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Ever ist verzweifelt. Unter keinen Umständen darf sie ihrer großen Liebe Damen zu nahe kommen, sonst wird er für immer im Schattenland gefangen sein. Um einen Ausweg zu finden, wendet sie sich der Magie zu und trifft dabei auf Jude. Sofort ist eine Vertrautheit zwischen ihnen. Alles fühlt sich mit Jude plötzlich so leicht an, während es mit Damen immer komplizierter wird. Und langsam kommen Gedanken in Ever auf, ob Damen und sie wirklich füreinander bestimmt sind.
Band 3 der erfolgreichen Evermore-Serie von Alyson Noël.
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Seitenzahl: 514
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
AURA-FARBEN
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
ZWÖLF
DREIZEHN
VIERZEHN
FÜNFZEHN
SECHZEHN
SIEBZEHN
ACHTZEHN
NEUNZEHN
ZWANZIG
EINUNDZWANZIG
ZWEIUNDZWANZIG
DREIUNDZWANZIG
VIERUNDZWANZIG
FÜNFUNDZWANZIG
SECHSUNDZWANZIG
SIEBENUNDZWANZIG
ACHTUNDZWANZIG
NEUNUNDZWANZIG
DREISSIG
EINUNDDREISSIG
ZWEIUNDDREISSIG
DREIUNDDREISSIG
VIERUNDDREISSIG
FÜNFUNDDREISSIG
SECHSUNDDREISSIG
SIEBENUNDDREISSIG
ACHTUNDDREISSIG
NEUNUNDDREISSIG
VIERZIG
EINUNDVIERZIG
ZWEIUNDVIERZIG
DREIUNDVIERZIG
VIERUNDVIERZIG
FÜNFUNDVIERZIG
SECHSUNDVIERZIG
SIEBENUNDVIERZIG
ACHTUNDVIERZIG
NEUNUNDVIERZIG
DANKSAGUNG
Leseprobe
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Ever ist verzweifelt. Unter keinen Umständen darf sie ihrer großen Liebe Damen zu nahe kommen, sonst wird er für immer im Schattenland gefangen sein. Um einen Ausweg zu finden, wendet sie sich der Magie zu und trifft dabei auf Jude. Sofort ist eine Vertrautheit zwischen ihnen. Alles fühlt sich mit Jude plötzlich so leicht an, während es mit Damen immer komplizierter wird. Und langsam kommen Gedanken in Ever auf, ob Damen und sie wirklich füreinander bestimmt sind.
Band 3 der erfolgreichen Evermore-Serie von Alyson Noël.
Alyson Noël
Evermore – Das Schattenland
Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger
IM GEDENKEN AN BLAKE SNYDER
1957 – 2009
Ein inspirierender Lehrer, dessen Großzügigkeit, Begeisterung und aufrichtige Leidenschaft daran, anderen zu helfen, unübertroffen ist. Möge sein Geist in seinen Büchern und in seinen Lehren weiterleben.
Fate is nothing but the deeds committed in a prior state of existence.
Ralph Waldo Emerson
Rot:
Energie, Kraft, Zorn, Sexualität, Leidenschaft, Furcht, Ego
Orange:
Selbstbeherrschung, Ehrgeiz, Mut, Bedachtsamkeit, Willensschwäche, apathisch
Gelb:
Optimistisch, glücklich, intellektuell, freundlich, unschlüssig, leicht zu beeinflussen
Grün:
Friedlich, heilend, Mitgefühl, hinterlistig, eifersüchtig
Blau:
Spirituell, loyal, kreativ, empfindsam, liebenswürdig, launisch
Violett:
Hochgradig spirituelle Weisheit, Intuition
Indigo:
Wohlwollen, hochgradig intuitiv, auf der Suche
Rosa:
Liebe, Aufrichtigkeit, Freundschaft
Grau:
Depression, Traurigkeit, Erschöpfung, wenig Energie, Skepsis
Braun:
Habgier, selbstbezogen, rechthaberisch
Schwarz:
Mangelnde Energie, Krankheit, unmittelbar bevorstehender Tod
Weiss:
Vollkommenes Gleichgewicht
Alles ist Energie.«
Damens dunkle Augen blicken unverwandt in meine, fordern mich auf zuzuhören, diesmal wirklich zuzuhören. »Alles um uns herum ...« Sein Arm vollführt eine weit ausholende Geste, folgt einem schwindenden Horizont, der bald in Schwarz vergehen wird. »Alles in unserem scheinbar stofflichen Universum ist überhaupt nicht stofflich. Es ist Energie, pure, vibrierende Energie. Und obwohl unsere Wahrnehmung uns vielleicht einredet, dass alle Dinge entweder fest, flüssig oder gasförmig sind – auf der Quantenebene sind das alles bloß Teilchen innerhalb von Teilchen. Es ist alles nur Energie.«
Ich presse die Lippen zusammen und nicke; seine Stimme wird von der in meinem Kopf übertönt, die mich drängt: Sag’ ihm! Sag es ihm, jetzt gleich! Hör auf, es vor dir herzuschieben, und bring’s hinter dich! Schnell, bevor er wieder anfängt zu reden.
Aber ich tue es nicht. Ich sage kein Wort. Ich warte einfach nur darauf, dass er fortfährt, damit ich es noch weiter hinauszögern kann.
»Heb die Hand.« Er streckt die Hand aus, die Handfläche nach vorn, auf meine Hand zu. Langsam und vorsichtig hebe ich den Arm, fest entschlossen, jeglichen Hautkontakt zu vermeiden, als er sagt: »Und jetzt sag mir, was siehst du?«
Ich blinzele mit zusammengekniffenen Augen; mir ist nicht ganz klar, worauf er hinauswill. Dann zucke ich die Achseln und antworte: »Na ja, ich sehe helle Haut, ein oder zwei kleine Leberflecken, Nägel, die wirklich eine Maniküre nötig hätten ...«
»Genau.« Er lächelt, als hätte ich gerade die leichteste Prüfung der Welt bestanden. »Aber wenn du sie so wahrnehmen könntest, wie sie wirklich ist, dann würdest du nichts dergleichen sehen. Stattdessen hättest du einen Schwarm Moleküle vor dir, mit Protonen, Neutronen, Elektronen und Quarks. Und in diesen winzigen Quarks, bis zum allerwinzigsten Pünktchen, würdest du nichts als reine, vibrierende Energie sehen, die sich so langsam bewegt, dass sie fest erscheint, und doch schnell genug, dass man sie nicht als das erkennen kann, was sie wirklich ist.«
Wieder kneife ich die Augen zusammen; ich bin mir nicht sicher, ob ich das glaube. Ungeachtet der Tatsache, dass er sich seit Hunderten von Jahren mit diesem Kram beschäftigt hat.
»Ganz im Ernst, Ever. Nichts steht für sich allein.« Jetzt hat er sich richtig für sein Thema erwärmt und beugt sich zu mir herüber. »Alles ist eins. Gegenstände, die fest erscheinen, wie du und ich und dieser Sand, auf dem wir sitzen, sind in Wirklichkeit nur eine Energiemasse, die langsam genug vibriert, um stofflich zu wirken, während Dinge wie Geister so schnell vibrieren, dass sie für die meisten Menschen fast unmöglich auszumachen sind.«
»Ich sehe Riley«, bemerke ich, bemüht, ihn an all die Zeit zu erinnern, die ich mit meiner Geisterschwester verbracht habe. »Oder jedenfalls habe ich sie früher gesehen, du weißt schon, bevor sie die Brücke überquert hat und weitergezogen ist.«
»Und genau deswegen kannst du sie ja nicht mehr sehen.« Er nickt. »Ihre Vibration ist zu schnell. Obwohl es Leute gibt, die durch all das hindurchblicken können.«
Ich schaue auf den Ozean vor uns, auf die anrollenden Wellen, eine nach der anderen. Endlos, unaufhörlich, unsterblich – genau wie wir.
»Jetzt heb noch mal die Hand und halt sie so dicht vor meine, dass wir uns gerade eben nicht berühren.«
Ich zögere, fülle meine Hände mit Sand; ich will das nicht tun. Im Gegensatz zu ihm kenne ich den Preis, die schreckliche Konsequenz, die der leiseste Hautkontakt bringen kann. Das ist auch der Grund, weshalb ich seit letztem Freitag jede Berührung mit ihm gemieden habe. Doch als er abermals die Handfläche vorstreckt, hole ich tief Luft und hebe ebenfalls die Hand – und schnappe nach Luft, als seine Hand der meinen so nahe kommt, dass der Zwischenraum, der uns trennt, rasierklingenschmal ist.
»Fühlst du das?« Er lächelt. »Dieses Kribbeln, die Hitze? Das ist unsere Energie, die sich kurzschließt.« Er bewegt die Hand vor und zurück, manipuliert das Ziehen und Schieben des Energiefeldes zwischen uns.
»Aber wenn wir alle miteinander verbunden sind, wie du behauptest, warum fühlt sich dann nicht alles gleich an?«, flüstere ich, angezogen von dem unleugbaren magischen Strom, der uns verbindet und wunderbare Wärme durch meinen Körper fließen lässt.
