Feigenblatt - Reinhard Löchner - E-Book

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Reinhard Lochner

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Beschreibung

In Somaliland steht das größte Solarkraftwerk Afrikas kurz vor seiner feierlichen Eröffnung. Mit einem Schlag wird eines der ärmsten Länder nicht nur seinen eigenen Energiebedarf decken, sondern auch zum weltweiten Vorbild für eine nachhaltige, von Sonnenenergie angetriebene Wirtschaft werden. Hinter diesem visionären Projekt stehen die Düsseldorfer Investmentmanager von Ray Capital, die von einer globalen Solarwende träumen. Doch am Tag der Eröffnung zerstört eine verheerende Sprengstoffexplosion das Kraftwerk. Inmitten des Chaos wird Chris, einer der deutschen Projektmanager, ohne ersichtliches Motiv von der CIA als Hauptverdächtiger festgenommen, während seine Freundin Zola vor ihrer Familie flieht, die sie zwangsverheiraten und nach somalischem Brauch beschneiden wollen. Was Vision für eine bessere Welt sein sollte, verwandelt sich in einen Albtraum. Ein erbitterter Wettlauf um die Wahrheit beginnt, als Chris und seine Freunde ins Fadenkreuz internationaler Geheimdienste und rechter Netzwerke geraten. Jeder Schritt könnte der letzte sein, während sie versuchen, ihre Unschuld zu beweisen und die wahren Drahtzieher zu entlarven. Doch wie stark kann man sein, wenn Geheimdienste und milliardenschwere Interessen der Ölindustrie gegen einen sind? Reinhard Löchner erzählt in seinem neuen Thriller von den visionären Ideen einer Solarwende und verpackt sie in eine explosive Geschichte – mit atemberaubendem Tempo erzählt. Schockmomente inklusive.

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Seitenzahl: 613

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Inhalt

Cover

Titelseite

Impressum

Widmung

Inhalt

Prolog – Die Unabhängigkeit – 31. Mai 1988

Kapitel 1 – Montag, 3. Mai 2021

Kapitel 2 – Dienstag, 15. Juni 2021

Kapitel 3 – Dienstag, 22. Juni 2021

Kapitel 4 – Dienstag, 29. Juni 2021

Kapitel 5 – Dienstag, 23. November 2021

Kapitel 6 – Freitag, 10. Dezember 2021

Kapitel 7 – Donnerstag, 16. Dezember 2021

Kapitel 8 – Montag, 3. Januar 2022

Kapitel 9 – Freitag, 7. Januar 2022

Kapitel 10 – Samstag, 22. Januar 2022

Kapitel 11 – Montag, 24. Januar 2022

Kapitel 12 – Dienstag, 25. Januar 2022

Kapitel 13 – Sonntag, 13. Februar 2022

Kapitel 14 – Dienstag, 15. Februar 2022

Kapitel 15 – Mittwoch, 16. Februar 2022

Kapitel 16 – Donnerstag, 17. Februar 2022

Kapitel 17 – Dienstag, 22. Februar 2022

Kapitel 18 – Mittwoch, 23. Februar 2022

Kapitel 19 – Freitag, 25. Februar 2022

Kapitel 20 – Montag, 28. Februar 2022

Kapitel 21 – Dienstag, 1. März 2022

Kapitel 22

Kapitel 23 – Mittwoch, 2. März 2022

Kapitel 24

Kapitel 25 – Donnerstag, 3. März 2022

Kapitel 26

Kapitel 27 – Freitag, 4. März 2022

Kapitel 28 – Samstag, 5. März 2022

Kapitel 29 – Sonntag, 6. März 2022

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32 – Montag, 7. März 2022

Kapitel 33

Kapitel 34 – Dienstag, 8. März 2022

Kapitel 35 – Mittwoch, 9. März 2022

Kapitel 36 – Donnerstag, 10. März 2022

Kapitel 37

Kapitel 38 – Montag, 14. März 2022

Kapitel 39 – Dienstag, 15. März 2022

Kapitel 40

Kapitel 41 – Donnerstag, 17. März 2022

Kapitel 42 – Freitag, 18. März 2022

Kapitel 43

Kapitel 44 – Samstag, 19. März 2022

Kapitel 45 – Sonntag, 20. März 2022

Kapitel 46

Kapitel 47 – Montag, 21. März 2022

Kapitel 48 – Mittwoch, 23. März 2022

Kapitel 49 – Donnerstag, 24. März 2022

Kapitel 50 – Freitag, 25. März 2022

Kapitel 51 – Samstag, 26. März 2022

Kapitel 52 – Montag, 28. März 2022

Kapitel 53 – Dienstag, 29. März 2022

Kapitel 54 – Dienstag, 12. April 2022

Kapitel 55 – Freitag, 15. April 2022

Kapitel 56 – Dienstag, 3. Mai 2022

Kapitel 57 – Montag, 26. September 2022

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Inhalt

Feigenblatt

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-95894-300-1 (Print) / 978-3-95894-303-2 (E-Book)

© Copyright: Omnino Verlag, Berlin / 2024

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

Karte vordere Umschlagklappe:

Karte Somaliland: Ikonact, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Afrikakarte: Master Uegly - derived from BlankMap-Africa.svg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=40133250

Für Gwendoline

Es erscheint immer unmöglich, bis es jemand getan hat.

Nelson Mandela

Was vorstellbar ist, ist auch machbar.

Albert Einstein

Inhalt

Prolog – Die Unabhängigkeit – 31. Mai 1988

Kapitel 1 – Montag, 3. Mai 2021

Kapitel 2 – Dienstag, 15. Juni 2021

Kapitel 3 – Dienstag, 22. Juni 2021

Kapitel 4 – Dienstag, 29. Juni 2021

Kapitel 5 – Dienstag, 23. November 2021

Kapitel 6 – Freitag, 10. Dezember 2021

Kapitel 7 – Donnerstag, 16. Dezember 2021

Kapitel 8 – Montag, 3. Januar 2022

Kapitel 9 – Freitag, 7. Januar 2022

Kapitel 10 – Samstag, 22. Januar 2022

Kapitel 11 – Montag, 24. Januar 2022

Kapitel 12 – Dienstag, 25. Januar 2022

Kapitel 13 – Sonntag, 13. Februar 2022

Kapitel 14 – Dienstag, 15. Februar 2022

Kapitel 15 – Mittwoch, 16. Februar 2022

Kapitel 16 – Donnerstag, 17. Februar 2022

Kapitel 17 – Dienstag, 22. Februar 2022

Kapitel 18 – Mittwoch, 23. Februar 2022

Kapitel 19 – Freitag, 25. Februar 2022

Kapitel 20 – Montag, 28. Februar 2022

Kapitel 21 – Dienstag, 1. März 2022

Kapitel 22

Kapitel 23 – Mittwoch, 2. März 2022

Kapitel 24

Kapitel 25 – Donnerstag, 3. März 2022

Kapitel 26

Kapitel 27 – Freitag, 4. März 2022

Kapitel 28 – Samstag, 5. März 2022

Kapitel 29 – Sonntag, 6. März 2022

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32 – Montag, 7. März 2022

Kapitel 33

Kapitel 34 – Dienstag, 8. März 2022

Kapitel 35 – Mittwoch, 9. März 2022

Kapitel 36 – Donnerstag, 10. März 2022

Kapitel 37

Kapitel 38 – Montag, 14. März 2022

Kapitel 39 – Dienstag, 15. März 2022

Kapitel 40

Kapitel 41 – Donnerstag, 17. März 2022

Kapitel 42 – Freitag, 18. März 2022

Kapitel 43

Kapitel 44 – Samstag, 19. März 2022

Kapitel 45 – Sonntag, 20. März 2022

Kapitel 46

Kapitel 47 – Montag, 21. März 2022

Kapitel 48 – Mittwoch, 23. März 2022

Kapitel 49 – Donnerstag, 24. März 2022

Kapitel 50 – Freitag, 25. März 2022

Kapitel 51 – Samstag, 26. März 2022

Kapitel 52 – Montag, 28. März 2022

Kapitel 53 – Dienstag, 29. März 2022

Kapitel 54 – Dienstag, 12. April 2022

Kapitel 55 – Freitag, 15. April 2022

Kapitel 56 – Dienstag, 3. Mai 2022

Kapitel 57 – Montag, 26. September 2022

Nachwort

Danksagung

Prolog – Die Unabhängigkeit – 31. Mai 1988

Es war einer dieser sengend heißen Tage in Somalia, die das Land von der Hitze des Tages in die Kühle der Nacht führen. Die Sonne, gleißend und unbarmherzig, schien auf die Straßen von Hargeisa herab, als die Spannungen zwischen den Clans und der aufziehende Bürgerkrieg die Luft elektrisch machten.

„Welcher Clan?“, rief der Soldat in der hellbeigen Uniform mit vorgehaltenem Gewehr und scharfem Tonfall einem jungen Mann zu.

„Darod, ich bin ein Darod“, antwortete der Junge mit den kurzen schwarzen Haaren angespannt. Der ältere Soldat mit den drei Streifen auf der Schulter, der die Aktion seiner Männer aufmerksam beobachtet hatte, winkte ihn zu sich. Er sprach ein paar Worte zu ihm, und der Darod nickte.

„Welcher Clan?“, brüllte der Soldat nun dem nächsten in der Reihe zu. Rund zwei Dutzend Männer standen mit den Rücken an einer hellen Sandsteinmauer aufgereiht, die Hände nach oben zur sengenden Sonne gerichtet.

„Isaaq, ich gehöre zum Clan der Isaaq“, sprach er mit fester Stimme.

Der Soldat rammte ihm den Gewehrkolben in die Magengegend, wodurch der Mann einknickte. Noch ehe er den Kopf heben konnte, feuerte der Soldat einen gezielten Schuss ab. Der Mann fiel ihm vor die Füße. Der Nebenmann des Erschossenen blickte panisch ins Nichts.

„Welcher Clan?“

Nur ein weiterer Mann stand zwischen ihm und Ahmad Ali Tur. Aus dem Augenwinkel sah der zu dem Angesprochenen, dessen Hände zitterten und der mit zusammengekniffenen Augen den Kopf langsam zur Seite drehte.

„Welcher Clan?!“, wiederholte der Soldat.

„I-is-saaq …“

Der nächste Schuss fiel. Blut spritzte auf Ahmads Nebenmann, der noch aufschrie und sich auf die Knie warf und um Gnade zu flehen begann. Sein Appell fand mit einem weiteren schnellen Schuss ein jähes Ende.

Ahmad streckte den Rücken durch und straffte die Schultern. Er würde nicht um Gnade flehen. Wenn sie ihn schon zu Allah schicken würden, würde er diesen Weg mit Haltung antreten. Als der Soldat sich vor ihn stellte, hatte er sich schon in Gedanken zurechtgelegt, was er ihm ins Gesicht spucken würde: Richte dem Großmaul aus, dass wir uns nie ergeben. Uns gehört dieses Land, und wir lassen uns von keinem anderen Clan etwas wegnehmen.

Doch bevor der Schütze ihm „Welcher Clan?“ zubrüllen konnte, kam ein Soldat auf ihren älteren Kameraden zugelaufen, der dem Schützen mit einer Handbewegung zu verstehen gab, zu warten. Nach einem kurzen Wortwechsel nickte er und rief dann: „Abzug! Wir verlassen die Stadt!“

Ahmad Ali Tur runzelte die Stirn. Warum zogen sie ab? Der Soldat grinste ihm hämisch zu. „Glück gehabt, du Hurensohn. Zumindest fürs Erste.“

Etwa eine Stunde später waren alle Soldaten aus Hargeisa verschwunden. Ahmad Ali Tur versammelte seine Vertrauten in der Nähe der großen Moschee.

„Was sollen wir tun?“, fragte einer seiner Männer. „Siad Barres Armee ist uns überlegen. Sie haben ihre Raketenwerfer rund um die Stadt in Stellung gebracht. Von Burao ist schon nichts mehr übrig, mit Hargeisa werden sie nicht anders verfahren.“

„In Sicherheit bringen, wir müssen alle in Sicherheit bringen. Und uns auf das Schlimmste gefasst machen.“

Noch während Ahmad die Worte aussprach, zischte die erste Katjuscha-Rakete über ihre Köpfe und explodierte im offenen Basar auf der anderen Straßenseite. Die Männer warfen sich zu Boden. Als Nächstes wurde die Bäckerei gleich daneben in Schutt und Asche gelegt. Lärm, Staub, Rauch, Feuer – die Stadt verwandelte sich in Windeseile in ein Schlachtfeld. Ahmad sah, wie ein kleines Mädchen über die Straße lief, und rannte sofort los. Er packte das Mädchen und trug es zu einem noch intakten Wohnhaus. Die Familie hatte sich wimmernd in einer Ecke unter dem Tisch versteckt. Dann wurde es still. Die Frau rief: „Es ist vorbei, sie sind weg!“

Doch Ahmad wusste, dass die russischen Raketenwerfer nur nachgeladen wurden. Sie hatten nicht genug Zeit, um die Bewohner in Sicherheit zu bringen. Manche waren schon vor Tagen in Richtung Äthiopien geflohen, nachdem Siad Barres Soldaten Burao dem Erdboden gleichgemacht hatten. Das Somali National Movement, dessen Kopf Ahmad Ali Tur war, hatte die Stadt eingenommen und gerade mal zwei Tage später wieder verloren. Die daraufhin in Hargeisa verhängte und sich täglich ausweitende Ausgangssperre erschwerte den Menschen die Flucht. Wer floh, wurde verhaftet. Nur kurze Zeit später fingen sie an, die Angehörigen des Isaaq-Clans gezielt zu exekutieren.

Schon folgten die nächsten Raketen. Ahmad und seine Männer brachten sich so gut es ging in Sicherheit, so wie alle anderen Menschen, die noch auf den Straßen waren. Dann gab es eine längere Feuerpause, und die ersten Einwohner liefen auf die Straßen zu ihren verletzten und toten Verwandten, die sich nicht mehr rechtzeitig vor dem Beschuss hatten retten können. Der Stille folgte ein Donnern: Die erste MiG-17 flog über die Stadt und warf ihre tödliche Fracht dort ab, wo die Raketen Häuser stehen gelassen hatten.

