Burnout - Prüfungsstress - Lampenfieber - Gerd Schnack - E-Book

Burnout - Prüfungsstress - Lampenfieber E-Book

Gerd Schnack

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Beschreibung

Entspannungstechniken im Alltag Musiker sind in hohem Maße von stressbedingten Erkrankungen und damit auch von Lampenfieber bis hin zum Burnout betroffen. Gefragt sind Strategien für den Alltag, die hier schnell und unkompliziert durch ein "Training im Vorübergehen" helfen können. Dieses Buch bietet in anschaulicher Form und unterstützt durch grafische Darstellungen einfache Übungen mit hohem "Memory-Effekt" an, die eine Änderung des Lebensstils auf Dauer unterstützen und damit auch gravierende Probleme lösen können. - Schnelle Tiefenentspannung durch die neue Vagus-Meditation - Motivation für eine Lebensstiländerung auf Dauer ist eine Sache der Glückshormone: Die angebotenen Übungen lösen Freude und Begeisterung aus und dienen so auf angenehme und nachhaltige Weise der Gesundheitsförderung - Bewegung ist ein wichtiges "Medikament", nicht nur bei der Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen; ob Tanzjogging auf dem Minitrampolin, Gegenschwung-Stretching oder Krafttraining: Gezeigt werden Übungen, die sich im Alltag auf unkomplizierte Weise verwirklichen lassen Der Autor Professor Dr. Gerd Schnack erhielt seine chirurgische Ausbildung in Berlin, Zürich und München mit Schwerpunkt Handchirurgie in Hamburg, daneben bildete er sich sportmedizinisch weiter. An der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg entwickelte er musikmedizinische Präventionsstrategien und hielt entsprechende Seminare bei zahlreichen Orchestern. Er ist Gründungspräsident der Deutschen Gesellschaft für Präventivmedizin und Präventionsmanagement. Seit 1985 ist er präventiv-medizinisch tätig, gegenwärtig in seinem Präventionszentrum in Allensbach.

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Gerd Schnack

Burnout – Prüfungsstress – Lampenfieber

Gesundheitsrituale für Musiker

Mit einem Geleitwort von Herbert Blomstedt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

eBook-Version 2016

© 2015 Gustav Bosse GmbH & Co. KG, Kassel

Lektorat: Christiana Nobach

Korrektur: Felix Werthschulte

Umschlaggestaltung: + CHRISTOWZIK SCHEUCH DESIGN, Kassel

unter Verwendung einer Grafik von Wolfgang Pfau, Baldham

Grafiken: Wolfgang Pfau, Gerd Schnack

ISBN 978-3-7649-7000-0

DBE 100-07

www.bosse-verlag.de

eBook-Produktion: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Geleitwort

Als einer meiner Freunde in San Francisco vom wöchentlichen Training bei seinem Physiotherapeuten nach Hause kam, sagte er vergnügt: »I have just made a deposit in the Health Bank«. Nun war er in der Zwischenzeit aber auch in seinem Club gewesen und hatte ein opulentes Frühstück genossen. Also war sein ›Gesundheits-Konto‹ wieder leer: Stand an diesem Vormittag plus/​minus null.

So geht es uns allen – unser Weg in die Katastrophe ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Dieses Buch möchte uns dabei helfen, bewusster und konsequenter mit diesen Vorsätzen umzugehen.

Als Musiker begrüße ich dieses Buch ganz außerordentlich, denn gerade unsere Gesundheit ist besonders gefährdet. Ob vor, in oder nach dem Konzert (das heißt also immer): Die großen Anspannungen der Vorbereitung, die intensive Selbstkritik, die extreme Konzentration vor dem Publikum und das Bedürfnis der Entspannung nach dem künstlerischen Höhenflug des Abends – das alles sind potentielle Belastungen, die uns schnell zerstören können, wenn wir nicht klug und aufmerksam mit unseren Kräften haushalten.

Dass die Musik eine »Wunderwirkung« haben kann, haben wir erlebt, und dafür sind wir unendlich dankbar. Deswegen haben wir uns ja der Musik verschrieben und uns strengster Disziplin unterworfen, um unser maximales Potential erreichen zu können. Die Musik ist eine Zauberkraft, die Intellekt, Gefühl und Seele so enorm beflügelt, dass wir uns erst dadurch als vollwertige Menschen empfinden. Dass wir zusammen musizieren können und dürfen, ist tatsächlich ein großes Glück. Und – wie die Wiener Philharmoniker zu sagen pflegen: »Und dafür wird man noch bezahlt!«

Aber durch diesen ästhetisch-intellektuellen Dauerrausch merken wir vielleicht nicht früh genug den schleichenden Verschleiß, dem wir ausgesetzt sind. Umso dankbarer sind wir, dass Gerd Schnack uns mit diesem Buch eine Expertise geschenkt hat und uns kluge Ratschläge in Bezug auf nötige »Gesundheitsrituale« gibt, die diesem Verschleiß entgegenwirken können.

Wir alle – und durch uns auch die Musik – werden davon profitieren.

