Far From Me - Marie Kärsting - E-Book

Far From Me E-Book

Marie Kärsting

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Beschreibung

Manchmal braucht man jemand anderen, um zu sich selbst zurückzufinden Für Samantha Ernst ist das Leben Marathon und Sprint zugleich. Studium, Nebenjobs und Familienstreitigkeiten lassen keine Zeit für eigene Wünsche oder Bedürfnisse. Daniel O’Sullivan hat seine Sucht hinter sich gelassen und übernimmt Verantwortung, indem er den Irish Pub seines Onkels leitet. Auf einer Halloweenparty kommt es zu einem heißen Kuss zwischen den beiden, doch Daniel ist ihr Boss und Sam auf den Job als seine Kellnerin angewiesen. Trotzdem können sie sich der Anziehungskraft nicht entziehen, die sie seit Monaten spüren und durch diesen Kuss verhundertfacht wurde. Doch als Daniel von seiner rauen Vergangenheit eingeholt wird und Sams Leben von einem Schicksalsschlag erschüttert wird, haben beide mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Ist ihre Liebe stark genug, um das zu überstehen? Oder gibt es manchmal Menschen, die füreinander bestimmt sind, aber ihre Leben nicht miteinander in Einklang bringen können?

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Copyright © 2023 by Rebel Stories Verlag, 89567 Sontheim

All rights reserved.

Cover: Premade - Neu Vercovert

ISBN: 978-3-910386-12-9 (Taschenbuch)

www.rebel-stories-verlag.com

Für Ivonne und Nadine,

die mir immer wieder zeigen,

was es bedeutet, Schwestern zu haben.

Und selbst eine zu sein.

Inhalt

Playlist

Inhaltswarnung

1. Sam

2. Sam

3. Daniel

4. Daniel

5. Sam

6. Sam

7. Daniel

8. Sam

9. Sam

10. Sam

11. Daniel

12. Daniel

13. Sam

14. Sam

15. Daniel

16. Sam

17. Daniel

18. Sam

19. Sam

20. Daniel

21. Sam

22. Daniel

23. Sam

24. Sam

25. Daniel

26. Sam

27. Sam

28. Daniel

29. Sam

30. Daniel

31. Sam

32. Sam

33. Daniel

34. Sam

35. Sam

36. Daniel

37. Sam

38. Daniel

39. Sam

40. Daniel

41. Sam

42. Daniel

43. Sam

44. Sam

45. Daniel

46. Sam

47. Daniel

48. Sam

49. Daniel

50. Sam

51. Epilog - Sam

Danksagung

Playlist

Songtitel - Interpret

Alright - SupergrassDanger! High Voltage - Electric Sixbar harbor - possum in my roomI Bet You Look Good On The Dancefloor - Arctic MonkeysThe Funeral - Band of HorsesMake Out - Julia NunesStorm - Mighty OaksGold Lion - Yeah Yeah Yeahs22 Grand Job - The RakesS.O.S. (Sawed Off Shotgun) - The Glorious SonsVienna - Billy JoelAnything for Love - The Franklin ElectricIf It Makes You Happy - Sheryl CrowThe Chain - Fleetwood MacWild Eyes - The Glorious SonsSpread Your Love - Black Rebel Motorcycle ClubThe Out - Port CitiesSeaside - The KooksChampagne Supernova - OasisWhat If - ColdplayGimme Shelter - The Rolling Stones

Link zur Playlist auf Spotify: https://bit.ly/3qQHK2D

Inhaltswarnung

Liebe Leserinnen und Leser,

Far From Me ist eine Geschichte mit - Tod, Krankheit, Krankenhausaufenthalt, Verkehrsunfall, Suchterkrankung, Glücksspiel, Panikattacken, Psychotherapie und Bodyshaming. Einige Szenen könnten Trigger für sensible Leser enthalten. Hierbei handelt es sich um fiktionale Elemente, die in einer fiktionalen Geschichte eingebunden sind. Die Schilderungen solcher Situationen bedeutet weder, dass die Autorin diese gutheißt, noch, dass sie sie verharmlost. Wer sich bei der Beschreibung von diesen Schilderungen nicht wohlfühlt, sollte dieses Buch nicht lesen.

Passt auf euch auf!

Eure Marie Kärsting

Eiskalte Finger, eiskalte Nase, eiskalte Ohren. Gestern war die Kälte noch erträglich in Bar Harbor gewesen, doch heute dann dieser Kälteeinbruch. Ich zog an den Ärmeln meines Parkas, damit meine Frostfinger ganz in ihnen verschwinden konnten. Seit zehn Minuten stand ich schon vor meiner Wohnung und wartete darauf, dass Logan endlich auftauchte. In der Zeit hätte ich ganz ohne Hektik einen Kaffee im Warmen trinken können, denn Koffein war mein persönlicher Lebensretter. Egal, wie lange ich in der Nacht noch gelernt hatte, ein frisch gebrühter Kaffee brachte mich durch den anstehenden Uni-Tag. Doch jetzt war es zu spät. Ich ließ den Minutenzeiger auf meiner Armbanduhr nicht aus den Augen. Er musste ja gleich da sein! Mit zusammengebissenen Zähnen atmete ich tief ein. Verspätungen waren inakzeptabel.

Der Wind fuhr mir durch die Haare und ich erschauerte. Vielleicht sollte ich wenigstens schnell noch meinen Wollmantel aus der Wohnung holen? Nach 20 Jahren an der Ostküste sollte ich eigentlich an das wechselhafte Wetter gewöhnt sein, stattdessen stand ich hier an einem Montagmorgen mal wieder völlig unpassend gekleidet. Sweatshirt, zerrissene Jeans, Blazer und ein dünner Parka – kurz gesagt – ein Fehlgriff.

Ein nagelneuer SUV kam angerollt. Die Scheibe wurde runtergefahren und präsentierte mir das Zahnpastawerbelächeln meines besten Freundes.

»Na hübsche Frau?! Suchen Sie eine Mitfahrgelegenheit?«

»Ja, klar, aber mein Dad hat gesagt, ich soll nicht zu Fremden einsteigen!«, gab ich zurück. Ich öffnete die Beifahrertür, lehnte mich in den Innenraum und schmiss meinen Rucksack und meine Aktentasche auf die Rückbank.

»Uuuuund?«, fragte Logan mit lauter Stimme. Er deutete stolz auf das Innere des Autos.

»Bisschen protzig sind die cremefarbenen Ledersitze schon, oder?«, zog ich ihn auf und er lachte sein bellendes Lachen. So konnte nur mein bester Freund lachen. Ich pflanzte mich auf den Sitz, schloss die Tür und schnallte mich zufrieden an.

»Sitzheizung«, stöhnte ich. Mein Rücken drückte sich auf den Sitz und gegen die Rückenlehne.

»Oh ja, dieses Schätzchen hat allen möglichen Schnickschnack. Ich kann Musik über Bluetooth abspielen, ich habe eine Heizung, die dir den Hintern brät, und bevor ich etwas ramme, piepst das Auto äußerst penetrant«, erklärte er mit glänzenden Augen. Mein Blick traf seinen und ich konnte nur grinsen, denn er wirkte so stolz.