»Wir sind alle verbunden, wir sind alle aus derselben vibrierenden Quelle geschaffen. Aber während einen manche Energie kaltlässt, fühlt sich die, für die man bestimmt ist, genau so an.«
Ich schließe die Augen, drehe mich weg und lasse die Tränen meine Wangen hinunterströmen, kann sie nicht länger zurückhalten. Ich weiß, dass mir das Gefühl seiner Haut an meiner verwehrt ist, die Berührung seiner Lippen, der warme Trost seines Körpers an meinem. Näher als dieses elektrische Energiefeld, das zwischen uns vibriert, werde ich ihm nicht kommen, dank der furchtbaren Entscheidung, die ich getroffen habe.
»Die Wissenschaft erfasst gerade eben erst, was Metaphysiker und die großen spirituellen Lehrer schon seit Jahrhunderten gewusst haben. Alles ist Energie. Alles ist eins.«
Ich kann das Lächeln in seiner Stimme hören, als er die Hand nach mir ausstreckt, seine Finger mit den meinen verschlingen will. Doch ich zucke rasch zurück und fange seinen Blick gerade lange genug auf, um den verletzten Ausdruck zu bemerken, der über seine Züge huscht – derselbe Gesichtsausdruck, den er hat, seit ich ihm das Gegengift eingeflößt habe, das ihn ins Leben zurückgeholt hat. Er fragt sich, warum ich so still bin, so distanziert, so fern – warum ich ihn nicht berühren will, da ich doch noch vor ein paar Wochen gar nicht genug von ihm bekommen konnte. Fälschlicherweise glaubt er, es läge an seinem verletzenden Verhalten – an seinem Flirten mit Stacia, seinen Gemeinheiten mir gegenüber –, und dabei hat es in Wirklichkeit überhaupt nichts damit zu tun. Er hat unter Romans Bann gestanden, genau wie die ganze Schule. Es war nicht seine Schuld.
Was er nicht weiß, ist, dass das Gegengift, obwohl es ihn ins Leben zurückgeholt hat, in dem Moment, als ich der Mischung mein Blut hinzugefügt habe, auch dafür gesorgt hat, dass wir niemals zusammen sein können.
Nie.
Niemals.
Bis in alle Ewigkeit.
»Ever?«, flüstert er. Seine Stimme ist tief und aufrichtig. Doch ich kann ihn nicht ansehen. Kann ihn nicht berühren. Und ganz bestimmt kann ich die Worte nicht aussprechen, die zu hören er verdient.
Ich habe Mist gebaut. Es tut mir so leid. Roman hat mich reingelegt, und ich war verzweifelt und dumm genug, um auf seinen Trick reinzufallen. Und jetzt gibt es keine Hoffnung für uns, denn wenn wir uns küssen, wenn wir DNS austauschen, dann stirbst du ...
Ich kann nicht. Ich bin der größte Feigling aller Zeiten. Ich bin erbärmlich und schwach. Ich bringe einfach den Mut dazu nicht auf.
»Ever, bitte, was ist los?«, fragt er, erschrocken über meine Tränen. »Du bist jetzt schon seit Tagen so. Liegt es an mir? Habe ich irgendetwas getan? Denn du weißt doch, ich erinnere mich kaum an das, was passiert ist, und das, was an Erinnerungen allmählich zurückkommt, also, inzwischen musst du doch wissen, dass das nicht wirklich ich war. Ich würde dir nie absichtlich wehtun. Ich würde dir nie irgendetwas zu Leide tun.«
Ich schlinge die Arme fest um meinen Körper, ziehe die Schultern hoch und senke den Kopf. Und wünsche mir, ich könnte mich kleiner machen, so klein, dass er mich nicht mehr sehen kann. Ich weiß, dass seine Worte wahr sind, dass er unfähig ist, mich zu verletzen. Nur ich bringe etwas so Schlimmes fertig, etwas so Leichtsinniges, so lächerlich Impulsives. Nur ich kann dämlich genug sein, auf Romans Köder reinzufallen. So versessen darauf sein, mich als Damens einzige wahre Liebe zu beweisen – die Einzige sein zu wollen, die ihn retten kann. Und jetzt seht euch den Schlamassel an, den ich angerichtet habe.
Er rückt näher, legt den Arm um meine Taille und zieht mich an sich. Doch ich kann diese Nähe nicht riskieren; meine Tränen sind jetzt lebensgefährlich und müssen von seiner Haut ferngehalten werden.
Hastig stehe ich auf und renne zum Wasser. Ich krümme die Zehen und lasse den kalten weißen Schaum gegen meine Schienbeine spritzen. Und wünsche mir, ich könnte in der Gewaltigkeit des Ozeans untertauchen und von der Ebbe fortgetragen werden. Alles, um die Worte nicht aussprechen zu müssen – alles, um meiner einzigen wahren Liebe, meinem ewigen Partner, meinem Seelengefährten der letzten vierhundert Jahre nicht sagen zu müssen, dass ich, obgleich er mir die Ewigkeit gegeben haben mag, uns unser Ende gebracht habe.
So verharre ich, schweigend und reglos. Warte, bis die Sonne untergeht, ehe ich mich zu ihm umdrehe. Dann betrachte ich seinen dunklen, schattenhaften Umriss, fast nicht von der Nacht zu unterscheiden, und spreche trotz des Brennens in meiner Kehle. »Damen«, sage ich leise. »Liebster, ich muss dir etwas sagen.«
Ich knie neben ihm, die Hände auf den Oberschenkeln, die Zehen im Sand vergraben, und wünsche mir, dass er mich ansehen würde, etwas sagen würde. Und wenn nur, um mir zu sagen, was ich bereits weiß – dass ich einen schweren, dummen Fehler gemacht habe, einen Fehler, der wahrscheinlich nie wiedergutgemacht werden kann. Das würde ich mit Freuden akzeptieren – verdammt, das habe ich verdient. Was ich nicht ertragen kann, ist dieses absolute Schweigen und dieser geistesabwesende Blick.
Und ich will gerade etwas sagen, irgendetwas, um diese unerträgliche Stille zu beenden, als er mich ansieht, mit so müden Augen, dass sie die vollkommene Verkörperung seiner sechshundert Lebensjahre sind. »Roman.« Seufzend schüttelt er den Kopf. »Ich habe ihn nicht erkannt, ich hatte keine Ahnung –« Seine Stimme erstirbt, sein Blick gleitet davon.
»Du hättest es doch unmöglich wissen können«, wende ich ein, bemüht, jegliche Schuldgefühle auszumerzen, die er vielleicht empfindet. »Du warst vom ersten Tag an in seinem Bann. Glaub mir, er hat das alles geplant, hat dafür gesorgt, dass alle Erinnerungen vollständig gelöscht waren.«
Seine Augen suchen in meinem Gesicht, betrachten mich eingehend, ehe er aufsteht und sich abwendet. Er starrt aufs Meer hinaus, die Hände zu Fäusten geballt, als er fragt: »Hat er dir etwas getan? War er hinter dir her oder hat er dir irgendwie wehgetan?«
Ich schüttele den Kopf. »Das war gar nicht nötig. Es hat gereicht, mir durch dich wehzutun.«
Er dreht sich um, seine Augen werden dunkler, während seine Züge sich verhärten. Dann atmet er tief durch. »Das ist alles meine Schuld.«
Mit offenem Mund starre ich ihn an und überlege fieberhaft, wie er das denken kann, bei dem, was ich ihm gerade geschildert habe. Ich trete neben ihn und rufe: »Sei doch nicht albern! Natürlich ist es nicht deine Schuld! Hast du denn überhaupt nichts von dem mitgekriegt, was ich gesagt habe?« Heftig schüttele ich den Kopf. »Roman hat dein Elixier vergiftet und dich hypnotisiert. Du hattest nichts damit zu tun, du hast einfach nur getan, was er von dir wollte – du hattest keine Kontrolle darüber!«
Doch ich habe kaum geendet, als er meine Worte bereits mit einer Handbewegung abtut. »Ever, verstehst du denn nicht? Hier geht es nicht um Roman oder dich, das hier ist Karma. Das ist die Vergeltung für sechshundert Jahre egoistisches Leben.« Er schüttelt den Kopf und lacht, allerdings ist es kein Lachen von der Sorte, bei der man mitlachen möchte. Es ist eines, bei dem einem kalt wird bis ins Mark. »Nach all diesen Jahren, in denen ich dich geliebt und verloren habe, wieder und wieder, war ich mir sicher, das wäre meine Strafe dafür, wie ich gelebt habe. Ich wusste ja nicht, dass du durch Drinas Hand umgekommen bist. Aber jetzt sehe ich die Wahrheit, die ich die ganze Zeit verkannt habe. Gerade als ich mir sicher war, dass ich dem Karma ein Schnippchen geschlagen habe, indem ich dich unsterblich mache und dich für immer an meiner Seite behalte, zeigt mir das Karma, was Sache ist, indem es uns eine Ewigkeit zusammen gestattet, aber nur mit Gucken, nie wieder mit Anfassen.«
Ich strecke die Hand nach ihm aus, will ihn festhalten, ihn trösten, ihn davon überzeugen, dass das gar nicht wahr ist. Doch ebenso schnell zucke ich zurück, und es fällt mir wieder ein: Es ist die Tatsache, dass wir uns nicht berühren können, die uns beide an diesen Punkt gebracht hat.
»Das ist nicht wahr«, beteuere ich. »Wieso solltest du bestraft werden, wenn ich diejenige bin, die den Fehler gemacht hat? Verstehst du das denn nicht?« Frustriert von seiner eigenartigen Sicht der Dinge schüttele ich den Kopf. »Roman hat das die ganze Zeit geplant. Er hat Drina geliebt –ich wette, das hast du nicht gewusst, oder? Er war eines von den Waisenkindern, die du damals während der Renaissance in Florenz vor der Pest gerettet hast, und er hat sie all die Jahrhunderte lang geliebt, hätte alles für sie getan. Aber Drina hat sich nichts aus ihm gemacht, sie hat nur dich geliebt – und du hast nur mich geliebt. Und dann, na ja, nachdem ich sie getötet habe, hat Roman beschlossen, mich fertigzumachen – nur hat er das durch dich getan. Er wollte, dass ich den Schmerz erleide, dich nie wieder berühren zu können – genau so,, wie es ihm mit Drina geht! Und es ging alles so schnell, ich habe einfach –« Ich verstumme, weil ich weiß, dass es sinnlos ist, reine Wortverschwendung. Er hat aufgehört zuzuhören. Er ist davon überzeugt, dass es seine Schuld ist.
Aber ich weigere mich, auf diesen Zug aufzuspringen, und ich werde auch nicht zulassen, dass er das tut.
»Damen, bitte! Du kannst doch nicht einfach aufgeben! Das hier ist kein Karma – das war ich! Ich habe einen Fehler gemacht, einen schrecklichen, grauenvollen Fehler. Aber das heißt doch nicht, dass wir das nicht wieder hinkriegen können! Es muss doch eine Möglichkeit geben!« Ich klammere mich an eine ultratrügerische Hoffnung, erzwinge einen Eifer, den ich gar nicht empfinde.
Damen steht vor mir, eine dunkle Silhouette in der Nacht, und die Wärme seines traurigen Blicks dient uns als einzige Form der Umarmung. »Ich hätte niemals anfangen sollen«, sagt er. »Ich hätte nie das Elixier brauen sollen – hätte die Dinge ihren natürlichen Lauf nehmen lassen sollen. Im Ernst, Ever, schau dir doch das Ergebnis an. Es hat nichts als Leid gebracht!« Sein Blick ist so betrübt, so zerknirscht, dass mir fast das Herz zerspringt. »Für dich ist es allerdings noch nicht zu spät. Du hast dein ganzes Leben vor dir – eine Ewigkeit, in der du alles sein kannst, was du willst, alles tun kannst, was du willst. Aber ich ...« Er zuckt die Achseln. »Ich bin mit einem Makel behaftet. Ich denke, wir alle sehen das Ergebnis meiner sechshundert Jahre.«
»Nein!« Meine Stimme bebt, weil meine Lippen so sehr zittern, dass es sich bis auf meine Wangen ausdehnt. »Du haust jetzt nicht einfach ab, du verlässt mich nicht noch einmal! Ich bin letzten Monat durch die Hölle gegangen, um dich zu retten, und jetzt, da es dir wieder gut geht, werde ich nicht einfach aufgeben. Wir sind füreinander bestimmt, das hast du selbst gesagt! Wir haben bloß gerade einen vorübergehenden Rückschlag einstecken müssen, das ist alles. Aber wenn wir uns beide richtig da reinhängen, dann fällt uns bestimmt was ein, wie wir ...«
Ich halte inne, weil ich sehe, dass er sich bereits abgesetzt hat, in seine öde, trostlose Welt, wo er allein an allem schuld ist. Und ich weiß, dass es an der Zeit ist, den Rest der Geschichte zu erzählen, die schäbigen, bedauerlichen Teile, die ich lieber weglassen würde. Vielleicht sieht er das Ganze dann anders, vielleicht ...
»Das ist noch nicht alles«, sage ich und rede hastig drauflos, obwohl ich keinen Schimmer habe, wie ich das, was als Nächstes kommt, ausdrücken soll. »Bevor du also davon ausgehst, dass das Karma es auf dich abgesehen hat oder sonst was, musst du noch etwas anderes wissen, etwas, worauf ich nicht unbedingt stolz bin, aber trotzdem ...«
Dann hole ich tief Luft und erzähle ihm von meinen Ausflügen ins Sommerland – jene magische Dimension zwischen den Dimensionen –, wo ich gelernt habe, durch die Zeit zurückzureisen, und dass ich mich, als ich die Wahl zwischen ihm und meiner Familie hatte, für sie entschieden habe. Überzeugt, dass ich irgendwie die Zukunft wiederherstellen könnte, von der ich sicher war, dass sie mir gestohlen worden war, und doch lief all das nur auf eine Lektion hinaus, die ich bereits kannte:
Manchmal ist das Schicksal einfach außerhalb unserer Reichweite.
Ich schlucke heftig und starre auf den Sand hinunter; ich will Damens Reaktion nicht sehen, wenn er in die Augen eines Menschen blickt, der ihn verraten hat.
Doch anstatt sauer oder erschüttert zu sein, wie ich gedacht hatte, hüllt er mich in wunderschönes, schimmerndes weißes Licht – ein so tröstliches, verzeihendes, so reines Licht, dass es wie das Tor zum Sommerland ist, bloß noch besser. Also schließe ich die Augen und umhülle ihn ebenfalls mit Licht, und als ich die Lider wieder öffne, sind wir von einem wunderbaren warmen, dunstigen Schein umgeben.
»Du hattest doch gar keine Wahl«, sagt er mit sanfter Stimme und tröstendem Blick, tut alles, um meine Scham zu lindern. »Natürlich hast du dich für deine Familie entschieden. Das war richtig. Ich hätte dasselbe getan – wenn ich die Wahl gehabt hätte.«
Ich nicke, lasse sein Licht noch heller leuchten und füge noch eine telepathische Umarmung hinzu. Dabei ist mir klar, dass das nicht einmal annähernd so tröstend ist wie eine echte, aber fürs Erste reicht es. »Ich weiß das von deiner Familie, ich weiß alles, ich habe alles gesehen.« Er sieht mich an, und seine Augen sind so dunkel und eindringlich, dass ich mich zwinge weiterzusprechen. »Du hast immer so geheimnisvoll getan, wenn es um deine Vergangenheit ging, wo du herkommst, wie du gelebt hast – also habe ich mich eines Tages nach dir erkundigt, als ich im Sommerland war. Und ... na ja ... da ist deine ganze Lebensgeschichte ans Licht gekommen.«
Ich presse die Lippen zusammen und schaue ihn an, wie er da so reglos und stumm vor mir steht. Und seufze, als er mir auf telepathischem Wege mit seinen Fingern über die Wange streicht und ein Bild erzeugt, das so bedacht ist, so greifbar, dass es fast wirklich erscheint.
»Es tut mir leid«, sagt er und liebkost mental mit dem Daumen mein Kinn. »Es tut mir leid, dass ich so wenig bereit war, mich dir mitzuteilen, dass du dazu gezwungen warst. Aber obwohl das alles vor langer Zeit geschehen ist, möchte ich lieber nicht darüber sprechen.«
Ich nicke; ich habe nicht die Absicht, ihn zu bedrängen. Dass er mit angesehen hat, wie seine Eltern ermordet wurden, gefolgt von jahrelangen Misshandlungen in den Händen der Kirche, ist kein Thema, auf das ich näher eingehen will.
