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Kommentierte Ausgabe mit Worterklärungen, Übersetzungen fremdsprachiger Phrasen, Erläuterungen und Verszählung
Über dieses Ausgabe:
Goethes "Faust" ist eines der wort- und motivgewaltigsten Werke der deutschen Literatur. Die vorliegende kommentierte Textausgabe "Faust I. Der Tragödie erster Teil" bietet Text und Erläuterungen gleichsam und ist daher besonders geeignet für die Textarbeit in Schule und Hochschule. Sie bietet:
• 200 Worterklärungen
• Übersetzung von lateinischen Phrasen
• Erläuterung zu Mythen, Figuren und Handlungsorten
• Erklärung wenig bekannter Begriffe
• Verszählung für die schulische und wissenschaftliche Arbeit
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Johann Wolfgang von Goethe
Faust I
Der Tragödie erster Teil
Kommentierte Ausgabe mit Verszählung und Wort- und Sacherklärungen für die gymnasiale Oberstufe
Herausgegeben von Karl A. Fiedler
aionas
Unsere Ausgabe folgt der Werkausgabe Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hrsg. v. Erich Trunz, Hamburg/München 1948-1960, Band 3: Dramatische Dichtungen erster Band: Faust I und II. Hamburg: Wegner, 1962. Das Werk erschien erstmals im Jahr 1832 bei Cotta in Stuttgart.
Der Text wurde den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst. Interpunktion, Lautstand und grammatikalische Eigenschaften wurden hierbei gewahrt.
Titelbild: „Faust und Mephisto“ von Anton Kaulbach (1864-1930), Öl auf Leinwand, etwa 1900
veröffentlicht 2014
vom aionas Verlag, Marstallstr. 1, Weimar
Anmerkungen: Karl A. Fiedler
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt. Versuch' ich wohl, euch diesmal festzuhalten? Fühl' ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt? Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten, 5 Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt; Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, Und manche liebe Schatten steigen auf; 10 Gleich einer alten, halbverklungnen Sage Kommt erste Lieb' und Freundschaft mit herauf; Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage Des Lebens labyrinthisch irren Lauf, Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden 15 Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie hören nicht die folgenden Gesänge, Die Seelen, denen ich die ersten sang; Zerstoben ist das freundliche Gedränge, Verklungen, ach! der erste Widerklang. 20 Mein Lied ertönt der unbekannten Menge1, Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang, Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet, Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen 25 Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich, Es schwebet nun in unbestimmten Tönen Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe2 gleich, Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen, Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich; 30 Was ich besitze, seh' ich wie im Weiten, Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.
Direktor. Theaterdichter. Lustige Person3.
DIREKTOR. Ihr beiden, die ihr mir so oft, In Not und Trübsal, beigestanden, Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen 35 Von unsrer Unternehmung hofft? Ich wünschte sehr der Menge zu behagen, Besonders weil sie lebt und leben läßt. Die Pfosten4 sind, die Bretter aufgeschlagen, Und jedermann erwartet sich ein Fest. 40 Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen, Gelassen da und möchten gern erstaunen. Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt; Doch so verlegen bin ich nie gewesen: Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt, 45 Allein sie haben schrecklich viel gelesen. Wie machen wir's, daß alles frisch und neu Und mit Bedeutung auch gefällig sei? Denn freilich mag ich gern die Menge sehen, Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt 50 Und mit gewaltig wiederholten Wehen Sich durch die enge Gnadenpforte5 zwängt, Bei hellem Tage, schon vor vieren, Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren, 55 Um ein Billett sich fast die Hälse bricht. Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!
DICHTER.O sprich mir nicht von jener bunten Menge, Bei deren Anblick uns der Geist entflieht. 60 Verhülle mir das wogende Gedränge, Das wider Willen uns zum Strudel zieht. Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge6, Wo nur dem Dichter reine Freude blüht, Wo Lieb' und Freundschaft unsres Herzens Segen 65 Mit Götterhand erschaffen und erpflegen. Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen, Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt, Mißraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen, Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt. 70 Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen, Erscheint es in vollendeter Gestalt. Was glänzt, ist für den Augenblick geboren, Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.
LUSTIGE PERSON.Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte. 75 Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte, Wer machte denn der Mitwelt Spaß? Den will sie doch und soll ihn haben. Die Gegenwart von einem braven Knaben Ist, dächt' ich, immer auch schon was. 80 Wer sich behaglich mitzuteilen weiß, Den wird des Volkes Laune nicht erbittern; Er wünscht sich einen großen Kreis, Um ihn gewisser zu erschüttern. Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft, 85 Laßt Phantasie mit allen ihren Chören, Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft, Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören!