Logan fuhr los und tippte nebenbei auf dem Bordcomputer herum. Kopfschüttelnd schlug ich ihm auf die Finger und er legte beide Hände wieder auf das Lenkrad. Seine braunen, etwas zu langen Haare standen in alle Richtungen ab. Natürlich war das so gewollt, denn er nannte es den Surferlook. Logan Andrews ging zwar nie surfen, trotzdem wollte er gern den Anschein erwecken. Mit seinem ausgeprägten Drei-Tage-Bart und seiner Liebe zu Wanderungen in Nationalparks entsprach er dem Typ »Naturbursche«, doch so durfte ich ihn niemals nennen. Außerdem wusste ich genau, dass dieser Look nicht dadurch entstand, dass er sich besonders viel im Wasser aufhielt. Jeden Morgen verbrachte er eine halbe Ewigkeit mit dem Styling seiner Haare, um den inneren Surfer hervorzulocken.

»Also ich finde das Auto jetzt schon klasse. Es ist nämlich ausgesprochen warm hier drin.« Ich rutschte ein bisschen herum, machte es mir so richtig gemütlich. »Wieso hast du mich heute so lange warten lassen?« Bestimmt war sein Haarstyling schuld.

»Sorry Sam, aber Sue hat mich heute zur Weißglut getrieben. Erst wollte sie nicht aufstehen, dann nicht pinkeln und zum Schluss nicht mehr in die Wohnung«, nörgelte er und verzog die vollen Lippen. Das klang nach Kinderbetreuung, dabei handelte es sich lediglich um eine sehr sensible Dobermannhündin in der Pubertät.

»Ich verzeihe dir. Aber nur, weil ich Sue gut verstehen kann. Ich würde an einem Montagmorgen auch nicht gerne von dir um sechs Uhr geweckt werden«, neckte ich ihn. Er verdrehte die Augen und stellte die Musik lauter. Das war seine Problemlösung für alles: Einfach richtig laut The Killers aufdrehen.

»Ich hasse es, wenn du das machst«, schrie ich über die Musik hinweg. Er lachte und ich rollte mit den Augen. Logan begann zu Headbangen und knackte mich damit. Ein Schmunzeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Als er seinen Sieg erkannte, drehte er grinsend die Lautstärke leiser.

»Wie war deine Schicht im O’Sullivan’s gestern? Sorry, dass ich nicht vorbeischauen konnte, aber ich hatte dieses endlose, nervige Familienessen«, entschuldigte er sich. Sein finsterer Blick sprach Bände.

»Ach, alles gut. Ich versteh das«, beruhigte ich ihn. Logan bekam natürlich nicht einfach so ein nagelneues Auto von seinen Eltern. Und auch das Jurastudium bezahlte sich nicht von allein. Für ihn waren diese Annehmlichkeiten mit vielen familiären Verpflichtungen verbunden.

»Gestern war es ziemlich voll. Irgendein Footballspiel wurde übertragen, also musste ich ein Bier nach dem anderen zapfen. Du weißt ja, wie es dann bei uns läuft.«

Logan begriff es sofort und nickte. Wann immer er konnte, besuchte er mich bei meinen Schichten im O’Sullivan’s Brew. An langweiligen Tagen leistete er mir beim Abwischen der Tische Gesellschaft und an stressigen Tagen trank er gemütlich ein Bier und spielte eine Runde Billard mit seinen Jungs. Doch an Footballabenden fluteten die Fans den Pub und je nach Ausgang des Spiels wurden sie unzufrieden. Wenn sie sich dann beschwerten, dass meine Kollegin Patrice und ich zu langsam arbeiteten, sprang Logan spontan ein und half uns aus. Über seine mentale und praktische Unterstützung freute ich mich jedes Mal. Er wusste, wie sehr ich von diesem Kellnerjob abhängig war und stand mir von Anfang an zur Seite.

Vor zwei Jahren war ich noch sehr unsicher und hatte oft Probleme mit den Kunden. Logan half mir aus jeder Patsche und versicherte mir immer, dass ich in den Job reinwachsen werde oder eine Alternative finden würde. Keine Ahnung, woher er diese Zuversicht genommen hatte, doch er hatte recht behalten. Mittlerweile fühlte ich mich wohl mit meiner Rolle als Kellnerin. Nur Daniel, der vor knapp einem Jahr die Geschäftsführung des Pubs übernommen hatte, brachte immer wieder meine Verunsicherung zum Vorschein. Doch das war ein anderes Problem ...

»Erde an Samantha«, dröhnte es von links.

»Hä?« Mit zusammengekniffenen Augen registrierte ich sein schiefes Grinsen.

»Ich hasse es, wenn du das machst«, äffte Logan meine eigene Stimme nach. Nun verdrehte ich die Augen und boxte ihm mit der linken Faust gegen die Schulter.

»Hey, ich fahre!« Demonstrativ rückte er etwas von mir weg. »Aber mal im Ernst, von was hast du wieder geträumt? Oder sollte ich lieber fragen: Von wem?« Am liebsten hätte ich ihm das Grinsen aus dem Gesicht gewischt.

»Haha«, sagte ich trocken, doch rot wurde ich trotzdem. Damit Logan meine Röte nicht entdecken konnte, löste ich meine Haare, die vorher hinter meinem Ohr gesteckt hatten. Wie ein dichter Vorhang verdeckten sie mein Gesicht.

»Aha!«, rief er aus, »Da wird ja jemand rot.«

»Logan, lass es!«, befahl ich ihm. Nun betrat er wirklich dünnes Eis. Ich träumte von niemandem. An jemanden zu denken und von jemandem zu träumen war ein riesiger Unterschied.

»Schon gut.« Er gab vor, sich voll auf den Verkehr zu konzentrieren. Seinen fragenden Blick konnte ich trotzdem spüren.

»Entschuldige, ich hatte eine wirklich kurze Nacht. Ich bin erst um zwei Uhr ins Bett gegangen«, zeigte ich mich versöhnlich, bereute jedoch meine letzten Worte im selben Augenblick.

»Aber du hattest doch schon um zwölf Uhr Feierabend«, hakte er nach.

»Ja, das stimmt. Aber ich musste noch etwas für Mikroökonomik recherchieren«, erklärte ich leise. Klar, es war ein bisschen gelogen. Aber ich musste Logan ja nicht direkt erzählen, dass ich extra im Schneckentempo die Tische abgewischt hatte, um mit meinem Chef möglichst viel Zeit verbringen zu können. Mein Plan war leider nicht aufgegangen, denn er war kurz nach Feierabend in seiner Wohnung über dem Pub verschwunden. Zuhause hatte ich dann tatsächlich über meinen Unterlagen gehangen. Meine Gedanken waren jedoch immer wieder zu Daniel abgedriftet. Ich hatte mir vorgestellt, wie er lässig an der Bar lehnte, über meine Witze lachte ... Egal, das war meine Sache. Mein Problem.

»Und du musstest nach der Arbeit unbedingt noch lernen?«, fragte er ungläubig. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass ich mit einem Elternteil und nicht meinem besten Freund redete.

»Logan, du weißt, wie anspruchsvoll das Studium ist. Du studierst Jura«, erinnerte ich ihn unnötigerweise.

»Echt?«, witzelte er und lächelte mich schief an. Ich streckte ihm die Zunge raus.