»Aber da ist noch mehr«, sage ich, weil ich ein wenig Hoffnung wecken möchte, indem ich ihm noch etwas anderes berichte, was ich in Erfahrung gebracht habe. »Als sich dein Leben vor mir entfaltet hat, hat Roman dich am Ende getötet. Aber obwohl es anscheinend Schicksal war, dass das passiert, habe ich es trotzdem geschafft, dich zu retten.« Ich sehe ihn an, merke, dass er alles andere als überzeugt ist, und fahre hastig fort, ehe er sich mir ganz entzieht. »Ich meine, ja, vielleicht ist unser Schicksal ja manchmal vorherbestimmt und unveränderlich, aber es gibt doch auch wieder Momente, in denen es ganz allein durch unser Handeln bestimmt wird. Als ich also meine Familie nicht dadurch retten konnte, dass ich durch die Zeit zurückgereist bin, da lag das nur daran, dass das eine Bestimmung war, die nicht verändert werden konnte. Oder, wie Riley gesagt hat, kurz bevor sie bei dem Unfall wieder umgekommen sind: ›Du kannst die Vergangenheit nicht ändern, sie ist einfach da.‹ Aber als ich dann plötzlich hier in Laguna war und dich retten konnte, na ja, ich glaube, das beweist, dass die Zukunft nicht immer feststeht, nicht alles wird ausschließlich vom Schicksal bestimmt.«
»Vielleicht.« Er seufzt. »Aber dem Karma kann man nicht entrinnen, Ever. Es ist, was es ist. Es urteilt nicht, es ist weder gut noch böse, wie die meisten Menschen denken. Es ist das Resultat allen Handelns – gutem und schlechtem. Ein ständiges Ausbalancieren von Ereignissen, Ursache und Wirkung, wie du mir, so ich dir. Säen und Ernten, alles rächt sich irgendwann. Ganz gleich, wie man es ausdrückt, am Ende ist es dasselbe. Und so gern du auch etwas anderes denken möchtest, genau das passiert hier. Jede Aktion löst eine Reaktion aus. Und das hier ist das, was mein Handeln mir eingebracht hat.« Er schüttelt den Kopf. »Die ganze Zeit habe ich mir eingeredet, ich hätte dich aus Liebe unsterblich gemacht ... Aber jetzt sehe ich, dass ich es in Wirklichkeit aus Selbstsucht getan habe, weil ich nicht ohne dich leben konnte. Deswegen geschieht das jetzt alles.«
»Und das war’s dann also?«, frage ich kopfschüttelnd und fasse es kaum, dass er entschlossen ist, so leicht aufzugeben. »So endet also alles? Du bist dir so verdammt sicher, dass das Karma dich drangekriegt hat, dass du nicht einmal versuchen wirst, dich zu wehren? Du bist so weit gekommen, nur damit wir zusammen sein können, und jetzt, da wir vor einem Hindernis stehen, versuchst du nicht einmal, über die Mauer zu klettern, die uns im Weg ist?«
»Ever.« Sein Blick ist warm, liebevoll, allumfassend, doch er hebt den besiegten Tonfall seiner Stimme nicht auf. »Es tut mir leid, aber es gibt ein paar Dinge, die weiß ich ganz einfach.«
»Na gut.« Ich schaue zu Boden und wühle die Zehen tief in den Sand. »Nur weil du ein paar Jahrhunderte mehr auf dem Buckel hast als ich, heißt das noch lange nicht, dass du das letzte Wort behältst. Denn wenn wir in dieser ganzen Geschichte wirklich zusammen drinstecken, wenn unsere Leben, genau wie unser Schicksal, wirklich miteinander verknüpft sind, dann ist dir doch wohl klar, dass das hier nicht nur dir passiert. Ich bin auch ein Teil davon. Und du kannst dich nicht einfach davon abwenden – du kannst dich nicht von mir abwenden! Wir müssen zusammenarbeiten! Es muss eine Möglichkeit geben –« Jäh bleibe ich stecken; ich zittere am ganzen Leib, und meine Kehle ist so eng, dass ich nicht mehr sprechen kann. Alles, was ich fertigbringe, ist, hier vor ihm zu stehen und ihn stumm zu drängen, einen Kampf mit mir zu führen, von dem ich mir nicht sicher bin, ob wir ihn gewinnen können.
»Ich habe nicht vor, dich zu verlassen«, sagt er, und in seinem Blick liegt die Sehnsucht von vierhundert Jahren. »Ich kann dich nicht verlassen, Ever. Glaub mir, ich hab’s versucht. Aber am Ende finde ich doch immer wieder zurück an deine Seite. Du bist alles, was ich jemals gewollt habe – alles, was ich jemals geliebt habe. Aber, Ever –«
»Kein aber.« Abwehrend schüttele ich den Kopf und wünsche mir, ich könnte ihn in die Arme nehmen, meinen Körper eng an seinen schmiegen. »Es muss eine Möglichkeit geben, irgendein Heilmittel. Und zusammen werden wir es finden. Wir sind zu weit gekommen, um uns von Roman auseinanderbringen zu lassen. Aber allein kriege ich das nicht hin. Nicht ohne deine Hilfe. Also, bitte versprich es mir – versprich mir, dass du es versuchen wirst.«
Er sieht mich an, und sein Blick fängt mich ein. Dann schließt er die Augen und füllt den Strand mit so vielen roten Tulpen, dass die ganze Bucht bis zum Bersten voll wächserner roter Blütenblätter auf gebogenen grünen Stielen ist – das ultimative Symbol unserer ewigen Liebe bedeckt jeden Quadratzentimeter Sand.
Und dann hakt er sich bei mir ein und geht mit mir zurück zu seinem Auto. Nur seine weiche schwarze Lederjacke und mein T-Shirt trennen unsere Haut voneinander. Genug, um uns die Konsequenzen eines versehentlichen DNS-Austausches zu ersparen, aber nicht in der Lage, das Knistern und die Hitze abzuschwächen, die zwischen uns pulsieren.
Weißt du was?«
Miles sieht mich an, als er in mein Auto steigt. Seine großen braunen Augen sind noch weiter aufgerissen als sonst, und sein süßes Babygesicht ist zu einem breiten Grinsen verzogen. »Nein, lass stecken. Nicht raten. Ich sag’s dir einfach, denn das glaubst du nie im Leben! Da kommst du nie drauf!«
Ich lächele und höre seine Gedanken ein paar Augenblicke, ehe er sie aussprechen kann, doch ich verkneife mir die Antwort: Du fährst nach Italien, zu einem Schauspielkurs! Nur Sekunden, bevor er herausplatzt: »Ich fahre nach Italien, zu einem Schauspielkurs! Nein, korrigiere, nach Florenz! Die Heimatstadt von Leonardo da Vinci, von Michelangelo, von Raphael!«
Und die deines guten Freundes Damen Auguste, der all diese Künstler tatsächlich gekannt hat!
»Dass das möglich wäre, wusste ich schon seit ein paar Wochen, aber es ist erst gestern offiziell bestätigt worden, und ich kann’s immer noch nicht glauben! Acht Wochen in Florenz, und nichts als Schauspielen, Essen und heißen Italienern auflauern ...«
Ich werfe ihm einen raschen Blick zu, während ich aus seiner Auffahrt zurücksetze. »Und Holt hat mit alldem kein Problem?«
Miles sieht mich an. »Hey, du weißt doch, wie das läuft. Was in Italien passiert, bleibt in Italien.«
Außer wenn es das nicht tut. Meine Gedanken wandern zu Drina und Roman, und ich überlege, wie viele abtrünnige Unsterbliche wohl da draußen sind und nur darauf warten, in Laguna Beach aufzutauchen und mich zu terrorisieren.
»Jedenfalls, ich fahre bald, gleich nach Schulschluss. Und bis dahin muss ich ja noch so viel vorbereiten. Ach ja, und außerdem hätte ich beinahe das Beste daran vergessen. Zufällig haut das alles ganz genau hin, weil Hairspray nämlich die Woche vorher ausläuft, also kriege ich noch meine letzte Verbeugung als Tracy Turnblad – ich meine, jetzt mal im Ernst, wie super ist das?«
»Megasuper.« Ich lächele. »Wirklich. Gratuliere. Und absolut verdient, darf ich vielleicht hinzufügen. Ich wünschte nur, ich könnte mitkommen.«
Und in dem Augenblick, als ich das sage, begreife ich, dass es wahr ist. Es wäre so schön, all meinen Problemen zu entfliehen, in ein Flugzeug zu steigen und einfach von alldem wegzufliegen. Außerdem vermisse ich es, Zeit mit Miles zu verbringen. Die letzten paar Wochen, als er und Haven sowie auch alle anderen in der Schule unter Romans Bann gestanden haben, waren mit die einsamsten Tage meines Lebens. Damen nicht neben mir zu haben, war mehr, als ich ertragen konnte, aber ohne den Rückhalt meiner beiden besten Freunde auszukommen, das hat mir fast den Rest gegeben. Doch Miles und Haven erinnern sich an nichts, keiner der Betroffenen tut das. Nur Damen hat Zugang zu kleinen Erinnerungsfetzen, die ihm schreckliche Gewissensbisse bereiten.
»Ich wünschte auch, du könntest mitkommen«, meint er und dreht an meiner Stereoanlage herum, versucht, genau den richtigen Soundtrack für seine Hochstimmung zu finden. »Vielleicht können wir ja nach dem Abschluss alle nach Europa fahren! Wir könnten uns Eurorail-Pässe besorgen, in Jugendherbergen übernachten, mit dem Rucksack durch die Gegend ziehen – wie cool wäre das? Nur wir sechs, du weißt schon, du und Damen, Haven und Josh, und ich und, na, mal sehen ...«
»Du und na, mal sehen?« Wieder werfe ich ihm einen Blick zu. »Was geht denn hier ab?«
»Ich bin eben Realist.« Er zuckt die Schultern.
