Fake News: Macht der Lügen - Hanno Beck - E-Book

Fake News: Macht der Lügen E-Book

Hanno Beck

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Beschreibung

Fledermausmenschen und Einhörner auf dem Mond? Glatt gelogen. Eine Präsidentschaftskandidatin, die in einer Pizzeria einen Kinderpornoring betreibt? Unfug. Eine vorgetäuschte Mondlandung, gefälschte Wahlen? Kann nicht sein. Oder doch? In einer Welt, in der das Angebot an echten, falschen und verfälschten Informationen ständig zunimmt, lösen sich die Grenzen zwischen Lüge, Manipulation, Propaganda, Meinung und Wahrheit bisweilen auf. Staaten beschäftigen Trollfabriken zur Streuung von Propaganda und Lügen, soziale Netzwerke verbreiten Unwahrheiten und Halbwahrheiten mit Lichtgeschwindigkeit. Selbst Experten und Medien verlaufen sich schon einmal im Dschungel der Informationen und machen im Kampf um die Deutungshoheit nicht immer eine gute Figur. Hanno Beck und Aloys Prinz erläutern, welche Arten von Fake News es gibt, wie sie entstehen, welche Folgen sie haben, wie sie wirken, welche Rolle Staaten, Medien, Forschung und wir selbst dabei spielen und wie man sich gegen gezielte Desinformation wehren kann.

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Seitenzahl: 199

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Die Autoren

Aloys Prinz, Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes und an der Universität zu Köln; wissenschaftlicher Mitarbeiter bzw. anschließend wissenschaftlicher Assistent am Institut für Finanzen, Steuern und Sozialpolitik der Freien Universität Berlin; dort auch Promotion und Habilitation; Professor für Volkswirtschaftslehre an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (1993–2000); ab 2000 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; seit 2023 emeritiert. Veröffentlichungen in nationalen und internationalen Fachzeitschriften zu Themen der Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Gewinner des Deutschen Finanzbuchpreises 2015.

Hanno Beck, Studium der Volkswirtschaftslehre an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; danach dort wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promotion zum Dr. rer. pol.; anschließend Mitglied der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; seit 2006 Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik an der Hochschule Pforzheim. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitungen, Magazinen und Fachzeitschriften; Bücher u. a.: Glück. Alles was im Leben zählt (Eichborn), Medienökonomie (Springer Verlag), im F.A.Z. Verlag: Der Alltagsökonom, Der Liebesökonom und Die Logik des Irrtums; bei Hanser: Zahlungsbefehl, Abgebrannt, Geld denkt nicht und Die große Geldschmelze. Gewinner des Deutschen Finanzbuchpreises 2013 und 2015.

Hanno Beck/Aloys Prinz

Fake News: Macht der Lügen

Verlag W. Kohlhammer

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Umschlagabbildung: © RealPeopleStudio – stock.adobe.com

1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-043764-7

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-043765-4

epub: ISBN 978-3-17-043766-1

Inhalt

Cover

1 Was sind Fake News?

Pizza für den Mann im Mond

Ziele von Fake News

Werbung und PR

Horror-Clowns: Post-truth, alternative Fakten und andere Umdeutungen der Realität

Der Junge aus Syrien: Narrativer Journalismus

Ein Gespenst geht um: Meinung gegen Fakten

Willkommen in der Postmoderne: Satire

Geheimnisse, die keine sind: Verschwörungstheorien

Deep Fakes: Plötzlich Porno-Star

2 Wie kommen Fake News zustande?

Das Angebot an Fake News

Warum suchen wir Informationen?

Suchkosten

Wunschdenken und Gruppenbildung

Emotionalisierung

Moralisierung

Meinungen

Meinungsbildung und Medien

3 Wer sind die Akteure von Fake News?

Die Politik

Wissenschaft

Journalismus

Influencer

Software, Algorithmen und KI

3.1 Trolle

4 Warum und wie funktionieren Fake News?

Informationsmöglichkeiten: Eine Bestandsaufnahme

Soziale Medien als Netzwerke

Filterblasen

Echokammern

Wie unsere Schwächen Fake News stärken

»Psychologie der Massen« oder Wutbürger an der Wahlurne

5 Was hilft gegen Fake News?

Faktenchecker

Gerichte und Gesetze

Medienerziehung

6 Zum Abschluss: Informationelle Selbstverteidigung

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Register

1Was sind Fake News?

Propaganda, Fälschungen, Deep Fakes, alternative Fakten, Shit Storms und Verschwörungstheorien – irgendwie hat das alles etwas mit Fake News zu tun. Aber was genau ist das eigentlich, Fake News? Einerseits müssen wir uns fragen, wann etwas als Schwindel, als Fälschung (fake) gilt. Außerdem ist nicht alles eine Nachricht (news), was gefälscht werden kann. Um diese beiden Dimensionen des Phänomens Fake News auszuleuchten, wollen wir in diesem Kapitel ergründen, was Fake News sind und was sie nicht sind. Dazu wollen wir uns die schlimmsten Auswüchse des Informationszeitalters anschauen, beispielsweise die kinderbluttrinkenden Politiker der Qanon-Anhänger. Und wir zeigen Ihnen, wie schnell man ohne eigenes Zutun zum Porno-Star wird. Beginnen wir mit dem Versuch einer Definition: Was sind Fake News?

Pizza für den Mann im Mond

1835 ist das Jahr, in dem wir erstmals mit außerirdischem Leben in Berührung kommen. Der erste Bericht erscheint in der New York Sun: Die Zeitung berichtet von engelsgleichen Fledermausmenschen, die Sir John Herschel, ein damals bekannter und renommierter Astronom, mithilfe eines neuartigen Teleskops auf dem Mond entdeckt habe. In sechs Teilen beschreibt die Zeitung genüsslich das Leben auf dem Mond, Einhörner inklusive. Andere Zeitungen folgen, die New York Sun verkündigt stolz Auflagenrekorde. Selbst nachdem bekannt wurde, dass es ein Schwindel war, geisterte die Geschichte noch lange durch Magazine und Zeitungen – wer weiß, vielleicht ist ja doch ein Funken Wahrheit dran?[1]

Dieser »große Mond-Schwindel« – im Englischen spricht man von einem hoax, was Falschmeldung, Gerücht, aber auch Scherz bedeutet – wird oft als die Geburtsstunde der Fake News gehandelt. Zu Unrecht. Ein alternativer Preisträger für die Erfindung der Fake News wäre vielleicht Pharao Ramses II., der nach seinem vergeblichen Versuch, 1274 vor Christus im Krieg gegen das Hethiterreich die Stadt Kadesch einzunehmen, zu Hause in Ägypten einen großen Sieg seiner Truppen verkünden ließ.[2] Überhaupt scheinen besonders Herrscher keine Probleme gehabt zu haben, die Realität – sagen wir – ein wenig zurecht zu biegen: Ein treffendes Beispiel bietet erneut das alte Ägypten, wo sich Herrscher als heldenhafte Krieger in der Schlacht darstellen ließen, auch wenn sie nie auf einem Streitwagen gestanden hatten. Beschönigen, Verschweigen oder Verfälschen gehörte seit jeher zum Handwerkszeug der Politik.[3]

Aber war der Mond-Hoax nicht nur ein Scherz? Ist es falsch, wenn sich ein ägyptischer König auf einem Streitwagen darstellen lässt, obwohl er nie auf einem Streitwagen in die Schlacht gezogen ist? Sind das schon Fake News? Wenn in den sozialen Medien verbreitet wird, dass die amerikanische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in einer Pizzeria einen Kinderpornoring betreibe, ist das Fake News? Immerhin stürmte daraufhin ein 28-Jähriger mit einer Waffe die fragliche Pizzeria, um die Sache selbst zu untersuchen.[4] Er fand nur Pizzas, und die hätte er noch nicht einmal an den Mann im Mond und seine Einhörner schicken können, denn Mondlandungen sind nicht möglich, wie jeder gut ausgebildete Verschwörungstheoretiker weiß. Die Mondlandung(en) wurden schließlich nur fingiert. Einer der Fälle, in denen die Wahrheit zur Fälschung deklariert wird – sozusagen inverse Fake News.

Falschmeldungen, Scherze, Propaganda, Verschwörungstheorien, Übertreibungen oder geschönte Berichte – das alles sind Informationen, die nicht korrekt sind, aber sind es damit schon Fake News? Was macht Fake News aus? Kämpft man sich durch die Literatur zu diesem Thema,[5] so kommt man zu dem Schluss, dass sich Fake News durch mehrere Aspekte auszeichnen. Bei Fake News handelt es sich allgemein um Meldungen zu Tatsachen oder tatsächlichen Ereignissen, die

falsch oder irreführend sind und

das Ziel verfolgen, politischen Einfluss zu nehmen oder Profit zu machen.

Schauen wir uns das erste Element einmal näher an, auf die Ziele gehen wir im nächsten Abschnitt ein.

Der erste Teil dieses Kriteriums – falsch – scheint einfach zu bestimmen: Oft kann man ja prüfen, ob eine Information richtig oder falsch ist. Meldet beispielsweise eine spanische Nachrichtenagentur, dass der Fußballer Christiano Ronaldo in Chile ein Krankenhaus bauen will, so kann man diese Nachricht überprüfen, indem man ihn oder sein Management fragt, ob er das vorhat. Die Agentur des Spielers bestätigt, dass diese Information falsch ist, Fall geklärt. Unglücklicherweise finden sich im Internet immer noch viele Berichte, die diese Geschichte verbreiten – offenbar haben sie das Dementi der Agentur nicht mitbekommen.[6]

Tipp: Eine einfache Waffe im Kampf gegen Fake News ist das Prinzip des zweiten Blicks: Jede Information sollte aus mindestens zwei unabhängigen Quellen bestätigt werden, bevor man sie in die Welt setzt oder weiterverbreitet. Wichtig dabei ist das Wort »unabhängig«: Man sollte nicht nur auf diejenigen Quellen zugreifen, auf die sich bereits die Quelle beruft, aus der man die Information hat. Stattdessen nimmt man eine kurze Suche mithilfe einer Suchmaschine vor und gibt rasch ein paar Stichwörter ein. Oft genügt das schon, um zumindest die schlimmsten Falschmeldungen zu erkennen.

Ab hier wird der Weg steinig: Erstens lässt sich nur schwer bis gar nicht überprüfen, ob eine fehlerhafte Information wissentlich oder versehentlich oder aus Nachlässigkeit in Umlauf gesetzt wurde. Man mag zwar in vielen Fällen die böse Absicht ahnen, aber nachweisen lässt sie sich nur schwer. Zweitens wird es schwierig bei Informationen, die man nicht zweifelsfrei auf ihre Richtigkeit überprüfen kann. Zum Beispiel Gerüchte und Spekulationen: Hier wird über mögliche Fakten, Zusammenhänge oder Entwicklungen berichtet respektive spekuliert. Es werden Dinge als Tatsachen behauptet, die nicht wahr oder nicht überprüfbar sind. Wenn also Gerüchte auftauchen, dass Christiano Ronaldo seinen Verein Manchester United verlassen wird, so ist das eben nur ein Gerücht, auch wenn es unter dem Anschein einer wahren Aussage daherkommt. Gerüchte lassen sich auch nicht aus der Welt schaffen, indem der Betroffene sie dementiert,[7] denn er könnte ja lügen, es könnte ja etwas Wahres dran sein. Gerüchte sind letzten Endes nur Vermutungen, die sich erst im Nachhinein bestätigen oder nicht – bisweilen kann man sie noch nicht einmal im Nachhinein verifizieren. Die Gründe für einen tatsächlichen Vereinswechsel von Ronaldo können sich deutlich von denen unterscheiden, auf denen das Gerücht basierte. Vielleicht wollte er gar nicht wechseln, musste aber. Oder falls sich das Gerücht im Nachhinein nicht bestätigt und Ronaldo bei seinem Verein bleibt, kann es dennoch sein, dass er wechseln wollte, aber nicht wechseln konnte oder durfte.

