Nevada Highways 1: Promise of Redemption - Marie Kärsting - E-Book

Nevada Highways 1: Promise of Redemption E-Book

Marie Kärsting

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Beschreibung

**Er verkörpert alles, was sie hinter sich lassen wollte. Doch sie kann nicht ohne ihn sein.**  In die Fußstapfen ihres gefürchteten Vaters treten und die skrupellose Biker-Gang Verdugos leiten – das ist genau das, was Alicia in ihrem Leben niemals tun wollte. Aber als der Präsident des Clubs schwer erkrankt, zieht sie in ihre Heimatstadt zurück und übernimmt auf seine dringliche Bitte hin vorübergehend den Job. Die Clubmitglieder sind wenig begeistert, allen voran ihr unergründlicher Exfreund Blake, der sie immer noch alles andere als kalt lässt. Die Lage spitzt sich zu, als Anzeichen für einen Betrüger in den eigenen Reihen auftauchen und Alicia der Sache ausgerechnet mit Blake auf den Grund gehen muss …  Knisternde Second Chance Haters to Lovers Biker Romance mit wilden Roadtrips auf den Highways Nevadas.  //»Promise of Redemption« ist der erste Roman der knisternden »Nevada Highways«-Reihe. Weitere Bände der nervenaufreibenden New Adult Romance bei Impress:   --Nevada Highways 1: Promise of Redemption  --Nevada Highways 2: Promise of Loyalty - erscheint im Juli 2024   --Nevada Highways 3: Promise of Vengeance - erscheint im Oktober 2024  Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden. Für die bessere Verständlichkeit empfiehlt es sich aber alle Bände in der Reihenfolge zu lesen.// 

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Marie Kärsting

Nevada Highways 1: Promise of Redemption

**Kannst du zwischen deiner großen Liebe und einem Leben ohne Gefahr wählen?**

Nach dem Tod ihres Bruders hat Alicia ihrer Familie und dem skrupellosen Verdugos-Motorradclub den Rücken gekehrt, um sich ein Leben ohne Kriminalität aufzubauen. Aber als ihr Vater schwer erkrankt, zieht sie zurück in ihre Heimatstadt und verspricht ihm, dem Club aus einer misslichen Notsituation zu helfen. Die Clubmitglieder sind wenig begeistert von ihrer neuen Vizepräsidentin – allen voran der unergründliche Blake, dessen bloße Anwesenheit schon immer gereicht hat, um Alicias Herz höherschlagen zu lassen. Während sie einen Betrüger in den eigenen Reihen entlarven müssen, sprühen immer wieder die Funken. Doch wie kann sich Alicia für Blake entscheiden, wenn er alles verkörpert, was sie hinter sich lassen wollte?

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Vita

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Danksagung

© privat

Marie Kärsting, geboren 1993, lebt mit Ehemann und zwei Hunden am Niederrhein. Obwohl sie schon als Kind vom Bücherschreiben träumte, stellte sie den Wunsch Autorin zu werden hinten an und studierte Betriebswirtschaftslehre. Nach erfolgreichem Abschluss fand sie trotz der vielen Zahlen ihre Liebe zu Wörtern wieder. Sie schreibt Romane und Kurzgeschichten quer durch den literarischen Gemüsegarten – immer mit einer Portion Feminismus.

Für Papa, der alles dafür getan hat, damit ich wild und frei sein kann.

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Marie und das Impress-Team

Playlist

No Doubt – Just A Girl

Diana Gordon – Woman

Doja Cat – Paint The Town Red

Motörhead – Outlaw

M.I.A. – Paper Planes

Olivia Rodrigo – bad idea right?

Alanis Morissette – You Oughta Know

Metallica – Whiskey In The Jar

Spiritbox – Rotoscope

Bullet For My Valentine – All These Things I Hate

Mazzy Star – Into Dust

System Of A Down – Aerials

Flyleaf – I’m So Sick

Die Antwoord – I Fink U Freeky

Bad Omens – THE DEATH OF PEACE OF MIND

Massive Attack, Elizabeth Fraser – Teardrop

Depeche Mode – Slow

David Kushner – Daylight

CHINCHILLA – Little Girl Gone

Nouvelle Vague, Phoebe Tolmer – Bela Lugosi’s Dead

Kapitel 1

Wie auf ein Kommando erhoben sich alle um mich herum und begannen ihr Zeug zusammenzupacken. Stifte, Blöcke, Tablets wurden in die Taschen gestopft. Stimmen schwirrten durch den Hörsaal und verknoteten sich zu einem Ball in meinem Kopf. Bei dem Lärm fiel es mir schwer, mich auf meinen Plan zu konzentrieren.

Ich bedeutete Stella, dass ich zu Professor Springer wollte und sie nickte. Gemeinsam quetschten wir uns durch die Reihe in den Mittelgang. Am Rednerpult war unsere Dozentin in ein Gespräch mit einem großen, hageren Mann vertieft, deshalb verlangsamte ich das Tempo.

»Was hast du vor?« Stella hielt sich an meiner Schulter fest, damit sie nicht von den anderen Studierenden weggespült wurde.

»Ich werde fragen, ob sie mir einen Traineeplatz vermittelt.«

»Die Damen, wie kann ich behilflich sein?« Professor Springer lächelte, sodass wir ihre weiß glänzenden Dritten bestaunen konnten. Ihr Gesprächspartner sah Stella an, schmiss sich ein wenig zu energisch die Tasche über die Schulter und riss durch seine Unaufmerksamkeit dabei fast das Rednerpult um.

»Professor, ich habe eine Frage. Sogar eine Bitte.« Ich schluckte und sammelte die richtigen Worte zusammen. Die ältere Dame und ich, wir hatten keinen Draht, keine Verbindung zueinander. Trotzdem hoffte ich, dass sie meine Leistungen in ihrer Vorlesung und im Betriebswirtschaftsstudium insgesamt wertschätzen und mir somit einen Praktikumsplatz vermitteln würde. Ich hielt viel von ihr, besonders wegen ihrer Arbeit an der Börse, doch ich war mir unsicher, ob es auf Gegenseitigkeit beruhte.

»Schießen Sie los, Miss Gebara!« Sie zog die buschigen Augenbrauen zusammen.

»Wissen Sie, ich würde gerne das Praktikum auf ein ganzes Jahr erweitern und ein Training in einer großen Firma absolvieren. Am liebsten in der Finanzabteilung«, ratterte ich herunter. Meine Pläne mit anderen zu teilen, fiel mir nicht leicht. Ich hatte das Gefühl, dass es mich verletzlich machte. Alles, was meine berufliche Zukunft betraf, verunsicherte mich. Erst vor knapp zwei Jahren hatte ich mich mit dem Thema beschäftigt und war seitdem oft überfordert.

»Ach, wirklich?« Sie griff sich ans Kinn. Kam es mir nur so vor oder versuchte sie, meinem Blick auszuweichen?

»Ähm, ja.« Hilfesuchend sah ich Stella an, die mir zunickte, damit ich weiterredete. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer derart überraschten Reaktion. Immerhin war es eine gängige Praxis, dass Dozenten für ihre Studierenden Praktika oder zumindest Bewerbungsgespräche organisierten. In Professor Springers Kurs zählte ich zu den Besten. Doch ihr zweifelnder Blick nahm mir den Wind aus den Segeln. Meine Befürchtungen bewahrheiteten sich.

»Miss Gebara, verstehen Sie das jetzt bitte nicht falsch, aber ich bin mir unsicher, ob ich dafür meine Kontakte nutzen möchte.« Ihre Stirn legte sich in Falten.

Ich atmete einmal tief ein und aus.

»Es hat nichts mit Ihrer Herkunft zu tun!«, platzte es aus ihr heraus.

Mir entglitten die Gesichtszüge.

Stella hatte sich verschluckt, denn sie begann heftig zu husten.

