Verbotene Sehnsucht nach dem Herzog - Jessica Gilmore - E-Book

Verbotene Sehnsucht nach dem Herzog E-Book

Jessica Gilmore

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Beschreibung

Als illegitime Tochter des Königs von Asturia muss Clemence ein Leben fern des Hofes führen. Bis ihre Halbschwester Prinzessin Arrosa jäh eine Auszeit braucht. Spontan beschließen die beiden, für ein paar Tage zu tauschen. Niemand wird es merken, schließlich sehen sie sich täuschend ähnlich! Doch dann taucht der umwerfend attraktive Herzog Akil unangekündigt im Palast auf. Vom ersten Augenblick an verzehrt Clemence sich nach seinen Küssen. Aber Akil ist tabu! Er ist längst ihrer Schwester versprochen …

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Seitenzahl: 207

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2022 by Jessica Gilmore Originaltitel: „Cinderella and the Vicomte“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 032023 02/2023 Übersetzung: Pia Pfänder

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751518338

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Denn niemals gab es ein so herbes Los als Julias und ihres Romeos.“

Für einen Moment blieb das Publikum ganz still, dann brach tosender Applaus über sie herein wie die Wellen, die hinter ihr ans Ufer schlugen. Eine Sekunde lang blieb Clemence Beaumont regungslos liegen. Immer noch durchströmten sie die täuschend echt wirkenden Gefühle.

Als sie langsam in die Wirklichkeit zurückkehrte, hob sie den Kopf und nahm die ausgestreckte Hand ihres Schauspielpartners Ed. Er zog sie auf die Füße, und zusammen mit den anderen Schauspielern gingen sie zum Rand der halbrunden Bühne und verbeugten sich vor der jubelnden Menge.

Lächelnd richtete sie sich wieder auf. Zum ersten Mal, seit sie die Bühne betreten hatte, nahm Clem die Zuschauer wahr.

Für eine Amateuraufführung, die nur von Spenden finanziert wurde, war das Freilufttheater ungewöhnlich voll besetzt. Als neue Jubelschreie erklangen, verbeugte Clem sich wieder.

Jetzt erkannte sie in der Menge einzelne Personen: ihre beste Freundin Sally, die also doch einen Babysitter gefunden hatte. Mrs. Atkins, ihre Lieblingsgrundschullehrerin, die sie anstrahlte. Weiter hinten nickte ihr Mr. Reynolds anerkennend zu. Ihr ehemaliger Englischlehrer verehrte Shakespeare und versuchte, diese Leidenschaft an seine Schüler weiterzugeben. Dort saß ihre Nachbarin Trinny, wie immer tadellos gekleidet. Weiter rechts ihre Schwester …

Moment. Ihr Blick glitt zurück. Ihre Schwester? Arrosa war hier in Cornwall? Wie hatte sie es geschafft, zu entkommen? Nicht nur das, anscheinend war sie sogar alleine …

Obwohl Clem wusste, dass Henri nicht weit weg sein konnte, entdeckte sie den Leibwächter ihrer Schwester nirgendwo. Seit zehn Jahren war Arrosa nicht mehr ohne seinen Schutz aus dem Haus gegangen.

Obwohl Arrosas Gesicht regelmäßig die Titelblätter und Klatschseiten der Zeitschriften zierte, schienen ihre Sitznachbarn sie nicht zu erkennen. Wahrscheinlich dank des breitkrempigen Huts und der riesigen Sonnenbrille. Doch Clem hätte ihre Schwester in jeder Verkleidung erkannt, denn jeden Morgen sah ihr aus dem Spiegel ein täuschend ähnliches Gesicht entgegen. Die Schwestern hatten vieles gemeinsam: die charakteristische Nase, die hohen Wangenknochen, die kleinen Grübchen und die haselnussbraunen Augen unter den langen Wimpern.

Aber während Arrosa eine Prinzessin war und die legitime Tochter des Königs Zorien von Asturia, war Clem das Ergebnis einer Affäre. In seinem Auslandsjahr hatte ihr Vater mit ihrer Mutter eine Affäre gehabt, aus der ein Kind hervorgegangen war – Clem.

