FederLeicht. Wie Schatten im Licht. - Marah Woolf - E-Book

FederLeicht. Wie Schatten im Licht. E-Book

Marah Woolf

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gefangen in der Welt der Elfen! Eliza hat ihr Studium in Stirling begonnen. Als ihre Freunde Sky und Frazer zu Besuch sind, überreden diese sie, einer Einladung der Elfenkönigin zum Saimhainfest zu folgen. Trotz ihrer guten Vorsätze, Cassian aus dem Weg zu gehen, lässt Eliza sich überreden, und prompt finden sich die Freunde mit Cassian in einem Haus wieder, in dem Unheimliches vor sich geht. Eliza scheint sich als Einzige an ihr reales Leben zu erinnern, und der Weg zurück ist für sie und ihre Freunde mit großen Opfern verbunden. Band 4 der spannenden Saga von Bestsellerautorin Marah Woolf.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titelseite

Über die Autorin

Vorwort

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Nachwort

Die Figuren in Band 4

FederLeicht 5

Leseprobe

FederLeicht

Wie Schatten im Licht

Viertes Buch

Deutsche Erstausgabe November 2016

Überarbeitete Ausgabe: August 2018

Copyright © Marah Woolf, Magdeburg

Umschlaggestaltung: Carolin Liepins

Lektorat: Nikola Hotel

Korrektorat: Gisa Marehn

 

 

Alle Rechte, einschließlich die des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

 

Impressum:

IWD Körner, Hasselbachplatz 3, 39124 Magdeburg

[email protected]

Facebook: Marah Woolf

www.marahwoolf.com

Twitter: MondSilberLicht

Instagram: marah_woolf

Pinterest: Marah Woolf/FederLeicht

WhatsApp unter 01621011176 Vermerk News

Über die Autorin

Marah Woolf wurde 1971 in Sachsen-Anhalt geboren, wo sie auch heute noch mit ihrem Mann, ihren drei Kindern, einer Zwergbartagame, zwei Hasen und Kater Popcorn lebt. Sie studierte Geschichte und Politik und erfüllte sich mit der Veröffentlichung ihres ersten Romans 2011 einen großen Traum. Mittlerweile sind die MondLichtSaga, die BookLessSaga, die FederLeichtSaga sowie die GötterFunkeSaga vollständig erschienen. Im Herbst 2018 beginnt mit Rückkehr der Engel ein neues Fantasyabenteuer.

Facebook

Twitter

Instagram

Schnee sinkt zur Erde federleicht,

ein Ort durch die Kugel dem anderen weicht.

 

Uhr, die Zeit verstummen lässt,

Vergangenes – es wird um Fest.

 

Flöte jeden Wunsch erfüllt,

Unglück sich in Schweigen hüllt.

 

Spiegel nichts vor dir verbirgt,

Lüge keinen Zauber wirkt.

 

Zauberkraft in der Feder sitzt,

nützt nur dem, der sie besitzt.

 

Ring dich jederzeit versteckt,

bestimme selbst, wer dich entdeckt.

 

Schlüssel immer dich beschützt,

wenn vorsichtig du ihn benützt.

Prolog

War es zu viel verlangt, Eliza zu ihrem Abschlussball zu begleiten? Gut, sie hatte ihn nicht ausdrücklich darum gebeten. Aber wenn man etwas von Mädchen verstand, dann wusste man ja wohl, was sie erwartete. Das war nun wirklich nicht sonderlich schwierig. Und in Eliza konnte man lesen wie in einem offenen Buch. Sie war völlig vernarrt in Cassian. Die Ärmste.

Eins musste ich ihm zugutehalten: Ich hätte nie gedacht, dass er ihr helfen würde, das Siegel der Wanguun vor den Zauberern und Magiern in Sicherheit zu bringen. Bestimmt bereute er es längst. Merlin und Elisien hatten ihn ganz schön in die Mangel genommen. Aber es war nicht mehr zu ändern. Das Siegel war außerhalb ihrer Reichweite bei Emma und Calum. Elisien täte gut daran, den Zauberern nicht blind zu vertrauen. Schwarze Schafe gab es in jedem Volk.

Aber im Grunde ging mich das alles nichts an. Allerdings langweilte ich mich ein bisschen. Den Job als Elizas Beschützer hatte Cassian übernommen. Er warf mir vor, dass ich nicht richtig auf sie aufpassen würde. Dieser freche Bengel.

Sollte er es doch besser machen.

1. Kapitel

Ich konnte nicht aufhören zu kichern, als Fynn mich zum Auto brachte. Meine Schuhe baumelten in meiner Hand. Ich fühlte mich so frei wie seit Ewigkeiten nicht mehr, selbst der heftige Wind, der an meiner Frisur herumzerrte, konnte mir die gute Laune nicht verderben. Ich hatte getanzt, geflirtet, viel zu viel Eis gegessen und verbotenen Alkohol getrunken. Ich hatte mich amüsiert und IHN hatte ich dazu nicht gebraucht. Aber schließlich ging ER zum Lachen ja auch in den Keller. Schon die Vorstellung, dass Cassian sich einmal gehen lassen würde, war absurd, und ich schwankte, als ein Kichern aus mir herausbrach.

Fynn hielt mich fest, bevor ich gegen das Auto taumeln konnte. Dann öffnete er die Tür und half mir hinein. Als er anfuhr, schloss ich die Augen und lehnte den Kopf an die Seitenscheibe, die sich angenehm kühl anfühlte. Nur noch ein paar Minuten und ich läge in meinem kuschligen Bett. Morgen würde ich bis Mittag schlafen, nahm ich mir vor. Jede Menge ereignislose Tage lagen vor uns, der ganze Sommer. Vielleicht könnten wir zelten? Vor ein paar Jahren war ich mit Mum und Fynn auf der Isle of Mull gewesen – dorthin könnten wir wieder fahren. Sky, Frazer, ich und Victor, auch wenn Frazer davon nicht begeistert wäre. Morgen würde ich Pläne für den Sommer schmieden – und für meine Zukunft.

Fynn bog in den schmalen Weg ein, der zu unserem Haus führte. Der Wagen ruckelte auf der unbefestigten Straße, und ich öffnete die Augen wieder. Es hatte zu regnen begonnen. Wassermassen pladderten auf das Autodach, und ein Blitz flammte am Himmel auf. Ich wartete auf den Donner und zog das Tuch enger um mich. Es wärmte nicht besonders, passte dafür aber perfekt zu meinem Kleid. Der Donner blieb aus, stattdessen zuckte ein weiterer Blitz durch die Nacht. Fynn fluchte, als die Sicht immer schlechter wurde, und verlangsamte das Tempo. Zum Glück hatten wir das Haus fast erreicht. Ich sah Licht in Dads Arbeitszimmer, dabei war es bereits drei Uhr morgens. Wartete er etwa auf uns? In den letzten Wochen hatte er sich zu einer echten Glucke entwickelt. Offenbar wollte er all die verlorene Zeit nachholen, in der er sich kaum um uns gekümmert hatte. Das war ja irgendwie nett, aber auch ziemlich nervig. Mit schlechtem Gewissen zog ich mein Handy aus dem Handschuhfach, worin ich es vor dem Ball verstaut hatte. Zehn neue Nachrichten. Ich runzelte die Stirn. Natürlich waren sie alle von Dad. Wir mussten ihm wohl klarmachen, dass wir alt genug waren, um auf uns selbst aufzupassen. Meistens jedenfalls.

Wieder flackerte ein Blitz über den stockfinsteren Himmel, und diesmal folgte ein ohrenbetäubender Krach. Fynn stieg auf die Bremse, und der Wagen hielt so abrupt an, dass ich nach vorn geschleudert wurde und mit dem Kopf auf das Armaturenbrett knallte. Tränen schossen mir in die Augen. Mist, tat das weh. »Geht’s noch?«, schimpfte ich mit meinem Bruder und tastete mir vorsichtig über den Nasenrücken. Als ich mir über die Nasenspitze fuhr, spürte ich Feuchtigkeit unter meinen Fingern. Hätte der Abend nicht einfach so perfekt enden können, wie er begonnen hatte?

Fynn knipste die Innenbeleuchtung an. »Warum bist du nicht angeschnallt?«, brüllte er mich an.

Ich kniff vor Schmerzen die Augen zusammen. Mir dröhnte der Schädel.

»Komm her.« Fynn fasste mein Kinn und drehte mein Gesicht zu sich herum. »Du blutest. So was kann auch nur dir passieren.« Er zauberte ein sauberes Taschentuch aus seinem Jackett hervor und tupfte mir das Gesicht damit ab.

»Das kann ich auch allein«, maulte ich. Ich presste das Tuch an die Nase und legte den Kopf in den Nacken.