»Ehrlich gesagt bin ich auch nicht davon ausgegangen, dass meine spanischen Vorfahren mich an etwas hindern!« In meinem Magen grollte es. Zum einen, weil ich mir selbst auf die Zunge hatte beißen müssen, damit ich nicht meine baskische Herkunft verriet. Spanisch reichte in den meisten Fällen vollkommen aus. Eine Spezifizierung wirkte auf Außenstehende nur merkwürdig, deshalb verkniff ich sie mir. Zum anderen, weil ich nicht mit diesem Thema gerechnet hatte.

»Professor Springer, ich kann Ihnen versichern, dass Alice auch in den übrigen Veranstaltungen Bestleistungen abliefert. Sie ist ehrgeizig und clever!« Dass Stella für mich Partei ergriff, war nichts Neues.

Ich nahm kurz ihre Hand und drückte sie.

»Darüber bin ich mir im Klaren, Miss Walton. Es geht vielmehr um das Auftreten. Ich kann Ihnen versichern, dass die meisten Vorstände nicht erfreut wären, wenn Miss Gebara im Büro Vandalismus betreibt.«

Ich hatte dafür keine Worte. In meinem Kopf ratterte es, doch da kam kein Ergebnis. Error.

Auch Stella hatte keine Antwort darauf. Sie sah mich mit ihren riesigen, grünen Augen an.

»Ich –«, setzte ich an, brach jedoch wieder ab. Bevor ich etwas tat, was ich furchtbar bereuen würde, lächelte ich Professor Springer an.

»Danke für nichts!« Ich zog Stella mit mir, die noch immer fassungslos war.

»Miss Gebara, es tut mir leid! Ich möchte Sie nur schützen, deshalb spreche ich so offen! Suchen Sie sich ein kleines Unternehmen, dass ihre Akte nicht anfordert. Dann haben sie eine reelle Chance!«

Mit zusammengekniffenen Augen blieb ich stehen. Wie sollte es mich schützen, dass die Universität meine Führungsakte mit einem Missverständnis versaut hatte?

Stella erkannte, was hier gleich passieren würde, und schob mich weiter. Meine Boots quietschten über den Boden und hinterließen schwarze Schlieren.

»Lass uns gehen! Sie wird es eh nicht begreifen!« Stella gab nicht auf. Sie zerrte an mir, bis ich nachgab und mit ihr den Hörsaal verließ. Neugierige Blick begegneten uns. Doch nachdem sie mir in die Augen gesehen hatten, huschten die anderen Studierenden davon.

Nur Kenny schreckte das nicht ab. Er hatte vor dem Vorlesungssaal gewartet und schloss sich uns schweigend an. Wie immer unbeirrt mit einem leichten Lächeln, schlaksigem Gang und einem T-Shirt, das einen Kunstdruck zeigte. Der Heutige war abstrakt, bunt und sagte mir, als Kunstbanausin, überhaupt nichts. Zumindest lenkte es mich für einen Moment von der Fassungslosigkeit und der Wut ab. Mir war immer wichtig gewesen, was Professor Springer von mir hielt. Ich bewunderte sie für ihre Karriere, die gewonnenen Preise und ihre Publikationen, die ich alle förmlich inhaliert hatte. Nun geriet meine Welt ins Wanken. Ich hatte mich immer um einen Draht zu ihr bemüht, doch sie hatte jeglichen Austausch abgelehnt. Jetzt wusste ich, weshalb. Sie war über den Zwischenfall informiert worden und hatte mich deshalb verurteilt. Keine Nachfragen, keine Chance, meine Sicht der Dinge zu schildern.

»Hör mal, lass dich nicht davon auffressen!« Stella zog mich zur Damentoilette, doch Kenny schüttelte den Kopf. Er deutete mit einer Hand auf eine andere Tür am Ende des Ganges. Gemeinsam durchquerten wir den Flur. Stella stieß die Tür auf und ließ meinen Arm endlich los. Kenny schaltete das Licht ein, sodass wir den Raum mit all dem Gerümpel wahrnahmen. Es war eine Kombination aus Kopierraum und Abstellkammer.

»Alice, bitte sag was! Ich hab ehrlich Angst, dass du gleich zurückmarschierst und Professor Springer anzündest.« Stella lächelte, aber die Freude erfasste nicht ihr ganzes Gesicht. Ihre Augen blieben traurig. Hatte sie wirklich Angst vor mir?

»Was ist passiert?« Kenny lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. Sogar im Licht der Leuchtstoffröhre schimmerte seine gebräunte Haut.

Während Stella ihn auf den neusten Stand brachte, ging ich zu dem winzigen Waschbecken am anderen Ende des Raumes. Das kalte Porzellan kühlte meine Hände und lenkte mich von dem Feuer, das in mir loderte, ab. Erst als ich mir sicher war, dass ich alle Emotionen unter Kontrolle hatte, sprach ich.

»Hat Professor Springer recht? Sollte ich große Konzerne abschreiben?« Ich räusperte mich, weil meine Stimme merkwürdig belegt war. Normalerweise prallten Anschuldigungen und Verurteilungen an mir ab, aber seit der Sache mit meinem Bruder war ich nicht mehr in der Lage, alles auszublenden. Leos Tod hatte meine Härte angeknackst. Ohne ihn fühlte ich mich heimatlos und schwebte im luftleeren Raum.

»Quatsch, i-ich …« Stella verstummte und drehte sich von mir weg.

Ich schloss die Augen. Mit Daumen und Zeigefinger massierte ich meine Nasenwurzel. »Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. Ich bin ja nicht bescheuert«, setzte ich an und öffnete die Augen. »Aber ich dachte, dass mein politisches Engagement mehr gewürdigt wird. Dass es nicht nur als ein paar beschmierte Hauswände angesehen wird.«

»Zumal du nicht die Initiatorin warst. Es tut mir so leid. Das ist richtig mies gelaufen!« Kenny kam zu mir und legte eine Hand auf meine Schulter.

»Schon gut. Wie oft willst du dich noch entschuldigen?«

Dass ich für ihn und eine befreundete Kunststudentin Schmiere gestanden hatte und erwischt worden war, während sie zum Protest gegen die Gesetzänderung zu Abtreibungen die Außenwand der Bibliothek besprüht hatten, war eine Mischung aus eigener Entscheidung und Pech gewesen.

Kenny sah zu Boden.

Dieses Mal tätschelte ich ihm die Schulter. »Ich stecke gerne einen ein für das Team!«

»Warum möchtest du überhaupt in eine solche Finanzabteilung?« Stella lächelte sanft.

»Weil ich …« Ich seufzte. Weil mir das Vorstellungsvermögen für eine Zukunft fehlte. Oft sah ich Menschen im Fernsehen und wenn sie glücklich wirkten, nahm ich sie mir zum Vorbild. Ich hatte kein anderes. Oder nur die Falschen. In solchen Momenten war da ein Loch in meinem Herzen. Ich war einfach anders. Anders aufgewachsen als die meisten Menschen. Kenny konnte das nachempfinden, denn auch er kam nicht aus den besten Verhältnissen. Doch Kriminalität hatte nicht zu seinem Leben gehört. Das trennte mich von allen. Nur in Truckee, meiner Heimatstadt, war ich nicht aufgefallen. Dort, im Club meines Vaters, waren so viele bunte Vögel unterwegs, dass meine Haare, meine Klamotten und meine Art niemanden geschockt hatten. Da hätten wir tausende Wände mit Parolen beschmieren können.

»Du bist eine einzigartige Frau, Alice.« Stellas Lächeln wurde breiter. Sie kam zu mir und Kenny, der mittlerweile seine nonchalante Art wiedergefunden hatte.

Mein Versuch zurückzulächeln scheiterte, denn es fühlte sich falsch an. Auch wenn ich mich bemühte, ihr Kompliment anzunehmen, ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich für mein Umfeld eine Belastung war. »Danke, Stella.«

»Ich sage die Wahrheit. Und weil ich versuche, immer ehrlich zu sein … Ich glaube, ein bisschen Wahres steckt in Professor Springers Worten.« Stella beobachtete mich genau, deshalb versuchte ich, mich zu entspannen.