»Ich habe halt das Gefühl, dass du mal wieder übertreibst. Sam, das Semester hat gerade angefangen und du machst dir schon wieder total den Stress. Entspann dich etwas, mach Pausen und zwischendurch was Spaßiges«, predigte er mir.

»Ich mach durchaus spaßige Sachen«, verteidigte ich mich eine Spur zu laut.

»Ach ja, und das wäre?«, fragte er skeptisch.

»Vieles.« Ich zählte an der rechten Hand ab.

»Zum Beispiel war ich am Samstag Lebensmittel retten. Das macht mir Spaß. Und Wirtschaftswissenschaften machen mir auch Freude.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

»Okay, und wann hast du das letzte Mal eine Gesichtsmaske gemacht oder ein Buch gelesen, nur aus Spaß und nicht für das Studium?«, bohrte er weiter. Ich hob den Kopf ein Stück und blickte stur aus dem Fenster. Unter die unzähligen grünen Kiefern mischten sich immer wieder vom Herbst gezeichnete Laubbäume. Das Potpourri aus Dunkelgrün, Rot und Braun zog in hohem Tempo an mir vorbei.

»Ach, sei nicht so Sam«, forderte Logan und verpasste mir einen Haken mit seinem Ellenbogen.

Wir waren nicht so spät dran, wie wir vermutet hatten. Dank des Puffers, den wir jeden Morgen für den Fall, dass wir mal länger brauchten, einplanten, kamen wir zwar gehetzt, aber erleichtert auf dem Campus an. Jeden Morgen und jeden Nachmittag mussten wir knapp anderthalb Stunden nach Orono zur University of Maine fahren, deshalb war unsere Planung so wichtig. Genau an solchen Tagen zahlte sie sich aus. Die Wegstrecken allein zu meistern war auf Dauer wirklich belastend, deshalb hatten Logan und ich uns direkt nach einem Monat Studium im ersten Semester zusammengetan. So konnten wir wenigstens die Spritkosten teilen und die ansonsten einsamen Fahrten überbrücken. Organisatorisch war das anfangs eine ziemliche Herausforderung gewesen, denn wir hatten zu unterschiedlichen Zeiten Vorlesungen und Seminare. Doch mittlerweile waren wir ein eingespieltes Team. Wir hatten nun ganz klare Zeiten, an denen wir beide auf dem Campus waren. Während ich in Fächern wie Statistik, Grundlagen des Marketings und Strategische Unternehmensführung ins Schwitzen geriet, besuchte Logan Juraveranstaltungen und langweilte sich zu Tode. Nicht weil das Lernen von Paragraphen ihm leicht fiel, sondern weil er sein Studienfach nicht ausstehen konnte. Er studierte nur Rechtswissenschaften, damit er dem Wunsch seiner Mom nachkommen und später in ihre Kanzlei einsteigen konnte. Wenn es nach ihm ginge, würde er Ernährungswissenschaften studieren und sich nach dem Abschluss eine Stelle als Ernährungsberater bei einer der Schulen aus der Gegend suchen. Mir bereitete es regelmäßig Bauchschmerzen, ihn bei seinem Kampf mit sich selbst zu beobachten. Er sagte zwar immer, dass er sich für das leichte und angenehme Leben im Schutz und Reichtum seiner Eltern entschieden hatte, doch ich war davon überzeugt, dass es ihn nicht glücklich machte. Er redete sich seine Situation durch einen schicken, neuen SUV oder einen sorgenfreien Tag auf dem Segelboot seines Dads schön.

Nachdem wir in einer Seitenstraße geparkt hatten, schnappten wir uns unsere Taschen und liefen eilig zum Campus. Durch Sues morgendliche Launen waren wir zwar nur ein wenig in Verzug, doch ich wollte unter keinen Umständen eine Verspätung riskieren. Zumal ich fest damit rechnete, dass Zola uns noch abfangen würde. In der Ferne konnte ich schon die altehrwürdigen Mauern der Business School erkennen, da hörte ich sie auch schon gut gelaunt und glockenhell rufen: »Da seid ihr ja endlich!«

Logan und ich blieben stehen und schauten uns um. Zola rannte uns mit wehendem knallroten Mantel und in braunen Overkneestiefeln entgegen. Und dabei balancierte sie noch einen Getränkehalter mit drei Bechern in der einen und ein Tablett von Dunkin' Donuts in der anderen Hand.

»Eine Erscheinung, ein Engel«, verkündete Logan begeistert und griff sich gespielt ans Herz.

»Kaffee.« Sofort nahm ich Zola den Getränkehalter aus der Hand.

»Euch auch einen schönen guten Morgen«, flötete sie und zeigte ihr breitestes Lächeln. Ihre vollen Lippen waren passend zum Mantel knallrot geschminkt und ihre Haare trug sie ganz natürlich, sodass sich viele, kleine Löckchen bildeten. An ihrem zierlichen Arm baumelte eine elegante schwarze Ledertasche. Wahrscheinlich von einer bisher unbekannten, doch in ein paar Wochen sehr beliebten Marke. Zola hatte für solche Dinge einfach ein ganz besonderes Gespür.

»Einmal schwarzen Kaffee für Logan«, erklärte sie und gab Logan das energiespendende Heißgetränk. »Für dich, Sam, einen großen Latte«, führte sie fort, »Und für mich selbstverständlich einen Double Caramel Mocca Latte.« Sie nahm sich ihren Becher ebenfalls aus dem Getränkehalter und schlürfte genüsslich an der süßen Kaffeesünde. Einmal hatte Zola mich überredet von ihrem Getränk zu probieren und mir verknotete sich allein bei dem Gedanken an dieses Gesöff der Magen.

»Wie du nur sowas trinken kannst ...« Logan schüttelte den Kopf.

»Na ja, es ist süß und lecker. Ganz wie ich.« Sie zwinkerte mir zu. Logan verdrehte dramatisch die Augen, konnte das Lächeln aber nicht ganz verbergen. Wie immer bewunderte ich meine Freundin für ihre selbstbewusste Art.

»Habt ihr noch einen Moment?«, fragte sie mit Schmollmund und blickte dabei besonders mich an. Der Ruf der Streberin eilte mir auf dem ganzen Campus voraus.

»Klar.« Liebevoll drückte ich ihre zarte, warme Hand. Wir setzten uns auf eine nahe gelegene Bank und nachdem auch die köstlichen Donuts verteilt waren, kam Zola zur Sache.

»Was ist mit Freitag?« Zola wippte mit dem Fuß.

»Was soll mit Freitag sein?«, entgegnete Logan mit vollem Mund. Dafür kassierte er einen kritischen Blick von ihr. »Ähm, es ist Halloween! Wir gehen aus?« Sie sprach die Worte ganz langsam, als wäre Logan nicht ganz bei Sinnen.

»Oh, klar. Das wusste ich.« Er deutete mit seinem angebissenen Donut auf Zola. Sie zog ihre feinen Augenbrauen in die Höhe und machte »Tz«.

»Halloween also ...« Ich blickte auf meine Füße. Eisklumpen. Klar, auch meine Schuhwahl war mies gewesen.