Tipp: Meldungen, die mit dem Wort »soll« arbeiten oder »informierte Kreise« zitieren, sollte man immer mit Vorsicht und gesundem Misstrauen begegnen. Solange sie keine Tatsachen enthalten, die sich eindeutig beweisen oder verwerfen lassen, sind es nur Spekulationen.

Gerüchte und Spekulationen an sich haben keinen eigenständigen Wahrheitsgehalt. Solange sie als solche gekennzeichnet sind, haben sie durchaus ihre Berechtigung. Kommen sie aber als Wahrheitsbehauptungen daher und sind kaum noch als Spekulationen zu erkennen, haben sie die Grenze zu Fake News überschritten. Sie haben dann manipulativen Charakter. Das gilt auch für tendenziöse Berichte, also Berichte, die in ihrer Darstellung verzerrt sind. Im Englischen spricht man davon, dass Berichte einen spin haben. Man frisiert die Informationen in eine gewünschte Richtung, indem man bestimmte Fakten oder Details betont und andere weglässt. Auch hier bewegt man sich hart am Rand von Fake News.

Fälscht man Fakten oder Daten, dann sind das eindeutig Fake News. Doch wenn man bestimmte Informationen etwas deutlicher ausschmückt und betont, andere Argumente unter den Tisch der guten oder schlechten Absichten fallen lässt – ist das dann falsch? Irreführend? Schwer zu sagen, denn kein Bericht kann alle Fakten umfassend berücksichtigen, und die Gewichtung von Informationen ist nie objektiv. Und wenn es nicht willentlich und wissentlich geschieht – der Verfasser hatte vielleicht nicht alle Informationen oder Fakten zur Hand, wollte aber eigentlich alles objektiv darstellen – ist der Bericht dann als Fake News zu bezeichnen? Beschränkt man sich darauf, nur solche Berichte und Darstellungen als Fake News zu bezeichnen, die wissentlich und willentlich Falschinformationen verbreiten oder aber so geschickt aufbereitet sind, dass kaum zu erkennen ist, dass es sich um Gerüchte oder Spekulationen handelt, dann erwischt man den harten Kern der Fake News, also Fake News im engeren Sinn.

Etwas anderes gilt für unwissentlich falsche oder unvollständige Berichte und Darstellungen. Unseres Erachtens kann man sie allenfalls als Fake News im weiteren Sinn bezeichnen, die allerdings nahezu unvermeidlich sind. Erweisen sich solche Berichte und Darstellungen aber im Nachhinein als fehlerhaft oder falsch und werden dann nicht korrigiert, verwandeln sie sich in Fake News im engeren Sinn.

In diesem Buch bezeichnen wir Berichte, Darstellungen, Meldungen usw. als Fake News, wenn sie zu den Fake News im engeren Sinn gehören. Solche Nachrichten sind also bewusst und willentlich falsch bzw. so geschickt formuliert, dass man ihre spekulative Natur kaum erkennen kann. Sie zeichnen sich durch ihren manipulativen Charakter aus, der bestimmte Ziele verfolgt. Das bringt uns zum nächsten Punkt: Welche Ziele werden mit Fake News verfolgt und wer verfolgt sie? Lassen Sie uns zur Beantwortung dieser Frage den Bus nehmen.

