Nevada Highways 3: Promise of Vengeance - Marie Kärsting - E-Book

Nevada Highways 3: Promise of Vengeance E-Book

Marie Kärsting

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Beschreibung

**Rich Girl versus Bad Guy – Er ist ihr Bodyguard, bringt aber ihr Herz in Gefahr** Stella ist auf der Flucht vor ihrem stalkenden Ex-Freund. Sie findet Schutz bei der berüchtigten Verdugos-Gang. Biker Adan lebt aufgrund einer misslichen Wohnungssituation ebenfalls im Clubhaus und wird beauftragt, ein Auge auf Stella zu haben. Das Mädchen aus reichem Hause und der ehemalige Elitesoldat können sich auf den ersten Blick nicht ausstehen. Unter die Abneigung mischt sich allerdings eine gute Portion knisternde Anziehung ... Vor allem, als es im Clubhaus voll wird und sie sich ein Zimmer teilen müssen, wird die unfreiwillige Wohngemeinschaft schnell zu einem Pulverfass der Gefühle. Adan ist bald mehr als nur Stellas Bodyguard. Doch als ihn die Vergangenheit einholt, stellt er selbst bald die größte Gefahr für ihr Leben dar.    Spannende Biker Romance mit heißer Forced Proximity und großen Gefühlen!   //»Promise of Redemption« ist der dritte Roman der knisternden »Nevada Highways«-Reihe. Weitere Bände der nervenaufreibenden New Adult Romance bei Impress: --Nevada Highways 1: Promise of Redemption  --Nevada Highways 2: Promise of Loyalty  --Nevada Highways 3: Promise of Vengeance Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden. Für die bessere Verständlichkeit empfiehlt es sich aber alle Bände in der Reihenfolge zu lesen.//   

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Marie Kärsting

Nevada Highways 3: Promise of Vengeance

**Rich Girl versus Bad Guy – Er ist ihr Bodyguard, bringt aber ihr Herz in Gefahr**

Stella ist auf der Flucht vor ihrem stalkenden Ex-Freund. Sie findet Schutz bei der berüchtigten Verdugos-Gang. Biker Adan lebt aufgrund einer misslichen Wohnungssituation ebenfalls im Clubhaus und wird beauftragt, ein Auge auf Stella zu haben. Das Mädchen aus reichem Hause und der ehemalige Elitesoldat können sich auf den ersten Blick nicht ausstehen. Unter die Abneigung mischt sich allerdings eine gute Portion knisternde Anziehung … Vor allem, als es im Clubhaus voll wird und sie sich ein Zimmer teilen müssen, wird die unfreiwillige Wohngemeinschaft schnell zu einem Pulverfass der Gefühle. Adan ist bald mehr als nur Stellas Bodyguard. Doch als ihn die Vergangenheit einholt, stellt er selbst bald die größte Gefahr für ihr Leben dar.

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Vita

Playlist

Danksagung

© privat

Marie Kärsting, geboren 1993, lebt mit Ehemann und zwei Hunden am Niederrhein. Obwohl sie schon als Kind vom Bücherschreiben träumte, stellte sie den Wunsch Autorin zu werden hinten an und studierte Betriebswirtschaftslehre. Nach erfolgreichem Abschluss fand sie trotz der vielen Zahlen ihre Liebe zu Wörtern wieder. Sie schreibt Romane und Kurzgeschichten quer durch den literarischen Gemüsegarten – immer mit einer Portion Feminismus.

Für alle Frauen, die keine Kinder wollen und es keine Sekunde bereuen werden.Für alle Frauen, die gerne Kinder bekommen würden, aber nicht können.Für alle Mamas, die es bereuen.Für alle Mamas, die es zu den glücklichsten Menschen der Welt macht.Für alle Frauen – mit oder ohne Uterus.

Playlist

Olivia Rodrigo – all-american bitch

Blue Öyster Cult – (Don’t Fear) The Reaper

Nine Inch Nails – The Hand That Feeds

SOFIA ISELLA – Everybody Supports Women

Demi Lovato – SWINE

Lorde – Buzzcut Season

Suki Waterhouse – Good Looking

Royal Blood – Out of the Black

Future Palace, Charlie Rolfe, As Everything Unfolds – The Echoes of Disparity

Bullet For My Valentine – Hand Of Blood

Dead Poet Society – Hard To Be God

Bad Omens – Like A Villain

Florence + The Machine – Girl With One Eye

Type O Negative – IYDKMIGTHTKY (Gimme That)

She Wants Revenge – Tear You Apart

Mazzy Star – Halah

ifa – Still Trying

Linkin Park – Somewhere I Belong

The Irrepressibles – In This Shirt

Lord Huron – The Night We Met

M.I.A. – Bad Girls

Florence + The Machine – Just A Girl – From The Original Series »Yellowjackets«

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Marie und das Impress-Team

Kapitel1

Die Luft war so dick von dem Zigarettenrauch, dass ich sofort zu husten begann. In mir hallte der Bass wider, der aus den Boxen dröhnte. Rechts auf dem Sofa saßen Männer, die mir zunickten. Sie trugen schwere Stiefel, Lederwesten, rauchten und tranken. Viel mehr erkannte ich nicht, weil das Licht im Inneren des Gebäudes nur spärlich war. Eine Diskokugel reflektierte das des einzigen Scheinwerfers, der passend im Takt der Musik umherleuchtete.

Ich kniff die Augen zusammen und war nicht imstande, den Fremden zuzulächeln, denn all diese Eindrücke regneten auf mich nieder. Alices Arm um meiner Schulter gab mir Halt. Und Kennys Blicke, die immer wieder zu mir wanderten, auch wenn ich mir sicher war, dass er diese Kneipenatmosphäre ebenso begierig aufsog wie ich selbst.

Wir passierten das große Sofa. Als einer der Männer aufstand, gab Alice ihm nur ein kaum wahrnehmbares Zeichen und er setzte sich wieder. Links befand sich eine Bar mit Hockern, auf denen zwei Frauen saßen, die in ein Gespräch vertieft zu sein schienen. Die Brünette mit den vielen Piercings sah kurz zu uns und lächelte. Ich versuchte es zu erwidern, kam mir aber wie ein trauriger Clown vor, der den Schein aufrechterhielt, weil es sein Job war.

Wir gingen weiter geradeaus und betraten eine Tanzfläche, auf der eine einzelne Person tanzte. Sie warf ihre roten Haare von rechts nach links, ließ zu den rauen Gitarrenklängen die Hüften kreisen und war so in ihrer eigenen Welt, dass sie nicht bemerkte, wie wir uns an ihr vorbeizwängten. Zu dritt durchquerten wir den Flur, der lediglich von einer Glühbirne an der Decke ausgeleuchtet wurde. Generell sah es hier nicht im klassischen Sinne bewohnt aus. Eine Wand war nur zur Hälfte gestrichen, Farbeimer, Spachtel und Silikontuben lagen auf dem Boden und machten das Durchkommen auch nicht leichter.

Der Durchgang war so schmal, dass Alice sich von mir löste und vorging. Kenny gewährte mir den Vortritt, sodass ich von beiden Seiten von meinen Freunden umringt wurde. Es war ein gutes Gefühl und minderte das Herzklopfen, das seit unserer Abreise aus Tucson wie ein Dauerbrennen in mir pulsierte. Die Fahrt war lang gewesen. Kenny und ich waren abwechselnd gefahren. Kein Wunder also, dass mein Geist vollkommen erschöpft war und mein Körper durch den Bewegungsmangel überdreht.