DIREKTOR.Besonders aber laßt genug geschehn! Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn. 90 Wird vieles vor den Augen abgesponnen, So daß die Menge staunend gaffen kann, Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen, Ihr seid ein vielgeliebter Mann. Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen, 95 Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken! Solch ein Ragout, es muß Euch glücken; 100 Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht. Was hilft's, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht, Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.
DICHTER.Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei Wie wenig das dem echten Künstler zieme! 105 Der saubern Pfuscherei Ist, merk' ich, schon bei Euch Maxime.
DIREKTOR.Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt: Ein Mann, der recht zu wirken denkt, Muß auf das beste Werkzeug halten. 110 Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten, Und seht nur hin, für wen Ihr schreibt! Wenn diesen Langeweile treibt, Kommt jener satt vom übertischten Mahle, Und, was das Allerschlimmste bleibt, 115 Gar mancher kommt vom Lesen der Journale. Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten, Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt; Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten Und spielen ohne Gage mit. 120 Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe? Was macht ein volles Haus Euch froh? Beseht die Gönner in der Nähe! Halb sind sie kalt, halb sind sie roh. Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel, 125 Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen. Was plagt ihr armen Toren viel, Zu solchem Zweck, die holden Musen? Ich sag' Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr, So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren. 130 Sucht nur die Menschen zu verwirren, Sie zu befriedigen, ist schwer – – Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?
DICHTER.Geh hin und such dir einen andern Knecht! Der Dichter sollte wohl das höchste Recht, 135 Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt, Um deinetwillen freventlich verscherzen! Wodurch bewegt er alle Herzen? Wodurch besiegt er jedes Element? Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt 140 Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt? Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge, Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt, Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge Verdrießlich durcheinander klingt, 145 Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt? Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe, Wo es in herrlichen Akkorden schlägt? Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüten? 150 Das Abendrot im ernsten Sinne glühn? Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten Auf der Geliebten Pfade hin? Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art? 155 Wer sichert den Olymp7? vereinet Götter? Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.
LUSTIGE PERSON.So braucht sie denn, die schönen Kräfte, Und treibt die dichtrischen Geschäfte, Wie man ein Liebesabenteuer treibt. 160 Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt, Und nach und nach wird man verflochten; Es wächst das Glück, dann wird es angefochten, Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran, Und eh' man sich's versieht, ist's eben ein Roman. 165 Laßt uns auch so ein Schauspiel geben! Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt, Und wo ihr's packt, da ist's interessant. In bunten Bildern wenig Klarheit, 170 Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit, So wird der beste Trank gebraut, Der alle Welt erquickt und auferbaut. Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung, 175 Dann sauget jedes zärtliche Gemüte Aus eurem Werk sich melanchol'sche Nahrung, Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt, Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt. Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen, 180 Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein; Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen; Ein Werdender wird immer dankbar sein.
DICHTER. So gib mir auch die Zeiten wieder, Da ich noch selbst im Werden war, 185 Da sich ein Quell gedrängter Lieder Ununterbrochen neu gebar, Da Nebel mir die Welt verhüllten, Die Knospe Wunder noch versprach, Da ich die tausend Blumen brach, 190 Die alle Täler reichlich füllten. Ich hatte nichts und doch genug: Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug. Gib ungebändigt jene Triebe, Das tiefe, schmerzenvolle Glück, 195 Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe, Gib meine Jugend mir zurück!
LUSTIGE PERSON.Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls, Wenn dich in Schlachten Feinde drängen, Wenn mit Gewalt an deinen Hals 200 Sich allerliebste Mädchen hängen, Wenn fern des schnellen Laufes Kranz Vom schwer erreichten Ziele winket, Wenn nach dem heft'gen Wirbeltanz Die Nächte schmausend man vertrinket. 205 Doch ins bekannte Saitenspiel Mit Mut und Anmut einzugreifen, Nach einem selbstgesteckten Ziel Mit holdem Irren hinzuschweifen, Das, alte Herrn, ist eure Pflicht, 210 Und wir verehren euch darum nicht minder. Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht, Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
DIREKTOR. Der Worte sind genug gewechselt, Laßt mich auch endlich Taten sehn! 215 Indes ihr Komplimente drechselt, Kann etwas Nützliches geschehn. Was hilft es viel von Stimmung reden? Dem Zaudernden erscheint sie nie. Gebt ihr euch einmal für Poeten, 220 So kommandiert die Poesie. Euch ist bekannt, was wir bedürfen: Wir wollen stark Getränke schlürfen; Nun braut mir unverzüglich dran! Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan, 225 Und keinen Tag soll man verpassen. Das Mögliche soll der Entschluß Beherzt sogleich beim Schopfe fassen, Er will es dann nicht fahren lassen Und wirket weiter, weil er muß. 230
Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen Probiert ein jeder, was er mag; Drum schonet mir an diesem Tag Prospekte nicht und nicht Maschinen. Gebraucht das groß' und kleine Himmelslicht, 235 Die Sterne dürfet ihr verschwenden; An Wasser, Feuer, Felsenwänden An Tier und Vögeln fehlt es nicht. So schreitet in dem engen Bretterhaus Den ganzen Kreis der Schöpfung aus 240 Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle Vom Himmel durch die Welt zur Hölle8.
