der EWG zur EU3

2. KapitelDer Vorrang des europäischen Rechts vor dem nationalen

I.Das Vorrangprinzip im Einzelnen11

II.Beispiele: Die Einflussnahme des Europarechts16

3. KapitelDie Formen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften

I.Das Völkerrecht20

II.Das „Primärrecht“ der Europäischen Verträge21

III.Die europäische Verordnung23

IV.Die europäische Richtlinie24

1.Folgen einer pflichtwidrig nicht umgesetzten Richtlinie26

2.Der „europäische Schadenersatzanspruch“29

3.Die nicht-ordnungsgemäße oder nicht-ausreichende Umsetzung einer europäischen Richtlinie.31

4.Die Nicht-Umsetzung gravierender Rechtsgrundsätze.32

V.Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen33

VI.Das europäische Gewohnheitsrecht33

VII.Das Richterrecht des EuGH34

4. KapitelDie Warenverkehrsfreiheit

I.Einschränkung der (weiten) Dassonville-Formel39

1.Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 34 AEUV aus sozialpolitischen Gründen40

2.Die Rechtfertigungsgründe des Art. 36 AEUV40

3.Weitere Rechtfertigungsgründe zur Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit („Cassis de Dijon“)42

4.Die europaweite Anerkennung nationaler Produktions-Standards43

5.Die Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit aus Gründen der Medien- und Meinungsvielfalt („Familiapress“)43

6.Erneute Ausweitung der Rechtfertigungsgründe43

II.Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit44

III.Die Entwicklungen des europäischen Werberechts nach der Entscheidung „Keck“45

1.Maßnahmen eigener Art47

2.Klarstellung zur Prüfungsabfolge „vertriebsbezogener nationaler Maßnahmen“48

3.Neue Tendenzen49

4.Bedeutungszuwachs der Warenverkehrsfreiheit mit der neuen Rechtsprechung des EuGH50

5. KapitelDie Niederlassungsfreiheit

I.Einschränkung der Niederlassungsfreiheit56

1.Tätigkeiten der „öffentlichen Gewalt“ (Art. 51 Abs. 1 AEUV)56

2.Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit.57

II.Weitere Rechtfertigungsgründe57

III.Anerkennung von Diplomen und Ausbildungsnachweisen60

IV.Die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen, juristischen Personen und Gesellschaften62

V.„Europäisches Gesellschaftsrecht“69

6. KapitelDie Arbeitnehmerfreizügigkeit

I.Der Begriff des „europäischen Arbeitnehmers“73

II.Die Ausweitung des Schutzes der Arbeitnehmerfreizügigkeit74

III.Europarecht im Verhältnis Arbeitnehmer – Arbeitgeber75

1.Gleiche Einstellungschancen76

2.Gleichbehandlung bei der Wiederaufnahme der Arbeit76

3.Gleichbehandlung im Entgeltfortzahlungsrecht77

IV.Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit78

7. KapitelDie Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit

8. KapitelDie Dienstleistungsfreiheit

I.Der Begriff der Dienstleistungsfreiheit87

II.Die inhaltliche Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit von den anderen Europäischen Grundfreiheiten88

1.Produktwerbung der Warenverkehrsfreiheit89

2.Abgrenzung Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit89

III.Der grenzüberschreitende Bezug der Dienstleistung90

IV.Die gerechtfertigte Eingrenzung der Dienstleistungs­freiheit91

V.Die weitreichenden Folgen der Dienstleistungsfreiheit92

9. KapitelEuropäische Politiken

I.Der Verbraucherschutz95

1.Der technische Verbraucherschutz95

2.Der „rechtsgeschäftliche“ europäische Verbraucherschutz97

II.Die europäische Sozialpolitik101

1.Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte101

2.Die arbeitsrechtliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern (Art. 157 AEUV)102