Luzern, den 4. Dezember 2014

Herbert Blomstedt

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Geleitwort

Zur Einführung: Gegensätze – unser Schicksal

1. Musik als harte Arbeit: Gesundheitsrituale im Stressalltag

Lange Sitzarbeit

Gesundheits-Rituale für Musiker im Stressalltag

Übung 1. »Hängebrücken-Ritual«

Übung 2. »Storchenbein-Ritual«

Intensive Hand- und Arm-Belastung

Übung 3. »Kreuzhang-Ritual«

Übung 4. »Elefantenrüssel-Ritual«

Lärmbelastung

Hohe Anspruchshaltung

Übung 5. »Lampenfieber-Ritual«

Harte Tagesarbeit – Ruhe in der Nacht

Übung 6. »Guten-Morgen-Ritual«

2. Stress und Burnout: Dreidimensionale Wirkung auf Körper, Seele und Geist

Zentrale Stresswirkung auf das Nervensystem: Schlafstörungen, Depressionen, Burnout

Periphere Stresswirkung auf den Bewegungsapparat: Berufskrankheit »Repetitive Strain Injury« (RSI)

Übung 7. »Robbenflossen-Ritual«

Allgemeine Stresswirkung auf das Herz-Kreislauf-System: Herzinfarkt, Schlaganfall, Typ-II-Diabetes

3. Zentrales Stressmanagement durch Vagus-Meditation: Die wirksamste Waffe gegen Burnout

Meditation – Kontemplation

1. Meditationsstufe des Wissens

2. Meditationsstufe der Erkenntnis

3. Meditationsstufe der Weisheit

Das »emotionale Gehirn« – Schaltzentrale der Vagus-Meditation

Unser pränatales Bewusstsein

Meditation und Schmerz

Meditative Musik

Komplexe Entspannung in Sekunden über vier Hirnnerven

Augenpressur

Übung 8. »Augenpressur-Ritual«

Cinéma interne

Übung 9. »Cinéma-interne-Ritual«

Akkommodation

Übung 10. »Akkommodations-Ritual«

Lachen mit den Augen

Übung 11. »Lachen-mit-den Augen-Ritual«

Zungenstretching

Übung 12. »Zungenstretching-Ritual«

Kehlkopfvibrationen

Übung 13. »Kehlkopfvibrations-Ritual«

Atmung

Übung 14. »Weiter-Wind-Ritual«

Vagus-Episoden im Stressalltag

Prüfungsangst, Lampenfieber

Auftrittsängste

Tinnitus, fokale Dystonie

Schlafstörungen, Burnout

Mittagspause

Autobahnermüdung, Reisestress

Flugangst, Seekrankheit

»Ungeduld des Nicht-Warten-Könnens«

Unruhiges Publikum

Regeneration nach Belastungen

Erkrankungen

4. Peripheres Stressmanagement durch Elastizität und Kraft

Elastizität – Energiekonzept der Natur

Jede Bewegung lebt vom Gegenschwung

Die Berufskrankheit RSI bei Musikern

Muskel-Sehnen-Kette

Muskulatur

Sehnen

Übung 15. »Daumenstrecker-Ritual«

Übung 16. »Daumenbeugesehnen-Ritual«

Der Rücken – die Stütze des Musikers

Das »Rücken-Trio« für eine starke Wirbelsäule

Übung: Kopfwippe/Ellbogenwippe

Tiefe Entspannungshocke vor der Wand

Übung: Maximale Dehnung der oberen Nacken- und der unteren Rückenmuskulatur

Spiralkinetisches Stretching durch zusätzliche Körperrotation

Übung: Spiralkinetisches Stretching des Rückens und des Nackens

Übung: Intensive spiralkinetische Rückendehnung

Übung 17. »Rücken-Trio-Ritual«

Der »Rücken-Rodeo« – Rückenkraft und Entlastung für unterwegs

Übung 18. »Rücken-Rodeo-Ritual«

Der Stuhl, dein Fitnessstudio: Optimales Rückentraining im Vorübergehen

Spiralkinetisches Gegenschwungstretching für Musiker

EAS-Stretching

Übung: EAS-Stretching der Fingerbeuger plus spiralkinetisches Stretching der Pronatoren

Übung: EAS-Stretching der Unterarmstrecker plus spiralkinetisches Stretching der Supinatoren

Übung: EAS-Stretching der Beuge- und Strecksehnen des Daumens

Übung: EAS-Stretching des Rückens und der Waden/Achillessehnen aus der tiefen Hocke vor der Wand

Übung: Spiralkinetisches Stretching der Schultern

Übung: Spiralkinetisches EAS-Stretching der rechten Schulter gegen die Degeneration der Rotatorenmanschetten

Die Hand des Musikers

Expandertraining »en miniature« mit einem Bürogummi

Total-Entspannungs-Ritual

Übung 19. »Entspannungsritual – Total«

5. Allgemeines Stressmanagement durch Ausdauertraining

»Totraum-Training« durch Nasenatmung

Tanzjogging auf dem Minitrampolin durch Musikmotivation

Übung 20. »Tägliches Tanzjogging-Ritual«

Übung: Fünf Minuten Kraftausdauer beim Tanzjogging

Übung: Beschwingtes Bauchmuskeltraining auf dem Trampolin

Übung 21. »Entspannungs-Ritual total« auf dem Trampolin

Ausdauertraining im Arbeitsalltag

6. Neue Chancen der Prävention: Die Gene allein sind nicht mehr unser Schicksal

Bewegung – das neue Medikament im Stresszeitalter

Ausdauertraining und Vagus-Meditation: Mobilisation aller Parasympathikus-Aktivitäten

Motivation für eine Lebensstiländerung auf Dauer: 10 Tipps im Stressalltag

Gefühlte Zeit (Kairos) – gemessene Zeit (Chronos)

Anhang

Präventivmedizinische Studien

Literatur

Internetstudien

Das Instrument ist gestimmt, der Körper auch?

Der Autor

PRÄVENTION statt OPERATION: Zwei Erfahrungsberichte

Zur Einführung: Gegensätze – unser Schicksal

Die Welt verändert sich dramatisch, die digitale Technologie hat alle Gesellschaftsschichten erfasst: Die weltweit vernetzte Menschheit ist praktisch rund um die Uhr erreichbar. Diese Revolution ist nicht so vordergründig wie die stampfenden Lokomotiven im Dampfmaschinen-Zeitalter oder die lauten Motoren zu Lande, zu Wasser und zur Luft. Diese Umwälzung kommt auf »leisen Sohlen« daher, sie wirkt aber umfassender und komplex lebensverändernd auf die gesamte Menschheit. Im Vergleich zu den technischen Entwicklungen der Vergangenheit ist ein Tatbestand jedoch spektakulär und besorgniserregend zugleich: Dampfmaschine und Motoren waren in regelmäßiger Folge auf Stillstand ausgerichtet, Pausen in der Nacht, Pausen für den Service waren unumgänglich. Handy, Internet, Facebook oder Twitter sind Tag und Nacht im Einsatz.

Die Pausenkultur wurde völlig auf den Kopf gestellt. »Entgrenzung von Arbeit« lautet das Unwort im digitalen Zeitalter! Bereits auf dem Weg zur Arbeit gilt die ganze Aufmerksamkeit vieler Mitarbeiter dem Laptop, sodass im ICE Büroarbeit angesagt ist. Wir leben überaus komfortabel, aber dieser technische Fortschritt hat auch seinen Preis. In der hohen Dichte der Informationen sind Pausen der Entspannung kaum noch vorgesehen, und im Internet werden nicht nur Freundlichkeiten ausgetauscht.

Die Gegenwart wird in der hohen Informationsdichte nur noch im Zeitraffer wahrgenommen. Alles um uns herum verläuft schnell, direkt, auf geradem Wege, ganz nach der Vorgabe von Isaak Newton, der die Wirkung der Gravitationskraft mit den Fallgesetzen im Sinne der linearen Mechanik erklärt hat, nach denen der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten die grade Linie ist. In der freien Natur gibt es keine geraden Wege, sie wird beherrscht von den Wellen bewegter Ozeane. In diesem Auf und Ab, wie dem wechselndem Hin und Her, ist das wirksame Energiekonzept die Spirale in ihren Gegensätzen, in der die Vollkommenheit lebendiger Prozesse die Grundausrichtung darstellt.

Abb. 1 Ausgewogene Zeit – Raumaufteilung in der Lebensspirale, die keinen Stillstand kennt. Nur wer sich ständig auf den Weg begibt von einem Extrem zum anderen, kommt seiner Vollkommenheit näher.

Es ist die Handschrift natürlichen Wachstums, wenn nach einem strengen Winter die Landschaft explosionsartig erblüht. Dagegen verläuft der Alltag in unserer Gesellschaft pfeilgerade, dynamisch, nicht mehr im regelmäßigen Austausch der Gegensätze der logarithmischen Spirale, weil in vielen Bereichen bereits die Nacht zum Tag gemacht wurde. In dieser Monotonie einseitiger Stressbelastungen wird die Gegenwart nur noch verschwommen wahrgenommen, die ganze Aufmerksamkeit gilt der nahen und fernen Zukunft; der Moment des Verweilens verliert sich in dieser Rastlosigkeit. Goethes Worte im Faust sind aus der damaligen Epoche heraus bereits ein Blick in unseren Stressalltag, denn die Zeit wird aus der Faustperspektive unter Missachtung von Vergangenheit und Gegenwart allein durch die Zukunft dargestellt. Die reale Gegenwart ist der Stress rastloser Betriebsamkeit, angeregt durch eine Werbung neuer Begierden und deren unmittelbare Befriedigung.

Goethes Worte:

»Ich bin nur durch die Welt gerannt, ein jed’ Gelüst ergriff ich bei den Haaren,

Was nicht genügte, ließ ich fahren, was mir entwischte, ließ ich ziehen.

Ich habe nur begehrt und nur vollbracht und abermals gewünscht und so mit Macht:

Mein Leben durchgestürmt!«

Ein weiser Mann wurde gefragt, warum er stets so gelassen sei. »Wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich stehe, dann stehe ich, und wenn ich gehe, dann gehe ich!« – »Das tun wir doch auch!« – »Nein«, sagte der alte Mann, »das tut ihr nicht. Wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon, wenn ihr steht, dann geht ihr schon, und wenn ihr geht, seid ihr bereits am Ziel!«

Leben ist Bewegung, aber nicht direkt, linear. Jeder wirksame Impuls ist auf das Wechselspiel des Gegenschwungs angewiesen. Geradezu verschwenderisch gehen natürliche Prozesse in Raum und Zeit mit der Gegenbewegung um, in großzügigen Mäandern schwingen Flüsse durch die Landschaft. Aber die menschliche Gesundheit steht unter diesem Hochdruck, denn die beschleunigten Tagesabläufe lassen Zeit und Raum für den Gegenschwung durch Ruhe, Stille und Erholung kaum noch zu.