Die asturische Hälfte ihrer Familie wusste nichts von ihrer Existenz, ebenso wenig wie der Rest des Landes, das ihr Vater regierte. Ein Land, das Clem noch nie betreten hatte.

Erneut verbeugte sie sich, aber das Lächeln auf ihrem Gesicht fühlte sich eingefroren an, und ihre Gedanken waren nicht mehr bei der Aufführung. Was, um alles in der Welt, machte ihre Schwester hier?

Natürlich hatte Clem ihr eine Einladung geschickt, aber sie hätte nicht damit gerechnet, dass Arrosa wirklich kommen würde. Sie hatte noch nie eine von Clems Aufführungen besucht. Für sie war es schwer, dem Palast zu entkommen.

Nach einer Weile ebbte der Applaus ab, und die Schauspieler verließen die Bühne.

„Alle hierher“, rief Ed. Er legte seiner besseren Hälfte Tom einen Arm um die Schulter. „Clem? Bereit zu feiern?“

„Nicht, dass ich keine Lust hätte …“, begann sie.

Eds Miene wurde weich. „Du warst heute Abend sensationell, Clem, und das solltest du feiern. Ich weiß, es ist nicht dasselbe, aber deine Mutter würde es sich wünschen.“

Simone Beaumont war für viele der Aufführungen im Dorf verantwortlich gewesen. Sie hatte das Team angeleitet, das das heruntergekommene Freilufttheater wieder in eine wunderschöne Bühne verwandelt hatte, und auch eigenhändig bei der Renovierung mitgearbeitet.

Wäre ihre Mutter noch am Leben gewesen, hätte sie immer noch gegen den Investoren gekämpft, der das geliebte Dorftheater in eine Touristenattraktion verwandeln wollte. Simone Beaumont hatte sich immer für die Schwächeren und Unterdrückten eingesetzt. Früher hatte es Clem wütend gemacht, dass ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse immer wieder hinter dem neuesten Projekt ihrer Mutter zurückstehen mussten, doch jetzt hätte sie alles dafür gegeben, noch einmal in die Küche zu kommen und zu sehen, wie ihre Mutter eins ihrer Plakate anfertigte. „Rettet die Robben!“, „Rettet die Vögel!“, „Reinigt das Abwasser!“, „Rettet unser Postamt!“.

Simone Beaumont, Retterin der Unterdrückten.

„Wir haben noch einen Platz im Auto frei“, fügte Tom hinzu.

Clem schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich habe meine Cousine im Publikum gesehen.“

„Bring sie mit.“

„Mal schauen. Wir sehen uns nicht oft, vielleicht möchte sie lieber einen ruhigen Abend zu Hause verbringen. Genießt die Party. Ihr wart heute Abend großartig. Danke.“ Clem drückte den beiden einen Kuss auf die Wange und ging zur Umkleide.

Auch wenn sie sich auf die Feier nach der Show gefreut hatte, würde daraus nichts werden. Arrosa wagte es schon seit langer Zeit nicht mehr, sich gemeinsam mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Ihre Halbschwester mochte einen Adelstitel besitzen, einen luxuriösen Lebensstil führen und über mehr Geld verfügen, als Clem sich vorstellen konnte. Doch Clem genoss eine Freiheit, von der Arrosa nur träumen konnte.

Schnell zog sie sich um und entfernte ihr Bühnen-Make-up. Eine Viertelstunde später verließ sie das Theater und ging die kurze Strecke nach Hause.

Hier in dem hübschen Küstenort in Cornwall war sie geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter war während der Schwangerschaft hergezogen – direkt, nachdem sie herausgefunden hatte, dass ihr Geliebter kein einfacher Studienkollege an der Sorbonne war, sondern ein Prinz, dessen arrangierte Hochzeit direkt bevorstand. Drei Monate nach dem Umzug hatte Simone Beaumont allein in einer fremden Stadt ihr Kind zur Welt gebracht … und sechs Monate später war in Asturia die Geburt einer neuen Prinzessin gefeiert worden.

