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Anleitung für eine bessere Welt: Grün gewinnt Marie Nasemann ist heute die wichtigste Botschafterin für faire Mode in Deutschland. Über ihren Blog und Social Media schärft das Model das Bewusstsein einer ganzen Generation für grüne Themen. Nachhaltig leben, damit unsere Kinder und Enkel auch noch über diesen Planeten laufen können, das wünschen wir uns doch alle! Aber geht das so einfach? Marie Nasemann erzählt anhand vieler persönlicher Geschichten, wie sie versucht ihren eigenen grünen Kompromiss zu leben. Sie erzählt was gut gelingt, beim Versuch sich möglichst nachhaltig zu kleiden, zu ernähren und von A nach B zu bewegen und wo sie gescheitert ist. Heraus kommt eine unterhaltsame Anleitung für eine bessere Welt.
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Fairknallt
MARIE NASEMANN ist die Nachhaltigkeitsaktivistin einer ganzen Generation in Sachen Mode. Sie ist außerdem Schauspielerin, Model und bloggt auf www.fairknallt.de über nachhaltige Mode, Lifestyle- und Naturkosmetikthemen. Sie nutzt ihre Präsenz in der Öffentlichkeit, um über Nachhaltigkeit, politische und feministische Themen zu sprechen. Auf ihren Social-Media- Accounts möchte sie Menschen Mut machen, vom Wissen ins Handeln zu kommen.
GRÜN GEWINNT – ANLEITUNG FÜR EINE BESSERE WELT Ein ebenso persönliches wie politisches Buch von Unternehmerin, Schauspielerin und Fair-Fashion- Aktivistin Marie Nasemann über die ökologischen Kompromisse, die wir alle eingehen. Wir wollen den Planeten retten, aber auf Käse zu verzichten, erscheint uns unmöglich. Wir möchten CO2 ein sparen, aber trotzdem Urlaub auf Bali machen. Doch wie können wir ein wirklich nachhaltiges Leben führen, das nicht völlig spaßbefreit ist? Ehrlich und unterhaltsam beleuchtet Marie Nasemann verschiedene Bereiche ihres Lebens, schaut ganz genau hin und inspiriert uns alle zu einem bewussteren Alltag. Einem, der jede Menge Spaß macht!
Marie Nasemann
Mein grüner Kompromiss
Ullstein
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1. Auflage Juni 2021© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin, 2021 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Umschlagmotiv: © Muriel Liebmann, www.murielliebmann.com Haare / Make-up: Lisa Scharff , www.lisascharff .com Styling: Lesley Sevriens, www.lesleysevriens.de Foto Informationen zur Autorin: © Muriel Liebmann E-Book Konvertierung powered by pepyrus.com ISBN: 978-3-8437-2506-4
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Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Einleitung
Kapitel 1 Von Geschenkeorgien zuMarie Kondo
Kapitel 2 Eine Reise indie Vergangenheit
Kapitel 3 Der große Bruch
Kapitel 4 Was kostet die Freiheit?
Kapitel 5 Eine oder keine
Kapitel 6 Verwandlung ohne Kompromisse
Kapitel 7 Hinter dem Tellerrand
Kapitel 8 Auf die Plätze, fertig, Ehrlichkeit!
Kapitel 9 Under Pressure
Kapitel 10 Purzelbäume for Future!
KLEINE SCHRITTE – KLEINE WIRKUNG
Schritt 1
Schritt 2
Schritt 3
Schritt 4
Schritt 5
Schritt 6
Schritt 7
Schritt 8
Schritt 9
Schritt 10
Schritt 11
Schritt 12
Schritt 13
Schritt 14
Schluss
Dank
Anhang Weiterführende Lektüre, Filme, Blogs, Podcasts …
Quellen
Bildnachweis
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Einleitung
Für meine Kinder
Neulich hatte ich auf einer öffentlichen Toilette (die ja für gewöhnlich nicht unbedingt dazu einlädt, über Gott und die Welt nachzudenken) eine Erkenntnis. Während ich da mit zehn Zentimetern Sicherheitsabstand und arbeitender Oberschenkelmuskulatur über der Schüssel hockte, dachte ich über das Schild nach, das an der Toilettentür hing. Auf diesem Schild stand: »Bitte hinterlassen Sie das WC so, wie Sie es gern vorfinden wollen.« Diesen Spruch kann man auf alle möglichen Bereiche des Lebens anwenden. Die WG-Küche will man so vorfinden, wie man sie hinterlassen hat, und nicht mit einer Spüle voll mit dreckigem Geschirr und einem leer gegessenen Kühlschrank. Wenn man eine neue Arbeitsstelle antritt, erwartet man, dass der/die Vorgänger*in einem weder eine krümelige Schublade noch komplettes Chaos in den Unterlagen hinterlassen hat. Und wenn jemand stirbt, hat er hoffentlich vorher ein Testament verfasst, damit die Angehörigen wissen, wie diese Person beerdigt werden möchte, und sich die Familie nicht über das Erbe zerstreitet.