»Bitte.« Ich verdrehe die Augen. »Seit wann denn das?«
»Seit gestern Abend, seit ich weiß, dass ich nach Italien fahre.« Lachend fährt er sich mit der Hand durch sein kurzes braunes Haar. »Hör zu, Holt ist ganz toll und so, versteh mich nicht falsch. Aber ich mache mir nichts vor. Ich tue nicht so, als wäre das Ganze mehr, als es ist. Es ist, als ob wir ein Verfallsdatum hätten, verstehst du? Volle drei Akte, mit einem klaren Anfang, einer Mitte und einem Ende. Bei dir und Damen ist das nicht so. Ihr beide seid anders. Ihr habt lebenslänglich.«
»Lebenslänglich?« Kopfschüttelnd sehe ich ihn an, während ich an einer Ampel halte. »Klingt für mich eher nach einer Gefängnisstrafe als nach glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.«
»Du weißt schon, was ich meine.« Er inspiziert seine Nagelbetten und dreht seine pink lackierten Tracy-Turnblad-Fingernägel hierhin und dorthin. »Es ist bloß, ihr beide seid so aufeinander eingestimmt, so verbunden. Und das meine ich ganz wörtlich, so wie ihr mehr oder weniger dauernd rumknutscht.«
Jetzt nicht mehr. Ich schlucke heftig und trete das Gaspedal durch, sobald die Ampel grün wird. Mit lautem Reifenquietschen schieße ich über die Kreuzung und lasse eine dicke Gummispur hinter mir zurück. Und ich werde erst langsamer, als ich auf den Parkplatz fahre und nach Damen Ausschau halte, der immer auf dem zweitbesten Platz parkt, neben meinem.
Doch selbst nachdem ich die Handbremse angezogen habe, ist er nirgends zu sehen. Und ich will gerade aussteigen und frage mich, wo er sein könnte, als er direkt neben mir auftaucht, die behandschuhte Hand an meiner Wagentür.
»Wo ist denn dein Auto?«, fragt Miles und mustert ihn, während er die Tür zuschlägt und sich seinen Rucksack über die Schulter hängt. »Und was ist mit deiner Hand?«
»Habe ich abgeschafft«, antwortet Damen, den Blick fest auf mich gerichtet. Dann schaut er kurz zu Miles hinüber, und als er dessen Gesichtsausdruck sieht, fügt er hinzu: »Das Auto, nicht die Hand.«
»Hast du es gegen ein anderes ausgetauscht?«, erkundige ich mich, aber nur, weil Miles zuhört. Damen braucht Dinge nicht zu kaufen, einzutauschen oder zu verkaufen wie normale Menschen. Er kann alles manifestieren, wonach ihm der Sinn steht.
Er schüttelt den Kopf und geht mit mir zum Tor. Lächelnd antwortet er: »Nein, ich hab’s einfach am Straßenrand abgestellt, mit laufendem Motor.«
»Bitte?«, schreit Miles auf. »Willst du mir etwa erzählen, du hast ein schwarzes BMW M6 Coupé an der Straße stehen lassen?«
Damen nickt.
»Aber die Kiste kostet hunderttausend Dollar!«, Miles schnappt nach Luft, und sein Gesicht läuft knallrot an.
»Hundertzehn.« Damen lacht. »Vergiss nicht, das war eine Sonderanfertigung mit allen möglichen Extras.«
Miles starrt ihn an. Die Augen quellen ihm praktisch aus dem Kopf. Er ist unfähig zu begreifen, wie jemand so etwas tun kann – wieso jemand so etwas tun sollte. »Ah, okay, also lass mich das mal klarstellen: Du bist einfach aufgewacht und hast beschlossen, Hey, was soll’s? Ich glaube, ich stelle meine aberwitzig teure Luxuskarre mal eben so am Straßenrand ab ... WO JEDER SIE SICH UNTER DEN NAGEL REISSEN KANN?«
Wieder zuckt Damen die Schultern. »So in etwa, ja.«
»Denn nur für den Fall, dass du’s nicht gemerkt hast«, fährt Miles fort und hyperventiliert inzwischen beinahe. »Ein paar von uns leiden unter einem gewissen Automangel. Ein paar von uns haben so grausame Eltern erwischt, dass sie für den Rest ihres Lebens auf die Güte ihrer Freunde angewiesen sind.«
»Entschuldige.« Damen zuckt noch einmal die Achseln. »Daran hab ich wohl nicht gedacht. Obwohl, wenn’s dir damit besser geht, es war für einen sehr guten Zweck.«
Und als er mich ansieht und sein Blick meinem begegnet, auf seine ganz besondere Art, zusammen mit dem üblichen Wärmeschwall, habe ich plötzlich dieses grässliche Gefühl, dass das Auto abzuschaffen nur der Anfang seiner Pläne ist.
»Und wie kommst du jetzt zur Schule?«, frage ich, gerade als wir das Tor erreichen, wo Haven wartet.
»Er ist mit dem Bus gefahren.« Havens Blick wandert zwischen uns hin und her; ihr vor Kurzem leuchtend blau gefärbter Pony fällt ihr ins Gesicht. »Ohne Quatsch. Ich hätte es auch nicht geglaubt, aber ich hab’s mit eigenen Augen gesehen. Hab gesehen, wie er aus dem großen gelben Bus geklettert ist, zusammen mit all den anderen ohne Führerschein, den Strebern, Vollidioten und dem ganzen Ausschuss, denen nichts anderes übrig bleibt, als mit dem Ding zu fahren.« Sie schüttelt den Kopf. »Und ich war so schockiert von diesem Anblick, dass ich x-mal geblinzelt habe, nur um sicher zu sein, dass er es wirklich ist. Und dann, als ich mir immer noch nicht sicher war, habe ich mit meinem Handy ein Foto gemacht und es Josh geschickt, und der hat es mir bestätigt.« Sie hält das Handy hoch, damit wir es sehen können.
Ich werfe Damen einen verstohlenen Blick zu und frage mich, was er wohl vorhat, und dabei fällt mir auf, dass er anstelle seines üblichen Kaschmirpullis ein einfaches Baumwoll-T-Shirt trägt und statt der Designerjeans irgendein No-Name-Teil. Sogar die schwarzen Motorradstiefel, für die er praktisch berühmt ist, haben braunen Gummiflipflops Platz gemacht. Und obwohl er diesen ganzen Firlefanz nicht braucht, um immer noch genauso unglaublich gut auszusehen wie am ersten Tag, als wir uns begegnet sind – dieser neue, unauffällige Look passt einfach nicht zu ihm.
Oder jedenfalls nicht zu dem Damen, den ich gewohnt bin.
Ich meine, obwohl er unbestreitbar klug, freundlich, liebevoll und großzügig ist – er ist dabei auch ganz schön extravagant und eitel. Macht sich ständig einen Kopf um seine Klamotten, sein Auto, sein Image im Allgemeinen. Und versucht bloß nicht, ihm sein wahres Geburtsdatum zu entlocken, denn für jemanden, der unsterblich ist, hat er definitiv einen Komplex wegen seines Alters.
Doch obwohl mir seine Klamotten normalerweise völlig egal sind, oder womit er zur Schule fährt, kriege ich dieses furchtbare Gefühl im Bauch, als ich ihn noch einmal anschaue – so ein beharrlicher Druck, der meine Aufmerksamkeit fordert. Eine definitive Warnung, dass dies hier nur der Anfang ist. Dass diese jähe Verwandlung sehr viel tiefer reicht als irgendein kostensparendes, menschenfreundliches, umweltbewusstes Programm. Nein, das hier hat etwas mit gestern Abend zu tun. Etwas damit, dass er sich von seinem Karma verfolgt glaubt. Als hätte er sich eingeredet, dass alles wieder ins Lot kommt, wenn er sich von seinen kostbarsten Besitztümern trennt.
»Wollen wir?« Lächelnd nimmt er meine Hand genau in dem Augenblick, in dem es klingelt, und lotst mich von Miles und Haven weg, die die nächsten drei Stunden damit verbringen werden, sich gegenseitig Nachrichten zu simsen und zu versuchen dahinterzukommen, was mit Damen los ist.
Ich sehe ihn an, seine behandschuhte Hand in meiner, als wir den Flur hinuntergehen. »Was ist los?«, flüstere ich. »Was ist wirklich mit deinem Auto passiert?«
»Habe ich doch schon gesagt. Ich brauche es nicht. Es ist ein unnötiger Luxus, den ich mir nicht mehr gönnen möchte.« Er sieht mich an und lacht, doch als ich nicht einstimme, schüttelt er den Kopf und sagt: »Jetzt schau doch nicht so ernst. Ist doch keine große Sache. Als mir klar geworden ist, dass ich das Ding nicht brauche, bin ich damit in eine Gegend gefahren, wo die Leute wenig Geld haben, und hab’s am Straßenrand stehen lassen, wo jemand es finden kann.«
Ich presse die Lippen zusammen und blicke starr geradeaus; ich wünschte, ich könnte seine Gedanken sehen, die er für sich behält, könnte ergründen, worum es hier wirklich geht. Denn trotz der Art und Weise, wie er mich ansieht, trotz seines abfälligen Achselzuckens ergibt nichts von dem, was er gesagt hat, auch nur annähernd einen Sinn.