Clem konnte sich nicht vorstellen, wie ihre Mutter sich gefühlt haben musste. Eine Waise ohne Familie, alleinerziehende Mutter und betrogene Geliebte. Aber Simone hatte das kleine Hafenstädtchen geliebt, den langen Strand und die hübschen Fischerhäuser, die sich an die Klippe drängten. Und Clem ging es genauso. Sie hätte ihr Zuhause gegen keinen Palast der Welt eingetauscht. Das traf sich gut, denn wegen der langen schweren Krankheit ihrer Mutter war sie aus London zurückgekehrt.

In den sechs Monaten seit der Beerdigung hatte Clem oft mit dem Gedanken gespielt, wieder nach London zu ziehen und an ihrer Schauspielkarriere zu arbeiten, aber die Trauer lähmte sie noch genauso wie vor einem halben Jahr. Jetzt, wo sie niemanden mehr hatte, brachte sie es nicht über sich, auch noch die Vertrautheit ihres Zuhauses aufzugeben.

Clem bog auf den schmalen Pfad ein, der zu dem Cottage führte, dass Zorien ihnen vor all den Jahren gekauft hatte. Arrosa besaß einen eigenen Schlüssel, und als Clem das Wohnzimmer betrat, lag ihre Schwester zusammengerollt auf dem Sofa. Sie hatte den Hut abgesetzt, sodass ihr die langen dunklen Locken weich über die Schultern fielen. Ihre Miene wirkte nachdenklich und wehmütig, während sie in den leeren Kamin starrte.

Als Clem die Tür öffnete, sprang Arrosa auf und umarmte sie.

„Ich freue mich ja sehr, dich zu sehen, Rosy“, sagte Clem. „Aber was, zum Teufel, machst du hier?“

Arrosa löste sich von ihr. „Du meinst, abgesehen davon, dass ich meine Schwester als Julia sehen wollte? Clem, du warst brillant.“

Dank eines britischen Kindermädchens und fünf Jahren in einem britischen Internat sprach Arrosa ein perfektes akzentfreies Englisch. Was schade war. Clem liebte den Klang des asturischen Dialekts. Er erinnerte sie an das Land, das sie nie kennengelernt hatte.

Sie nahm ein Glas von dem köstlichen Wein entgegen, den Arrosa mitgebracht hatte. Auf dem Couchtisch hatte ihre Schwester einen Geschenkkorb voller teurer Leckereien ausgebreitet. Clem nahm ein Stück Käse und ließ sich in die Sofakissen sinken.

„Du bist noch nie zu einer meiner Aufführungen gekommen.“

„Ich wünschte, ich hätte es schon eher getan. Clem, es tut mir so leid, dass ich nicht zu Simones Beerdigung gekommen bin. Ich habe sie sehr geliebt, aber …“

„Schon gut, sie hätte es verstanden. Und du hast so schöne Blumen geschickt. Ich weiß, wie schwer es für dich ist, aus dem Palast herauszukommen.“

Dennoch hatte Clem sie an jenem langen traurigen Tag schmerzlich vermisst. Auch wenn sie ihre Schwester verstand, war sie es manchmal leid, von der Familie versteckt zu werden wie eine Leiche im Keller.

„In unserer Kindheit war es viel einfacher. Vor allem, als ich noch in England zur Schule gegangen bin und meine Wochenenden hier verbringen konnte.“

Als ihr Vater vorgeschlagen hatte, dass Arrosa inkognito Zeit mit Clem verbringen könne, hatte Simone keine Sekunde gezögert. Sie hatte Arrosa mit offenen Armen aufgenommen, damit die beiden Schwestern sich kennenlernen konnten.