Alice drosselte das Tempo. Über ihren Kopf hinweg erkannte ich, dass zwei Männer auf uns zumarschierten. Der Blonde humpelte leicht, zog eine Braue in die Höhe und nahm Alices Hand in seine. Der andere strich sich über die kurzen, dunklen Haare und steckte dann die Hände in die Taschen seiner Jeans.

»Hast du spontanen Besuch?« Der Ton, in dem der Blonde das sagte, war alles andere als freundlich.

Automatisch machte ich einen Schritt nach hinten und stieß gegen Kenny, der mir eine Hand auf die Schulter legte.

»Das sind Freunde aus Tucson. Stella«, erklärte Alice und deutete grinsend auf mich, »und Kenny. Ich habe euch von ihnen erzählt.«

Sofort änderte sich die Haltung des Fremden. »Hey, schön euch kennenzulernen.« Er gab erst mir die Hand, die ich zögerlich schüttelte, dann Kenny, dem er sogar kurz auf die Schulter klopfte. »Freunde von Alice sind auch unsere Freunde. Ich bin Blake.«

»Oh«, brachte ich hervor. Er sah mich an und legte den Kopf schräg. »Ich … habe von dir gehört.« Alices Ex-Freund und Wieder-Freund.

Er lachte kurz schallend auf. »Das kann ich mir gut vorstellen.«

»Hey, ich bin Jared.« Der andere gab uns ebenfalls die Hand. Sein Lächeln war von Anfang an strahlend gewesen.

»Wo wollt ihr hin? Keine Lust auf eine Feier?« Blake musterte Alice mit einem Glänzen in den Augen.

Ich musste gar nicht viel wissen, um zu verstehen, was sie füreinander empfanden. Die kleinen Zärtlichkeiten entgingen mir nicht.

»Wir müssen etwas bereden.« Alice und er tauschten einen Blick und es war, als hätten sie eine ganze Konversation miteinander geführt.

»Alles klar. Wenn du uns brauchst …« Blake gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Dann weiß ich, wo ihr seid. Geht mal mit Kenna tanzen. Die anderen lassen sie allein auf der Tanzfläche.«

Das ließ sich der dunkelhaarige Mann nicht zweimal sagen. Er schob sich an uns vorbei, joggte den Gang entlang und schmiegte sich von hinten an die Rothaarige. Blake nickte uns zu und folgte seinem Freund.

»Kommt mit«, forderte uns Alice auf und ging weiter.

Ich setzte mich erneut in Bewegung und bemühte mich zu begreifen, wo wir uns hier überhaupt genau befanden. Mir fiel erst jetzt auf, wie wenig ich mit Alice über ihre Vergangenheit und nun wieder Gegenwart gesprochen hatte. Ihre Heimat und Familie waren mir unbekannt, bis auf ein paar wenige Geschichten, die sie mit mir geteilt hatte. Erschreckend oft hatten wir nur über das Studium gesprochen. Oder über mich. Über meine Probleme und Sorgen. Alice war eine Macherin gewesen. Sie war zwischendurch gestrauchelt, aber immer selbst aufgestanden und hatte ihre Pläne durchgezogen. Nur den mit der Rückkehr nicht. Sie war nie wieder in Tucson gewesen.

Verdammt, ich hatte sie so sehr vermisst. Und obwohl ich nichts anderes wollte als mit ihr Eiscreme zu essen und Serien zu schauen, fühlte ich mich blockiert. Durch die Schuldgefühle, die in mir aufstiegen, weil ich mich wie eine miese Freundin fühlte. Ich tauchte hier ohne Vorwarnung auf und bat aus dem Nichts heraus um Hilfe. Wir hatten in den letzten Monaten zwar ab und zu miteinander telefoniert, aber dieses Leben hier hatte sie sehr beansprucht. Ein aufrichtiger Austausch hatte nicht stattgefunden und die Vorstellung, dass es gleich so weit sein würde, verursachte ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend.

»Hier können wir ungestört sprechen«, verkündete Alice und öffnete eine Tür. Wenig Licht schien von den Laternen, die um das Grundstück herum aufgestellt waren, durch das große Fenster herein.

Kenny merkte wohl, dass ich mich keinen Zentimeter bewegte, deshalb ergriff er die Initiative. Ohne zu zögern, schob er sich an mir vorbei und betrat den Raum. Alice lehnte sich hinein und betätigte den Lichtschalter. Sofort kniff ich die Augen zusammen. Erst als sie sich an den hellen Schein gewöhnt hatten, erkannte ich, dass sich vor mir ein kleines Bürozimmer befand. Rechts stand ein Schreibtisch, auf dem haufenweise Unterlagen und Ordner lagen. Links befand sich ein Tisch mit vier Stühlen. Kenny nahm dort Platz und faltete die Hände auf der Platte ineinander, als würde er jeden Moment eine Rede halten oder beten.

»Entschuldigt bitte das Chaos. Die Buchhaltung ist von Zeit zu Zeit eine Herausforderung.« Alice lächelte, ordnete ein paar Papiere auf dem Tisch und setzte sich dann gegenüber von Kenny.

Ich atmete die muffige Luft tief ein und setzte mich dann zu ihnen.

»Okay, was ist los?« Sie blickte von Kenny zu mir. Ihr Ausdruck war so intensiv, dass ich kurz auf die Holzplatte starrte, um ihm auszuweichen. »Versteht mich nicht falsch, ich freue mich, euch wiederzusehen. Aber ein Überraschungsbesuch ist eher … ungewöhnlich. Vor allem, wenn wir von knapp 900 Meilen Strecke sprechen.« Sie machte eine Pause, in der sie sich eine ihrer langen, knallroten Haarsträhnen hinter das Ohr strich. »Du brauchst Hilfe? Erzähl mir, was ich für dich tun kann.« Ihr Blick ruhte auf mir.

Ich presste die Lippen zusammen. Bis zu diesem Moment hatten meine Pläne nie gereicht. Ich hatte immer nur vor mir gesehen, wie wir sie fanden und ihr gegenüberstanden. Was ich ihr verraten wollte und was eben nicht, war mir vollkommen unklar.

»Ich …«, setzte ich an, brach jedoch wieder ab. Mit einem Schlucken überwand ich meine Scham und sah ihr in das schöne Gesicht. »Ich habe echte Probleme.«

Alice nickte nur. Für einen Wimpernschlag rutschte ihr Blick zu meinen Händen, die ich auf der Tischplatte zu Fäusten geballt hatte. Mir schmerzten die Knochen, so sehr presste ich meine Knöchel zusammen. Alice rückte näher, nahm meine Fäuste in ihre und anstatt meine Finger zu lösen, damit ich mich entspannte, gab sie zusätzlichen Druck auf sie. Sie schenkte mir ihre Kraft. Ihre Wut und Verzweiflung, damit ich mein Chaos auskosten konnte. Sie gab mir Mut weiterzureden.

»Ich brauche eine Bleibe. Vorläufig … oder auch länger. Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein.« Ich schluckte.

»Du bist jederzeit und solange du es benötigst, bei mir willkommen. Generell bei den Verdugos. Blake hat die Wahrheit gesagt: Meine Freunde sind ebenso Freunde des Clubs.« Sie lächelte.

»Was sind die Verdugos?« Ich biss mir auf die Unterlippe. Mir war zwar nicht klar, was hier genau vor sich ging, aber eine Ahnung flatterte in meinem Bauch umher.

»Willst du die Version, die wir der Polizei erzählen, oder die Wahrheit?« Sie lehnte sich auf dem Stuhl nach hinten. Das Fehlen ihrer Finger auf meinen ließ mich erschaudern.

»Beide«, antwortete ich mit einem Seitenblick zu Kenny. Mir kam es vor, als wüsste er Bescheid. Vermutlich kannte er sich besser mit diesen Dingen aus. Und natürlich hatten sie mir nie etwas gesagt, weil ich ja nur das Kindchen war, das nichts verstand.