Diesen simplen Klospruch können wir auch auf unseren Planeten anwenden. Wir möchten, wenn wir auf diese Welt kommen, ein Zuhause vorfinden, das intakt ist, das uns die Möglichkeit gibt, uns hier auch wirklich zu Hause zu fühlen. Wir möchten, dass unsere Vorfahren uns einen Planeten hinterlassen, der im Gleichgewicht ist. Dass er fruchtbare Böden, artenreiche Wälder und gesunde Meere hat. Seit der Industrialisierung und dem Drang der Menschen, immer mehr zu besitzen, sich schneller fortzubewegen, zu reisen und tierische Produkte zu essen, ging die Rechnung von Jahr zu Jahr weniger auf. Innerhalb der letzten fünfzig Jahre haben wir (im globalen Norden) alles getan, um unser eigenes Vergnügen zu maximieren und die Lebensfähigkeit zukünftiger Generationen aufs Spiel zu setzen.
Aktuell leben circa 7,6 Milliarden Menschen auf der Erde. Tendenz steigend. Jede*r einzelne von ihnen möchte ein gutes, glückliches und erfülltes Leben führen, auch wenn viele nur damit beschäftig sind, zu ÜBERleben. Alle Menschen haben Hunger und Durst, der gesättigt und gestillt werden muss. Alle wollen ein Dach über dem Kopf haben, und die meisten wollen sich auch etwas Schönes anziehen. Viele Menschen wollen Geld verdienen, sich davon Dinge kaufen, die sie glücklich machen sollen, und viele wollen sich in der Welt fortbewegen, da der Mensch ein neugieriges Wesen ist.
Dem Planeten geht es dabei aber schlecht. Er kommt nicht hinterher, all diese Bedürfnisse der 7,6 Milliarden Menschen gleichzeitig zu erfüllen. Eigentlich hätte er die Kapazitäten, aber wir im globalen Norden verbrauchen viel zu viel auf Kosten anderer Menschen, etwa denen aus dem globalen Süden, und eben auf Kosten des Planeten.
Ich glaube, es schaffen nur sehr wenige Menschen, im Einklang mit der Natur zu leben. Also wirklich im Einklang mit ihr. Nicht nur auf die »Wir haben ein Häuschen in der Uckermark und genießen die Natur fernab des Berliner Stadttrubels«-Art, wie es bei uns im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg gerade sehr modern ist. Ich meine damit, dass man genauso viel zurückgibt, wie man bekommen hat. Dabei fällt mir die Geschichte eines YouTubers ein (an dessen Namen ich mich leider nicht mehr erinnere), der damit berühmt wurde, ein Zero-Waste-Leben zu führen. Meine Mutter würde ihn wohl einen »Aussteiger« nennen. Jahrelang war er komplett ohne eigenen Besitz unterwegs. Alles, was er zum Leben brauchte, führte er in einem kleinen Rucksack mit sich. In dem Rucksack befanden sich auch ein Handy und ein Computer, und so hielt er sein Nomadenleben digital fest und teilte es über einen Blog mit der Welt. Nach einigen Jahren wurde er sesshaft und bewohnte eine kleine selbst gebaute Hütte. Auf dem Dach dieser Hütte montierte er Solarpanel für die unabhängige Stromversorgung. Aufgekratzt lief er in seinen Videos barfuß, mit dreckigen Füßen durch seinen kleinen Garten, zeigte dem/ der Zuschauer*in stolz sein angebautes Gemüse und seinen Komposthaufen hinter dem Haus. Eine rostige Regenrinne fing das Wasser für seine Outdoordusche, sein Plumpsklo und seine tägliche Wasserversorgung auf. Er lebte ein komplett unabhängiges Leben. Unabhängig von Supermärkten, Stromanbietern, Müllabfuhren. Wirklich im Einklang mit der Natur. Alles, was er verbrauchte, stellte er selbst her. Kein Plastikmüll, nicht mal ein Stückchen Toilettenpapier, das nicht recycelt werden konnte. Das Einzige, was er nicht aus der Natur gewinnen konnte, war das Internet, und hin und wieder kaufte er sich sicherlich eine neue kakifarbene Cargohose, wenn die alte nicht mehr zu flicken war.