3.Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung106

4.Tendenzbetriebe und der Religionsschutz108

5.Rechtsfolgen der Ungleichbehandlung durch den Arbeitgeber111

6.Das Arbeitsschutzrecht112

7.Das „Kollektive europäische Arbeitsrecht“114

III.Die europäische Wettbewerbspolitik115

1.Der „wirksame Wettbewerb“ – Leitbild der Europäischen Union118

2.Steuerung des Marktverhaltens durch das Verbot von „Kartellabsprachen“119

3.Die Rechtfertigung von Kartellen (Einzel- und Gruppenfreistellungen)122

4.Die europäische Fusionskontrolle126

5.Verbot des „Missbrauchs einer marktbeherrschenden Unternehmensstellung“131

Stichwortverzeichnis

Übersicht Piktogramme

Prüfungstipps für Studenten

Tipps für Praktiker

Gesetzestext

Weiterführender bzw. ergänzender Text als Download-Datei

Inhalt des Download-Materials:

–  Gesetze und sonstige Normen

–  Gerichtsentscheidungen

–  Fälle

–  Multiple-Choice-Tests

Weiterführende Informationen und Übersichten

Download des o. g. Materials unter https://dl.kohlhammer.de/978-3-17-043792-0

1. KapitelDie Bedeutung des Europarechts

1All jene, die einen ersten Zugriff zum Europarecht suchen, schrecken zunächst die zahllosen nichtssagenden politischen Sonntagsreden zu diesem Gebiet ab. Diese preisen das Europarecht in belanglosen ideologischen „Lobhudeleien“ und unverbindlichen Absichtserklärungen. Dem ist ganz und gar nicht so. Bereits heute beeinflusst das Europarecht schätzungsweise über 90 % aller Normen des deutschen Wirtschaftsrechts. Hieran hat auch der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (sog. Brexit) zum 31. Januar 2020 nichts geändert.

Man erkennt den Einfluss des Europarechts auf die deutsche Gesetzgebung insbesondere an dem derzeitigen Tempo, in dem der Gesetzgeber neue Vorschriften schafft.

Die im deutschen Recht überaus zahlreichen, an die Paragrafenzählung angehängten Kleinbuchstaben, z. B. § 613a BGB, §§ 505a ff. BGB, §§ 650a ff. BGB u. v. a.m. deuten den gewaltigen Umfang an, mit dem der europäische Gesetzgeber beständig neue „europäische Normen“ in das deutsche Recht „einführt“.

2Eine übergroße Bedeutung erhält das Europarecht, macht man sich dessen Regelungsgegenstand und dessen wirtschaftliche Tragweite bewusst. In dem Wirtschaftsraum der Europäischen Gemeinschaften leben auf einer Fläche von 4,24 Mio. m²– in der ersten Hälfte des Jahres 2022 – mehr als 446 Mio. Menschen aus 27 Mitgliedsstaaten (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Zypern). Die Bevölkerung der Europäischen Union ist somit etwa nur noch halb so groß wie die Chinas oder der USA.

3Allein diese Daten genügen, um die immense Bedeutung der Europäischen Union als Wirtschafts- und Kulturraum anschaulich zu machen.

Obige Überlegungen scheinen Grund genug, sich eingehend mit dem Europarecht, seinem Entstehen, insbesondere seinen rechtlichen wie wirtschaftlichen Auswirkungen auf das nationale Recht, sowie seiner aktuellen wie zukünftigen Entwicklung und Bedeutung für die Rechtsangleichung der zumeist höchst unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen und damit für das Entstehen eines einheitlichen Europäischen Binnenmarktes mit (nahezu) gleichförmigen Wirtschafts-, Lebens- und Arbeitsbedingungen auseinanderzusetzen.