Die Archimedische Spirale mit gleichem Windungsabstand steht für Ordnung und Gleichstand. Die logarithmische Spirale mit wachsendem Abstand entspricht dem explodierenden Wachstum in der Natur, in und um uns herum sind wir von diesem schöpferischen Prinzip umgeben, das bis hin zum unendlichen Wachstum im Universum mit seinen Spiralgalaxien reicht.

Abb. 2 Gleicher Windungsabstand in der Archimedischen Spirale, explodierender Abstand in der logarithmischen Spirale

Wohlbefinden, Harmonie, Balance, Kohärenz, die Gesundheit im Besonderen, sind prägende Zielvorstellungen unseres Lebens, die wir aber niemals auf direktem Wege erreichen können, sondern nur im Wechselspiel der Gegensätze nach der Grundausrichtung der schöpferischen, logarithmischen Spirale. Bei Stillstand als Ausdruck der Monotonie allerdings, beim längeren Verweilen in einer Extremposition der Spirale ist der Wachstumsprozess unterbrochen, die beginnende Krankheit signalisiert das Ende aller Entwicklungen.

Die lineare Dynamik ist auch die bildliche Darstellung für Stress, wobei das schnelle Wasser der kanalisierten Flüsse auch im Blut anzutreffen ist, wenn die Arterienwände durch Stress, Bewegungsmangel und falsche Ernährung starr werden, denn in der Arteriosklerose wird nicht nur das Blut beschleunigt. Analog zum Hochwasser der Flüsse entsteht der Bluthochdruck. Auf der Strecke bleibt die »Windkesselfunktion« der Aorta, analog zum schwingenden Mäander eines Flusses: Hier ist es der Blutdruckanstieg, der dem Hochwasser entspricht, wobei das schnelle Fließen mit der Erhöhung der Pulswellengeschwindigkeit verglichen werden kann. Das schnelle Wasser, das beschleunigte Blut sind prägende Zeichen für unsere Gegenwart, die ganz im Zeichen von Stress mit stressbedingten Erkrankungen steht.

Chronischer Stress ist das prägende Erkennungsmerkmal der heutigen Gesellschaft, in der der natürliche Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung verloren gegangen ist. Nicht der Stress macht uns krank, sondern die fehlende Pause, durch die wir neben Lampenfieber und Burnout ebenso Schlafstörungen und Depressionen unter Kontrolle bringen könnten.

Der Wechsel der Gegensätze in der Natur gehorcht zwar dem Prinzip der Wiederholung, aber nicht die Wiederholung von Gleichem, in originalgetreuer Wiedergabe. Kein Tag ist wie der andere und jede Nacht hat ihren besonderen Schatten, im Wechsel der Jahreszeiten beeindruckt jeder Herbst durch seine spezielle Färbung. Naturwissenschaftliches Denken dagegen gehorcht anderen Gesetzen. Ein Experiment wird nur dann anerkannt, wenn es originalgetreu wiederholbar, wenn es reproduzierbar ist, ein Kreislauf, der stets an den Ausgangspunkt zurückkehrt. Bereits die Philosophen im alten Griechenland sahen das anders, Heraklit aus Ephesos (ca. 500v.Chr.) postulierte: »Alles fließt, alles ist in Bewegung. Du kannst niemals in denselben Fluss steigen, es kommt ständig neues Wasser auf dich zu.« In der logarithmischen Spirale bewegt man sich auch im Kreis, jedoch nach einer Umrundung landet man auf einer höheren Ebene. Dieser Anstieg entspricht allen Prozessen in der Natur, die nach einem strengen Winter regelrecht explodiert. Das ist das Markenzeichen der logarithmische Spirale in ihrem exponentiellen Wachstum, denn die Welt der Bäume, der Blumen, aber auch der menschliche Organismus, ist voller Spiralen mit ihrem Energiepotenzial. Wenn Bäume sich in großen Höhen gegen Wind, Regen, Schnee und Eis behaupten müssen, schalten sie stets auf das Energiekonzept der logarithmischen Spirale. In der logarithmischen Spirale verdoppelt sich der Windungsabstand nach jeder Umdrehung, dabei bleibt der Krümmungsradius konstant. In Zahlen ausgedrückt entsteht die Fibonacci-Folge (nachgewiesen im 13. Jahrhundert von Leonardo von Pisa), die so ganz anders verläuft als die lineare Zahlenreihe, die unser Schulwissen naturwissenschaftlicher Prägung bestimmt.

Lineare Reihe:

1,

2,

3,

4,

5,

6,

7,

8,

9,

10

Fibonacci-Folge:

1,

1,

2,

3,

5,

8,

13,

21,

34,

55

Die Fibonacci-Folge hat unendliches Wachstumspotenzial. Bei der 5 ist bereits Gleichstand zur linearen Reihe erreicht, aber danach geht es rasant aufwärts, die 8 erreicht bereits mehr als die Verdopplung ihres Wertes, bei der 10 steht schon die 55 gegenüber etc. Der Mathematiker Jakob Bernoulli im 17. Jahrhundert sprach stets von der wunderbaren Spirale, deren Fibonacci-Zahl im Diesseits der Gegenwart beginnt, aber in der Ewigkeit endet.