„Ein Palast ist kein Ort für ein Kind“, hatte sie gesagt. „Kinder müssen sich austoben.“

Und das hatten sie getan, an schier endlos langen Strandtagen. Glückliche Tage, die zu Ende gegangen waren, als Arrosa die ersten Staatspflichten übernehmen musste. Inzwischen gab es kaum noch Gelegenheiten, sich zu sehen. Ihr einziger Kontakt waren lange wöchentliche Telefonate. Doch bei ihrem letzten Gespräch vor einigen Tagen hatte ihre Schwester diesen Besuch mit keinem Wort erwähnt.

„Sag, Rosy, warum bist du wirklich hier? Außer um mich als Julia zu sehen. Ist alles in Ordnung?“

Arrosa trank einen Schluck Wein. „Ich glaube, ich habe gerade jemanden gebeten, mich zu heiraten.“

„Glaubst du oder hast du?“ Clem versuchte, nicht so überrascht zu klingen, wie sie war. Ihre Schwester hatte mit keinem Wort erwähnt, dass sie jemanden kennengelernt hatte. „Wer ist der Glückliche?“

„Akil. Er ist der Herzog von Ortiz, ein aufstrebendes Regierungsmitglied. Sein Vater war einer von Dads schärfsten Kritikern. Unsere Familien sind seit Generationen verfeindet. Du weißt, wie altmodisch Asturier sein können. Aber Akil und ich sind fast schon Freunde. Wir haben viel gemeinsam. Familienehre und Erwartungen und solche Dinge.“

„Freunde? Du bist nicht einmal mit ihm zusammen? Rosy, die Ehe ist ein großer Schritt. Warum startest du nicht erst einmal mit einem Film und einem gemeinsamen Abendessen? Außerdem“, Clem füllte ihre Weingläser auf, „was meinst du damit, dass du ihn gebeten hast, dich zu heiraten?“

Eine zarte Röte legte sich auf Arrosas Wangen. „Akil war eine treibende Kraft bei der Gesetzesänderung, die es ermöglicht, dass ich als Frau den Thron erben darf. Er hat dafür gesorgt, dass die Oppositionsparteien zustimmen. Du weißt, wie konservativ Asturia ist. Bei einer so weitreichenden Gesetzesänderung ist es wichtig, dass alle Politiker sich einig sind.“

Sobald das Gesetz in einigen Wochen offiziell beschlossen würde, wäre Arrosa die offizielle Thronfolgerin. Früher hatte Arrosa oft gesagt, dass sie hoffte, niemals auf dem Thron sitzen zu müssen. Doch wie auch immer sie heute darüber denken mochte, sie ließ es sich nicht anmerken.

„Ach, ich verstehe. Als Dank für seine Hilfe bekommt er das halbe Königreich und die Hand der Prinzessin. Was für ein Geschäft!“

Aber Arrosa erwiderte Clems Lächeln nicht und trank einen weiteren Schluck Wein. Nachdenklich sah sie in den Kamin.

„Clem … alle – meine Eltern, meine Berater, die Zeitungen – drängen mich, zu heiraten. Einen Erben zu produzieren. Ich mag Akil, und er versteht meine Welt. Wir haben ähnliche Pläne für Asturia. Als wir darüber gesprochen haben, was ich als Thronfolgerin erreichen möchte, wurde uns klar, wie sehr unsere Ziele übereinstimmen. Plötzlich dachte ich: Na ja, ich könnte es schlechter treffen.“

„Also hast du sofort um seine Hand angehalten.“ Die Situation war nicht zum Lachen, aber Humor war alles, was ihr im Moment blieb. Mitleid half niemandem, am allerwenigsten ihrer Schwester.

„Nicht ganz. Ich habe nur gesagt, dass er als Prinzgemahl vielleicht mehr erreichen würde. Dann bin ich geflüchtet. Was, wenn er Ja sagt?“

„Willst du denn, dass er Ja sagt?“

„Auch wenn ich als kleines Mädchen von etwas anderem geträumt habe, würde diese Ehe die Dinge um einiges einfacher machen.“

„Wie ist er so? Sieht er gut aus?“ Ist er nett, wird er dich respektieren, kannst du dich in ihn verlieben? Aber diese Worte sprach sie nicht aus.