Ich war fasziniert von diesem Lebensstil, aber wollte ich mit ihm tauschen? Könnte ich ein Leben ohne alles führen? Ohne meinen Kleiderschrank, Make-up und die Bilder an meinen Wänden? Ein Leben ohne Fernseher und Netflix, ohne meine alten Tagebücher und Kalender voller Erinnerungen und ohne ein Auto, mit dem ich jederzeit fahren konnte, wohin ich wollte?
Ganz ehrlich: Nein. Aber was ist die Alternative? Besitz anhäufen, wie es meine Großeltern ihr Leben lang getan haben? Zwei große Häuser voll nutzvoller, aber meist unnützer Dinge. Sachen, die am Ende eines Lebens, abgesehen von ein paar Einrichtungsgegenständen, Bildern und Fotoalben, im Müll landen. Soll ich einen Großteil meines Lebens vor dem Computer verbringen, immer viel arbeiten, wie meine Eltern es getan haben, um mir teure Fernreisen, Segelboote und große Autos leisten zu können? Will ich einen Kleiderschrank besitzen, der so prall gefüllt ist, dass man nicht mehr erkennen kann, was sich alles in ihm verbirgt?
Irgendwie nicht. Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass meine Großeltern und auch meine Eltern ein glückliches Leben führen und geführt haben – ist es das Leben, das ich führen möchte? Und wenn ja, auf welche Kosten führe ich es?
Um besser verstehen zu können, wieso ich so lebe, wie ich heute lebe, werfe ich einen Blick in meine Familiengeschichte.
Meine Großeltern haben den Krieg erlebt. Sie wussten, was es heißt, nichts zu besitzen und bei null wieder anzufangen. Wer kann ihnen da verübeln, dass eines der Lebensziele war, viel zu besitzen. Mein Opa Kurt finanzierte sein Jurastudium mit Jazzmusik, wurde später erfolgreicher Jurist und Politiker und liebte es, sich mit Immobilien zu beschäftigen. Neben seinem Beruf und ehrenamtlichen Engagements verbrachte er viel Zeit damit, Wohnungen zu kaufen und zu verkaufen. Opa Kurt und Oma Helga waren Schwab*innen und bedienten einige Schwab*innenklischees. Wann immer ein Raum verlassen wurde, musste dort das Licht ausgeknipst werden. Und so gut wie nie gingen wir mit meinen Großeltern essen, weil es »zu teuer« war. Im hohen Alter fuhr mein Opa auch gegen den ausdrücklichen Wunsch seiner Kinder immer selbst Auto, um das Taxigeld zu sparen. Seine silberfarbene Mercedes-Limousine sammelte mehr und mehr Kratzer, von denen niemand wusste, woher sie kamen. Im Winter wurde bei den beiden nur wenig geheizt, und nach dem alljährlichen mehrtätigen Besuch bei ihnen zu Weihnachten fuhr ich stets fluchend mit einem dicken Schnupfen wieder nach Hause. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Großeltern je mit einem Flugzeug geflogen sind. Urlaube verbrachten sie im Allgäu oder am Gardasee, später am Tegernsee.