Die Natur steht aber nicht nur für ihr grenzenloses Wachstum, sondern auch für ihre Schönheit in der optimalen Aufteilung ihrer Proportionen im Sinne des Goldenen Schnitts, der als der Harmoniebegriff schlechthin angesehen werden kann. Schon seit Jahrhunderten sind Maler, Bildhauer, aber auch Musiker vom Goldenen Schnitt fasziniert, der auch als »Goldene Spirale« bezeichnet wird. Für Leonardo da Vinci war allein das Schneckengehäuse ein Wunder der Schöpfung. Rotationssymmetrisch angelegt, vollzieht sich das Wachstum nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit der letzten Schicht zur vorangegangenen, wobei die Abstände der Wachstumsringe der Fibonacci-Reihe folgen. Die Quotienten aufeinanderfolgender Glieder der Fibonacci-Folge konvergieren gegen den Goldenen Schnitt. In der Natur stellen exponentielles Wachstum und die optimale Aufteilung der Proportionen im Goldenen Schnitt eine Einheit dar.

Die gegensätzlichen Eckpunkte der Spirale wurden bereits im Alten Testament im Buch Kohelet treffend formuliert:

geboren werden und sterben, einpflanzen und ausreißen,

töten und Leben retten, niederreißen und aufbauen,

weinen und lachen, wehklagen und tanzen,

Steine werfen und Steine aufsammeln,

sich umarmen und sich aus der Umarmung lösen,

finden und verlieren, aufbewahren und wegwerfen,

zerreißen und zusammennähen, schweigen und reden.

Das Lieben hat seine Zeit und auch das Hassen, der Krieg und der Frieden.

In diesen Extrempositionen der Lebensspirale kann es in einem natürlichen Rhythmus keinen Stillstand geben. Das Heraklit’sche »Alles fließt« heißt übersetzt für die logarithmische Spirale, dass der permanente Wechsel von einem Extrem ins andere grundsätzlich auf Bewegung angewiesen ist, denn jeder Stillstand ist mit dem längeren Verweilen in einer Extremstellung gleichzusetzen. Stress und Burnout sind der Beweis dieser Monotonie: Eine wesentliche Krankheitsursache ist dieser Stillstand im Festhalten einer Extremposition, sei sie nun ausgedrückt durch zu viel Arbeit ohne ausgleichende Pausen oder durch eine monotone Bewegung, in welcher der Energie fördernde Gegenschwung nicht vorgesehen ist.

Leben ist Bewegung im Rhythmus durch die ständig wechselnde Reihenfolge betonter und unbetonter Zeitabschnitte!

Die logarithmische Spirale in Schlüsselpositionen des menschlichen Organismus:

Spiralstrukturen bestimmen nicht nur den Herzmuskel, sondern

auch

seine Faserstrukturen und erst hierdurch wird die gewaltige Leistung pausenlos über Tag und Nacht ermöglicht. Raumverkleinerung (Systole) sowie Raumvergrößerung (Diastole) ist das typische Beschleunigungskonzept der Natur analog zur Düse (Stromschnelle). Damit ist das Herz kein Motor, sondern ein Turboaggregat.

Abb. 3 Das Herz ist kein Motor, sondern ein spiralförmig aufgebautes »Turboaggregat«.

Unsere Erbsubstanz DNA ist eine Doppelhelix, also eine doppelt gewundene Spiralstruktur, auf der nach der spektakulären Epigenetik (Nachweis siehe

Kapitel 6

) die epigenetischen Marker als Methylgruppen angesiedelt sind, die nach neuesten Erkenntnissen unsere Gene sogar entschlüsseln können.

Körperzellen verfügen über eigene Kraftwerke (Mitochondrien), die die Energieversorgung steuern; diese Organellen zeigen einen spiralförmigen Innenaufbau.

In jede Fingerkuppe ist als »Markenzeichen« eine Spirale »eingraviert«. Ein einmaliges individuelles Zeichen auf dieser kleinen Fläche, das kann nur die Spirale.

Die Gehörschnecke (Cochlea) ist spiralförmig in ihrem Aufbau. In der zentralen Windung erfolgt die Tonbildung von 20 Hertz, in der äußeren Windung von 20

000 Hertz.

Muskeln verlaufen in spiralförmigen Schlingen, so umgurten sie den Rumpf und die Extremitäten. Entsprechend geordnet ist das Gangbild des Menschen: Spiralfederartig schraubt er sich nach vorn und das in Diagonaltechnik. Die vordere Schwungbewegung des rechten Beines bis zum Aufsetzen am Boden wird vom Vorschwingen des linken Armes begleitet. Hierbei wird die Wirbelsäule zwischen dem Schultergürtel und dem Becken einer gegenläufigen spiralförmigen Schraubbewegung ausgesetzt. Das nach vorn schwingende rechte Bein schiebt über das rechte Hüftgelenk den rechten Beckenkamm nach vorn, der linke Arme dreht die linke Schulter in Frontrichtung. Durch die spiralförmige Diagonaltechnik beim Gehen bleibt der Körper in relativer Ruhe.

Die Wirbelsäule gleicht einer Spiralfeder. Der ersten Schraubbewegung der Brustwirbelsäule folgt eine zweite, denn der Fuß rollt im oberen und unteren Sprunggelenk nicht geradlinig, linear am Boden ab. Die typische Abrolllinie des Fußes ist eine spiralförmige halbe Acht, in der der Fuß mit der Außenkante der Ferse in der Vorbewegung aufsetzt, um danach nach innen im Sinne der Pronation abzurollen, sodass der Abdruckpunkt zwischen der Großzehe und der zweiten Zehe platziert wird. Im oberen und unteren Sprunggelenk des Fußes verlaufen zwei gerade Bewegungsachsen, die aber nur durch einen spiralförmigen Vorgang miteinander verbunden werden können.