»Nein, nein! Nein!« Zola fuchtelte so wild mit den Armen, dass ein Stück ihres fast verspeisten Donuts auf die Wiese fiel. Einige Tauben gurrten aufgeregt hinter uns, bereit, sich um dieses Festmahl zu zanken. Ich blickte wieder auf und Zolas finsterer Blick traf mich völlig unvorbereitet.

»Ich weiß, was jetzt kommt, Sam, und ich werde das nicht akzeptieren. Egal, ob du mal wieder Essen an Obdachlose verteilst wie die heilige Maria, arbeitest oder Unizeug erledigen musst, du kommst mit.« Ihr Ton ließ keine Widerworte zu. Um den Ernst der Lage zu betonen, tippte sie mit dem Zeigefinger auf meine Brust. Ich wollte gerade antworten, da schritt Logan ein.

»Sam.« Seine Stimme war sanft, nicht anklagend.

Ich stöhnte laut und strich mir, etwas überfordert mit der Situation, die Haare hinters Ohr.

»Jetzt im Ernst und bei allem Respekt gegenüber deinem Ehrgeiz. Das Semester hat vor nicht einmal einem Monat begonnen und ich habe dich kein einziges Mal außerhalb der Uni gesehen.« Zola war jetzt ungewohnt ruhig. Wir befanden uns also auf ernstem Terrain. »Und ich habe dir schon im Auto gesagt, dass eine kleine Auszeit dir bestimmt guttun würde.«

»Es ist ja nicht so, dass ich mit euch keine Zeit verbringen will.« Ich war im Verteidigungsmodus, sodass meine Stimme schrill wurde.

»Das wissen wir«, kam von meinen besten Freunden unisono.

»Ich möchte einfach einen guten Abschluss machen. Ich kann mir kein Wiederholungssemester leisten.« Meine Stimme bebte. Trotz der Kälte bildete sich ein dünner Schweißfilm auf meinem Rücken.

»Du wirst einen guten Abschluss machen.« Wieder war er so überzeugt von meinem Erfolg. Wie konnte er da so sicher sein? Dieses Vertrauen in mich hätte ich auch gerne mal - zumindest für einen Tag.

»Und das in Regelstudienzeit«, verkündete Zola und ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Sie knuffte mich, sodass ich fast meinen Kaffee verschüttete. Für ein paar Sekunden schloss ich die Augen und konzentrierte mich nur auf meinen Atem.

»Also ich könnte ja Donnerstag einfach etwas vorarbeiten, während du in Vertragsrecht sitzt.« Ich dachte laut nach. Logan nickte heftig und bot mir seine Faust an. Ich boxte zaghaft dagegen.

»Jaaaaaa!« Ich konnte gerade noch rechtzeitig mein Getränk in Sicherheit bringen, da lag Zola schon in meinen Armen und quietschte unverständliche Satzfetzen. Logan gab sein bellendes Lachen zum Besten, doch ich konnte nicht in die Freude einstimmen und suchte seinen Blick. Amüsiert beobachtete er Zolas Gefühlsausbruch und trank seinen Kaffee aus.

Völlig vom Tag erschöpft saß ich in meinem alten Honda Civic und blickte durch die Frontscheibe auf den hell erleuchteten Supermarkt. Es war kurz vor acht Uhr und der dunkle Himmel hatte die Sonne bereits vollständig verschluckt. Pechschwarze Nacht. Nicht mehr lange und ich konnte endlich zum Hintereingang des Marktes und die versprochenen Lebensmittel abholen. Der Anruf kam wie geplant heute Mittag, sodass ich meiner wöchentlichen Rettungsroutine nachgehen konnte. Dienstags holte ich hier bei Shaw’s Grocery und donnerstags bei dem großen Supermarkt in Ellsworth die übrig gebliebenen Lebensmittel ab und verteilte sie in den darauffolgenden Tagen an das städtische Obdachlosenheim und manchmal auch an das nahegelegene Frauenhaus. Eine Arbeit, die zwar äußerst zeitintensiv war, mir aber auch unheimlich viel Freude machte. Wenn ich in glückliche Gesichter blicken und dabei auch noch ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung setzen konnte, dann war ich zufrieden. Und Glück nahm ich nie als selbstverständlich an.

Der Parkplatz vor dem Geschäft leerte sich mit jeder Minute. Vereinzelt liefen Personen dick eingepackt in Mäntel und Mützen zu Autos oder brachten ihre Einkaufswagen zurück zur Schlange vor dem Markt. Ich stieg in die Kälte und knallte die Autotür hinter mir zu. Logan wäre ausgeflippt, wenn er das mitbekommen hätte. Doch mein alter Honda war eh schon so in die Jahre gekommen, dass ihm das sicher nichts ausgemacht hatte. Ich biss mir auf die Lippe und ging auf den Supermarkt zu. Der Lieferanteneingang befand sich auf der Rückseite des Gebäudes und ich hasste es so sehr, hinter das Haus zu laufen, denn im Gegensatz zum Kundeneingang, war die Umgebung hier eher spärlich beleuchtet. Noch einmal um die Ecke und da war auch schon die schwarze Metalltür. Mit eisigen Knöcheln klopfte ich an die glatte Oberfläche und trat einen Schritt zurück. Die Tür wurde nicht sofort geöffnet wie sonst. Ich blickte auf meine Armbanduhr und sah, wie der Minutenzeiger auf der zwölf zum Stehen kam. Mit mulmigem Gefühl spähte ich von der einen zur anderen Seite.

»Danger, danger, high voltage, when we touch, when we kiss«, schrie es aus meiner Jackentasche. Hastig zerrte ich mein Handy heraus und blickte auf das Display. Daniel. Oh Gott, es war Daniel. Mein Boss Daniel. Ich riss überrascht die Augen auf und starrte auf die sechs Buchstaben. Aber er hatte mich doch noch nie angerufen. Okay, vielleicht ein- oder zweimal, aber das war schon eine gefühlte Ewigkeit her. Das dritte »Danger, danger« holte mich aus meinem kleinen Schockzustand und ich drückte mit steifen Fingern auf Annehmen.

»Ähm«, machte ich und bemerkte, dass meine Stimme nicht so wollte wie ich. Ich räusperte mich undamenhaft und piepste: »Ja, hallo?«

»Ja, hi Sam«, kam eine tiefe, rauchige Stimme durch die Leitung. Ich hörte, wie im Hintergrund etwas klirrte.

»Oh Gott«, rief Daniel genervt. Stimmen vermischten sich und drangen dumpf durch das Telefon.

»Sorry, einen Moment mal eben.« Ich merkte, wie er mich weglegte. Angespannt lauschte ich. Was wollte er denn von mir? Sollte ich vielleicht doch morgen arbeiten kommen? Das wäre echt niederschmetternd, denn den Mittwoch nutzte ich immer dazu, die gesammelten Lebensmittel zu verteilen und meinen Unistoff aufzuarbeiten. Wenn ich alles gut erledigt hätte, würde ich mir eine Folge Stranger Things oder Friends gönnen. Joggen könnte ich auch mal wieder ...

»Oh Patrice. Was soll das denn?!« Daniel stritt sich also mal wieder mit meiner Kollegin, wahrscheinlich weil sie ein Glas fallen gelassen hatte. Das machte sie nämlich oft. So oft, dass ich mittlerweile das Gefühl hatte, sie machte das extra, um Daniel auf die Palme zu bringen.