„Ich glaube schon. Er sieht ganz okay aus.“ Arrosa reichte Clem ihr Handy.

Bei dem Anblick des Mannes auf dem Foto schnappte Clem hörbar nach Luft. Okay? Das war die Untertreibung des Jahrhunderts! Mit ausgeprägten Wangenknochen, einem markanten Kinn und einem sinnlichen Mund, sah der Herzog aus wie ein Filmstar. In den dunklen Augen schien ein wissendes Funkeln zu liegen. Wenn Arrosa das nicht sehen konnte, sollte sie ihn wirklich nicht heiraten.

„Ja, ganz okay“, kommentierte sie trocken.

„Er ist ein guter Mann.“

„Aber?“

Arrosa sah aus dem Fenster. „Mit dieser Entscheidung gebe ich die letzte Hoffnung auf, meinen eigenen Weg zu finden. Kann ich wirklich einen Mann heiraten, den ich nicht liebe? Ich wünsche mir einen echten Partner. Jemanden, der mich liebt und heiraten möchte. Mich, Arrosa, nicht meinen Titel. Aber ich bin nicht sicher, ob es diesen Mann gibt. Akil ist eine vernünftige Wahl. Vielleicht sollte das reichen.“

„Ich denke, du solltest noch einmal darüber nachdenken. Und zwar gründlich.“ Besorgt musterte Clem das blasse Gesicht und die tiefen Schatten unter den Augen ihrer Schwester. In diesem Zustand sollte sie keine lebensverändernden Entscheidungen treffen.

„Du brauchst eine Pause.“

„Ich weiß.“ Arrosa seufzte. „Die letzten Wochen waren hart, aber jetzt schalte ich erst mal einen Gang zurück. Für die nächsten Wochen habe ich alle Meetings und offiziellen Termine aus meinem Kalender gestrichen. Sobald ich offiziell die Thronfolgerin bin, habe ich genug zu tun. Dad möchte, dass ich perfekt vorbereitet bin.“

„Eine Pause? Machst du Urlaub?“

„So würde ich es nicht nennen.“ Arrosa lächelte schwach. „Es gibt viel zu tun, viel zu organisieren. Aber wenigstens habe ich keine offiziellen Termine oder Veranstaltungen.“

„Dann erledige deine restlichen Pflichten von hier aus.“ Clem beugte sich zu ihrer Schwester hinüber. „Bleib ein paar Wochen hier, Rosy. Du weißt, wie gut dir die Seeluft in Cornwall tun wird.“ Außerdem könnten sie noch einmal ausgiebig Zeit miteinander verbringen. Vielleicht zum letzten Mal.

„Das würde ich gerne“, sagte Arrosa wehmütig. „Aber ich fahre heute Abend zurück.“

„Heute noch? Oh, Rosy.“

Enttäuschung schnürte Clem die Luft ab. Bis sie ihre Schwester nach der Aufführung im Publikum entdeckt hatte, war ihr gar nicht klar gewesen, wie einsam sie war. Natürlich hatte sie Freunde und Bekannte, aber es gab niemanden, der wirklich zu ihr gehörte. Wenn Arrosa und sie doch nur ganz normale Schwestern gewesen wären, die mehr miteinander teilen konnten als Telefonate und vereinzelte gemeinsame Stunden!

„Ich weiß. Aber sobald ich mehr als ein paar Stunden weg bin, fällt es auf. So kurz vor dem Gesetzesbeschluss dürfen keine Gerüchte entstehen. Als ich letztes Jahr die Grippe hatte und ein paar Wochen im Bett lag, haben die Zeitschriften absurde Artikel veröffentlicht. Sie haben behauptet, ich hätte ein Facelifting machen lassen, sei einer Sekte beigetreten und mit einem Soldaten durchgebrannt.“ Arrosa lächelte müde. „Ich weiß, das ist albern und sollte mir egal sein. Aber wenn ich plötzlich verschwinde, stöbert mich irgendwann garantiert ein Journalist auf. Dann stellt er Fragen, wer du bist. Das ist das Letzte, was du brauchst, Clem. Am sichersten ist es für dich, wenn wir nicht zusammen gesehen werden.“

„Falls sie dich wirklich finden. Warum sollten sie dich ausgerechnet hier suchen?“, fragte Clem.