Abb. 4 Spiralförmige Rotationen beim Gehen in der Wirbelsäule und im oberen bzw. unteren Sprunggelenk

Die spiralförmigen Schlingenmuster der Muskeln in Zusammenarbeit mit der Spiralfederfunktion der Wirbelsäule und der Sprunggelenke sind der Grund, dass Bewegung im Schwerkraftfeld der Erde nur in spiralförmigen Pirouetten effektiv umgesetzt werden kann. Die Entwicklung des Weltrekords im Hochsprung ist der Beweis: Die größten Höhen wurden in der spiralförmigen Körperdrehung (»Fosbury-Flop«) gesprungen. Gleiches gilt im Übrigen für das Kugelstoßen, für Diskus- und Hammerwurf.

Abb.5 Optimale Überwindung der Schwerkraft in Spiralform beim Hochsprung

Auch beim Musizieren gelten diese biomechanischen Kriterien beim Stehen und Sitzen. Bei beidem hat das Gleichgewicht absolute Priorität, zumal in diesen Positionen die richtige Einstellung zum Instrument gefunden werden muss. An der Geige oder der Bratsche ist der linke Arm mit dem Instrument frontbetont. Folgt dieser Gewichtsverlagerung auch noch das linke Bein, so ist der Körper im Ungleichgewicht: Er droht, nach vorn zu kippen. Um diese Dysbalance auszugleichen, müssen zusätzliche Rückenmuskeln aktiviert werden – eine erschwerende Stressbelastung. Folgt dagegen dem linken Geigenarm das rechte Bein, so ruht der Körper in sich und befindet sich im stabilen Gleichgewicht.

Im Stehen ist mehr Dynamik im Spiel. Beim Hervorheben einer bestimmten Passage ist es daher durchaus legitim, mit der Betonung des vorderen Geigenarmes das linke Bein folgen zu lassen. Das sind aber nur kurze Momente, durch die Sie bestimmte Musikabschnitte betonen können, aus denen Sie sich wieder in Ihre Ruhestellung des Gleichgewichts zurückziehen. In diesem Falle verhalten Sie sich wie ein Degenfechter, der bei einer wirksamen Attacke in den rechten vorderen Schlagarm auch den rechten Ausfallschritt mit hineinlegt, sodass das nach vorn verlagerte Körpergewicht mit in die Schlagkraft hineingedrückt werden kann.

Für Sitzen gilt übrigens die gleiche Regel: Dem linken Geigenarm nach vorn folgt in der ausgewogenen Diagonaltechnik der rechte Fuß, nur bei der Betonung bestimmter Musikpassagen folgt dem linken Arm auch das linke Bein nach vorn. Aus Sicht der Biomechanik ist Arbeit im Sitzen eine Momenteinstellung des Gehens in der Diagonaltechnik, was nur heißen kann, dass jeder Frontposition des linken Armes durch die Vorverlagerung des rechten Beines begegnet werden kann.

Abb. 6 Nur in Diagonaltechnik kann ein stabiles Gleichgewicht auch an der Geige oder der Bratsche erreicht werden.

Nach diesen Grundsätzen der Natur geht die rhythmische Spiralkinetik vor, die den Energietransfer in optimale Bahnen treibt. Bewusst wähle ich die Bezeichnung »Kinetik«, im Gegensatz zur Spiraldynamik: Ein Widerspruch, denn dynamische Prozesse entsprechen der linearen Mechanik. Sie sind schnell und direkt, damit entsprechen sie der vorherrschenden Beschleunigung im Stressalltag. Die Spirale als optimaler Energietransfer in der Natur kennt die Kraft verschwendende lineare Ausrichtung nicht. Kinetik ist daher die Bewegung im Allgemeinen, denn gegen das Schwerkraftfeld der Erde können sich Pflanzen, Tiere, aber auch der Mensch, nur durch das Einsetzen des Prinzips der logarithmischen Spirale behaupten.

Nur am Richtschwung-Gegenschwung-Prinzip der logarithmischen Spirale kann sich das menschliche Handeln orientieren, denn jede Monotonie endet in Stress, Schlafstörungen, Lampenfieber, Depression oder Burnout.

Aus Sicht der rhythmischen Spiralkinetik braucht es für die Ausgewogenheit (Kohärenz) unserer Lebensspirale für alle Aktionsmuster im Stressalltag stets den richtigen Umkehrschub, den auch ein Flieger bei der Landung nutzt, um aus der hohen Geschwindigkeit die optimale Bodenhaftung für die Landung zu erreichen:

Die Ruhe der Vagus-Meditation gegen die hohe Dichte zentral zu verarbeitender Sinnesreize

Die Bewegung zur Herz-Kreislauf-Prävention bei vorherrschender Sitzarbeit

Das Gegenschwungstretching bei intensiver Instrumententätigkeit gegen Muskel-Gelenk-Erkrankungen, nur so wird aus der unnatürlichen eine natürliche Bewegung

Gleichzeitig braucht es die Erinnerungskraft der Rituale, weil allein schon die Musik unsere Aufmerksamkeit derart fesseln kann, so dass wir den notwendigen Stressabbau ganz einfach vergessen!