Während einer weiteren Feuerpause räumte sich Ahmad den Weg durch die Trümmer frei und suchte mit einigen seiner Weggefährten nach Verschütteten. Die Stadt war jetzt schon nicht mehr wiederzuerkennen. Ihm drehte sich vor Wut und Trauer der Magen um, und seine Augen brannten, als er die kleine Gestalt eines toten Mädchens unter einem Schutthaufen hervorzog. Da wurden sie erneut von den MiG-Flugzeugen überrascht. Die donnerten nun im Tiefflug über die Hauptstraßen hinweg und schossen mit Bordwaffen auf alles, was sich zwischen den Schuttbergen bewegte.

Mit einem Schrei fiel einer seiner Kameraden hinter Ahmad um. Er hatte eine Kugel, die Ahmad getroffen hätte, mit seiner Brust abgefangen. Kalte Gewissheit machte sich in Ahmad Ali Tur breit. Als die Flugzeuge über ihnen verschwunden waren, kniete er neben seinem Mann nieder. Glühender Hass stieg in ihm auf und er schwor sich: Siad Barre, du kannst Menschen nicht mit Bomben zur Zusammenarbeit bewegen. Ich werde diesem Morden ein Ende bereiten!

Drei unendlich lange Jahre später, am 18. Mai 1991, war Präsident Siad Barre endlich gestürzt worden und hatte Somalia verlassen. Nach einem bitteren Krieg versank das Land im Chaos. Jeder der mächtigen fünf Clans beanspruchte die Herrschaft für sich, und der Herrschaftsanspruch heizt den Bürgerkrieg im größeren Teil von Somalia bis heute an.

Die Menschen wollten endlich Frieden. Doch die Bildung einer neuen Regierung gestaltete sich als schwierig, dafür war zu viel Hass in den Herzen. Zu viele waren gestorben. Aber sie mussten etwas tun, ihr Land wieder aufbauen, in die Zukunft blicken. Unter Ahmad Ali Turs Leitung organisierte das Somali National Movement eine Versammlung von Clanältesten in den Trümmern der zerbombten Stadt Burao. Womit er nicht gerechnet hatte, war der immense Druck der Isaaq im Norden nach Unabhängigkeit. Doch der Ruf nach einem eigenen Staat war nachvollziehbar. Schon unter den Briten war die Region autonom vom damals italienisch besetzten Somalia. Nach dem Schrecken des Krieges und der Brutalität der südlichen Clans wollten die Menschen nichts mehr mit diesem Aggressor zu tun haben. So kam es, dass Ahmad Ali Tur an diesem Tag die Unabhängigkeit Somalilands vom restlichen Somalia ausrief. An diesem Tag war er neunundfünfzig Jahre alt.

„Zuerst die Engländer, dann die Russen und zum Schluss die südlichen Clans mit amerikanischer Unterstützung“, rief er, „alle haben versucht, uns unser Land zu stehlen, uns ihre Lebensweise aufzudrängen. Wir leben hier schon seit Menschengedenken. Es sind unsere Bäume, unsere Weiden, unser Vieh. Alles, was wir wollen, ist, in Frieden zusammenzuleben. Wir haben es satt, von anderen vorgeschrieben zu bekommen, wie wir unsere Gesetze auslegen, unseren Glauben leben oder unsere Frauen behandeln. Sie sollen uns in Ruhe lassen. Mit der Bombardierung von Hargeisa und Burao ist Somalia als Land in Schutt und Asche versunken, es ist gestorben. Wir wollen mit den anderen Clans nichts mehr zu tun haben. Sie haben für Barre gekämpft, unsere Frauen vergewaltigt, unsere Kinder ermordet und unsere Häuser zerstört. Schluss jetzt! Wir sind die Isaaq, das war schon immer unser Land und es wird auch unser Land bleiben. Wir erklären uns unabhängig. Wir wollen ein freies Volk sein. Wir beenden die unheilvolle Vereinigung mit dem italienischen Somalia!“

Während seiner Ansprache nickten die Clanältesten und riefen zustimmende Worte. Ahmad Ali Tur erhob sich: „Wir rufen heute ein unabhängiges Somaliland aus – die islamische Republik Somaliland. Wir, die Mitglieder des Isaaq-Clans und aller befreundeten Clans auf dem Gebiet des ehemaligen englischen Somalilands!“

Eine junge Frau, gerade mal neunzehn Jahre alt, saß mit ihrer Mutter und ihren vier Geschwistern hinter dem Wortführer. Ihre Gedanken schweiften ab, in das sechstausend Kilometer entfernte Berlin, zu diesem jungen Deutschen, den sie letztes Semester kennengelernt hatte und der an diesem Tag auf den Stufen des Eingangsportals der Humboldt-Universität vergeblich auf sie wartete. Es war Fatima Ali Tur, Ahmad Ali Turs jüngste Tochter. Sie wurde in Äthiopien geboren und lebte mit ihren Eltern von 1978 bis 1981 in der DDR in der somalischen Botschaft, wo sie Deutsch gelernt und Erfahrungen mit dem Sozialismus gemacht hatte. An der Humboldt-Universität in Ostberlin hatte sie ihr Studium der Geschichte und Philosophie begonnen. Zu diesem besonderen Tag hatte ihr Vater sie überraschend nach Burao zurückgeholt, sodass sie sich nicht mehr von dem jungen Deutschen hatte verabschieden können.

Fatima strahlte und winkte ihrem Vater zu, als er die Unabhängigkeit von Somaliland ausrief. Sie wusste, wie lange er für diesen Moment gekämpft und gelitten hatte. Und dass dieser Tag gerade noch um ein Vielfaches historischer geworden war als ohnehin gedacht, erfüllte ihr Herz mit glühendem Stolz. Stolz auf ihren Vater, Stolz auf ihr Land, Stolz auf ihr Volk.

Kapitel 1 – Montag, 3. Mai 2021

Chris Azikiwe schrieb in seinem Büro auf der Düsseldorfer Königsallee an einer Pressemitteilung, die demnächst von der Rheinischen Post veröffentlicht werden sollte, und machte erste Korrekturen.

Somaliland ist eine autonome Republik des ostafrikanischen Landes Somalia und liegt an der Südküste des Golfs von Aden. Das Land ist international nicht als souveräner Staat anerkannt. Es grenzt im Osten an Somalia, im Nordwesten an Dschibuti und im Süden und Westen an Äthiopien. Das Gebiet umfasst eine Fläche von 137.600 Quadratkilometern mit rund 3,5 Millionen Einwohnern. Damit hat es die Größe von England ohne Schottland und Wales, aber nur sechs Prozent der Bevölkerung. Die Hauptstadt ist Hargeisa mit rund 1,3 Millionen Einwohnern. Offizielle Sprachen sind Somali, Arabisch und Englisch.