Doch sie wusste nur zu gut, dass Arrosa immer irgendwann erkannt wurde. Seit ihrem achtzehnten Lebensjahr waren die Kameras ständig auf sie gerichtet, und sie war zu einem festen Bestandteil der internationalen Medien geworden.

Immerhin gab es nicht viele schöne, junge und alleinstehende Prinzessinnen. Jeder ihrer Schritte stand unter Beobachtung: was sie aß, welche Kleidung sie trug, mit wem sie sich traf.

Trotzdem hatte niemand in Cornwall je bemerkt, dass das Mädchen, das so oft ihre Ferien bei den Beaumonts verbrachte, die Prinzessin von Asturia war. Noch immer erkundigten sich einige von Clems Freunden und Nachbarn, wie es ihrer Cousine ging. Die Leute sahen nur, womit sie rechneten. Und niemand rechnete damit, eine europäische Prinzessin an einem Strand in Cornwall beim Eisessen zu sehen.

Besorgt musterte Clem ihre Schwester. Wie blass und abgemagert Arrosa wirkte. Offensichtlich brauchte sie einen richtigen Urlaub. Einen Urlaub hier in Cornwalls guter Luft, weit weg von Politik und Diplomatie und Gesetzesentwürfen. Das würde ihr die Zeit und Ruhe geben, zu entscheiden, ob sie wirklich jemanden heiraten wollte, weil er ihr einen Gefallen getan hatte und ihre politischen Ziele teilte. Ob es wirklich das war, was sie wollte.

„Ich könnte an deiner Stelle nach Asturia fliegen“, sagte Clem langsam.

Arrosa lachte schallend, doch als sie Clems ernste Miene sah, verstummte sie.

„Meinst du das im Ernst? Clem, niemand würde dich je für mich halten.“

„Nicht aus der Nähe. Aber hinten im Auto, mit deiner eleganten Frisur, in deiner Kleidung und mit deiner riesigen Sonnenbrille … Warum nicht? Die Leute sehen, womit sie rechnen.“ Mit jede Sekunde gefiel ihr die Idee besser. „Wir haben etwa die gleiche Figur, die gleiche Hautfarbe. Ich bin Schauspielerin und kann deinen Gang nachahmen. Dann könntest du den Sommer hier verbringen, und ich bleibe in Asturia. Ich kann mich gerade oft genug in der Öffentlichkeit blicken lassen, um den Eindruck zu erwecken, dass du schwer mit den Vorbereitungen für den Gesetzesbeschluss beschäftigt bist. Und in Cornwall wird sich niemand etwas dabei denken, wenn du den Sommer hier verbringst. Wir sagen einfach, ich habe eine Rolle irgendwo anders bekommen und du passt auf meine Katze auf. Ich spreche so oft von meiner Cousine, das wird niemand infrage stellen.“

„Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe. Damit kommen wir niemals durch“, war sich Arrosa sicher, aber Clem hörte den Hoffnungsschimmer in ihrer Stimme.

„Wenn du im Palast wohnen würdest oder Dutzende von Dienern hättest, wäre es unmöglich …“

„Aber ich wohne in meinem eigenen Häuschen auf dem Palastgelände“, beendete Arrosa Clems Satz. „Ich bereite meine Mahlzeiten selbst zu. Es kommen zwar Reinigungskräfte zum Putzen, aber nur, wenn ich nicht zu Hause bin. Nur Marie ist regelmäßig bei mir. Henri und sie müssen wir natürlich einweihen, wenn wir mit dem Plan durchkommen wollen. Aber für dich wäre es sehr einsam, Clem. Du musst aufpassen, dass dich kein Dienstmädchen sieht, kein Gärtner, überhaupt kein Personal. Viele Angestellte arbeiten schon seit meiner Kindheit im Palast. Sie würden sofort erkennen, dass ich es nicht bin.“

Einsam. Das war ein Zustand, an den Clem sich in den letzten anderthalb Jahren gewöhnt hatte.