1. Musik als harte Arbeit

Gesundheitsrituale im Stressalltag

Mit Musik geht alles besser – mit Sicherheit, denn nur so ist es zu verstehen, dass Menschen bereit sind, von frühester Jugend einem Beruf nachzugehen, der täglich extreme Körperbelastungen mit ganzer Hingabe abverlangt. Talent und endlose Stunden des Übens sind der Grundstock einer Lebensgestaltung, die von Freude und Begeisterung geprägt sind. Nicht allein der Intelligenzquotient (IQ) entscheidet über unser berufliches Schicksal. Aus Sicht der modernen Neurophysiologie gewinnt der Emotionsquotient (EQ) signifikant an Bedeutung: Ein erfolgreicher Musiker braucht beides. IQ und EQ gipfeln dann in einem pragmatischen Durchsetzungsquotienten (DQ), der im österreichischen Spitzensport geprägt wurde und jeden erfolgreichen Bühnenauftritt steuert. Der menschliche Organismus ist durchaus robust, wie wäre es anders zu verstehen, dass extreme Belastungen an der Geige über Stunden, Tage, ein Leben lang erbracht werden können? Aus meiner Sicht sind hierfür drei Gründe verantwortlich:

Die Musik in ihrer hohen emotionalen Ansprache stimuliert Musiker geistig, körperlich und emotional total, sodass der ausgelöste Energieschub Extrembelastungen auch über längere Zeit zulässt.

Der Musiker beschenkt mit seinem persönlichen Auftritt andere Menschen, er macht sie glücklich. Applaus als Ausdruck der Begeisterung trifft unmittelbar auf den Musiker zurück. Hierdurch werden im Gehirn Spiegelneuronen aktiviert, die auch durch leuchtende Kinderaugen ausgelöst werden können, wenn man sie beschenkt. Über die Aktivität dieser Spiegelneuronen werden im Gehirn die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin abgebaut, wie italienische Forscher (Rizolatti et al.) in Studien nachweisen konnten.

Musik schafft Freude und Begeisterung und das setzt Glückshormone im Gehirn frei. Denn alles was der Mensch gern tut, baut Stress ab.

Der Bildungsforscher Anders Ericsson hat in Berlin Geigerinnen befragt, die auf höchstem Niveau die erste Geige spielten, und festgestellt, dass alle bis zum 20. Lebensjahr mehr als 10000 Stunden geübt hatten, was einem zeitlichen Aufwand von ca. 10 Jahren entspricht. Keine einzige erreichte dieses Niveau, die weniger als 10000 Stunden investiert hatte. Musik ist in der Tat harte Arbeit, es ist schon erstaunlich, dass der Bewegungsapparat dieser Belastung gewachsen ist – ein Leistungslevel, das aber ohne wirksame Entspannungsstrategien kaum gehalten werden kann.

Erfolg braucht harte Arbeit! Der Weg zur Spitze auf einem Gebiet ist mit 10000 Stunden Leistungsbereitschaft gepflastert.

Die allgemeine Belastungssituation hat sich in den letzten Jahren für Musiker weiter verschärft, denn ständiges Spielen auf zwei »Klavieren« ist angesagt, wobei das zweite Instrument vom Computer bestimmt wird:

Musik ist harte Arbeit, aber nicht allein, denn in der Freizeit wird der Musiker mit der Doppelbelastung einer Online-Präsenz konfrontiert, in der erholsame Pausen rar sind. Ergänzend zum Instrument sind wiederum die Hände am PC in ständiger Bedienungsbelastung. Belastungssyndrome hängen als Berufskrankheit RSI (»Repetitive Strain Injury«) wie ein Damoklesschwert über jedem Musiker.

Mit der fehlenden Pause schwinden auch die Zeitfenster für eine Ausgleichsbewegung. Die allgemeinen Stresshormone können kaum noch durch Ausdauertraining ausgeglichen werden, das Herz-Kreislauf-Risiko steigt an.

Mit der Globalisierung der offenen Grenzen kommen vermehrt gut ausgebildete Musiker aus anderen Ländern zu uns, damit steigt der Konkurrenzdruck. Lampenfieber oder die Angst vor dem Versagen rücken in den Vordergrund.

Bereits in jungen Jahren ist der Wettbewerbsdruck in der Musikerausbildung enorm hoch. Auf der Suche nach einer Orchesterstelle sind es oft bis zu 80 Kandidaten aus der ganzen Welt, die sich um diesen Posten bewerben.

Auch Reisestress bleibt Musikern nicht erspart. Früher reiste man, um unterwegs zu sein, heute reist man nur noch, um anzukommen. Eine Veranstaltung jagt die andere, denn Zeit ist Geld.

Lernen ein Leben lang wird inzwischen in fast allen Berufen unabdingbar, für Musiker ist das nicht neu. Lernen als Sonderform der Veränderung ist somit auch ein spezieller Ausdruck der Lebensstiländerung. Befehle oder Appelle sind jedoch wenig hilfreich, hierauf spricht das Belohnungssystem im Gehirn nicht an. Das Belohnungssystem im »emotionalen Gehirn« ist die Wiege allen Lernens, denn nur, was mit ganzer Hingabe, mit Freude und Begeisterung gemacht wird, wird auch gespeichert. Dabei werden drei Gehirnfunktionen miteinander vernetzt: Sinneswahrnehmungen, Emotionen und Gedächtnis.