I.Die Europäischen Gemeinschaften

4Die sog. „Europäische Gemeinschaft“ besteht aus zwei (und bis zum Auslaufen des EGKS-Vertrages am 22.7.2002 aus drei) unterschiedlichen Gemeinschaften. Der

Abb. 1: Gemeinschaften der Europäischen Union

5Die drei Gemeinschaften sind rechtlich vollständig eigenständig. Der sog. „Fusionsvertrag“ aus dem Jahr 1965 verschmilzt nicht die drei Gemeinschaften zu einer einzelnen. Er ermöglicht ihnen lediglich, dass die drei Gemeinschaften dieselben Organe (wie die Kommission und den Rat) gemeinsam nutzen.

Die Organe der Europäischen Gemeinschaften sind:

–  der Rat

–  die Kommission

–  das Europäische Parlament

–  der EuGH und

–  der Rechnungshof

Die Organe der Europäischen Gemeinschaften

Übersicht: Strukturen der Organe der EUDemokratie und Bürgebeteiligung

6Jede der drei Gemeinschaften ist eine eigene Rechtsperson. D. h. jede der Gemeinschaften kann Träger von Rechten und Pflichten sein (Art. 47 AEUV).

Jede der drei Europäischen Gemeinschaften kann ferner – durch ihre Organe – rechtlich eigenständig auftreten

–  und etwa völkerrechtliche Verträge bzw. Abkommen mit einzelnen Staaten der Europäischen Gemeinschaften (z. B.: Portugal, Schweden, Frankreich) und auch Drittstaaten wie den USA, der Türkei, etc. schließen (Art. 218 AEUV),

–  Rechte und Pflichten in den Mitgliedsstaaten begründen (Art. 335 AEUV), wie etwa Verpflichtungen eingehen oder Eigentum erwerben, oder

–  schadenersatzpflichtig werden, wenn ihre Organe widerrechtlich einem anderen Rechtsträger Schaden zufügen.

7Drei selbstständige Verträge (der EWG-Vertrag von 25.3.1957 in der Fassung des Amsterdamer-Vertrages v. 2.10.1997, der EGKS-Vertrag vom 18.4.1951 sowie der EAG-Vertrag vom 25.3.1957 [EURATOM-V]) liegen den drei Gemeinschaften zugrunde.

8Der EAG-Vertrag enthält Spezialregelungen für die friedliche Nutzung von Kernenergie bzw. für die Sicherheit im Umgang mit der Atomenergie und deren Erforschung. Der EGKS-Vertrag ist zum 22.7.2002 ausgelaufen (Art. 97 EGKS-V).

Der wichtigste und einflussreichste der Europäischen Verträge ist der EWG-Vertrag. Er durchlief eine Anzahl entscheidender Veränderungen:

II.Von der EWG zur EU

9Die geschichtlich/politische Entwicklung der Europäischen Union im 20. und 21. Jahrhundert kennzeichnet deren konstante Erweiterung:

–  Von den Europäischen Gemeinschaften der „Sechser-Gemeinschaft“ (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande) erweiterte sich diese ständig um neue Mitgliedstaaten, sowie um das Bestreben, diese in einer politisch eigenständigen, rechtsfähigen Organisation – der Europäischen Union – zusammenzufassen:

–  Nachdem sich die 6 Gründungsstaaten in den drei Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EURATOM und EWG) 1958 zusammengefunden hatten, traten diesen – in der „West-Erweiterung“ – Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich von Großbritannien am 1.1.1973 bei.

–  Zwar schied, nach seiner Trennung von Dänemark, Grönland am 23.2.1982 aus den Europäischen Gemeinschaften aus. Mit der sog. „Süd-Erweiterung“ erhöhte sich jedoch wiederum die Zahl der europäischen Mitgliedsländer um Griechenland (1.1.1981) sowie um Portugal und Spanien (1.1.1986).

–  Durch die unerwartete Wiedervereinigung Deutschlands am 3.10.1990 stieg die europäische Bevölkerung um 16 Mio. auf ca. 339,5 Mio. Einwohner an.

–  In der „Nord-Erweiterung“ traten dann zum 1.1.1995 Finnland, Österreich und Schweden den Europäischen Gemeinschaften bei.

