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Gretes Puppe Eveline ist krank. Grete begibt sich mit ihr zu ihrem Onkel Heinrich, der nicht nur Onkel, sondern im Nebenamt auch Arzt ist. Ein schwerer Fall, vermutet Grete: Eveline hat die Magrine und im linken Fußel noch dazu die Lungenentzündung. Der Arzt bestätigt ihre Diagnose und findet noch einige weitere Krankheiten. Am Abend ist die Puppe ganz kalt und steif – Exitus. Am nächsten Tag soll das Begräbnis stattfinden. Da rebelliert die Puppenmutter ... Gedeon, die Hauptfigur der zweiten Erzählung, ist der älteste Sohn der zehn Kinder Eduards, des Onkels des Ich-Erzählers. Als Ältester ist er der unanfechtbare Alleinherrscher, der als strahlender Held souverän über die Kinderschar regiert. Durch Demonstration seiner Tabakschnupfkünste gelingt auch dem Ich-Erzähler die Aufnahme in Gedeons illustren Ehrenkreis. Doch da geschieht das Unfassbare und Gedeon muss beweisen, ob er wirklich der unverwüstliche Held ist, für den ihn alle halten. – Pauls Kellers teils amüsante, teils tragische Kindergeschichten für Erwachsene berühren und unterhalten den Leser auf unvergessliche Weise.-
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Seitenzahl: 32
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Paul Keller
Zwei Erzählungen
Saga
Eveline Gedeon
© 1914 Paul Keller
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711517383
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Denk mal, Mama,“ sagte die fünfjährige Grete, „denk mal, wie dumm der Hans ist. Er sagt, unser Onkel Heinrich ist ein Mann.“
„Nu, Grete, ist er denn keiner?“
„Ach wo! Wo er doch immer mit uns in der Stube rumkriecht und großer Hund und kleiner Hund und großes Kamel und kleines Kamel spielt. Da kann er doch kein richtiger Mann sein.“
„Da glaubst du also, er sei noch ein Junge?“
„N — ein! Ein Junge auch nicht. Weil er doch eine Brille trägt, und weil er Zigarren raucht und so. Weißt du, Mama, ich denke: der Onkel Heinrich ist eben — ein Onkel Heinrich.“
„Ja, mein Schatz! Da hast du recht! Er ist eine Sorte Mensch für sich.“ — — —
Dieser seltsame Heinrich, der seiner Gattung nach ein Onkel war und bei den zwei Kindern seiner Schwester den Vertrauensposten eines großen Hundes und großen Kamels bekleidete, hatte noch ein kleines Nebenamt: er war Arzt.
Wie er nun einmal seine Nachmittagssprechstunde hatte und schon eine Reihe von Patienten verabschiedet war, gewahrte er draußen im Wartezimmer seine Nichte Grete. Sie hielt, gut in ein Tuch eingehüllt, die Puppe auf dem Schoß, die er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, und machte ein Gesichtlein so voll Wichtigkeit und Kümmernis, daß er gleich ahnte, sie sei gekommen, ihn zu konsultieren.
Nachdem also endlich der letzte große Patient gegangen war, öffnete er die Tür zum Wartezimmer, steckte den Kopf halb durch die Spalte und sagte:
„Bitte, meine Dame, treten Sie ein!“
Die „Dame“ trat langsamen und fürsichtigen Schrittes ins Sprechzimmer.
„Du, Onkel Heinrich, meine Puppe —“
Der Arzt unterbrach sie.
„Ach was, wenn man in die Sprechstunde kommt, sagt man nicht Onkel Heinrich, da sagt man Herr Doktor!“
„Du, Herr Doktor, denk mal an, meine Puppe ist krank. Die Eveline!“
„So! Na, da nehmen Sie mal Platz, liebe Frau! Was fehlt denn der Kleinen?“
„Nu, Onkel — nu, Herr Doktor, weißt du, sie — sie kriegt gar nicht mehr die Augen auf — ja — und dann — dann hat sie den Keuchhusten, und dann — dann hat sie so Margrine oder wie das heißt — und dann hat — hat sie den Ziegenpeter und die Schafblattern, und dann — dann hat sie im linken Fußel die Lungenentzündung.“
„Verflixt ja,“ sagte der Doktor und ging mit großen Schritten erregt im Zimmer auf und ab, „verflixt, das is ’n schwieriger Fall! Nu, sagen Sie mal, liebe Frau, wie konnte denn das Kindel so krank werden? Da haben Sie gewiß nicht gut aufgepaßt, da wird halt das arme Wurm mal längere Zeit feucht gelegen haben.“
„Ach nein,“ sagte die junge Mutter eifrig, „ach nein, so was kommt bei meinen Kindern überhaupt nicht mehr vor.“
Der Doktor grunzte und steckte die Hände in die Hosentaschen.
„M—ja, liebe Frau, da muß ich halt mal Ihr Kind untersuchen.“
Er band sich einen runden Spiegel vor die Stirn und betrachtete die kranke Eveline.
„Ja, es stimmt! Augen geschlossen, Keuchhusten, Margrine, Ziegenpeter, Schafblattern und im rechten Fußel die Lungenentzündung.“
„Nein, im linken!“
„Ach so — ja, im linken. Das kommt übrigens nicht so genau drauf an. Da muß man nicht so peinlich sein!“
„Ja, und dann hat die Eveline aber auch noch Zahnschmerzen, und dann hat sie nervös und die Masern und die Wassersucht und —“
„Schon gut, liebe Frau! Für heute genügt das schon. M—ja, es steht wirklich sehr schlimm mit Ihrem Kinde.“