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Kinder sind was Wunderbares. Noch schöner ist nur ein Hühnerhof, findet Johann König und holt sich eine Schar aufgeregtes Federvieh ins Haus. Dabei hat er mit drei Kindern ja eigentlich schon genug Arbeit. Vor allem, weil sie während der Seuchenjahre nicht nur gefüttert, gesäubert und befriedet, sondern auch noch unterrichtet werden mussten. Also die Kinder, nicht die Hühner. Hier schreibt er, gewohnt trocken und lakonisch, wie er Lockdown, Hamsterkäufe und Homeschooling überlebte, wie man mit der buckligen Verwandtschaft umgeht, wenn Teile davon zu kruden Corona-Kritikern werden, und warum derartige Krisenjahre innerhalb der Familie immer noch am besten auszuhalten sind - ein Buch über die nervigste und schönste Sache der Welt: la Familia.
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Seitenzahl: 219
Cover
Über das Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
Widmung
Kapitel 1: Ahnung auf der Autobahn
Kapitel 2: Alle gesund mit Katze und Hund
Kapitel 3: Welches Tier passt zu mir?
Kapitel 4: Tierlos in die Abgeschiedenheit
Kapitel 5: Privilegiert, aber nicht relevant
Kapitel 6: Holland in Not
Kapitel 7: Falschbucher-Rabatt
Kapitel 8: Weihnachten ist schön
Kapitel 9: Einsamer Jahreswechsel
Kapitel 10: Eislaufen statt Eis kaufen
Kapitel 11: Digital ist besser
Kapitel 12: In die Daunen gelockt: Lockdown-Kinder
Kapitel 13: Der Weg zum eigenen Huhn
Kapitel 14: Erinnerungen an ganz früher
Kapitel 15: Die Brut überwacht die Brut
Kapitel 16: Erwachen in der Dampfsauna
Kapitel 17: Von Schlüpfern und gespreizten Beinen
Kapitel 18: Hahn oder Henne?
Kapitel 19: Von der Realität eingeholt
Kapitel 20: Sommer in Frankreich, Hühner auch in Frankreich
Kapitel 21: Na, schon geimpft?
Kapitel 22: Alle Auftritte ganz hairvorragend
Kapitel 23: Sohnische Fragen
Kapitel 24: Huhn in Gefahr
Kapitel 25: Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber sie stirbt
Kapitel 26: Querdenker treffen beim Querdenkertreffen
Kapitel 27: Last Christmas
Kapitel 28: Tortur auf Tour
Kapitel 29: Östern in Osterreich
Kapitel 30: Begegnungen in Köln, normale …
Kapitel 31: Poulets et vin et bonne humeur
Danksagung
Über das Buch
Kinder sind was Wunderbares. Noch schöner ist nur ein Hühnerhof, findet Johann König und holt sich eine Schar aufgeregtes Federvieh ins Haus. Dabei hat er mit drei Kindern ja eigentlich schon genug Arbeit. Vor allem, weil sie während der Seuchenjahre nicht nur gefüttert, gesäubert und befriedet, sondern auch noch unterrichtet werden mussten. Also die Kinder, nicht die Hühner. Hier schreibt er, gewohnt trocken und lakonisch, wie er Lockdown, Hamsterkäufe und Homeschooling überlebte, wie man mit der buckligen Verwandtschaft umgeht, wenn Teile davon zu kruden Corona-Kritikern werden, und warum derartige Krisenjahre innerhalb der Familie immer noch am besten auszuhalten sind – ein Buch über die nervigste und schönste Sache der Welt: la Familia.
Über den Autor
Johann König, geboren 1972 in Soest, ist der Poet unter den Komikern. Neben seinen Live-Auftritten ist er regelmäßig in TV-Sendungen zu Gast. Auch kennt man ihn als langjährigen Nachbarn der TV-WG »Zimmer frei«. König wurde bereits mehrfach ausgezeichnet mit u.a. dem Deutschen Comedypreis, Bayerischen Kabarettpreis und dem Publikumspreis »Die Wühlmäuse«. Mit Kinder sind was Wunderbares – das muss man sich nur immer wieder sagen erscheint nun sein drittes Buch.