–  Die größte Erweiterung erlebten die Europäischen Gemeinschaften am 1.5.2004. Ihr Kreis von 15 Mitgliedsländern erweiterte sich in der sog. „Ersten Ost-Erweiterung“ auf 25, durch die Aufnahme von Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern.

–  Nach einem überaus knappen Zeitraum von nicht einmal drei Jahren traten am 1.1.2007 – in der „Zweiten Ost-Erweiterung“ – Bulgarien und Rumänien den Europäischen Gemeinschaften bei.

–  Mit dem Beitritt Kroatiens zum 1. Juli 2013 wächst die EU auf 28 Mitgliedsländer und einer Gesamteinwohnerzahl von über 505 Mio. an. Gleichzeitig erhält die Europäische Union mit der kroatischen Sprache ihre neue, 24te Amtssprache.

–  Derzeit (2019) hat die Europäische Union ca. 512,6 Mio. Einwohner. Diese Zahl könnte im Verlaufe des Jahres 2020 auf 515,6 Mio. Einwohner ansteigen.

–  Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union verringert diese im Jahr 2020 auf schätzungsweise 448,6 Mio. in Europa lebende Menschen.

Fragestellungen Europas

Abb. 2: Einwohner der Europäischen Union

10In den Prozess der „sukzessiven“ Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten fallen, neben Kroatien, noch die Türkei, Mazedonien, Montenegro und Island als weitere Aufnahmekandidaten. Voraussichtlich wird unter ihnen Island der 29. Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Bereits heute ist jeder 13. Mensch ein Europäer. Das Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union betrug – im Jahr 2021 – etwa

–  14,50 Bio. (Billionen) €, also ca. 28.095 € pro Kopf, und weist, gemessen an dem der

–  USA – mit 19,44 Bio. €, bzw. 58.584 € BIP pro Kopf – oder mit dem

–  Chinas – 14,99 Bio € und ca. 10.051 € BIP pro Kopf –

einen durchaus respektableren mittleren Wert in der Weltwirtschaft aus.

11Das rasante Wachstum der europäischen Gemeinschaften war nur durch Verabschiedung folgender Rechtsakte möglich:

12–  DieGründungsverträge (EGKS-V, EAG-V, EWG-V): Wohl unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges diente der am 23.7.1952 in Kraft getretene EGKS-Vertrag und der EAG-Vertrag vom 1.1.1958 der Bindung der strategischen Montan- bzw. der Atomindustrie in den grenzüberschreitenden Gemeinschaften der sechs Gründungsstaaten. Beide Verträge enthalten – neben der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl bzw. der Europäischen Atomgemeinschaft – Regelungen über die nichtmilitärische Nutzung von Kohle und Stahl sowie zur ausschließlich wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie und insbesondere Normen zur Verankerung eines entsprechenden grenzüberschreitenden Gesundheitsschutzes.

–  Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – durch den EWG-Vertrag, ebenfalls von 1.1.1958 – war zunächst als die Errichtung einer „Zollunion“, unter Aufhebung von Zöllen und anderen zwischenstaatlichen Wirtschaftshemmnissen, zwischen den sechs Gründerstaaten gedacht.

–  Die Einheitliche Europäische Akte vom 1.7.1987 legte dann den Grundstein für den Europäischen Binnenmarkt, der bis zum 31.12.1992 vollendet sein sollte.

–  Der Maastrichter Vertrag über die Europäische Union – der sog. EUV vom 7.2.1992 – erweiterte zum 1.11.1993 die Aufgaben der Europäischen Gemeinschaften um eine „gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Kooperation der Mitgliedsstaaten in der Innen- und Justizpolitik (ZBIJ).“ Gemeinsam mit den beiden letztgenannten Abkommen stellt er die Europäischen Gemeinschaften – bildlich gesprochen – unter ein gemeinsames Dach, das der Europäischen Union (EU). Der Begriff „Europäische Union“ war dabei lediglich ein politischer. Er stand für die politische Zusammenarbeit der in den Europäischen Gemeinschaften zusammengeschlossenen Europäischen Mitgliedsstaaten in einem selbst nicht rechtsfähigen Staatenbund (so BVerfG in: NJW 1993, S. 3047 ff., 3052; NJW 1995, S. 2216 ff. [m. w. H.] zum Zweck der weitgehenden politischen Einigung Europas). Der Lissabonner Vertrag gewährt der EU nun den Status eines eigenständigen Völkerrechtssubjektes.