»Wir sind ein Motorradclub für Liebhaber von Choppern. Wir betreiben eine Tankstelle und verkaufen Gebrauchtwagen. Kritiker würden sagen, dass wir eine kriminelle Vereinigung sind.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Du erinnerst dich daran, wie ich dir von meinem Vater erzählt habe? Er ist kein Zahnarzt, auch wenn er sich mit der Entfernung von Zähnen auskennt.«

Ich war nicht geschockt. Überrascht schon, denn ich war immer davon ausgegangen, dass Alice lediglich in schlechten Verhältnissen aufgewachsen war. Arm. Mittellos. Aber das hier sah weder nach dem einen noch nach dem anderen aus. Die Maschinen, die vor dem Gebäude aufgereiht standen, ergaben ein anderes Bild. Eines, das zu meiner vagen Ahnung passte, sie bestätigte.

»Kriminalität?« Meine Stimme war dünner, als ich es gewollt hatte.

Alice nickte. »Stella, ich wollte dich nie anlügen. Aber in Tucson war ich ein anderer Mensch. Nicht ganz. Unsere Freundschaft war echt.« Sie sah von mir zu Kenny. »Ich habe einen wichtigen Teil von mir verleugnet und damit ist jetzt Schluss. Wenn du das nicht akzeptieren kannst, dann verstehe ich das. Aber ich kann mich nicht mehr verstellen und –«

»Wie kommst du darauf?« Meine Unterbrechung ließ sie die Brauen zusammenziehen. »Ich hatte schon eine Vermutung, von daher bin ich darauf vorbereitet. Auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass du ehrlich gewesen wärst. Ich halte das aus, Alice. Ich halte vieles aus.« Die Bitterkeit stieg wie Sodbrennen in mir auf.

»Na ja, es sind völlig neue Umstände. Wenn du dich unter diesen nicht mehr mit mir abgeben willst …« Da blitzte wieder die alte Alice auf, die ich kannte. Die Frau, die sich so unfassbar verstellt hatte, um allen zu gefallen, und sich dabei selbst verloren hatte.

Ich wusste nicht, was genau hinter der Kriminalität stand, was für Typen da draußen saßen und wem ich vorhin die Hand geschüttelt hatte, aber das hier war meine Freundin. Meine beste Freundin Alice. Sie war ein guter Mensch. Ihr Kern war rein. Und das war alles, was für mich zählte.

»Ich bin hier. Und ich bleibe, wenn du mich lässt.« Wir sahen uns an. Erst zögerte sie. Wartete ab, ob ich mich doch noch gegen sie wenden würde. Aber dann flackerte Erkenntnis in ihren Augen auf. »Was musstest du ertragen, Stella?«

Ich atmete tief ein und aus.

»Ich habe dir doch von Ryan erzählt, oder?« Allein seinen Namen auszusprechen, versetzte mich in Panik. Wie auf Knopfdruck checkte ich die Fluchtmöglichkeiten, die gleichzeitig aber auch Zugänge waren, durch die er jederzeit eindringen konnte. Obwohl … War das hier möglich? Waren Kriminelle nicht bewaffnet? Ich suchte Alice nach Anzeichen einer Waffe ab, doch konnte keine erkennen.

»Was hat er getan?« Sie lehnte sich nach vorne, sodass die Ketten um ihren Hals klimperten.

»Wir waren fast sechs Monate zusammen. Am Anfang war es ganz schön. Ich … Ich habe ihn geliebt. Oder zumindest habe ich das gedacht.«

»Das war keine Liebe«, flüsterte Kenny.

Ich schloss die Augen. Es fühlte sich an, als würde sich mein Körper aus seiner eigenen Haut schälen wollen.

»Ich dachte, dass alles okay ist. Bis es dann irgendwann nicht mehr so war. Er ist immer wieder sehr wütend geworden. Ausfallend. Er hat Regeln aufgestellt, an die ich mich halten sollte. Kaum Kontakt zu meinen Eltern, keine Ausflüge in die Mall …«

»Sie durfte nicht mehr mit mir reden.« Kenny verschränkte die Arme vor der Brust.

Hitze stieg mir in die Wangen. Im Nachhinein fragte ich mich, wie so oft in den letzten Tagen, warum ich mir das hatte gefallen lassen. Warum ich nicht nach dem ersten Eklat meine Sachen gepackt hatte und geflohen war. Aber Ryan war … Er konnte eine Naturgewalt sein.

»Das klingt … extrem toxisch«, presste Alice hervor. An der Art, wie sie ihren Kiefer anspannte, erkannte ich, dass sie sich zusammenriss, um nicht ausfallend zu werden.

»Wenn ich eine Regel gebrochen habe, war er entweder am Boden zerstört und hat stundenlang geweint oder er ist ausgeflippt. Seine Wut … Sowas habe ich noch nicht erlebt.« Mir wurde eiskalt, deshalb schlang ich meine Arme um mich. »Jeder Tag war ungewiss. Manchmal war er der liebste Mensch auf dem Planeten, hat mir Geschenke gemacht und mich zum Essen ausgeführt … Und an anderen Tagen war er kalt, abweisend, hat kaum mit mir gesprochen oder mich sogar fertiggemacht. Für schlechte Noten, mein Aussehen, meine Kleidung.« Salziger Geschmack stieg mir den Hals hoch.

»Sag mir bitte, dass du ihn zum Mond geschossen hast«, verlangte Alice und stand auf. Das Feuer brannte in ihren Augen.

»Ja, habe ich«, murmelte ich.

»Nachdem er sie angefahren hat, konnte ich sie endlich überzeugen, nie mehr mit ihm zu sprechen«, ergänzte Kenny.

Ich schloss erneut die Augen, weil ich merkte, wie die Tränen sich ihren Weg suchten. Nicht schon wieder. Ich wollte nicht weinen. Nicht hier und nicht jetzt.

»Was hat er getan?« Alice Stimme war ganz ruhig.

»Mir ist nichts passiert. Er sagt, dass es ein Versehen war, aber er hat es drauf angelegt. Ich musste nicht zum Arzt oder so, doch das ging zu weit.« Ich räusperte mich, weil mir die Worte im Halse feststeckten.

»Weißt du, was niemals weit genug sein wird? Die Distanz zwischen ihm und mir, denn ich habe große Lust, ihm etwas anzutun.«

»Da bist du nicht die Einzige«, pflichtete ihr Kenny brummend bei.

»Genau da liegt das Problem.« Ich öffnete die Augen und schluckte, als ich den Hass in den Augen meiner Freundin sah. Natürlich galt er nicht mir, trotzdem bekam ich es mit der Angst zu tun.

»Stella, ich habe keine Lust mehr auf Rätselraten. Was hat das alles zu bedeuten?«

»Er stalkt mich.«

Stille.

Mein Herz setzte aus. Die Lüftung hörte genau in diesem Moment auf zu brummen. Alice kam auf mich zu. Sie umrundete den Tisch, zog mich hoch und schlang ihre Arme um mich. Mit allem hatte ich gerechnet. Mit einem Streit über meine zu späte Flucht. Über Ryan und sein Verhalten. Ich hatte mit einem Ausbruch gerechnet, der einem Vulkan glich. Aber nicht mit ihrer Nähe und Fürsorge.

»Ich habe ihn vor ein paar Wochen verlassen und seitdem lässt er mich nicht in Ruhe. Er hat mich ständig angerufen, stand vor meiner Tür, wollte mit mir reden. Und dann …« Nun brach es aus mir heraus wie eine Sturmflut. Tränen brannten in meinen Augenwinkeln und bahnten sich ihren Weg über mein Gesicht. »Vorgestern hat er mir ein Bild gesendet, auf dem ich geschlafen habe. Er ist nachts in mein Zimmer eingebrochen.« Das letzte Wort war nur noch ein Wimmern. Alices Umarmung wurde fester. Als könnte sie den Schmerz aus mir herauspressen.