Johann König
Familie macht glücklich
Mit Illustrationen von Oliver Weiss
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, KölnAutor: Johann König, Kontakt: www.johannkoenig.comMitarbeit: Jana RundeTextredaktion: Ulrike Strerath-Bolz, FriedbergIllustrationen im Innenteil: Oliver WeissCovergestaltung: KURSIV Oliver Forsbach, Melanie KnausCover-Foto: Marcus Müller-SaranTitelillustrationen: © iStockphotoeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-4277-1
luebbe.delesejury.de
Für Theda
Jedes Jahr im Sommer fahre ich mit der Familie, beziehungsweise die Familie mit mir, wobei, ich bin ja Teil der Familie, also fahren wir, wir fünf, zwei Erwachsene und drei Kinder, in unser kleines Ferienhäuschen nach Frankreich. So auch in diesem zweiten Seuchenjahr. Wir waren ungefähr eine halbe Stunde unterwegs, als mir etwas auffiel. Eigentlich war alles wie immer. Aber irgendetwas war doch anders.
Langsam und schleichend machte sich eine außergewöhnliche sinnliche Erfahrung im Wagen breit. Eine Duft-Diffusion von hinten nach vorne. Eine olfaktorische Zuspitzung von nie da gewesener Intensität. Und ich bekam eine Ahnung vom Rest der Fahrt.
Was war los? Ganz einfach: Es roch von Minute zu Minute mehr und mehr nach Hühnerkacke. Ja, richtig gelesen. Nach Hühnerkacke. Wir hatten im Kofferraum des Bullis fünf lebendige Hühner verstaut, um sie mitzunehmen in den vierwöchigen Urlaub am Meer. Ja, herzlichen Glückwunsch! Oder, wie der Franzose sagt: Oh mon Dieu.
»Hühner haben in Frankreich eine ganz besondere Bedeutung«, referierte ich noch beim Packen.
»Wirklich?«
»Ja! Der Hahn ziert das Trikot der französischen Fußball-Nationalmannschaft. Und das Huhn ist den Franzosen heilig. Darum essen sie auch so viele davon. Man sagt dort zum Beispiel: Ich ess nun – ein Bresse-Huhn. Das ist in Frankreich ein geflügeltes Wort. Ein geflügeltes Wort, hahaha.«
Am meisten mögen mich die Kinder, wenn ich darüber Witze mache, dass Hühner gegessen werden. Aber wenn ich dann noch als Einziger schallend über meine eigenen Witze lache, dann kennt die Zuneigung keine Grenzen mehr. Ähnliches Wohlwollen signalisieren auch die Blicke meiner Frau. Sie besitzt das seltene Talent, nur eine Augenbraue hochziehen zu können. Und zwar ohne dass sich sonst irgendetwas im Gesicht verzieht. Dieses Zeichen verrät mir: Mehr davon, du Spacko, und wir kriegen Probleme.
Probleme im Urlaub? Nein, danke. Wobei Urlaub natürlich die komplett falsche Begrifflichkeit für unsere Unternehmung ist. Wenn man mit drei Kindern und fünf Hühnern für vier Wochen in ein Sechzig-Quadratmeter-Häuschen nach Frankreich fährt, dann ist das doch eher ein Umzug. Ja, man könnte sagen: Wir ziehen jedes Jahr für vier Wochen ins Ausland. So ist es richtig. Drei Kinder. Fünf Hühner. Vier Wochen. Interessant. Drei mal fünf mal vier ist genau sechzig. Also die Quadratmeterzahl des Hauses. Ist das Zufall? Egal.
Wir waren nun eine halbe Stunde unterwegs und die Stimmung wurde … sagen wir mal: gesprächiger.