Abb. 3: Das Dach der Europäischen Union

–  Die Säulen II und III beinhalten – im Gegensatz zu den Europäischen Verträgen (Säule I) – lediglich (rein völkerrechtliche) Regelungen einer Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten (sog. intergovernmentale Kooperation). Ihre Inhalte unterliegen daher grundsätzlich (noch) nicht dem Kontrollsystem der europäischen Organe, insbesondere nicht dem Gesetzgebungssystem, dem Mehrheitsbeschluss-System, dem Finanzsystem und der Rechtskontrolle durch den EuGH, wie es für die Angelegenheiten der Säule I vorgesehen ist.

–  Erstmals führte der Maastrichter Vertrag über die Europäische Union die Unionsbürgerschaft als den Rechtsstatus „politischer Grundrechte auf europäischer Ebene“ auf. Diese „politischen Grundrechte“ (Petitionsrecht [Art. 21 EGV], Wahlrecht der europäischen Bürger [Art. 19 EGV], „Recht“ auf Diplomatische Vertretung [Art. 20 EGV], Freizügigkeit [Art. 18 EGV]) hat erst die Amsterdamer Fassung des EG-Vertrages durch Art. 8 lit. C des Vertrages über die Europäische Union/Amsterdamer Fassung vom 2.10.1997 übernommen (Art. 17 bis Art. 22 des EG-Vertrages).

–  Von historischer Bedeutung ist der Maastrichter Vertrag ferner durch die Vereinbarung der Etablierung einer europäischen Währungsunion.

–  Der Amsterdamer-Vertrag (1.5.1999) bereitete insbesondere die beiden Osterweiterungen der EU vor. Er vereinfachte das aus der Neuordnung der Europäischen Gemeinschaften resultierende Normengeflecht und wechselte einzelne Aufgaben zwischen den drei Säulen aus. Insbesondere hat er die Inhalte der zahlreichen neben dem EGV bestehenden Protokolle in den EGV eingepasst. Hieraus ergibt sich eine vollkommen neue Nummerierung der Artikel des EG-Vertrages.

–  Der Vertrag von Nizza (1.2.2003) bereitete die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften um die BeitrittsländerBulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern vor und schuf damit die entscheidenden Voraussetzungen für den heutigen Mitgliederbestand der Europäischen Union von 27. Er schuf Regelungen zur Größe und Zusammensetzung der Kommission, zur Stimmgewichtung der einzelnen Mitgliedstaaten im Rat und weitete die Möglichkeit der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit sowie dem Verfahren der Zusammenarbeit aus. Mit dem Vertrag von Nizza haben die vertragschließenden Länder ebenfalls die „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ verkündet. Trotz dieser quantitativen Aufführung von Rechtspositionen darf die Bedeutung der Europäischen Charta der Grundrechte nicht überschätzt werden: Viele der angesprochenen Rechte stehen unter dem Vorbehalt der nationalen Regelungen. Grundsätzlich neue Rechtspositionen vermittelt die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht. Sie gibt vielmehr das Bestreben der europäischen Staaten zu erkennen, einen „europaeinheitlichen Grundrechtskatalog“ zu entwickeln und zu verabschieden.