»Das ziehe ich dir vom Gehalt ab.« Ich schüttelte über ihre Streitereien den Kopf.

»Oh, Sam, tut mir leid, aber Patrice«, er flüsterte in das Mikrophon, »bringt mich hier echt aus dem Konzept.«

»Ach, kein Ding«, nuschelte ich und nestelte an dem Saum meines Parkas herum.

»Ehrlich gesagt wollte ich dich deshalb auch um etwas bitten ...« Seine Stimme war so rau, dass sich nicht nur durch die Kälte Gänsehaut auf meinen Armen bildete.

»Was gibt’s denn?« Ich versuchte, betont lässig zu klingen, doch selbst in meinen Ohren hörte es sich unheimlich gezwungen an. Mein Herz schlug mir aus unerklärlichen Gründen bis zum Hals.

»Kannst du bitte Freitag aushelfen? Patrice«, wieder flüsterte er den Namen und ich musste schmunzeln, »ist die reinste Katastrophe. Sie bringt die Tische durcheinander, sie vergisst die Bestellungen der Kunden und sie schmeißt ständig Gläser runter.« Ich konnte ihn vor meinem inneren Auge sehen: lässig an der Wand lehnend mit dem Telefon in der Hand. Seine blonden Haare völlig verwuschelt, weil er sich im Fünf-Minutentakt mit der rechten Hand durch die Mähne auf seinem Kopf fuhr. Wenn er den Arm hob, spannte sich sein Shirt im Bereich des Bizeps besonders stark und seine Tätowierungen begannen zu tanzen. Was würde ich zuerst berühren? Seine weichen Haare oder seine harten Muskeln? Vielleicht würde ich auch endlich die Gelegenheit bekommen seine Motive aus der Nähe zu betrachten ... Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke und Hitze stieg in meine Wangen.

»Freitag ist Halloween«, hauchte ich und kam mir dabei völlig daneben vor. Ich rollte mit den Augen und schlug mir die flache Hand vor die Stirn. Was war bloß los mit mir?

»Ja, genau! Das ist ja das Problem. Ich brauche dich.« Das Blut schoss in meinen Kopf.

»Also, eigentlich wollte ich Freitag ausgehen«, murmelte ich. Meine sozialen Fähigkeiten - ein Trauerspiel.

»Oh. Äh, ja klar, das hab ich mir schon gedacht ... Du bist jung und studierst und sowas ... Klar, da geht man auf Partys ...« Seine Worte überschlugen sich beinahe. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich darauf erwidern sollte, deshalb wartete ich einfach und trat von einem Bein aufs andere. Es war so verflucht kalt und dunkel hier.

»Und was ist, wenn du einfach deine Freunde mit ins O’Sullivan’s bringst? Ihr könntet ein paar Getränke aufs Haus trinken. Also du nicht, du musst nüchtern bleiben. Aber die anderen ... Ich weiß ja nicht, mit wem du kommen würdest, wahrscheinlich mit Logan oder? Auf jeden Fall müsstest du erst um 20 Uhr arbeiten und ...«

»Ist okay, Daniel«, unterbrach ich ihn. »Ich bin Freitag um acht da«, versicherte ich ihm schnell. Nicht, dass er weitere Pläne schmiedete und Eventualitäten durchging. Das war nämlich typisch Daniel, ständig im Planungsmodus.

Am anderen Ende des Telefons stieß er ein »Puuh« aus, fast so, als hätte ich ihn vor einem Ungeschick bewahrt. Sein Lachen folgte unverzüglich und ließ meine Haut kribbeln.

»Du bist der Hammer, Sam«, raunte er und mein Herz schlug so heftig, dass ich es im Hals spüren konnte. Die Kälte war vergessen und Hitze breitete sich in meiner Brust aus.

»Miss Ernst?« Eine Stimme erklang hinter mir. Erschrocken wirbelte ich herum und sah, dass die Metalltür geöffnet war. Mr. Shaws runzeliges Gesicht war zu einer fragenden Miene verzogen.

»Ich muss auflegen.«

»Wir sehen uns dann Freitag?«, hakte er noch einmal nach.

»Äh, klar«, rief ich etwas zu laut, lachte völlig übertrieben und ging einen Schritt auf Mr. Shaw zu. Um meine Nervosität nicht erklären zu müssen, legte ich ohne ein weiteres Wort auf. Mit unangenehmen Situationen umzugehen, hatte ich in meinem Leben noch nicht gelernt.

»Es kann losgehen.« Müde lächelte ich Mr. Shaw an und packte das Handy weg.

Nachdem ich die unfassbar riesige Menge an Obst, Gemüse und Backwaren zuerst mit Hilfe des Supermarktinhabers zum Auto getragen und dann komplett allein das ganze Zeug für die morgige Verteilung im dunklen Hinterhof sortiert und verpackt hatte, lag ich nun restlos ausgepowert auf meinem großen Bett in meinem Ein-Zimmer-Apartment. Ich rollte mich von der rechten Seite auf die linke und sah zum Schreibtisch hinüber. Beim Anblick des Chaos rümpfte ich die Nase. Skripte, die ich noch ordnen und ergänzen musste, Matheaufgaben, die ich gestern bis spät in der Nacht noch bearbeitet hatte. Das dritte Semester in Betriebswirtschaftslehre hatte es echt in sich. Mein Blick wanderte von meinem Schreibtisch zu der riesigen Monstera, die ich von meiner Mom geerbt hatte. Immer wenn ich diese Pflanze ansah, war ich froh und traurig zugleich. Froh, dass ich sie bisher nicht umgebracht hatte, denn das hätte ich mir niemals verzeihen können. Und traurig, weil sie das Einzige war, was mir neben ein paar Bildern von meiner Mom geblieben war. Meine Mom hatte einen grünen Daumen gehabt und diese Monstera umsorgt wie ein drittes Kind. So lebte ich nun mit der Monstera allein in Bar Harbor. Meine Schwester war mit meiner Nichte Emilia und meinem Neffen Matteo nach Orono gezogen. Luise konnte hier, wo Mom gestorben war, nicht mehr leben. Und ich konnte diesen Ort einfach nicht verlassen, denn in Bar Harbor fühlte ich mich ihr noch immer nah.

