Eva und Adam – Adam und Eva - Thea Caillieux - E-Book

Eva und Adam – Adam und Eva E-Book

Thea Caillieux

0,0

Beschreibung

Die biblischen Erzählungen von Adam und Eva haben auf vielfältige Weise Eingang in die abendländische Kulturgeschichte gefunden, besonders anschaulich in der europäischen Bildtradition. Über die Jahrhunderte prägen die Darstellungen der beiden ersten Menschen unsere Vorstellung davon, was ein Paar ausmacht, wie Frauen und Männer zu sein und wie sie auszusehen haben: Sie zeigen Geschlechterrollen als konstruierte Konventionen. Im Laufe der Kunstgeschichte stehen die Bilder von Eva und Adam in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Sie dienen der Christianisierung, der Ästhetisierung, der Erotisierung, der Dämonisierung, bis sie schließlich zu Elementen des kulturellen Gedächtnisses werden, derer sich Literatur, Bildende Kunst und Werbeindustrie gleichermaßen bedienen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 241

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thea Caillieux

Eva und Adam – Adam und Eva

Das erste Paar in der Kunst

© 2022 zu Klampen Verlag · Röse 21 · 31832 Springe · zuklampen.de

Umschlaggestaltung: Stefan Hilden · München · hildendesign.deunter Verwendung des Werkes Adam und Eva von Michael Triegel,© VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Satz: Germano Wallmann · Gronau · geisterwort.de

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

ISBN Print 978-3-86674-832-3

ISBN E-Book-PDF 978-3-98737-351-0

ISBN E-Book-EPUB 978-3-98737-350-3

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.

Inhalt

Vorbemerkung

Adam, Eva und Lucy

Ein Vorwort von Thomas Knubben

1. Auf dem Weg zu Eva und Adam

Schöpfungsgeschichten

Bilder lesen

Zauber des Anfangs

Der Eva-und-Adam-Mythos: vom Mittel der Christianisierung zum Element des kulturellen Gedächtnisses

Literarische Entremets

2. Unisex

Die ersten tausend Jahre

3. Schöne Frauen, starke Männer

Hochmittelalter

4. Vorbilder für Jahrhunderte

15. Jahrhundert

5. Verführerinnen und Voyeure

Frühe Neuzeit

Dürer und das ideale Maß

Cranach und die Bewegung

Adam, Eva und die Betrachter

Eva und ihre zügellosen Schwestern

6. Idyllen in der Katastrophe

17. und 18. Jahrhundert

Im Paradies

Sitzen und Stehen

Vermessung und Kunst

Katastrophen

»Geheiligte Natur-Wissenschaft«

7. Femmes fatales

Zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und beginnendes 20. Jahrhundert

Irritationen

Eva und die Schlange

Evas monströse Schwestern

Meisterdenker der Zeit

8. Die Gesichter der Zeit

Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts

»Jedenfalls trage ich das Gesicht der Zeit«. Max Beckmann

Andere Gesichter der Zeit

9. »Ein Sturm weht vom Paradiese her«

Apokalypse I: Grieshabers Weltgericht

Apokalypse II: Brigitte Maria Mayer, 9/11

10. Remakes

Damned

Floating World

11. Ikonografische Fusionen

12. Ein Baum wie ein Paar. Ein Paar wie ein Baum

Mit Eva und Adam durch die Zeit – Beziehungsbilder und Bildbeziehungen

Ein Nachwort von Katinka Schweizer

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Dank

Vitae

Vorbemerkung

Abb. 1 Volker Kühn, 1977, 3,6 × 3,6 cm

Dieser Arbeit liegt eine große Sammlung von Eva-und-Adam-Darstellungen zugrunde, die über lange Jahre entstanden ist. Den Anfang der Sammlung machte die Miniradierung von Volker Kühn aus dem Jahr 1977 (Abb. 1), ein Geschenk und meine erste erinnerte Begegnung mit dem mythischen Paar. Erstaunlicherweise sprach mich das kleine Bild mit den unbeholfen, wie von Kinderhand gezeichneten Wolken und der Sonne an, und es irritierte mich. War ich solch eine Eva, die scheinbar desinteressiert an Adam auf ihn herabschaut? Erlebte ich »Adam« als aktiv, mich als abwartend-beobachtend, vom Geschehen in die Baumgipfel entrückt? Der Mechanismus der Identifikation hatte funktioniert: Ich war Eva.

Bald kamen andere Bilder aus der reichen Adam-und-Eva-Tradition in meine bewusste Wahrnehmung. Die Fragen blieben: Bin ich so? Sind wir so?

Adam, Eva und Lucy

Ein Vorwort

Bei Adam und Eva zu beginnen, heißt, eine Geschichte von Anfang an erzählen zu wollen. Die Reihenfolge umzudrehen und Eva an den Beginn zu stellen, deutet hingegen an, die Geschichte gegen den Strich erzählen oder zumindest eine andere Perspektive einnehmen zu wollen. Beide möglichen Sequenzen aber aufzugreifen und gedankenvoll gegenüberzustellen, signalisiert den Wunsch nach einer stimmigen Balance und die Betrachtung des legendären ersten Paares auf einer neuen Ebene.