»Na ja, das ist ja alles gut und schön, ich meine, wenn du das so machen musst, dann, super, viel Spaß.« Ich bin fest überzeugt, dass das alles überhaupt nicht super ist; allerdings bin ich schlau genug, das nicht laut zu sagen. »Aber wie genau hast du vor, dich jetzt fortzubewegen, nachdem du dein Auto abgeschafft hast? Ich meine, nur für den Fall, dass du’s nicht gemerkt hast, das hier ist Kalifornien. Ohne Auto kommt man hier nirgendwohin.«
Eindeutig belustigt von meinem Ausbruch sieht er mich an, was nicht gerade die Reaktion ist, die ich beabsichtigt hatte. »Was ist denn am Bus so verkehrt? Der kostet doch nichts?«
Mir bleibt der Mund offen stehen, fast traue ich meinen Ohren nicht. Und seit wann zerbrichst du dir den Kopf darüber, was irgendetwas kostet, Mr. »Ich mach Millionen mit Pferdewetten und manifestiere alles, was ich sonst noch so brauchen könnte«? Kaum habe ich das gedacht, wird mir klar, dass ich vergessen habe, meine Gedanken abzuschirmen.
»So siehst du mich also?« Kurz vor der Klassentür bleibt er stehen, offensichtlich gekränkt von meiner achtlosen Beurteilung. »Als oberflächlichen, materialistischen, narzisstischen, konsumversessenen Trottel?«
»Nein!« Abwehrend schüttele ich den Kopf und drücke seine Hand. Und hoffe, dass ich ihn damit überzeugen kann, obwohl ich es irgendwie schon so gemeint habe. Nur nicht auf so fiese Weise, wie er glaubt. Mehr in Richtung: Mein Freund weiß die schönen Dinge des Lebens zu schätzen. Weniger: Mein Freund ist eine männliche Version von Stacia. »Ich meine nur ...« Ich blinzele und wünsche mir, ich wäre nur halb so redegewandt wie er, fahre aber trotzdem fort: »Ich verstehe das Ganze wohl einfach nicht.« Dann zucke ich die Achseln. »Und was soll der Handschuh?« Ich hebe seine in Leder gehüllte Hand in unser beider Blickfeld.
»Ist das nicht offensichtlich?« Kopfschüttelnd zieht er mich auf die Tür zu.
Doch ich bleibe stehen und weigere mich, mich von der Stelle zu rühren. Gar nichts ist offensichtlich. Nichts von alldem ist noch irgendwie logisch.
Die Hand am Türknauf hält er inne und ist ziemlich gekränkt. »Ich dachte, das wäre fürs Erste eine gute Lösung. Aber vielleicht wäre es dir ja lieber, wenn ich dich überhaupt nicht anfasse?«
Nein! So hab ich das nicht gemeint! In dem Augenblick, in dem ein paar unserer Klassenkameraden näher kommen, schalte ich auf Telepathie um und erinnere ihn daran, wie schwer es war, während der letzten drei Tage jeglichen Hautkontakt zu vermeiden. So zu tun, als wäre ich erkältet, obwohl wir beide wissen, dass wir nicht krank werden, und andere alberne Vermeidungstechniken, bei denen ich mich in Grund und Boden geschämt habe. Es war schlicht und einfach eine Qual. Einen Freund zu haben, der so gut aussieht, so sexy und so absolut toll ist, und ihn nicht berühren zu können – das ist die schlimmste Folter, die es gibt.
»Ich meine, ich weiß ja, dass wir es nicht riskieren können, aus Versehen mit dem Schweiß des anderen in Berührung zu kommen oder so was, aber findest du nicht, dass das irgendwie komisch aussieht?«, flüstere ich, sobald wir allein sind.
»Das ist mir egal.« Sein Blick ist offen und aufrichtig. »Es ist mir nicht wichtig, was andere Leute denken. Nur du bist mir wichtig.«
Er drückt meine Finger, öffnet per Gedankenkraft die Tür und führt mich direkt an Stacia Miller vorbei zu unseren Plätzen. Und obwohl ich sie seit Freitag nicht mehr gesehen habe, als sie aus Romans Bann erwacht ist, bin ich mir sicher, dass ihr Hass auf mich kein bisschen nachgelassen hat. Und auch wenn ich auf ihren üblichen Trick vorbereitet bin, mir ihre Tasche in den Weg zu stellen, damit ich darüber stolpere – heute ist sie zu sehr von Damens neuem Look abgelenkt, um diese abgedroschene Nummer durchzuziehen. Langsam wandert ihr Blick an ihm hinunter, von Kopf bis Fuß, und fängt dann noch einmal von vorn an.
Doch nur weil sie mich ignoriert, heißt das noch lange nicht, dass ich mich entspannen oder gar denken kann, es wäre vorbei. Denn in Wahrheit ist es bei Stacia nie vorbei. Das hat sie unmissverständlich klargemacht. Wenn überhaupt, dann ist sie wahrscheinlich bösartiger denn je – und diese kleine Pause ist nicht mehr als die Ruhe vor dem Sturm.
»Beachte sie gar nicht«, flüstert Damen und rückt seinen Stuhl so dicht an meinen, dass die Kanten der Schreibbretter sich praktisch überlappen.
Und obwohl ich nicke, die Wahrheit ist – ich kann sie nicht ignorieren. So gern ich auch so täte, als wäre sie unsichtbar, ich kann es nicht. Sie sitzt jetzt vor mir, und ich bin vollkommen besessen von ihr. Spähe ihre Gedanken aus, will sehen, was zwischen ihnen passiert ist, wenn überhaupt etwas passiert ist. Denn auch wenn ich weiß, dass Roman für all das Geflirte und Gekuschele und Geknutsche verantwortlich ist, blieb mir nichts anderes übrig, als es mit anzusehen. Obwohl ich weiß, dass Damen jeglicher freie Wille genommen worden war – das ändert nichts daran, dass es tatsächlich passiert ist, dass Damens Lippen auf ihre gedrückt waren, während seine Hände über ihre Haut gewandert sind. Und obwohl ich ziemlich sicher bin, dass das Ganze nicht viel weitergegangen ist als bis dahin, würde ich mich doch verdammt viel besser fühlen, wenn ich ein paar Beweise hätte, um meine Theorie zu untermauern.
Ganz gleich wie verrückt, schmerzhaft und vollkommen masochistisch es ist – ich werde nicht aufhören, bis ihr Gedächtnis nachgibt und sämtliche schrecklichen, schmerzlichen, qualvollen Einzelheiten ans Licht kommen.
Gerade will ich tiefer graben, will bis ins Zentrum ihres Gehirns vordringen, als Damen mir die Hand drückt und sagt: »Ever, bitte. Hör auf, dich selbst zu quälen. Ich hab’s dir doch schon gesagt, da gibt es überhaupt nichts zu sehen.« Ich schlucke schwer, den Blick starr auf ihren Hinterkopf gerichtet, sehe zu, wie sie mit Honor und Craig tratscht, und höre kaum zu, als er hinzufügt: »Es ist nichts passiert. Es ist nicht so, wie du denkst.«
»Ich dachte, du kannst dich nicht mehr erinnern?« Ich drehe mich zu ihm um, und sobald ich den Schmerz in seinen Augen sehe, empfinde ich überwältigende Scham. Kopfschüttelnd sieht er mich an.
»Vertrau mir einfach.« Er seufzt. »Oder versuch es wenigstens. Bitte.«
Ich hole tief Luft, schaue ihn an und wünsche mir, ich könnte ihm vertrauen. Weiß, dass ich ihm vertrauen sollte.
»Ganz im Ernst, Ever. Erst kommst du nicht mit meinem Liebesleben in den letzten sechshundert Jahren klar, und jetzt machst du dich wegen letzter Woche fertig?« Er beugt sich zu mir herüber. Mit drängender, schmeichelnder Stimme fügt er hinzu: »Ich weiß, dass du unheimlich verletzt bist. Wirklich. Aber passiert ist nun mal passiert. Ich kann’s nicht rückgängig machen, ich kann’s nicht ändern. Roman hat das mit Absicht getan – du darfst ihn nicht gewinnen lassen.«
Wieder schlucke ich heftig; ich weiß, dass er Recht hat. Ich benehme mich lächerlich, völlig irrational.
Außerdem, denkt Damen, der jetzt auf Telepathie umschaltet, weil unser Lehrer Mr. Robins hereingekommen ist, weißt du doch, dass das nichts bedeutet. Die Einzige, die ich jemals geliebt habe, bist du. Ist das nicht genug? Er berührt mit dem behandschuhten Daumen meine Schläfe und schaut mir tief in die Augen, während er mir unsere Geschichte zeigt, meine vielen Inkarnationen, als junge Dienstmagd in Frankreich, als Tochter eines Puritaners in Neuengland, als kokette Dame der feinen englischen Gesellschaft, als Künstlermuse mit prachtvollem rotem Haar –
Ich sperre Mund und Augen auf, dieses Leben habe ich noch nie gesehen.
Doch er lächelt nur, und sein Blick wird wärmer, während er mich die Höhepunkte jener Zeit sehen lässt, der Augenblick, als wir uns kennen gelernt haben – bei der Eröffnung einer Galerie in Amsterdam –, unser erster Kuss noch am selben Abend draußen vor der Galerie. Er präsentiert mir nur die romantischsten Momente und erspart mir meinen Tod, der sich stets und unausweichlich ereignet, ehe wir zu irgendetwas kommen können.
Und nachdem ich diese wunderschönen Augenblicke gesehen habe, seine unbeirrbare Liebe zu mir unverhüllt vor mir gesehen habe, schaue ich ihm in die Augen und beantworte seine Frage, als ich denke: Natürlich ist das genug. Du warst immer genug.
Und dann schließe ich beschämt die Augen, als ich hinzufüge: Aber bin ich auch genug für dich?
Und ihm endlich die tatsächliche Wahrheit gestehe – meine Furcht, dass er das Händchenhalten mit Handschuh bald leid sein wird, das telepathische Umarmen, und sich bei einem gesunden, normalen Mädchen mit ungefährlicher DNS etwas Echtes suchen wird.
Er nickt, als er mich mental in die Arme nimmt, eine so warme, so geborgene, so tröstliche Umarmung, dass all meine Ängste verfliegen. Und er antwortet auf die Entschuldigung in meinem Blick, als er sich vorbeugt, die Lippen dicht an meinem Ohr: »Gut. Nachdem das also geklärt ist, von wegen Roman.«
Als ich mich auf den Weg zum Geschichtsunterricht mache, überlege ich, was wohl schlimmer sein wird – Roman zu begegnen oder Mr. Muñoz? Denn auch wenn ich beide seit Freitag nicht mehr gesehen habe, als meine ganze Welt aus den Fugen geraten ist – es besteht kein Zweifel, dass ich bei beiden einen ziemlich seltsamen Abgang hingelegt habe. Mein letzter Kontakt mit Mr. Muñoz bestand darin, dass ich total sentimental geworden bin und nicht nur gestanden habe, dass ich hellsehen kann – etwas, das ich sonst niemals tue –, sondern ihm auch noch zugeredet habe, sich mit meiner Tante Sabine zu verabreden. Etwas, das ich allmählich ernsthaft bereue. Und so unmöglich das auch war, das Einzige, was dem nahekommt, sind meine letzten Momente mit Roman, als ich mit der Faust auf sein Nabelchakra gezielt habe und fest entschlossen war, ihn nicht nur umzubringen, sondern ihn vollständig auszulöschen. Und das hätte ich auch getan – abgesehen davon, dass ich total eingeknickt bin und er davongekommen ist. Und obwohl es rückblickend wahrscheinlich so am besten war, bin ich immer noch wahnsinnig wütend auf ihn; wer weiß, ob ich es nicht noch einmal versuchen werde?
Doch die Wahrheit ist, ich weiß, dass ich es nicht noch einmal versuchen werde. Und zwar nicht nur, weil Damen mir in Englisch die ganze Zeit telepathische Vorträge gehalten hat, von wegen Rache sei niemals die richtige Antwort, und das Karma sei das einzig wahre Rechtssystem und jede Menge mehr Blabla von der gleichen Sorte. Sondern hauptsächlich, weil es nicht richtig ist. Ungeachtet der Tatsache, dass Roman mich ganz übel über den Tisch gezogen und mir nicht einen einzigen Grund gegeben hat, ihm je wieder zu trauen – ich habe trotzdem nicht das Recht, ihn zu töten. Das wird mein Problem nicht lösen. Wird überhaupt nichts ändern. Obwohl er widerlich ist und gemein und alles, was sich zu böse addieren lässt, habe ich trotzdem nicht das Recht –
»Na, da ist ja mein freches Äffchen!«
Er kommt an meine Seite getänzelt, blondes Wuschelhaar, meerblaue Augen und strahlend weiße Zähne, und streckt ganz beiläufig seinen starken, gebräunten Arm quer vor die Klassentür, sodass ich nicht eintreten kann.
Mehr ist nicht nötig. Dieser nachgemachte britische Akzent und dieser gruselige, lüsterne Blick, und sofort bin ich wieder schwer in Versuchung, ihn umzubringen.
Aber ich werde es nicht tun.
Ich habe Damen versprochen, dass ich es wohlbehalten zum Unterricht und zurück schaffe, ohne auf dergleichen zurückzugreifen.
»Also erzähl mal, Ever, wie war dein Wochenende? Haben du und Damen auch schön Wiedersehen gefeiert? Hat er es rein zufällig geschafft, dich zu überleben?«
Ich balle die Hände zu Fäusten und male mir aus, wie er wohl aussieht, wenn er nur noch ein Knäuel Designerklamotten und ein Häufchen Staub ist, trotz des Gewaltverzicht-Schwurs, den ich geleistet habe.
»Denn wenn du nicht auf meinen Rat gehört und mit diesem uralten Dinosaurier eine Nummer geschoben hast, dann ist wohl mein aufrichtiges Beileid angesagt.« Er nickt, den Blick fest auf mich geheftet, und senkt die Stimme, als er hinzusetzt: »Aber keine Angst, du wirst nicht lange allein sein. Wenn erst einmal die angemessene Trauerzeit vorbei ist, springe ich gern ein und fülle die Leere, die sein Tod hinterlassen hat.«
Ich konzentriere mich auf meinen Atem, ganz langsam und gleichmäßig, während ich den kräftigen, sonnengebräunten, muskulösen Arm betrachte, der mir den Weg versperrt, und weiß, dass nur ein einziger wohlplatzierter Karateschlag notwendig wäre, um ihn in der Mitte durchzubrechen.
»Verdammt, auch wenn du’s geschafft hast, dich zurückzuhalten und ihn am Leben zu lassen, du brauchst es nur zu sagen, und ich bin sofort da.« Er grinst, und sein Blick wandert auf extrem intime Art und Weise über meinen Körper. »Aber du brauchst nichts zu überstürzen oder dich gleich festzulegen. Lass dir so lange Zeit, wie du willst. Denn ich versichere dir, Ever, anders als Damen bin ich ein Mann, der warten kann. Außerdem ist es nur eine Frage der Zeit, bis du nach mir suchen wirst.«
»Es gibt nur eins, das ich von dir will.« Ich fokussiere meinen Blick auf ihn, bis alles um uns herum verschwimmt. »Nämlich dass du mich in Ruhe lässt.« Hitze steigt mir in die Wangen, als sein Blick zu einem lüsternen Feixen wird.
»Ich fürchte, daraus wird nichts, Darling.« Er lacht, mustert mich und schüttelt den Kopf. »Glaub mir, du willst mehr als das. Aber keine Angst, es ist genau, wie ich gesagt habe, ich warte so lange, wie’s nötig ist. Damen ist derjenige, um den ich mir Sorgen mache. Und das solltest du auch tun. Nach dem, was ich die letzten sechshundert Jahre gesehen habe, ist er ziemlich ungeduldig. Tatsächlich sogar ein bisschen ein Hedonist. Hat auf nichts lange gewartet, soweit ich es sagen kann.«
Ich schlucke krampfhaft und gebe mir alle Mühe, ruhig zu bleiben, ermahne mich, nicht auf ihn hereinzufallen. Roman hat eine Begabung dafür, meine Schwachstelle zu finden, sozusagen mein psychologisches Kryptonit, und er lebt so ziemlich dafür, diese Schwachstelle auszunutzen.
»Versteh mich nicht falsch, er hat immer den Schein gewahrt – hat die schwarze Armbinde getragen, schien bei der Totenwache untröstlich zu sein –, aber glaub mir, Ever, seine Schuhe haben kein Moos ansetzen können, bevor er wieder auf der Pirsch war. Und darauf aus war, seinen Kummer in allem – oder sollte ich sagen, in jedem –zu ertränken, was ihm untergekommen ist. Und auch wenn du es vorziehst, das nicht zu glauben, lass es dir von jemandem gesagt sein, der die ganze Zeit dabei war. Damen wartet auf niemanden. Und auf dich hat er ganz bestimmt nie gewartet.«
Ich atme tief durch, fülle meinen Kopf mit Worten, mit Musik, mit mathematischen Gleichungen, die mir viel zu hoch sind, alles, um diese Worte zu übertönen, die wie sorgfältig geschliffene Pfeile sind, welche direkt auf mein Herz zielen.
»Jawoll. Hab’s selber geseh’n!« Lächelnd verfällt er in einen schweren Cockney-Akzent und legt ihn gleich darauf wieder ab. »Drina hat es auch gesehen. Hat ihr das Herz gebrochen. Aber anders als in meinem Fall – und ich fürchte, anders als in deinem – war Drinas Liebe bedingungslos. Sie war bereit, ihn zurückzunehmen, egal, wo er gewesen war, ohne Fragen zu stellen. Was, seien wir mal ehrlich, etwas ist, was du nie tun würdest.«
»Das ist nicht wahr!«, entfährt es mir. Meine Stimme ist heiser und trocken, als würde ich sie heute zum ersten Mal benutzen. »Ich hatte Damen von dem Augenblick an, als wir uns begegnet sind, ich ... ich ...« Ich verstumme, mir ist klar, dass ich gar nicht hätte anfangen sollen. Es ist sinnlos, sich auf diesen Streit einzulassen.