»Du bist hier sicher«, flüsterte sie in mein Ohr. »Das schwöre ich dir.«

Es knarzte, dann war Kenny schon bei uns und legte seine Arme ebenfalls um uns.

»Wenn du dich dazu entscheidest, vorerst hierzubleiben, werde ich dafür Sorge tragen, dass er dir nie wieder etwas antun kann.« Alice löste sich von mir.

Mich schüttelte es noch immer. Ich verschluckte mich an den Tränen und Schluchzern. Seit knapp einem Monat versuchte ich stark zu bleiben, doch nun hatte ich das Gefühl, dass ich kleine Stücke meiner Härte endlich aufgeben konnte. Kenny war eine unglaubliche Hilfe gewesen. Aber eine Frau an meiner Seite zu haben, die wirklich die Tiefe des Ganzen verstand, war einfach etwas anderes. Ich machte unserem Freund keinen Vorwurf, denn auch er war ja in diese Gesellschaft hineingeboren worden. Aber als Frau trug man eine schwerere Last – immer, ohne Diskussion. So sah es das Patriarchat vor.

»Ich möchte bleiben«, stieß ich hervor.

»Stella, du musst wissen, dass das auch gefährlich sein kann. Dieses Gebäude ist vor nicht allzu langer Zeit in die Luft gesprengt worden. Mein Club befindet sich in der prekärsten Situation der letzten fünf Jahre. Wir führen vielleicht schon bald einen Krieg. Du würdest hier mitten in diesem Chaos ausharren.« Sie legte ihre Hände an meine Wangen, um mich genauer zu betrachten.

»Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Mein Leben ist ein Scherbenhaufen. Ob er nun hier liegt oder in Tucson, macht keinen Unterschied mehr.«

Alice strich mir mit dem Daumen eine Träne von der Wange. »Was ist mit deinen Eltern?«

»Ich will sie nicht in Gefahr bringen.«Das war nur ein Teil der Wahrheit. Den eigentlichen Grund verschwieg ich ihr. Auch wenn ich mir wünschte, gänzlich ehrlich sein zu können, ich brachte es nicht über das Herz. Die Scham war zu groß. Allein der Versuch, die Worte in meinem Mund zu formen, scheiterte.

»Okay«, hauchte Alice. »Eine Frage noch: Hast du das Schwein angezeigt?«

Ich schüttelte langsam den Kopf.

Alice drückte mich wieder an sich. »Wir werden das hinkriegen. Danke, dass du sie hierhergebracht hast.« Das war wohl an Kenny gerichtet.

»Natürlich. Du warst die einzige Option, von der ich gehofft habe, dass er keinerlei Verbindung erkennt, die weit genug entfernt ist und ein gewisses Maß an Sicherheit bieten kann. Auch über die Polizeiarbeit hinaus.«

»Bleibst du ebenfalls hier?«

»Das geht nicht. Ich schreibe bald Klausuren.« Man hörte an seiner Stimme, dass er alles andere als begeistert war.

»Unsere Türen stehen dir jederzeit offen.«

»Danke.«

»Ja, danke«, nuschelte ich und vergrub mein Gesicht in der Beuge ihres Halses. Irgendwann redete sie einfach los, sodass ihre Stimme in meinem Hirn widerhallte. Sie schien ihr Handy hervorgekramt zu haben.

»Vic? Ich brauche dich hier in dem Büro von Dad.«

Kapitel2

»Wie lange dauert es, bis das Näherungsverbot durch ist?« Ich gab mir Mühe, mit der Fremden Augenkontakt zu halten. Es war interessant, sie zu beobachten, weil sie in die Atmosphäre dieses Bikerclubs nicht so recht hineinpassen wollte. Alle trugen Lederkluft, waren tätowiert und rauchten, nur Victoria war in einen Hosenanzug gekleidet, hatte die Haare zu einem perfekten tiefen Zopf gebunden und ihre Lippen leicht rosa geschminkt. Das erste Mal in den wenigen Stunden, die ich schon hier verbrachte, fragte ich mich, ob ich genauso aus der Menge herausstach. Ich trug eine gestreifte, weite Bluse, normale Jeans und Turnschuhe. Keine schweren Ketten, Schlagringe oder Motorradstiefel. Normalerweise ging ich als junge Blondine in der Masse der Studentinnen in Tucson unter, doch hier fiel ausgerechnet ich auf wie ein bunter Hund. Eine merkwürdige Beobachtung, die mich mehr beschäftigte, als sie sollte.

»Das kann schon einige Wochen in Anspruch nehmen. Ich würde den Antrag stellen, auf den man recht zügig Antwort erhält mit einem vorläufigen Ergebnis. Oft kommt es später zu einer Verhandlung.« Sie lächelte mich an, doch dann wurde ihre Miene ernster. Ich musste den Schock über den Tisch hinweg ausgestrahlt haben. »Ich prüfe, ob man durch einen Sonderantrag auf die Verhandlung verzichten kann, wenn du das wünschst.«

»Das wäre toll.« Der Hautfetzen am Rande meines Fingernagels wirkte auf einmal besonders interessant.

»Du bist dir sicher, dass du ihn nicht wegen seelischer Misshandlung und Stalking strafrechtlich verfolgen lassen willst?« Sie trank einen Schluck Wasser und notierte sich anschließend etwas in ihren Unterlagen, das ich nicht entziffern konnte.

»Nein, ich will lediglich meine Ruhe und mit ihm nichts mehr zu tun haben. Einen ganzen Gerichtsprozess stehe ich niemals durch.« Ich sah überallhin, nur nicht sie direkt an.

»Okay. Aber wenn du es dir anders überlegst, hier ist meine Karte. Ich veranlasse dann das Näherungsverbot. Deine Unterschrift habe ich ja bereits.«

Ich nickte und nahm die Visitenkarte entgegen. Sie glänzte in dem Deckenlicht und wirkte so edel wie die meiner Eltern.

»Danke, dass du dir hierfür Zeit genommen hast.«

»Genau dafür bin ich da. Kein Problem.« Sie packte ihre Unterlagen und Hefter in die Aktentasche aus dunklem Leder und richtete ihren Blazer, als sie aufstand. Sie schüttelte mir noch die Hand, dann verließ sie mit klackernden Absätzen den Raum.

Ich atmete ein paarmal tief ein und aus. Mit einer juristischen Beratung hatte ich an meinem ersten Abend hier nicht gerechnet, aber Alice war immer wieder für Überraschungen gut. Mein Herzschlag beruhigte sich ein wenig und ich verspürte die Hoffnung, dass das Innere meiner Brust in Zukunft nicht mehr ein überfordertes Päckchen aus Schuld, Sorgen und Angst sein würde. Es dauerte einen Moment, bis mir bewusst wurde, dass ich allein war. Seit ich mich von Ryan getrennt hatte, vermied ich es. Aus gutem Grund. Ich stolperte in Richtung Tür, doch bevor ich sie erreichte, flog diese auf. Ich kreischte und nahm eine Abwehrhaltung mit hoch erhobenen Händen ein.

»Was treibst du denn hier?« Der Typ, der mich bei meiner Ankunft für gemeingefährlich gehalten und deshalb blöd angemacht hatte, erschien im Türrahmen. Seine geschwungenen Augenbrauen rutschten zum schwarzen Haaransatz.

»Erschreck mich nicht so«, zischte ich. Schnell verschränkte ich die Arme vor der Brust, in der Hoffnung, dass er meine Geste nicht mitbekommen hatte.

»Wieso? Schlägst du mich dann wieder? Mit dieser Haltung wird das aber nichts.« Er grinste so schief, dass ich ernsthaft Lust bekam, ihm ein zweites Mal eine reinzuhauen.

Hier im Licht konnte ich ihn genauer betrachten. Wenn man von dem provokanten Grinsen absah, war er gut aussehend. Nicht im klassischen Sinn, denn er hatte eine große Nase mit einem Höcker, ein kantiges Kinn, aber auch hohe Wangenknochen, volle Lippen und so dunkle Augen, dass sie beinahe schwarz wirkten und einem direkt in die Seele zu starren schienen. So ein Mann zierte nicht das Cover des Mens Health-Magazine, obwohl er mit seinen vollen, glänzenden Locken Werbung für Shampoo oder Stylingprodukte hätte machen können. Diese Art von Mann kam in Fantasyfilmen als böser Hexenmeister vor … oder in Gefängnissen. Es wäre besser, mich hier von allen fernzuhalten, außer von Alice. Aber etwas in seinen Augen ließ mich nicht zurückweichen.

»Einmal habe ich es ja schon geschafft. Wenn meine Haltung so schlecht ist und du dich trotzdem von mir schlagen lässt, sagt das mehr über dich als über mich aus.« Mit diesen Worten ließ ich ihn in dem verlassenen Büro stehen. Ich presste die Lippen zusammen und rechnete jeden Moment damit, dass er sich an mir rächen würde. Schließlich klebte noch immer Blut an seiner Oberlippe. Doch er ließ mich gehen. Im Augenwinkel sah ich, wie er sich eine seiner langen Locken über die Schulter warf und die Kiefer aufeinanderpresste. Die perfekte Mischung aus Verärgerung und Amüsement.

Ich drehte mich im Gehen um und zeigte ihm den Mittelfinger, so wie er mir früher am Abend. So wirklich wusste ich nicht, warum ich das tat. Vielleicht, weil ich wütend war und mich streiten wollte. Aber nicht mit dem Hintergrund, dass ich, wie bei Ryan, um meine Gesundheit fürchten musste. Dieser Typ war nur mein Ventil für all den Mist, der mir in den letzten Wochen passiert war. Ich wollte Streit. Ich wollte schreien. Eine Frau wie ich tat das jedoch nicht, deshalb fraß ich es in mich hinein, bis es zu den ungünstigsten Zeitpunkten aus mir herausbrach. Zum Beispiel jetzt, wenn ich als Gast akzeptiert wurde und mit Undankbarkeit glänzte.

Doch der Fremde überraschte mich. Er erwiderte die Geste nicht. Er kam auch nicht auf mich zu, um mir Angst zu machen oder mir die Leviten zu lesen. Er legte nur den Kopf in den Nacken und begann zu lachen. Tief und durch den ganzen Flur schallend. Ich kam nicht umhin, seinen starken Hals zu bewundern. Langsam drehte ich mich um und entfernte mich von ihm. Mit derartigen Gedanken konnte ich nicht umgehen.

Sein Lachen versiegte. Er räusperte sich, dann rief er mir hinterher: »Du bist echt niedlich, Prinzessin!« Wie er das letzte Wort aussprach, klang ungewohnt.

»Fick dich«, rief ich ihm zu und beschleunigte meine Schritte. Vielleicht war ich zu weit gegangen. Warum hatte ich das getan? Reichte nicht ein Mann, der mir das Leben zur Hölle machte? Ich sah ein weiteres Mal zurück und beobachtete, wie er sich in den Türrahmen des Büros lehnte, sich eine Zigarette anzündete und mich weiterhin beobachtete. Meine Füße flogen über den Boden.

»Da bist du ja.«

Ich blieb stehen und atmete auf, als Alice mich im Hauptraum in Empfang nahm. Die Musik war nicht mehr so laut wie vorhin. Auch waren einige der Gäste wohl gegangen, denn der Barraum war fast leer. Auf der Couch saß nur noch ein Mann, der seine Hand an seinem Waffenholster hatte und mich über das Glas mit der bräunlichen Flüssigkeit hinweg musterte. Ich brach den Blickkontakt schnell ab.

»Ist die Party vorbei? Was wurde eigentlich gefeiert?« Ich folgte Alice zur Theke und setzte mich auf einen der Hocker.

»Wir haben Kennas Rückkehr gefeiert. Jetzt sind aber die meisten schlafen gegangen.« Sie gähnte und rieb sich über das Gesicht, sodass ihre Wimperntusche noch ein wenig mehr verschmierte.

Hatte sie geweint? Ging es ihr überhaupt gut? Was war bei ihr los? Ich kreiste gedanklich ständig um meine eigenen Probleme, sodass ich zwischenzeitlich meine Mitmenschen vollkommen vergaß. Dabei war das eigentlich nicht meine Art.

»Blake und ich werden auch gleich gehen. Aber vorher wollte ich dir noch ein paar Regeln mitteilen und die Schlafsituation mit dir klären.«

Ich nickte und stützte meinen Ellbogen auf den Tresen, damit ich mein Kinn in der Handfläche abstützen konnte.

»Wie ich bereits sagte, haben die Verdugos momentan mit einigen Problemen zu kämpfen. Um die Sicherheit aller Kideaks, also aller Mitglieder, zu gewährleisten, halten wir uns hauptsächlich hier auf. Das ist die Casa. Im Erdgeschoss befinden sich die Aufenthaltsräume, im ersten Stock sind einige Zimmer, die zum Schlafen genutzt werden können. Dort sind auch Badezimmer und so weiter. Pistol John«, erklärte sie und nickte zu dem Mann auf der Couch, »Louis und Adan sind hier seit ein paar Wochen Dauergäste. Mein Onkel Nael hat sein Haus auf dem Grundstück. Die Einzigen, die außerhalb schlafen, sind Kenna, Jared, Blake und ich. Du kannst hierbleiben, wenn du möchtest. Das komplette Gelände wird mittlerweile videoüberwacht und die Männer teilen sich nachts auf, sodass sich immer einer von ihnen bereithält. Zudem lässt Nael die Hunde nachts laufen und mit denen ist echt nicht zu spaßen. Hier wärst du also sicherer.«

Ich schluckte. Meine Hoffnungen auf einen Mädelsabend mit Schnulzen und Eiscreme waren naiv gewesen, aber trotzdem hatte ich gehofft, bei Alice bleiben zu können. Ich vertraute nur ihr. Die anderen kannte ich ja gar nicht. Das waren bewaffnete Fremde.

»Oder du bleibst erst mal bei Blake und mir. Wir passen auch auf dich auf. Im Haus meiner Eltern ist ebenfalls ein Alarmsystem installiert. Es ist deine Entscheidung. Kenny wird sich dir bestimmt anpassen.« Ihre Stirn legte sich in Falten. Offenbar hatte sie mir mal wieder die Sorgen vom Gesicht ablesen können. Ich hasste, dass ich kein Pokerface hatte.

»Wo ist er überhaupt?« Unauffällig versuchte ich, den Schweiß von meinen Handflächen an meiner Jeans abzuwischen.

»Er sieht sich mit Louis das Gelände an. Neugierig wie immer.« Sie grinste.

»Okay«, setzte ich an, »Wenn ich es mir frei aussuchen darf, würde ich gern in deiner Nähe bleiben. Das sind sicherlich alles nette Menschen hier«, führte ich fort und sah zu Pistol John, der den letzten Schluck herunterkippte und aufstand, »aber ich kenne sie nicht.«

»Das verstehe ich natürlich. Kein Problem. Dann suchen wir Kenny und Blake.« Sie rutschte von dem Barhocker und ging zu Pistol John. Ich blieb mit etwas Abstand zurück.