Meine Großeltern waren zeit ihres Lebens immer sparsam gewesen und vermachten ihren drei Kindern ein anständiges Erbe, worüber die sich natürlich freuten. Aber ich hätte mir für meinen Opa gewünscht, er hätte weniger Geld gespart und sich dafür sein Leben und das meiner Oma (die immer in der Küche stand) hier und da etwas leichter (und sicherer!) gemacht. Ohne, dass sie es wahrscheinlich reflektierten, waren meine Großeltern mit ihren Licht-aus-Regeln, dem sparsamen Heizen und den Reisen recht nachhaltig unterwegs gewesen und haben mir einen sparsamen Lebensstil nahegebracht. Zumindest zieht mich mein Mann hin und wieder auf, wenn ich zum Beispiel eine Zahnpastatube aufschneide, um den allerletzten Rest dort herauszukratzen. Oder wenn er einen halb verschimmelten Pfirsich wegschmeißen möchte und ich mich theatralisch dazwischen schmeiße, um ihn mit einem lauten »Halt, stopp!« davon abzuhalten. Dann schneide ich die vergammelte Hälfte ab und präsentiere ihm stolz das unversehrte Stück Obst: »Guck, der ist doch noch gut.«
Für meinen anderen Opa, Theo, war das Essen die größte Leidenschaft. Er schmierte sich immer so dick Butter aufs Brot, dass man den Verzicht erahnen konnte, den er im Krieg erlebt hatte. Es gab viel Fleisch im Haushalt der Großeltern väterlicherseits, und meine Oma bereitete die köstlichsten Braten zu. Meine Großeltern besaßen zwei Öfen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob mein Opa die je zu Gesicht bekommen hat. Ich erinnere mich nicht daran, ihn auch nur ein einziges Mal in der Küche gesehen zu haben. An Ostern kochte meine Oma gerne mal zwei ganze Gänse für die Großfamilie. Wenn ich in Anwesenheit meines Opas nicht aufaß, ließ er nicht locker, bis ich den Teller doch noch irgendwie leer kratzte. Im Hause meiner Großeltern hatte ich meine ersten Food-Komas, da meine Oma gerne so reichhaltige Soßen zubereitete, dass man nach dem Essen nichts anderes tun konnte, als zu schlafen.
Ausgerechnet mein Opa Theo wurde der Älteste von all meinen Großeltern. Und das, obwohl er Diabetiker war, bestimmt Bluthochdruck und schreckliche Cholesterinwerte hatte und in seinem vergilbten Arbeitszimmer nach jedem Mittagessen eine dicke kubanische Zigarre rauchte. Aber er zog auch jeden Morgen seine Bahnen im hauseigenen Schwimmbad. Ein eigenes Schwimmbad – Umweltsünde und Must-have Nummer eins einer jeden 70er-Jahre-Villa. Und in seinem Fall die sportliche Kompensation seines großen Hobbys, dem Essen.
Für meine Großeltern gehörte neben dem Familienglück der Immobilienbesitz auf der einen und der kulinarische Genuss auf der anderen Seite zum Lebensglück dazu. Beide Paare wohnten in großen Häusern mit sehr vielen Zimmern, die wiederum sehr viele Gegenstände beinhalteten, die nur selten zum Einsatz kamen. Zum Beispiel gab es dort mindestens drei oder vier unterschiedliche Geschirrservice, dekorative Handpuppen, Zinnsoldaten und eine Vielzahl an Zinn- und Bierkrügen, aus denen niemals jemand trank. Wer wo und unter welchen Bedingungen diese ganzen Dinge herstellte oder welche Lebensumstände die Tiere gehabt hatten, die man aß, spielte keine Rolle. Man war einfach dankbar für sein eigenes gutes Leben, genauso wie man dankbar war, dass der Krieg vorbei war.
Für diese Generation und diese privilegierte Gesellschaftsschicht, zu Zeiten des Wirtschaftswunders, ging nichts über ein großzügiges Zuhause. Am besten mit großem Garten mit Pool oder Teich. In der Garage standen die Limousine und ein flotter kleiner Zweitwagen für Wochenendausflüge. Der Preis, den man dafür zahlen musste, waren abwesende Familienväter und Mütter, die an den Herd gefesselt waren.
Viele dieser Werte gibt es in vielen Köpfen heute noch fast genauso, auch wenn Frauen inzwischen ganz andere Möglichkeiten haben. Es gibt ganz unterschiedliche Lebensmodelle, doch das gängigste scheint mir immer noch zu sein: Heiraten, Kinder kriegen, Haus bauen. Ich erwische mich selbst immer wieder dabei, wie ich meinen Großeltern nacheifern möchte und am liebsten ein großes Zuhause für die ganze Familie schaffen möchte. Dabei rutsche ich in die Rolle meines Großvaters, jongliere mit den Finanzen und suche nach Immobilien. Aber irgendwann frage ich mich dann doch, ob das wirklich mein Lebensmodell ist. Wie viel Besitz macht mich glücklich? Geht es auch ohne Überfluss?
Meine Eltern, die jeweils ältesten von drei Kindern, taten das, was als Erstgeborene von ihnen erwartet wurde. Beide studierten nicht, was sie eigentlich studieren wollten, so landete meine Mutter bei Jura (statt bei ihrem Wunschfach Archäologie), mein Vater bei Medizin (statt Schiffsbau). Sie konnten sich zeit ihres Lebens nicht gänzlich von ihren Übervätern, die gerne und häufig Machtworte sprachen, emanzipieren. Erst im Alter, als die beiden Väter gebrechlich und weich wurden, war das Verhältnis wirklich gut zwischen ihnen.
Mein Vater ist ein klassischer Workaholic, der, seit ich denken kann, eigentlich immer weniger arbeiten möchte – was ihm mal besser, mal weniger gut gelingt. Er kam unter der Woche zwischen sieben und acht nach Hause und war meist sehr erschöpft. Er beklagte sich oft über das komplizierte bürokratische Gesundheitssystem und musste manchmal an Wochenenden in die Praxis, wenn es einen Notfall gab. Wenn er Zeit hatte, bespaßte er uns Kinder, dachte sich für Kindergeburtstage Schnitzeljagden aus und lernte mit uns Mathe.
Meine Mutter hat neben der Care-Arbeit für drei Kinder auch immer viel gearbeitet. Wann immer Zeit war, zog sie sich in ihr Arbeitszimmer zurück, schrieb juristische Sachbücher und Artikel für die Süddeutsche Zeitung. Sie predigte mir von klein auf, mich niemals abhängig von einem Mann zu machen und finanziell unabhängig zu sein. Diesen Rat befolge ich bis heute. Meine Mutter kochte jeden Tag frisch, war super organisiert, und ihr Terminkalender war sicherlich der wichtigste Gegenstand im Haus, ohne den ein Riesenchaos ausgebrochen wäre. Sie fuhr uns ständig durch die Gegend, war immer auf die Minute pünktlich und ermöglichte uns drei Kindern unzählige Freizeitaktivitäten.
Ich hatte eine sehr idyllische und schöne Kindheit im Vorort von München. Feld und Wald boten viele Möglichkeiten, mich mit meinem zwei Jahre älteren Bruder Philipp und meinem ein Jahr jüngeren Bruder Moritz auszutoben. Das Freibad war um die Ecke und der Sportverein nicht weit. Unser Reihenhaus, in dem meine Mutter noch heute wohnt, hat einen schönen Garten, und jedes Kind hatte sein eigenes Zimmer. Meine Mutter hatte immer eine Hilfe für den Haushalt, und diverse Au-pair-Mädchen mussten sich über die Jahre mit uns Kindern herumschlagen. Wir waren im Laufe meiner Jugend Haustierbesitzer diverser Katzen, Meerschweinchen, Zwergkaninchen, Mäuse und eines Hamsters. Ich würde so weit gehen und sagen, ich hatte eine Kindheit wie aus dem Bilderbuch.
Als ich 18 Jahre alt war, trennten sich meine Eltern Hals über Kopf, und für mich brach eine Welt zusammen. Die Vorstadtidylle wurde plötzlich zur dramatischen Seifenoper, und es dauerte viele Jahre, meinen Frieden mit der neuen Situation zu machen. Heute habe ich neben meinen beiden Brüdern eine zuckersüße sechsjährige Halbschwester.