»Natürlich nicht der beleidigende, vorverurteilende Quatsch, sondern vielmehr, dass sie dich in einem derartigen Job nicht sieht. Ich weiß, dass du Karriere machen willst, aber in einem solchen Unternehmen? In diesem Bereich?«

Es gab nichts, was ich mehr schätzte als Ehrlichkeit. Doch es tat weh. Die Aufrichtigkeit schmerzte, weil ich spürte, dass es stimmte.

»Es geht gar nicht darum, dass du nicht dort hineinpasst. Klar, ich kann dir meine Klamotten leihen, wir können deine Haare braun oder blond färben und dich komplett umstylen. Wir können mit dem Fakultätsleiter sprechen, einen Antrag auf Löschung des Eintrags stellen oder die Presse über diese unfaire Behandlung informieren. Aber willst du das? Vielleicht passt so ein Unternehmen auch nicht zu dir!« Stellas Wangen waren gerötet, so sehr hatte sie sich in Rage geredet.

Ich zog ihren schmächtigen Körper zu mir und schlang meine Arme um sie. »Wahrscheinlich hast du recht. Aber wo gehöre ich dann hin?« Meine Stimme war angeschlagen. Das Thema wirbelte so viel in mir hoch, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Da waren meine Eltern, mit denen ich schon eine Ewigkeit nicht mehr gesprochen hatte. Und Leo, den ich so vermisste, dass es mir regelmäßig das Herz aufriss. Und Blake …

»Zu meinen Taten stehe ich. Den Schaden zahlen Kenny und ich gemeinsam ab. Und ich würde es sofort wieder tun. Keine Veränderung, kein Wandel. Ich mag mich so, wie ich bin. Es ist nicht alles perfekt … Aber ich bin ich«, flüsterte ich.

Stella erwiderte die Umarmung und drückte mich fester. Kenny, der ungewöhnlich still war, legte seine Arme um uns. Für einen Moment bildeten wir eine Einheit. So hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Generell hatte ich lange nicht mehr so viel gefühlt. Oft war da nur Wut, doch die war komplett verraucht.

»Und das ist perfekt so! Und es ist okay, wenn du noch nicht weißt, wohin dich dein Weg führt!« Kennys Stimme klang beruhigend in meinen Ohren. Seine sanfte Art war das, was ich am meisten an ihm schätzte. Man erkannte sie sogar in seinen Gemälden, wenn man nur genau hinsah.

Langsam lösten wir uns voneinander und ich wischte schnell die Träne, die sich in meinem Augenwinkel gesammelt hatte, weg.

»Ihr seid echte Freunde!« Ich meinte es so, wie ich es sagte. Stella hatte immer ein offenes Ohr und verstand mich trotz der vielen Unterschiedlichkeiten. Wir kamen aus verschiedenen Welten und waren trotzdem Seelenverwandte. Fast wie Schwestern. Und Kenny war loyal, half immer aus und hatte stets Zeit, wenn ich jemanden zum Reden oder einen Rat brauchte. Er erinnerte mich an meinen Onkel.

»Und deshalb gehen wir heute Abend feiern! Du brauchst etwas Ablenkung. Wir lassen es uns so richtig gut gehen, was hältst du davon?« Kenny klatschte in die Hände. Sein Gesicht strahlte vor Begeisterung.

Mein erster Gedanke galt dem Geld. Feiern gehen konnte ich mir in der aktuellen Lage nicht leisten. Aber ein bisschen Spaß mit Stella und Kenny war dringend nötig. Ich wollte meine Probleme vergessen. Keine Gehirnkapazität mehr an Professor Springer oder meine Heimat verschwenden. Ich würde Bobby um einen Vorschuss bitten. Meistens konnte ich ihn weichklopfen. Und dann würde ich mich betrinken und tanzen, um den Kopf freizubekommen.

Kapitel 2

Der Bass brachte die Wände des Crusadors, dem angesagtesten Club Downtowns, zum Erzittern. Das Hip-Hop-Lied wummerte in den Ohren, sodass ich nicht anders konnte, als mitzusingen. Es entsprach nicht meinem Musikgeschmack, aber ich hatte nicht nur einen, nicht nur zwei, sondern drei Gin Tonic intus. Ab einem gewissen Pegel war mir der Sound egal. Ich bewegte mich zum Beat, ließ die Hüften kreisen und sang mit Stella um die Wette. Immer wieder drehte sie sich, damit ihr luftiges Kleid umherschwang. Kenny war mit uns auf der Tanzfläche, Maddy und Lucy hingen an der Bar rum. Stella hatte unsere Pläne, einen sorglosen Abend zu verbringen, mit den beiden geteilt und sie hatten sich uns angeschlossen. Lucy voller Begeisterung, Maddy hingegen eher zögerlich. Zwischen der Tochter eines reichen Unternehmers und mir herrschte meistens Eiszeit. Nun flirteten sie mit zwei Typen, die jung und unerfahren wirkten. Wie sie da standen und in ihre halb gefüllten Gläser blickten, nur um nicht in Maddys offenherziges Dekolleté zu starren, war beinahe niedlich. Ich stieß Stella mit meinem Ellbogen an. Sie begann zu lachen, hielt sich jedoch die Hand vor den Mund. Wahrscheinlich kannte sie die Jungs und wollte höflich sein.

Der Song wechselte und drosselte das Tempo der Menge. Stella stöhnte laut, Kenny schüttelte den Kopf und ich schmiss genervt die Hände in die Luft. Manche DJs hatten keine Ahnung, wie sie die Leute bei Laune hielten. Stella machte eine Geste, die nichts anderes bedeuten konnte als »Durst!« Ich nickte und gemeinsam, meine Hand in ihrer, ihre zweite in Kennys, schlängelten wir uns zwischen den verschwitzten Körpern hindurch.

Wir gesellten uns zu den Mädels und ich suchte Blickkontakt zu dem Barkeeper, um unsere Getränkebestellung aufzugeben. Doch er war zu beschäftigt und übersah mein Zeichen.

»Und nächstes Jahr gehe ich dann für ein Praktikum ins Ausland. Am liebsten würde ich nach Europa, vielleicht Frankreich!« Maddy strich sich eine lange, hellbraune Strähne hinter das Ohr. Der Typ ihr gegenüber verschlang sie förmlich mit den Augen. Ihm waren ihre Zukunftspläne piepegal, nur die für den Rest des Abends interessierten ihn.

Ich jedoch hatte genau mitbekommen, was sie gesagt hatte. Sofort war die Leichtigkeit aus meinem Kopf verschwunden. Wie Blei lag mir ein Gewicht auf den Schultern, das mich ein Stück kleiner machte. Maddy würde ihren Lebenslauf mit einem Auslandsaufenthalt schmücken können, während ich planlos Bewerbungen schreiben würde, in der Hoffnung, dass mir irgendjemand eine Chance gab. Sie konnte sich ihr Traumunternehmen und ihre Wunschabteilung aussuchen, denn sie hatte keinen Eintrag in ihrer Akte. Maddy hatte Kontakte. Ich musste alles nehmen, was sich mir bot.

»Drei Gin Tonic, bitte!« Stella hatte genug Aufmerksamkeit erregt, damit sie unsere Bestellung aufgeben konnte.

»Und zwei Izarra«, rief ich dem Barkeeper zu.

Seine Augenbrauen wanderten zum Haaransatz. »Was soll das sein?« Er grinste schief.

»Das kann doch nicht wahr sein! Warum kennt das denn niemand?« Ich lehnte das Kinn auf meine Hand und betrachtete die fleckige Theke. Ein baskischer Kräuterlikör würde mich wirklich aufheitern.

»Dann drei Jägermeister!«

Überrascht sah ich Kenny an. »Ich dachte, du trinkst keinen Schnaps pur?«

Er zuckte mit den Schultern und reichte den ersten Gin Tonic an mich weiter.