Eva hieß, soweit wir heute wissen, nicht Eva, sondern Lucy. Zumindest hat ihr Entdecker Donald Johanson die erste Frau so genannt, als er vor knapp fünfzig Jahren in Äthiopien große Teile ihres Skeletts ausgrub. Lucy war bereits 3,2 Millionen Jahre alt, gut einen Meter groß und verfügte, was für dieses Buch nicht unwichtig ist, schon über den aufrechten Gang. Lucy wurde von den Paläoanthropologen als Frühform der Menschwerdung der Spezies Australopithecus afarensis zugeordnet. Wohl gibt es mittlerweile noch ältere vergleichbare Funde, aber Lucy ist für die Anthropologen das, was Eva für die bibelbasierten Theologien ist: Richtschnur und Leitfossil. Lucy ist in archäologischer Hinsicht zwar bedeutend älter als Eva, historisch betrachtet aber noch sehr jung. Dies zeigt schon ihre Namensgebung, die sie einem Beatles-Song verdankt. Die Paargeschichte, die in diesem Buch erzählt wird, lässt sich daher nur am Bild der Eva entwickeln. Auch deshalb, weil wir Lucys Adam nicht kennen. Eva und Adam bleiben daher das Urpaar und der Prototyp für alle Geschlechterbeziehungen, die noch folgen sollten – Orpheus und Euridike, Tristan und Isolde, Romeo und Julia, Leonce und Lena, Harry und Sally.

Das Medium der Reflexion über Adam und Eva ist die Kunst, sind Malerei und Skulptur. Die anderen Paare fanden ihre ästhetische Erscheinung eher in der Literatur und Musik, in Epos und Oper, in Theater und später im Film. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass die biblische Schöpfungs- und Sündengeschichte, so dramatisch sie ist, äußerst knapp, eher skizzenhaft, fast plakativ ausgefallen ist und sich daher bestens in einem Bild darstellen lässt. Baum, Schlange, Apfel, nacktes Paar – mehr braucht es nicht als szenisches Arrangement und für das Erkennen der tragischen Konstellation. Die späteren Paarbeziehungen erscheinen psychologisch und sozial komplexer und benötigen daher eine erzählerische Dramaturgie, die gesellschaftlich rückgekoppelt ist und erst ganz allmählich entwickelt wird. Wenn die Schöpfungsgeschichte, selten genug, doch theatralisch umgesetzt wurde, dann geschah dies wie bei den barocken Dichtern und Komponisten Sebastian Sailer und Meingosus Gaelle oder danach bei Mark Twain und Peter Hacks zumeist in Form von Komödien, die sich, wenn auch in volkspädagogischer Absicht, aus dem Geschehen einen vergnüglichen Spaß machten. Nur in ganz wenigen Werken wie John Miltons Paradise Lost und der teilweise darauf fußenden Schöpfung von Joseph Haydn fand die Paradiesgeschichte eine Umsetzung in große Gesänge, bei letzterem freilich unter Verzicht auf den Sündenfall.

Was macht den biblischen Schöpfungsmythos und mit ihm die Eva-und-Adam-Episode so spannend, dass er seit bald drei Jahrtausenden die Menschen beschäftigt und mancherorts bis heute heftige Streitigkeiten auslöst zwischen sogenannten Kreationisten, die sich in ihrem Verständnis der Schöpfung am Wortlaut der Genesis orientieren und die wir in dieser Hinsicht als Anhänger Adams und Evas betrachten können, und den Vertretern der Evolutionstheorie, für die Lucy eine entscheidende Größe darstellt? Bezogen auf die Geschichte des Sündenfalls, den Griff nach dem Apfel vom Baum der Erkenntnis und die blitzartige Wahrnehmung der eigenen Nacktheit sind die Positionen womöglich gar nicht so weit voneinander entfernt. Denn hierin offenbart sich, was Anthropologen als die kognitive Revolution in der Entwicklung des Menschen bezeichnen. Damit wird der entscheidende Bruch, die Abkehr des Menschen aus seiner Einbettung in das große Ganze, der Exodus des Homo sapiens aus dem bis dahin unhinterfragten und unhinterfragbaren Paradies vor etwa 70.000 Jahren markiert. Zwischen Welt und Mensch, zwischen Mensch und Tier tut sich plötzlich ein Graben auf, bildet sich eine Grenze, die erst in jüngster Zeit im Lichte der Biowissenschaft sich wieder aufzulösen beginnt. Mit dem Kosten vom Baum der Erkenntnis, also der konsequenten Nutzung der immer stärker ausgebildeten kognitiven Potenziale werden dem Menschen besondere Gaben und eine einzigartige Stellung im biologischen System zuteil. Es ist im Kern das Vermögen, über sich selbst nachzudenken und Geschichten jenseits der direkten Anschaulichkeit zu erfinden. Mit der Fähigkeit, fiktive Möglichkeiten zu ersinnen, erweiterte sich der Denk- und Handlungsraum ins Unermessliche und ins Unendliche. Sie erlaubte dem Menschen in der Folge, das Feuer zu zähmen, sich an einem Ort dauerhaft niederzulassen und Landwirtschaft zu treiben, schreiben und lesen zu lernen, alle Arten von Maschinen zu bauen und schließlich bis zum Mond zu fliegen.