Das ist die Welt, in die ich hineingeboren wurde, und das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Ich habe verdammtes Glück gehabt, und das ist mir auch bewusst! Meine Lebenssituation ist – im Gegensatz zu der von fast allen anderen Menschen auf der Welt – absolut bevorteilt. Privilegiert würde man in den sozialen Netzwerken sagen, wobei ich neulich gelesen habe, dass privilegiert nur Menschen sind, die per Gesetz bevorteilt sind, was zum Glück in Deutschland nicht mehr der Fall ist. Aber es ist leider immer noch ein ungeschriebenes Gesetz, dass man in diesem Land mehr Chancen auf ein zumindest beruflich erfolgreiches Leben hat, wenn man hier geboren ist, deutsche Eltern hat, weiß ist und keine körperlichen und seelischen Einschränkungen hat. Kinder von Akademiker*innen werden oft auch zu Akademiker*innen, und es ist immer noch schwieriger für Menschen aus einem wirtschaftlich schwächeren Umfeld aufzusteigen. Wenn du dieses Buch liest, dann habe also immer im Hinterkopf, dass das alles aus meiner persönlichen, sehr bevorzugten Perspektive geschrieben ist, weil das die einzige Perspektive ist, die ich wirklich gut kenne und in meinem Leben am eigenen Leib erfahren habe. Ich kann aber empfehlen, hin und wieder die Perspektive zu wechseln, indem man sich mit anderen Lebenssituationen auseinandersetzt. Dafür habe ich eine kleine Liste zum Perspektivwechsel in der Mitte des Buches erstellt. Je mehr man sich mit anderen Lebensrealitäten beschäftigt, desto objektiver kann man die eigene reflektieren.
Apropos Akademiker*innen: Mein Berufsweg verlief anders als von meinen Eltern und mir geplant. Ohne Studium und mit etwas, das meine Eltern »brotlose Kunst« nennen würden. Die Arbeitsweise und Sozialisation meiner Eltern hatte aber natürlich dennoch Einfluss auf mich, und Tage, an denen ich produktiv bin und arbeite, sind meist glücklicher als Tage, an denen ich faulenze.
Mein Berufsweg verlief durch die Teilnahme an Germany’s Next Topmodel 2009 sehr früh und sehr plötzlich erfolgreich. Damals war ich 19 Jahre alt und viel früher als gedacht finanziell unabhängig. Mit 23 kaufte ich ein Auto und eine Eigentumswohnung, flog wild durch die Weltgeschichte, und shoppen war mein liebstes Hobby. Doch irgendwann meldete sich mein Gewissen. War das hier alles? Lebte ich mein Leben »richtig«? Ich wollte etwas tun, das einen Sinn ergab, und ein Leben führen, das eben nicht nur aus Konsum bestand.
Es gibt diverse Studien, die belegen, dass Besitz und Wohlstand nur bis zu einem gewissen Grad glücklicher machen. Genau genommen sind das 60.000 Euro Jahresnettoeinkommen. Danach flacht die Kurve ab und kann auch wieder sinken, weil der ganze Besitz irgendwann auch zur Last wird. Doch trotz solcher Studien streben wir immer nach mehr und werden irgendwann richtig gierig. Kein Wunder, dass es oftmals Mehrfachmillionär*innen sind, die ihr vieles Geld in Steueroasen parken und wegen Steuerhinterziehung angeklagt werden. Wieso ist es so schwer, sich gegen die Lust nach mehr zu sträuben?
Wir sind durch den Kapitalismus in einer Wachstumsspirale gefangen, und das System funktioniert nur, wenn wir alle immer mehr konsumieren. Mit kreativer und teurer Werbung wird ein gigantischer Aufwand betrieben, um uns zu vermitteln, was wir alles Neues brauchen. Dinge, von denen wir nicht wussten, dass wir sie brauchen könnten. Unsere Grundbedürfnisse sind ja bereits gestillt, also muss man neue erfinden und uns das Gefühl geben, dass wir ohne sie wertlos oder zumindest nicht schön und erfolgreich genug sind.
Heute befinden wir uns in einer ganz anderen Situation als noch meine Großeltern. Die steckten nach dem Krieg in einer Aufbauphase, in der mehr Besitz ganz klar mehr Glück und mehr Sicherheit bedeutete. Aber was gilt eigentlich für uns? Ich denke, meine Generation könnte die erste sein, die nicht nur versteht, dass Wohlstand und Glück nicht parallel steigen, sondern die auch zum ersten Mal etwas dagegen unternimmt. Immer weniger Menschen haben Lust, von morgens bis abends in ein Büro zu gehen und auf einen Bildschirm zu gucken. Das Verlangen nach mehr leben und weniger arbeiten ist mit dem omnipräsenten Homeoffice während der Corona-Pandemie aktueller denn je. Wir wollen mehr Zeit haben. Für unsere Familien, unsere Freunde und unsere Hobbys.