Bis hierhin nur Fakten, die waren in Ordnung.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt als Nomaden von der Viehzucht und leidet dadurch unter den immer heftiger werdenden Dürreperioden. Viele Menschen verlieren ihr Zuhause und suchen Zuflucht in Übergangslagern, nachdem sie wegen der Dürre ihre Tiere und damit ihren Lebensunterhalt verloren haben. Derzeit sind achtzig Prozent der Einwohner von Somaliland ohne medizinische Versorgung, und jedes fünfte Kind stirbt vor seinem fünften Geburtstag. Der Alltag für die Menschen ist ein Kampf. Wasserknappheit ist ein riesiges Problem, das zu Unterernährung führt …

Nein, mit solchen Informationen konnten sie keine Investoren für ihren neuen Fonds begeistern. Chris strich diesen Absatz und fuhr sich mit den Fingern grübelnd durch seine langsam wieder nachwachsenden krausen Locken. Dann tippte er einen neuen Text:

Somaliland ist ein sich schnell entwickelndes Land. Mithilfe von deutschen und internationalen Partnern wurde in den vergangenen sechs Jahren eine Wasserversorgung mit frei zugänglichen Brunnen für die Bevölkerung aufgebaut. Die Bewässerung von Feldern für Viehzucht und Ackerbau wird immer weiter verbessert. Die neue Meerwasserentsalzungsanlage liefert ganzjährig sauberes Wasser. Energie liefert die Sonne über ein autarkes Stromnetz, das seit Jahren stabil betrieben wird. Somaliland ist das erste Land der Erde, das zu hundert Prozent auf erneuerbare Energie setzt.

Chris hatte am Wochenende seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert. Er war ruhig und zielstrebig und hatte nach seinem Masterstudium in Elektrotechnik das Angebot angenommen, bei Ray Capital als Investmentmanager anzufangen und parallel noch einen MBA draufzusetzen. Schon während seines Studiums hatte er in der vorlesungsfreien Zeit für den Finanzinvestor Analysen und Präsentationen erstellt und sich von Anfang an mit allen Kollegen sehr gut verstanden. Seit vier Jahren war Chris nun stolzes Mitglied dieses kleinen, aber schlagkräftigen Teams.

„Hey, du Streber!“ Ein beherzter Schwinger auf seine Schulter riss Chris aus seinen Gedanken.

„Selber hey, du Maschine“, erwiderte er und rieb sich die Schulter.

Rufus Wagner, ein breitschultriger 1,89 Meter großer Rotschopf und einer der Partner von Ray Capital, brach in sein dröhnendes Lachen aus. „Das kannst du ab, mit deinem halben Bodybuilderbody! Los jetzt, schwing dich hier raus, wir gehen ins Füchschen!“

„Aber …“

„Kein Aber, schreib den Kram morgen zu Ende. Hopp hopp!“

Chris seufzte theatralisch auf und speicherte seine Pressemitteilung ab. Rufus polterte ins Büro nebenan und animierte Ansgar Johansson, den zweiten Partner der Firma, dazu, ebenfalls eine Pause zu machen. Es war ein langer Tag gewesen, wie eigentlich jeder Tag seit Lockdown-Ende und seit sie wieder wie ein normales Team im Büro arbeiten konnten.

Im Hinausgehen warf Chris einen schnellen Blick in den Spiegel im Flur. Er war am Wochenende erst wieder beim Friseur gewesen, deswegen war er mit seinem Spiegelbild mehr als zufrieden. Sein Bart war vom Kinn über die Wangenpartie perfekt gestutzt, der Bogen über der Oberlippe wieder ein feiner Strich, und kein krauses Wirrwarr, das seine vollen Lippen kitzelte, und der Haaransatz an der Stirn war wieder ordentlich abgerundet.

„Wenn du es unbedingt wissen musst: Ja, du siehst aus, als wärst du Hollywood entlaufen“, zog Rufus ihn wieder lachend auf.

„Kann ja nicht jeder hier von uns behaupten“, konterte Chris mit einem süffisanten Grinsen. „Außer Marlene, natürlich.“

„Du Charmeur“, feixte die blonde Investmentdirektorin Marlene Dabrowski.

Das brachte auch Ray Klein, den Gründer und dritten Partner von Ray Capital, zum Lachen, der auf seine Truppe bereits im Treppenhaus wartete.

Sven Schmidt schmiss seine Boxhandschuhe zufrieden in seinen Spind. „Richtig gutes Training heute, Henri“, nickte er seinem Schüler zu. „Du wirst jedes Mal besser, bleib dran!“

Der Bursche war erst Anfang zwanzig, hatte sich in den letzten Wochen aber prächtig gemacht. Selbst in der kurzen Zeit waren seine Schultern und Brust schon breiter geworden, und er wirkte nicht mehr so dürr. Aus dem wird mal ein guter Schwergewichtler, dachte Sven. Auch aus dem anfangs missmutigen Gesicht kam Sven heute schon ein grimmiges Grinsen entgegen, während Henri sich die blutige Nase mit seinem Handtuch abtupfte. „Danke, Coach!“

Sven klopfte ihm auf die Schulter und schlenderte durch die Studioräume zum Versammlungsraum. Hier herrschte schon Partystimmung und Vorfreude auf das heutige Fußballspiel der Fortuna. Einer seiner Kumpels reichte ihm sofort eine Flasche Altbier, und sie stießen lautstark an. Die Energie war elektrisierend, Sven labte sich daran. Genau diese Kraft war es, die er vor seinem inneren Auge gesehen hatte, als er dieses Haus als Garnison der Kameradschaft gekauft hatte.

„Auf geht’s ins Stadion!“, lallte Ralf und schwenkte seine Flasche über den Kopf.

„Nein, wir schauen uns das Spiel heute in der Altstadt an“, entschied Sven.

„Altstadt? Was willst’n da? Die anderen Kameraden sind doch alle im Stadion. Auf der Südtribüne ist doch die beste Stimmung!“

Sven leerte sein Alt in einem Zug und bedachte Ralf mit einem sengenden Blick. Um sie herum war es mit einem Mal mucksmäuschenstill geworden. „Weil ich hier die Entscheidungen treffe und nun mal momentan nicht ins Stadion kann.“

„Ey, das war so eine Scheißaktion von den links-grün versifften Ultras! Ich hätte mit dir auf den Zaun steigen sollen“, erboste sich Olli. „Dann hätten wir denen allen mal gezeigt, was wahrer Vaterlandsstolz ist!“

Die Gruppe brach in zustimmendes Grölen aus, nur Ralf hatte offenbar noch nicht genug mit dem Feuer gespielt. Zu viel Bier hin oder her, aber jetzt überspannte er den Bogen. „Wir müssen ja nich’ drauf verzichten, nur weil man dich nach’m Gruß aus’m Stadion wirft.“

Sven baute sich vor ihm auf und schaute ihm tief in die leicht glasigen Augen. „Willst du mir etwa vorschreiben, wo wir hingehen? Sag noch einmal so ’ne Scheiße und du kannst dir ’ne neue Familie suchen.“

„Mensch, Ralf, nächstes Mal solltest du weniger saufen, damit du nicht so einen Stuss von dir gibst!“, schritt Olli beschwichtigend ein. „Kommt, Leute, packt eure Sachen, wir fahren mit Sven in die Altstadt!“

Wie aus einer Kehle stimmte seine Truppe ihren Gesang an und kam wieder in Wallung. „Olé, olé olé olé“, klang es durch den Raum. Ralf nuschelte eine Entschuldigung in Svens Richtung, der ihn nicht mal eines Blickes bedachte. Er hatte gute Laune und freute sich auf das Spiel.

Nur fünfzehn Minuten nachdem sie ihr Büro verlassen hatten, stand das Team von Ray Capital schon vor dem Füchschen in der Ratinger Straße. Heute fand das Nachholspiel Fortuna Düsseldorf gegen den Karlsruher SC statt, Spielbeginn 20.30 Uhr in der Merkur Spiel-Arena. Ursprünglich hätte das zweite Ligaduell am zehnten April ausgetragen werden sollen, doch musste das gesamte KSC-Team wegen eines positiven Coronafalls in eine vierzehntägige Quarantäne. Die 2020/21er-Saison war für die Fortuna bisher nicht besonders rund gelaufen. Stabiles Mittelfeld. Na ja. Und heute war der KSC zu Gast. Ein schwerer Brocken.