»Stimmt, aber ich habe das Gefühl, heute brauchen wir das!« Er drückte mir den Drink in die Hand, zwinkerte und kitzelte so ein Lächeln auf mein Gesicht.

»Ihr gebt heute aber Gas, was?« Lucy hatte schon selbst genug Gas gegeben, denn ihr Blick flirrte unfokussiert zwischen Kenny und mir hin und her. Ihre Züge wirkten ein wenig schlaff und der strenge, blonde Zopf hatte sich mittlerweile aufgelöst.

»Wir müssen den Kopf freibekommen«, verteidigte ich unser Gelage.

»Darauf trinken wir!« Stella drückte mir einen Shot in die andere Hand und wir stießen an. Auch Lucy hob ihr Glas und prostete uns zu. Ich kippte den Jägermeister hinunter und genoss das Brennen in meiner Kehle.

»Whooo!« Stella schüttelte sich wie ein nasser Hund. Das brachte mich so zum Lachen, dass ich mich auf dem Barhocker festhalten musste.

»Whooo!«, antwortete Lucy und leerte den Rest ihres Wodka-O’s.

Als dann noch Kenny dieses Geräusch imitierte, verschluckte ich mich. Nach einem mittelschweren Hustenanfall vernichtete ich ebenfalls den Gin Tonic mit wenigen Zügen. Mir kam es vor, als würde der Alkohol sofort seine Wirkung zeigen. Mit einem Mal war mir alles wieder wunderbar egal.

»Lasst uns tanzen!« Ich sprang auf. Dabei hielt ich mich an Lucy fest, damit ich nicht umknickte. Letztes Mal war ich im Crusador hingefallen und hatte mir den Knöchel verstaucht. Aus dem Fehler hatte ich nur bedingt gelernt, denn ich trug wieder meine mörderischen Plateaustiefel. Langsam stakste ich in Richtung Tanzfläche und sah mich um. Lucy und Stella rappelten sich hoch, doch Kenny bewegte sich nicht.

»Was ist los?« Meine Stimme übertönte kaum den Bass.

»Ich glaube, ich brauche eine kurze Pause!« Er verzog das Gesicht. Hoffentlich war ihm von dem Schnaps nicht übel geworden.

»Möchtest du lieber gehen?« Ich ging zurück und legte die Hand auf seine Schulter. Der Abend war zwar eine gelungene Ablenkung, aber das Wohlbefinden meiner Freunde ging vor.

Er lächelte mich an. »Nein, geht gleich schon wieder. Ich bleib ein bisschen bei Maddy.«

Ich nickte und stupste seine Nase.

»Los! Geh tanzen! Ich sehe doch, dass du es willst«, spornte er mich an.

Ich machte ein bisschen zu schwungvoll kehrt.

Taumelnd kam ich auf der Tanzfläche an und gesellte mich zu den Mädels, die wild im Takt ihre Haare von einer Seite zur anderen warfen.

Ich bewegte mich erst zurückhaltend, doch dann kamen ein paar rockigere Lieder, die mich mitrissen. Irgendwann schmiss ich genau wie Lucy meine Haare hin und her. Ab und zu traf ich jemanden, der sich beschwerte, aber ich ignorierte alle um mich herum – bis auf den Mann auf der anderen Seite des Raumes. Er stand dort seit einer gefühlten Ewigkeit und beobachtete mich. Mit seinen Tattoos auf den Armen und im Gesicht war er mir sofort aufgefallen. Er rauchte eine Zigarette nach der anderen – obwohl hier strenges Rauchverbot galt. Allein das machte ihn schon interessant.

Meine Aufmerksamkeit wurde von ihm abgelenkt, als Maddy, ihr Anhängsel und Kenny sich zu uns gesellten. Ihm schien es besser zu gehen, denn er bewegte sich zu der Musik. Zwar nicht so euphorisch wie vorhin, aber er lächelte und schien eine gute Zeit zu haben. Wer keine gute Zeit hatte, war der Typ von Maddy. Sie tanzten kaum, weil sie ihn weiter zutextete und jede akademische Errungenschaft und von ihren Eltern geerbte Möglichkeit aufzählte, die ihr einfiel. Zumindest kamen entsprechende Phrasen über die laute Musik hinweg bei mir an. Ich rollte mit den Augen und versuchte, nicht hinzuhören, doch Wortfetzen flogen mir immer wieder zu. Karriere, Vitamin B und Praktikum waren nur der Anfang. Ich biss die Zähne zusammen, doch ich war raus. Es gab nicht genug Alkohol auf diesem Planeten, um ihr Geplapper ausblenden zu können. Ich sah Stella an. Ihr Gesicht sprach Bände. Sie war genauso genervt von Maddy wie ich. Als ich ihr ins Ohr flüstern wollte, griff Lucy Stellas Arm und zog sie an den Rand der Tanzfläche. Ich sah mich nach Kenny um, doch er tanzte mit einer großen Brünetten mit irrsinnig langen Beinen. Da funkte ich nicht dazwischen. Allein mit Maddy und ihrem Fan war ich zurückgeblieben.

Ohne drüber nachzudenken, drehte ich mich um und marschierte los. Ich brauchte Ablenkung. Und zwar dringend!

Der tätowierte Typ hob die Augenbrauen, als ich vor ihm stehen blieb und ihm die Zigarette aus seinem Mund nahm.

»Ich darf doch mal, oder?« Ich zog an der Kippe und lächelte ihn an.

»Klar, du kannst aber auch eine eigene haben«, schlug er vor.

Ich lehnte mich neben ihn an die Wand. Der warme Stein klebte sich an meine nackte Haut. Ich trug nur ein winziges Crop-Top, das hinten mit Bändern geschnürt wurde, sodass fast der komplette Rücken entblößt war.

Der Typ reichte mir seine Schachtel und ich nahm eine Zigarette. Er zündete sie mir an und lehnte sich dann gegen mich.

»Was macht eine Frau wie du hier?« Seine Stimme war laut genug, damit sie die Musik übertönte, aber leise genug, um Intimität zu erschaffen.

»Eine Frau wie ich?« Ich suchte seinen Blick. Meine Augen prüften die Tattoos in seinem Gesicht. Keine Gangzeichen, keine Clubtattoos. Doch das an seinem Hals, war das ein Adler? Ich konnte es weder erkennen noch ihn einem Club zuordnen.

»Woher weißt du …«

Er lachte und legte mir eine Hand auf den Rücken. Sie rutschte immer weiter nach unten und blieb erst auf meiner Lendenwirbelsäule, meinem Tattoo, liegen.

»Wenn man genau hinschaut, sieht man ab und zu eine Löwin. Dazu dann die Sense auf deinem Unterarm. Wenn man eins und eins zusammenzählt …« Er verstummte. Wartete auf meine Reaktion.

Tja, er hatte mich enttarnt. Klar, das war nicht das erste Mal hier in Tucson. Doch es kam nicht oft vor. Ich achtete darauf, nicht zu viele Tätowierungen auf einmal zu zeigen. Dass er die Löwin erkannt hatte, überraschte mich. Und es ärgerte mich auch. In Zukunft würde ich sie mit Make-up abdecken, wenn ich so freizügig herumlief.

»Weißt du, ich hab mit dem Kram nichts mehr zu tun. Deshalb sag bitte nichts –«

Er legte mir einen Finger auf den Mund. »Ist gut, ich sage nichts.«

»Okay.«

Sein Blick fixierte meine Lippen. Langsam nahm er den Finger von ihnen. »Okay.«

Kurz musste ich an Zuhause denken. Doch bevor ich über Dad oder ihn sinnieren konnte, lehnte ich mich gegen den Fremden und legte meine Hände um seinen Nacken. Er war kein Mitglied einer gefährlichen Gang, also tat ich nichts Dummes. Und er war nicht Teil eines verfeindeten Clubs. Und selbst wenn, was hatte ich mit dem ganzen Mist noch zu tun?

Doch egal wie viel Ablehnung ich gegenüber meiner Vergangenheit, den Machenschaften meiner Familie und dem Dasein als Gesetzlose empfand, es zog mich magisch an. Es war kein Zufall, dass der einzige Mann in diesem Club, der meine Aufmerksamkeit erregte, mich an all das erinnerte. Ich fühlte mich diesem Kerl verbunden. Wir teilten etwas, obwohl wir kaum zehn Worte miteinander gesprochen hatten. Und ganz vielleicht sah er mit seinen blonden Haaren und der Lederjacke aus wie …

Er drückte seine Lippen hungrig auf meine. Ich gab mich der Ablenkung hin. Sie war genau das, was ich heute brauchte. Ich öffnete mich ihm und griff in seine Haare. Wenn ich die Augen nur fest genug schloss, konnte ich mir vorstellen, ich war wieder in seinen Armen.

Wir knutschten drei Songs lang in einer dunklen Ecke, wobei es immer heftiger zur Sache ging. Seine Hände waren überall. Es war mir völlig egal, dass fremde Menschen stehen blieben und auf uns deuteten. Wenn Zweifel aufkamen, fegten seine Berührungen sie davon.

»Willst du mit zu mir kommen?« Er hatte sich nur für diese Worte von meinen Lippen gelöst. Ich konnte mich kaum auf eine Antwort konzentrieren, denn er biss mir in die Unterlippe. Meine Hände lösten sich von seinen Schultern und ich wich zurück.

Ein Ausbruch der Unsicherheit legte einen Schatten über das, was sich zwischen uns entwickelt hatte. Er war heiß und wusste genau, was er zu tun hatte, aber je mehr wir knutschten, desto klarer wurde mir, weshalb ich das hier tat. Es war nicht seinetwegen.

»Also ich …«, begann ich, brach jedoch ab. Mein Blick wanderte an seinem Kopf vorbei.

Genau hinter ihm erkannte ich Lucy und einen Typen, den ich noch nie gesehen hatte. Dieser lehnte sich zu ihr herüber, berührte ihre Hände, küsste ihren Hals … und sie schüttelte den Kopf. Schob ihn weg. Er rückte ihr immer weiter auf die Pelle. Sie wehrte sich.

Alles war vergessen.

»Sorry, aber ich glaube, ich muss mir erstmal den da«, ich deutete auf den Arsch, »vorknöpfen!«

Der Fremde schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Babe, aber ich steh auf der Fahndungsliste in diesem Staat. Ich kann mir keinen Ärger leisten.«

Babe. Die Wunde in meinem Herzen riss auf. Er war Blake so ähnlich und doch so anders. Mein Ex hätte mich zur Seite gedrückt, mir einen Kuss gegeben und dem Typen bei Lucy mindestens einen Zahn ausgeschlagen. Nun, selbst war die Frau.

Ich ließ den Fremden stehen und überquerte die Tanzfläche. Dabei achtete ich kaum auf die anderen, denn mein Blick war auf den unverschämten Mann gerichtet. Mir entging nicht, dass er Lucy an der Brust berührte und diese auf seine Hand schlug. Ich rannte los und schubste ihn.

»Hey, du Arschloch! Lass meine Freundin in Ruhe!«

Er hatte nicht mit mir gerechnet, deshalb erwischte ich ihn volle Breitseite. Beim Stolpern rempelte er einen Haufen anderer an. Ein paar Männer schauten zu uns herüber, darunter auch Kenny, der sofort an Lucys Seite war. Sie machte immer wieder Ausfallschritte, stützte sich gegen ihn und schüttelte den Kopf. Sie war sturzbetrunken.

»Was ist denn mit dir los, du Schlampe!« Der Grabscher hatte sich wieder gefangen und funkelte mich an.

»Lucy, möchtest du, dass dieser Mann dich anfasst?«

Sie schüttelte den Kopf und klammerte sich an Kenny, der schützend einen Arm um sie legte. Tränen glitzerten in ihren großen Augen.

Der Typ kam näher und baute sich vor mir auf. Ich schob Stella, die neben mir aufgetaucht war, hinter mich, denn ich hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt kämpfen konnte. Wahrscheinlich nicht. Sie kam aus gutem Hause und hatte sicherlich nie zu düsteren Zeiten auf der Straße rumgehangen. Oder Kampftraining von ihrem Vater bekommen. Oder mit Pistol Jon über Waffen philosophiert.

»Was ist los, Mäuschen? Bist du eifersüchtig?« Er kam mir so nah, dass er respektlos die unsichtbare Linie um mich herum durchquerte. Und die durfte niemand unaufgefordert überschreiten.

»Sicherlich nicht! Wie wäre es, wenn du aufhörst, meine Freundin zu belästigen, und dich verpisst?« Ich funkelte zurück. Ballte die Fäuste. Definitiv bereit, sie in das ekelhaft grinsende Gesicht zu prügeln.

»Soso, deine Freundin!«

Mir fiel auf, dass er nicht schwankte. Es machte den Anschein, als wäre er nüchtern. Er war eines von den Arschlöchern, die versuchten sich betrunkene Frauen im Club klarzumachen.

Kennys Stimme ertönte, drang jedoch nicht über die Musik hinweg. Er hielt Lucys Gesicht in den Händen, die mittlerweile heftig weinte.

Ihre Tränen machten mich rasend. Ich brachte mein Gesicht genau vor das des Typens. Stellte mich auf die Zehenspitzen, damit ich ihm so nah kommen konnte, wie es nur ging.

»Kleine Maus«, flötete er und grinste breit.

»Lass sie in Ruhe, ja?!« Kenny hatte mit Stella den Platz getauscht. Wir standen wie eine Einheit Arm an Arm.

»Geh besser! Ich warne dich ein letztes Mal!« Meine Stimme war so tief, dass der Fremde die Stirn runzelte. Doch dieser Justin-Bieber-Verschnitt war nicht die hellste Kerze auf der Torte.

»Ach ja? Will die Kampflesbe mich etwa schlagen? Oder diese Pussy hier?« Er deutete erst auf mich, dann auf Kenny.

Mir war es total egal, ob er mich als Lesbe oder sonst was bezeichnete. Sexualität zu einer Beleidigung zu machen, war ein Zeichen von schlechter Erziehung, mieser Ideologie oder einfach dafür, dass man zu viele Harvey Weinstein-Filme gesehen hatte. Armselig, interessierte mich aber nicht. Doch dieser Mann machte zwei Fehler. Er spuckte Kenny vor die Füße und schlug mir dann auf den Hintern.

Kapitel 3

»Heiß!« Er begann zu lachen und blickte zur Seite, weil er sich für seine Aktion Applaus vom Publikum versprach. Also sah er meine Faust nicht kommen.

Ich schlug genau so, wie es mir mein Vater und Onkel Nael beigebracht hatten. So, wie ich schon viele Male geschlagen hatte. Schnell und präzise, sodass Kenny noch ausholte, während der Typ bereits zurücktaumelte. Ich hatte ihn an der Unterlippe erwischt und sofort war sein Gesicht voller Blut. Eine geplatzte Lippe war nichts Schwerwiegendes, aber immer eine Sauerei.

»Du dumme …« Er holte aus, traf anstatt mich jedoch Kenny an der Seite. Dieser stolperte und wurde von anderen Clubgästen aufgefangen.

Ich setzte zwei weitere gezielte Schläge. Einen auf seinen Unterkiefer und einen in den Magen. Der Typ fiel wie ein angesägter Baum auf den Boden. Sein Wimmern mischte sich mit der Musik.

Ich blickte auf meine Fäuste, dann zu Kenny, der sich die Flanke hielt. Zu Stella, die mich mit aufgerissenen Augen ansah. Eine Traube hatte sich um uns gebildet. Die Musik wurde ausgeschaltet. Das Licht ging an.

»Spinnst du?« Maddy rückte sich in mein Sichtfeld. Ihre Miene schwankte von ungläubig bis wütend.

»Du hast David blutig geschlagen!« Sie kniete sich neben den ausgeknockten Typen und tätschelte sein Gesicht.

Keine Ahnung, wer dieser Arsch war. Es war mir auch egal. Stella lief mit der immer noch schluchzenden Lucy im Schlepptau zu Kenny.

»Er hat sie belästigt! Und dann mich! Dieser David hat Kenny geschlagen!« Meine Wut verpuffte allmählich.

»Sie haben den ganzen Abend miteinander geredet! Sie haben geflirtet!« Maddys Stimme war schrill. Sie klopfte dem Fremden auf die Wange, doch der krümmte sich weiterhin im Dreck.

»Lucy, wolltest du mit ihm flirten oder deine Ruhe?«

»Lass Lucy in Ruhe!«, fauchte Maddy mich an.

Das Ganze ergab keinen Sinn mehr. »Ich wollte doch nur –«

»Aufmerksamkeit? Zeigen, wie hart du bist? Einen auf dicke Hose machen? Mal wieder randalieren?« Maddy erhob sich und kam zu mir. Sie legte den Kopf schräg, sodass ihre langen, glänzenden Haare über die Schulter nach vorne rutschten.

»Moment mal!« Nun kam Stella dazu. Sie zog Lucy wie ein kleines Kind hinter sich her.

Kenny hob die Hände, als würde er die Welt nicht mehr verstehen. So wie ich.

»Du warst überhaupt nicht dabei! Lucy ist blau wie ein Matrose! Du weißt doch gar nicht, was passiert ist!« Stella stach Maddy mit dem Zeigefinger gegen die Brust. Ihre Wangen röteten sich und ihre Haare klebten ihr an der Stirn.

»Stella, es ist das passiert, was immer passiert: Alice rastet aus!«

Ich verfolgte ihren Schlagabtausch wie ein Ping-Pong-Spiel, versuchte, dabei ruhig zu bleiben. Maddy und ich waren nicht beste Freundinnen. Allerhöchstens Bekannte, die zwischendurch eine gute Zeit gemeinsam hatten. Dass sie so ein Problem mit mir hatte, war mir nicht bewusst gewesen. Ich schaute mich um, sah, wie die anderen über uns hinter vorgehaltenen Händen miteinander tuschelten. Und da wurde mir klar, dass es nicht um mein Verhalten ging. Maddy liebte die Aufmerksamkeit, aber stets nur die positive. Kenny begriff es offenbar auch, richtete sich auf und legte eine seiner großen Hände auf meine Schulter.

Ich konzentrierte mich auf Lucy. Diese starrte mit glasigem Blick zurück. Erst hatte ich den Eindruck, dass sie durch mich hindurchsah, doch dann wurden ihre Augen wacher. Sie schenkte mir eine Miene, die nichts anderes bedeuten konnte als Danke. Erleichtert ließ ich die Luft, die ich unbewusst angehalten hatten, aus meinem Mund strömen. Das war alles, was für mich zählte.

»Maddy, ich habe den Typen geschlagen. Ja. Aber ich habe nur unsere Freunde beschützt!«

Ihr Kopf wirbelte zu mir. »Weißt du eigentlich, wer David ist? Er ist der Sohn von –«.

»Ist doch völlig egal! Hör auf, Alice anzugehen!« Kennys tiefe Stimme brachte sie zum Schweigen.

Ich betrachtete das Würstchen auf dem Boden. Mittlerweile waren seine Augen wieder geöffnet. Als er mich sah, wurden sie groß und er rutschte auf dem Parkett zurück.

»Sie kann nicht einfach den Sohn des einflussreichsten –«.

»Miss?« Diesmal unterbrach nicht Kenny Maddys Gezeter. Ein kleiner, bulliger Mann mit Glatze stapfte auf uns zu.

»Miss, Sie müssen das Gebäude sofort verlassen!« Er sah mich an und kniff die Augen zusammen.

Stella hüpfte neben mich und öffnete den Mund.

»Schon okay«, flüsterte ich ihr zu und lächelte dann den Türsteher an. »Klar, ich gehe mit.«

Es war wie ein Marsch der Schande. Trotzdem behielt ich den Kopf oben und blickte geradeaus. Ich hatte nichts falsch gemacht. Dieser David hatte nur das bekommen, was er verdiente.

»Warte auf uns!« Stella und Kenny beeilten sich, mir und dem Sicherheitsmann zu folgen, und zogen dabei Lucy hinter sich her, die noch immer taumelte. Doch Maddy holte auf und zog an Lucys anderem Arm. Ich blieb stehen und betrachtete wie sie sich um unsere Freundin stritten wie Störche um einen Frosch.

»Miss, Sie müssen jetzt gehen, sonst sehe ich mich gezwungen, die Polizei zu rufen!« Der Türsteher packte mich am Arm und ich musste dem Drang, ihn loszureißen, widerstehen.

Ein Blick genügte und er ließ sofort meinen Arm los.

Kenny stützte Lucy, während Stella und Maddy sich stritten. Ich konnte ihre Worte kaum hören. Mittlerweile war die Musik wieder eingeschaltet worden. Doch einige Wortfetzen vernahm ich deutlich: »Ich fahre nicht mit ihr! Sie ist gefährlich! Das Gleiche gilt für Lucy! Ich möchte sie in dem Zustand nicht in Gefahr bringen!«

Wow, das hatte gesessen.

Ich stapfte neben dem Türsteher her und verschränkte die Arme vor der Brust. Langsam wurde die Musik leiser und das Licht greller. Er führte mich durch die Eingangsschleuse in den Vorraum.

»Hören Sie, mich hat sofort jemand über den Vorfall informiert. Ein tätowierter Herr hat sie als Täterin benannt, aber ebenso den Kerl, der ihre Freundin belästigt hat, gemeldet. Ein Krankenwagen ist unterwegs für das Weichei. Ich habe nicht die Cops gerufen, aber vielleicht machen die Sanitäter das. Ihr Freund hat mir deutlich gemacht, zu welcher Szene Sie gehören. Ich habe keine Lust auf Streit mit Gangs, deshalb gehen sie jetzt. Ich habe Sie nie gesehen!« Der Türsteher gaffte mich an. Seine Augen wanderten meinen Körper hinauf. Erst hätte ich ihm fast ebenfalls eine verpasst, doch dann begriff ich. Er suchte nach Gangzeichen. Ich zog an meinem Oberteil herum, um meine Tätowierungen zu verstecken. Nichts wie weg von hier.

»Danke«, sagte ich schlicht und verließ den Club durch die Eingangstür. Draußen war es ein wenig kühler. Ich atmete tief ein und aus. Durch die Frische, die sich um mich legte, bemerkte ich, wie die Knöchel an beiden Händen schmerzten. Ich war es nicht mehr gewohnt, mich zu prügeln.

Aus meinem Ausschnitt fischte ich eine Zigarette, die ich von meiner Bekanntschaft bekommen hatte, und zündete sie an. Der Rauch biss in den Augen, aber der Geschmack des Nikotins machte die Schmerzen in den Händen erträglicher. Ich inhalierte tief und stieß den Qualm durch die Nase aus. Mit einem Blick auf die Straße wünschte ich mir, dass der Fremde mit seinem Motorrad angefahren kam und mich mitnahm. Obwohl … War es wirklich er, der da auf dem Bike in meinen Träumen saß?

Ich zog das Smartphone aus der winzigen Tasche, die ich mir umgehangen hatte, und öffnete die Kontakte. Mit der Kippe zwischen den Lippen suchte ich die Nummer eines Taxiunternehmens raus, doch mein Finger schwebte nur über den Ziffern. Ich konnte mir die Heimfahrt nicht leisten. Ein Glucksen entfuhr mir, weil ich selbst nicht fassen konnte, wie armselig ich war. Ich scrollte hoch und starrte seine Nummer an, die unnötigerweise eingespeichert war, denn ich wusste sie eh auswendig. Daran hatten auch zwei Jahre Funkstille nichts geändert. Ich tippte sie an. Es war wie ein Reflex, den ich nicht stoppen konnte. Mein Herz entschied über meinen Kopf. Mit einer zittrigen Hand hielt ich das Handy an mein Ohr. Das Freizeichen wurde von meinem Herzschlag um ein Vielfaches überholt. Er würde nicht drangehen. Niemals. Das war aus und vorbei. Und ich wusste ja selbst nicht mal, ob ich das überhaupt wollte. Mir war nur klar, dass ich einsam war. Und er –

»Ja?«

Mein Herzschlag setzte aus. Seine Stimme zu hören war surreal. Wie ein Ruf aus einer anderen Zeit.

»Wer ist da?«

Ich antwortete nicht, doch meine Gedanken rasten. Während ich mich bemühte, genug Sauerstoff in meine Lungen zu pressen, kamen mir unzählige Fragen in den Sinn. Und eine war präsenter als alle anderen: Warum fragte er, wer da war? Ich rief nicht mit unterdrückter Nummer an. Das bedeutete nicht nur, dass er meine Nummer gelöscht haben musste, was ich nach meinem Verschwinden verstehen konnte. Nein, es hieß, dass er sich nicht an meine Nummer erinnerte. Ich öffnete den Mund, weil ich ihn fragen wollte, ob ich ihm völlig egal war. Ohne zu wissen, was ich entgegenbringen sollte, wenn er das bestätigte. Denn er hatte allen Grund sauer zu sein. Oder gleichgültig. Aber die Worte stockten in meinem Hals. Blake sprach ebenfalls nicht mehr. Da war nur sein Atem in meinem Ohr. Wusste er, dass ich es war?

»Alice!« Stellas Stimme erschreckte mich so sehr, dass ich auflegte. Einfach so. Zudem verschluckte ich den Rauch meiner Zigarette. Ich musste husten und wild nach Luft schnappen.

»He-ey«, krächzte ich zwischen Röcheln und Räuspern.

»Du musst hier weg!« Sie joggte zu mir und legte einen Arm um mich.

Ich zog die Kippe weg, damit ich keines ihrer langen, blonden Haare abflammte.

»Schon klar. Wie ist der Zustand von Lucy?«

»Sie ist wieder zu sich gekommen, aber braucht dringend einen Arzt. Tut mir leid, dass –«

»Ach, passt schon«, tat ich ab und nahm einen weiteren tiefen Zug. In Wirklichkeit passte das überhaupt nicht. Ich wäre gerne für meine Freundin da gewesen.

»Lass mich ein Taxi rufen! Ich übernehme das!« Stella lächelte und setzte sich in Bewegung.

Ich beeilte mich, auf meinen Mordstretern hinter ihr herzulaufen. »Ich möchte keine Almosen!«

»Dein Abend war beschissen genug! Da möchte ich wenigstens, dass du sicher –«

Eine Sirene durchschnitt ihren Ausbruch. Sie blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sah mich mit vorgeschobenem Kinn an.

»Das war mein ganz persönlicher Startschuss. Ich mach, dass ich verschwinde. Bitte pass gut auf Lucy auf und berichte mir nachher, wie der Stand der Dinge ist«, ratterte ich hinunter, trat meine Zigarette auf dem Boden aus und schloss Stella in eine kurze Umarmung. Ihr Gesicht sprach Bände. Ihr fiel die Trennung ebenso schwer wie mir.

»Hör mal, ich …« Ich hatte das Gefühl, dass die Geschehnisse zwischen uns hingen wie ein düsterer Schleier.

»Alice, wehe, du entschuldigst dich jetzt!«

Sie gab mir einen Kuss auf die Wange, der mich zum Lächeln brachte. Diese Situation war beschissen, aber ich war froh, sie als meine Freundin zu haben.

»Maddy redet absoluten Schwachsinn!«

Tat sie das? War ich nicht auf gewisse Weise gefährlich? Brachte meine bloße Anwesenheit meine Freundinnen nicht schon einer Szene näher, die ich aus guten Gründen mit wehenden Fahnen verlassen hatte?

Ich starrte den auf uns zurollenden Krankenwagen an. Konzentrierte mich auf das Blaulicht.

Es kostete viel Kraft, mich von Stella zu lösen. Aber es war besser so.

»Pass auf dich auf«, verlangte sie.

Ich nickte. »Und du auf dich, ja?« Damit ich nicht die Nerven verlor und mich weiter auf das konzentrierte, was in dieser Welt, die mir nach den zwei Jahren noch immer so fremd war, richtig war, drehte ich mich um und sah nicht zurück. Den ersten Kilometer joggte ich, damit eine sichere Distanz zwischen dem Trubel und mir lag. Doch irgendwann blieb ich stehen. Die Sirene war längst verstummt. Das Blaulicht nicht einmal mehr zu erahnen. Ich war allein. Regelrecht einsam. Normalerweise hatte ich kein Problem, ohne Begleitung den Heimweg zu bestreiten, aber in diesem Moment schmerzte es mich. Ich stopfte einen Stöpsel in mein Ohr und schaltete die Playlist mit Lieblingsliedern ein. Den anderen ließ ich in meiner Handtasche, denn ich wollte weiterhin alles um mich herum mitbekommen. Allzeit bereit zur Verteidigung. Als ich wieder loslief und der Song von Metallica auf Korn wechselte, brach die Musik ab. Ein eingehender Anruf. Aufregung durchströmte meinen Körper. Mein erster Gedanke galt Blake. Hatte er doch durchschaut, dass ich ihn angerufen hatte? Oder war das vorhin einfach nur ein Trick gewesen, damit ich mich selbst zu erkennen gab? Ich hatte keine Kraft mehr für eine weitere Konfrontation. Doch Stella kam mir in den Sinn. Vielleicht brauchte sie meine Hilfe? Ich nahm den Anruf mit einem Kloß im Hals entgegen und rechnete fest mit ihrer Stimme. Doch es war die meiner Mutter.

»Alicia, hier ist Mom.«

Ich war wie in Schockstarre. Seit mehreren Monaten hatte ich ihre Stimme nicht gehört. Zuletzt zu ihrem Geburtstag an Halloween.

»Alicia?«

Ich legte auf und starrte auf das Display. Erschrak, als die Musik wieder einsetzte. Warum rief sie mich mitten in der Nacht an? Was wollte sie bloß von mir? Auf keinen Fall war ich heute in der Lage, mit ihr zu sprechen. Ich konnte ihre Vorwürfe, ihr Gejammer oder ihre Belehrungen nicht ertragen. Je nachdem, wie sie gelaunt war, würde sie mich zur Schnecke machen oder anbetteln, zurück nach Hause zu kommen. Das wäre zu viel. Außerdem hatte ihre Stimme das Loch in meiner Brust weiter aufgerissen. Es war jetzt eine klaffende Wunde, die mir vollkommen neu war. Anders als die Wunde, die Leo in mich gerissen hatte. Ich wusste gar nicht, dass es möglich war, eine Heimwehwunde zu haben. Ich dachte, ich hätte damit abgeschlossen.

Kapitel 4

Mit dem kleinen Zipfel des Putztuchs kratzte ich den letzten Rest Staub aus dem Metallregal, damit ich die Universalboxen wieder in das entsprechende Fach räumen konnte. Erst als es im Neonlicht glänzte, gab ich mich zufrieden.

Die Glocke der Ladentür ertönte und signalisierte mir, dass es Kundschaft gab. Schnell platzierte ich die letzte Box und schlängelte mich dann an den Kleiderstangen mit Lederjacken und Hosen vorbei.

»Komme!« Meine schweren Stiefel quietschten auf dem Linoleum mit der Musik aus den Lautsprechern um die Wette. Bobby hatte eine merkwürdige Musikwahl für das Rolling Sins getroffen, denn fast jeden Tag tönte Pat Benatar oder eine ähnlich berühmte 80er-Rockröhre aus der Musikbox an der Decke.

»Du hast seit einer Viertelstunde Feierabend, Kleines«, ertönte seine tiefe Stimme von der anderen Seite des Ladens.