–  Am 29.10.2004 unterzeichneten die Vertreter der europäischen Mitgliedsstaaten den Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVE). Dieser sollte

–  das Säulenmodell des Maastrichter Vertrages durch die Zusammenfassung deren Inhalte ablösen,

–  sämtliche europäischen Verträge in der Europäischen Verfassung vereinigen

–  die einzelnen (beiden) Europäischen Gemeinschaften in der nun eigenständig rechtsfähigen Europäischen Union aufgehen lassen,

–  einen eigenen verbindlichen Grundrechtskatalog durch die Einbeziehung der europäischen Grundrechts-Charta in die europäische Verfassung schaffen,

–  die demokratische Bürgerbeteiligung, insbesondere durch eine Gewährung von Initiativrechten bei der Gesetzgebung stärken sowie

–  die Institution eines europäischen Außenministers ins Leben rufen.

13Die sog. Europäische Verfassung trat nicht in Kraft, da einige Mitgliedsstaaten (Frankreich, Niederlande) ihre Ratifizierung ablehnten.

Einen neuen Versuch, die Handlungsfähigkeit der immerhin auf 27 Mitgliedsstaaten angewachsenen Europäischen Gemeinschaften wiederzuerlangen, unternahmen die Regierungsvertreter aller europäischer Mitgliedsländer am 13.12.2007 mit dem sog. Reformvertrag, auch Lissabonner Vertrag genannt. Dieses Vertragswerk übernimmt im Wesentlichen die Inhalte der Europäischen Verfassung. Allerdings bleiben die beiden Verträge EUV (Maastrichter Vertrag) und der EGV als eigenständige Grundlage der Europäische Union bestehen. Der EGV wird zum „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) und regelt insbesondere deren Kompetenzen und das Abstimmungsverfahren der Mitgliedsländer neu. Zahlreiche Ausnahmeregelungen gelten für einzelne Mitgliedstaaten (speziell Großbritannien, Polen und Tschechien). Diese Länder sind insbesondere von der Geltung der Europäischen Grundrechtscharta ausgenommen. Nach zähen Verhandlungen tritt nun der Lissabonner Vertrag – und damit auch der wichtige AEUV – zum 1.12.2009 in Kraft.

Übersicht: Entstehen der EU und ihrer RechtsquellenMultiple-Choice-Test 1

Das Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages berührt den Inhalt der nachfolgenden Ausführungen nicht. Es ändert sich lediglich die Zählung der Artikel des EGV (künftig AEUV).

Synopse EG-Vertrag – Lissabonner Vertrag

2. KapitelDer Vorrang des europäischen Rechts vor dem nationalen

14Die Bedeutung des europäischen Rechts unterstreicht seinen Anspruch, den es im Verhältnis zum nationalen Recht behauptet.

15In der Anfangsphase der Europäischen Gemeinschaften ging die Rechtslehre noch von der Selbstständigkeit des Europarechts und des nationalen Rechts aus. Beide Rechtsgebiete bilden zwei unabhängig voneinander bestehende Rechtskreise, die sich gegenseitig weder berühren noch beeinflussen (sog. Zweirechtskreistheorie). Die Wirkung des Europarechts auf das nationale Recht der Mitgliedsstaaten lief dabei gegen Null. Schon früh – nämlich im Jahre 1964 – erkannte der EuGH, dass die Zweirechtskreistheorie nicht geeignet war, das europäische Recht durchzusetzen und zu einer Vereinheitlichung der Rechts- und Wirtschaftsbedingungen in Europa beizutragen. In seiner Rechtsprechung wandte sich der EuGH gegen diese Auffassung und etablierte insbesondere in seiner EntscheidungCosta/ENEL den Grundsatz des „Vorranges des Europarechts“.