Eines der frühesten Ausdrucksformen dieser revolutionären Fähigkeit ist seit über 30.000 Jahren die bildende Kunst. In den Höhlen auf der Schwäbischen Alb, von Altamira, in Lascaux und anderswo haben sich deren Zeugnisse erhalten. Auch wenn wir über die Hintergründe und Umstände der Hervorbringung dieser Artefakte nur begrenzt Bescheid wissen, sind es letztlich drei Fragen, die die Menschen und mit ihnen die Künstler seitdem beschäftigen. Paul Gauguin, selbst immer auf der Suche nach dem verlorenen Paradies, hat sie zum Bildtitel eines seiner bedeutendsten Gemälde gemacht: »Woher kommen wir? Wer sind wir! Wohin gehen wir?«

Dies sind auch die Grundfragen, die in dem biblischen Schöpfungsbericht und der paradiesischen Sündengeschichte verhandelt werden. Wie kommt es, dass es uns überhaupt gibt, wer oder was hat uns erschaffen? Wer sind wir denn in unserer jämmerlichen Nacktheit, in der wir der Unbill der Welt ausgesetzt sind? Und wohin gehen wir, was wird danach kommen?

Zwischen diesen drei großen Themen gibt es freilich noch eine Fülle weiterer Fragen und Überlegungen, die in den Eva-und- Adam-Bildern gefasst und bearbeitet werden. Die faszinierende Zusammenschau in diesem Band und die präzis-detaillierte Betrachtung durch Thea Caillieux machen es augenscheinlich. Eva ist ihr zunächst als ein Spiegelbild gegenübergetreten, das zur Identifikation einlud, aber sogleich die Notwendigkeit nach sich zog, Bild und Spiegelbild zu hinterfragen, sie auf ihre konzeptionellen Hintergründe, ihre Aussagekraft und Wirkungsmächtigkeit, die sie insbesondere in der Paarkonstellation entfaltet, zu betrachten. Eines war dabei von Anfang an offensichtlich: Adam und Eva verkörpern verschiedene Positionen, ihnen werden unterschiedliche Rollen, unterschiedliche Spielräume, unterschiedliche Handlungsoptionen im Widerstreit von Geben und Empfangen zugewiesen. Doch so eindeutig dies im Text der Genesis angelegt zu sein scheint und damit orthodoxe Verbindlichkeit beansprucht, ist dennoch kaum zu erwarten, dass über einen Zeitraum von annähernd 2000 Jahre hinweg, in denen die Welt mehrfach unterging und in veränderter Form wiedererstand, sich nicht auch die Ikonografie des ersten Paares den veränderten Gegebenheiten anpassen und sich mannigfaltig wandeln musste. Wie dies aber geschah, in welchem Ausmaß, in welche Entwicklungsstadien und in welchen Bilderfindungen, dies galt es zu überprüfen. Entstanden ist so ein Panoptikum des Eva-und- Adam-Motivs, das keine Vollständigkeit beansprucht, aber verblüffende Einblicke und nachvollziehbare Einsichten vermittelt. Nachvollziehbar deshalb, weil Thea Caillieuxs Methode darin besteht, zuallererst einmal genau hinzusehen, den mitschauenden Leserinnen und Lesern die Augen zu öffnen und den Blick zu lenken auf die Fülle dessen, was in den einzelnen Bildern zu erkennen ist und es dann in einem zweiten Schritt in Beziehung zu setzen zu dem, was sie von anderen, vorher gezeigten und nachfolgenden, unterscheidet. In dieser vergleichenden Perspektive bilden sich nach und nach Cluster, die in den geistesgeschichtlichen Zusammenhang gebracht ein gedanklich spannendes und sinnlich opulentes Panorama entfalten.

Was ist dabei alles zu entdecken: gleichsam genderneutrale Darstellungen im ersten Jahrtausend der Bildüberlieferung, die Aufspaltung der Geschlechter in »starke Männer« und »schöne Frauen« im Hochmittelalter, die Säkularisierung und Sexualisierung des Blicks in der frühen Neuzeit, die Idyllisierung des Paradieses im Zuge der Neubestimmung der Natur im Zeitalter der Aufklärung, der Kampf der Geschlechter in der beginnenden Moderne, die apokalyptische Bedrohung der Menschheit angesichts der Kriege des 20. und der Terrorakte des 21. Jahrhundert und nicht zuletzt Eva und Adam als Versatzstücke einer postmodernen Bildwelt, in der alles und jedes ständig verfügbar und beliebig kombinierbar scheint. Nein, nicht ganz, das letzte Bild – Dani Karavans Metamorphose eines alten Olivenbaums –, das Thea Caillieux vorstellt und in dem sich der Kreis ihrer Betrachtung schließt, ist ein Kunstwerk von mythischer Kraft, eine Botschaft der Versöhnung und ein Zeichen der wiedergefundenen Einheit von Mensch und Natur am Ende einer aufregenden Suche nach dem verlorenen Paradies.