Ökologie spielte in meiner Familie keine große Rolle. Es gab zwar nur naturtrüben Apfelsaft zu trinken, und ich trug als Kind die Pullover meines älteren Bruders auf, aber Menschen, die sich für die Umwelt engagierten, waren in den Augen meiner Eltern etwas verschrobene Birkenstock-Träger, die man nicht ernst nehmen konnte. Die Grünen galten lange als unwählbar, und als ich meinen Blog www.fairknallt.de über faire Mode gründete, fand meine Mutter das erst mal gruselig und fragte mich, ob ich vorhätte, mich jetzt nur noch in braune Kratzpullover zu kleiden.
Es dauerte also ein bisschen, bis meine Eltern verstanden, was ich wollte, und von meinen Ideen genauso begeistert waren wie ich. Je häufiger jedoch etwas über den Klimawandel oder die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in der Zeitung stand, desto achtsamer wurden sie. Die Lungen meines Vaters litten mehr und mehr unter der Feinstaubbelastung der Münchner Innenstadt. Er wollte nicht mehr Teil dieser Verpestung sein und legte sich ein Elektroauto zu. Meine Mutter gewöhnte sich an, Fleisch nur noch beim Bio-Metzger zu kaufen. Und auch meine Brüder, die 2010 noch lachen mussten, als ich verkündete, dass ich fortan auf Fleisch verzichten würde, mixen sich inzwischen begeistert grüne Smoothies und lesen Bücher über vegane Ernährung.
Die Klimakrise ist der Generation meiner Eltern heute genauso bewusst wie der Generation meiner Brüder und mir. Man könnte meinen, die Jungen wären unter anderem durch Fridays for Future viel empfänglicher für das Thema Klimaschutz. Aber obwohl uns die Krise viel stärker betrifft, zeigte kürzlich eine Studie, dass Ältere viel eher zum Verzicht für den Klimaschutz bereit sind als junge Menschen. Das ist fahrlässig, vor allem, wenn man sich die düsteren Prognosen der Wissenschaftler*innen für die Jahre ab 2050 ansieht. Wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens weiterhin so schlecht eingehalten werden wie aktuell, wird der Meeresspiegel bis dahin um einen halben Meter angestiegen sein. Einige Inseln werden unbewohnbar sein. Zehn Prozent von Bangladesch werden demnach beispielsweise im Wasser verschwinden, was 15 Millionen Menschen in die Flucht treiben würde. Das Wetter wird immer extremer und mit ihm die Naturkatastrophen. 55 Prozent der globalen Bevölkerung wären 20 Tage im Jahr tödlicher Hitze ausgesetzt. Wüsten würden sich ausbreiten. Über eine Milliarde Menschen müssten ihre Heimat verlassen. Nahrungsmittel und Wasser werden knapper, Lebensmittelpreise explodieren. Es ist die Rede von einem »Point of no Return«, dem Punkt für eine irreversible Katastrophe, wenn die Effekte der Klimaveränderung sich selbst verstärken und nicht mehr umkehren oder beeinflussen lassen. Die Folgen wären kaum absehbar, aber man kann davon ausgehen, dass sie zu großen Fluchtbewegungen, Kampf und Kriegen um Ressourcen führen würden, sodass ein Zusammenbruch von Staaten und der internationalen Ordnung, wie wir sie heute kennen, wahrscheinlich wird.
Seit April 2020 bin ich Mutter eines wunderbaren kleinen Sohnes, den ich über alles liebe und beschützen will. Während ich dieses Buch fertigstelle, wächst unser zweites Kind in meinem Bauch heran. Die Klimakrise beschäftigt mich schon lange, aber seit dieses kleine Wesen auf der Welt ist, geht mir das Thema noch viel näher. Es geht für mich jetzt ganz konkret um die Zukunft meiner Kinder. Puh.
Aber wer trägt denn eigentlich die Schuld an der Klimakrise? Sind oder waren unsere Großeltern die bösen Planetenzerstörer*innen, mit ihren Ölheizungen, Benzinautos und ihrem übermäßigen Fleischkonsum? Viele von ihnen sind allerdings nie weit gereist und haben ihre Socken noch mit Nadel und Faden geflickt, bis sie auseinanderfielen. Die Generation unserer Eltern hätte definitiv bewusster leben und bereits einen Wandel einleiten können, denn das Wissen um die Endlichkeit unserer Ressourcen gibt es nicht erst seit gestern. Gesamtgesellschaftlich wurden diese Themen aber ignoriert und den Umweltbewegungen, die es in den Achtzigerjahren ja durchaus gab, nicht allzu viel Bedeutung geschenkt.