Alles, was Spaß macht, landet auch im Gedächtnisspeicher – nachhaltig vernetzt durch das Prinzip der Wiederholung, denn für das Gehirn geht die Wiederholung mit Bedeutsamkeit einher, ganz nach dem Motto: »Die Wiederholung ist die Mutter des Studierens.« Außerdem sind Umgebungsreize und Belohnung eng vernetzt: Die Erfahrung einer Melodie in spektakulärer Umgebung wird im Falle der Wiederholung das »erinnerte Wohlbefinden« auslösen, wie der amerikanische Forscher H. Benson in Studien nachweisen konnte. Auch Suchterkrankungen haben ihren Ursprung im Belohnungssystem, betont Falk Kiefer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Wir leben in einer Zeit hoher Dichte zentral im Gehirn zu verarbeitender Sinnesreize, die aber in der Mehrzahl am Belohnungssystem vorbeilaufen. Und trotzdem filtert das Gehirn in dieser Flut von Informationen unbewusst das heraus, worauf das Belohnungssystem durch bestimmte Marker reagiert: Das Kennsignal besonders für junge Menschen lautet bei Twitter oder Facebook »Kontakt mit Freunden«, Glückshormone werden freigesetzt. Das Neuronennetz im Belohnungssystem spricht an, körpereigene Endorphine als Glückhormone werden freigesetzt, die durchaus mit dem Suchtmittel Opium verglichen werden können.

Musik ist ein ganz spezieller Marker für das Belohnungssystem im »emotionalen Gehirn«. Es setzt Endorphine als Glückshormone frei, die nicht nur glücklich machen, sondern auch schmerzlindernd wirken können.

Glücksgefühle sind die Startsignale für das Belohnungssystem, denn ohne diese emotionalen Marker ist der Gedächtnisspeicher nur schwer zu öffnen. Dabei ist das Glückshormon Dopamin der wichtigste Marker, der Schlüssel zum »Palast unserer Wünsche«. Positive Lebenserfahrungen, aber auch die Meditation setzen Dopamin frei, wobei darauf das Neuronennetzwerk im Belohnungssystem aktiviert wird, sodass mit dem Sinnesreiz auch gleichzeitig die jeweilige Situation aufgerufen wird.

So gesehen ist Gesundheit primär eine reine Kopfsache, die entscheidend vom »emotionalen Gehirn« ausgeht, wie der japanische Chirurg Shigeo Haruyama in seinem Buch »Wahre Gesundheit beginnt im Kopf« nachhaltig begründet. Alles, was mit Freude und Begeisterung geleistet wird, landet nicht nur im Belohnungssystem, es trägt auch dazu bei, dass das Erlernte auf Dauer und somit ein Leben lang weiter verfolgt wird – die Basis für Gesundheitsförderung schlechthin. Jeder Mensch zieht sich gerne in seinen »Schutzkokon« zurück, das ist die unantastbare Komfortzone, die mit allen Kräften verteidigt wird.

Glückshormone können Menschen verändern. Glückshormone sprengen die Komfortzonen auch von Individualisten, so funktioniert Gesundheitsförderung.

Glückshormone sind spezielle Botenstoffe, Neurotransmitter, die von Nervenzellen im Gehirn und von endokrinen Drüsen gebildet werden. Es handelt sich um morphiumähnliche Eiweißkörper, die zum einen die Stimmung aufhellen, zum anderen aber auch Schmerzen lindern können. Gleichzeitig stehen sie in enger Verbindung zum Immunsystem: Sie stärken es, fördern die Selbstheilungskräfte in uns und wirken dem Alterungsvorgang entgegen. Inzwischen sind den Neurowissenschaften ca. 20 Glückshormone bekannt. An der Spitze steht das Beta-Endorphin, das schon vor Jahren in der Läuferszene Furore machte, weil es für das Stimmungshoch (»Runner’s High«) verantwortlich ist. Grundsätzlich kann man folgern, dass menschliche Reaktionen betont zweigeteilt verlaufen:

Das »Ja, ich will«-Zustimmungssystem nimmt eine Reaktion wahr, nimmt sie an und leitet konsequentes Handeln ein. Gleichzeitig werden auf diese Weise die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin abgebaut und im Gegenzug wird das Glückshormon Endorphin gesteigert.

Das »Nein, ich will nicht«-Ablehnungssystem arbeitet mit der Widerstandskraft des Sympathikus. Stresshormone wie Noradrenalin bestimmen das Versagen, Glückshormone haben keine Chance.

Positives Denken ist schwer. Eine positive, affirmative Grundeinstellung dagegen ist trainierbar, ganz nach dem Motto: »Protestiere nicht gegen Stress, den Du nicht verhindern kannst, nimm ihn an und mach’ das Beste daraus. Die Glückshormone helfen Dir!«

In positiver Grundstimmung in Kombination mit Ausdauertraining werden nicht nur die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin abgebaut, die Glückshormone mit dem Beta-Endorphin sind es, auf die es ankommt, und das mit folgender Wirkung:

Glückshormone leben von der persönlichen Zustimmung durch Freude und Begeisterung, denn der Mensch ist von seiner Grundstimmung ein Hedonist, ein lustorientiertes Wesen. Bereits Thomas von Aquin sagte (sinngemäß): »Die Lust ist gottgewollt! Wir hätten ja keine Geschmackszellen, keine lustempfindlichen Zellen bekommen, wenn die für nichts gut wären. Prinzipiell ist Lust gut – nur ihre Unordnung ist daneben.«

Bewegung, aus voller Überzeugung mit Freude praktiziert, setzt Glückshormone frei. Wird bei diesem Training das Maß des Erträglichen nicht überschritten (Aerobic genannt), so haben stressbedingte Erkrankungen im Herz-Kreislauf-Sektor wenig Chancen.