Eigentlich wollten sie draußen an einem der Stehtische das Spiel verfolgen, aber es hatte gerade angefangen zu regnen, und sie schlossen sich der Schlange ins Innere des Lokals an. Chris fielen zwei junge, dunkelhäutige Frauen auf, die unentschlossen vor dem Eingang miteinander redeten. Sie waren ein ungleiches Pärchen, die eine groß und schlank, die andere deutlich kleiner und kräftiger. Bei dem Geräuschpegel konnte er nicht hören, was sie sagten, aber es war offensichtlich, dass sie sich uneinig waren.

„Meinst du wirklich, dass wir hier reinsollen? Lass uns doch lieber in ein Café oder von mir aus eine ruhige Bar gehen“, schlug Zola vor.

„Ach, Zola, jetzt stell dich doch nicht so an. Wir müssen die Gelegenheit doch auch mal nutzen, erst recht nach diesem fürchterlichen Lockdown. Komm, lass uns hier in Ruhe was trinken. Außerdem interessiert mich das Spiel“, sagte Waris, die Kleinere von beiden.

Die beiden Freundinnen hatten sich an ihrem freien Tag zum Lernen getroffen und waren danach in die Altstadt gefahren. Sie wollten wieder unter Leuten sein, das pulsierende Leben der Altstadt spüren. Das allein schien Waris aber nicht zu reichen, sie war schon immer die Widerborstigere der beiden gewesen. Deswegen waren sie sich auch jetzt wieder uneinig, was keine gute Ausgangslage war, wenn man bei Regen unter einem Schirm beieinander untergehakt war. Zola hatte ihren Schirm zu Hause vergessen und feststellen müssen, dass es für eine Jeansjacke noch zu frisch war. Sie fror und wäre gerne irgendwo im Warmen, aber Waris’ Wahl schreckte sie ab.

„Ich halte das wirklich für keine gute Idee“, mahnte Zola, während sie in der Menge vor dem Füchschen standen. Die Stehtische waren trotz des kühlen, verregneten Frühlingstags von Leuten umringt, und auch drinnen schien ausgelassene Stimmung zu herrschen. Sie wollte doch genauso sehr wie Waris ausgehen und sich wie eine normale junge Frau fühlen. Aber sie kam sich allein wegen ihrer Hautfarbe schon von draußen wie ein Fremdkörper vor und wäre am liebsten wieder zurückgegangen.

„Wir sind gleich klatschnass, und das Spiel fängt auch an. Außerdem merke ich, wie du zitterst. Also sei nicht so!“, schimpfte Waris.

Zola wollte gerade zu einem entschiedenen Protest ansetzen, als ihr Blick den des jungen Schwarzen streifte, der mit einer Gruppe älterer Herren und einer schick gekleideten Frau mittleren Alters das Füchschen betrat. Etwas an den Augen des Mannes ließ sie innehalten, und ohne überhaupt darüber nachgedacht zu haben, lächelte sie ihm zu. Er lächelte etwas verlegen zurück und folgte seiner Gruppe.

„Na gut, dann lass uns eben hier rein“, sagte Zola zu Waris.

Ihre Freundin zog die Brauen hoch und bedachte sie mit einem vielsagenden Blick und schwer unterdrücktem Grienen. „Ach, so läuft das also, ja? Meine Überredungskünste lassen dich völlig kalt, aber kaum kommt da so ein hübscher Kerl daher … gib’s zu, du bist jetzt nur umgestimmt, weil er dir schöne Augen gemacht hat. Oder“, hier hielt sich Waris in gespieltem Schock die Hand vor den Mund, „liegt es nur daran, dass wir dann nicht die einzigen Schwarzen da drin sind?“

„Willst du jetzt hier rein oder nicht, du Überredungskünstlerin?“, erwiderte Zola genervt.

Währenddessen ließ der Köbes, wie man den Kellner in rheinischen Brauhäusern nennt, die Gruppe von Ray Capital hinein und wies ihnen ihren Lieblingsplatz an einem der höheren Tische mit den Hockern zu. Ray, der Älteste am Tisch, bestellte die erste Runde. Nach dem langen Tag hatten sie sich nun ein paar Feierabendaltbiere verdient. Vier Alt und eine Cola. Nicht dass man hier überhaupt bestellen musste: Der Köbes brachte so lange Getränke, bis man einen Deckel auf das leere Glas legte. Die Hausbrauerei war berühmt für meisterhaft gebrautes Bier und die knusprigste Haxe der Stadt. Für diese beiden Spezialitäten kamen die Düsseldorfer hierher. Die Touristen vergnügten sich derweil auf der Bolker Straße, die zwei Querstraßen entfernt in sicherem Abstand lag. Hier gab es stattdessen gemütliche Fanstimmung auf mehreren großen Fernsehern im rustikal eingerichteten Gastraum.

Sie sahen nicht aus wie die Investmentbanker, die sich in Frankfurt abends in Anzug und Krawatte in den schicksten Edelrestaurants zu übertreffen versuchten. Im rheinischen Düsseldorf lief alles etwas gemütlicher. Jeans, Poloshirts, weiße Sneaker. Marlene bevorzugte im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen ein figurbetontes blaues Strickkleid.

„Rufus, morgen fliegst du ja wieder nach Hargeisa, du Glückspilz. Grüß uns die Sonne“, sagte Ansgar gerade und stieß mit den anderen an. Er war robust gebaut und hatte lichte, dunkle Haare.

„Ja, mache ich. Hab’ noch einiges zu tun, bis Berbera-3 im Februar ans Netz gehen soll. Der Countdown läuft“, strahlte Rufus euphorisch.

„Wie läuft’s denn auf der Baustelle?“, wollte Chris, der Jüngste unter den Anwesenden, wissen.

„Der Turm ist schon zweihundert Meter hoch, es ist einfach gigantisch. Ich liebe es, da oben auf dem Baugerüst zu stehen und in die Wüste, auf das Meer und auf unser riesiges Solarfeld zu sehen.“

Rufus berichtete begeistert und ausführlich von den erfreulichen Fortschritten von dem Projekt unter seiner Leitung, einem der größten Solarprojekte in Afrika. Nach kurzer Zeit führte der Köbes die beiden jungen Frauen, die Chris schon vor dem Eingang aufgefallen waren, ausgerechnet an den freien Tisch neben ihrem und nahm unfreundlich, wie so ein Köbes eben sein muss, ihre Bestellung auf: ein Alt, eine Cola. Rufus, dem die beiden auch direkt auffielen, kam schnell mit ihnen ins Gespräch, und die anderen Männer prosteten ihnen zu. Die Kleinere der beiden ging sofort auf Rufus’ lockeren Plausch ein. Die Schüchterne, Zola, sah wieder kurz zu Chris hinüber, der scheu wegschaute. Auch wenn man es, ausgehend von Chris’ Erscheinung, gar nicht meinen würde, war die sonst entspannte Art in Anwesenheit einer Frau, die ihm gefiel, wie weggeblasen. Und auch wenn sie nicht seinem Frauentyp entsprach, stach Zolas unschuldig wirkende Schönheit Chris sofort ins Auge. Sie war groß und schlank, hatte einen langen Hals und ein zum Kinn spitz zulaufendes Gesicht mit einer hohen Stirn und schmalen, dunklen Augen.