»Verzeihung, Darling, aber du irrst dich. Du hast Damen nie gehabt, überhaupt nicht. Ein keuscher Kuss hier, ein bisschen Händchenhalten da.« Mit spöttischem Blick zuckt er die Achseln. »Jetzt mal ernsthaft, Ever, glaubst du wirklich, ein paar jämmerliche Fummelversuche können so einen gierigen, narzisstischen, zügellosen Kerl wie ihn befriedigen? Und noch dazu vierhundert Jahre lang?«
Ich schlucke abermals und zwinge mich zu einer Ruhe, die ich gar nicht habe, als ich zurückgebe: »Das ist sehr viel weiter, als du bei Drina jemals gekommen bist.«
»Na, dir habe ich das jedenfalls nicht zu verdanken«, faucht er und funkelt mich wütend an. »Aber wie gesagt, ich bin ein Mann, der warten kann. Damen nicht.« Er schüttelt den Kopf. »Ein Jammer, dass du so wild entschlossen bist, auf unerreichbar zu machen. Wir beide sind uns viel ähnlicher, als du denkst. Beide verzehren wir uns nach jemandem, den wir niemals wirklich kriegen werden.«
»Ich könnte dich umbringen, jetzt gleich«, flüstere ich. Meine Stimme bebt, meine Hände zittern, obwohl ich Damen versprochen habe, dass ich es nicht tun werde, obwohl ich es besser weiß. »Ich könnte –« Scharf ziehe ich die Luft ein; ich will nicht, dass er erfährt, was nur Damen und ich wissen, nämlich dass die schnellste Methode, einen Unsterblichen zu töten, darin besteht, auf dessen schwächstes Chakra zu zielen.
»Du könntest was?« Er lächelt, und sein Gesicht ist mir so nahe, dass sein Atem kalt meine Wange streift. »Mir vielleicht eins in mein Sakralzentrum verpassen?«
Mit offenem Mund starre ich ihn an und frage mich, wo er das gehört haben kann.
Doch er schüttelt nur lachend den Kopf. »Vergiss nicht, Schätzchen, Damen hat in meinem Bann gestanden, und das heißt, dass er mir alles erzählt hat, dass er jede Frage beantwortet hat, die ich ihm gestellt habe – einschließlich einer ganzen Menge über dich.«
Ich stehe da und weigere mich zu reagieren, entschlossen, gefasst zu wirken, unbeeindruckt – doch es ist zu spät. Er hat mich erwischt. Genau da, wo es drauf ankommt. Und glaubt ja nicht, das wäre ihm nicht klar.
»Keine Angst, ich habe nicht vor, auf dich loszugehen. Auch wenn dein eklatanter Mangel an Urteilsvermögen und die tragische Art, wie du Wissen falsch einsetzt, mir zeigen, dass ein schneller Schlag gegen das Kehlchakra ausreichen würde, um dich für alle Zeiten auszulöschen.« Er lächelt, und seine Zunge schlängelt sich über seine Lippen. »Es macht mir viel zu viel Spaß zuzusehen, wie du dich windest. Außerdem wird es nicht mehr lange dauern, bis du dich unter mir windest. Oder vielleicht auch auf mir. Geht beides.« Er lacht, die blauen Augen fest auf meine gerichtet, betrachtet mich auf eine so wissende, so intime, so eindringliche Weise, dass sich mir unwillkürlich der Magen umdreht. »Die Details überlasse ich dir. Aber ganz egal, wie gern du es tun möchtest, du wirst auch nicht auf mich losgehen. Hauptsächlich weil ich habe, was du willst. Das Gegengift für das Gegengift. Das kann ich dir versichern. Du musst nur eine Möglichkeit finden, es dir zu verdienen. Du brauchst nur den richtigen Preis zu zahlen.«
Mit trockenem Mund und hängendem Unterkiefer starre ich ihn an, und der vergangene Freitag fällt mir wieder ein, als er genau dasselbe behauptet hat. Durch Damens Erwachen war ich so abgelenkt, dass ich das bis jetzt völlig vergessen hatte.
Ich presse die Lippen zusammen, als mein Blick dem seinen begegnet und sich zum ersten Mal seit Tagen wieder Hoffnung in mir regt. Ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Gegengift mir gehört. Ich muss nur eine Möglichkeit finden, es ihm abzuluchsen.
»Ach, schau mal an.« Er feixt. »Anscheinend hast du unsere Verabredung mit dem Schicksal völlig vergessen.«
Er hebt den Arm, und ich will mich gerade vorbeidrängen, da senkt er ihn ebenso schnell wieder und lacht.
»Tief durchatmen«, gurrt er; seine Lippen streifen mein Ohr, seine Finger gleiten über meine Schulter und hinterlassen eine eiskalte Spur. »Kein Grund zur Panik. Kein Grund, wieder durchzudrehen. Ich bin sicher, wir können uns irgendwie einigen, eine Möglichkeit finden, das zu regeln.«
Mit zusammengekniffenen Augen starre ich ihn an, angewidert von dem von ihm festgesetzten Preis. Meine Worte sind entschlossen, als ich antworte: »Nichts, was du jemals sagen oder tun könntest, könnte mich dazu bringen, mit dir zu schlafen!« Genau in diesem Moment öffnet Mr. Muñoz die Tür, sodass die ganze Klasse es mitbekommt.
»Hey!« Roman lächelt, die Hände in gespieltem Aufgeben erhoben. »Wer hat denn was von Vögeln gesagt?« Er wirft lachend den Kopf zurück, sodass sein unheimliches Ouroboros-Tattoo aufblitzt. »Ich meine, ich will dich ja nicht enttäuschen, Darling, aber wenn ich auf eine gute Nummer aus bin, dann wende ich mich ganz bestimmt nicht an ’ne Jungfrau.«
Mit brennenden Wangen, den Blick starr auf den Boden gerichtet, stürme ich zu meinem Platz und verbringe die nächsten vierzig Minuten damit, mich jedes Mal zu krümmen, wenn meine Klassenkameraden sich gar nicht mehr einkriegen, weil Roman ein widerliches nasses Schmatzgeräusch in meine Richtung macht, trotz Mr. Muñoz’ Bemühungen, sie zur Ruhe zu bringen. Und sobald es klingelt, schieße ich zur Tür; ich muss unbedingt Damen finden, bevor Roman ihn zu fassen bekommt. Ich bin überzeugt, dass Roman den Bogen überspannen und Damen die Beherrschung verlieren wird – etwas, das wir uns beide nicht leisten können, jetzt, da Roman den Trumpf in der Hand hält.
Doch gerade als ich den Knauf drehe, höre ich: »Ever? Hast du einen Moment Zeit?«
Ich halte inne; hinter mir stauen sich die anderen, die dringend auf den Flur hinauswollen, wo sie Romans Beispiel folgen und mich weiterärgern können. Sein spöttisches Gelächter folgt mir, als ich mich zu Mr. Muñoz umdrehe, um zu sehen, was er will.
»Ich hab’s geschafft.« Er lächelt, seine Haltung ist stocksteif, und seine Stimme klingt beklommen, aber trotzdem will er unbedingt, dass ich Bescheid weiß.
Unbehaglich trete ich von einem Fuß auf den anderen, schiebe den Riemen meiner Tasche von einer auf die andere Schulter und wünsche mir insgeheim, ich hätte mir die Zeit genommen, mich in Fernsicht zu üben, damit ich ein Auge auf den Lunchtisch haben und mich vergewissern könnte, dass Damen sich an den Plan hält.
»Ich habe sie angesprochen. Genau wie du es mir geraten hast.«
In meinem Bauch rumort es, als mir dämmert, was er meint.
»Die Frau bei Starbucks? Sabine? Ich habe sie heute Morgen gesehen. Wir haben uns sogar eine Weile unterhalten, und –« Er zuckt die Achseln, und sein Blick gleitet davon, offenkundig ist er noch ganz hingerissen von diesem Ereignis.
Atemlos stehe ich vor ihm und weiß, dass ich dem ein Ende machen muss, ganz gleich, wie, bevor es aus dem Ruder läuft.
»Und du hattest Recht. Sie ist wirklich nett. Also, wahrscheinlich sollte ich dir das gar nicht erzählen, aber wir gehen Freitagabend zusammen essen.«
Ich nicke stumm und bin wie vor den Kopf geschlagen; die Worte fluten über mich hinweg, während ich verstohlen in seine Energie spähe und sehe, wie es sich in seinem Kopf abspielt:
Sabine steht in der Warteschlange und kümmert sich um ihren eigenen Kram, bis Mr. Muñoz auf sie zukommt ... woraufhin sie sich umdreht und ihn mit einem Lächeln bedenkt, das ... geradezu beschämend kokett ist!
Nur dass an dem Ganzen gar nichts Beschämendes dran ist. Jedenfalls nicht, was Sabine angeht. Und was Mr. Muñoz angeht auch nicht. Nein, das Schämen ist ganz und gar mein Ding. Die beiden könnten nicht glücklicher sein.
Das darf