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Der vorliegende Manuskript wurde am 10. April 2024 in einem Vortrag gehalten, der auf Einladung der Aachener Unesco-Sektion in Kooperation mit dem Rahmenprogramm der Karls-Preis-Verleihung 2024 stattfand.
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Seitenzahl: 31
Nachdenkliches Hinführen
Albert Einstein
Keine Idee ist eine gute, die nicht am Anfang völlig illusorisch erschien.
Ernst Gellner
»Dass das Realexistierende auch das Vernünftige sei, gehört zu den schwachsinnigsten Behauptungen, die in der Philosophie vertreten wurden.«
Václav Havel
Ohne einen Traum für ein besseres Europa können wir kein besseres Europa schaffen.
Denis de Rougemont
Die autonomen selbstverwalteten und föderativen Regionen sind also die einzige Alternative zum Nationalstaat, dort in der Region ist der Raum der Bürgerbeteiligung, wo der Mensch der Welt als auch sich selbst bewusst werden kann.
Kardinal Richelieu
Politik ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen.
Inhaltsverzeichnis
Europa in der Krise – Eine Zustandsbeschreibung
Das Mögliche ist das Reale.
Genossenschaftlich organisierte Lebensgemeinschaft
Ein Blick zurück
Eine Skizze eines anderen Europa
Fazit
Personenregister
Verwendete Literatur
Quellen
Monographien
Sammelbände
Zeitschriften und Presse
Der Nationalstaat und mit ihm die nationalstaatlich basierte Europäische Union befinden sich in einer existentiellen Krise. Diese Krise ist keine Krise wie viele andere in dem mehr als 70-jährigen Versuch, Europa zu einigen. Wir haben es mit einer Systemkrise epochalen Ausmaßes zu tun, einem Übergang von einer historischen Phase in eine andere, vergleichbar mit den ganz großen Umbrüchen in der Vergangenheit, wie etwa den Neuordnungen Europas nach dem 30-jährigen Krieg 1648 oder nach dem Wiener Kongress 1815. Die derzeitige Krise rüttelt an den Fundamenten der westlichen Gesellschaften, aber auch weltweit, ohne uns eine Orientierung zu geben, wie wir in Zukunft leben wollen. Nach der Auflösung der antagonistischen Ideologien, hier der Kapitalismus, dort der Kommunismus, damit ein hergehend der Auflösung der Sowjetunion glaubte man, die Welt ließe sich in einem verträglichen Miteinander aufbauen. Das Gegenteil ist eingetreten, überbordender Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Abschottungen und vieles mehr. Dies erzeugt in bedrohlichem Maße Ratlosigkeit, Angst, Orientierungslosigkeit und Verunsicherung.
Da es bei unserem Thema über die Zukunft Europas geht, betrachten wir nicht die Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint. Nur ein Gedanke zur Weltlage – Europa ist nur ein Teil davon, wenn es darum geht, welches Lebensmodell sich in Zukunft durchsetzen wird, das demokratische oder das autokratische. Erschreckende Zahlen hat der jüngste Economist Index vorgelegt, der zeigt, dass nur noch 7,8 Prozent der Weltbevölkerung, das sind 23 Länder, die in einer vollständigen Demokratie, 37,6 Prozent, die in mangelhaften demokratischen Staaten und 54,6 Prozent, also 94 Staaten, in denen die Menschen in Unfreiheit Leben. Tendenz steigend.
Kommen wir auf Europa zurück.
Der Hauptstörenfried für eine notwendige grundlegende Reform der EU ist nach meiner Auffassung der Nationalstaat. Er ist die eigentliche Ursache für die Systemkrise der EU, weil er selbst in einer Systemkrise steckt und damit zwangsläufig die nationalstaatlich basierte EU mit hineinzieht. Er ist nicht bereit, seine Souveränität in einem notwendigen Maße auf die EU-Ebene zu verlagern. Nur dann könnte der Weg für eine europäische postnationale Demokratie freigemacht werden.
Der Nationalstaat hat seine historische Funktion erfüllt, z. B. sein Beitrag zur Überwindung des Feudalismus. Er ist auch nicht »das letzte Wort der Geschichte.« »Die Nationen [und mit ihnen der Nationalstaat] sind nichts Ewiges.Sie haben einmal angefangen, sie werden einmal enden« wie es Ernest Renan formulierte (Renan 1882, 447). Der Nationalstaat ist an die Nation gebunden, nicht aber die Nation an den Nationalstaat, wie zum Beispiel die Nation der Kurden zeigt.
»Der Nationalstaat steht unter einem doppelten Druck. Er wird durch vielerlei Kräfte von innen und außen verändert. Von innen ist er mit wachsendem Loyalitätsschwund und zunehmender Orientierungslosigkeit seiner Bürgerinnen und Bürger konfrontiert, weil er selbst orientierungslos geworden ist. Die Welt, in der der einzelne Mensch lebt, wird ständig unübersichtlicher« (Böttcher, 2014a, 715).