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Und wenn man schläft, dann kommt der Traum.
In seinen neuen Gedichten beschwört Norbert Hummelt die inneren Nöte des Menschen und das Glück der Erlösung – ein elegischer Rückbezug auf Dantes zweites Jenseitsreich, das Fegefeuer. Pathosfern und gleichwohl berührend, taucht er ein in Kindheitserinnerungen, erleidet ein weiteres Mal Ängste, die bis heute nachwirken. Zugleich sind diese neuen Gedichte aber auch Meisterwerke von belebender, befreiender Kraft: In ihren treibenden Rhythmen beschwören sie die Freude der inneren Verwandlung und Augenblicke des Glücks. Emotional glaubwürdiger und literarisch überlegter schreibt heute niemand unter den deutschsprachigen Lyrikern
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Seitenzahl: 51
Norbert Hummelt
Fegefeuer
Gedichte
Luchterhand
für Johanna
Vom Feuer vertilgt, vom Feuer erneuert.T. S. Eliot
I – Triptychon
die waldschlucht
mein leben war zur hälfte schon vorüberda ging ich einmal durch den dunklen waldu. fand den rechten weg so bald nicht wieder.
wenn ich dran denke, wird’s mir heut noch kalt.der wald so rauh, so dornig, immer wilderkaum kann ich’s sagen – ich versuch es halt.
selbst wenn man stirbt, gibt es nicht solche bilder.doch weil auch manches gut war, das ich fandbeginn ich nun, daß ich es einfach schilder.
kann gar nicht sagen, über welchen pfadich denn dort hinkam, völlig übermüdetich taumelte verloren durch das fremde land.
doch angekommen an dem fuß des hügelsvon dem die waldschlucht ihren ausgang nahmriß mich das herz vor lauter angst am zügel
u. ich sah oben auf dem höchsten kammschon das gestirn erscheinen, das uns leitetwo wir auch wandeln in der finstren klamm.
da war die angst nicht mehr so ausgebreitetin meinem herzen, wo sie über nacht so groß geworden war, daß man verzweifelt.
u. so wie einer, der aus einem bachmit nassen füßen kaum sich retten konntesah ich nun seinen wilden schäumen nach
indem ich mich im fliehen wieder wandteu. nahm die schlucht noch einmal in den blickdie mir die dunkelhellen träume sandte
u. immer wieder kehre ich zurück.
der schleier
kann nicht mehr sagen, wo genau am rand die brombeerhecke war, bei der ich spielte; man parkte unten bei der alten mühle
wo es die fangfrischen forellen gab, u. einen teller grüner erbsensuppe, sinalco-cola oder könig-pilsener, ernte, reval
oder attika. im schnellen wasser bei den schiefersteinen habe ich den hohen damm gebaut; vor meinen augen flitzten
wasserläufer; da trieben blätter, zweige, rinde immer langsamer, u. alles kam vor meinem damm ins trudeln. doch
einer sprach: auf auf, du fauler jäger, denn wir ziehen weiter! zum sauerbrunnen, den man doch nie fand . . u. wenn er
ging u. nicht mehr wiederkam, was will ich dann noch in der klamm, in der hochsommerlichen, der gewitterschwüle?
ist das mein leben, hab ich keine ziele? da war ein hang, war eine lichtung; abgebrannt; u. griffe, geländer, die glitschigen
stellen . . u. hinter einem wall aus blätterzwielicht sind die glockenhellen stimmen da, die immer klingen, u. jemand
schwenkt ein weißes tuch . . das ist der zeltplatz, ist die jugendgruppe . . ich kann das lied erkennen, das sie singen,
doch ich kann nicht hingelangen . . der weiße schleier wehtdavor, so lang ich lebe, u. immer warte ich, daß man mich ruft.
der wächter
ich bin schon oft den stillen weg gegangen unter den säulen in den buchenhallen zum wasserfall mit dem bemoosten stein doch eines tages hat es angefangen.
ich dachte erst daß mich termiten fressen von innen lautlos sie sind überall sie sitzen mir schon nah am herzen der wächter sagt zu mir: hör gar nicht hin . .
denn immer redet er in mir u. will mich stören weil meine schätze gar nicht mir gehören weil es die schätze nämlich gar nicht gibt. der wächter sagt
zu mir: das sind nur spiegelungen . . draußen sein, das ist dir nie gelungen. aber was ist dann mit den vogelstimmen, wenn ich sie auch, zugegeben, selten
unterscheiden kann? sind die vielleicht vom band gekommen? u. dort in diesen wenn auch toten wipfeln, ist das nicht irgendeine form von wind?
hinter der scheibe spielt im wald mein kind . . der wächter sagt zu mir: wie ich schon sagte, du kannst nicht draußen sein weil es nicht geht . .
die bilder dort sind spiegelungen von etwas das in alten büchern steht. aber mein mädchen kommt es bringt mir waldhimbeeren am wegrand hat es sie
für mich gepflückt ich hab es auch getan sieh meine finger an ich habe mich beschmutzt mein kind u. ich wir tauschen waldhimbeeren u. im moment wo wir
die früchte essen (ich habe sie nicht abgewaschen u. esse auch die kleinen grauen womöglich wurm-stichigen stellen mit) hab ich den wächter einmal
kurz vergessen ich will ihn ja nicht auch noch mit-ernähren der in mir wohnt u. ißt von meinem glück . . ich bin schon oft den stillen weg gegangen unter den
säulen in den buchenhallen ich brauchte luft ich wollte eben raus . . der wächter sagt zu mir du kannst nicht hingelangen: ich bin der wächter u. du bist das haus.
II – Jenseits des Tales
pfadfinder
ich trug einmal die züge meines vaters, sie waren leicht zu tragen, ganz ohne gewicht; über die wiesen, bei den wasserspiegeln, im ersten frühling an den hellen tagen. bis in den busch bei der seufzerallee, wo die fuchsspur im waldboden war, da wo die weißen maiglöckchen wuchsen. ich hatte auch einmal ein fahrtenmesser, die klinge stumpf, mit hirschhorngriff, oder aber war aus kunststoff u. sah nur so wie hirschhorn aus. u. einmal nahm ich dieses fahrtenmesser, das in der lederscheide hing, u. hielt es den maiglöckchen an die kehle. jetzt steck aber mal dein schwert in die scheide, sagte mein vater, komm laß et, jung, u. laß mir die maiglöckchen schön am leben – du erinnerst dich, es steht geschrieben, wer das schwert ergreift, kommt dadurch um. die tage kommen bald, das wasser schillert, der erste falter fliegt den pfad voraus, aber die kompaßnadel zuckt u. zittert, ich kenne mich in diesem wald nicht aus. es kam ein mann mit zügen meines vaters, sah durch mich durch – entschuldigung . . auf den mit totem laub bedeckten wegen ging er dem strom der kommenden entgegen.
der tollund-mann