»Ich nehme die Gäste mit. Wo sind Kenna und Jared?«

»Schon verschwunden.«

»Ohne sich zu verabschieden?«

»Na ja, die beiden hatten wohl noch etwas Dringendes zu erledigen.« Seine Stimme wechselte mit einem Mal. Trotz des düsteren Blickes wirkte er amüsiert.

»Mehr möchte ich nicht wissen, danke.« Sie schloss ihn in eine kurze Umarmung, dann wandte sie sich zu mir. »Los geht’s!«

Ich nickte Pistol John zu und folgte Alice. Als wir das Gebäude verließen, schlug mir kalte Luft entgegen. Ich hatte das Gefühl, besser atmen zu können, und inhalierte den Sauerstoff begierig.

»Bist du schon mal auf einem Bike mitgefahren?«

»Nein.« Ich musste mich beeilen, ihr hinterherzukommen. Obwohl sie klein war und deshalb nur winzige Schritte machte, die Anzahl dieser sorgte für einen zu großen Abstand. Hastig sah ich mich um. Die Dunkelheit waberte über den Hof. Ich hasste die Nacht mit jeder Faser meines Körpers, denn in ihr konnte er sich überall verstecken. Aber hier war es noch schlimmer. Überall warfen alte Karosserien, Reifenstapel und Ersatzteile Schatten auf den Asphalt. Ich schluckte und joggte zu Alice.

»Dann ist heute dein erstes Mal.«

»Hey, fahren wir gemeinsam?« An der Stimme erkannte ich, dass es Blake war, der aus den Schatten trat.

»Ja. Wir müssen nur noch Kenny aufgabeln.«

»Die sind am Eingangstor. Ich nehm ihn hinten drauf. Fahrt schon mal los. Aber nicht zu weit. Ich möchte euch im Auge behalten.«

»Sicher.« Sie ging zu ihm und küsste ihn.

Erst war ich ihr weiter gefolgt, doch das erschien mir zu merkwürdig, deshalb blieb ich einfach stehen und schlang die Arme um mich. Ich fragte mich, ob sie es den anderen erzählt hatte, während ich mit Victoria gesprochen hatte. Einerseits war mir klar, dass es besser wäre, damit alle informiert waren und entsprechende Maßnahmen ergreifen konnten. Andererseits war es mir peinlich. Ich hatte in einem Selbsthilfeforum gelesen, dass es zwar völlig unangebracht war, sich für etwas die Schuld zu geben, um das man nicht gebeten hatte. Trotzdem ging es fast jeder betroffenen Person so. Ständig fragte ich mich, was ich anders hätte machen können, um zu verhindern, dass Ryan diese Gefühle für mich entwickelte. Hatte ich ihm zu viel versprochen? Zu viel von mir gegeben?

»Das hier ist meine Maschine.« Alices Worte rissen mich in die Realität zurück. Sie war noch weiter von mir entfernt und deutete auf ein Motorrad rechts neben einem beschilderten Gebrauchtwagen.

So schnell ich konnte, überwand ich die Distanz. Blake setzte sich auf sein Motorrad, das nur wenige Meter entfernt stand. Das Geräusch des aufröhrenden Motors durchschnitt die Stille, die sich nach dem Ausschalten der Musik zur Dunkelheit gesellt hatte. Langsam rollte er los und von uns weg in Richtung Kennys Wagen.

Alice folgte meinem Blick. »Der Wagen steht hier sicher. Falls er euch gefolgt ist, soll er nicht wissen, wo sich mein Haus befindet. Blake und ich fahren jetzt gleich auch einige Umwege und Manöver, um einen potenziellen Verfolger abzuhängen. Wundere dich bitte also nicht.«

Ein Nicken bekam ich gerade noch so hin. Sie ging davon aus, dass Ryan uns gefolgt war? Diese Möglichkeit kreiste durch meinen Kopf, seit Kenny und ich uns auf den Weg gemacht hatten. Doch ich war mir auch paranoid vorgekommen, diese Sache überhaupt in Betracht zu beziehen.

Alice stieg ebenfalls auf und setzte ihren Helm auf. Einen anderen reichte sie mir. Ich bekam es nicht so recht hin, deshalb half sie mir kurz und zeigte mir dann den Daumen. Mit ihrer Hand zur Absicherung schaffte ich es, mein Bein über die Maschine zu schwingen.

»Rutsch näher an mich heran und leg deine Arme um mich. Du zerquetschst mich schon nicht«, wies Alice mich an.

Ich folgte ihren Anweisungen und bemerkte, wie stark sie geworden war. Wenn ich nur von ihrem äußeren Erscheinungsbild ausging, schien ihr die Zeit in Truckee gutgetan zu haben. Und natürlich auch die Sache mit Blake. Wir rollten nicht langsam los, sondern rasten über den Hof. Ihre Maschine dröhnte ebenfalls. Sie vibrierte unter mir, sodass meine Stimme schwang, als ich sagte: »Wie lange fahren wir?«

»Normalerweise fünf Minuten. Heute mehr.« Ihre Stimme drang durch die Helme dumpf in mein Ohr.

Mir lag eine Entschuldigung auf der Zunge. Der Gedanke, dass meine Freundin einen Umweg fuhr und das Risiko, angegriffen zu werden, auf sich nahm, um mich zu schützen, quälte mich. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, ich wäre in der Lage, mit diesem Problem allein fertig zu werden. Oder die Menschen, die mich eigentlich auffangen sollten, würden sich endlich darum kümmern. Aber beides war nicht der Fall. Also ergab ich mich meinem Schicksal und hielt mich fest.

Kapitel3

Meine Finger zitterten so sehr, dass ich Probleme hatte, mich weiter an Alice festzuklammern. Sie fuhr schnell. Die Bäume zu unserer rechten Seite flogen nur so an uns vorbei. Die meiste Zeit hielt ich die Augen geschlossen, aber ich war zu neugierig. Deshalb blinzelte ich immer wieder, um meine Umgebung doch wahrnehmen zu können. Alles wurde zu einem einzigen Strudel – Straßenschilder, Laternen, Büsche. Das Rattern des Motors erschuf eine Monotonie, die trotz der Schnelligkeit meiner Außenwelt in mir Ruhe erzeugte.

Normalerweise würde ich mich draußen in der Dunkelheit unentwegt umsehen, um sicherzugehen, dass Ryan mir nicht irgendwo auflauerte. Das war auf dem Motorrad gar nicht möglich. Ich hatte keine Zeit, panisch zu sein, und mein Ex hätte niemals die Möglichkeit, mich hier zu erwischen. Obwohl ich wusste, dass Motorradfahren gefährlich sein konnte, war es das Heilsamste, was ich seit Tagen empfand.

Der Vollmond schien durch die Tannenzweige und spiegelte sich in dem Fluss, an dem wir seit einiger Zeit entlangfuhren. Alles lag in einem silbrigen Glitzern. Alice hatte mir nie erzählt, wie schön ihre Heimat war. Nicht nur die Innenstadt mit den historischen Bauten und einzigartigen Fassaden machte etwas her, auch die Natur war atemberaubend. Ich erkannte Blake und Kenny vor uns, weil Alice wegen der immer stärker werdenden Steigung an Tempo verlor. Sie schienen eine gute Zeit zu haben.

»Wir sind gleich da«, rief sie. Ihre Stimme wurde fast vollständig von dem Biest unter ihr verschluckt.

Vielleicht sollte ich sie um Motorradstunden bitten, solange ich hier war? Den Gedanken verwarf ich aber direkt wieder, denn meine Freundin hatte mit ihrem Club sicherlich genug um die Ohren.

