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Faszien-Jogging ist neu und revolutionär zugleich! Es ist die natürlichste Bewegung im Schwerkraftfeld der Erde. Mühelos und ohne Anstrengung nutzen wir den energiefördernden Spiralfeder-Effekt der Faszien durch Gegenschwung und Vibration. Auf leisen Sohlen, federnd und elegant, bewegen wir uns geschmeidig wie eine Katze, effektiv wie die Pferde im Galopp und ausdauernd wie die Lachse gegen die Strömung – und das mit größtem Gewinn für unsere Gesundheit! Ein Buch, das neue Horizonte öffnet.
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Seitenzahl: 263
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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: total italic, Thierry Wijnberg, Amsterdam / Berlin
Umschlagmotiv: © Thinkstock Photos
Zeichnungen im Innenteil: Wolfgang Pfau
E-Book-Konvertierung: post scriptum, Emmendingen/Hüfingen
ISBN (E-Book) 978-3-451-81054-1
ISBN (Buch) 978-3-451-60018-0
1. Faszien-Jogging – Faszienstretching
2. Vom Wind getragen
Der Windkessel macht’s möglich
Die schwingende Aortenwand
Das Wunder des Gegenschwungs
Bal paradoxe im Bewegungssystem
3. Das Energiekonzept der Natur
Die Anpassung am Arbeitsplatz und ihre Folgen
Was machen Tiere anders?
Der Peitscheneffekt
4. Rhythmische Spiralkinetik kontra lineare Mechanik
Der Spiralfeder-Effekt der Sehnen
Der Gegenschwung – auf mehreren Wegen praktiziert
Die Epoche der Sehnenspindel!
Der erste Schildbürgerstreich der Sportmedizin
Der zweite Schildbürgerstreich der Sportmedizin
5. Faszientraining gegen Stress
Schnell, direkt und ohne Pause
Auf die Sehnenspindeln kommt es an
Faszien-Jogging als neue Volkbewegung
Gegenschwung-Power
6. Die Achillessehne im Würgegriff des Absatzschuhs
Die Achillessehne – eine chronique scandaleuse
Übeltäter Absatzschuh
7. Der Faszienkörper
Halt durch Bindegewebe
Arten der typischen Bindegewebe
Figur und Halteposition
Besondere Faszien der Extremitäten
Faszien als Nervenzentrale
Reparaturwerkstatt des Köpers
Bewegung durch Elastizität
Immunsystem
Wenn Sehnen reißen
Kollagenosen – wenn Bindegewebe sich verselbständigt
8. Vom statischen zum dynamischen Stretching
Rücken – untere Extremitäten
Rücken – obere Extremitäten
Dreidimensionales spiralkinetisches Stretching
Rücken, Bauch & Co.
Diagnosebezogenes Faszienstretching
9. Bewegung aus der Elastizität heraus
Faszien-Jogging mit katapultartigem Spiralfedereffekt
Faszien-Jogging Retro und in Pirouetten
Faszien-Jogging bergauf und bergab
Faszien-Jogging auf dem Minitrampolin
Faszienprogramm Fahrradergometer
10. Bewegung bis ins hohe Alter
Energiesparende Herz-Kreislauf-Prävention
Fasziale Atmung – Ziele mit langem Atem erreichen
Fasziale Atmung und Vagus-Meditation
Bewegungshilfe bei Übergewicht und Typ-II-Diabetes
Richt- und Gegenschwung bei Gelenkarthrosen
Verminderte Bewegungsfreiheit durch Elastizitätsverluste
Faszien-Jogging mit Waldbodenvibration
11. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Präventivmedizinische Studien zu den Aussagen des vorliegenden Buches
Der Autor
Zum Faszien-Jogging gehört das Faszienstretching und umgekehrt, beide Methoden stellen eine Einheit dar:
Beim Faszien-Jogging wird das hohe Leistungspotenzial der Sehnen und Faszien bei der Bewegung unmittelbar zur Antriebsförderung abgerufen und damit die Überwindung der Schwerkraft nachhaltig erleichtert.Das Faszienstretching ist Prävention und Therapie zugleich für ein Gewebe, das von seiner Grundversorgung am Ende der Sauerstoffleitung liegt und sich somit schwertut, im Zustand der Verletzung bzw. Erkrankung, reparative Erneuerungsprozesse von sich aus in Gang zu bringen.In beiden Fällen steht das Bindegewebe im Zentrum, das bisher in der Medizin wie im Sport ein Schattendasein geführt hat – vollkommen zu Unrecht. Zum einen kann von den Faszien ein enormer Leistungsschub bei der Bewegung ausgehen, wenn man als »Kickstarter« den Gegenschwung nutzt, der der Muskulatur gleichwertig an die Seite gestellt werden kann. Zum anderen spielen sich die krankhaften Veränderungen, die Verletzungen einbezogen, in diesem sauerstoffverarmten (bradytrophen) Gewebe ab, denn die bisherige Chirurgie am Stütz- und Bewegungsapparat war stets eine Sehnen-Faszien-Chirurgie, niemals eine Muskelchirurgie.
Das betont statische Stretching der letzten Jahre war ein Dehnungsprogramm ohne Bewegung, eine Gelenköffnung jenseits der Muskelspindeln, die auf jeden Muskelimpuls mit einer Kontraktion reagieren; also hat man die Bewegung gleich ganz gestrichen. Die neuen Ultraschallgeräte haben aber gezeigt, dass wir mit diesem statischen Stretching unsere Aufgabe nicht gelöst haben, denn die Faszien, die auf diese Längenerweiterung so dringend angewiesen sind, wurden durch das bewegungslose Stretching nicht erreicht.