Thomas Knubben

1. Auf dem Weg zu Eva und Adam

Kunstwerke betrachten bedeutet, sich den Gefühlen und Gedanken ihrer Urheber auszusetzen, die ihre Werke, eingebettet in ihr jeweiliges kulturelles Erbe, mit ihrer Individualität geschaffen haben. So sprechen uns nicht nur die Kunstwerke an, sondern auch diejenigen, die sie geschaffen haben. Wenn wir uns darauf einlassen, reagieren wir zunächst mit unseren Gefühlen (»gefällt mir« – »macht mir Angst«), dann erst mit unseren Gedanken. Besonders intensiv ist diese Begegnung, wenn Personen dargestellt sind.

Bilder vom Menschen sind Identifikationsangebote. Im Falle der Eva-und-Adam-Bilder ist zudem die Nacktheit der Figuren wichtig, denn die Abwesenheit von Kleidung reduziert soziale Hürden. Jede und jeder kann sich identifizieren, gemeint fühlen und sich vergleichen als Frau, als Mann und als Paar.

Im seinem 1972 veröffentlichten Essayband Sehen schreibt der Schriftsteller und Kunstkritiker John Berger als Einleitung zu einer Reihe von Aktbildern:

»Nach Bräuchen und Konventionen, die zwar heute kritisch befragt werden, aber noch keineswegs überwunden sind, unterscheidet sich die gesellschaftliche Erscheinung einer Frau – ihr Auftreten – von der eines Mannes. Das wirksame Auftreten des Mannes ist abhängig von der Verheißung der Kraft und der Macht, die er verkörpert. Je mehr und je glaubwürdiger er etwas verheißt, desto eindrucksvoller ist sein Auftreten. Der Mann kann moralische, physische, betont persönliche, gesellschaftliche oder sexuelle Macht und Kraft verheißen, auf jeden Fall aber liegt das Ziel, auf das sie sich richtet, außerhalb des Mannes. Sein Auftreten lässt darauf schließen, was er für dich oder dir zu tun imstande ist. (…)

Im Gegensatz dazu drückt das Auftreten und damit die Erscheinung einer Frau ihre Einstellung zu sich selbst aus und macht darüber hinaus klar, was man mit ihr tun kann und was nicht. Ihr Auftreten (ihre Erscheinung) manifestiert sich in ihren Gesten, ihrer Stimme, ihren Meinungen (…).

Wir könnten vereinfachend sagen: Männer handeln und Frauen treten auf1. Männer sehen Frauen an. Frauen beobachten sich selbst als diejenigen, die angesehen werden.«2

Während also der Mann Ziele außerhalb sich selbst ins Auge fasse, frage sich die Frau, wie sie beim Mann ankomme. Sie sei immer gespalten in die Handelnde einerseits und die Prüferin ihres Handelns andererseits, denn sie sei davon abhängig, wie erfolgreich sie mit dem Raum zurechtkomme, der ihr zugestanden wird. Berger untersucht seine Thesen an Aktdarstellungen aus fünf Jahrhunderten. Nicht zufällig sind Bergers erste Bildbeispiele für seine Überlegungen Bilder von Adam und Eva.

Mit diesen Gedanken ist ein Ansatz skizziert, mit dem wir uns der Tradition der Eva-und-Adam-Bilder im europäischen Kulturraum des Christentums zuwenden werden. In einem deskriptiven, subjektiven Zugang wird zu fragen sein, ob und wie sich die Darstellungen des Mannes und die der Frau unterscheiden und wie ihr Platz in der Gesellschaft deutlich wird. Wie werden sie als Paar dargestellt? Erkennen wir uns in ihnen? Wie wird das Paradies imaginiert? Kann man im Laufe der Jahrhunderte eine Entwicklung feststellen? Sind die von Berger erwähnten »Bräuche und Konventionen« heute, 50 Jahre später, überwunden?

Schöpfungsgeschichten

Die literarische Grundlage der Bildschöpfungen sind die Schöpfungserzählungen in Genesis 1–4, die sich in verschiedene Stationen einteilen lassen: die Erschaffung der Welt, die Erschaffung des Menschen, die Ermahnung des Herrn an Adam, nicht von den Früchten des Baumes der Erkenntnis zu essen, die Erschaffung Evas, der sogenannte Sündenfall, das Sich-Verbergen vor Gott, die Vertreibung aus dem Paradies und das Leben außerhalb des Paradieses, um nur die wichtigsten zu nennen. Es versteht sich von selbst, dass bei der »Übersetzung« von Text in Bild weitere Stationen dazukommen: die Benennung der Tiere, Adams Schlaf, Zuführung Evas zu Adam und viele mehr. Alle Stationen bieten Gelegenheit, Vorstellungen vom Paradies ins Bild zu setzen. In jedem Fall wird die Geschichte vom Idealzustand lebendig gehalten, ob in der Darstellung des Paradieses, der Warnung vor dem Verlust des Paradieses oder in der Klage darüber.

Erzählt wird die Genesis-Geschichte von Adam und Eva in zwei Teilen, die keineswegs widerspruchsfrei sind und in denen die oben erwähnten Stationen unterschiedlich gemischt werden. Das erste Mal sind bereits alle Tiere und Pflanzen da, als beide Menschen geschaffen werden, das zweite Mal wird zunächst Adam geschaffen und dann erst die Pflanzen und Tiere, ganz zum Schluss Eva.

Die eigentliche Erschaffung des Menschen wird in zwei Versionen erzählt. Die erste Version (Genesis 1–2,4) ist Teil der Erzählung von der Erschaffung der gesamten Schöpfung in sieben Tagen, die am sechsten Tag mit den Menschen abgeschlossen wird. Ganz nüchtern heißt es da, dass Gott den Menschen schuf, männlich und weiblich. Differenziert wird nach Geschlechtlichkeit, andere Unterschiede werden nicht erwähnt.

Die zweite Version (Genesis 2,4–3,24) ist anschaulicher und ausführlicher. Zunächst wird die Erschaffung des Menschen aus Lehm und göttlichem Atem beschrieben. Nachdem bei der Erschaffung der Tiere kein Pendant für den Menschen, der erst später Adam genannt wird, zu finden war, wird die Erschaffung des Weibes, das auch erst später Eva genannt wird, aus der Seite des Menschen und aus seinem Fleisch erzählt.

Es ist wenig verwunderlich, dass die Auslegung der Genesistexte in einer patriarchalen Welt über die Jahrhunderte hinweg in einer Frauen diskriminierenden Weise geschah. Ein Beispiel aus dem 1. Jahrhundert: Über das richtige Verhalten im Gottesdienst legt Paulus fest, dass Frauen das Haupt bedecken sollen, Männer dagegen nicht. Zur Begründung bezieht Paulus sich auf ihre Erschaffung, wie sie in der zweiten Version der Schöpfungsgeschichte erzählt wird:

»Und der Mann ist nicht geschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um des Mannes willen.«3

Hätte Paulus sich auf die erste Version von der Erschaffung des Menschen bezogen – »schuf sie männlich und weiblich« –, hätte er die Gleichwertigkeit und Gemeinsamkeit von Frauen und Männern betonen können.

Stattdessen wird die Geschichte von Eva und Adam in der zweiten Version geradezu als Begründung für gottgewollte Inferiorität der Frau gelesen. Die Argumentation läuft so: Adam sei der eigentliche Mensch, Eva die Gehilfin. Adam sei schließlich als Erster, Eva als Zweite erschaffen worden, zudem als »Hilfe« für Adam, der sie seinerseits mit Blick auf sich selbst als »Männin« benennt. Eva mache sich als Erste schuldig bei der Übertretung des Verbots, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Ja, sogar noch vor dem Sündenfall findet sich ein Grund für die männliche Vorrangstellung: Eva sei aufgrund ihrer schwächeren Natur die ideale Ansprechperson für die Schlange gewesen, weshalb sie auch da schon der Leitung Adams bedürftig gewesen sei.

Gottes Strafspruch an Eva – »er soll dein Herr sein« – sei da nur folgerichtig. Der Philosoph Kurt Flasch fasst zusammen:

»Unverkennbar das Interesse an Absicherung der männlichen Suprematie«.4

Das kann man vor allem in der anschaulichen zweiten Schöpfungserzählung so lesen, während die erste weniger leicht diskriminierend verstanden werden kann. Hier gibt es kein zeitliches Nacheinander und keine Unterschiede im Schöpfungsmaterial. Es heißt einfach: »Gott (…) schuf sie als Mann und Weib« oder nach neuerer Übersetzung »männlich und weiblich«.