Der Herr. Die himmlischen Heerscharen. Nachher Mephistopheles. Die drei Erzengel9 treten vor.
RAPHAEL. Die Sonne tönt10 nach alter Weise In Brudersphären Wettgesang, Und ihre vorgeschriebne Reise 245 Vollendet sie mit Donnergang. Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke, Wenn keiner sie ergründen mag; Die unbegreiflich hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag. 250
GABRIEL. Und schnell und unbegreiflich schnelle Dreht sich umher der Erde Pracht; Es wechselt Paradieseshelle Mit tiefer, schauervoller Nacht; Es schäumt das Meer in breiten Flüssen 255 Am tiefen Grund der Felsen auf, Und Fels und Meer wird fortgerissen In ewig schnellem Sphärenlauf.
MICHAEL. Und Stürme brausen um die Wette, Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer, 260 Und bilden wütend eine Kette Der tiefsten Wirkung rings umher. Da flammt ein blitzendes Verheeren Dem Pfade vor des Donnerschlags; Doch deine Boten11, Herr, verehren 265 Das sanfte Wandeln deines Tags.
Zu DREI. Der Anblick gibt den Engeln Stärke, Da keiner dich ergründen mag, Und alle deine hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag. 270
MEPHISTOPHELES.Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst Und fragst, wie alles sich bei uns befinde, Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst, So siehst du mich auch unter dem Gesinde. Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen, 275 Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt; Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen, Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt. Von Sonn' und Welten weiß ich nichts zu sagen, Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen. 280 Der kleine Gott der Welt12 bleibt stets von gleichem Schlag, Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. Ein wenig besser würd' er leben, Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben; Er nennt's Vernunft und braucht's allein, 285 Nur tierischer als jedes Tier zu sein. Er scheint mir, mit Verlaub von Euer Gnaden, Wie eine der langbeinigen Zikaden13, Die immer fliegt und fliegend springt Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt; 290 Und läg' er nur noch immer in dem Grase! In jeden Quark begräbt er seine Nase.
DER HERR. Hast du mir weiter nichts zu sagen? Kommst du nur immer anzuklagen? Ist auf der Erde ewig dir nichts recht? 295
MEPHISTOPHELES.Nein, Herr! ich find' es dort, wie immer, herzlich schlecht. Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen, Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.
DER HERR. Kennst du den Faust?
MEPHISTOPHELES. Den Doktor?
DER HERR. Meinen Knecht.
MEPHISTOPHELES.Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise. 300 Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise. Ihn treibt die Gärung in die Ferne, Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt; Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne Und von der Erde jede höchste Lust, 305 Und alle Näh' und alle Ferne Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
DER HERR.Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient, So werd' ich ihn bald in die Klarheit führen. Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, 310 Daß Blüt' und Frucht die künft'gen Jahre zieren.
MEPHISTOPHELES.Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren, Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt, Ihn meine Straße sacht zu führen!
DER HERR. Solang' er auf der Erde lebt, 315 Solange sei dir's nicht verboten. Es irrt der Mensch, solang' er strebt.14
MEPHISTOPHELES.Da dank' ich Euch; denn mit den Toten Hab' ich mich niemals gern befangen. Am meisten lieb' ich mir die vollen, frischen Wangen. 320 Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus, Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
DER HERR. Nun gut, es sei dir überlassen! Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab, Und führ' ihn, kannst du ihn erfassen, 325 Auf deinem Wege mit herab, Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt: Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
MEPHISTOPHELES.Schon gut! nur dauert es nicht lange. 330 Mir ist für meine Wette gar nicht bange. Wenn ich zu meinem Zweck gelange, Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust. Staub soll er fressen15, und mit Lust, Wie meine Muhme, die berühmte Schlange. 335
DER HERR. Du darfst auch da nur frei erscheinen; Ich habe deinesgleichen nie gehaßt. Von allen Geistern, die verneinen, Ist mir der Schalk16 am wenigsten zur Last. Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen, 340 Er liebt sich bald die unbedingte Ruh; Drum geb' ich gern ihm den Gesellen zu, Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen. – Doch ihr, die echten Göttersöhne, Erfreut euch der lebendig reichen Schöne! 345 Das Werdende, das ewig wirkt und lebt, Umfass' euch mit der Liebe holden Schranken, Und was in schwankender Erscheinung17 schwebt, Befestiget mit dauernden Gedanken.
Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.
MEPHISTOPHELESallein.Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern, 350 Und hüte mich, mit ihm zu brechen. Es ist gar hübsch von einem großen Herrn, So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer18. Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte.