Falsche Flitterwochen mit dem brasilianischen Milliardär - Jessica Gilmore - E-Book

Falsche Flitterwochen mit dem brasilianischen Milliardär E-Book

Jessica Gilmore

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Beschreibung

Falsche Flitterwochen in Rio! Harriet genießt die sinnlichen Stunden mit ihrem Boss, dem vermögenden Unternehmer Deangelo Santos, wiegt sich mit ihm im Rhythmus des Samba. Auch wenn es nur ein Glück auf Zeit ist. Harriet spielt Deangelos Ehefrau, um ihm einen Businessdeal zu sichern. Im Gegenzug will dieser die Pflegekosten für ihren kranken Vater übernehmen. Doch unter der Sonne Brasiliens verwandelt sich der kühle Geschäftsmann in einen heißblütigen Liebhaber. Und für Harriet verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit …

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Seitenzahl: 204

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2019 by Jessica Gilmore Originaltitel: „Honeymooning with Her Brazilian Boss“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 272019 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Rita Koppers

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733715762

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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1. KAPITEL

„Jetzt komm, Hatty. Lass es gut sein.“

Harriet Fairchild sah von ihrem Computerbildschirm hoch, ihr Kopf schwirrte von Tabellen, Zahlen und Entwürfen. Sie lächelte die zierliche Frau an, die neben ihrem hübschen alten Schreibtisch ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat.

„Ich muss das noch fertig machen, dann komme ich. Nur fünf Minuten, Amber, versprochen.“

„Das hast du vor zehn Minuten auch schon gesagt“, erklärte Amber. „Unsere Gäste kommen in einer Viertelstunde, und wir vier haben noch nicht einmal angestoßen. Die Tabellen sind morgen früh auch noch da.“

„Und alles andere ebenfalls, was ich bis jetzt noch nicht geschafft habe. Kaum zu glauben, dass ich so im Rückstand bin. Dabei haben wir die Agentur noch nicht einmal eröffnet.“ Harriet sicherte die Dokumente, klappte den Laptop zu und seufzte so leise, dass die quirlige Rothaarige es nicht hören konnte. Ihre neuen Geschäftspartnerinnen – die auch ihre besten Freundinnen waren – hatten großes Verständnis dafür gehabt, wenn Harriett an den meisten Tagen quer durch London gefahren war, um nach einem weiteren Vorfall bei ihrem Vater zu sein. Doch da ihre Agentur Happy End kurz davorstand, ihre Türen zu öffnen, sollte tatsächlich auch die gesamte Mannschaft in dem eleganten Stadthaus in Chelsea, in dem sie jetzt lebten, arbeiteten und träumten, bereitstehen.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass es wirklich wahr ist.“ Aufgeregt sprang Amber auf und ab, während Harriet den Laptop in die Schublade legte und sie zusperrte. „Dass wir es tatsächlich geschafft haben.“

„So weit sind wir noch nicht. Zuerst brauchen wir Kunden.“ Obwohl Harriet versuchte, wie immer gelassen und vernünftig zu bleiben, spürte auch sie die Aufregung, die in ihr schäumte wie der Champagner, den Emilia gleich entkorken würde.

„Darum geht es doch heute Abend. Dass wir mit unserem Unternehmen anfangen. Du wirst schon sehen, ab morgen haben wir mehr zu tun, als wir schaffen können.“

„Wenn die anderen beiden dabei sind, auf jeden Fall. Mit Emilias Fähigkeiten, eine Veranstaltung zu organisieren, und Alex’ PR-Erfahrung kann unsere Auftaktveranstaltung nur ein Erfolg werden. Und falls nicht, können wir eine ganze Woche von Kanapees und Champagner leben.“

Sie folgte Amber durch das Büro in den neu gestalteten Empfangsbereich, wo die beiden Miteigentümerinnen der Agentur bereits auf sie warteten. Als Harriet zu ihnen trat, ließ Emilia endlich den Korken knallen, während Alexandra ein Glas unter die Flasche hielt, um den Champagner aufzufangen. Lächelnd reichte sie Harriet das gefüllte Glas.

„Danke.“ Nachdem auch die anderen drei versorgt waren, stießen die vier Freundinnen an. „Auf dass Träume wahr werden und auf immerwährendes Glück“, sagte Harriet.

„Auf immerwährendes Glück“, wiederholte Emilia. Ihr Lächeln wirkte diesmal echt, und die Schatten, die sonst so oft ihren Blick verdunkelten, waren verschwunden.