Ziele von Fake News

Rot ist er, der Bus. Knallrot. Innen: schwarze Ledersitze, ein Tisch mit Vertiefungen für Getränke. Außen auf dem Bus, riesig, in weißen Buchstaben: »Wir senden jede Woche 350 Millionen Pfund an die EU. Lasst uns lieber das nationale Gesundheitssystem damit finanzieren. Stimmt für den Austritt«. Quer durch das Land fährt der Bus, an Bord der einstige Bürgermeister Londons und prominenteste Befürworter eines EU-Austritts Großbritanniens, des Brexit: Boris Johnson.[8] Umfragen zufolge glaubte fast die Hälfte der britischen Bürger an die 350 Millionen Pfund – obwohl diese Zahl kräftig »korrigiert« wurde. Ökonomen rechneten nach und kamen nur auf 140 Millionen britische Pfund.[9] Rund 45 Prozent der Briten glaubten zudem auch, dass die Türkei bald Mitglied der EU würde und dann 75 Millionen Türken auf die Insel ziehen dürften.[10]

Der Austritt Großbritanniens aus der EU, der nur mit einer hauchdünnen Mehrheit zustande kam, war eines der prominentesten Schlachtfelder für Demagogen, Ideologen und Informationsfälscher. Doch nicht nur der Brexit war ein Tummelplatz für Halbwahrheiten, Lügen, Fälschungen: Die US-Präsidentschaftswahl 2016 gilt als ein weiterer solcher Kriegsschauplatz im Kampf um die Deutungshoheit in der Politik. Im Wahlkampf des rechten brasilianischen Politikers Jair Bolsonaro im Jahr 2018 war eine Babyflasche in Form eines Penis zu sehen, die der Gegner Bolsonaros angeblich bei einem Wahlsieg in Kindergärten verteilen wollte.[11] Durch das Indien des Jahres 2019 ging während der Wahlen ein Video, in dem angeblich Anhänger der Regierungschefin von Westbengalen, einer der wichtigsten Oppositionspolitikerinnen des Landes, Mitglieder der Regierungspartei BJP totschlagen.[12]

Tipp: Politik wird bereits im Volksmund als ein »schmutziges Geschäft« bezeichnet. Misstrauen Sie daher Zitaten von Politikern aus zweiter Hand, die gerne aus dem Kontext gerissen sind. Und wenn Sie wissen wollen, was eine Partei wirklich vorhat, lesen Sie das Wahlprogramm – auch wenn das sich nach der Wahl des Öfteren als geschönt herausstellt.

Aber nicht nur in Wahlkämpfen werden Fake News benutzt, um politisch Stimmung zu machen. Generell werden Fake News auch dazu verwendet, Zustimmung für eine Sache zu entfachen oder Vorurteile gegen eine andere Gruppe zu schüren. So auch in Deutschland während des Bundestagswahlkampfs 2017, wo behauptet wurde, die Polizei würde die Straftaten von Migranten vertuschen oder dass Migranten mithilfe einer Website auch in Deutschland wählen könnten.[13] Eine Zielsetzung von Fake News ist also die Beeinflussung von Wahlen, das Schüren von Stimmungen, um den politischen Einfluss einer Ideologie zu erhöhen. Gerne werden solche Fake News auch gegen den politischen Gegner persönlich gerichtet, mit bisweilen beabsichtigten Nebenwirkungen. So wie am 23. April 2013.

Am 23. April 2013 erschüttern zwei Explosionen das Weiße Haus. Präsident Barack Obama wird schwer verletzt, meldet die renommierte Nachrichten-Agentur AP. In der Folge verliert der amerikanische Aktienmarkt innerhalb weniger Minuten 130 Milliarden Dollar. Kurz darauf muss AP zerknirscht eingestehen, dass der Twitter-Account (diese Plattform wurde später in »X« umbenannt) der Agentur – eine Art Mikro-Nachrichtendienst, bei dem jedermann schnell und unkompliziert Kurznachrichten an den Rest der Welt schicken kann – gekapert wurde, gehackt, wie man auch sagt. Eine Gruppe, die den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad unterstützt, behauptete, für diese Attacke verantwortlich zu sein und die Falschinformation verbreitet zu haben.[14] Zwar erholten sich die Aktienkurse wieder, nachdem AP mitgeteilt hatte, dass es sich um eine Falschmeldung handelte, aber dieser Vorfall zeigt, wie anfällig Kapitalmärkte für Information, Desinformation und Falschinformation sind.[15]