„Ich sorge dafür, dass die Presse sieht, wie Henri mich durch die Gegend fährt. Aber in der Zwischenzeit trage ich meine eigene Kleidung, trage meine Haare wild wie immer und erkunde ganz anonym Asturia. Eigentlich wollte ich schon immer mal dorthin, aber irgendwie habe ich es nie geschafft.“

Clem versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie in Wahrheit immer auf eine Einladung ihres Vaters gehofft hatte. Aber natürlich hatte Zorien immer gesagt, das sei zu riskant.

„Für mich wäre es eine Chance, Zorien kennenzulernen“, betonte sie stattdessen. „Wenn ich bei dir wohne, wird sich niemand fragen, warum er mich besuchen kommt. Alle werden denken, er verbringt Zeit mit dir.“

Hoffentlich hörte man die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht. Clem wusste, dass Zorien in vielerlei Hinsicht auch Arrosa gegenüber ein sehr distanzierter Vater war. Dennoch hatten die beiden wenigstens eine echte Beziehung, nicht nur alle paar Jahre ein kurzes unangenehmes Treffen. Natürlich war sie dankbar für das kleine Cottage und ihren Treuhandfonds. Doch beides würde sie sofort gegen einen richtigen Vater eintauschen.

„Aber was soll ich ohne dich hier machen?“

„Nun, irgendjemand muss Gus füttern.“ Clem nickte zu der schwarzen Katze hinüber, die auf dem Fenstersims saß. „Und du musst natürlich im Meer schwimmen, Strandspaziergänge machen und Scones mit Schlagsahne essen. Du brauchst Zeit für dich, und ich brauche auch dringend einen Tapetenwechsel. Ich schiebe es schon viel zu lange auf, meine eigene Zukunft zu planen. Du würdest mir damit einen Gefallen tun.“

„Natürlich tue ich dir jeden Gefallen.“

„Wir tun uns also gegenseitig einen Gefallen. Wir brauchen beide eine Auszeit von unserem Leben, also warum nicht mal tauschen? Deine Mutter ist zurzeit nicht im Palast, oder?“

Clem wusste, dass Lara Artega nie viel Zeit am Hof verbrachte. Lieber unternahm sie Reisen ins Ausland und repräsentierte ihr Land aus der Ferne.

Arrosa schüttelte den Kopf. „Nein, sie verbringt den Sommer auf Ischia.“

„Dann müssen wir uns keine Sorgen machen.“ Arrosas Mutter wusste zwar von Clem, aber die beiden waren sich nie begegnet. Clem hatte den Verdacht, dass die Königin es dabei belassen wollte. „Es ist deine Entscheidung, Rosy. Was möchtest du lieber? Dich sechs Wochen lang vor Akil und der Presse verstecken und dir so viele Sorgen machen, dass du nur noch ein Schatten deiner selbst bist, oder so viele Scones essen, wie du kannst, und am Strand faulenzen?“

„Die Idee ist vollkommen verrückt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es wirklich funktionieren kann.“ Aber Arrosas Augen funkelten. In diesem Moment wusste Clem, dass ihre Schwester Ja sagen würde.

„Wenn doch etwas schiefgeht, tauschen wir schnell zurück“, setzte sie hinzu.