„Und auf all unsere Träume.“ Alexandra war wie immer ruhig und gefasst, doch ihr Lächeln verriet aufrichtige Herzlichkeit, und die Aufregung in ihrer Stimme war nicht gespielt.

„Auf uns.“ Amber hatte ein sonniges Gemüt. Ihr Strahlen erhellte den ganzen Raum. „Wir haben es geschafft. Ich bin so stolz auf uns.“

Voller Dankbarkeit wandte Harriet sich an Alexandra. „Und dank dir, Alex, früher als geplant.“

Die große schlanke Frau schüttelte den Kopf. „Dank meiner Patentante, meinst du wohl. Sie hat mir dieses Haus hinterlassen. Ohne sie wären unsere Träume immer noch Träume.“

„Dann auf deine wunderbare Patentante.“ Amber hob wieder ihr Glas, und die kleine Gruppe murmelte respektvoll ihren Dank. Alle wussten, wie viel Glück sie gehabt hatten. Denn dank Alexandras Erbe konnten sie die Agentur nicht nur ein paar Wochen früher eröffnen als geplant, sie mussten sich auch keine Sorgen über Mieten oder weitere Unkosten machen, die normalerweise anfielen, wenn man ein neues Unternehmen ins Leben rief.

Harriet trank einen Schluck Champagner und sah sich kritisch in dem Raum um, auf der Suche nach Mängeln oder Problemen, die auftreten könnten. Die Enge in ihrer Brust verschwand, als sie nichts entdeckte. Sie waren bereit. Und nach ihrer Auftaktveranstaltung würden die wichtigen und reichen Leute von Chelsea wissen, dass es sie gab und dass sie ihre Dienste in Anspruch nehmen konnten.

Zum Glück war das kleine Stadthaus in Chelsea, das Alexandra geerbt hatte, vom baulichen Standpunkt perfekt, auch wenn die Ausstattung veraltet war. Doch alle hatten ihre Ersparnisse zusammengelegt, sodass sie die Wand zwischen dem Wohnzimmer vorn und dem Esszimmer dahinter hatten einreißen lassen können, um einen hellen, einladenden Empfangsbereich zu schaffen. Die Holzdielen schimmerten in einem warmen Goldschimmer, und die neu verputzten Wände waren über den Bilderschienen in einem matten Weiß gestrichen und darunter in einem hellen Grau. Die Kachelöfen hatten sie so lange geschrubbt, bis sie glänzten. Zwei bequeme Sofas standen sich vorn gegenüber, damit potenzielle Kunden oder die Angestellten sich auf ihnen entspannen konnten. Die Schreibtische, eine Mischung aus alt und neu, standen in zwei Reihen gegenüber dem Empfangsbereich. In den Nischen beim hinteren Kamin waren Regale untergebracht, in denen wohlgeordnet die nötigen Dokumente lagen. Ihre Absicht war es gewesen, dass dieser Raum, der für den Publikumsverkehr gedacht war, gleichzeitig professionell und einzigartig wirkte. So wie die Dienste, die sie anboten.

Die hintere Tür führte in eine kleine Küche und einen angebauten Wintergarten, den sie als Wohn- und Esszimmer nutzten. Normalerweise würde die Tür geschlossen bleiben, damit sie unter sich bleiben konnten, aber jetzt stand sie weit offen, um ihre neuen Nachbarn willkommen zu heißen. Der Kühlschrank war gefüllt mit einem weit weniger teuren Champagner als dem, den sie gerade tranken. Auf den Tischen und der Theke standen Tabletts mit Kanapees, die Amber in den letzten beiden Tagen vorbereitet hatte. Ein Duft von frischem Brot, Bienenwachs und Blumen hing in der Luft.

Die beiden Stockwerke darüber beherbergten jeweils zwei Schlafzimmer und ein Bad. Dank Alexandras Großzügigkeit gehörte das Haus ihnen allen. Die laufenden Rechnungen sollten durch die Einnahmen aus der Agentur bezahlt werden, und jede würde nur ein kleines Gehalt für den täglichen Bedarf entnehmen. Der Rest wurde zurückgelegt, bis sie eines Tages genug gespart hätten, um sich ihren Traum von Sicherheit zu erfüllen. Harriet atmete tief den einzigartigen Duft ein. Sicherheit, ein Zuhause und eine Familie.