Aktienmärkte sind Horte der Spekulation, der Gerüchte und Vermutungen – sie sind also ein geradezu ideales Biotop für falsche Nachrichten. Eine Masche, um damit Geld zu verdienen, sind sogenannte Pump-and-dump-Schemen, frei übersetzt mit »Blas es auf und wirf es raus«. Dazu kauft man zuerst eine Aktie billig ein, streut dann Gerüchte über diese betreffende Aktie, um den Kurs hochzutreiben. Hat man Erfolg, steigt der Wert der Aktie und man verkauft sie, bevor herauskommt, dass die Gerüchte oder Nachrichten falsch waren.

Tipp: Wenn Sie mit Aktien ernsthaft fürs Alter vorsorgen wollen, kaufen Sie niemals Aktien von Unternehmen, die Sie nicht kennen, kaufen sie niemals aufgrund irgendwelcher Gerüchte und kaufen oder verkaufen sie auch nicht hektisch unter Zeitdruck, nur weil die Kurse aufgrund von Unruhen und Gerüchten Achterbahn fahren. Wenn Sie den Nervenkitzel lieben, richten Sie sich ein Konto mit Spielgeld ein, spekulieren Sie nach Herzenslust auf Gerüchte, Insidertipps und ähnliche Kapriolen – und seien Sie nicht enttäuscht, wenn das Spielgeld irgendwann (meist schnell) weg ist.

Damit haben wir ein zweites Motiv für Fake News: Geld. Man streut falsche Nachrichten oder Gerüchte, manipuliert so die Preise von Vermögenswerten wie Aktien oder Anleihen und kassiert dann ab. Dabei ist die Grenze zwischen Falschmeldungen, Manipulation und Marketing fließend: Wenn ein Anleger in diversen Internet-Foren Reklame macht für seine eigenen Aktien, und dabei deren Vorzüge anpreist, die Risiken aber, sagen wir, vergisst – ist das dann Marktmanipulation? Fake News? Damit kommen wir zu einem dritten Motiv für Fake News: Marketing, Werbung, Imagepflege, wobei hier die Grenzen zwischen Fake News und berechtigter, übertriebener oder unverschämter Werbung wieder verschwimmen. Letztlich stehen dahinter aber auch handfeste kommerzielle Interessen.

Ebenfalls in diese Kategorie fallen Fake-Anzeigen, die Nutzer auf eine Homepage locken sollen. So wurde 2022 bekannt, dass der Moderator Markus Lanz verhaftet wurde – wer würde nicht auf diesen Link klicken, um zu erfahren, was geschehen ist? Klickte man auf diese Anzeige, landet man auf einer täuschend echten Nachrichtenseite, die erklärte, der Moderator sei verhaftet worden, weil er eine sensationelle Geldanlagestrategie habe verraten wollen – selbst Anleger ohne jegliche Kenntnis könnten 7.000 Euro am Tag verdienen. Klickte man auf den entsprechenden Link zum Angebot, gelangte man auf eine der üblichen Finanz-Fallen, wo man vielleicht 7.000 Euro am Tag verlieren kann – das ist aber auch alles. Die gefälschte Nachricht von der Verhaftung eines Prominenten ist der Köder, mit dem man auf unseriöse Seiten gelockt wird, wo man dann sein Geld loswird.

Fake News können sogar Finanzkrisen heraufbeschwören: So denkt Bundesbankpräsident Joachim Nagel darüber nach, die Bankenaufsicht auf soziale Medien auszuweiten. Der Grund: Falsche Nachrichten über die Schieflage einer Bank können dazu führen, dass besorgte Kunden ihr Geld abziehen – tun das zu viele Kunden gleichzeitig, bricht die Bank zusammen – »Bank Run« nennen das die Fachleute. Nagel vermutet, dass der Zusammenbruch einer amerikanischen Bank, der Silicon Valley Bank, durch Äußerungen in sozialen Medien zumindest beschleunigt wurde.[16]

Damit haben wir die beiden wichtigsten Motive für Fake News identifiziert: politische und wirtschaftliche Interessen, anders gesagt: Macht und Geld. Daneben gibt es noch die Gruppe der eher menschlichen Motive bei Fake News: Anerkennung, Geltungsbedürfnis, Klatschsucht, Langweile, Spaß daran, Chaos zu stiften oder schlichtweg schlechte Erziehung. Wenn also die Nachricht kursiert, dass eine Frau ihre 65 Katzen abgerichtet hat, um zu stehlen, ein Mann einen Pädophilen zu Tode gegrillt hat, Facebook, ein Anbieter eines sozialen Netzwerkes, Konten mit Rechtschreibfehlern schließt oder ein Angestellter einer Leichenhalle beim Nickerchen versehentlich verbrannt wurde, dann stehen dahinter bisweilen recht einfache menschliche Bedürfnisse oder schlichte Gemüter.[17]

Werbung und PR

Ein Blick in das allabendliche TV-Programm: Wir werden mit Werbung überschwemmt. »Produktinformation« nennt sich das. Neutral ausgedrückt, informieren Unternehmen mit Werbung über die Eigenschaften ihrer Produkte (in Werbeprospekten oft auch über Preise). Auch wenn man Werbung nicht für bare Münze nehmen darf, verrät sie doch sehr viel darüber, wie die entsprechenden Unternehmen ihr Produkt wahrgenommen haben wollen. Das bedeutet, sie unterbreiten uns mit Werbung Produkteigenschaften,[18] die aus ihrer Sicht den Wünschen und Sehnsüchten der (tatsächlichen und potentiellen) Kunden nahekommen oder entsprechen.

Was ist der Unterschied zwischen Werbung und Fake News? Jeder weiß, dass Werbung übertreibt. Jeder weiß, wie man an bessere Informationen zum Produkt kommt. Der partielle Fake-Charakter der Werbung ist offensichtlich. Es besteht eine gewisse Nähe zu Fake News, da sich nicht alle Kunden die Mühe machen, das Produkt näher zu untersuchen oder objektive Informationen zu suchen. Werbung versucht, Verhalten in eine bestimmte Richtung zu lenken, auch mit Informationen, die nicht (ganz) korrekt sind. Wenn Sie so wollen, steckt ein gewisser Umfang an Manipulation in Werbung. Alle Organisationen werben, auch politische Parteien und Politiker, Regierungen, Interessenvertreter und Lobbyisten. Auch diese Werbung (sie wird als »Public Relations« oder kurz PR bezeichnet) hat eine gewisse Nähe zu Fake News, mit der Absicht, zu manipulieren.

Der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt hat dies in seinem 2006 in Deutschland publizierten und Furore machenden Buch Bullshit wie folgt kritisiert:

»Auf dem Gebiet der Werbung und der Public Relations und dem heute damit verbundenen Gebiet der Politik finden sich zahllose eindeutige Fälle von Bullshit, die als unbestreitbare und sogar klassische Beispiele dieses Genres gelten können. (…) Gerade in dieser fehlenden Verbindung zu Wahrheit – in dieser Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich sind – liegt meines Erachtens das Wesen des Bullshits.«[19]

Werbung und PR haben die Funktion, gebündelt Information bereitzustellen, allerdings regelmäßig keine objektive und keine vollständige. Indirekt zahlen wir selbstverständlich auch dafür, allerdings nur verdeckt, beispielsweise (und vor allem) in den Produktpreisen.

Was verhindert, dass Werbung im Unternehmensbereich und PR in der Politik vollständig zu Bullshit (gleichbedeutend mit »heißer Luft«[20]) oder sogar zu Fake News werden? Unseres Erachtens lautet die Antwort: Die Konkurrenz zwischen den Werbenden in Kombination mit kritischem Journalismus und ebenso kritischen Verbrauchern und dem Verbraucherschutz. Die Konkurrenz eines Unternehmens achtet darauf, dass dieses nicht zu sportlich in seinen werbenden Aussagen wird, die politische Opposition schaut genau hin, wenn die regierende Partei ihre Weisheit und Güte preist – jeweils aus Eigeninteresse. Fehlt dieses Eigeninteresse oder fehlt es an Fach- und Sachwissen, gibt es andere (teilweise auch staatliche) Organisationen, die diese Aufgaben übernehmen: Sie kennen vermutlich die Stiftung Warentest, die Produkte testet, es gibt Verbraucherschutzinstitutionen und -gesetze, unabhängige Zeitungen, die politische Aussagen kommentieren, es gibt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen Verfassungsauftrag in qualitativ hochwertiger, neutraler Berichterstattung besteht. Diese Institutionen verhindern, dass Werbung und PR vollends zu Fake News mutieren.

Horror-Clowns: Post-truth, alternative Fakten und andere Umdeutungen der Realität

Das Jahr 2016 ist zum Gruseln: Eine Horror-Clown-Welle versetzt die Welt in Angst und Schrecken. Dabei verkleiden sich (vermeintliche) Spaßvögel als Clowns und erschrecken Passanten. Im Netz verbreiten sich Videos von Grusel-Clowns, die ihre Mitmenschen erschrecken, rasch kursieren Gerüchte von clownesken Gewalttaten. Während echte Clowns auf den Straßen für Schrecken sorgen, sehen manche den wahren Horror-Clown nicht auf der Straße, sondern im Weißen Haus: Am 8. November wird der Republikaner Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Trump steht in den Augen seiner Kritiker sinnbildlich für das Wort des Jahres 2016: post-truth.[21]

Der Begriff stammt – soweit man das überblicken kann – aus einem Essay des serbisch-amerikanischen Schriftstellers Steve Tesich, der im Januar 1992 im Magazin The Nation erschien.[22]Post-truth – das meint eine Welt, in der Fakten weniger Einfluss haben als Emotionen und persönliche Überzeugungen, eine Welt, in der nicht Argumente, sondern Appelle an Emotionen und Vorurteile die öffentliche Meinung prägen. Es ist kein Zufall, dass post-truth das Wort des Jahres 2016 wird – sowohl der Wahlkampf Trumps als auch das in diesem Jahr stattfindende Referendum zum EU-Austritt Großbritanniens wurden zum Schlachtfeld der postfaktischen Wahrheiten, wie es im Deutschen heißt.

Ist post-truth gleich Fake News? Schwer zu sagen. Schaut man sich die verschiedenen Ansichten und Definitionen zu post-truth an, so steht hier eher die Idee im Vordergrund, Gefühle statt Fakten sprechen zu lassen, Objektivität, Fakten und Daten zu diskreditieren – man wittert schon den Appell an den »gesunden Menschenverstand«. Damit ist die Abgrenzung zu einem anderen Begriff – dem des Populismus – recht schwierig. Populistische Strömungen oder Parteien wenden sich gerne an »das Volk« und »die Bürger«, und betonen Begriffe wie »Nation«, »Kultur«, »Gerechtigkeit«. Inhaltsleere Begriffe in die Debatte werfen (wer wäre schon gegen mehr Gerechtigkeit?) und komplexe Probleme auf einfache Lösungen reduzieren – mehr Reichensteuern, weniger Ausländer oder das Ende des Kapitalismus –, das ist Populismus. Politische Gegner werden dabei gerne als Feinde dargestellt, als Knechte anderer, dunkler Mächte verunglimpft. Die Übergänge vom Stammtischniveau zur Demagogie als Stilmittel sind fließend.

Populismus und post-truth appellieren beide an Emotionen, moralisieren