»Boah, das stinkt aber.«
»Wir können ja das Fenster aufmachen.«
»Dann funktioniert die Klimaanlage nicht mehr.«
»Die Fenster bleiben zu.«
»Ja, da müssen wir jetzt durch.«
»Oh, Menno! Das halte ich aber nicht aus.«
»Genau deshalb war ich gegen die Hühner.«
»Und warum isst du dann ihre Eier, Papa?«
»Ja, genau.«
»Weil das immer Arbeit bedeutet.«
»Das Eier-Essen?«
»Das Hühner-Halten natürlich.«
»Aber wir machen doch alles.«
»Ja, jetzt vielleicht noch. Aber wie alt werden die? Sechs Jahre? Sechs Jahre! Glaubt ihr, in sechs, ach, in vier Jahren hat von euch noch einer Bock, sich um die Viecher zu kümmern?«
»Na klar.«
»Was denkst du denn?«
»Außerdem werden die eher zehn Jahre alt, Papa.«
»Ihr habt doch keine Ahnung.«
»Doch. Das stimmt. Zehn Jahre.«
»Ich meine, ihr habt keine Ahnung davon, was die Pubertät mit euch machen wird.«
»Wir werden uns schon kümmern.«
»Da verschieben sich die Interessen.«
»Außerdem haben wir abgestimmt. Ganz demografisch. Das war eindeutig.«
»Demokratisch heißt das. Demo…«
»Vier gegen einen.«
»Jaja.«
»Du hattest keine Chance.«
»Da musst du den Kindern recht geben.«
»Fall du mir jetzt auch noch in den Rücken.«
»Jetzt übertreib mal nicht.«
»Wisst ihr eigentlich, dass wir jetzt in jeden kommenden Schulferien nur zwei Möglichkeiten haben?«
»Wieso nur zwei?«
»Was denn für Möglichkeiten?«
»Entweder, wir finden einen, der sich zu Hause um die Tiere kümmert, oder wir müssen sie mitnehmen.«
»Ja, und?«
»Dann nehmen wir die eben immer mit.«
»Ja! Yippie!«
»Und wenn wir mal irgendwohin fliegen wollen?«
»Wir wollen nicht mehr fliegen. Haben wir doch schon gesagt. Wegen dem Klima.«
»Wegen des Klimas.«
»Genau. Wegen der Umwelt.«
»Aber vielleicht will ich mal irgendwohin fliegen.«
»Wohin denn?«
»Einfach nur ganz weit weg.«
»Und was willst du da machen?«
»Fleisch essen. Von morgens bis abends.«
»Papa will wegfliegen und Fleisch essen.«
»Umweltsau!«
»Eine dritte Möglichkeit gäbe es noch.«
»Was denn, Mama?«
»Na, dass wir in den Ferien die Hühner verleihen.«
»Gute Idee.«
»Nein, blöde Idee. Die Hühnis kommen jetzt immer mit.«
Entnervt gab ich auf. Der Irrsinn hatte gewonnen. Ich saß am Steuer des Tourbusses und starrte nach vorne, während ich mehr und mehr versuchte, durch den Mund zu atmen. Was war hier los? Was taten wir hier? Wie hatte es so weit kommen können? Was war schiefgelaufen in den letzten Jahren, dass wir fünf Stadtmenschen jetzt mit fünf Bauernhoftieren in den Urlaub fuhren? Wo waren wir falsch abgebogen? Wer hatte wo nicht aufgepasst, nicht interveniert? Sich von Gefühlen leiten lassen? Nicht Nein sagen können? Ich wusste es nicht mehr. Was ich aber sehr wohl wusste: Vor vier Jahren, also lange vor der Seuche, war noch alles in bester Ordnung gewesen.
Wir waren eine Bilderbuchfamilie. Voller Harmonie und Verständnis. Die Eltern pädagogisch ohne Fehl und Tadel. Die Kinder völlig normal und unauffällig.
Der damals zehnjährige Sohn zum Beispiel war ein Ausbund an Kreativität und Mutterwitz. Fleißig in der Schule und hilfsbereit im Haushalt. Er redete zwar nicht viel, las dafür aber umso mehr. Allerdings las er ausschließlich Comics. Und wenn er mal sprach, dann sprach er eher in Geräuschen mit uns. In Comic-Geräuschen, auch Inflektive genannt.
Ein Beispiel. Wenn ich ihn höflich fragte: »Kannst du mal bitte deinen Teller in die Küche bringen?«, dann gab’s kein Weglaufen. Kein Augenverdrehen. Kein Mach doch selber, Alter. Nein. Er überlegte kurz. Und sagte dann laut und deutlich: »Argh! Grummel, grummel.«
Und dann nahm er den Teller und redete weiter: »Ächz. Stöhn. Trappel wetz, trappel wetz, trappel wetz. Hechel keuch, hechel keuch. Uff. Puh. Flitz.«
Das war originell. Das war geistreich. Das war einfach sehr, sehr schön. Solange man persönlich nicht dabei war. Und es wirkte gleichzeitig auch ein bisschen ansteckend. Als er mich einmal fragte: »Papa, kann ich bald mal mehr Taschengeld kriegen?«, da schaute ich ihn an und sprach: »Argh! Grummel, grummel. Grübel, grübel. Trappel wetz, trappel wetz, flitz.«
Die Mittlere, damals acht Jahre alt, war ebenfalls schwer in Ordnung. Sie hatte klare Vorstellungen vom Leben und ihre eigenen Methoden, um diese durchzusetzen. Einmal sagte sie sehr bestimmt: »Wenn ich kein Handy kriege, dann ziehe ich zu Ellena!« Sie drohte uns also damit, zu ihrer Freundin zu ziehen, wenn sie kein Mobiltelefon bekommt. Wie cool ist das denn? Eine so starke Verbindung zu einem anderen Kind! Das ist echte Mädchenfreundschaft. Und meine Frau, wie sie so ist, wollte sie darin bestärken. Und sagte kurz und knapp: »Okay, pack deine Sachen, wir haben gerade mit ihren Eltern gesprochen, das geht klar.« Die anschließende Pause und den ungläubigen Blick meiner Tochter werde ich nie vergessen. Herrlich!