Die beiden dunkelhäutigen Frauen weckten aber auch das Interesse einer Gruppe junger Männer am anderen Tisch, Kerle mit kurzrasierten Haaren und schwarzen Bomberjacken. Der Köbes konnte gar nicht schnell genug rennen, um ihre leeren Altbiergläser einzusammeln und eine neue Runde auf den Tisch zu stellen. Die Fortuna spielte gut, die Stimmung war feuchtfröhlich. Klar wäre es im Stadion noch lustiger, aber eigentlich schadet so ein bisschen Abwechslung ja auch keinem. Zumal wenn sich hier zwei solche Sahneschnitten zeigen. Schokoladensahneschnitten, die sind ab und an auch mal eine Kostprobe wert, dachte Sven. Nachdem er sie eine Weile begutachtet hatte, stand Sven auf und ging zum Tisch, an dem Zola und Waris saßen.

Chris und seinen Kollegen entging nicht, wie der kleine drahtige Mann die beiden jungen Frauen ungeniert anquatschte. „100% Pure Viking Blood“ blitzte als Schriftzug auf dem T-Shirt unter seiner Lederjacke hervor, er trug glänzende Springerstiefel. Wenig später waren die beiden Freundinnen schon von der Horde Stiefelträger vom Nachbartisch umringt.

„Die sind auf Krawall gebürstet“, stellte Ansgar überflüssigerweise fest und rückte seine eckige Hornbrille in seinem runden Gesicht zurecht.

Wie selbstverständlich packte Sven nach einem kurzen Wortwechsel Zola an den Hintern und versuchte, sie an sich zu ziehen. Reflexartig verpasste sie ihm eine schallende Ohrfeige, doch er zeigte sich davon völlig unbeeindruckt und lachte bloß. „Gib’s ihr richtig!“, lallte einer von seinen Saufkumpanen. Die anderen grölten. Die Empörung und der wütende Trotz in Zolas Augen wurden mit einem Mal von Angst überlagert.

Wie auf Knopfdruck stieg in Chris brennende Wut hoch. Instinktiv strich er mit der linken Hand über die große Narbe auf seinem rechten Unterarm und fuhr mit dem Zeigefinger den narbigen Rand ab. Er konnte nicht zulassen, dass so ein Naziarschloch einer jungen Frau eine solche Angst machte und sich so widerlich verhielt. Das konnte er ihm nicht durchgehen lassen! Mit weichen Knien und ohrenbetäubend pochendem Herzen erhob sich Chris von seinem Hocker. Er schob sich vorbei an Rufus, der wenige Momente zuvor schon völlig empört aufgestanden war, und tippte dem Grapscher auf die Schulter: „Sie möchte ganz offensichtlich nicht belästigt werden.“

Sven drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm um. Innerhalb von Sekundenbruchteilen ermittelte sein geübter Boxerverstand, dass der größere, etwas unsicher wirkende Kerl für ihn nicht mal ein Aufwärmprogramm war. „Was willst denn du Neger von uns?“

Bevor die anderen es überhaupt mitbekamen, geschweige denn eingreifen konnten, lag Chris nach einem kurzen Kopfstoß auf dem Boden und blutete an der Lippe. Marlene kniete sich zu ihrem Kollegen und versuchte, ihm beim Aufsetzen zu helfen. Zufrieden hatte Sven sich wieder zu dem hübschen jungen Ding gedreht, doch Zola spuckte ihm ins Gesicht. Ihre Stimme triefte vor Verachtung, als sie ihn ohne einen Funken Angst beschimpfte: „Du Arschloch!“

Das brachte das Wikingerblut endgültig zum Kochen. Mit hochrotem Gesicht wollte Sven auf den noch am Boden liegenden Chris nachtreten. Doch Rufus stellte sich mit einem großen Schritt dazwischen und drückte den Kerl gegen seine gestiefelten Kumpane. „Pass auf, mit wem du dich anlegst, du Wichser.“

Den großen, kräftigen Rufus würde er mit einem Kopfstoß nicht überraschen können. Mit blanker Wut in den Augen trat Sven einen Schritt auf sein Gegenüber zu und wollte mit einer Faust ausholen. Doch noch ehe es zu einer echten Kneipenschlägerei eskalieren konnte, ging der Köbes mit zwei großen Rausschmeißern dazwischen. Gemeinsam komplementierten sie die Bomberjacken hinaus und erteilten ihnen Hausverbot.

„Du Negerschlampe, dich krieg’ ich noch!“, rief Sven mit zurückgedrehtem Kopf. Während sein linker Arm im Polizeigriff des Rausschmeißers verharrte, streckte er den rechten gerade nach vorne und setzte aus dem Türrahmen hinterher: „So verabschieden wir uns hier in Deutschland!“

Ansgar schüttelte sprachlos und mit hochgezogenen Brauen den Kopf und bestellte eine Runde Alt für alle, um die Aufregung besser zu verdauen. Derweil suchte Rufus erneut das Gespräch mit den beiden Frauen. Während die Kleinere, Waris, sich dankbar darauf einließ, hatte sich Zola an der Theke Eiswürfel in einer Serviette besorgt und kühlte damit Chris’ Lippe. Nachdem Zola ihm mit einer frischen Serviette das Blut abgetupft hatte, klebte sie Chris ein Klammerpflaster auf die Lippe. Auf Rays fragenden Blick erklärte sie mit einem unbeeindruckten Schulterzucken, dass sie das immer in ihrer Handtasche hätte.

Als Ansgar das Alt an seine Freunde und die beiden Frauen verteilte, schlug Ray vor: „Lasst uns Du sagen.“ Die Stimmung entspannte sich. Es war eine lustige Runde, angespornt durch die Erleichterung, dass der Streit nicht noch weiter eskaliert war. Dabei konnte Zola ihre Augen nicht von Chris lassen und betrachtete ihn neugierig. Er war etwas älter als sie – sie war gerade neunzehn geworden – und mit seinen kurzen schwarzen Locken und den großen dunkelbraunen, hell leuchtenden Augen viel hübscher als die meisten Deutschen hier in der Kneipe. Er war groß und wirkte trainiert, seine Schultern und Arme füllten sein Poloshirt gut aus. Mut besaß er auch, sonst hätte er sich nicht einem groben Schlägertypen entgegengestellt. Hat er das für mich gemacht? Wieso hat er das getan?

Zolas Gedanken fuhren Karussell, was ihrer Freundin natürlich nicht entging. Waris grinste ab und an zu ihr herüber, während sie vergnügt über Rufus’ Anekdoten lachte und an ihrem Alt nippte. „Hatte ich also mal wieder recht damit behalten, dich zu deinem Glück zu zwingen?“, raunte sie Zola zwischendurch zu.

„Auf die Szene vorhin hätte ich jedenfalls sehr gut verzichten können“, erwiderte Zola.

„Na, aber dafür hast du’s dem Arschloch richtig gezeigt. Ich wusste gar nicht, dass du so Zähne zeigen kannst!“

Etwa eine Stunde später kamen drei junge, schwarze Männer ins Füchschen. Sie hatten nicht reserviert, und da die Kneipe gut gefüllt war, ließ der Köbes am Eingang sie nicht herein. Einer der Männer redete aber unentwegt auf ihn ein und zeigte auf den Tisch mit den beiden jungen Frauen. Schließlich ließ der Köbes sie doch durch.