16Costa/ENEL; EuGH v. 15.7.1964 (Rs. 6/64) Flamio Costa gegen ENEL, Slg. 1964, S. 1251

Per Gesetz verstaatlichte der italienische Staat alle in Italien stromerzeugenden Energieunternehmen und übertrug sie auf das neugegründete staatseigene Unternehmen ENEL. Zu den konfiszierten Unternehmen zählte auch die Aktiengesellschaft „Edisonvolta“, deren Aktionär Herr Costa war. Herr Costa weigerte sich, seine Stromrechnung an ENEL zu bezahlen. Zwar hatte er tatsächlich Strom in entsprechender Höhe verbraucht. Seiner Meinung nach verstößt aber die Verstaatlichung gegen den EWG-Vertrag. Ein italienisches Gericht legte dem EuGH genau diesen Aspekt zur Entscheidung vor. Die italienische Regierung vertrat demgegenüber den Standpunkt, der EuGH könne diese Frage gar nicht überprüfen. Denn hier stehe ein italienisches Gesetz in Frage, zu dessen Kontrolle das Europäische Gericht gar nicht befugt sei.

Der EuGH bejahte seine Befugnis, auch nationale Gesetze der Kontrolle durch ihn bzw. das Europarecht zu unterziehen. Er betont,

1.  dass – im Gegensatz zu anderen völkerrechtlichen Verträgen – der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung darstelle, die die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Rechtsordnungen übernommen haben (Rn. 8);

2.  dass gegen das Recht des EWG-Vertrages verstoßende nationale Regelungen der vertraglich eingegangenen Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Gründung einer Gemeinschaft widersprechen (nämlich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) (Rn. 9 f.);

3.  dass die Mitgliedstaaten ihre (gesetzgeberische) Souveränität zur Verabschiedung von eigenständigem nationalen Recht zugunsten der Europäischen Gemeinschaften beschränkt und auf diese übertragen haben (Rn. 8 ff.) (so auch: EuGH v. 13.2.1969 [Rs. 14/68] Walt Wilhelm gegen Bundeskartellamt, Slg. 1969, S. 1 ff.).

Dem europäischen Recht gebührt daher gegenüber dem nationalen der Vorrang (Rn. 10/11).

Die europäischen Mitgliedstaaten können daher nicht nachträglich nationales Recht schaffen, welches dem Europarecht zuwiderläuft. Gleichbedeutend mit der Feststellung des Vorranges des Europarechts vor dem nationalen ist die Aussage, dass der Europäische Gerichtshof auch „rein“ nationale Gesetze auf seine Europarechtmäßigkeit überprüfen darf.

(In der Sache selbst stellte dann der EuGH fest, dass tatsächlich die Verstaatlichung der Energieunternehmen gegen das Europarecht, nämlich gegen Art. 37 Abs. 1 EWG-V [a. F.] verstieß. Die Verstaatlichung trug nämlich zum Entstehen eines nach Art. 37 Abs. 2 EWG-V unzulässigen Handelsmonopols bei. Sie war daher europarechtswidrig und damit nichtig.)

Ist eine nationale Norm europarechtswidrig, d. h. verstößt sie gegen Europarecht, ist diese Regelung nichtig. Sie braucht daher weder (vom nationalen Gesetzgeber) aufgehoben noch (vom nationalen Gesetzgeber) ersetzt werden. Auf ihren Inhalt kann sich niemand berufen.

Falls die Nichtigkeit den europäischen Bürger rückwirkend belasten würde, gilt sie zu seinem Schutz erst ab dem Zeitpunkt ihrer Feststellung durch das Urteil des EuGH.

Barber; EuGH v. 17.5.1990 (Rs. C-262/88) Douglas Harvey Barber gegen Guardien Royal Exchange Assurance Group, Slg. I 1990, S. 1889, Rn. 40–45.

17Der EuGH bejahte nicht nur die eher „formelle“ prozesstechnische Frage nach der Überprüfbarkeit nationalen Rechts durch das Europäische Gericht. Er bescheinigte auch den inhaltlichen Vorrang des Europarechts vor anderslautenden nationalen Vorschriften. Dies verdeutlicht insbesondere der Fall:

18Simmenthal; EuGH v. 9.3.1978 (Rs. 106/77) Staatliche Finanzverwaltung gegen Simmenthal, Slg. 1978, S. 629

Im Fall Simmenthal hatte Italien ein Gesetz erlassen, welches Kontrollen von Rindfleisch vorsah. Solche Kontrollen untersagt das europäische Recht ausdrücklich.