Die Jüngste, zum beschriebenen Zeitpunkt vielleicht sechs Jahre alt, wollte eine Zeitlang Prinzessin werden beziehungsweise sich so anziehen. Ich überlegte sofort, was gegen diesen albernen Wunsch helfen könnte. Und nach kurzer Recherche zeigte ich ihr auf meinem Rechner ein Foto vom damals berühmtesten Prinzen der Erde, von Prinz Charles. Und damit war dieses Thema erledigt.
In Erziehungsfragen sind meine Frau und ich schon immer eine Linie gefahren. Zuhören, Verständnis zeigen, auskontern. Auch gut gemeinte Ratschläge aus Elternzeitschriften sahen wir gleichermaßen kritisch. Dort wird zum Beispiel immer wieder empfohlen, dass man Quality Time verbringen soll. Mit dem Kind! So stand es da. Unser Tipp: Verbringen Sie Quality Time mit Ihrem kleinen Schatz. Jetzt mal ganz langsam. Quality Time ist Englisch und bedeutet: Time with Quality. Was wir bei diesem Tipp nicht berücksichtigt sahen, war die Tatsache, dass die Quality der Time durch die Anwesenheit des Childes natürlich per se gemindert wird. Die beste Quality Time haben wir immer noch allein.
Neben den drei Kindern lebte noch eine rothaarige Mieze bei uns, die ich höchstpersönlich vor Jahren als sechs Wochen altes zuckersüßes angebliches Kätzchen aus einer illegalen Zucht befreit hatte beziehungsweise herausgekauft beziehungsweise emotional verführt, für viel Geld teuer bezahlt hatte und die nun ein unförmiger, verfressener Kater namens Hekto-Pascal war. Ein wetterfühliges Tier mit borstigem Fell.
Die eindringlichste und fragwürdigste assoziative Verbindung zwischen den Kindern und der Katze hatte in dieser Zeit meine Frau zu bieten, die einmal sagte: »Wenn ich sehe, wie sich dieser fette Kater mühsam durch die Katzenklappe quetscht … dann muss ich irgendwie immer an die Geburten der Kinder denken.« Schönes Bild.
Dann passierte etwas, was man in unserem Umfeld häufiger beobachten kann: Wenn das letzte Kind mit dem Erreichen des Grundschulalters einen großen Schritt in Richtung Eigenständigkeit getan hat und ein weiteres Kind nicht mehr realistisch erscheint, dann stellt sich bei der Frau im Haus manchmal der Wunsch nach neuartigen Erziehungs-, Versorgungs- und Beschützungsaufgaben ein. So auch bei uns im Haus, wo ich eines Nachmittags hinterrücks von ihr angesprochen wurde.