„Noch zehn Minuten.“ Emilia brachte Harriet in die Wirklichkeit zurück. „Sind wir bereit?“

„Das Büro könnte nicht besser aussehen“, antwortete Harriet. „Und wir sehen auch präsentabel aus.“ Sie grinste, weil sie maßlos untertrieben hatte. Wie immer sahen ihre Freundinnen umwerfend aus. Sie hatten abgesprochen, dass sie alle Schwarz tragen würden. Und sollte Harriets zweckmäßiges Wickelkleid neben Alex’ elegantem Etuikleid, Ambers Cocktailkleid im Stil der 50er Jahre und Emilias luftigem Rock mit passendem Spitzenoberteil langweilig aussehen, war ihr das nur recht. Sie war es gewohnt, sich im Hintergrund zu halten. Im Grunde war es ihr sogar lieber so.

„Ich habe mit sämtlichen Nachbarn gesprochen und alle persönlich eingeladen“, meinte Amber. „Bei der Gelegenheit habe ich ihnen gleich unsere Dienste vorgestellt. Einige brauchen dringend jemanden, der auf ihre Kinder aufpasst, mit den Hunden spazieren geht und den Haushalt macht. Und ich bin von einem älteren Paar, das hier wohnt, im Park angesprochen worden. Die beiden brauchen jemanden für leichte Putzarbeit und zum Einkaufen. Ich rechne damit, dass wir noch vor Ende der Woche von einigen Familien hören werden, die wenig Zeit, aber genug Geld haben, zum Beispiel für einen Babysitter, damit sie endlich mal zum Essen gehen können …“ Amber hatte sich auf maßgeschneiderte Concierge Services spezialisiert. Bei Aion, dem Unternehmen, das sie alle vor einiger Zeit verlassen hatten, hatte sie das kleine Team geleitet, das sicherstellte, dass es den VIP-Kunden an nichts fehlte.

„Und ich habe bereits ein paar Veranstaltungen organisiert. Die Kunden sind natürlich heute Abend auch eingeladen. Einen Wohltätigkeits-Brunch und zwei Geburtstage. Einer ist für ein Kind, Amber. Vielleicht können wir da zusammenarbeiten, weil Kinder eher deine Sache sind als meine.“ Emilia lächelte ihre Freundin an. „Ich kann es gar nicht erwarten, bis es endlich losgeht. Wenn wir das alles hinbekommen, haben wir vielleicht auch eine Chance bei den Weihnachtsbällen.“

„Hier in der Straße macht ein neues Restaurant auf, ich habe angeboten, die PR für sie zu machen. Viel Geld gibt es nicht, aber es macht sich gut für unsere Auftaktveranstaltung.“ Alexandra zeigte sich begeistert. Selbst nach vier Jahren wusste Harriet immer noch nicht, was bei ihrer Freundin echt oder erfunden war, aber das spielte keine Rolle. Sie waren vier verwandte, einsame Seelen, die sich an einem Weihnachtsabend gefunden hatten und langsam zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen waren, die einer Familie ähnelte.

„Die ganze Woche sind Zeitarbeiter zu Vorstellungsgesprächen gekommen“, warf Harriet ein. „Ich hatte gehofft, bereits weiter zu sein, aber …“

„Nichts aber. Wir haben Zeit, um die Agentur aufzubauen. Mit den richtigen Angestellten, den richtigen Klienten und dem besten Service“, versicherte Alex ihr. „Dein Dad ist wichtig, Harriet, wichtiger als alles andere. Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass du bei ihm warst.“

„Danke.“ Es erleichterte Harriet sehr, dass sie sich hier nicht entschuldigen oder ihre Gefühle und Bedürfnisse verstecken musste. Sie gehörte dazu. Genau das hatte sie immer gewollt. „Moment mal, hat es da eben geklingelt? Hört sich an, als wären unsere ersten Gäste gekommen …“

Deangelo Santos las nicht oft Zeitschriften – und vor allem keine Klatschmagazine. Seit er vor zwölf Jahren zum ersten Mal britischen Boden betreten hatte, las er nur Lektüre in englischer Sprache. Das knallbunte brasilianische Magazin, das auf seinem Schreibtisch lag, passte genauso wenig in sein modernes, nüchternes Büro wie ein Teddybär. Doch er hatte die Zeitschrift nicht gekauft, um sie zu lesen, sondern um sich einen wunderbaren Moment der Vorfreude zu gönnen.

Drei lächelnde Gesichter zierten die Titelseite. Alle Personen waren um die vierzig, gepflegt und zeigten eine Selbstgefälligkeit, die nur ererbte Privilegien und äußerste Arroganz mit sich brachten. Und alle drei ahnten nicht, dass ihr Leben in ein paar Wochen komplett auf den Kopf gestellt und zerstört sein würde. Mit einem schmalen Lächeln betrachtete Deangelo noch einen Moment das Cover, bevor er die Zeitschrift zwischen Daumen und Zeigefinger nahm und sie in den Papierkorb warf. Dann ging er zur Tür. Es war Zeit, seinen Plan endlich in die Tat umzusetzen.

Er stieß die Glastür auf und unterdrückte einen Seufzer, als er sah, dass die kleine Frau, die draußen am Tisch saß, kaum merklich zusammenzuckte.

„Guten Abend, Mr. Santos. Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, bevor ich gehe?“

An der Frage war nichts Falsches, auch nicht an ihrer Wortwahl oder ihrer Arbeit. In den letzten zwei Wochen hatte sie immer an diesem Schreibtisch gesessen, wenn er morgens um halb acht nach seinem üblichen Lauf und anschließendem Konditionstraining ins Büro gekommen war. Sein Computer war bereits angeschaltet, seine To-do-Liste lag ausgedruckt auf der Tastatur, und der Kaffee stand bereit, stark und schwarz, wie er ihn am liebsten mochte. Alles war so, wie es sein sollte.

Und sie saß jeden Tag an ihrem Tisch, machte weniger als eine halbe Stunde Mittagspause, bearbeitete die eingehende Post, kümmerte sich um seine Termine, buchte Flüge, organisierte seine Meetings und sorgte dafür, dass er nur gestört wurde, wenn es nötig war.

Genauso, wie er es mochte.

Jetzt war sie immer noch da, nach zehn Stunden Arbeit. Sie beschwerte sich weder über ihren langen Tag, noch wirkte sie ungeduldig, weil sie nach Hause wollte.

Allerdings wurde sie für die Überstunden auch gut bezahlt.

Im Großen und Ganzen konnte er sich also nicht beklagen, nur weil sie kurz zusammengezuckt war.

Außer …

Außer, dass es Montag war. Was bedeutete, dass die Frau, die am Tisch seiner Chefsekretärin saß, bereits zwei Wochen und einen Tag da war.

Und mit diesem zusätzlichen Tag hatte er nicht gerechnet. Deangelo mochte Unerwartetes nicht. Er plante und überdachte jede mögliche Zufälligkeit, um das Unerwartete zu vermeiden. So wie es jeder tun würde, dessen Leben so verlaufen wäre wie seines.

Statt ihre Frage zu beantworten, drehte Deangelo sich um und ging zurück in sein Büro. Dort nahm er sein Handy aus der Tasche, drückte eine Taste und wartete ungeduldig darauf, dass sein Anruf angenommen wurde.

Es dauerte weniger als drei Sekunden. Gut so. „Guten Tag, Sir. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Wo ist Harriet?“, wollte er wissen.

Einen Moment war es still, bevor seine Personalchefin fragte: „Harriet?“

„Ja, Harriet. Groß, blonde Haare.“ Oder waren sie rot? Er hatte sich nie entscheiden können. Wobei ihre Haarfarbe keine Rolle spielte. Wichtig war nur, dass Harriet Fairchild dafür sorgte, dass sein Leben immer reibungslos verlief und dass alles seine Ordnung hatte. So wie es sein sollte. „Sie hat bereits zwei Wochen frei. Wann soll sie denn wieder da sein?“

„Mr. Santos, Harriet ist nicht mehr da.“

„Nicht mehr da?“

„Sie hat das Unternehmen verlassen.“

Sie hat was? Deangelo hielt inne und versuchte sich an den Tag zu erinnern, an dem er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Wenn er jetzt darüber nachdachte, hatte sie ein wenig abwartend gewirkt, als sie sich verabschiedet hatte. Vielleicht sogar enttäuscht? Er konnte sich kaum erinnern, weil er in dieser Woche mit seinen Plänen für Brasilien beschäftigt gewesen war und einmal nicht wie sonst an sein Geschäft gedacht hatte.

Aber wie hatte ihm entgehen können, dass sie den Konzern verlassen hatte? Zumindest erklärte das die Blumen auf ihrem Schreibtisch …

„Wo ist sie denn hin? Ich nehme an, Sie haben ihr eine entsprechende Bezahlung geboten, damit sie bleibt?“

„Natürlich. Ich weiß, wie sehr es Ihnen missfällt, wenn es Änderungen im Ablauf gibt, aber sie gründet ihr eigenes Unternehmen. Ich glaube nicht, dass wir sie durch irgendetwas zum Bleiben hätten bewegen können.“ Seine Personalchefin Sue klang nun viel selbstsicherer, was Deangelo verstand. Es war etwas ganz anderes, seine geschätzte Chefsekretärin an ihr eigenes Unternehmen zu verlieren als an einen anderen Betrieb. Trotzdem war es unangenehm. Besonders, weil ihm der größte Deal seines Lebens bevorstand, wenn nicht sogar seiner Karriere. Ein Deal, bei dem er mit ihrer Hilfe gerechnet hatte. Schnell warf Deangelo einen Blick durch die offene Tür zu der nervösen Nachfolgerin, die fleißig in ihren Computer schrieb, die Sorge in ihrem Blick jedoch nicht verbergen konnte, während sie sich auf die Lippe biss und vorgab, nicht zuzuhören. Nein, mit diesem Schauspieltalent würde sie es nie schaffen, und es war viel zu spät, jetzt noch eine andere anzulernen.

„Was ist das für ein Unternehmen?“

„Eine Agentur. Sie hat sich mit drei anderen ehemaligen Angestellten von Aion zusammengetan. Ich glaube, sie bieten einen Allround-Service an, von Eventmanagement, Chefsekretärinnen als Aushilfe, Haushaltungsmanagement bis hin zu Reputationsmanagement.“

Deangelo griff die Information auf, die für ihn relevant war. „Sie bieten Chefsekretärinnen in Zeitarbeit an. Wunderbar. Dann engagieren Sie sie wieder. Für den kommenden Monat. Ich werde ihr das Doppelte des Üblichen zahlen.“ Alles hatte seinen Preis, und eine neue Agentur konnte sicher Geld brauchen. „Sagen Sie ihr, dass ihr Ausweis gültig sein muss. Wir fliegen in zwei Wochen nach Rio, aber ich will sie morgen schon wieder hier haben.“

Damit beendete er das Gespräch, ging zu dem großen Fenster in seinem Büro und sah hinaus auf die Skyline von London. Aussichten wie diese waren Millionen wert, und Gebäude wie das, das Aion im Herzen von South Bank besaß, noch mehr. Er lebte hier in einem Penthouse Apartment. Seine Büros erstreckten sich über das gesamte Stockwerk, das darunter lag. Sein Fitnessstudio und der Swimmingpool lagen im Untergeschoss, direkt neben der Garage, in der eine Sammlung seiner geliebten alten Sportwagen stand. Der Rest des Gebäudes war für die Elite der führenden Köpfe der Welt reserviert, die alle für ihn arbeiteten. Er hatte einen weiten Weg zurückgelegt von den favelas, den Armenvierteln, bis hierher. Doch wenn er wieder nach Rio kam, wäre er dann Deangelo Santos, Gründer von Aion, Hi-Tech-Milliardär und Wohltäter oder wieder der Straßenjunge und uneheliche Sohn einer der ältesten Familien Rios? Weggeworfen wie Müll, für den sie ihn hielten.

Deangelo ballte die Hände zu Fäusten. In zwei Wochen würde er ihnen zeigen, wer er war. Und dafür musste alles perfekt sein. Er brauchte Harriet.

Wie aufs Stichwort klingelte sein Handy. Er warf einen Blick auf das Display und wurde ruhiger. Sue rief ihn an. Sicher, um ihm mitzuteilen, dass Harriet wiederkommen würde.

Mit einem knappen „Ja“ nahm er den Anruf entgegen und hörte einen Moment ungläubig zu. „Was soll das heißen, sie kann nicht?“

„Sie hat gesagt, dass sie keine Zeit hat. Sie sollen ihr eine Woche Zeit geben, damit sie eine neue Nachfolgerin finden kann, obwohl sie glaubt, dass sie dem armen Mädchen noch eine Chance geben sollten. Das waren ihre Worte, nicht meine. Sie selbst ist zu beschäftigt mit dem Aufbau der Agentur, um einen Monat wegbleiben zu können. Sie starten heute und haben abends eine Eröffnungsfeier. Ich fahre nachher auch dorthin.“

Deangelo stutzte. „Eröffnungsfeier? Wie lautet die Adresse? Wir sehen uns dann dort. Ich spreche selbst noch einmal mit Harriet.“

Er beendete den Anruf und schnitt damit Sues höflichen, aber offensichtlich panischen Widerspruch ab. Wenn Rio nach Plan verlaufen sollte, durfte nichts schiefgehen, was bedeutete, dass Harriet Fairchild mit an Bord sein musste. Und wenn er dafür nach Chelsea fahren und sie selbst überreden musste, dann würde er genau das tun. Sein Blick glitt zu dem Papierkorb und dem knallbunten Magazin. Er musste ein Versprechen einlösen, das er an einem Sterbebett gegeben hatte, und nichts und niemand würde ihm dabei im Weg stehen.

2. KAPITEL

Immer mehr Menschen drängten sich in dem Haus, ein stetiger Strom aus neugierigen Nachbarn, ortsansässigen Geschäftsleuten und sorgsam ausgewählten potenziellen Kunden. Sie probierten Ambers eindrucksvolle Kanapees und stießen mit einem Glas Champagner auf die Agentur an. Harriet beobachtete, wie Alexandra und Emilia ihren gelassenen professionellen Charme spielen ließen, während Amber die Gäste mit ihren köstlichen Leckereien verwöhnte. Harriett selbst konnte es immer noch nicht glauben. Sie hatten es geschafft. Ihre Zukunft lag nun ganz in ihren Händen, das war aufregend, aber auch beängstigend. Lange Zeit schien all das nur ein Hirngespinst gewesen zu sein.

Aber nun war aus dem Traum Realität geworden. Damit die Agentur lief, brauchten sie Klienten, und zwar schnell. Diese Party war nur der Anfang.

Harriet schob die Bedenken, die sich gern bei ihr einschlichen, zur Seite. Sie könnte jetzt an ihrem alten Schreibtisch sitzen und gleich Feierabend machen. Mit einem guten Gehalt, einer Pension – und einer gesicherten Existenz. Doch es war an der Zeit, dass sie etwas Neues wagte, ein anderer Mensch wurde. Nicht mehr die unscheinbare kleine Chefsekretärin, die eher Teil des Büromobiliars gewesen war als ein Mensch aus Fleisch und Blut. Die so unbedeutend gewesen war, dass Deangelo Santos sich nach drei Jahren nicht einmal verabschiedet hatte. Es war dumm von ihr, deswegen enttäuscht zu sein. Nur weil er sie in seltenen Momenten wirklich angesehen zu haben schien, bedeutete das noch lange nicht, dass tatsächlich eine Verbindung zwischen ihnen bestand, wie sie geglaubt hatte.

Genug davon. Sie musste Kunden anwerben und beeindrucken. Den Kopf hängen zu lassen, weil ihr alter Chef ihr gegenüber gleichgültig gewesen war, half niemandem. Sie setzte ein Lächeln auf, hob das Kinn und straffte die Schultern. Gib dich selbstbewusst, auch wenn du dich nicht so fühlst, lautete Ambers Mantra. Und genau das würde sie nun tun.

Harriet hatte sich freiwillig bereit erklärt, die Gäste an der Tür zu begrüßen, Broschüren zu verteilen und Termine und Jobs zu notieren. Small Talk war nie ihre Stärke gewesen. Ihr war es lieber, eine Aufgabe zu haben. Außerdem war das tatsächlich ihr Job. Sie würde das Büro leiten, sich um all die Zeitarbeiter kümmern, die hoffentlich bald kommen würden, und selbst notfalls als Chefsekretärin einspringen. Ihr gefiel Verwaltungsarbeit und die Tatsache, dass sie gebraucht wurde.

Außerhalb dieses Hauses gab es niemanden mehr, der sie brauchte oder der überhaupt Notiz von ihr nahm. Irgendwie hatte sie sich in der Zeit zwischen der Schule und heute in eine unsichtbare Frau verwandelt. Trotzdem würde sie die Entscheidungen, die dafür verantwortlich waren, nie bereuen. Nicht die Jahre, in denen sie ihren Vater gepflegt, Verabredungen abgesagt und die zwei möglichen Beziehungen aufgekündigt hatte, bevor etwas Ernstes daraus hätte werden können. Genauso wenig das lange Hinauszögern ihrer Einschreibung an der Universität, um die Anmeldung am Ende doch zurückzuziehen. Sie hatte niemanden gehabt, außer ihrem Vater, und er hatte nur sie gehabt.

Doch nun war seine Demenz so weit fortgeschritten, dass sie für ihn nicht einmal mehr existierte. Was blieb ihr jetzt noch?

Harriet setzte ein Lächeln auf, als ein paar Gäste, die die Broschüre der Agentur in Händen hielten, an ihr vorbei hinausgingen. Hör auf, dich selbst zu bemitleiden. Sie hatte Freunde und dank Alex’ Erbe einen neuen Job, ein neues Zuhause, ein neues Ziel und damit neue Entschlossenheit. Sie wollte nicht länger im Abseits vor sich hin darben, sondern wirklich leben, statt nur zu existieren. Ein Leben, das aus mehr bestand als Arbeit und Verantwortung, jetzt, da ihr Vater nicht mehr wusste, wer sie war, und sie nicht jede Stunde, die sie erübrigen konnte, bei ihm verbrachte. Den Anfang würde sie damit machen, sich für einen Sprachkurs einzuschreiben, der abends stattfand, einem Lesekreis beizutreten und sich für freiwillige Tätigkeiten zur Verfügung zu stellen. Nichts besonders Aufregendes für eine Frau, die gerade sechsundzwanzig geworden war, aber immer noch weitaus besser, als den Abend allein mit einem Kräutertee und einem Buch zu verbringen.

Genau deshalb sollte sie sich mit ihrem Stapel Flugblätter nicht länger im Flur verstecken, sondern sich unter die Gäste mischen, so wie ihre Freundinnen. Als sie noch bei Aion gearbeitet hatte, war sie bei vielen geschäftlichen Empfängen auf der ganzen Welt dabei gewesen. Also würde sie auch das hier schaffen. Gerade als sie sich entschlossen umdrehte, erklang die alte Glocke an der Tür.

Schnell warf Harriet einen Blick in den Spiegel, um sicherzugehen, dass sie immer noch wie eine professionelle, ehrgeizige Geschäftsfrau und Gastgeberin aussah. Ihre rötlich blonden Locken saßen perfekt, und ihre vollen Lippen hatte sie dezent mit ein wenig Farbe betont, die noch nicht verschmiert war. Ihr Wickelkleid saß, und sie hatte noch nichts verschüttet. All das konnte als Gewinn verbucht werden. Wie in den letzten beiden Stunden unzählige Male setzte sie auch jetzt ein angemessen höfliches, aber professionelles Lächeln auf und öffnete die Tür. „Willkommen …“ Harriet sah hoch, bevor sie den Satz beenden konnte, und begegnete einem Blick aus bernsteinfarbenen Augen. Sie schwankte, und die Tür fiel zu, als sie schockiert einen Schritt nach hinten machte.

Träume ich? Vorsichtig öffnete sie wieder die Tür. Nein, es war keine Einbildung. Ein großer muskulöser Mann mit dem Körper eines Straßenkämpfers und dem Gesicht eines gefallenen Engels, das verunstaltet war – oder noch schöner wirkte durch die Narbe, die rechts von der Schläfe bis zum Kinn verlief –, stand vor ihr. Ein Gesicht, das sie genauso gut kannte wie ihr eigenes, vielleicht sogar besser, weil sie es in den letzten drei Jahren jeden Tag gesehen hatte.

„Deangelo? Ich meine, Mr. Santos, was machen Sie denn hier?“

„Sie geben doch eine Party, oder nicht?“

„Äh … ja“, brachte Harriet heraus.

„Wollen Sie mich dann nicht hereinbitten?“

„Ich … natürlich.“ Schnell ging Harriet in Gedanken die vielen Einladungen durch, die sie verschickt hatte, doch sie konnte sich nicht erinnern, dass der milliardenschwere Geschäftsmann dabei gewesen war. Die Angestellten aus der Personalabteilung von Aion und einige ihrer alten Kollegen natürlich, aber nicht er. Doch sie wäre verrückt, einen Mann mit seinem Geld und seinem Einfluss abzuweisen. Und das Leuchten in seinen Augen verriet ihr, dass er sich dessen bewusst war. Harriet trat zurück und bat so nervös, als würde sie ein Raubtier in ihr Zuhause einladen: „Kommen Sie doch herein.“