„Yusuf, was machst du hier?“, fragte Zola erschrocken, als der Neuankömmling plötzlich an ihren Tisch kam.

„Das könnte ich dich auch fragen. Du hast nichts gesagt. Wir haben uns Sorgen gemacht. Komm mit, wir gehen nach Hause.“

Yusuf führte seine Schwester und Waris die Ratinger Straße durch das lebhafte Getümmel der Altstadt hinunter, begleitet von seinen zwei Freunden. Vom Ray-Capital-Team hatten sie sich hastig verabschiedet. Es regnete nicht mehr, aber Waris hakte sich trotzdem bei ihrer Freundin unter, als stummer Beistand.

„Woher wusstest du, wo ich bin, Bruder?“, fragte Zola angespannt.

„Dein iPhone hat dich verraten“, antwortete Yusuf knapp.

Wie sie das hasste! Es war doch nichts dabei, an ihrem freien Tag mit einer Freundin in die Altstadt zu gehen. Aber nein, schon hetzten ihre Eltern ihren Bruder wie einen Bluthund auf ihre Spur.

„Gerade heute hätte es euch echt nicht geschadet, ein paar normale Männer dabeizuhaben“, meinte einer von Yusufs Freunden.

„Was soll das denn heißen?“ Den vernichtenden Blick ihrer Freundin brauchte Zola gar nicht vor sich sehen. Ihre Stimme transportierte diesen genauso treffend in Richtung der drei Männer.

„Ah ja, wenn ihr halt etwas mehr von der Welt da draußen verstehen würdet, wäre euch sofort klar, warum ihr Frauen euch anständiger benehmen solltet.“

Zola packte Waris fest bei der Hand. Einerseits, um sich selbst davon abzuhalten, Widerworte zu geben, andererseits, um ihre Freundin davon abzuhalten, auf Yusufs Freund loszugehen. Auch wenn sie ihr da keinen Vorwurf machen konnte, diese und ähnliche Sprüche klingelten ihnen beiden schon zu lange in den Ohren.

„Damit hast du nicht meine Frage beantwortet, du Schlaumeier.“

„Ah ja, es spricht sich halt sofort herum, wenn Nazispastis aus ’ner Kneipe geworfen werden. Erst recht, wenn es wegen zwei schwarzer Frauen ist.“

„Und dass sich zwei schwarze Frauen in die Urkneipe überhaupt trauen, ich mein’, das allein spricht sich schon herum wie nix“, ergänzte der zweite Kumpel.

„Wie ihr überhaupt so blöd sein konntet, euch einen der Spieltage für euren unnötigen Ausflug auszusuchen … auf so eine Idee muss man erst mal kommen.“

Sie stiegen die Treppen an der Heinrich-Heine-Allee hinunter zur U-Bahn. Zola versuchte, sich so stoisch wie möglich zu geben, was ihr unfassbar schwerfiel. Doch sie kam ins Grübeln, denn so ganz falsch waren die Worte von Yusufs Freunden ja nicht. Egal wie deutsch sie war, stach sie nun mal unweigerlich heraus und musste noch mehr aufpassen, als es weiße Frauen eh mussten. Die heutige Aktion war wirklich nicht besonders schlau von ihr gewesen. Dennoch zerrte dieser ewige Konflikt innerlich an ihr. Sie war weder das eine noch das andere, passte weder zu hundert Prozent hierhin noch dorthin. Warum konnte sie nicht einfach so leben wie alle anderen?

Nach drei Stationen verließen Zola, Yusuf und seine Freunde am Hauptbahnhof die Bahn, nachdem Waris ihren Arm mit einem sanften Druck und Mut zusprechendem Blick losließ. Sie kamen über die Rolltreppe im Hauptbereich des Hauptbahnhofs an, und Yusuf verabschiedete sich mit einem Handschlag von seinen Freunden. Die Geschwister durchquerten den Hauptbahnhof und standen wenige Minuten später vor dem Restaurant Hargeisa in der Worringer Straße, das von ihren Eltern betrieben wurde. Montags war Ruhetag. Die Wohnung der Familie Ghalib befand sich direkt über dem Restaurant.

„Du gehst sofort auf dein Zimmer. Ich gehe zu Vater und werde ihn beruhigen.“

Bevor Zola etwas entgegnen konnte, hörten sie schwere Schritte und drehten sich um. Die vier Bomberjackentypen hatten sich wie aus dem Nichts hinter ihnen aufgebaut.

„So, ihr Scheißnigger, hier wohnt ihr also. Habt es uns echt leicht gemacht, euch zu folgen“, sagte der drahtige Anführer. Seine Stimme bebte vor unterdrückter Wut und der Erregung über den ihm nun zustehenden Triumph. Sie waren zahlenmäßig klar überlegen, und diesmal kein Rausschmeißer weit und breit. Die Schmach von vor einer Stunde knabberte an seinem Ego, aber das Blatt würde sich nun wenden.

„Das sind die Typen aus dem Füchschen“, flüsterte Zola ihrem Bruder zu. „Pass auf, die fackeln nicht lange.“

„So, und ihr seid die Nazis, die Mädchen begrapschen“, entgegnete Yusuf kühn und schob die verängstigte Zola mit einem Arm hinter sich in Richtung Hauseingang.

„Wir beobachten euch schon lange und sorgen dafür, dass ihr euch hier nicht so breit macht.“ Die vier kamen langsam auf Yusuf zu, mit Sven an der Spitze.

„Keinen Schritt weiter, du Arschloch. Sonst kriegst du eine verpasst.“

Sven grinste. Was meinte der hagere schwarze Pisser eigentlich, wer er war? Als er mit dem rechten Arm zum Faustschlag ausholen wollte, lag plötzlich ein Messer auf seiner Wange. Vor Erstaunen wäre Sven um ein Haar zurückgewichen, doch er widerstand dem Instinkt und stemmte die Füße in den Boden. Diese Blöße würde er sich nicht geben. Wie konnte dieser Kameltreiber überhaupt so schnell ein Messer ziehen?

„Haut ab, sofort, und euch passiert nichts“, sprach Yusuf in ruhigen, klaren Worten.

Zola sah ihren Bruder zum ersten Mal in ihrem Leben so bedrohlich. Ihr stockte der Atem, nicht bloß aus Angst vor den Nazis, sondern auch vor Ehrfurcht vor ihm.

Aber Sven konnte eine zweite Niederlage an diesem Abend nicht akzeptieren. Mit mahlendem Kiefer und mit vor Hass sprühenden Augen rief er seinen Jungs zu: „Auf ihn!“ Die setzten sich in Bewegung. Sie waren geübte Schläger, und der Befehl ihres Anführers war klar.

Keine Sekunde später zuckte Yusufs Hand kurz auf, und sein Messer zischte quer über Svens Gesicht. Die Klinge hinterließ eine lange, klaffende Wunde auf der rechten Wange. Blut spritzte. In Svens Augen blitzten Unverständnis und Schmerz auf, und Yusuf nutzte das Überraschungsmoment. Er versetzte Sven noch einen heftigen Ellenbogenstoß in den Solarplexus und stieß ihn auf seine herannahenden Freunde. Währenddessen hatte Zola schon weitergedacht und öffnete mit zitternden Händen die Tür, sodass sie und Yusuf ins Haus eilen konnten, bevor die Schläger sich sortierten. Sie verriegelten die Tür und rannten keuchend die Treppe hoch, während der laute, wutverzerrte Schrei von draußen in ihren Ohren hallte.