In letzter Zeit sind die Schöpfungsgeschichten von Theologinnen nicht als Mittel der Legitimation patriarchaler Herrschaft, sondern als Ausdruck des göttlichen Leidens am patriarchalen Alltag gelesen worden.5 Die Frage, ob Frauenfeindlichkeit schon im Text der Schöpfungsgeschichten angelegt ist, soll hier nicht ausführlich diskutiert werden. Es muss aber daran erinnert werden, dass die Texte, wie wir sie kennen, Übersetzungen und damit Interpretationen sind. Wie stark die hebräischen Texte durch die Übersetzungen verändert wurden, zeigt die feministische Religionswissenschaftlerin und Archäologin Carol Meyers6. In ihren detaillierten Vergleichsuntersuchungen der syntaktischen und semantischen Werte des hebräischen oder aramäischen Ursprungstexts mit unterschiedlichen englischen Übersetzungen hebt sie viele Bedeutungsverschiebungen hervor, die alle darauf hinauslaufen, eine Hierarchie zwischen den ersten Menschen zu etablieren. Dafür ein Beispiel: Die hebräische Entsprechung des Wortes Adam bedeutet Erde oder Lehm. Gott habe demnach zunächst ein geschlechtlich nicht differenziertes Erdwesen geschaffen. Erst mit der Erschaffung Evas sei Adam zum Mann geworden. Damit gebe es keine Nachrangigkeit von Eva. Bei den Übersetzungen ins Englische erscheint das hebräische Wort als man im Sinne von Mann, nicht Mensch, wodurch eine Bedeutungsverschiebung stattfinde.

In der Tradition der jüdisch-christlichen Auslegung des Alten Testaments werde Eva zur Quelle von Sünde und Verführung, aber die Wörter Sünde und Sündenfall bzw. ihre hebräischen Entsprechungen kommen gar nicht vor.

Ein besonderes Augenmerk widmet die Autorin der Weissagung Gottes an Eva in Gen. 3,16:

»Unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein.«

Meyers stellt die Aufgabe des Kindergebärens und das Herrschen des Mannes über die Frau in den Kontext des kleinen Volkes der Israeliten, das um sein Überleben kämpfen musste und dafür genug Nachkommen brauchte. Sie weist darauf hin, dass Frauen zur Zeit der Entstehung des Genesistextes, die sie in die Anfänge der Israeliten zwischen 1200 und 1000 v. Chr. im Hochland Palästinas verortet, durch Schwangerschaften und Geburten hohen Risiken ausgesetzt waren und nur ein durchschnittliches Alter von dreißig Jahren erreichten, wogegen Männer etwa vierzig Jahre alt wurden. Damit dürften die Frauen Schwangerschaften und Geburten eher gescheut haben. Zur Überwindung dieses Widerstrebens, so Meyers, biete der Genesistext zweierlei: zum einen die emotionale Bindung der Frau an ihren Mann (»dein Verlangen soll nach deinem Mann sein«), zum anderen die Entscheidungsbefugnis des Mannes bezüglich Schwangerschaften (»Er soll dein Herr sein«). Diesen letzten Teil der Weissagung an Eva deutet die Autorin als Dominanz des Mannes ausschließlich in Fragen der Sexualität und sieht keine allgemeine »göttlich verordnete patriarchale Kontrolle von Frauen«7 formuliert:

»Die Botschaft der vierten Zeile von Vers 16 [›Er soll dein Herr sein‹] erlaubt die sexuelle Dominanz von Männern zur Sicherstellung einer ausreichenden Nachkommenschaft«,

womit Meyers im Kontext der Zeit eine förderliche Funktion erfüllt sieht.8

Dieser Versuch einer feministischen Ehrenrettung des Genesistextes darf aber durchaus infrage gestellt werden. Die den Männern erlaubte sexuelle Dominanz kann ja nur bedeuten, dass die Frauen die Macht über den eigenen Körper verlieren und dass ihnen die Fähigkeit abgesprochen wird, für sich und die Gemeinschaft richtig zu entscheiden, wohingegen diese Kompetenz den Männern zugesprochen wird. Man muss sich demnach wohl vorstellen, dass von Frauen Submission erwartet wird und dass sie zu sexuellen Kontakten gezwungen werden dürfen. Nach unseren heutigen Begriffen ist das sexuelle Gewalt. Nicht vorstellbar, dass eine Person, der mit göttlicher Genehmigung auf diese Weise Gewalt angetan werden darf, in anderen Zusammenhängen selbstbestimmt hätte handeln können. Gerade die Kontrolle der Sexualität der Frauen in einer Gesellschaft, in der die Fortpflanzung einen sehr hohen Stellenwert hat, reicht an eine allgemeine Dominanz der Männer heran.

Der Versuch, die Reichweite der göttlichen Weissagung an Eva bezüglich der Beherrschung durch den Mann nicht unumschränkt patriarchal zu deuten, erweist sich also als wenig überzeugend. Andere Forscher sehen die Anfänge des Patriarchats sowieso schon deutlich früher als die Zeit, in der das Alte Testament entstanden ist. Der Evolutionsbiologe Carel van Schaik und der Historiker Kai Michel betrachten die 12.000 Jahre alten phallischen Steinkreise von Göbekli Tepe, ca. 1000 km von Jerusalem entfernt und wie Palästina zum Gebiet des »Fruchtbaren Halbmondes« gehörend, als Ausdruck der Verfestigung von Genderrollen und sehen sie als »in Stein gemeißelt[e] Männlichkeit«9. Der über 2000 Jahre in Gebrauch stehende Ort belegt patriarchale Verhältnisse, die zur Zeit der Entstehung des Alten Testaments also schon lange etabliert waren. Auch das spricht für eine patriarchale Interpretation der Weissagung an Eva.