Faszienstretching ist somit ein regelrechter Kameraschwenk in Medizin und Sport, weil nur dynamische Bewegungsimpulse imstande sind, auf das relativ hohe Erregungspotenzial des Golgie-Sehnenorgans Einfluss zu nehmen.
Dynamisches Faszienstretching hat somit das eine Ziel, durch bestimmte Bewegungsimpulse während des Stretchings das hohe Erregungspotenzial der Sehnenspindel zu erreichen, um hierdurch einen weiteren Entspannungsimpuls mit in die Dehnung einbringen zu können.
Das ist der entscheidende Grund, dass ich in diesem Buch nicht nur das Faszien-Jogging vorstelle, sondern gleichzeitig auf die exzellente Wirkung des Faszienstretchings eingehe, damit Sie in Zukunft zweifach gerüstet sind:
Einmal für eine ergänzende Leistungssteigerung bei der Bewegung.Zum anderen im Verletzungs- und Erkrankungsfall, um sofort die richtigen Maßnahmen ergreifen zu können, damit Sie sich bald wieder Ihrer Bewegung und Ihrer vollen Gesundheit erfreuen können oder es erst gar nicht zur Verletzung kommen kann.Unsere Bewegung im Schwerkraftfeld der Erde ist ein herausforderndes Unterfangen. Wir ringen nach Luft und die Bewegung kostet uns viel Mühe und Schweiß, was sich bei der Überwindung von Hindernissen wie Berge und Treppen noch um ein Vielfaches steigert. Die Muskeln in den Beinen werden schwer, schmerzhafte Verspannungen lassen oft jeden Schritt zur Qual werden, vor allem, wenn der notwendige Energiebedarf bei hoher Belastung nicht mehr ausreichend gedeckt ist. Jeder von uns kennt es aus eigener Erfahrung: Es ist kein erfreulicher Zustand, wenn der Körper, keuchend nach Luft schnappend, abrupt seinen Dienst einstellt. Man fühlt sich wie ein Fisch an Land.
Das ist die Folge harter Muskelarbeit bei der Bewegung am Limit: Viel Sauerstoff wird verbraucht, kann aber von den Körperreserven nur schwer kompensiert werden. Zum einen ist der Muskelmotor schlicht überfordert, zum anderen ist in dieser Gangart das unerschöpfliche Potenzial der Sehnen und Faszien vernachlässigt worden. Das ist das Alltagsbild auf unseren Straßen, die einseitige Bewegung ohne Gegenschwung, vorfußbetont auf Absatzschuhen, monotoner Muskelstress, der häufig in nächtlichen Wadenkrämpfen endet. Bei diesem Bewegungsverhalten nutzen wir nur fünfzig Prozent unserer möglichen Antriebsenergie, das gewaltige Potenzial der Sehnen und Faszien bleibt ungenutzt auf der Strecke. Diese absatzbetonte Gangart ist mühsam, sie verbraucht Kraft, viel Kraft sogar, sodass viele von uns von vornherein ganz auf diese Art der Fortbewegung verzichten und lieber gleich auf technische Antriebshilfen umsteigen, jederzeit zu beobachten an einem Lift in einem Hochhaus oder Hotel, wo in den Treppenhäusern stets gähnende Leere herrscht.
Jetzt werden Sie vielleicht als Gegenargument die großen Volksläufe ins Feld führen. Durchaus richtig, aber es laufen die Falschen, wie in einer aktuellen Studie der Sporthochschule Köln nachgewiesen werden konnte. Abends nach der Arbeit im windigen, nassen Stadtpark sind vorwiegend Laufprofis unterwegs, mehr oder weniger gesunde und junge Menschen, die sich auf ihren nächsten Wettbewerb vorbereiten. Die eigentlich Betroffenen bleiben lieber zu Hause, das sind die Menschen mit Übergewicht und Typ-II-Diabetes, Hypertoniker oder Menschen mit Fettstoffwechselstörungen. Von dieser Gruppe laufen im Durchschnitt nur zehn Prozent.
Das erste Gesundheitsgebot in Deutschland: Laufen ist in, weil es leicht geht, Freude macht und Glückshormone freisetzt! Das kann das neue Faszien-Jogging leisten, getragen von der belebenden Schubkraft, die ergänzend zur Muskulatur von den Faszien geliefert wird!
Wie konnte es nur passieren, dass die moderne Leistungsgesellschaft in diesen fehlerhaften Kreislauf geriet, der unsere allseitig ausgerichtete Bewegungsanlage zwischen Richt- und Gegenschwung auf eine derart monotone Frontorientierung reduzierte, sodass die Gegenwart durch die vorherrschende Beschleunigung nur noch im Zeitraffereffekt verschwommen wahrgenommen werden konnte? Mehrere Gründe sind zu nennen:
Der Fortschrittsglaube an die Technik machte aus dem Lauf- ein Sitzwesen, Motorkraft ersetzte Muskelkraft, der Mensch büßte damit seinen Bewegungssinn ein.Arme und Hände hatten ab sofort Motor und Maschine zu dienen, in dieser Monotonie war der energiefördernde Gegenschwung nicht mehr vorgesehenen, speziell Schulter- und Hüftgelenke erstarrten in permanenter Fronteinstellung, in der die Hände nur noch als verlängerte Hebel technischer Geräte zu funktionieren hatten.In seinem Hang nach Höherem rüstete der Mensch gleichzeitig von der flachen Sandale leichtfertig auf den höheren Absatzschuh um, der aus Sicht der Biomechanik eine Fehlkonstruktion ist. Damit wurde den Faszien allgemein und der Achillessehne im Besonderen ihr unterstützender Bewegungseinsatz genommen. Aus dem bipolar eingestellten Rück- und Vorfußgeher in seinem Wechselspiel zwischen Synergisten und Antagonisten wurde der absatzbetonte Vorfußgeher, der monoton im Unterschenkelbereich auf den Antrieb der Wadenmuskeln als Synergisten angewiesen war.Abb. 1 | Frontbetontes, monotones Absatzgehen, bei dem der Muskel deutlich seine Länge ändert, während die Sehnen-Faszien sich kaum verändern. Anders das Fasziengehen mit Gegenschwung und Vibration im Fersenbereich, hier kontrahiert sich der Muskel fast nur isometrisch, die faszialen Elemente dagegen verlängern sich deutlich (modifiziert nach Kawakami et al. 2002).