Heute war kein Tag, an dem ich mich der Trauer hingeben wollte, deshalb stand ich auf und nahm mein Handy vom Schreibtisch. Zeit, mich unbeliebt zu machen. Ich rief den Chat mit Zola und Logan auf und begann zu tippen:

Ich: »Leute, schlechte Nachrichten :( Ich muss Freitag spontan auf der Arbeit einspringen.«

Zola: »Waaaaaaas?«

Ich: »Ja, tut mir echt leid. Ich hatte mich jetzt doch auf unser Date gefreut, aber was soll ich machen? Wenn Daniel mir eine Extra-Schicht anbietet, kann ich schlecht Nein sagen.«

Logan: »Egal, was Daniel dir anbietet, bei ihm kannst du nie Nein sagen ;)«

Zola: »:D«

Ich: »Leck mich, Logan«

Logan: »Ach, sei doch nicht so.«

Zola: »Und was machen wir jetzt? Bis wann musst du denn arbeiten?«

Ich: »Ende offen, schätze ich mal.«

Zola: »Na super ...«

Logan: »Wir können doch auch ins O’Sullivan gehen!«

Zola: »Aber dann kann ich ja nichts trinken, ich muss ja auch wieder irgendwie nach Hause kommen -.-«

Ich: »Du kannst bei mir schlafen, das ist kein Problem.«

Logan: »Oder bei mir ;)«

Zola: »...«

Ich: »???«

Zola: »Logan!«

Logan: »War doch nur ein Spaß!«

Ich: »Also kommt ihr mich auf der Arbeit besuchen?«

Logan: »Klaro«

Zola: »Si Si«

Ich: »Ich bin ab 20h da, aber ihr könnt ja auch später kommen.«

Zola: »Über die Uhrzeit können wir Donnerstag in der Uni sprechen, oder?«

Ich: »OK, ich freue mich schon.«

Ich legte das Handy weg, nahm mir meinen Ordner für Mikroökonomik und fing an, das Skript einzusortieren. Meistens arbeitete ich vorbildlich an meinem Schreibtisch, doch heute zog ich den kuscheligen Schaukelstuhl vor. Das ein oder andere Kilo purzelte von meinen Schultern, denn ich war froh, dass ich Logan und Zola Bescheid gegeben hatte und die beiden so entspannt reagiert hatten. Ich wollte sie wirklich nicht verletzen, indem ich sie ständig vertröstete. Das tat ich oft genug, dabei waren die beiden immer für mich da und hatten mich in den letzten zwei Jahren aus so manchem Tief herausgeholt. Besonders nach dem Tod meiner Mom und dem Zusammenbruch meines Dads waren sie an meiner Seite gewesen und hatten mich aufgefangen, als niemand anderes es tun konnte ... Oder wollte.

Mittlerweile war Normalität in mein Leben zurückgekehrt. Na ja, zumindest so viel Normalität, wie es nach dem Tod der eigenen Mom geben konnte. Sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten und ihren Verfall aus der ersten Reihe zu beobachten war hart und kräftezehrend gewesen. Und auch die Trauer meines Dads hatte Spuren bei mir hinterlassen. Nun war ich froh, dass ich hier diesen kleinen Rückzugsort für mich hatte und meinem Studium nachgehen konnte. Auch wenn mein Terminplan meistens zum Bersten gefüllt war, hatte ich alles unter Kontrolle und das gab mir Sicherheit. Es gab nichts Besseres als einen Plan und ein Ziel vor Augen zu haben.

Der Schweiß rann mir den Rücken hinunter und einige Tropfen sammelten sich auf meiner Stirn. Meine Kondition war normalerweise sehr gut, doch heute fiel mir das Laufen schwer. Ich lief nun schon eine ganze Weile die West Street entlang und das Meer blitzte immer wieder zwischen den bunten Häusern hervor. Gerade ging die Sonne in wunderschönen Orangetönen auf. Bar Harbor war zu dieser Tageszeit wirklich friedlich. Die Pendler waren bereits unterwegs und der morgendliche Verkehr hatte sich dadurch in die äußeren Bereiche verlagert. Dieser Stadtteil wirkte wohlhabend mit seinen schönen Bauten, die an kleine Villen erinnerten, und den großen, idyllischen Vorgärten. Doch der prägnante Fischgeruch ließ jeden wissen, dass der Hafen nahe war. Die Gegensätze der Stadt faszinierten mich immer wieder aufs Neue.

Mein Atem wurde immer heftiger und meine Beine schwerer. Mrs. Gladys, eine sehr große, ältere Dame mit feuerroten Haaren kam mir entgegen. Sie führte ihren kleinen Dackel spazieren, beziehungsweise führte der Kleine wohl eher Mrs. Gladys spazieren. Er zog an der Leine wie ein Teufel, die Nase die ganze Zeit auf dem Boden. Wahrscheinlich dibberte er nach einem Tier oder er wollte seine gutmütige, geduldige Besitzerin einfach etwas ärgern.

»Guten Morgen, Mrs. Gladys«, grüßte ich völlig außer Atem und war auch schon an ihr vorbei.

»Guten Morgen, Daniel«, rief sie mir hinterher. Ich hob die Hand und lief weiter. Immer weiter. Mittlerweile konnte ich schon den Hafen vor mir sehen, es war also nicht mehr weit bis zum Brew’s. Ich kam an der Kunstschule, dem Fischrestaurant und dem Jachtclub vorbei und sah nun endlich das erstaunlich türkise Meer in seiner vollen, glitzernden Schönheit. Hastig wischte ich mir mit den Händen über das Gesicht, damit ich einen klareren Blick auf den Ozean hatte. Der nun aufziehende Wind peitschte mir durch das Haar und ich genoss die Abkühlung. Ein paar Boote und Jachten waren auf dem Wasser, doch keine Segelboote. Das war für Bar Harbor eher ungewöhnlich. Besonders in den warmen Monaten wimmelte es hier von Wassersportlern, Seglern und Touristen, die im Brew’s immer gern gesehene Kundschaft waren. In den letzten Jahren hatte die Stadt einen regelrechten Aufschwung erfahren und an den Wochenenden oder Feiertagen war der Pub immer gut gefüllt.

Hinten rechts an der Kreuzung konnte ich schon den Laden erkennen. Seine schwarze Holzvertäfelung hob sich deutlich von den restlichen, überwiegend hell verkleideten Häusern ab. Der rustikale Charme passte jedoch gut zu dem Irish Pub, auch wenn ich eine Renovierung mit ein paar modernen Elementen plante. Genaue Vorstellungen hatte ich dazu allerdings noch nicht, denn Kian, mein Onkel und der eigentliche Besitzer des Brew’s, würde bei solch einem Vorhaben einen Aufstand proben. Und wenn es etwas gab, auf dass ich gar keine Lust hatte, war es mit dem alten Mann zu streiten.

Meine Brust hob und senkte sich im Sekundentakt. Ich holte noch meine allerletzten Kraftreserven hervor und setzte zu einem Sprint an. Meine Waden sträubten sich und das Blut in ihnen kochte. Und dann blieb ich abrupt stehen ...

Da stand ein Lieferwagen vor dem Laden. Was war denn da zum Teufel los? Ich blickte auf die Uhr und kniff die Augen zusammen. Sie brannten wegen des Schweißes und des Windes so sehr, dass ich kurzzeitig nichts mehr sah. Neun Uhr morgens an einem Mittwoch hatten wir noch nie eine Lieferung erhalten. Verdutzt stützte ich mich mit meinen Händen auf den Knien ab und blickte zum Pub. Nach einigen Sekunden erkannte ich zwei Männer, die vor dem Laden standen, einer davon wild gestikulierend, der andere auf einen Stock gestützt.

»Verdammte Kacke«, stieß ich aus und lief wieder los. Diese unverhoffte Pause hatte meinem Körper nicht gutgetan. Ich ächzte wie ein alter Mann und kam nur im Schneckentempo voran.

»Daniel«, krächzte Kian von Weitem und zeigte mit seinem Stock auf den Lieferwagen. Als ob ich diesen nicht schon selbst entdeckt hätte. Ich kam bei den beiden Männern an und stemmte die Hände in die Hüften. Super, jetzt hatte ich auch noch Seitenstiche wie ein Anfänger.