Zu unseren Seiten ragten Häuser auf. Alice drosselte weiter die Geschwindigkeit. Wir hatten eine Art Plateau erreicht, auf dem eine kleine Siedlung thronte. Der Berg war nicht sonderlich hoch, trotzdem bot er eine schöne Aussicht auf den sternenklaren Himmel. Mit abnehmendem Tempo stieg meine Panik. Ich sah mich zu allen Seiten um, doch die Straßen waren wie ausgestorben. Von hier oben hatte man tatsächlich einen Ausblick auf den Hof des Motorradclubs. Als wir endgültig vor einem imposanten Haus mit mehreren Stockwerken und hohen Zäunen hielten, weigerte sich mein Körper abzusteigen.

»Du musst zuerst runter, sonst kippe ich um.« Alice blickte über die Schulter zu mir, doch dank der Helme konnten wir uns nicht direkt in die Augen sehen.

Ich ließ sie los und stieg mit wackligen Beinen vom Bike. Blake und Kenny waren vor uns angekommen. Sie unterhielten sich angeregt über die Maschine, während Blake das Tor in dem hohen Zaun aufschloss. Sofort ertönte Hundegebell. Ein tiefes Brummen und ein fiepsendes Kläffen. Alice schob ihr Bike hinter ihnen her, um es an der Rückseite des Hauses abzustellen. Ich folgte ihr, denn die Straße lag bis auf den Schein von zwei Laternen vollkommen im Dunkeln. Das nächste Haus war einige Meter entfernt und nicht beleuchtet. Hinter jedem Baum oder Stein konnte er lauern. Ich beschleunigte meine Schritte, bis ich direkt neben Kenny stand.

»Hey«, sagte ich mit bebender Stimme.

»Hey«, begrüßte er mich. »Alles okay?« Er half mir, meinen Helm abzunehmen.

Ich nickte, auch wenn das nicht stimmte. Mit einem Mal wollte ich nach Hause. Das war absurd, denn genau davor war ich ja geflohen. Eine Rückkehr war mehr als kompliziert, aber ich wünschte mir mein altes Leben zurück. Ich wollte zu meinen Eltern. Doch das war ausgeschlossen. Mit jeder Stunde, die ich nicht in Tucson verbrachte, wurde mir klarer, dass ich dazu verdammt war, mir ein neues Leben aufzubauen. Hier oder anderswo. Wobei Truckee die beste Option war, weil mir hier wenigstens irgendeine Form von Schutz zuteilwurde. Zumindest noch. Wie lange das anhalten würde, wenn Alice die volle Wahrheit kannte, stand auf einem anderen Blatt.

Ein Scheinwerfer an der Hauswand sprang an und ich konnte den Garten erahnen. Hohe Bäume, deren Kronen sich mit dem Mondlicht verbanden, ragten in der Ferne auf. Ein kleiner Schuppen links von uns, in dessen Fenster ein Teil der Scheibe fehlte. Rasen, ein Beet mit vertrockneten Blumen und ein Fußball, in dem kaum noch Luft war.

»Printzesa liebt dieses Ding. Ich habe schon mehrfach versucht, es zu ersetzen, aber sie will nur das Original. Auch wenn es kaputt ist.« Alice hatte ihr Bike abgestellt und kam zu mir. Sie legte den Arm um mich.

»Das ist die große Hündin, oder?« Ich ließ mich von ihr in Richtung Terrassentür schieben. Kenny blieb ebenfalls an meiner Seite.

»Genau. Der Kleine könnte das Teil gar nicht tragen.« Sie lachte kurz und das Geräusch hallte von den Hauswänden wider.

Blake ging vor, um die Tür aufzuschließen. »Gebt mir einen Moment. Ich bringe den kleinen Störenfried unter Kontrolle.« Er schob sich durch einen Spalt und das Kläffen schwächte ab. »Hab ihn. Ihr könnt reinkommen.«

Kenny ließ sich das nicht zweimal sagen. Er schob die Tür weiter auf. Als das Licht im Inneren eingeschaltet wurde, saß er schon auf dem Boden und ließ sich von einem riesigen schwarzen Hund über das Gesicht lecken.

»Sie sieht gruselig aus, kann aber keiner Fliege etwas zuleide tun. Kein Cane Corso, eher eine Kuh.« Alice wartete meine Reaktion ab.

Als ich Kenny und die Hündin beobachtete, musste ich mich gar nicht mehr zu einem Lächeln zwingen. »Okay«, hauchte ich. Alice ging vor. Ich sah noch einmal zur Wiese hinter dem Haus. Hier konnte er mich nicht finden. So abseits von allem, was mich mit meinem eigenen Leben verband. Es war unmöglich. Und trotzdem blieb dieses kalte Gefühl tief in meiner Magengrube. Ich erschauderte.

»Kommst du?« Alice hielt mir noch immer die Tür auf.

Ich nickte und folgte ihr in das gemütlich eingerichtete Haus. Auch wenn ich mich seit mehreren Stunden darum bemühte, keine Vorurteile zu haben, ich hatte etwas anderes erwartet. Mehr Leder, kühle Töne und … Waffen. Sicherlich nicht so viel Holz, sonnenscheingelbe Wände und … Zierdeckchen.

»Möchtet ihr etwas essen?« Alice war schon in den Küchenbereich marschiert und öffnete den großen knallroten Kühlschrank.

»Nein, danke.« Ich sah mich noch immer um. Kenny stand auf und die Hündin kam zu mir. Als wüsste sie, dass ich ziemlich Respekt vor ihr hatte, gab sie sich bei mir viel ruhiger. Mich sprang sie nicht an. Nur ihre Rute peitschte gefährlich umher.

»Hey«, begrüßte ich sie und hielt ihr meine Hand hin, die sie ganz zärtlich abschleckte.

»Ich habe Gudari ins Schlafzimmer gebracht. Es ist besser, wenn ihr ihn morgen kennenlernt. Vielleicht bei einem Spaziergang oder so? Er ist sehr territorial.« Blake betrat die Küche. Er positionierte sich hinter Alice und legte seine Arme um sie.

Ich zuckte mit den Achseln. Kenny bejahte sofort. Genauso wie Alices Angebot. Sie klatschte in die Hände und bereitete ihm ein Sandwich zu. Ein warmes Gefühl legte sich auf meine eisigen Sorgen. Meine Freunde wieder vereint zu sehen, war eine der wenigen positiven Seiten der Geschichte. Alice hier in diesem Haus zu erleben. Auch wenn wir ihre Eltern nicht kennenlernen konnten, die Aura der Familie waberte durch die Räume und versteckte sich in jedem kleinsten Detail.

Ich gab mir einen Ruck und streichelte das glänzende Fell der Hündin. Sie lehnte sich der Berührung entgegen. Mit geschlossenen Augen sabberte sie auf die Fliesen.

»Wir müssen noch die Schlafsituation besprechen«, verkündete Alice, die Kenny einen Teller mit einem üppig belegten Sandwich reichte und sich dann am Kopf des massiven Holztisches niederließ. Blake setzte sich neben sie und nahm ihre Hände in seine. Zwischen den beiden lief wieder etwas ab, das ich nicht verstand.

Die Hündin ließ mich nicht weg, deshalb kraulte ich sie weiter hinter dem Ohr. Kenny gesellte sich jedoch zu den Turteltauben. Herzhaft biss er in das dicke Salatblatt.

»Obwohl das Haus sehr groß ist, haben wir nicht so viele Schlafplätze«, erklärte Blake, doch seine Aufmerksamkeit lag nur bei Alice.