Zurück aus dem Altertum.

Für das Verständnis der Eva-und-Adam-Erzählungen im Laufe der Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, wie es auch hinter dem größten Teil der Bildtradition steht, ist die misogyne Interpretation der Schöpfungsgeschichten ohne Zweifel selbstverständlich. Die Geschichten dienen als Mittel zur Institutionalisierung der Ungleichheit zwischen Mann und Frau.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass für die Darstellungen der Erschaffung der Menschen fast ausschließlich der zweite Schöpfungsbericht zugrunde gelegt wird. Das mag daran liegen, dass letzterer viel anschaulicher ist und möglicherweise leichter dargestellt werden kann. Aber selbst wenn die Erschaffung des Menschen im Rahmen der ersten Version mit sämtlichen sieben Schöpfungstagen dargestellt wird, weichen Künstler beim sechsten Schritt gerne auf die zweite Version der Schöpfungsgeschichte aus. Als Bild für den sechsten Schöpfungstag würde man eine Darstellung der gemeinsamen Erschaffung der Menschen – männlich und weiblich – erwarten. Stattdessen sieht man die Erschaffung Adams aus Lehm, später Evas aus Adams Seite. Ein Beispiel findet sich in dem Mosaikzyklus aus dem 12. Jahrhundert in Monreale, Palermo.10 Das Argument, dass diese zweite Erzählung anschaulicher sei und sich deshalb besser zur Darstellung eigne, mag man nicht so recht gelten lassen angesichts der Tatsache, dass andere Teile der Erzählung – »Es werde Licht! Und es ward Licht« z. B. –, die auch höchst abstrakt sind, dennoch von den Künstlern gestaltet wurden. Das legt den Gedanken nahe, dass es an dieser Stelle darum geht, der Legitimation der patriarchalen Herrschaft eine bessere Grundlage zu bieten.

Bei ihren Überlegungen zur »menschlichen Bedingtheit« weist die politische Theoretikerin Hannah Arendt auf den besonderen Unterschied zwischen den beiden Versionen der Schöpfungsgeschichte hin. Zu leben bedeute für Menschen unter Menschen zu sein, Pluralität sei die Grundbedingung des Handelns schlechthin. Diese Grundbedingtheit des Menschseins findet sie in der biblischen Erzählung in der ersten Version der Erschaffung der Menschen formuliert, nicht aber in der zweiten:

»Dieser im Plural erschaffene Mensch unterscheidet sich prinzipiell von jenem Adam, den Gott »aus dem Erdenkloß« machte, um ihm dann nachträglich ein Weib zuzugesellen, das »aus der Rippe« des11 Menschen erschaffen, Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch war. Hier ist die Pluralität den Menschen nicht ursprünglich zu eigen, sondern ihre Vielheit ist erklärt aus Vervielfältigung.«12

Bilder lesen

Darstellungen des Eva-und-Adam-Mythos gibt es in Katakomben und auf Sarkophagen, in illuminierten Bibeln und Stundenbüchern, in Bilderfolgen, als Fresken- und Mosaikzyklen, auf Tafelbildern, Gemälden usw. Manche Darstellungen erzählen als Simultanbilder mehrere Stationen der Erzählung. Ereignisse, die sich in der Geschichte nacheinander abspielen, werden dabei gleichzeitig dargestellt, wobei eine Station als Zentrum dient und damit hervorgehoben ist. Dieses Simultanverfahren ermöglicht es den des Lesens Unkundigen, die ganze Geschichte zu »lesen«.

Als Beispiel für ein Simultanbild sei auf die Miniatur aus dem Stundenbuch Très Riches Heures du Duc de Berry verwiesen (Abb. 2). Gelesen von links nach rechts sind vier Stationen der Sündenfall-Erzählung dargestellt: Die Schlange verführt Eva, Eva verführt Adam, Gottvater verheißt die Strafe für ihren Ungehorsam, der Erzengel drängt beide aus dem Garten.

Nicht alle Stationen der Erzählung werden gleich häufig dargestellt. Die Vertreibung aus dem Paradies ist ein häufiges Motiv, ebenso die Erschaffung Evas, also eine Darstellung nach der zweiten Version des Schöpfungsberichts. Seltener dargestellt ist, wie Adam erschaffen wird oder wie Adam und Eva sich verstecken, nachdem sie die verbotenen Früchte gegessen haben, weil sie sich ihrer Nacktheit schämen.

Die meisten Einzelbilder widmen sich dem sogenannten Sündenfall. Die Beliebtheit gerade dieser Station mag theologisch begründet sein, setzt doch der »Sündenfall« das Heilsgeschehen überhaupt erst in Bewegung: ohne »Sündenfall« keine Erlösung durch den Gekreuzigten. Denkbar ist aber auch, dass gerne dasjenige Motiv aufgegriffen wurde, das die Darstellung nackter Menschen erlaubte. Beliebt ist eine symmetrischer Komposition von Adam und Eva mit dem Baum zwischen ihnen. Dabei ist es mehr als eine Konvention, dass meistens Adam auf der linken Seite steht und Eva auf der rechten.