»Guten Morgen! Was ist denn hier los?« Ich sprach gepresst, denn mein Atem war ganz flach. Abwechselnd sah ich meinen Onkel und den Mann, der vermutlich der Fahrer des Lieferwagens war, an. Aus dem Augenwinkel registrierte ich das Logo des Wagens und wusste sofort, dass der Kerl Spirituosen abladen wollte. Komisch ...

»Das kann ich dir sagen, Junge«, zeterte Kian. Er schlug sogar mit dem Stock auf den Boden.

»Das hier ist die Schnapslieferung und du warst nicht wie versprochen um halb neun da«, endete er atemlos. Nicht wie ich durch das Joggen, sondern weil er schwer herzkrank war. Deshalb benötigte er zum Gehen auch dieses Ding aus Massivholz. Ein Rollator wäre zwar die praktischere Option, doch er war ja "kein alter Mann, der so einen Quatsch braucht". Und das sagte er mir ständig in seinem unverwechselbaren irischen Akzent. Von Alter konnte man auch nicht sprechen, denn mit 61 Jahren ging es zumindest meinem Dad, Kians Zwilling, in Irland fabelhaft. Meine Mom erzählte mir bei jeder Gelegenheit, wie weit sie gemeinsam am Wochenende gewandert waren. Onkel Kian hatte jedoch vor knapp einem Jahr einen so schweren Herzinfarkt erlitten, dass er nun nicht mehr leistungsfähig war. Eine schlimme Sache für die ganze Familie, aber immerhin war Kian am Leben. Es hätte auch völlig anders enden können.

»Okay, aber ich habe keinen Schnaps bestellt, Onkel.« Ich versuchte, ruhig zu bleiben, doch mein rechtes Auge begann bereits zu zucken. Kian sollte sich nicht so aufregen, das betonten die Ärzte bei jeder Gelegenheit.

»Ja, Junge, aber ich habe Schnaps bestellt.« Er schaute mich mit gerunzelter Stirn an. Offenbar war er der Meinung, dass ich den Verstand verloren hatte. Vielleicht lag er da richtig ...

»Kian, du kannst doch nicht einfach irgendwelchen Schnaps fürs Brew’s bestellen. Ich habe ein System. Das Spirituosenlager ist voll«, entgegnete ich, bemüht nicht zu laut zu werden. Vergebens versuchte ich, mein zuckendes Augenlid zu entspannen. Der Fahrer des Lieferwagens blickte zwischen uns hin und her, als würde er ein Pingpong-Match beobachten. Ich bemerkte die Ader an Kians Stirn, die gefährlich stark pulsierte. Na super.

»Jetzt hör mir mal zu, Daniel. Das hier«, er deutete mit einem Schwung hinter sich, der ihn fast von den Beinen riss, »ist mein Pub.«

»Ja, aber ...«, setzte ich an, aber sein Blick ließ mich verstummen.

»Seit 23 Jahren führe ich dieses Geschäft. Und zwar genau so, wie dein Großvater es bereits getan hat. Ich weiß, wann wir Schnaps bestellen müssen und wann nicht. Das kannst du mir aber glauben.« Sein Gesicht war mittlerweile blutrot und er stützte sich schwerfällig auf den Stock.

»Onkel, ich weiß, aber ...« Er kam einen Schritt auf mich zu und drückte mir den Zeigefinger in die Brust.

»Aber nix da! Diese Lieferung war überfällig. Ich war gestern Abend selbst im Lager und alles war leer. Alles.« Musste diese Diskussion über meine Lagerhaltungsfähigkeiten auf offener Straße vor einem fremden Typen geschehen?

»Das nennt man moderne Lagerhaltung. Es ist unmöglich, immer alles vorrätig zu haben. Aber was rede ich hier? Das haben wir jetzt schon mehrfach durchgekaut und ich diskutiere geschäftliche Dinge nicht auf der Straße«, beendete ich, mindestens genauso laut, meine Predigt. Mein Onkel riss die Augen auf. Offensichtlich hatte er nicht mit dieser heftigen Widerrede gerechnet.

»Tut mir leid, Onkel, aber können wir später noch einmal in Ruhe darüber sprechen? Ich muss dringend duschen und dann die Küche vorbereiten.« Der Schweiß wurde langsam kalt auf meiner Haut und ich fing an zu zittern. Ich wollte mich nicht schon wieder mit diesem sturen Esel streiten. Schon gar nicht, wenn er sich so aufregte. Kian bemühte sich zwar, den Anschein zu erwecken, dass er fit war und im Alltag keine Probleme hatte, doch er hatte selbst eingesehen, dass er in diesem Zustand keinen Irish Pub leiten konnte. So war ich dann zu der zweifelhaften Ehre gekommen, sein Geschäft zu übernehmen. In Wirklichkeit war er anfälliger und schwächer durch den Herzinfarkt. Sein Kämpferherz schlug zwar weiterhin, aber nicht mehr in dem Takt von vor einem Jahr.

»Okay.« Kian hob das Kinn und schnaubte. Erst jetzt realisierte ich, dass er lediglich in Pantoffeln und Schlafhose gekleidet war. Er hatte sich seinen schweren braunen Wollmantel über den Karoschlafanzug gezogen und die roten Haare standen wirr von seinem massiven Schädel ab.

»Und bitte, Onkel, zieh dir doch was an.« Ich legte Daumen und Zeigefinger an meine Nasenwurzel und massierte die Stelle. Das hier bereitete mir wirklich Kopfschmerzen.

»Ja ja, noch eine Lungenentzündung und ich geh hops«, äffte er mich nach. Ich rollte mit den Augen und blickte danach in den Himmel. Es hätte ein schöner, friedlicher Morgen sein können.

Kian humpelte mit seinem Stock davon, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, und steuerte offensichtlich den Hafen an. Seit ich vor einem Jahr in die Wohnung über den Pub gezogen war, weil Kian die vielen Stufen nicht mehr laufen konnte, lebte er in einem kleinen Cottage zwei Straßen entfernt vom Brew’s. Doch er verließ die Wohnung, so oft es nur ging, denn er hasste es dort. Das hatte er mir nicht nur einmal im Streit vorgeworfen. Ein morgendlicher Spaziergang im Schlafanzug, warum auch nicht ...

Ich drehte mich kopfschüttelnd um und kramte in der Tasche meines Kapuzenpullovers nach den Schlüsseln für die Eingangstür. Gerade als ich im Begriff war, die Tür aufzuschließen und einzutreten, kam von hinten ein zögerliches »Entschuldigung?«. Ich schaute über meine Schulter und traf auf den gequälten Blick des Lieferanten.

»Oh«, machte ich und ließ die Tür offenstehen. »Wie gesagt, ich habe die Getränke nicht bestellt!« Trotz der Kälte und meiner strapazierten Nerven schenkte ich dem Typ ein Lächeln. Er konnte ja schließlich nichts für meine Familienstreitigkeiten.

»Das habe ich mitbekommen, Mr. O’Sullivan, aber es wurde definitiv für Ihre Gaststätte bestellt und ich habe die Anweisung hier abzuliefern«, stammelte er und zuckte immer wieder mit den Schultern.