»Es gibt ein Zimmer, das frei ist«, setzte sie an, aber verstummte sofort wieder. Das Lächeln wusch sich von ihrem Gesicht. »Leos Raum … Der ist jedoch noch immer so eingerichtet wie … wie vor seinem Tod.«

Kenny sah über den Tisch zu mir. Dieses Mal verstanden wir uns ohne Worte. »Das ist sehr lieb, Alice, aber wir wollen hier nichts durcheinanderbringen.« Er wischte sich den Mund mit dem Ärmel seines Hemdes ab.

»Dieses Zimmer ist dir heilig, oder?« Meine Stimme war viel zu leise, deshalb wiederholte ich die Worte lauter. Alice sah mich an. Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. »Die Couch dort ist auch echt groß. Und sieht sehr gemütlich aus.«

»Ich kann doch nicht von euch verlangen, dass ihr auf der Couch schlaft, wenn ich oben ein großes Bett zur Verfügung habe, das leer steht.« Sie blinzelte ein paarmal, als würde sie sich immer wieder in Erinnerungen verfangen.

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Mir war klar, wie stur sie sein konnte. Meistens halfen nur Totschlagargumente, die sie stoppten, doch mir fiel keines ein. Zum Glück schaltete Kenny schneller.

»Sei mir nicht böse, aber ich möchte ungern im Zimmer eines Verstorbenen schlafen. Bei allem Respekt.« Er sah mich wieder mit diesem Blick an.

»Ja«, fügte ich lahm hinzu.

Alice sah zwischen uns hin und her. Final blieb ihr Blick bei Blake hängen. Es dauerte einen Moment, dann nickte sie. »Tut mir leid. Wir können auch auf der Couch schlafen, aber die Hunde –«

»Nein«, sagten Kenny und ich wie aus einem Mund.

»Vielleicht können wir euch ja ab morgen woanders unterbringen«, schlug Blake vor.

Alice stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite, dann stand sie auf. »Hilfst du mir mit dem Bettzeug?«

Obwohl er eine Augenbraue hochzog, erhob er sich ebenfalls und begleitete sie in den Flur.

Als ihre Tritte auf der Treppe knarzten, atmete ich erleichtert aus. Kenny hatte nicht unrecht. Ich schlief eh nicht besonders gut in letzter Zeit. Den Geist eines Toten konnte ich nicht auch noch gebrauchen. Erneut konzentrierte ich mich auf das Gefühl des weichen Fells an meinen Fingerspitzen.

»Bist du wirklich okay?« Kenny starrte mich noch immer an. Er hatte zwar wieder begonnen, seine Mahlzeit zu vernichten, aber in seinem Blick lag Skepsis.

»Du schläfst bei mir, oder?« Es war vergebens, ihn anzulügen. In den letzten Wochen hatte er viel zu oft durchschaut, wie es mir wirklich ging. Seine Anwesenheit war wie ein Pflaster. Zwar konnte es das riesige Loch in meiner Brust nicht stopfen, aber es war aufmunternd, jemanden an der Seite zu haben, der sich von Herzen sorgte und kümmerte.

»Wenn du das willst.« Er sprach mit vollem Mund. Seine schlechten Tischmanieren ignorierte ich gern, denn er war mein Anker in dieser rauen See aus Angst.

»Wann …« Mir fehlte der Mut zu fragen. Ich presste die Lippen zusammen, starrte auf den massiven Kopf, der sich gegen meinen Oberschenkel presste, und blendete meinen schmerzenden Rücken aus. Diese Position war alles andere als haltungsschonend.

»Du weißt, dass ich morgen schon wieder gehen muss.« Seine Stimme war kratzig.

Ich presste die Kiefer aufeinander. Wie sollte ich das ohne ihn schaffen? Natürlich musste er zurück an die Universität. Er liebte sein Kunststudium, hatte ein Stipendium und schrieb nächste Woche Klausuren. Ich wollte ja selbst zurück. Doch meine Situation war eine andere. Und ich durfte ihn nicht noch weiter in meinen Schlamassel reinreißen.

»Schon okay. Ich verstehe das. Aber ich habe Angst um dich. Was, wenn er bei dir nach mir sucht?« Als hätte die Hündin die Schwere dieser Unterhaltung gespürt, zog sie sich zurück auf eine Decke, die in einer Ecke neben dem Fernseher lag.

»Ich werde mit Ryan schon fertig«, versicherte Kenny mir.

Allein die Nennung des Namens ließ mich nach draußen durch die bodentiefen Fenster spähen.

»Hast du die Waffe noch?« Ich flüsterte, was vermutlich lächerlich war, denn wenn hier jemand Pistolen hatte, waren das wohl die Verdugos.

»Ja. Möchtest du sie haben?«

»Nein, behalte du sie. Ich kann damit eh nicht umgehen. Sie soll zu deinem Schutz dienen. Wenn du wegen mir schon in Gefahr lebst, dann …« Ich musste abbrechen, weil die Gefühle mich zu übermannen drohten.

Sofort stand Kenny auf und lief zu mir. In einer schwungvollen Bewegung riss er mich in seine Arme.

»Es tut mir leid, dass ich dich hier allein lasse. Aber ich kenne keine Alternative. Hier bist du sicher. Du hast Alice. Und Blake ist echt in Ordnung. Die anderen sind bestimmt auch hilfreich, wenn es um deinen Schutz geht. Er wird dich in Truckee niemals finden. Und sollte er mir noch einmal unter die Augen treten …« Ich sah, wie sein Adamsapfel tanzte.

»Du tust ihm nichts, kapiert?«

»Wie kannst du ihn weiterhin in Schutz nehmen, nach alldem –«

»Nein. Nicht wegen ihm.« Ich schluckte. »Wegen dir. Ich will nicht, dass du im Gefängnis landest. Nicht für dieses Arschloch. Nicht nach dem, was er mir angetan hat. Wenn er dir jetzt noch schadet, dann habe ich keinen Grund mehr …« Ich beendete meinen Satz nicht, weil mir die Düsternis meiner geplanten Worte auffiel.

»Du bist den Kampf wert, Stella. Du bist der Grund.« Wir sahen uns an. In seinen blauen Augen lag der Respekt mir gegenüber, den ich bei meinem Ex-Freund schmerzlich vermisst hatte.

»Stören wir?« Alice grinste schief. Blake war ihr direkt auf den Fersen und trug einen Stapel aus Decken und Kopfkissen.

»Natürlich nicht.« Kenny löste sich sanft von mir.

Ich war froh, dass wir Freunde waren. Nie war es merkwürdig zwischen uns gewesen, sondern von Anfang an hatten wir uns wie Bruder und Schwester verstanden. Das sollte Alice eigentlich wissen.

»Es war nur ein Scherz.« Alice nahm Blake ein paar Textilien ab. »Hier habt ihr alles, was ihr braucht. Wenn etwas fehlt, gebt bitte Bescheid.«

Blake gähnte. »Wenn wir jetzt gleich hochgehen, schalte ich die Alarmanlage ein. Geht also bitte nicht raus, bevor sie morgen wieder ausgeschaltet wird. Und wenn doch, seid euch bewusst, dass ihr die ganze Nachbarschaft damit weckt.«

Ich nickte. Ein wenig Sicherheit gab es mir. Vor allem auch die Genauigkeit, mit der Alices Freund diese Maßnahmen durchführte. Mir kam der Gedanke, dass er das nicht nur für mich tat.

»Getränke sind im Kühlschrank, Zahnbürsten –«

»Haben wir dabei.« Kenny deutete auf unsere Rucksäcke, an die er zum Glück gedacht hatte. Wenn es nach mir ginge, lägen sie noch in seinem Auto auf dem Hof der Verdugos.