Abb. 2 Brüder Limburg, Die Vertreibung aus dem Paradies, ca. 1410, 21 × 29 cm

Die Sozialpsychologin Anne Maass und ihre Kolleginnen weisen in ihrer mehrteiligen Studie Groups in space: stereotypes and the spatial agency bias13 nach, dass Bilder wie Texte in der Regel in der Links-Rechts-Richtung gelesen werden. Was zuerst gesehen wird, ist das Wichtige, das Zweite ist sekundär.

Schauen wir uns die Studie etwas genauer an. Die Autorinnen gehen von der Tatsache aus, dass wir uns Menschen immer in einem Raum, an einem Ort befindlich denken. Handlungen werden häufig als von links nach rechts stattfindend dargestellt. Auch unsere Vorstellungen von Zeit werden – Beispiel: Zeitstrahl – als von links nach rechts fließend visualisiert. Als Begründung dafür können die Autorinnen der Studie die sprachbedingte Lese- und Schreibrichtung geltend machen.

Im ersten Teil der Studie untersuchten die Autorinnen »die emblematischste Darstellung von Mann und Frau in der westlichen Zivilisation, nämlich Adam und Eva.«14 Bei einem Korpus von neunzig Bildern stellen sie fest, dass in 62 Prozent der Fälle Adam auf der linken Seite abgebildet ist, Eva nur in 38 Prozent der Fälle.

In der zweiten Studie untersuchten sie experimentell, inwiefern mit der Links-Rechts-Positionierung unterschiedliche Wertungen verbunden sind. Den Probanden wurden Beschreibungen von Situationen gegeben, z. B. ein Schachwettbewerb, an dem Frauen und Männer teilnehmen. In einer Skizze sollten dann die Positionen der aktiveren sowie der passiveren Personen eingetragen werden. Es zeigte sich, dass Probanden, die traditionellen Rollenvorstellungen anhängen, die handlungsstarken Personen nach links positionieren, und das waren überwiegend die Männer.

Die dritte Studie, die auch mit arabischen Probanden durchgeführt wurde, diente dazu zu zeigen, dass in Kulturen, deren Sprache von rechts nach links gelesen und geschrieben wird, die gleichen Regeln gelten, allerdings genau umgekehrt: Hier sind die Männer häufiger rechts positioniert. Voraussetzung dafür ist wieder das Akzeptieren lange üblicher Rollenvorstellungen. Dies wurde in einem weiteren Teil der Studie abgefragt.

Für Kunstwerke aus Zeiten von unangefochtenen Rollenbildern von Frau und Mann kann also für unseren Kulturkreis davon ausgegangen werden, dass aktivere und mächtigere Figuren auf der linken Seite erscheinen. Wir werden sehen, dass dieser Befund gut zu den Charakteren passt, wie sie Eva und Adam immer wieder zugeschrieben werden: Eva in der dienenden Rolle auf der rechten Seite, Adam in der herrschenden Rolle auf der linken Seite.

Zauber des Anfangs

Angesichts der systematischen Benachteiligung Evas in der Rezeption des Mythos, wie wir sie im Laufe der Jahrhunderte verfolgen können, stellt sich die Frage, wieso der Mythos von Adam und Eva trotzdem so erfolgreich werden konnte, dass er ungebrochen durch die Jahrhunderte tradiert wurde. Noch im 21. Jahrhundert hat er eine solch positive Aura, dass er Werbetextern offenbar als geeignetes Medium für Verkaufsbotschaften in der Warenwelt erscheint. Dazu zwei Beispiele: Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL greift mit seinen Titelbildern gerne auf den Mythos zurück, gleichgültig ob es um Risikovorsorge (2009), iPhones (2010) oder Vitamine (2012) geht. Laut ADACmotorwelt (4/2019) war der Kleinwagen Opel Adam besonders bei Frauen beliebt.

Es ist vielleicht nicht allein die männliche Überlegenheit, die zu dem Erfolg der Erzählung beigetragen hat. Ohne dass uns das sofort bewusst wird, berührt und bezaubert uns der Eva- und-Adam-Mythos mit seiner Betonung der Sozialität des Menschen. Er bestärkt unseren Wunsch nach Nähe zu anderen, zu einer anderen Person (»Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei«, Gen. 2,18) und zeigt unsere Freude, wenn wir diesen Menschen gefunden haben (»Das ist doch Bein von meinem Bein«, Gen. 2,23). Die Vorstellung vom Paradies bekräftigt die Hoffnung, es müsse einen Ort für uns geben, der sicher, gut, schön und friedlich ist und die Möglichkeit für sinnvolle Tätigkeit bietet. Bis heute hängen wir dieser Vorstellung an, wenn es um unsere Gärten geht.