Fynn seufzte, dann stieß er ein Zischen aus. »Verdammt!« Er öffnete die Tür. »Du bleibst hier, Eliza!«

Was war denn jetzt los? Draußen war es plötzlich viel heller als noch vor wenigen Sekunden. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen, beugte mich vor, um besser sehen zu können, und zuckte sofort zurück. »Heilige Scheiße«, fluchte ich laut. Direkt vor mir loderte ein riesiges Feuer. Ich schlug Fynns Befehl in den Wind und stieg ebenfalls aus. Unter meinen nackten Füßen spürte ich die harten Schottersteine. Hitze schlug mir entgegen und ließ mich zurücktaumeln. Die riesige Eiche, die, seit ich denken konnte, die kleine Friedhofskirche bewachte, war vom Blitz getroffen worden – nahm ich jedenfalls an, denn sie stand lichterloh in Flammen. Funken stoben in die Luft, und die brennenden Äste knackten und krachten unter dem Ansturm des Feuers. Obwohl ich bestimmt zwanzig Meter entfernt stand, spürte ich die Hitze von Minute zu Minute mehr. Ich konnte es nicht fassen. Unter dem Baum hatte ich gesessen, seit ich klein gewesen war. Dort hatte ich Fynn Tee serviert und mit Sky versucht hochzuklettern, und nun zerstörte dieses Unwetter einen wesentlichen Teil meiner Kindheit. Fast könnte es ein Omen sein, dass das am Tag meines Abschlussballs geschah. Ich schüttelte den Gedanken ab. Wenn der Vikar einen Blitzableiter an der Kirche hätte anbringen lassen, dann wäre das nicht passiert. Glaubte ich jedenfalls. So genau hatte ich in Physik auch nicht aufgepasst.

Ob ich die Feuerwehr rufen sollte? Wo war eigentlich mein Bruder? Fynn wusste mit Sicherheit, was zu tun war. Ich fühlte mich leicht benebelt vom Alkohol, meiner Verletzung und nicht zuletzt vom Regen, der unverdrossen auf mich niederprasselte. Mittlerweile war ich bis auf die Haut durchnässt. Beißender Qualm erfüllte die Luft. Das Feuer fraß sich unfassbar schnell durch das Holz, offenbar machte der Regen den Flammen nichts aus. Mir schon. War das kalt!

Ich wischte mir die Tropfen aus dem Gesicht und versuchte, den Regenschleier mit Blicken zu durchdringen.

»Fynn?«, rief ich. »Wo bist du?«

Es war hoffnungslos. Der Regen und das Zischen des

Feuers verschluckten meine Worte. Ob er zum Haus gelaufen war, um Hilfe zu holen? Ich überlegte, welche Optionen ich hatte. Ich könnte mich wieder ins Auto setzen und alles nass und schmutzig machen. Doch da drin würde mir bestimmt auch nicht wärmer werden. An dem brennenden Baum konnte ich nicht vorbeilaufen, das war zu gefährlich. Wie zur Bestätigung krachte ein dicker brennender Ast auf den Weg. Vielen Dank auch für die Warnung, dachte ich. Dann blieb mir nur der Umweg über den Friedhof. Ich war ihn in meinem Leben bestimmt tausendmal gegangen, trotzdem zögerte ich. Eigentlich musste ich nur über die kleine Mauer klettern. Seufzend setzte ich mich in Bewegung. Fynn würde ich was erzählen! Was fiel ihm ein, mich mitten in der Nacht im strömenden Regen und mit einem brennenden Baum allein zu lassen? Obwohl der Friedhof tagsüber durchaus mein Lieblingsplatz war, war ich nicht sonderlich erpicht darauf, nachts zwischen den Grabsteinen herumzuwandeln. Schon gar nicht im Ballkleid. Trotzdem lief ich weiter und ignorierte die Steinchen, die mich in die Fußsohlen piksten. Je näher ich der hell lodernden Eiche kam, umso wärmer wurde es. Vorsichtig tastete ich mich über einen schmalen Rasenstreifen zu der niedrigen Mauer, die den Friedhof umgab. Gerade wollte ich die Beine hinüberschwingen, als es ohrenbetäubend knallte. Aus dem Augenwinkel sah ich etwas Brennendes auf mich zufliegen. Bevor es mich treffen konnte, ließ ich mich auf den Boden fallen und legte die Arme schützend um meinen Kopf. Ich rutschte auf der Erde vorwärts. Das Kleid konnte ich vergessen. Verzweifelt versuchte ich mich hochzustemmen und entlockte dem Matsch schmatzende Geräusche. Wo zum Teufel war Fynn? Der konnte was erleben. Entschlossen kam ich auf die Knie, wischte mir das Haar aus dem Gesicht und hielt mich an der Mauer fest. Wut kochte in mir hoch. Dann griff eine Hand so plötzlich nach mir, dass ich aufschrie.

»Du musst hier weg, das Feuer sprengt die Rinde vom Baum. Es hätte dich schwer verletzen können.«

Ich stolperte gegen Cassian, unfähig, etwas zu sagen. Aber das erwartete er offensichtlich auch nicht von mir. Er hob mich mit Schwung auf den Arm und trug mich den Weg entlang.

Was tat er hier? Noch leicht benommen schlang ich die Arme um seinen Hals und schmiegte mich an seine Brust.

»Auf dich aufpassen, was sonst«, beantwortete er meine unausgesprochene Frage. »Ich mache doch seit Monaten nichts anderes. Jedenfalls kommt es mir so vor.«

Irgendwie hatte es auch sein Gutes, dass er Gedanken lesen konnte. »Du wirst dich ganz schmutzig machen. Ich kann auch selbst gehen«, schlug ich vor, obwohl ich gar nicht wollte, dass er mich hinunterließ. Von mir aus konnte er mich eine Weile rumschleppen. Mit ihm zusammen würde ich mich auf dem Friedhof auch nicht gruseln.

»Du bist barfuß, nass, schmutzig und hast dir ziemlich fest die Nase gestoßen.«

Woher zum Teufel wusste er das alles, und seit wann war er so fürsorglich? War das überhaupt mein Cassian oder nur ein netterer Doppelgänger?

Mit dem Rücken schob er die Gittertür zum Friedhof auf, die empört in den Angeln quietschte. »Warum hast du überhaupt so einen dünnen Fetzen an?«, fragte er, jetzt schon etwas unfreundlicher.

Ich kuschelte mich noch enger an ihn. Er war also doch ganz der Alte. »Das ist ein Kleid«, erklärte ich. »Ich war auf einem Fest, und da zieht man so etwas an. Zum Tanzen und Spaßhaben.« War ja nicht so, dass Elfen dicke Pelzmäntel trugen. Im Gegenteil. Bei deren freizügigen Klamotten war ich mehr als einmal rot geworden.

»Mit wem hast du getanzt?«, knurrte Cassian und setzte seine Schritte in der Dunkelheit so sicher, als liefe er auf einer beleuchteten Straße. Für ihn machte das vermutlich keinen Unterschied.

»Mit Fynn, Victor und Frazer und mit noch ein paar anderen Jungs.«

»Was macht Victor hier? Du solltest dich vor ihm in Acht nehmen.«

»Ich finde ihn sehr nett, und er tanzt gut«, verteidigte ich Skys Freund und grinste in mich hinein. Cassian war doch wohl am Ende nicht eifersüchtig?

»Er ist ein Magier. Denen kann man nicht trauen«, erklärte Cassian. Wir hatten die andere Seite des Friedhofs erreicht, fast war ich ein wenig traurig, dass er mich nicht vor herumirrenden Seelen hatte beschützen müssen.

»Das hast du früher von den Menschen auch behauptet, und traust du mir nicht?«

»Ich traue deinem gesunden Menschenverstand nicht, das macht mich ganz verrückt. Immer steckst du deine Nase in Dinge, die dich nichts angehen.«

»Sprechen wir jetzt noch von dem Blitz und dem Baum?« Ich hörte Fynn und Dad nach mir rufen, aber ich wollte erst eine Antwort von Cassian, bevor ich die beiden auf mich aufmerksam machen würde.

»Natürlich nicht«, bekam ich sie auch prompt. »Es ist einfach immer dasselbe mit dir. Du solltest ihnen antworten, sonst machen sie sich unnütz Sorgen«, forderte er mich auf.

»Dad«, rief ich. »Ich bin hier.« Die Sirene der Feuerwehr erklang und übertönte meine Stimme. Wir erreichten das Eingangstor zu unserem Garten. Granny blickte uns verwundert entgegen. Ihr schwarzer Schirm hob sich zur Begrüßung.

»Ähm. Ihr kennt euch ja«, sagte ich verlegen und wünschte, Cassian würde mich runterlassen. Er machte jedoch keine Anstalten.

»Bring sie schnell ins Haus«, verlangte Granny. »Und du zieh dich um«, wandte sie sich an mich.

»Du kannst mich jetzt absetzen«, bat ich Cassian. Es war eine Sache, wenn er mich durch die Dunkelheit trug, solange uns niemand sah, aber vor Granny war mir das irgendwie peinlich. Zögerlich kam er meinem Wunsch nach.

Die Haustür stand sperrangelweit offen. Überall brannte Licht. Ich griff nach Cassians Hand und zog ihn die Treppe hoch. So schnell ließ ich ihn nicht von der Angel. Ich wollte wissen, weshalb er es für nötig hielt, auf mich aufzupassen.

In meinem Zimmer kramte ich frische Sachen aus dem Schrank, während er es sich auf einem Stuhl gemütlich machte. Glücklicherweise hatte Mum mich gerade gestern gezwungen aufzuräumen, daher war er wenigstens nicht gestolpert. Das war bestimmt nur ein Traum, dachte ich und raste ins Bad. Das Kleid trampelte ich einfach von meinem Körper, bevor ich heiß duschte und in die sauberen Klamotten schlüpfte. Mein Haar rubbelte ich trocken und band es zu einem Knoten. Die Angst, dass Cassian tatsächlich nur ein Trugbild war, wurde von Minute zu Minute größer. Der Elf konnte nicht nebenan in meinem Zimmer sitzen, diesen Traum hatte ich zu oft geträumt, und er war nie Wirklichkeit geworden. Warum sollte es dieses Mal anders sein? Wahrscheinlich hatte ich ein bisschen zu viel von Frazers geschmuggeltem Wodka getrunken. Allerdings drehte sich in meinem Kopf gar nichts. Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel und betastete meine Nase. Sie

tat fast nicht mehr weh. Dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ging zurück in mein Zimmer. Ich würde nicht heulen, wenn er verschwunden war.

Cassian saß nicht mehr auf dem Stuhl, sondern lag auf meinem Bett. Er hatte die Augen geschlossen, und die steile Falte, die sich über der Nase in seine Stirn gegraben hatte, ließ ihn erschöpft aussehen. Auf seinem Hemd prangten Schlammspritzer. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, als ich mich auf die Bettkante setzte.

»Du musst müde sein«, murmelte er.

»Ich bin hellwach. Eigentlich sollte ich rausgehen und nachschauen, was da vor sich geht.«

Cassian packte meine Hand. »Das wirst du ganz sicher nicht. Dein Dad, dein Bruder und diese anderen Männer haben alles im Griff.« Er setzte sich auf, sodass unsere Nasenspitzen sich fast berührten. Sein warmer Atem traf mein Gesicht.

»Das sind Feuerwehrleute«, erklärte ich stockend. »Sie löschen Brände, retten Katzen von Bäumen und so.«

Cassian schwieg, und ich rührte mich nicht.

»Warum bist du hier?« Mein Herz schlug viel zu heftig. Musste er immer wieder auftauchen und mein Gefühlsleben durcheinanderbringen?

Ich wollte nur eine Antwort, mehr nicht. Trotzdem berührten sich unsere Lippen, und ich schmolz dahin wie Mums Schokokuvertüre im Wasserbad. Cassian zog mich auf seinen Schoß, ich grub meine Finger in sein Haar und hoffte, die Feuerwehr sah durch die Fensterscheiben nicht, dass mein Herz in Flammen stand. Es wäre etwas peinlich, wenn meine Familie mich knutschend mit einem wildfremden Jungen in meinem Zimmer finden würde. Und dann dachte ich eine ganze Weile gar nichts mehr. Cassian nahm meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch, obwohl im letzten Winkel meines Gehirns schon die Frage hockte, was er mit seinen Küssen diesmal bezweckte. Aber das konnte ich immer noch später herausfinden. Ich spürte seine Arme um mich und wusste, dass sie mir nicht die Sicherheit geben konnten, die ich wollte. Ich atmete seinen Duft ein und beschloss, dass es mir egal war, ob wir erwischt wurden. Ich hatte ihn noch nie einfach so für mich gehabt.

Cassians Finger malten kleine Kreise auf meinen Nacken. Wenn es nicht wirklich zu blöd wäre, hätte ich geschnurrt. Aber ich konnte gerade noch an mich halten. Seine Lippen wanderten über meine Wangenknochen, mein Kinn entlang. Ich presste mich fester an ihn. Auch wenn das Feuer auf unser Haus übergriff, würde ich jetzt auf keinen Fall mein Bett verlassen. Seine Hände schlüpften unter das T-Shirt und legten sich auf meine glühende Haut.

Draußen dämmerte es, als Cassian sich von mir löste. »Ich muss zurück«, flüsterte er. »Und ich möchte, dass du mitkommst.«

Mein Herz stolperte in meiner Brust. »Du möchtest, dass ich mitkomme? Nach Leylin?«

»Nein, nach Avallach. Ich habe keine Ahnung, wie ich auf dich aufpassen soll, wenn ich erst mal dort bin. Elisien besteht darauf, dass ich Rubin begleite. Sie macht sich große Sorgen um ihn.«

»Warum musst du auf mich aufpassen?«, fragte ich verwirrt. »Denkst du, ich bin in Gefahr?« In den letzten Wochen hatte ich versucht, nicht darüber nachzudenken, was passieren könnte, wenn Damian de Winter wieder auftauchte. Die Begegnung mit der Riesenschlange war nicht witzig gewesen. Und ich war davon ausgegangen, dass dieser Magier verdammt nachtragend war. Allerdings war nichts Merkwürdiges geschehen. Gar nichts. Außer eben, dass sein Sohn Victor kurz nach unserer Rückkehr aus Druid Glen Sky eine Nachricht geschickt hatte. Zu dem Zeitpunkt hätte ich vermutet, wir würden ihn nie wiedersehen. Seitdem telefonierten die beiden ständig miteinander, und heute war er zum Ball gekommen. Besser gesagt, gestern. Nach dem Siegel hatte er nicht gefragt.

»Solange das Siegel nicht in Merlins Obhut ist, bist du in Gefahr«, unterbrach Cassian meine Gedanken. »Du musst Emma bitten, es ihm auszuhändigen.«

Ich runzelte die Stirn. »Und was soll ich in Avallach deiner Meinung nach tun? Im Herbst gehe ich nach Stirling, um dort zu studieren.« Ich hatte mich zwar noch nicht hundertprozentig entschieden, aber das musste Cassian ja nicht wissen. Auf jeden Fall konnte er nicht hier auftauchen, mich küssen, mit dem Finger schnippen, und schon tat ich, was er wollte.

»Wäre die Vorstellung, mit mir zu kommen, für dich so schrecklich?«, fragte er mit weicher Stimme. »Ich wette, dein Vater würde es erlauben.«

Ich lachte leise. »Mein Vater würde mich aus dem Elfentor schubsen und selbst nach Avallach gehen, wenn Elisien es ihm anbieten würde.« Irgendwas an seiner Bitte kam mir komisch vor. Ich brauchte mehr Zeit.

»Ich nehme lieber dich mit, wenn es dir nichts ausmacht.«

»Kann ich darüber nachdenken?«

Krampfhaft versuchte ich mich daran zu erinnern, was ich über Avallach wusste. Viel war es nicht. Es war eine Art Schule in der magischen Welt. So eine Art College, das alle Jugendlichen mindestens zwei Jahre besuchen mussten. Was würde passieren, wenn ich mich entschloss, dort hinzugehen?

»Wäre es für lange?«, fragte ich, obwohl es eigentlich egal war, da unsere Zeit, während ich in der Elfenwelt weilte, nicht verging.

»In Avallach vergeht deine Zeit ganz normal«, erklärte Cassian, ohne die Frage zur Dauer meines Aufenthaltes zu beantworten. Die Vorstellung, mit ihm zusammenbleiben zu können, hatte durchaus ihren Reiz. »Wie wohnen wir dort?«

»Es gibt mehrere Gruppen, die im Schloss verteilt leben. Die Völker sollen sich vermischen, deshalb werden sie nicht voneinander getrennt untergebracht. Sie teilen sich die Zimmer, den Gemeinschaftsraum und lernen zusammen.«

»Könnten wir beide uns ein Zimmer teilen?«, platzte es aus mir heraus.

Cassian stupste mir auf die Nase. »Ich glaube nicht, dass Myron das erlauben würde.«

»Myron?«

»Der Schulleiter. Er ist ein Vampir. In der Regel schlafen Jungs und Mädchen nicht zusammen in einem Raum.«

»Dann könnte es sein, dass ich mit einer Vampirin und einer Werwölfin in ein Zimmer komme?« Bei der Vorstellung bekam ich Gänsehaut.

Cassian grinste. »Das wäre möglich. Du könntest dir aber auch mit Jade und Opal ein Zimmer teilen.«

Ich zog die Augenbrauen zusammen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Wenn Opal mit mir im Zimmer wäre, könnten Cassian und ich dort vermutlich nicht in Ruhe herumknutschen. Zweitens: Warum kam es mir so vor, als ob er gar nicht davon ausging, dass ich Nein sagen würde? Er hatte ja sogar schon die Zimmerbelegung im Kopf, und ich wollte wissen, weshalb.

»Warum genau möchtest du, dass ich mitkomme?« Wenn er jetzt sagte, dass er es ohne mich nicht länger aushielt, würde ich mitgehen, und zwar sofort – barfuß und in der albernen Schlafanzughose mit blauen Schlümpfen drauf und T-Shirt. Immerhin sah er das ja nicht. Er könnte auch behaupten, dass er unsterblich in mich verliebt war und es keine Sekunde mehr ohne mich aushielt, oder …

Cassian setzte sich auf. »Du musst mitkommen.« Seine Finger zupften fahrig an meiner Bettwäsche. Er war sonst nie nervös. Ich spürte, wie alles in mir ganz kalt wurde. Mein gedanklicher rosaroter Luftballon platzte, und die Gummifetzen rieselten auf meine Decke.

»Warum bist du wirklich gekommen, Cassian?« Ich musste es wissen. »Nicht, weil du es ohne mich nicht ausgehalten hast, oder? Nicht, weil du mich unbedingt beschützen wolltest.«

Wenigstens hatte er den Anstand, zerknirscht auszusehen. Mir wurde übel.

»Ich will dich beschützen«, verteidigte er sich halbherzig. »Und ich möchte mit dir zusammen sein. Das musst du mir glauben.« Er wollte nach mir greifen, aber ich stand auf und wich zurück. Er durfte mich jetzt nicht berühren. Kurz schloss ich die Augen, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. In Avallach würde er mir nicht gehören, weil er mir nie gehört hatte. Ich war für ihn bloß eine kleine menschliche Abwechslung. Oder eine Schachfigur. Nur fragte ich mich, wofür er mich opfern wollte.

»Warum soll ich wirklich mit dir nach Avallach gehen?«, fragte ich leise ein weiteres Mal.

Er schluckte. »Merlin hat Elisien darum gebeten. Er befürchtet, dass die Magier versuchen werden, dich zu zwingen, ihnen doch noch das Siegel der Wanguun auszuhändigen. Er will dich schützen.«

»Das glaubst du doch selbst nicht.« Ich zwang mich zu flüstern, weil ich Angst hatte, gleich loszuschreien. »Er will dieses blöde Siegel für sich, kapierst du es nicht? Ich soll Emma bitten, es ihm auszuhändigen. Er glaubt, wenn du mich um den Finger wickelst, tue ich, was du sagst. Victor hat mich kein einziges Mal danach gefragt, und du kommst hier hereinspaziert, küsst mich und denkst, du kannst mich so um den Finger wickeln?« Jetzt schrie ich doch. Es war schon wieder passiert. Ich hatte mich von ihm benutzen lassen. »Wie muss ich mir das vorstellen?« Ich verknotete meine Finger miteinander, um nicht auf etwas einzuschlagen. »Habt ihr drei zusammengesessen und euch überlegt, wie du mich rumkriegst? Habt ihr womöglich den Baum in Brand gesteckt, damit du die Jungfrau in Nöten retten kannst und sie dir für immer und ewig dankbar ist? Dir aus der Hand frisst? Hast du einmal darüber nachgedacht, wie ich mich dabei fühle? Du bist so ein Idiot. Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst.« Und zwar bevor ich anfing loszuheulen.

Cassian stand auf und fuhr sich mit beiden Händen durch das zerwühlte Haar. Dann atmete er tief ein. »Es tut mir leid«, sagte er.

»Was genau denn?«, zischte ich nach Luft schnappend. Seine blinden Augen hatten noch nie so seltsam verhangen ausgesehen. Was verbarg er noch alles vor mir? Die Sehnsucht, für immer bei ihm zu bleiben, bäumte sich in mir auf wie eine riesige Welle. Das war nicht normal. Dieses Mal hatte er den Bogen endgültig überspannt. Diese Elfen, Zauberer, Magier und wer weiß was sonst noch alles konnten mir den Buckel runterrutschen.

Er trat einen Schritt auf mich zu und verharrte dann auf der Stelle. »Du musst mir versprechen, auf dich aufzupassen. Dieser Blitz war kein Zufall, und er kam nicht von uns.«

»Was meinst du damit?«, fragte ich misstrauisch. Mit dieser Angstmachertour brauchte er mir nicht noch mal zu kommen.

»Dass Victor dich nicht wegen des Siegels bedrängt, bedeutet nicht, dass die Magier ihre Hoffnung darauf aufgegeben haben. Vielleicht wollen sie dich nur in Sicherheit wiegen.« Jetzt kam Cassian doch näher, und ich konnte nicht ausweichen. Seine Hand legte sich auf meine Wange. »Ich will nicht, dass dir etwas passiert, Eliza, und ich bin nicht nur wegen Merlin hier.« Dann küsste er mich, und dieser Kuss war kein bisschen sanft, sondern so fordernd, dass mir schwindelig wurde.

Wütend stieß ich ihn weg. »Hör auf damit.«

»Komm mit mir, bitte! Sei sauer auf mich. Glaube das Schlimmste, aber komm mit. Der Blitz war nur eine Warnung.«

War es möglich, dass er mich anflehte? Es schien nicht mehr viel zu fehlen, und er würde vor mir auf die Knie gehen, wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig deutete. Mein lieber Himmel. Ihm musste wirklich eine Menge daran liegen, Elisiens und Merlins Befehle zu erfüllen. Dieses Mal könnte er sich nicht bei ihnen einschleimen. Jedenfalls nicht mit meiner Hilfe.

»Geh einfach«, forderte ich, und meine Stimme zitterte kein bisschen. Was ich hier tat, war das Richtige. Noch nie war ich mir dessen sicherer gewesen.

Cassian atmete tief ein. »Ich hätte gleich sagen sollen, weshalb ich gekommen bin. Es tut mir leid.« Er sah aus, als wollte er noch etwas hinzufügen, überlegte es sich dann aber offenbar und verschwand ohne ein weiteres Wort durch die Tür.

Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen, das noch nach ihm roch, und mir wurde klar, dass ich alles um mich herum vergessen hatte, während er bei mir gewesen war. Das Einzige, was mich interessierte, waren seine Lippen und seine Hände gewesen. Immerhin hatte ich ihm nicht erlaubt, mit mir zu schlafen. Vermutlich hätte es mir sogar gefallen, aber rückblickend betrachtet wäre es der Super-GAU gewesen. Na ja, er hatte keine Anstalten gemacht, mich zu verführen. Große Mühe hätte er sich nicht zu geben brauchen. Ich schlug die Hände vors Gesicht. Ich sollte ihm dafür dankbar sein. Ein erstes Mal mit dem größten Arschloch des ganzen Planeten war eine Erfahrung, auf die ein Mädchen getrost verzichten konnte.

Ich schlich zum Fenster und sah im schummerigen Morgenlicht die verkohlten Reste der Eiche. Ansonsten war der Platz vor der Kirche verlassen. Offensichtlich war meine Familie ohne mich bestens zurechtgekommen. Ich hätte nur im Weg gestanden. Zurück im Bett zog ich meine Bettdecke bis zur Nasenspitze. Vielleicht sorgte Cassian sich wirklich um mich. Vielleicht bedeutete ich ihm etwas. Ich atmete tief ein. Völlig unwahrscheinlich war das nicht. Beim nächsten Mal sollte ich mich erwachsener benehmen. Beim nächsten Mal sollte ich ihn nicht gleich küssen, sondern erst mal herausfinden, was er von mir wollte. Ohne einen triftigen Grund war er schließlich noch nie aufgetaucht. STOPP. Es würde kein nächstes Mal geben. Auf gar keinen Fall. Es musste doch möglich sein, diese Elfen loszuwerden. Allerdings waren sie hartnäckiger als Kletten. Dafür, dass sie ursprünglich nichts mit Menschen zu tun haben wollten, waren sie mittlerweile ziemlich anhänglich.

2. Kapitel

Lass uns wenigstens hinfahren«, verlangte Mum, und ich sah, wie Granny grinste und gleichzeitig den Kopf schüttelte. Schön, dass wenigstens eine von uns sich amüsierte.

Ich hatte gar nicht richtig hingehört, was Mum sagte. Meine Gedanken waren dort, wo sie meistens waren: bei Cassian. Seine Küsse und seine Berührungen waren dermaßen leidenschaftlich gewesen …, bei der Erinnerung begannen meine Wangen zu glühen. Hitze kroch mir den Hals herauf. Schliefen Elfen eigentlich miteinander? Und war es genau so wie bei uns Menschen? Irgendwo mussten die Elfenkinder ja herkommen. Blöd, dass ich niemanden fragen konnte. Weil ich ja mit den Elfen nichts mehr zu tun haben wollte. Leider bröckelte meine Willensstärke von Tag zu Tag mehr. Avallach. Wie es da wohl war? Es war Wochen her, dass Cassian mich quasi überfallen hatte. Der Sommer neigte sich dem Ende zu. Ich hatte versucht, das Beste daraus zu machen. Wir waren ein paar Tage in Edinburgh beim Festival gewesen und über zwei Wochen Zelten auf der Isle of Mull. Sky und ich hatten uns das eine Zelt geteilt, Victor und Frazer das andere. Aber weder Surfen noch nächtliche Lagerfeuer hatten mich auf andere Gedanken gebracht. Cassian war nicht ein Mal aufgetaucht. So viel zu Ich will dich beschützen. So gefährlich war Victor dann wohl doch nicht. Er hatte mich auch nicht ein Mal nach dem Siegel oder Emma gefragt. Eigentlich hatte er nur Augen für Sky gehabt. Wie Frazer das zwei Wochen ausgehalten hatte, war mir schleierhaft.

Wenn Cassian mir den Vorschlag ohne Hintergedanken gemacht hätte, wäre ich höchstwahrscheinlich mit ihm nach Avallach gegangen. Aber so? Wie es wohl war, für immer in der magischen Welt zu leben? Schade, dass Emma und ich nicht mehr Zeit miteinander gehabt hatten. Sie hätte mir einiges dazu erzählen können. Obwohl, von für immer war ja gar keine Rede gewesen. Sie hätten mich rausgeschmissen, kaum dass ich ihnen ihr bescheuertes Siegel beschafft hätte.

»Eliza. Ich rede mit dir.«

Der Löffel, mit dem ich gerade in meinem supergesunden Müsli rührte, fiel mir aus der Hand und polterte auf den Boden. Mum hob ihn auf und reichte ihn mir kopfschüttelnd.

Wovon zum Teufel sprach sie? Ach ja. Stirling und Tante Lindsay. Konnte sie mich damit nicht in Ruhe lassen? Immerhin hatte ich noch drei Wochen, bevor Anfang September mein Studium losging. Schon bei dem Gedanken daran verknotete sich mein Magen. Fremde Stadt, fremde Leute, fremd, fremd, fremd. Alles würde sich verändern. Plötzlich kam mir die Vorstellung, an Cassians Rockzipfel zu hängen und mit ihm nach Avallach zu gehen, gar nicht mehr so gruselig vor. Selbst Opal würde ich ertragen oder sie aus meinem Zimmer ekeln.

Ich durfte nicht mehr daran denken. Diese Option hatte ich mir selbst verbaut, und es war richtig gewesen.

»Vielleicht gefällt es dir besser, als du denkst«, sagte Mum und klang beinahe verzweifelt. Noch jemand, der mich unbedingt loswerden wollte – ich suhlte mich im Selbstmitleid. Sky konnte es schon nicht mehr ertragen, allerdings war sie seit zwei Wochen in London, um sich von Victor zu verabschieden, der nach Avallach verschwinden würde, und um sich eine Unterkunft zu suchen. Sie freute sich richtig, aus St Andrews fortzukommen. Irgendwann im Laufe der letzten Wochen hatten wir die Rollen getauscht, und Sky war von meiner supervorsichtigen Freundin zur Abenteurerin mutiert.

Ich seufzte und beschloss nachzugeben. Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, dass etwas an Stirling mich begeistern könnte, aber mir gingen langsam die Argumente aus. Mum bestand darauf, mit mir dort hinzufahren, um unsere Bekanntschaft mit Tante Lindsay aufzufrischen. Dabei konnte ich darauf gut und gerne verzichten. Dummerweise hatte Tante Lindsay in ihrem Haus jedoch mehrere freie Zimmer, und meine Eltern sahen einfach nicht ein, Miete für ein Zimmer im Studentenwohnheim zu bezahlen, wenn ich bei der alten Dame umsonst wohnen konnte.

»Warum kann ich nicht in einer WG wohnen? Tante Lindsay wird verlangen, dass ich sie den ganzen Tag bediene.«

»Wir können es Tante Lindsay nicht abschlagen. Jetzt mach nicht so ein Theater. Sie gehört zur Familie, und sie hat sonst niemanden.« Ich sah genau, wie Mum mit Granny einen Blick wechselte, doch diese hob abwehrend die Hände.

»Haltet mich da raus, Mädchen.«

»Sie ist deine Cousine«, jammerte Mum. »Und ich war früher immer gern bei ihr.«

»Dann zieh du doch nach Stirling«, schlug ich vor.

»Du bist kindisch«, wischte Mum meinen Vorschlag vom Tisch. »Die Ärzte meinen, sie soll nicht mehr allein in ihrem Haus wohnen, doch sie weigert sich, auszuziehen.«

War das jetzt mein Problem? Ich wollte ja nicht herzlos sein, aber ich wollte meine Studentenzeit, die ich mir in den schillerndsten Farben ausmalte, auch nicht mit der Rundumbetreuung einer alten Frau verbringen. Das konnte niemand von mir verlangen. Wenn ich den Erzählungen meiner Eltern Glauben schenken durfte, hatten sie selbst es in ihrer Jugend ganz schön krachen lassen, und mir wollten sie das jetzt verwehren?

Ich hatte nach diesem ganzen Theater mit den Elfen und Magiern schließlich auch mal eine Auszeit verdient. Zur Verteidigung meiner Mutter sollte ich allerdings erwähnen, dass sie von der ganzen Sache, in die Dad uns verstrickt hatte, nichts wissen konnte und durfte. Die Siegel und Cassandras Schicksal würden genauso ein Geheimnis bleiben wie meine Bekanntschaft mit den Elfen.

Fynn und Dad retteten mich wenigstens für diesen Moment, als sie in die Küche traten.

»Und?« Mum sah sie erwartungsvoll an. »Räumt ihr endlich das Ungetüm aus dem Weg?«

Am Morgen war die Erlaubnis gekommen, dass Dad die Reste der alten Eiche zerkleinern und als Brennholz benutzen durfte.

Dad goss sich eine Tasse Kaffee ein, und Fynn schnappte sich ein Stück Kuchen. »Es war ein wirklich großer Baum«, erklärte Fynn, als wüssten wir das nicht. Die Eiche war schon riesig gewesen, als ich noch in die Grundschule gegangen war.

»Dann wäre es das Beste, ihr macht euch endlich an die Arbeit. Schließlich versperrt der Baum den halben Weg. Bald kommen keine Gäste mehr.« Sie schlug Fynn auf die Hand, als er noch einen Muffin mopsen wollte. »Die sind für die Gäste«, wies sie ihn zurecht. »Du hattest dein Frühstück.«

»Das war Hasenfutter.« Fynn schielte zu dem Müsli, das ich selbst auch nicht mit großer Leidenschaft aß, und ich zog die Augenbrauen nach oben. So aufmüpfig war mein Bruder doch sonst nicht. War ihm eine Laus über die Leber gelaufen? Schon seit dem Abend des Abschlussballs war er nicht sonderlich gut drauf, was vermutlich an Grace lag. Ich hoffte für ihn, dass er beim Studium ein netteres Mädchen kennenlernte.

Dad klatschte in die Hände. »Dann lasst uns mal loslegen. Wir wollen den Kuchen, den eure Mutter gebacken hat, ja heute Abend nicht allein aufessen müssen.«

Hatte ich grundsätzlich nichts dagegen. Ich tauschte einen Blick mit Fynn, der die Vorstellung auch ganz nett zu finden schien, aber ergeben mit dem Schultern zuckte.

»Ich hole die Säge«, meinte er und verzog sich.

Ich schaufelte schnell noch das Müsli in mich rein, weil mir der Magen doch bedenklich knurrte, und schüttelte den Kopf über meine kichernde Mum, die gerade einen Kuss von Dad bekam. Eltern konnten manchmal so peinlich sein.

Gerade wollte ich die Küche verlassen, als Mum mich zurückrief. »Was ist jetzt? Fahren wir zu Tante Lindsay?«

Ich drehte mich zu ihr um. »Wenn ich mit dir da hinfahre und es schrecklich finde, erlaubst du dann, dass ich in eine WG oder ins Studentenwohnheim ziehe?«

Dad legte einen Arm um sie. Gemeinsam lehnten sie an der Spüle. »Gut«, erklärte Mum sich einverstanden.

So ein schnelles Einlenken hatte ich nicht erwartet. Das passte gar nicht zu ihr. Obwohl, vielleicht doch. Seit Dad zu Hause war, hatte sie sich verändert. Sie war umgänglicher geworden. Sie lachte auch viel öfter und meckerte nicht mehr darüber, dass ich zu viel naschte und zu viel vor dem Rechner hockte. Sie hatte es sogar aufgegeben, mir alte, muffige Bücher ins Zimmer zu legen. Fast vermisste ich es ein bisschen. Fynn stapfte am Küchenfenster vorbei, mit der Säge in der Hand. Ich wandte mich ab, um ihm zu folgen.

»Dann fahren wir am Samstag. Tante Lindsay erwartet uns zum Nachmittagstee«, rief Mum mir hinterher.

»Du hast alles schon mit ihr besprochen?« Ich wirbelte fassungslos herum.

Mum zuckte nur mit den Achseln. »Was soll ich denn machen? Ich muss meine Termine planen. Schließlich brauche ich eine Vertretung im Café.«

Sie klang gerade so, als opferte sie für mich ihre kostbare Zeit. Dabei wollte ich doch gar nicht weg. Das war mal wieder die Höhe. Und ich hatte gedacht, ich hätte ein bisschen Mitspracherecht. Ich zog die Augenbrauen zusammen.

Bevor ich etwas sagen konnte, sprang Granny für ihr Alter erstaunlich schnell auf. »Du musst mir helfen, meine Rosen zu gießen«, erklärte sie. »Die Männer schaffen das mit dem Baum schon allein. Dir fällt bloß ein Stück Holz auf die Füße.«

Mum lächelte zufrieden und goss sich ebenfalls eine Tasse Kaffee ein. Das würde sie mir büßen. Es wurde Zeit, dass ich mein Leben selbst in die Hand nahm. Ich ließ mich viel zu oft herumschubsen. Von Elfen und Müttern.

»Sky kommt mit«, rief ich ihr vom Flur zu, während Granny mich hinter sich herzog. So viel zu selbst in die Hand nehmen. Jeder hier im Haus wusste, dass ich ohne meine beste Freundin beinahe hilflos war. »Ich brauche jemanden, der auf meiner Seite ist.«

»Kein Problem«, flötete Mum. »Sky ist ein wirklich vernünftiges Mädchen. Ich habe Tante Lindsay schon gesagt, dass wir zu dritt kommen werden.«

»Grrrrrr.« Ich fragte mich, was sie sagen würde, wenn sie wüsste, dass das vernünftige Mädchen gerade ein Date mit einem Magier hatte, der merkwürdige Tattoos am Körper trug, vom eigenen Vater praktisch entführt worden und in einem verwunschenen Dorf gelebt hatte. Aber natürlich sagte ich nichts. Durfte ich ja nicht, obwohl es mir immer schwerer fiel, nicht über die Elfen, Leylin und meine diversen Abenteuer zu reden. Immer mussten Dad und ich uns dazu in seinem Arbeitszimmer verkriechen. Das Gute war, dass Quirin uns dort öfter besuchte. Natürlich hatte ich ihm klargemacht, dass ich von den Elfen nichts mehr wissen wollte, und er hatte es sofort akzeptiert. Wäre ich klüger gewesen, hätte ich von Anfang an auf ihn gehört. Er hatte mich gewarnt, dass man Elfen nicht trauen konnte. Aber ich musste ja meine eigenen Erfahrungen mit ihnen machen.

Ich hatte immer noch nicht herausgefunden, warum Dad von dieser ganzen Elfensache wissen durfte. Schließlich hatte ich nur drei Personen einweihen dürfen. Aber vermutlich war genau das der Knackpunkt: Nicht ich hatte ihm von der magischen Welt erzählt, sondern er hatte selbst herausgefunden, dass es sie gab. Seitdem er wusste, dass wir uns die Welt mit Elfen, Magiern und anderen Wesen teilten, unterhielt er einen regen Briefwechsel mit Dr. Erickson und Peter. Quirin fungierte als Bote. Leider ließ Dad mich an seinen neuen Erkenntnissen nur sehr ungern teilhaben, was mich wütend machte. Schließlich war ich von uns beiden die Expertin für magische Wesen. Ohne mich würde er heute noch im Magierknast rumhängen, in den Victors Vater ihn gesperrt hatte, um das Siegel der Wanguun von uns zu erpressen. Da war die Frage, warum er mich wie ein Kind behandelte, wohl durchaus berechtigt.

Nur widerwillig ließ ich mir von Granny eine Gießkanne in die Hand drücken. Sie bestand darauf, dass ihre Lieblingsrosen ausschließlich mit Regenwasser gegossen wurden. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass ich ungefähr zwanzig Mal Wasser aus den Tonnen, die an der Grundstücksmauer standen, in die Gießkanne füllen und zu den Beeten schleppen musste. Granny selbst war das natürlich nicht mehr zuzumuten, und die Männer zerschnitten die Reste des Baumes. Der Krach war bestimmt im ganzen Dorf zu hören.

»Deine Mum will doch nur das Beste für dich.« Granny zupfte verwelkte Blüten von den Rosensträuchern ab, als ich an ihr vorbeiging.

»Sie will das, was sie für das Beste hält«, ächzte ich, zwei Gießkannen auf einmal schleppend. So wunderschön der Garten auch war, der unser altes Haus aus verwittertem, grauen Sandstein umschloss, die Arbeit war mörderisch. Wenn ich mal auszog, gäbe es in meiner Wohnung keine einzige Pflanze. Mein Soll an Blumenpflege hatte ich für ein Leben erfüllt.

»Du bist gereizt. Vielleicht solltest du dich entschließen, wenigstens eine der Nachrichten, die Cassian dir schickt, zu beantworten. Du bist in letzter Zeit ständig wütend.«

Ach ja, seine Nachrichten, die er diesem Heuchler Quirin ständig mitgab. Ich hatte gedacht, wenigstens der Troll stand auf meiner Seite. Ich verbrannte die Briefe ungelesen. »Ich habe eine beantwortet. Und ich habe ihm deutlich gemacht, dass ich weder an ihm noch an dem Schutz der Zauberer oder Elfen interessiert bin. Das Thema ist beendet.«

»Für ihn offensichtlich nicht«, bemerkte Granny spitz. »Gestern hat Quirin schon wieder ein Briefchen gebracht. Im Grunde warte ich nur darauf, dass der Junge persönlich hier im Garten auftaucht.«

»Das soll er sich nicht wagen«, blaffte ich.

»Ich habe noch immer nicht verstanden, warum du so wütend auf ihn bist. Immerhin hat er dir geholfen, das Siegel der Wanguun in Sicherheit zu bringen.«

»Das bereut er offensichtlich längst, und um sich bei Merlin einzuschleimen, will er mich nach Avallach locken.«

»Oder er ist wirklich davon überzeugt, dass du in Gefahr schwebst. Rede wenigstens noch einmal mit ihm!«

»Auf keinen Fall. Ich will ihn nicht mehr sehen.« Dieses Mal blieb ich standhaft, obwohl die Briefchen mir Rätsel aufgaben. Wer schrieb sie für ihn? Das konnte nicht seine Handschrift sein (zugegeben: ein- oder zweimal hatte ich vor dem Verbrennen doch reingelugt), so ordentlich konnte nicht mal ich schreiben, und ich besaß zwei gesunde Augen. Raven hatte er bestimmt nicht gebeten, ihm zu helfen. Die Elfe war ihrer Königin zu treu ergeben, und Elisien war eine zu enge Verbindung zwischen uns beiden nicht recht. Blieben Jade oder Sophie. Es waren keine richtigen Liebesbriefe (was man vielleicht auch nicht erwarten konnte, wenn ein Dritter sie schrieb). Es waren eher Briefe, die man einer besten Freundin schrieb oder seiner Mutter. Okay, das war ein bisschen gehässig. Die Briefe waren wirklich nett gewesen. Sie hatten mich sogar zum Lachen gebracht, und Humor war nun wirklich nicht Cassians Stärke. Vermutlich wusste er also gar nichts von diesen Nachrichten.

Ich goss die Rosen und hing meinen Gedanken nach. Vielleicht lernte ich ja beim Studium einen netten Jungen kennen. Ganz bestimmt sogar. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn ich allein nach Stirling ging, dann war ich praktisch gezwungen, neue Freundschaften zu schließen, und konnte mich nicht hinter Sky und Frazer verstecken. Schreckliche Vorstellung. Aber ich musste mich wohl damit abfinden.

»Eliza«, unterbrach mein Vater brüllend meine Gedanken. Ich blickte zum Fenster seines Arbeitszimmers, das auf diese Seite des Gartens hinausging. »Kommst du mal!?«

Das klang nicht nach einer Bitte. Was hatte er denn jetzt schon wieder? Und warum war er nicht bei der Eiche und half Fynn? Wahrscheinlich drückte er sich im Namen der Wissenschaft vor körperlicher Arbeit. Männer!

»Ich bin gleich mit Sky verabredet«, rief ich hoch. Ich war heute noch nicht mal dazu gekommen, mich zu duschen. Diese Familie machte mich fertig. Plötzlich kam mir die Vorstellung eines Zimmers, weit weg von diesem Irrenhaus, ziemlich verlockend vor.

»Es dauert nicht lange.«

Seufzend wischte ich mir die feuchten Hände an meiner Jeans ab. Dann musste ich eben doch mit dem Fahrrad nach St Andrews fahren. Den Bus konnte ich vergessen, wenn Dad erst mal mit seinen Vorträgen anfing.

»Schaffst du den Rest allein?«, fragte ich Granny, die mit einer winzigen Gießkanne ihre Setzlinge benetzte. »Natürlich, Kind. Geh nur. Du weißt ja, wie ungern dein Vater wartet. Sicher ist er mal wieder auf etwas Spektakuläres gestoßen, so wie er rumbrüllt.«

Ich kicherte. »Wahrscheinlich hat er herausgefunden, dass Trollen Haare auf den Zähnen wachsen.«

»Wenn er weiter so laut mit Quirin streitet, wird deine Mum irgendwann noch misstrauisch.« Granny schüttelte missbilligend den Kopf, und ich fragte mich, ob ihre Karten mal wieder irgendeinen Weltuntergang prophezeit hatten. Diese Familie war eindeutig verrückt, und ich trug die Schuld daran. Wäre ich bloß nie durch dieses Tor gefallen, dann wäre uns eine Menge erspart geblieben. Allerdings war es für Reue längst zu spät.

Mein kleiner Kater Socke wuselte mir zwischen den Beinen herum, als ich das Haus betrat. Obwohl von ›klein‹ keine Rede mehr sein konnte. Er war in den letzten Monaten ganz schön gewachsen und hatte ziemlich an Gewicht zugelegt. Ich sollte ihn dringend mal auf Diät setzen und Mum verbieten, ihn ständig zwischendurch zu füttern. Obwohl sie anfangs gegen ein Tier im Haus gewesen war, war sie mittlerweile regelrecht vernarrt in den kleinen Kerl. Dad hatte schon mehrere Eifersuchtsanfälle bekommen, weil Socke ständig auf ihrem Schoß saß. Das geschah ihm nur recht. Er hatte Mum, Fynn und mich viel zu lange allein gelassen. Ich strich dem Tierchen über das weiche Fell und rannte die Treppe nach oben.

Dad wedelte mit einem Brief vor meiner Nase. »Wusstest du, dass Damian de Winter Cassandra gefunden hat?«, fragte er streng.

Ich nickte. »Victor hat es mir auf dem Abschlussfest erzählt.« Jetzt hatte Dad es also erfahren. »Er glaubt, sein Vater will mit ihrer Hilfe versuchen, das dritte Siegel zu finden. Das Siegel von Beliozar.« Ich hatte Cassandras Entführung in den Tagen nach dem Abschlussball vergessen, weil ich so mit Cassians Verrat beschäftigt gewesen war. Seit es mir wieder eingefallen war, hatte ich ein riesiges schlechtes Gewissen. Aber was konnte Dad an ihrem Schicksal schon ändern?

»Was kann dieses Siegel noch mal?«, fragte Dad. Als ob er das nicht besser wüsste als ich.

»Angeblich Tote zum Leben erwecken, was megagruselig ist, wenn du mich fragst.« Ich hoffte, Damian würde es nie finden. Letzte Woche hatten Frazer, Sky und ich einen Zombiefilm geschaut. Nicht auszudenken, wenn so was Wirklichkeit werden würde. Obwohl der Hauptzombie in Warm Bodies fast süß gewesen war.

»Und du hast es nicht für nötig befunden, mir das zu sagen?«

»Nein.« Ich versuchte, meiner Stimme einen festen Klang zu geben. Nachgedacht hatte ich natürlich darüber, aber Sky hatte mich überzeugt, dass es besser war, dies für mich zu behalten. Dad würde sich bloß in Dinge einmischen, die uns nichts angingen.

»Was willst du schon daran ändern? Laut Victor tut er ihr gar nichts, und sie schweigt einfach.« Die Wut meines Vaters verpuffte.

»Es ist nicht richtig. Sie wollte dort nicht leben. Sie gehört nicht nach Druid Glen.«

»Woher weißt du überhaupt, dass sie dort ist?«, fragte ich neugierig.

»Dr. Erickson hat mir geschrieben und es erwähnt. Wie du weißt, tauschen wir uns über alle Neuigkeiten aus, und da Cassandras Mutter als Sucherin das Siegel der Wanguun gefunden hat, blieb es zwangsläufig nicht aus, dass wir uns fragten, wo Cassandra geblieben war. Merlin hat herausgefunden, dass Damian sie in seiner Gewalt hat. Wenn ihr Vater das wüsste, würde er sich im Grabe herumdrehen.«

Dad hatte natürlich recht. Wieder regte sich mein schlechtes Gewissen, aber ich wollte auf keinen Fall noch mal jemanden aus unserer Familie in Gefahr bringen. Dass die Magier Dad gefangen gehalten hatten, reichte mir völlig, auch wenn er es rückblickend als großes Abenteuer betrachtete. Wenn Damian meiner Granny, Mum oder Fynn etwas antäte, würde ich mir das nie verzeihen. Es war eigensüchtig von mir, das wusste ich. Aber solange er das Siegel von Beliozar suchte, würde er uns vielleicht in Ruhe lassen. Und wenn ich das Siegel Merlin nicht aushändigte, dann hatte der Obermagier auch keinen Grund, sauer auf mich zu sein. So weit die Theorie. Wir konnten Cassandra nicht helfen, das konnte nur sie selbst.

3. Kapitel

Sky unterhielt sich angeregt mit meiner Mum, während ich auf dem Beifahrersitz saß und schmollte. Okay, ich hatte versprochen, mit ihr nach Stirling zu fahren, und ich würde diesen Tag überleben. Aber Mum sollte ruhig merken, dass es nicht das war, was ich wollte, auch wenn ihre Argumente durchaus logisch klangen. Ich verhielt mich absolut kindisch. Sky stupste mich immer wieder an, damit ich mich an ihrem Gespräch beteiligte. Allerdings sprachen sie über Bücher, und beide wussten ganz genau, dass das nicht mein Thema war. Konnten sie nicht über Filme oder Musik reden? Meine Gedanken wurden immer trotziger, aber ich konnte absolut nichts dagegen tun. Mein Gehirn befand sich in irgendeinem Umbaumodus von Ich vermisse Cassian und will, dass er mich küsst zu Der Typ kann mir gestohlen bleiben. Wer konnte mir da vorwerfen, dass alles in mir drunter und drüber ging und ich mich benahm wie eine pubertierende Dreizehnjährige?

Die Burg von Stirling thronte direkt über dem Haus von Tante Lindsay. Von hier aus hatte Robert the Bruce Schottland gegen die Engländer verteidigt. Mein Vater hatte mir die Geschichten über die Unabhängigkeitskriege mehr als einmal erzählt.

Der von der Zeit fast schwarze Sandstein war feucht vom Regen und erinnerte mich an mein Zuhause. Hunderte Touristen pilgerten von der Innenstadt zur Burg hinauf. Als ich klein gewesen war, hatten Mum und Dad die Burg mal mit mir besucht. Kinder konnten dort sogar historische Kostüme anziehen und sich fotografieren lassen. In dem Brokatkleid mit roten Stickereien fühlte ich mich wie eine Prinzessin. Die Fotos hatte ich sogar noch irgendwo. An das Kaffeetrinken danach bei Tante Lindsay besaß ich keine so schönen Erinnerungen. Sie kritisierte mich die meiste Zeit, weil ich nicht still sitzen konnte. Dabei war ich gerade mal sechs Jahre alt gewesen. Sie hatte mich mit ihrem Eulenblick nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen.

Wir kamen zu spät. Genau zehn Minuten. Es war mehr Verkehr gewesen, als wir gedacht hatten. Mum klopfte an die schwarz glänzende Tür, und dann warteten wir. Niemand öffnete. Ich klopfte noch mal, und endlich erklangen Geräusche hinter der Tür. Es hätte mich nicht gewundert, wenn Tante Lindsay uns wegen unserer Verspätung gar nicht erst reingelassen hätte. Die Tür wurde aufgerissen, und ein junger Mann warf durch seine Brillengläser einen neugierigen Blick auf uns. Kleine Grübchen bildeten sich auf seinen Wangen. »Sorry, ich habe gerade noch den Tisch gedeckt«, entschuldigte er sich.

»Ist das meine Nichte mit ihrer Tochter, David?«, erscholl die Stimme einer alten Frau aus dem Hintergrund. Dann hörte man das Rollen von Rädern auf dem Dielenboden.

»Ich denke schon. Drei hübsche Frauen stehen vor der Tür.« Er lächelte immer noch und machte uns nun den Weg frei, damit wir eintreten konnten.