»Hast du gesehen? Die Frickes haben jetzt einen Hund.«
»Aha.«
»Und? Was denkst du?«
»Selber schuld.«
»Ach komm, der ist doch wirklich süß.«
»Süß? Noch. Warte mal ab, bis der ausgewachsen ist.«
»Der wird nicht so groß.«
»Wer’s glaubt.«
»Kniehoch. Höchstens.«
»Von mir aus.«
»Was hältst du eigentlich von einem Hund?«
»Nichts.«
»Ich meine ganz allgemein.«
»Ich mag Hunde nicht.«
»Auch nicht so kleine?«
»Du meinst so kleine Kläffer wie von der Alten gegenüber?«
»Guck mal hier.«
»Was ist das?«
»Das ist eine Seite für Hundevermittlungen aus dem Ausland.«
»Willst du mir gerade irgendwas sagen? Durch die Blume?«
»Guck dir den mal an. Ist der nicht süß?«
»Süß? Keine Ahnung. Ist halt ein Hund.«
»Die haben mir auch schon einen kleinen Film geschickt. Hier. Guck mal.«
»Was?«
»Hier kann man sehen, wie er sich bewegt. Schau. Wie er läuft.«
»Richtig gut. Läuft einwandfrei geradeaus. Knickt nicht um. Fällt nicht zur Seite.«
»Sehr witzig.«
»Aber sag mal, das heißt, du bist bereits in Kontakt mit denen?«
»Ich habe mir einfach mal ein paar Infos schicken lassen über den.«
»Wie alt ist der denn?«
»Die schätzen den auf sieben Monate.«
»Sieben?«
»Ja, sieben.«
»Du weißt schon, dass das keine gute Zahl ist.«
»Häh?«
»Die sieben Todsünden. Ein Buch mit sieben Siegeln.«
»Häh. Und was ist mit … den sieben Zwergen?«
»Sieben Tore hat die Unterwelt.«
»Sieben Weltwunder.«
»Schlange mit sieben Köpfen.«
»… Gold sieben.«
»Häh?«
»Du spinnst doch. Du willst doch nur ablenken. Guck ihn dir doch mal richtig an. Das ist echt ein Kämpfer. Der stand irgendwann nachts ganz ausgehungert vor den Toren eines Tierheimes in Jassy.«
»Wo ist das?«
»In Rumänien.«
»Ja, und?«
»Verstehst du nicht? Der wusste, hier ist ein Tierheim. Hier kann mir geholfen werden. Ist doch irgendwie ganz schön intelligent, oder?«
»Aber was hab ich damit zu tun?«
»Die könnten den mit dem Flieger rüberschicken.«
»Wieso? Wollen die Frickes noch einen?«
»Du bist doof. Zu uns natürlich. Die Kinder fänden das super.«
»Du hast auch schon mit den Kindern gesprochen?«
»Ja, gestern. Die freuen sich total.«
»Aber … das … was … warum …?«
»Sie sagten, ich sollte schnell mit dir sprechen.«
»Schnell?«
»Na ja, dann könnte er schon in vier Wochen hier sein.«
»Auf gar keinen Fall!«
»Warum denn nicht?«
»Weißt du, was das bedeutet? Ein Hund? Jeden Morgen raus. Jeden Abend raus. Die Scheiße einsammeln. Einen Schlafplatz finden. Du bist ja total verstrahlt.«
»Das haben wir alles schon geklärt. Der schläft einfach …«
»Das ist ja schön für euch, dass ihr das geklärt habt. Aber ich …«
»Schau, du hast deine Katze. Da warst du auch total verstrahlt. Ich war dagegen, und dann hast du abstimmen lassen. Alle Kinder und du waren dafür. Genauso machen wir es jetzt auch.«
»Das habt ihr ja gefickt eingeschädelt.«
»Was haben wir?«
»Das habt ihr ja geschickt eingefädelt, herzlichen Glückwunsch. Aber das eine sage ich euch: Der Hund kommt nur unter einer Bedingung. Und die Bedingung ist, dass ich nie im Leben seine Haufen wegmachen muss. Und wenn du jetzt sagst, das ist gemein, dann sage ich: Tja, c’est la vie, mon chérie.«
»Wenn, dann ma chérie.«
»Häh?«
»Aber das war uns doch klar. Dass das deine Bedingung sein wird.«
»Ach.«
»Na sicher. Wir kennen dich doch jetzt auch schon eine Weile.«
»Soso.«
»Du bist also einverstanden?«
»Ich … kann ich vielleicht noch eine Nacht …«
»Kinder, ihr könnt reinkommen, Papa ist einverstanden.«
»JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!!«
»Papa, du bist der Beste. Wir lieben dich!«
Ja, so war das. Oder so ähnlich. Ich wurde einfach überrumpelt. Mit einer wirklich miesen Taktik. Einer Taktik, die mir irgendwie bekannt vorkam. Zuhören, Verständnis zeigen, auskontern. So fühlt sich das also an. Verstehe.
Ein paar Wochen später war der Hund dann tatsächlich bei uns. Wir holten ihn am Flughafen ab. Denn er kam mit dem Flugzeug. Wie auch sonst? Er war ein … ein Borderline-Collie. Ein Borderline-Collie aus Rumänien. Mit großer Angst vor Männern. Vermutlich hatte er in Rumänien schlechte Erfahrungen mit Männern gesammelt. Die Ereignisse rund um diese Familienerweiterung habe ich damals in einem kleinen Tagebuch notiert. Das Tagebuch heißt:
Das vierte Kind hat Fell
Es ist entschieden. In drei Wochen kommt eine Alliteration zu uns. Ein braun-beiger Bello aus Bukarest. Bingo. Meine Frau betrachtet ihn auf dem Foto: »Schau mal«, sagt sie. »Dann haben wir neben der Katze auch noch ein hübsches Tier.«
Nun steht die Namensfindung an. Meine erste Idee, Elfmeter, wird leider abgelehnt. Schade! Ich fand die Vorstellung sehr reizvoll, dass meine Frau hektisch durch den Park läuft und ruft: Elfmeter! Elfmeter!