Durch den Verlust des energiefördernden Gegenschwungs über den Einsatz der Antagonisten waren plötzlich die Muskeln in ihrer Bewegungsarbeit völlig auf sich allein gestellt, sodass der Mensch bei jedem Schritt nur fünfzig Prozent seines Leistungspotenzials abrufen konnte. Die gleichstarken Kraftreserven der Faszien verschwanden ungenutzt im Zustand der Tatenlosigkeit. In der menschlichen Entwicklung spielt aber das natur-richtige Verhalten in der Bewegung eine entscheidende Rolle, denn auf dem Tanzboden der Evolution wird unser Weiterkommen zum einen von der eingeschlagenen Richtung, zum anderen vom Wechselschritt unterschiedlicher Rhythmen bestimmt, in diesem Falle vom Wechselspiel zwischen Synergisten und Antagonisten. Ein weiteres Erfolgskonzept der Evolution ist die Wiederholung einer Schrittfolge, bis alle Verbesserungsmöglichkeiten restlos ausgeschöpft sind, wie es die Bionik (Wissenschaft aus Biologie und Technik) beweist. Das könnte im Umkehrschluss bedeuten, dass der Mensch aufpassen muss, dass er durch die permanente Unterfunktion seiner Füße sich auf diese Gehhilfe bald nicht mehr verlassen kann, wie das inzwischen bei vielen Zeitgenossen der Fall ist. In der Natur wird nur das gefördert, was auch genutzt und gebraucht wird.
Der Wechselschritt zwischen Richt- und Gegenschwung auf dem Laufparcours der Evolution ist essentiell für unser Leben in Bewegung, ein natürlicher Rhythmus, der sowohl auf Muskel- als auch auf Faszieneinsatz ausgerichtet ist.
Dieses Wunderwerk der Schöpfung liegt in unseren Füßen verborgen, sollte aber nachhaltig genutzt werden, zum einen durch Muskeleinsatz, zum anderen aber gleichwertig unterstützt durch das gewaltige Antriebspotenzial der Faszien, eine geniale Spiralfederkonstruktion, die bereits den Aufbau des vorderen Quer- sowie des hinteren Längsgewölbes des Fußes bestimmt. Allein der Keilbildung der Fußwurzelknochen ist es zu verdanken, dass bei jedem Schritt durch den Aufbau dieses Gewölbes Vibrationskräfte in Erscheinung treten, die die Frontalbeschleunigung stützen, nachhaltig getragen von elastischen Bändern, Sehnen und einer großflächigen Plantaraponeurose, die wie eine schwingende Trampolinmatte ihren Katapulteffekt gegen die Schwerkraft durchsetzen kann.
Die Folge ist ein Antriebskonzept allein des menschlichen Fußes, das dem einer Spiralfederkonstruktion mit hoher Leistungsbereitschaft gleicht, in der jederzeit die gespeicherte Lageenergie in kinetische Bewegungsenergie umgesetzt werden kann, ausgelöst durch den energiefördernden Gegenschwung. Wir sollten allerdings nicht dem Trugschluss unterliegen, dieses Geschehen für ein Perpetuum-mobile-Konzept zu halten, denn der erforderliche Gegenschwung ist auch gleichzeitig geleistete Arbeit, allerdings unter vertauschten Rollen. Die notwendige Längenerweiterung der antriebsfördernden Muskel-Sehnen-Kette (Synergisten) wird nicht durch ihr eigenes Verhalten ausgelöst, sondern von der gegensätzlichen Seite der Antagonisten, die sich durch den Gegenschwung kontrahieren und damit automatisch die katapultartige Längenerweiterung in den Synergisten auslösen.
Abb. 2 | Spiralförmiger Aufbau des vorderen und hinteren Fußgewölbes.
Entscheidend beim Faszien-Jogging ist der Gegenschwung, ausgelöst durch die Kontraktion der Muskeln der Gegenseite (Antagonisten), die Voraussetzung, damit die potenzielle Lageenergie der Synergisten mit den Faszien mobilisiert werden kann. Dieser Rollentausch im Einsatz zwischen Synergisten und Antagonisten ist das prägende Signal beim Faszientraining, einseitige Muskelbelastungen durch lokale Stressspannungen werden vermieden, wie das gegenwärtig beim absatzbetonten Vorfußgehen der Fall ist.
Die kurzfristige Kontraktion der Antagonisten ist die Voraussetzung der Längenerweiterung der Muskel-Sehnen-Kette an der Gegenseite (Synergisten), sodass speziell die kraftübertragende Sehne über ihre Grundlänge hinaus gedehnt wird, die Voraussetzung für den darauf erfolgenden Katapulteffekt, der dann nur noch ein Vorgang des Loslassens ist, wobei die freigesetzte potenzielle Lageenergie ohne Mehrbedarf an Sauerstoff und Energie über die Bühne gehen kann. Wie der Bogenschütze seinen Pfeil nach dem Gegenschwung der Bogensehne nur noch durch das Loslassen beschleunigt, so wird auch der Fuß durch die Spannkraft der Faszien nach vorn getrieben.
Beim Gehen und Laufen steht uns also neben dem Muskeleinsatz das unerschöpfliche Potenzial der Faszien zur Verfügung. Zum einen wird die Belastung gleichmäßig zwischen der Beuge- und Streckseite verteilt, zum anderen wird durch den Gegenschwung gleichzeitig die stille Reserve der Faszien mobilisiert. Im Gegensatz zur Muskulatur benötigen die Faszien für ihren Einsatz kein Mehrangebot an Sauerstoff und Energie, und das macht die Leichtigkeit des Faszien-Joggings aus.
Abb. 3 | Anspannen des Bogens durch den längenerweiterten Gegenschwung.
Faszien-Jogging ist Bewegung in Schwerelosigkeit, schwingend, federnd, vibrierend wird das Schwerkraftfeld der Erde überwunden.
Der Antriebsimpuls der faszialen Spiralfedern erfolgt elastisch, schwingend, federnd über einen geringen Gegenschwung während der vorderen Stützphase des Fußes. Dabei setzt der Fuß nicht punktgenau am Boden auf, sondern wird gering über den Aufsatzpunkt hinausgeführt, um danach mit leichtem Gegenschwung auf der Außenkante der Ferse vibrierend aufzusetzen, nicht hart, sondern weich schwingend und fast lautlos. Das Kniegelenk ist im Moment dieser vorderen Landung ca. 20° gebeugt.
Abb. 4 | Gegenschwung und Vibration mit der Außenkante der Ferse beim Faszien-Jogging.
In natura passiert in diesem Falle Folgendes: Die Fußsehnen allgemein, die Achillessehne im Besonderen, werden extrem über ihre Grundlänge hinaus gedehnt und damit das »innere Katapult« so extrem vorgespannt, dass das gesamte elastische Potenzial ausgeschöpft werden kann, denn je weiter die elastischen Fasern gedehnt werden, umso stärker ist ihr Einsatz beim Antrieb nach vorn. Dieser Vorgang ist mit dem Katapult vergleichbar, das wir als Kinder bei der Spatzenjagd verwendet haben: Der Stein flog dann besonders weit, wenn der Gummi möglichst extrem in die Länge gezogen wurde.
Ihre ersten Schritte beim Faszien-Jogging beginnen Sie am besten auf einer Treppe, die mit reiner Muskelkraft oft nur mühsam erklommen werden kann. Dabei setzen Sie in der Regel den vorangehenden Fuß stets punktgenau auf die nächst höhere Stufe. Leichter geht’s in der Faszientechnik: Sie führen den vorderen Fuß gering über die nächste Treppenstufe hinaus, Sie landen damit aber nicht punktgenau, sondern zurückziehend mit Gegenschwung schwungvoll federnd.
Beim Faszien-Treppensteigen heben Sie den vorangehenden Fuß gering über die obere Trittfläche hinaus an. Der entscheidende Moment des Gegenschwungs beginnt mit dem Zurückziehen des Fußes auf die Trittstufe, dabei erfolgt die Landung des oberen Fußes mit der hinteren Außenkante der Ferse im Supinationsschwung (Absenkung der äußeren Fußkante). Jetzt sind es die Katapultkräfte der Fußfaszien einschließlich der Achillessehne zusammen mit den Muskeln, die Sie nach oben treiben. Per Pronationsschub (Absenkung der inneren, vorderen Fußkante) rollt dann der Fuß auf der oberen Treppenstufe nach vorn, um sich schließlich zwischen Großzehe und zweiter Zehe abzustoßen, Wiederholung der Gegenseite etc.
Abb. 5 | Aufsetzen des Fußes punktgenau und mit Gegenschwung in der Faszientechnik
Auf diese Weise kommen wir zurück zu Verhaltensweisen, wie sie uns seit Urzeiten in unseren Genen vorgezeichnet wurden: So haben wir uns einst in Wald, Feld und Wiese bewegt. Derart geschmeidig und lautlos bewegen sich heute nur noch Naturvölker durch den Urwald, die Indianer in ihren Mokassins ebenso wie die Massai in ihrer Barfußtechnik. In dem Film »Jenseits von Afrika« ist eine Laufszene Eingeborener zu bewundern, die sich alle in derselben Faszientechnik bewegen. In dieser Gangart sind sie imstande, bis an die 100-Kilometer-Grenze zu gehen.
Wir dagegen bewegen uns in Absatzschuhen auf hartem Beton einseitig frontbetont und ohne jeden Gegenschwung. Der fehlt uns schon in den Hüftgelenken im Schrittansatz, besonders aber in den Füßen. Wir bewegen uns aus reiner Muskelkraft, die schnell erlahmt, weil wir das gewaltige Bewegungspotenzial der Faszien aus unserem Alltag verbannt haben. Machen wir uns also auf den Weg, der von der Bewegungsfaszination der Faszien bestimmt wird.
Das revolutionäre Faszien-Jogging macht Bewegung aber nicht nur zu einem positiven Erlebnis für Sie ganz allein, von Ihnen wird in Zukunft ein neues Körpersignal ausgehen, weil Sie sich besser körperlich in Szene setzen können. Allein durch den bewussten Gegenschwung aus den Hüftgelenken heraus wird Ihre äußere Erscheinung majestätisch aufgerichtet und mit Anerkennung von Ihrer nächsten Umgebung wahrgenommen werden. Sie kommen nicht mehr gekrümmt in der vorherrschenden Brustbeinbelastungshaltung daher, die fasziale Körpersprache steht für Selbstsicherheit, Aufrichtigkeit und für eine positive Einstellung zu diesem Leben.
Die Körpersprache des neuen Faszienschreitens ist schwingend, federnd, körperbetont und selbstbewusst zugleich! Jeder Auftritt wird damit zu einem positiven Erlebnis für Sie und andere, denn allein der betonte Gegenschwung aus den Hüftgelenken heraus wird Sie majestätisch in Erscheinung treten lassen.
Faszien und die Segel eines Schiffes im Wind haben eines gemeinsam, beide erzeugen sie Schubkraft, der Segler durch den gestauten Wind in den geblähten Segeln, die Faszien durch den Katapulteffekt der längenerweiterten elastischen Fasern. Der Katapulteffekt ist durchaus mit dem Windkesselprinzip vergleichbar, dabei spielt die Verformbarkeit unterschiedlicher Materialien eine entscheidende Rolle: ihr elastisches Verhalten, das davon geprägt ist, nach jeder Formveränderung wieder in die Ursprungslage zurückzukehren. Auf diese Weise speichern die Segel die Windenergie, um diese Schubkraft direkt an das Schiff weiterzugeben, vergleichbar einer Windmühle, die dasselbe Prinzip zur Umdrehung ihrer Flügel verwendet.
Abb. 6 | Segler mit der Schubkraft des Windes.
Was die Segel und Windmühlenflügel im Wind für ihren Energietransfer nutzen, leisten im menschlichen Körper die Faszien auf ähnliche Weise. Grundbedingung ist auch hier die hohe Verformbarkeit eines Materials, in diesem Falle der elastischen Fasern, die durch einen Gegenschwung über ihre Grundlänge hinaus gedehnt werden, eine Gegenbewegung, die dem zielorientierten Richtschwung genau entgegengerichtet ist. In den wellenförmigen Strukturen der elastischen Fasern liegt potenzielle Lageenergie verborgen, die nur durch den Katapulteffekt, das Anspannen des elastischen Materials durch die Längenerweiterung, mobilisiert werden kann. Dadurch wird die potenzielle Lageenergie in kinetische Energie umgewandelt. Dabei verhält sich die Faszie wie das Katapult aus unseren Kindertagen: Je weiter das Material durch Längenerweiterung gespannt wird, umso höher die Beschleunigungsenergie bei der Entladung, das Katapult trifft Ziele in weiter Ferne.
Abb. 7 | Je weiter der Gegenschwung, umso höher die Schubkraft.
Für den menschlichen Organismus bedeutet das, dass die Bewegungsfreiheit all unserer Gelenke entscheidend von der Elastizität der Sehnen und Faszien abhängt, denn je weiter die Sehnen über ihre Grundlänge hinaus gedehnt werden können, umso größer fallen die unterschiedlichen Bewegungsamplituden der Gelenke aus. Beim Faszien-Jogging ist es die große Schrittfolge, die in Erscheinung tritt, weil schon im Schrittansatz die Hüftgelenke den Gegenschwung betont und nachhaltig ausführen können. Dieser optimale Wechsel zwischen Richt- und Gegenschwung lässt sich in der Natur bei allen Tieren in ihrem natürlichen Verhalten beobachten: Bei den Fischen ist es ihre elegante Slalomtechnik, die Vögel beeindrucken durch das weite Schwingen ihrer Flügel. Das wirkt leicht und schwerelos zugleich, und die moderne Bionik konnte nachweisen, dass auf diese Weise die Fische im Wasser geschwommen und die Vögel in der Luft geflogen werden, weil sie geschickt, wie der Segler im Wind, die natürliche Schubkraft ihrer eigenen Elastizität nutzen, um sich der stillen Reserve ihrer potenziellen Lageenergie zu bedienen.
Abb. 8 | Weite Schwungkraft beim Vogelflug macht die Leichtigkeit des Fliegens aus.
Diese Schubkraft von hinten ist es, die das Faszien-Jogging so leicht und schwerelos macht. Damit wird der Muskelkraft das gewaltige Potenzial der Faszien gleichwertig an die Seite gestellt, und der Mensch wird mit dieser Schubkraft gegangen, wie die Fische geschwommen und die Vögel geflogen werden.
Vielleicht hatten Sie schon einmal das Vergnügen, vor einem Gewittersturm mit einem Schirm unterwegs zu sein, als Sie den Schirm nach hinten aufgespannt hatten und zum Gleitflug ansetzen wollten. Das ist das Gefühl der Leichtigkeit des Fliegens, wie es das Faszien-Jogging vermittelt, nach dem Motto: »Nur Fliegen ist schöner.«
Stellen Sie sich vor, die Reedereien würden von der Motor- zurück zur Segelschifffahrt umrüsten, eine Revolution, wie ich meine – und genau das passiert im Moment in der Sportmedizin! Weltweite Studien belegen, dass wir uns in der monotonen Anpassung an die Technik völlig falsch und damit natur-unrichtig verhalten haben und es immer noch tun. Die Tiere um uns herum haben sich herausgehalten, sie sind dieser totalen Technikanpassung nicht erlegen, es sei denn, sie wurden von Menschen missbraucht, wie das in der Pferdedressur oder im Springreiten der Fall ist. Erst dann erleiden auch Tiere Zivilisationserkrankungen. In freier Wildbahn, die wir Menschen allerdings deutlich eingeschränkt haben, sind die Tiere praktisch ihrem natur-richtigen Verhalten treu geblieben, und aus Sicht des Faszientrainings haben sie in ihrem Bewegungsverhalten im Gegensatz zu uns Menschen alles richtig gemacht.
Unser aktuelles Bewegungsverhalten ist gekennzeichnet durch hohe Reibungsverluste, einem Verbrennungsmotor vergleichbar, der bei hoher Tourenzahl heißlaufen kann. Hohe Wärmeverluste sind eng mit technischen Prozessen verbunden, sie gehören zur Laufszene ebenso wie der Schweiß, der in Strömen fließt, wobei die Industrie alles versucht, das Problem mit Klimawäsche unter Kontrolle zu bringen. Denken Sie auch an das Problem des Luftwiderstands. Mit allen Mitteln ist man im Windkanal bemüht, die optimale Windschlüpfrigkeit neuer Automodelle zu testen, um den Energieverbrauch zu kontrollieren. Die Radfahrer sind schon vor Jahren der Schwarmintelligenz der Vögel gefolgt: Im schwersten Radrennen der Welt, der Tour de France, hat man frühzeitig den Vorteil des Windschattenfahrens erkannt.
Die Pinguine sind uns auf diesem Gebiet weit überlegen, weil sie in ihrer Slalomtechnik zwischen Richt- und Gegenschwung alles richtig machen, außerdem entspricht ihre Körperanpassung an das Wasser allen Gesetzen eines optimalen Strömungswiderstandes. So erreichen sie im Wasser eine Geschwindigkeit von sieben Metern pro Sekunde. Überträgt man diesen Wert auf Luft, wäre der Pinguin in diesem neuen Medium 15-mal schneller als im Wasser, was 100 Metern pro Sekunde entspricht, also 360 Stundenkilometer – mehr als Orkanstärke, wie Werner Nachtigall in seinem Buch »Bionik« ausführt. Die Tiere schwimmen täglich bis zu 100 Kilometer in 10 bis 20 Stundenkilometern, für diese Tagesleistung brauchen sie gerade mal eine Magenfüllung Krill (kleine Garnelen), umgerechnet auf den technischen Brennstoff Benzin bedeutet das, die Pinguine schwimmen mit einem Liter Benzin 1500 bis 2000 Kilometer weit. Das sind die wahren Wunder der Natur!
Der Mensch in seiner Welt der Motoren ist ein wahrer Energieverschwender. Diese Technik arbeitet mit Ausdehnung durch Explosion, der tägliche Straßenlärm hat inzwischen Ausmaße eingenommen, die die Anwohner kaum noch zur Ruhe kommen lassen, Ohrgeräusche à la Tinnitus bedrohen Jung und Alt. Auch die Meere haben sich verändert, die ruhigen, sauberen Zeiten der Segelschifffahrt sind lange vorbei, dafür dröhnen laute Schiffsmotoren, und schweres Schmieröl verschmutzt Wasser und Land gleichermaßen.
Motorschiffe sind schnell und betont gradlinig unterwegs, denn die schnellste Verbindung zwischen zwei Punkten ist nun mal die Gerade!
Die Motorschifffahrt ist schnell, überaus schnell, in drei Tagen ist man auf See von Hamburg bis New York unterwegs, dabei wird bevorzugt der gerade Weg gewählt, denn der ist immer noch die schnellste Verbindung. Dies war auch der entscheidende Grund, warum die Segler von den schnelleren Motorschiffen abgelöst wurden.
In der Natur gibt es aber keine geraden Wege, alles verläuft in Schwingungen zwischen Richtschwung und Gegenschwung. Aus Sicht der Bionik hätte sich daher die Menschheit den Irrweg der linearen Mechanik ersparen können.
Bei starkem Wind von achtern steht auch dem Segler der gerade Weg zur Verfügung, von vorn oder von der Seite bleibt ihm nur das Kreuzen gegen den Wind, der Wechsel zwischen Richt- und Gegenschwung, vergleichbar den Serpentinen bei der Überquerung eines Bergrückens. Wenn Sie beim Bergsteigen betont die diretissima als geraden Weg wählen, liegen Sie bald erschöpft am Boden, weil nichts mehr geht.
Abb. 9 | Energiegewinn auf gewundenen Wegen.
Das Bewegungskonzept Motorkraft ist durchaus mit dem Prinzip der Muskelkraft vergleichbar: Es beruht auf dem Geradeaus der linearen Mechanik. Auch hier ist der Mensch linear und ohne Gegenschwung auf den Beinen. Und dieses Bewegungskonzept ist mit einem hohen Energieverbrauch verbunden. Das kann einem Segler nicht passieren, denn er nutzt auf natürlichem Weg die kostenlose Windenergie, die er durch die permanenten Positionswechsel der Segel im Wind auf hohem Niveau halten muss, davon hängt seine Geschwindigkeit ab. Hierfür braucht es allerdings trainierte, schwindelfreie, standsichere und vor allem mutige Seeleute.
Das Windkesselkonzept, wie es in der Segelschifffahrt genutzt wurde, ist das häufigste Antriebskonzept der Natur. Und es bietet Möglichkeiten, die auch wir Menschen für unseren körpereigenen Antrieb beim Gehen und Laufen einsetzen könnten, würden wir nicht allein der Muskelkraft vertrauen, sondern auch die Sehnen und Faszien mit in unser Gehen und Laufen einbeziehen. Die Seefahrt hat diese kostengünstige, jedoch zeitintensive Variante in ihrer Transportleistung lange gewinnbringend genutzt, dann aber leider fallen gelassen, weil Zeit im technischen Zeitalter ausschließlich durch Geld definiert wird. Segel sind nichts anderes als Windkessel, die den Wind kesselartig in ihren Rah-, Fock- oder Großsegeln speichern, eine Art Gegenschwung auf die windabgewandte Seite, um so die potenzielle Lageenergie in kinetische Bewegungsenergie umsetzen zu können. Aber auch die Windmühlen aus alter Zeit sind ein Zeugnis dafür, wie man in früheren Jahren bereits die Windenergie bei der Verarbeitung des Korns genutzt hat, wobei diese Technologie gegenwärtig in großen Windparkanlagen ihre Fortsetzung findet.
Abb. 10 | Geschenkte Bewegung durch Windkraft.
Warum erzähle ich Ihnen vom Windkessel? Weil dieses Bewegungskonzept auch in unseren Sehnen und Faszien eine große Rolle spielt. Doch der Mensch in seiner Anpassung an die Technik hat alles unternommen, dieses natürliche Bewegungskonzept zu unterlaufen.
Jede Bewegung lebt vom Gegenschwung, wie er in jedem Windkessel durch das Aufblähen der Segel in Erscheinung tritt, wie ihn aber auch jedes Kind beim Ballwurf beherrscht. Fällt der energiefördernde Gegenschwung weg, lassen Funktionsstörungen nicht lange auf sich warten, nachweisbar an der hohen Erkrankungsrate des Stütz- und Bewegungsapparates, angeführt von Tendinosen, der vorzeitigen Degeneration der Sehnen. Wie wichtig der Gegenschwung ist, können Sie sofort durch einseitiges Händeklatschen unter Beweis stellen, denn ohne die Ausholbewegung wird aus dem Klatschen nur ein leises Säuseln, das kaum die Künstler auf der Bühne erreicht.
Abb. 11 | Laut hörbar wird Händeklatschen erst durch den Gegenschwung.
Die Faszien sind in ihrer Zusammenarbeit mit den Muskeln auf diesen initialen Gegenschwung angewiesen, denn nur diese Ausholbewegung kann die stille Reserve der potenziellen Lageenergie aktivieren, wie sie in den elastischen Fasern gespeichert ist. Die Muskeln mit ihren kontraktilen Elementen sind dagegen zur aktiven, direkten Arbeitsleistung in der Lage. Damit reagieren die Faszien und Sehnen alles andere als starr oder als einfache Kraftüberträger, sie wirken überaus dynamisch über die eingelagerten elastischen Fasern als stille Reserve ihrer potenziellen Lageenergie. Gesunde Sehnen und Faszien, wie sie bei jungen Menschen vorkommen, weisen in Ruhe eine typische wellenförmige Spiralstruktur auf, analog zu dreidimensionalen Spiralfedern (Staubesand et al. 1997). Besonders die elastischen Fasern des Bindegewebes zeigen eine hohe Dehnungsfähigkeit, die bis zu 150 Prozent ihrer Ausgangslänge betragen kann, wobei sie nach Beendigung der Zugkraft wieder auf ihre Ursprungslänge zurückkehren. In der Steifheit des Alters verlieren diese Sehnen allerdings ihre Wellenform, sie nehmen an Zahl ab, verlieren aber auch ihre hohe Flexibilität.
Abb. 12 | Durch Spiralstrukturen der elastischen Fasern wird die Sehne erst dehnbar. © Jürgen Weineck: Sportbiologie, Erlangen 1990 / Balingen 2009: Spitta
Bis ins hohe Alter trainierbar!
Die frohe Botschaft vorweg: Die altersmäßige Versteifung der Gelenke ist nicht unser Schicksal! Durch spezielles Stretching können die Bindegewebszellen zur Neubildung und zum Aufbau ihrer Spiralfederstrukturen angeregt werden.
Tiere nutzen in ihrem natürlichen Verhalten geschickt die hohe Spannkraft ihrer Sehnen und sind dabei extrem schnell, wie der Gepard, der den Richtschwung bis zum Spagat steigern kann, sodass im anschließenden Gegenschwung die Hinterbeine praktisch die Vorderbeine überholen, eine ganz spezielle Hockstellung, durch die ein hoher Energietransfer ermöglicht wird. Kängurus können weiter als weit springen, aber nicht aus der Kraft ihrer Muskeln, sondern aus der Elastizität ihrer langen Sehnen durch den Katapulteffekt (Kram & Drawson 1998). Auch die menschlichen Sehnen in unseren Beinen sind durchaus mit dem Laufvermögen von Gazellen vergleichbar (Sawicki et al. 2009).
Abb. 13 | Optimaler Richt- und Gegenschwung beim Gepard.
Ein hochwirksames Transportsystem im Körper à la Windkessel ist gleich nach dem Herzen geschaltet, denn die Aorta in ihrem elastischen Schwingungsverhalten unterstützt die Herzarbeit nachhaltig und sorgt dafür, dass auch während der druckabbauenden Diastole das Blut weiter in den Arterien fließen kann. Ein geniales Konzept, ausgelöst durch den Katapulteffekt elastischer Fasern in der schwingenden Aortenwand, die das im Windkessel verlagerte Blut in den zentralen Verlauf der Aorta zurückschleudern und somit in Richtung Peripherie treiben kann. Nur so ist erst ein gleichmäßiger Blutfluss auch während der Diastole (Herzerweiterung) möglich. Der Mensch läuft allerdings Gefahr, durch anhaltenden Stress in Verbindung mit Bewegungsmangel diese effiziente Beschleunigungsanlage durch die Arteriosklerose zu zerstören, sodass das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko wie ein Damoklesschwert über den Betroffenen hängt. Auch die Pulswellengeschwindigkeit, die aktuell den Stand der Arteriosklerose dokumentieren kann, nimmt mit zunehmender Versteifung zu.
Abb. 14 | Das Schwingungsverhalten der Aorta unterstützt die Herzarbeit nachhaltig.