»Also, können Sie die Sachen nicht einfach mit zurücknehmen? Wie gesagt, das war ein Missverständnis, ich brauche momentan keine Getränke.« Meine Freundlichkeit bröckelte allmählich.

Der Lieferant erwiderte nichts.

»Wenn ich wieder Bedarf habe, werde ich mich selbstverständlich an Sie und Ihr Unternehmen wenden«, versicherte ich ihm, in der Hoffnung ihn so loszuwerden.

»Tut mir leid, aber bestellt ist bestellt. Ich habe hier eine ganze Palette für Sie und die muss ich jetzt auch loswerden, denn der nächste Kunde wartet.« Der schlaksige Mann band sich die langen schwarzen Haare zu einem Knoten zusammen. Mir sank das Herz eine Etage tiefer. Eine ganze Palette? Wie sollte ich das bloß bezahlen?

»Klasse ...« Ich beobachtete wie er die Hebebühne herunterfuhr. Innerhalb von fünf Minuten stand eine ganze Palette mit Schnaps vor mir. Ich rieb mir die Stirn und zog mein Mobiltelefon aus der Tasche.

»Falls es Ihnen hilft, kann ich meinen Chef ja bitten, das Zahlungsziel zu verlängern. Dann wäre die Ware nicht sofort fällig und Sie könnten die Lieferung erst in ein oder zwei Wochen bezahlen.« Er stieg in seinen Wagen, startete den Motor und ließ sein Fenster herunter.

»Das wäre großartig.« Ich atmete tief ein und presste die Luft durch die halb geschlossenen Lippen hinaus. Bemüht freundlich zu wirken, lächelte ich den Fahrer an, doch dieser blickte auf das Lenkrad und schluckte schwer. Vielleicht wirkte ich mit meinem Lächeln auch eher wie ein Psychopath, denn der Fahrer setzte blind zurück und fuhr rasant los ...

»Gute Fahrt noch.« Ich schüttelte den Kopf und ging mit großen Schritten zur Tür zurück. Zähneknirschend wählte ich Logans Nummer und hielt mir das Handy ans Ohr.

»Danke für deine Hilfe.« Logan klopfte mir auf die Schulter und grinste breit.

»Gar kein Problem, Bro.« Mit einem gezielten Tritt schloss er die Tür des Lagerraums.

»Wenn es nicht erst morgens wäre, würde ich dir ja ein Bier anbieten.«

»Ach, ich muss ja gleich noch zur Uni fahren, lass mal lieber.« Er schmunzelte.

»Dann vielleicht `ne Cola?« Ich zog die Schultern hoch und breitete die Arme aus.

»Klar, gerne.«

Wir gingen durch den düsteren Flur und dann die massive Holztreppe hinauf. Unten im Keller lagerten die Getränke, die wir soeben verräumt hatten, Vorräte, aber auch Dekomaterial und Stühle. Oben angekommen gingen wir nicht wie sonst geradeaus in den Hauptraum des Pubs, sondern nach rechts in die Küche. Dort öffnete ich einen der beiden riesigen Kühlschränke und holte zwei Dosen Cola heraus. Er nickte mir dankbar zu, als ich ihm eine davon reichte, und öffnete sie mit einem erfrischenden »Tzzz«.

»Und du musst gleich noch in die Vorlesung?« Da wir beide gerade nichts zu tun hatten, lag eine merkwürdige Stille zwischen uns. Logan und ich waren nicht beste Freunde, aber wir verstanden uns gut. In unserer Kindheit hatten wir viel Kontakt gehabt, doch in den letzten Jahren war dieser eingeschlafen. Das lag natürlich größtenteils daran, dass ich für das Journalismusstudium nach New York City gezogen war. Und auch schon in der High School hatten wir selten miteinander zu tun gehabt. Logan war immerhin vier Jahre jünger.

»Ja, genau. Strafrecht.« Sein Seufzen und Augenrollen machte deutlich, dass er nicht begeistert war. »So mit Mord und Totschlag und allem«, witzelte er und zwinkerte mir zu. Ich musste grinsen, denn ich wusste, dass Logan sein Jurastudium eigentlich verabscheute. Er war halt eben ein Strahlemann.

»Klingt eigentlich ganz interessant.« Als Journalismusstudent hatte ich es geliebt, über Verbrechen zu erfahren. Es war mir beinahe unangenehm, wie sehr mich True Crime und Cold Cases faszinierten. Natürlich nicht das Leid der Menschen, sondern viel mehr die Ermittlungen und Verdächtigungen ließen mich mutmaßen und recherchieren. Und natürlich auch die Berichterstattung, die oft bei solchen Fällen vernachlässigt wurde.

»Total.« Ich kaufte es ihm nicht ab.

»Und du fährst dann vorher Sam abholen?«, nuschelte ich in meine Cola. Logan stieß ein Lachen hervor und schaute mich wissend an. Ich mied seinen Blick und drehte mich um. Diese Anrichte war zwar blitzblank sauber, trotzdem nahm ich einen Lappen von der Spüle und fing an, die Oberfläche zu putzen.

»Nee ...«

Ich tat weiterhin beschäftigt, besonders weil ich mir sicher war, dass er hinter meinem Rücken breit grinste.

»Oh, ach so ...« Ich gab vor, dass es mich überhaupt nicht interessierte. Tat es ja auch gar nicht.

»Warum fragst du? Vermisst du sie?«

Ich wirbelte herum. »Was? Warum sollte ich sie vermissen?«

Logan tat nun ganz unschuldig und erklärte: »Na ja, weil sie, soweit ich weiß, heute nicht arbeiten muss. Somit siehst du sie ja erst am Freitag, oder?«

»Ja, ja, sie hat heute frei.« Ich fuhr mit der Hand durch meine Haare.

»Und ich dachte, du hast sie gerne bei dir?«

Meine Augen wurden groß. Ganz automatisch schoss meine Hand in meinen Nacken. Kian hatte mal gesagt, dass ich das immer tat, wenn ich nervös war. Diese Situation war das beste Beispiel, dass sich der alte Esel irrte. Oder auch nicht? Was war bloß los mit mir?

Als Logan merkte, dass er mich vollends aus dem Konzept gebracht hatte, fuhr er fort: »Weil sie doch deine beste Kellnerin ist, oder?«

Dieser Saukerl machte sich über mich lustig.

»Genau, deshalb bin ich froh, wenn Sam hier im Brew’s ist. Sie ist eine gute Kellnerin und deshalb freue ich mich immer, sie zu sehen.« Obwohl ich mich bemühte lässig zu klingen, war meine Stimme heiser und atemlos. Mit akribischer Genauigkeit wischte ich die Theken sauber. Logan lachte laut auf und klopfte mir auf die Schulter.

»Wer ist eine gute Kellnerin?« Ein glockenheller Singsang ertönte aus dem Barraum. Ich zuckte zusammen und verzog das Gesicht zu einem gequälten Lächeln.

»Patrice ...« Kurz schloss ich die Augen. Beim Öffnen erschien auch schon ihr rundes, makelloses Gesicht in der Durchreiche.

»Hi, Patrice.« Ihr gegenüber war Logan äußerst freundlich, doch er bedachte mich mit einem heimlichen, hämischen Blick.

---ENDE DER LESEPROBE---