Mein Sohn schlägt daraufhin Polizei vor. Endlich ein vernünftiger Vorschlag.
Meine Frau sagt, dann könnten wir ihn ja gleich Hilfe nennen.
Auch gut. Ich stelle mir einen Dialog im Park vor:
»Hilfe, Hilfe!«
»Was ist denn?«
»Ich suche meinen Hund.«
»Wie heißt der denn?«
»Hilfe!«
Wir vertagen die Entscheidung auf den Tag seiner Ankunft.
Hurra, Hurra, der Hund ist da. Er wird der Reihe nach von allen geherzt und reagiert freundlich. Als ich dran bin, macht er eine Ausnahme, duckt sich weg, knurrt, läuft rückwärts und trampelt auf der Katze herum. Hekto-Pascal reagiert angemessen und verbeißt sich in des Hundes Hinterlauf. Der Hund jault auf, will hinterher und bleibt mit der Schnauze in der Katzenklappe hängen. Alle lachen. Weil der Hund von hinten so ähnlich aussieht wie von vorne, fällt uns auch ein passender Name ein: Wir nennen ihn Rektus.
Bin mit dem Hund an der Leine und der Kleinen – ohne Leine – im Garten und versuche, beide liebevoll anzuschauen. Auf einer Mauer sitzt Hekto-Pascal und streckt dem Hund die Zunge raus. Der sieht das und rennt wie geisteskrank auf ihn zu. Die lange Stoffleine, die gerade noch in meiner Hand ruhte, schmirgelt mir dabei die Handinnenfläche so auf, dass es leicht nach Gegrilltem riecht. Ich packe mit beiden Händen fest zu. Die jetzt plötzlich gespannte Leine reißt zunächst der Kleinen die Beine weg, die gerade einen Kakao in sich hineinschütten wollte, und verursacht dann beim Hund eine abrupte Halsbremsung, auf die ein gekonnter Salto rückwärts folgt. Hekto-Pascal fällt vor Lachen die Maus aus der Tatze. Meine Frau kümmert sich sogleich um das Kind, die Mittlere kümmert sich um den Hund, und der Große rennt in den Garten und sagt: »TRAPPEL WETZ, TRAPPEL WETZ, trappel wetz. Hechel keuch, hechel keuch. SCHNUPPER, SCHNUPPER … Häh, grillen wir?«
Bin mit den Kindern und dem Hund im Park. Da setzt der Hund einen beeindruckenden Haufen in die Mitte der Wiese. Ich denke nach. Im Winter mit eiskalten Fingern ist es bestimmt eine Wohltat, die warme Kacke einzusammeln. Aber jetzt … Außerdem haben wir kein Plastiktütchen dabei. Also stecke ich einen großen Stock neben das Machwerk, damit meine Frau es später besser findet und wegmachen kann.
Wir sitzen am Abendbrottisch, und alle sind schwer überdreht. Es wird gekleckert, gekrümelt, gefurzt und gerülpst. Und die Kinder benehmen sich auch nicht besser. Ich stehe auf, trete dabei aus Versehen auf den Hund und schütte vor Schreck ein Glas Kakao um. Während ich den Rotz wieder aufwische, sagt der Große: »SCHRUBB SCHRUBB.« Dann schmiert die Kleine Schokocreme auf meine kahle Stelle am Hinterkopf. »Jetzt hast du da endlich kein komisches Loch mehr, Papa«, sagt sie. Wir schauen uns an. Hassliebe durchströmt meinen Körper. Allerdings ohne Liebe. »Papa, wenn du sauer bist, dann siehst du ein bisschen so aus wie Prinz Charles.« Ich nehme sie liebevoll in den Schwitzkasten und schütte ihr etwas Honig in die Haare. Das anschließende Geheule bringt ihr und meiner Frau eine halbe Stunde Quality Time ein.
Ja, so war das. Oder so ähnlich. Übertreibungen gehören ja eigentlich nicht zu meinem Geschäftsmodell. Aber hier vielleicht schon.