»Tante Lindsay!« Mum ging auf sie zu. »Wie schön, dich zu sehen. Du siehst gut aus.«

Ich hüstelte erschrocken, damit mir nichts Unhöfliches herausrutschte. Sie sah nicht im Mindesten gut aus. Sie sah grau aus und genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Graue Augen, graues Haar, graue Klamotten. Sogar ihre Gesichtsfarbe schimmerte in einem gräulichen Ton. Allerdings funkelten die grauen Augen hinter dem Brillengestell immer noch sensationslüstern wie früher. Und ihre spitze Nase zuckte so komisch, als ob sie etwas witterte. Vermutlich eine Beute – also mich. Ich schloss kurz die Augen, um das Bild einer Ratte zu vertreiben, die auf der Suche nach einem leckeren Stück Käse war.

Trotz ihres Rollstuhls machte sie auf mich nicht den Eindruck einer Frau, die allein nicht zurechtkam. Bestimmt hatte sie meiner Mutter eine Lüge aufgetischt, um mich in ihr Haus zu locken.

Wie immer saßen ihr grauer Rock und die Bluse tadellos. Keine Falte war zu sehen, und kein Härchen wagte sich aus ihrer Frisur. Tante Lindsay hatte schon immer ausgesehen wie aus dem Ei gepellt. Ich hatte sie noch nie unfrisiert oder ungeschminkt gesehen, und natürlich war nie ein Fleckchen auf ihren makellosen Klamotten zu finden. Dieselbe Unfehlbarkeit erwartete sie auch vom Rest der Familie. Deshalb hatte ich mich irgendwann geweigert, sie in den Ferien zu besuchen. Immer hatte sie darauf bestanden, dass ich Kleider trug und meine Haare so fest zurückband, bis mir das ganze Gesicht wehtat. Es war grässlich gewesen. Auch jetzt musterte sie mich eingehend von Kopf bis Fuß, was Mum natürlich nicht entging. Sie schob sich unauffällig zwischen uns.

»Wer ist denn der nette junge Mann, der uns die Tür geöffnet hat?«, fragte sie.

Der nette junge Mann war mittlerweile wieder verschwunden. Aber aus dem Salon hörte man Geschirr klappern. Bei uns hieß dieser Raum natürlich schlicht Wohnzimmer. Aber eine von Tante Lindsays Vorfahrinnen war mit einem echten Lord verheiratet gewesen, und nun bildete sie sich ein, irgendwie adelig zu sein.

»David ist so nett und bereitet den Tee zu. Er ist mir wirklich eine große Hilfe. Ich habe ja sonst niemanden.«

Ich verdrehte die Augen. Die Leier kannten wir alle zur Genüge. Als niemand von uns auf den nur mäßig versteckten Vorwurf einging, wendete sie ihren Rollstuhl und fuhr voraus.

»David. Das ist meine Nichte, ihre Tochter Eliza und deren Freundin.« Sie wies mit ihren perfekt manikürten Fingern vornehm auf den Jungen, der vielleicht ein oder zwei Jahre älter war als ich und Sky. »Das ist David Forster. Er ist Student und wohnt bei mir.«

»Du vermietest Zimmer an Studenten?« Mums Stimme war die Überraschung deutlich anzuhören.

»Warum nicht?« Tante Lindsay schob ihren Rollstuhl an den gedeckten Tisch. »War es nicht sogar deine Idee?«, fragend sah sie zu Mum, die stumm nickte. »Es ist tatsächlich sehr nett, wieder Leben im Haus zu haben, und die Kinder helfen mir, wenn ich sie brauche.«

Schon wieder ein Vorwurf, oder? Ich lugte zu Sky, ob ihr das auch auffiel oder ob nur ich besonders empfindlich war.

Sky lächelte nur vor sich hin, wie sie es meistens in Gegenwart von Fremden tat. Allerdings entging mir nicht, dass David und sie einen Blick wechselten. Wie machte sie das bloß? Bald hatte sie einen ganzen Harem, während ich für den Rest meines Lebens eine alte Jungfer blieb.

»Wie viele Zimmer hast du denn vermietet?«, fragte ich, um nicht ganz desinteressiert zu wirken.

»Bisher drei«, erwiderte sie. »Eins steht noch leer … für dich«, setzte sie hinzu und klang noch weniger begeistert als ich. Die Antipathie basierte auf Gegenseitigkeit.

»Ähh. Ja, danke schön.«

»Wann willst du einziehen? Das Semester beginnt ja schon in zwei Wochen«, erinnerte sie mich kurz darauf, was wirklich nicht notwendig war. Die Zeit saß mir im Nacken, und ich war noch genauso unentschlossen wie zu Beginn des letzten Schuljahres. Es war mir schleierhaft, wie meine Mitschüler wissen konnten, womit sie den Rest des Lebens verbringen wollten. Okay, alle wussten es nicht. Viele reisten erst mal um die Welt (dafür hatte ich kein Geld), jobbten irgendwo (darauf hatte ich keine Lust) oder hingen bei ihren Eltern rum, um sich selbst zu finden (dazu hatte ich nicht die richtigen Eltern).

»Ich weiß nicht. Ich bin noch etwas unsicher.« Ich hielt David meine Tasse hin, und er ließ goldgelben Tee hineinlaufen. Ob Tante Lindsay ihn zwang, den Butler zu spielen, oder war er wirklich so höflich?

»Darf ich dir auch einschenken?«, fragte er Sky, die ihn anstrahlte und nickte.

Verbissen schaufelte ich Zucker in meine Tasse. »Ich weiß noch nicht, ob ich überhaupt studieren möchte«, erklärte ich mit leider nur halb so fester Stimme wie erhofft.

Tante Lindsays schmal gezupfte Augenbrauen gingen in die Höhe. »Du hast den Studienplatz aber doch bekommen, oder nicht?«

Ich nickte und rührte verbissen in der Tasse herum.

»Und nun willst du dein warmes Nest nicht verlassen und deinen Eltern weiter auf der Tasche liegen. Verstehe ich das richtig?«, fragte sie unbarmherzig.

Nervös rückte ich auf meinem Stuhl hin und her. So war es gar nicht, und überhaupt, musste sie das vor einem Wildfremden besprechen? Mum sagte leider nichts, um mich zu verteidigen.

»Die Wahl des Studienfaches ist eine wichtige Entscheidung«, setzte sich ausgerechnet dieser David für mich ein. »Man sollte sich schon sicher sein, bevor man ein Fach wählt, das einen nicht interessiert.«

Dankbar lächelte ich ihn an. Wenigstens einer, der mich verstand.

»Papperlapapp. Red keinen Unsinn. Das Mädchen muss etwas studieren, womit es später Geld verdienen kann. Meine Nichte hat es ja leider nur zu einem Café gebracht, und ihr Mann verdient als Geschichtsprofessor auch nicht sonderlich viel«, verkündete Tante Lindsay eine ihrer unnötigen Weisheiten. »Und dann treibt er sich ständig in der Weltgeschichte rum. Zu meiner Zeit waren die Männer verantwortungsbewusster …«

»Tante Lindsay«, unterbrach Mum deren Redestrom, und ich hoffte, dass sie der Frau den Kopf zurechtrücken würde. Mum konnte schließlich wirklich stolz auf ihr Café sein. Wenn ich nur etwas halb so Tolles in meinem Leben zustande bringen würde, konnte ich froh sein. Aber Mum lächelte nur, auch wenn es ein bisschen festgetackert aussah. »Eliza wollte sich gern ihr Zimmer anschauen. Darum sind wir hier, und wir sind dir sehr dankbar, dass du sie bei dir wohnen lässt.«

O Gott, das klang endgültig. Ich biss die Zähne zusammen, um nicht etwas total Unfreundliches zu sagen. Sky griff unter dem Tisch nach meiner Hand.

»Kostenlos«, setzte die Schreckschraube hinzu.

Gegen sie war Larimar eine gute Fee. Keine zehn Pferde würden mich hierherbringen.

»Ich kann Eliza und ihrer Freundin gern das freie Zimmer zeigen«, erbot sich David, und prompt sprang ich auf. Die Teetasse geriet bedenklich ins Wanken, traute sich aber nicht umzukippen. Hier hatte sogar das Geschirr Angst.

Sky und ich rannten hinter David her, der uns die blank geputzten Stufen ins Obergeschoss führte. »Hier kommt Ratatouille nicht hoch«, erklärte er. »Und das ist auch gut so. Das ist unser Reich.« Aus einem der Zimmer klang Indie-Pop. Wer immer dort wohnte, hatte jedenfalls einen annehmbaren Musikgeschmack.

»Ratatouille? So nennst du meine Tante?« Ich prustete los.

»Sie sieht ein bisschen aus wie eine Ratte, findest du nicht?« Er guckte mich unschuldig an.

»Du bist gemein«, stellte Sky fest, und Davids Ohren wurden am Rand ein bisschen rot.

»Sie weiß nicht, dass wir sie so nennen«, sagte er.

»Wie lange lebst du schon hier?«, wechselte ich das Thema, musste mir aber das Lachen verkneifen.

»Seit dem Sommersemester. Also ein halbes Jahr.

---ENDE DER LESEPROBE---