Arrosa nickte und lachte dann. „Genau. Lass es uns einfach eine Woche lang ausprobieren, dann sehen wir weiter. Danke, Clem. Cornwall ist genau das, was ich jetzt brauche. Und vielleicht tut es dir wirklich gut, Asturia kennenzulernen.“ Sie hob ihr Weinglas in die Luft. „Auf einen Szenenwechsel.“

Sie stießen an. „Auf die vertauschte Prinzessin.“

2. KAPITEL

Mit langen Schritten ging Akil durch den luxuriösen Flur in Richtung des formellen Empfangssaals. Sein eigener Geschmack war schlicht, ganz anders als die Einrichtung seines Familiensitzes. Jedes Möbelstück in dem alten Herrenhaus war unbezahlbar, antik und schrecklich unbequem. Die Bäder bestanden aus vergoldeten Armaturen und sündhaft teurem Marmor. Von jeder Wand blickten Porträts seiner Vorfahren mit missbilligenden Blicken auf ihn herunter.

Bestimmt hätte jeder Einzelne von ihnen etwas zu seinem Dilemma mit Arrosa zu sagen gehabt. Er musste zugeben, die Aussicht, mühelos die Karriereleiter emporzuklettern und plötzlich an der Spitze von Asturia zu stehen, war verlockend. Andererseits hatte er sich selbst eine herausragende Position erarbeitet, und es ging ihm gut. Besser als gut. Mit dreißig Jahren hatte er bereits ein hohes Amt in der Oppositionspartei inne, und noch vor seinem vierzigsten Lebensjahr könnte er es zum Parteivorsitzenden bringen. Ein Jahrzehnt früher als sein Vater.

Aber in Asturia hatte die Königsfamilie immer noch großen Einfluss. Und genau das war der Knackpunkt. Durch eine Heirat mit Arrosa könnte Akil echte Veränderungen im Land bewirken. Sie teilte seine Werte, seine Zukunftsvisionen. Wenn Asturia jemals mehr sein sollte als ein merkwürdiges kleines Land zwischen Frankreich und Spanien, mehr als ein beliebtes Urlaubsziel für Touristen aus aller Welt, dann brauchten sie Veränderungen.

Mehr noch, durch die Heirat würde in den Adern zukünftiger Könige und Königinnen Ortiz-Blut fließen. Wenn sein Vater davon wüsste, würde er ihn drängen, keine Sekunde zu zögern und der Prinzessin einen formellen Heiratsantrag zu machen, bevor sie es sich anders überlegte.

Aber so einfach war es nicht. Akil mochte Arrosa, bewunderte ihre Anmut und Intelligenz, schätzte ihre Schönheit. Doch er kannte sie nicht. Nicht so, wie man eine Frau kennen sollte, die man heiraten wollte.

Natürlich konnte er sowieso nicht einfach aus Liebe heiraten. Die Ehefrau eines Politikers musste bereit sein, Opfer für die Karriere ihres Mannes zu bringen; das hatte seine Mutter am eigenen Leib erfahren. Aber Akil wollte Gemeinsamkeit, Zweisamkeit. Kein Schlachtfeld wie sein eigenes Elternhaus.

Hinter ihm fiel die schwere Tür ins Schloss. Langsam gewöhnten seine Augen sich an die Dunkelheit des Empfangssaals. Dicke Samtvorhänge schirmten die Mittagssonne ab, und einige Lampen tauchten den Raum in Dämmerlicht.

Auf einer Chaiselongue lag seine Mutter. Sie brachte kaum ein Lächeln zustande, als Akil zu ihr ging und einen Kuss auf ihre ausgestreckte Hand hauchte.

„Du siehst deinem Vater wirklich jeden Tag ähnlicher.“

Das war nicht als Kompliment gemeint.

„Mum.“ Er unterdrückte eine Grimasse und setzte sich neben ihr auf einen Hocker. „Du siehst gut aus.“

„Das ist sehr nett von dir, Chéri.“ Ihr schnippischer Tonfall zeigte, dass sie seine Bemerkung ganz und gar nicht nett fand.

Seit Jahren betonte seine Mutter ihre schwache Gesundheit, aber Akil fiel es schwer, ihre Spielchen mitzuspielen. Bei seinem freiwilligen Dienst im Krankenhaus pflegte er Menschen mit echten Krankheiten. Viel zu viele von ihnen bekamen in den überlasteten öffentlichen Krankenhäusern nicht die nötige Behandlung.