Das Zusammenleben mit Hund und Katze war auf jeden Fall sehr, sehr schön. Es endete aber leider äußerst traurig. Im Dezember 2019 machte sich die Gewissheit breit, dass nicht nur Laktose und Weizen, sondern auch die Tierhaare in der Wohnung ursächlich waren für die großflächigen Allergiesymptome bei einem der Kinder. Die Tiere mussten das Haus verlassen. Hekto-Pascal kam zu meiner Mutter nach Soest, Rektus zu meinem Cousin nach Lippstadt. Dort wussten wir sie gut aufgehoben. Und dennoch tat es sehr weh.
Und nun? Ein Kinderhaushalt ohne Tiere? Geht das denn? Auf jeden Fall, dachte ich. Man muss nur hart bleiben. Natürlich gab es Wünsche der Kinder.
»Der Leon hat Mäuse.«
»Na und?«
»Ich will auch Mäuse.«
»Warum?«
»Mäuse sind cool. Die vergessen nach ungefähr dreißig Minuten, wer zu ihnen gehört, und greifen den dann an. Obwohl es ihr Freund ist. Oder Bruder.«
»Also genau wie bei euch.«
»Sehr witzig.«
Ich informierte mich im Netz über Mäuse und las laut vor: »Mäuseweibchen können sechs- bis achtmal pro Jahr Nachwuchs bekommen. Ein einziges Mäusepärchen kann somit innerhalb eines Jahres mit Kindern, Enkeln und Urenkeln für eintausendzweihundert Nachkommen sorgen.«
»Ja! Dann können wir die Nachkommen verkaufen!«
»Auf gar keinen Fall kommen mir Mäuse ins Haus.«
»Ach, Papa. Dann brauchen wir auch kein Taschengeld mehr.«
»Sag du doch auch mal was.«
»Mäuse sind schon lustig.«
»Was? Lustig? Aber … ihr habt doch mich.«
»Sehr witzig.«
»Ja, Mama will auch Mäuse.«
»Na ja. Oder … was ist denn mit Hamstern?«
»Ach, Mama.«
»Paul hat Hamster.«
»Ja, und?«
»Die wollen die wieder abgeben, weil die den ganzen Tag schlafen. Und wenn man die weckt, dann sind sie müde und sauer. Und dann ist Paul immer nachts aufgestanden und hat mit denen gespielt, und dann war Paul morgens immer müde und sauer.«
»Ach.«
»Och, Menno.«
»Was gibt es denn noch?«
»Kaninchen?«
»Jakob hatte Kaninchen.«
»Ja? Und?«
»Und dann hat eines die Sternguckerkrankheit bekommen.«
»Was ist das?«
»Die Hinterbeine waren plötzlich gelähmt, und dann wurde das Kaninchen taub und blind und ist nur noch wie bescheuert im Kreis rumgelaufen.«
»Und dann?«
»Und dann haben die das eingeschläfert.«
»Oh. Oje.«
»Also lieber keine Kaninchen. Wie wäre es denn mit …«
»Schildkröten!«
»Ja. Babyschildkröten. Noah hat welche.«
»Jaha, und die Mutter hat erzählt, dass seine kleine Schwester mal eine Schildkröte in den Mund genommen hat und dann zwei Tage lang Durchfall hatte.«
»Warum das denn?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Hat die ihr in den Mund gekackt, Mama?«
»Wahrscheinlich.«
»In den Mund gekackt, hahaha.«
»Äh, ich geh mal aufs Rudergerät.«
»Was?«
»Papa geht rudern.«
»Rudern!«
»Rudern. Rudern. FISCHE. Wir können Fische kaufen. Bunte, süße Fischchen …«
Lange Zeit gelang es uns, alle Forderungen nach tierischen Mitbewohnern erfolgreich abzuwehren. Oft mit der Macht des stärkeren Arguments. Noch öfter aber durch eine sture und stumpfe Jaja-wir-gucken-mal-Taktik.
Und dann kam die staatlich angeordnete Isolation. Als im März die Maßnahmen für den ersten bundesweiten Lockdown beschlossen wurden, wussten wir sofort, was zu tun war. Wir packten unsere sieben Sachen und fuhren raus in unser Wochenendhäuschen im Bergischen Land. Es ist ein altes Fachwerkhaus, hat über achtzig Jahre auf dem Dach, zwei Öfen, einfach verglaste Fenster, keine Heizung und viel Wald und Wasser drumherum. Es wurde beim Immobilienanbieter nicht als Schrott-, sondern als besondere Immobilie angepriesen. Und das war es wirklich.