Menschen sind Gewohnheitstiere. Und je älter man ist, desto schwieriger wird es, solche Gewohnheiten umzustellen. Ohne politischen Druck ist der Wandel nicht zu bewältigen. Aber auch meine Generation ist nicht unschuldig an der Misere. Viele von uns essen vielleicht flexitarisch und beziehen den Strom von Greenpeace, aber die meisten von uns haben auch schon unzählige Fernreisen gemacht und sind nicht bereit, mehr als zehn Euro für ein T-Shirt auszugeben.
So unmöglich es ist, eine*n Schuldige*n zu finden, so sicher ist auch, dass wir enorm von dem beeinflusst werden, was uns vorgelebt wird. Die Welt lässt sich also verändern, indem wir uns selbst ändern, indem wir unsere Kinder im Bewusstsein für die begrenzten Ressourcen des Planeten erziehen und unsere Mitmenschen für einen nachhaltigen Lebensstil begeistern.
Wenn wir uns dazu entschließen, unseren ökologischen Fußabdruck zu senken, hilft es, sich darüber im Klaren zu sein, dass wir dabei nur begrenzte Möglichkeiten haben. Dass wir immer nur so nachhaltig leben können, wie es unser Umfeld, das System, in dem wir leben, unsere Geschichte, unser Arbeitsplatz, unser Geldbeutel und so weiter hergeben.
Es sei denn, wir entscheiden uns doch dazu, Aussteiger*in zu werden und alles, absolut alles hinter uns zu lassen. Ich habe mich gegen das Aussteigen und für den einfacheren Weg entschieden, der gleichwohl auch nicht immer einfach ist. Denn es ist ein ewiges Abwägen, ein Vor und Zurück. Ein Austeilen und Einstecken. Ein Mich-selbst-Betrügen und ehrlich Fehler eingestehen. Es sind die klassischen Engelchen und Teufelchen auf meinen Schultern, die mir mal gut und mal schlecht zureden. Es ist ein ewiger Kompromiss mit mir selbst und mit meinen Möglichkeiten. Und hoffentlich ist es irgendwann ein Leben, in dem ich rückblickend nichts bereuen muss, sondern über das ich sagen kann: Ich habe alles getan, was ich eben konnte, ohne dabei auf mein persönliches Glück verzichten zu müssen. Für mich und für kommende Generationen.
Ich wünsche mir, am Ende meines Lebens sagen zu können: Ich habe ein erfülltes, sinnvolles Leben geführt, mit Besitz, der mich nicht belastet, sondern der mir Freude und Sicherheit gegeben hat. Mit einem Wohlfühlort, den ich für meine Familie geschaffen habe. Ich möchte ein bisschen was von der Welt gesehen und das Leben genossen haben. Aber alles in einem planetenverträglichen Maß. Ich möchte diesen Ort nicht bloß so verlassen, wie ich ihn vorgefunden habe, sondern ihn ein wenig besser hinterlassen. So lautet jedenfalls mein Plan. Ob er gelingt?
Meine frühesten Kindheitserinnerungen haben mit Geschenken zu tun. Weihnachten war für uns drei Kinder der spektakulärste Tag im Jahr. An Heiligabend spazierten wir immer nachmittags, wenn es langsam dunkel wurde, in die Kirche. Der evangelische Gottesdienst war für uns Kinder jedes Mal sterbenslangweilig. Auf dem Heimweg sauten wir uns mit den kleinen brennenden Kerzen, die man am Ausgang bekam, unsere Dufflecoats ein. Meine Mutter musste die Wachsflecken dann später immer umständlich mit Löschpapier aus den Mänteln bügeln. Sobald wir nach der Kirche wieder zu Hause waren, mussten wir Kinder in der kleinen Küche verschwinden und warten, bis das Christkind seine Arbeit getan hatte. Meine Eltern zündeten in der Zeit die Kerzen des Weihnachtsbaums an. Die Geschenke wurden bereits am Vormittag drapiert, weshalb das Wohnzimmer am 24. tagsüber für uns tabu war.