Wie wir gesehen haben, treffen in der Bewegungskette Muskel – Sehne – Gelenk zwei konträr ausgerichtete Aktionspotenziale aufeinander:
Der Muskel mit seinen kontraktilen Elementen unterliegt der nervlichen Steuerung, reagiert sofort auf jeden Aktionsappell willkürlicher Steuerung aus dem zentralen Nervensystem mit einer Kontraktion, die unmittelbar von der kraftübertragenden Sehne direkt auf das Gelenk übertragen wird. Die Folge ist eine zielgerichtete Bewegung in der unterschiedlichen Orientierung des dreidimensional aufgebauten Raums. Allerdings braucht es für diesen Bewegungsimpuls Energie, viel Energie sogar, die von den zuführenden Arterien primär durch den mitgeführten Sauerstoff geliefert werden muss.In einer zweiten Stufe ist jetzt ein Rollentausch der aktiven Muskulatur angesagt, der Wechsel von der Beugeseite der Synergisten hin zur Streckseite der Antagonisten, eine Impulsumkehr entgegen der Zielrichtung durch den Gegenschwung, der primär nicht dem Antrieb nach vorne gilt, sondern betont der Längenerweiterung der frontorientierten Synergisten. Die soeben noch beanspruchten beugeseitigen Synergisten erfahren durch diesen Spannungsausgleich einen optimalen Energienachschub, der für den weiteren Arbeitseinsatz eminent wichtig ist, wenn ihr bisheriges Leistungsvermögen möglichst über einen langen Zeitraum und auf hohem Niveau aufrechterhalten werden soll. Der kurze Leistungsanspruch an die Antagonisten für den Gegenschwung ist aber nur gering einzustufen, in keiner Weise vergleichbar mit dem relativ hohen Einsatz der Synergisten, die im Wesentlichen den Antrieb nach vorn zu besorgen haben.Von diesem Gegenschwungprinzip der Bewegung geht der entscheidende Antriebsimpuls beim Faszien-Jogging aus, analog zum optimalen Energietransfer in allen natürlichen Prozessen: Die schöpferische Kraft der Natur ist nicht primär in ihrer Stärke vertreten, sondern in ihrer Elastizität, die jeder Kraftentwicklung ihre Initialzündung verleiht. Durch den Gegenschwung, über eine kurze Kontraktion der Antagonisten in geringer Intensität ausgelöst, wird die Muskel-Sehnen-Kette der gegensätzlichen Synergisten über ihre Grundlänge maximal gedehnt, die entscheidende Voraussetzung, damit der nach vorn orientierte »Synergisten-Antriebsmotor« sein gewaltiges Arbeitspensum auch über einen längeren Zeitraum auf hohem Niveau verrichten kann. Dabei sind zwei Ansatzpunkte von entscheidender Bedeutung:
Die längenerweiterte Muskulatur der beugeseitigen Synergisten, die den eigentlichen Frontantrieb zu besorgen haben, wird durch den Gegenschwung für einen kurzen Moment mit Sauerstoff und Energie versorgt. Nur so ist sie in der Lage, ihre Maximalarbeit auch über längere Zeiträume auf hohem Niveau zu halten.Gleichzeitig mit den Muskeln werden aber auch die Sehnen und Faszien einer intensiven Längenerweiterung unterzogen, ihr Kickstartersystem wird aktiviert, weil nur auf diesem Wege das schlummernde Potenzial der Lageenergie der elastischen Fasern mobilisiert werden kann. Und jetzt ist es der Katapulteffekt mit seiner Energiefreigabe, der der Kontraktionskraft der Muskeln (Synergisten) gleichwertig an die Seite gestellt wird. Hierdurch erfährt das Faszien-Jogging seine Leichtigkeit. Das ist die berühmte Schubkraft der »vis a tergo«, die das Laufen nachhaltig unterstützt.Der Bewegungsimpuls der Sehne erfolgt über die Katapultwirkung des Spiralfedereffekts durch den Gegenschwung, der die elastischen Fasern über ihre Grundlänge hinaus dehnt, sodass die eingelagerte potenzielle Lageenergie in kinetische Bewegungsenergie umgewandelt werden kann.
Muskel und Sehne unseres körpereigenen Bewegungssystems verhalten sich also wie zwei ungleiche Brüder, die zwar Hand in Hand gehen, aber jeder in eine andere Richtung. Der kontrahierende Muskel arbeitet mit Verkürzung, braucht dafür aber Sauerstoff und Energie, die elastische Sehne arbeitet mit Verlängerung, bezieht ihren Antriebsimpuls aus der stillen Reserve potenzieller Lageenergie der gedehnten elastischen Fasern. Dies geschieht aber ohne Kraftverlust und ohne zusätzlichen Energietransfer, denn der Einstieg in den Katapulteffekt über den Gegenschwung ist dann nur noch eine spezielle Form des Loslassens.
Dieses natürliche Bewegungskonzept hat einen Sportler zum Wunderläufer gemacht. Die Rede ist vom finnischen Langstreckenläufer Paavo Nurmi, der wie kein anderer diesen energiefördernden Gegenschwung beherrschte und zu seiner Zeit mehrere Olympiasiege und zahlreiche Weltrekorde auf Langstrecken aufstellte. In der folgenden Abbildung sehen Sie den Moment des Gegenschwungs in der entscheidenden vorderen Landungsphase des linken Fußes am Boden:
Der linke Fuß landet optimal im hinteren, äußeren Drittel im Supinationsschub des Fersenbeines mit leichter Tendenz der Vorfußstreckung durch den Gegenschwung.Dieser vorfußstreckende Gegenschwung wird in der Abbildung durch die lokale Anspannung der vorderen Schienbeinmuskulatur dargestellt, die als geringe Verdickung gut zu erkennen ist. Dies ist der entscheidende Moment für die Längenerweiterung der Wadenmuskeln und der Achillessehne: Die Wadenmuskeln als Synergisten erhalten einen kurzen Sauerstoffschub, und in der Achillessehne wird durch diesen Gegenschwung des Fußes die potenzielle Lageenergie zusätzlich zur Muskelkraft mit in die Bewegung einbezogen.Im Moment der vorderen Fußlandung ist das linke Kniegelenk leicht gebeugt, es wird dadurch zentral im Knorpelbereich belastet, dort, wo die Schutzschicht am stärksten ausgebildet ist.