Wir bestellten Feuerholz und Briketts für mehrere Monate und richteten uns ein. Es begann eine Zeit, die ich nie vergessen werde. Morgens wurde als Erstes mit der restlichen Brikettglut ein neues Feuer entfacht, um die alte Butze auf Temperatur zu bringen.
Und dann? Keine Ahnung. Von wegen: eine Zeit, die ich nie vergessen werde. Ich habe fast alles vergessen! Was ich noch weiß: Die drei Säulen unseres späteren Lebens existierten damals noch nicht. Es gab keine Tests. Keine Impfung. Und keinen Online-Unterricht.
Ein Aufleben der Erinnerungen gelingt wieder nur durch alte Tagebucheinträge aus dieser Zeit.
Wir frühstücken. Was um diese Uhrzeit völlig sinnlos ist, wenn alle nachfolgenden Aufgaben wegfallen. Wir sind drei Kinder ohne Schule und zwei Eltern ohne systemrelevante Berufe. Ja, herzlichen Glückwunsch! Warum stehen wir so früh auf? Ich gehe hoffnungsvoll davon aus, dass der schulisch geprägte Biorhythmus unsere Körper bald verlassen wird.
Ein Bekannter schreibt etwas in der WhatsApp-Gruppe: »War gerade im Supermarkt. Der totale Wahnsinn. Alles leergeplündert. Alle voll aggro. Es ist wie im Krieg, sage ich euch.«
Ich schreibe zurück: »Das stimmt. Ich war auch gerade einkaufen. Alles genau wie im Krieg. Zwar ohne Militär und ohne Panzer, ohne Mord und Totschlag, ohne Vertreibung und Vergewaltigung. Aber sonst, da gebe ich dir recht, alles genau wie im Krieg. Guter Vergleich :)«
Es läuft eine Abstimmung darüber, ob ich die WhatsApp-Gruppe verlassen soll. Weil ich »den Ernst der Lage« … »offensichtlich nicht ernst nehme«. Ich überlege, mich bei der Abstimmung zu enthalten.
Die Kinder fragen, ob wir heute ins Schwimmbad gehen. »ÄHHHH, nein«, sage ich. »Das ist strengstens verboten.«
Die Kinder fragen, ob sie auf den Spielplatz können. »ÄHHHH, nein«, sage ich. »Das ist strengstens verboten.«
Die Kinder fragen, ob wir ins Eiscafé gehen. »Ja«, sage ich, »eine sehr gute Idee!«
»Ja? Wirklich? Yippie. Wir gehen Eis essen. Hurra! Papa ist der Beste.«
»Das war ein Scherz, mein Gott!«, schreie ich. »Es ist doch alles geschlossen, hört ihr denn keine Nachrichten? Über was reden wir denn hier seit Wochen, ist doch nicht zu fassen.«
Jemand schreibt in der WhatsApp-Gruppe, dass man in der jetzigen Situation endlich mal wieder Quality Time mit der Familie verbringen kann. Ich schreibe zurück, dass ich vermutlich ein »anderes Verständnis von zeitlicher Qualität« habe. Und erhalte keine Reaktion.
Die Kinder fragen, ob sie was gucken können. Meine Frau sagt: »Ja, klar. Ihr könnt jetzt alle drei zusammen zwei Stunden lang hier … in den Wald gucken.« Ich pruste vor Lachen meinen Kaffee auf den Laptop. »Pass doch auf«, schnauze ich sie an. »Du kannst doch nicht ernsthaft solche Witze machen, während ich hier Kaffee trinke!«
Wir haben uns getrennt. Aber nur räumlich. Ich sitze mit dem Sohn in der Küche, der Rest … interessiert mich nicht. Und sitzt vermutlich im Wohnzimmer.
In der Küche laufen die Radionachrichten. Ich höre mit einem Ohr zu, wie Van Gogh sagen würde. Das Roland-Koch-Institut empfiehlt, so richtig dolle zu Hause zu bleiben für die nächsten Wochen.
»Wer ist eigentlich dieser Roland Koch?«, fragt mein Sohn.
»Nun«, sage ich, »Roland Koch, der war lange in der CDU in Hessen, wurde später von Bundeskanzler Merkel weggemobbt, und jetzt versucht er sich als Virologe mit eigenem Institut.«
»Aha«, sagt der Sohnemann. Und geht.