Der EuGH hält den Inhalt des italienischen Gesetzes für europarechtswidrig und damit für nichtig.

19Das europäische Recht beansprucht seinen Vorrang nicht nur für bereits vor dem EWG-Vertrag bestehende nationale Rechtsnormen. Auch alle zukünftigen nationalen Rechtsnormen müssen sich an das europäische Recht halten. Damit greift das europäische Recht (unmittelbar) inhaltlich in die nationale Rechtsetzung ein.

Das BVerfG hat mit seinem Beschluss vom 6.7.2010 den Vorrang des Europäischen Rechts, insbesondere der Entscheidungen des EuGH, vor dem deutschen Recht ausdrücklich anerkannt (BVerfG, Beschluss vom 6.7.2010; AZ: 2 BvR 2661/06).

Der „Vorrang des Europarechts“ erfasst alle Bereiche des nationalstaatlichen Handelns, d. h., er gilt nicht nur für den nationalen Gesetzgeber (Legislative). Auch alle nationalen Gerichte (Judikative) und Behörden (Exekutive) sind an das europäische Recht und mithin an seine vorrangige Geltung vor dem nationalen gebunden.

Jeder Abgeordnete, jeder Verwaltungsbeamte oder Angestellte, jeder Richter hat also europäisches Recht anzuwenden, was insbesondere dessen genaue Kenntnis voraussetzt.

I.Das Vorrangprinzip im Einzelnen

20Der Grundsatz des Vorranges des europäischen Rechtes vor dem nationalen gilt nicht uneingeschränkt. Das Vorrangprinzip kommt nämlich – entsprechend seinem Zweck – nur zum Tragen, wenn ein tatsächlicher Konflikt zwischen dem europäischen und dem nationalen Recht besteht. Dieser Konflikt ist dann ausgeschlossen, wenn entweder

–  beide Rechtsordnungen zu dem selben Ergebnis kommen oder

–  die nationale Rechtsordnung strengere, rigidere Normen als das Europarecht enthält.

In der ersten Alternative scheidet das Bestehen eines Konfliktes bei beiderseits gleichlautendem Recht begrifflich bereits aus.

In der zweiten Alternative beansprucht das europäische Recht grundsätzlich deswegen keinen Vorrang vor dem nationalen, weil die nationale Rechtsordnung durch ihre strengeren, rigideren Normen einen Sachverhalt über das europarechtlich gebotene Maß hinaus regelt und dabei die Gebote des Europarechts mehr als erfüllt. Mit der grundsätzlichen Geltung des strengeren nationalen Rechtes räumt das Europarecht den Mitgliedsstaaten doch noch nationale rechtliche Freiräume zur Regelung insbesondere ihrer nationalen Wirtschafts- und Kulturinteressen ein. Das inhaltlich weit über europäische Regelungsgebote hinausgehende deutsche Ladenschluss-Gesetz, die detaillierten deutschen Regelungen der Berufsausbildung in Deutschland oder die strengen Regelungen zum technischen Arbeitsschutz wären, bei einem kompromisslos durchgeführten „Vorrangprinzip“, gar nicht erklärbar. Ausdrücklich legen Art. 153, 193 AEUV die Möglichkeit fest, strengeres nationales Recht neben dem europäischen zu entwickeln oder aufrechtzuerhalten.

Allerdings ist die Ausnahme vom Grundsatz des Vorrangprinzips nur dann möglich, wenn das strengere nationale Recht nicht seinerseits gegen weitere Ziele oder Rechtspositionen des europäischen Rechts verstößt.

21Beispiel:

Diese Konstellation lag etwa in dem „Bier-Reinheitsgebotsfall“ (EuGH