Ich sah seine große, hagere Statur in der Tür, die im Sonnenlicht, das von draußen durch die Glastür schien, einen endlos wirkenden Schatten bildete.

»Passt schon!« Ohne auf sein verzogenes Gesicht zu achten, ging ich an ihm vorbei, hinter den Tresen, und begann das Regal mit den Motorölen zu sortieren. Beim Raussuchen einer Flasche war mir aufgefallen, dass alles dort durcheinander gemischt war. Es machte mir Spaß, ein bisschen Ordnung in Bobbys Chaos zu bringen. Er war ein exzellenter Mechaniker, bekam jeden Bock wieder zum Laufen, aber mit der Sortierung und Sauberkeit hatte er es nicht so. Er war ein richtiger Freigeist.

Ich steckte meinen Arm so tief in das Regal, dass ich mich gegen die anderen Flaschen lehnen musste. Da hinten stand eine, an die ich partout nicht herankam.

»Alice, du weißt, dass ich dir diesen Monat keine Überstunden bezahlen kann«, sagte Bobby und kniete sich neben mich. Er hielt sich den unteren Rücken, während er sich nach vorne lehnte und seinen Arm in das Regal steckte. Stöhnend zog er die verlorene Flasche hervor.

»Ich weiß. Sieh es doch als Ausgleich dafür, dass ich mein Bike hier unterstellen darf.« Ich grinste ihn an. Dankbarkeit und ein Hauch Vorfreude durchströmten meine Brust. Heute wollte ich an meinem Baby herumschrauben und es danach putzen. Es war zu lange her, dass ich auf ihr gesessen und meine Freiheit genossen hatte, doch sie war kaum verkehrstüchtig gewesen. Mein Motorrad war schon alt und bekam nicht genug Aufmerksamkeit. Ohne den Club, ohne meine Freunde oder Blake machten Touren keinen Spaß, deshalb war ich nicht viel gefahren, seit ich nach Tucson gekommen war.

»Ach, das ist doch selbstverständlich. Wir Biker müssen zusammenhalten. Ride or Die!« Er stand beschwerlich auf. Leicht humpelnd ging er um die Theke herum. Oft arbeitete er zu lange auf den Knien und bekam dadurch Probleme mit dem Rücken und den Gelenken. Ich sah es in seinem gequälten Gesichtsausdruck und an dem wankenden Gang.

»Kann ich dir helfen, alter Mann?«

Er erwiderte mein Lächeln. »Machst du den Tagesabschluss?« Mit Daumen und Zeigefinger zwirbelte er sich den langen Bart.

»Sicher.« Es tat gut, Zeit mit jemandem zu verbringen, der mich verstand. Der das, woran sich viele Menschen störten, zu schätzen wusste. Der die Leidenschaft zu Motorrädern mit mir teilte und mich so sein ließ, wie es meiner Natur entsprach.

Zufrieden seufzte ich, als alle Flaschen in der richtigen Reihenfolge standen. Ich war kein Ordnungsfreak, aber meine Arbeit nahm ich sehr genau. Schließlich bezahlte sie mir meine Rechnungen. Und sie machte mir Spaß. Hier fühlte ich mich nicht fehl am Platz.

Wie ich so auf dem Boden hockte, fielen mir die Wollmäuse in den Ecken auf. Ich sollte hier noch schnell durchwischen.

Die Tür klingelte erneut und schwere Schritte kündigten einen verspäteten Kunden an. Bobby hatte den Laden in Richtung Werkstatt wieder verlassen. Er winkte mir durch das Fenster zu. Ich zog mich an der Metallkante des Tresens hoch und konnte meinen Augen nicht trauen.

»Jared?« Mir fiel der Putzlappen aus der Hand. Ich musste mich abstützen, damit ich nicht zur Seite wegkippte.

»Alice Gebara! Heiß wie eh und je!« Er öffnete die Arme und ich tapste um die Theke. Mit einem Quieken warf ich mich an ihn. Der bekannte Geruch meines besten Freundes drang mir in die Nase. Ich vergrub mein Gesicht in seinen Klamotten. Es war kaum zu fassen, dass er hier stand. Und das, ohne mir vorher etwas zu sagen.

»Was machst du hier? Woher weißt du, dass ich hier bin?« Ich drückte ihn von mir, um sein Gesicht genau zu betrachten. Er wirkte älter, irgendwie erwachsener.

»Ich war in der Nähe, musste Erledigungen machen«, hielt er sich bedeckt.

Ich zog eine Augenbraue in die Höhe, verkniff mir aber vorerst weitere Fragen. Schließlich freute ich mich, ihn endlich mal wiederzusehen. Zwei Jahre waren vergangen, in denen wir höchstens sporadisch mal telefoniert hatten. Früher hatten wir wie Kletten aneinandergeklebt. Zu dritt, später zu fünft. Wir waren unzertrennlich gewesen. Sein Gesicht, welches mich an alte, bessere Zeiten erinnerte, war wie ein Schlag gegen meine Brust. Gegen mein Herz.

»Deine Nachbarin hat mir gesagt, dass du hier arbeitest«, klärte er mich auf.

In diesem Fall war es in Ordnung, aber ich musste unbedingt mit Mrs Daniels darüber reden, dass sie das nicht an die große Glocke hängen sollte. Es ging niemanden an, wie und wo ich meine Zeit verbrachte.

Mir fehlten noch immer die Worte, deshalb starrte ich Jared einfach an. Er war in Tucson. Hatte fast 900 Meilen Weg hinter sich gebracht.

»Wie geht es dir?« Er legte seinen Arm um mich, wie er es früher stets getan hatte.

»Gut. Mir geht es gut. Und dir? Sorry, ich kann nicht glauben, dass du hier bist!«

Sein Lächeln zeigte eine Reihe weißer, perfekter Zähne. Er strich sich die dunklen, schulterlangen Haare nach hinten und öffnete seine Lederjacke ein wenig. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, die sich ein wenig in Falten legte.

»Und du arbeitest hier? Hast du das Studium aufgegeben?« Sein Lächeln wurde schmaler.

»Nein, nein! Das ist nur ein Nebenjob. Ich muss ja über die Runden kommen.« Ich löste mich von ihm, trat hinter den Tresen und begann die Kasse abzuschlagen.

»Aber du weißt doch, dass deine Eltern –«

Ich stöhnte auf.

Jared verstummte. Er sah mich mit einem Blick an, der neu war. Er wirkte verletzt. Verärgert?

»Bitte lass uns nicht über meine Eltern … oder vielmehr meine Familie reden.« Ich zählte die Scheine in der Kasse. Es war kein berauschender Tagesumsatz, aber immerhin hatten wir heute einiges an Zubehör verkauft. Motorradklamotten wären besser gewesen, denn die Gewinnspanne war höher, aber in Tucson gab es nicht gerade viele Motorradclubs. Genauer gesagt wusste ich nur von dreien.

»Und der Club?« Jared stemmte die Hände in die Hüften. War er größer geworden? Konnte man mit Mitte zwanzig noch wachsen?

»Über den Club will ich auch nicht sprechen«, gab ich knapp zurück.

Das Kleingeld stimmte mit der Summe des Bons überein. Ich nahm die fünfzehn Dollar Trinkgeld heraus, der Rest blieb in der Kasse, damit Bobby sie später entnehmen konnte. Den Bon stach ich auf den Pikser neben dem Taschenrechner und der Kleberolle.

»Das könnte schwierig werden«, murmelte Jared.

Mein Blick flog zurück zu ihm. Er drehte sich um und ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke. Auf der Rückseite seiner Lederjacke prangte ein großer, spanischer Henker, der auf einem Löwen ritt. In dem allzu bekannten Schriftzug stand in großen Lettern Los Verdugos über dem Henker und ein wenig kleiner Original Lions Truckee unter dem beeindruckenden Tier. Allein die Kombination von Schwarz, Weiß und Rot ließ meine Atmung schneller gehen.