Kapitel 2 – Dienstag, 15. Juni 2021

In der schwülen Sommerhitze schlenderten Chris und Zola die Rheinpromenade entlang. Als sie ihn ein paar Tage nach ihrem Ausflug ins Füchschen einfach nicht aus ihrem Kopf bekommen konnte, hatte Zola kurzerhand den Namen seiner Firma gegoogelt. Den hatte sie sich im ganzen Trubel gemerkt. Nachdem sie Chris auf der Webseite von Ray Capital entdeckt hatte, musste sie sich dann doch erst mal ein paar weitere Tage ein Herz fassen. Schließlich nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und schrieb ihm eine Mail. Zugegeben, Waris hatte ihr stundenlang gut zusprechen müssen, ehe sie es sich endlich traute auf „Senden“ zu klicken. Als dann auch noch binnen weniger Minuten eine Antwort von ihm kam, hätte Zola vor lauter ungläubiger Aufregung Waris beinahe ihr iPhone gegen den Kopf geschleudert.

Nun waren schon sechs Wochen vergangen. Dienstags hatte Zola Berufsschule, und danach war das erste Treffen mit Chris. Er hatte den Schlossturm, das Wahrzeichen Düsseldorfs, als Treffpunkt vorgeschlagen. Als sie über den Burgplatz mit schnellen, grazilen Schritten auf ihn zukam, stockte ihm der Atem: So attraktiv hatte er sie gar nicht in Erinnerung. Zola trug eine luftige, bunt gestreifte Leinenhose und ein schwarzes Crop-Top mit einer locker sitzenden, beigen Bluse darüber. Der herzförmige Ausschnitt des Tops betonte dabei die Form ihrer zarten Rundungen, sodass Chris sich darauf konzentrieren musste, nicht auf ihr Dekolletee zu starren. Oder auf den feinen Streifen brauner Haut auf Höhe ihrer schlanken Taille, der ab und zu hervorblitzte, je nachdem, wie sie sich gerade bewegte. Sie schlenderten die Rheinpromenade in Richtung Apollo Theater entlang, vorbei an den Kasematten. Die Sonne schien, und ein Eis kühlte sie etwas ab. Sie unterhielten sich über gefühlt alles. Zumindest, nachdem sie ein wenig aufgetaut waren, wobei Zola sich vom ersten Augenblick an in Chris’ Gegenwart sehr wohlfühlte.

Zola erzählte, dass sie ständig von ihrem Bruder überwacht würde, nicht alleine ausgehen dürfe, die alten Traditionen ablehne, ihre Eltern aber zu sehr liebe und sich nicht einfach aus ihrem sozialen Umfeld lösen könne. Dass sie gerne Medizin studiert hätte, aber ihre Mutter lieber möchte, dass sie einen muslimischen Mann heiratet und Kinder bekommt, statt Ärztin zu werden, obwohl ihre hervorragende Abiturnote ihr alle Türen geöffnet hätte. Als Zola das erste Mal diese Gedanken offen aussprach, war sie selbst erschrocken, wie unaufhaltsam die Worte aus ihr heraussprudelten. Noch nie hatte sie sich mit jemandem darüber ausgetauscht. Kaum hatte sie das realisiert, wollte sie wieder zurückrudern und sich für ihren Gefühlsausbruch entschuldigen. Doch Chris überraschte sie mit seinem Verständnis und stellte ihr viele Fragen, wollte wissen, wie sie aufgewachsen war, wie sie ihre Schul- und Ausbildungszeit in so einem Umfeld erlebt hatte, ob sie Freundschaften außerhalb des Umfelds der Eltern pflegen konnte. All diese Dinge, die sonst niemanden interessierten und von denen sonst keiner um sie herum sprach.

Genauso wenig, wie selbst die jungen Frauen untereinander über Gefühle und mehr redeten. Nur mit einer ihrer älteren, schon verheirateten Cousinen hatte Zola mal kurz und hinter vorgehaltener Hand über deren Hochzeitsnacht gesprochen. Glücklicherweise hatte sie dank ihrer Ausbildung zur Krankenpflegerin das ein oder andere Körnchen Wissen, das ihren Altersgenossinnen vorenthalten blieb. Doch das konnte nicht aufwiegen, dass Zola völlig unerfahren im Umgang mit Männern war. Möglicherweise, wobei, eher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, bewunderte Chris Zola umso mehr dafür, dass sie sich getraut hatte, auf ihn zuzugehen. Allerdings merkte Zola auch seine Zurückhaltung.

Während sie ganz aufgeregt vor sich hin grübelte, schwärmte Chris von der Solarenergie aus den Wüsten dieser Erde: „Hast du schon mal von der Desertec Initiative gehört?“

„Nein, was ist das?“, fragte sie ehrlich interessiert. Und dankbar dafür, dass ihr Kopf sich mit einem anderen Thema als ihren peinlichen teenagerhaften Grübeleien beschäftigen konnte.

„Vor etwa zwanzig Jahren hatten ein paar Wissenschaftler die Idee, Europa und Afrika mit Strom aus Solarkraftwerken in der Wüste zu versorgen. Sie nannten die Idee ‚Desertec‘, und der Club of Rome und das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt haben dazu wissenschaftliche Studien veröffentlicht. Wenn wir in der Wüste in einem Gebiet so groß wie Nordrhein-Westfalen Solarmodule aneinanderreihen würden, würde der Strom zur Versorgung der gesamten Welt ausreichen. Wusstest du das?“

Zola schüttelte vor Erstaunen nur den Kopf.

„Und dieser Strom könnte mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen fast verlustfrei bis zu uns transportiert werden. Keine CO2-Belastung mehr durch Kohle oder Gas. Führende deutsche Unternehmen gründeten im Jahr 2009 dann die Desertec Foundation, mit dem Ziel, in den Wüsten Afrikas so viel Strom zu erzeugen, dass Afrika und Europa keine fossilen Rohstoffe mehr verfeuern müssten, um genug Strom zu haben.“

„Das klingt ja mega! Aber warum gibt es das denn nicht?“, wollte Zola wissen.

Sie war fasziniert von diesem Chris. Ihr Begleiter sprühte vor Begeisterung, seine Augen funkelten. Er brannte für das Thema. Und das tat er absolut. Was Zola allerdings nicht klar war, war, dass sie den Grund für Chris’ ausschweifenden Monolog bot. Ja, er liebte seine Arbeit und erzählte deswegen auch so viel davon. Aber vielmehr brachte ihn diese wunderschöne junge Frau um den Verstand. Es tat ihm leid um sie und dass sie in einem so restriktiven Umfeld lebte. Aber das ließ seine Bewunderung für sie und ihren starken Willen und Eigensinn nur umso stärker wachsen. Wenn er bloß in ihren Kopf schauen und herausfinden könnte, ob er ihr auch so gefiel …

„Wir sind auf einem guten Weg. Ray Capital investiert seit über zwanzig Jahren erfolgreich in Solarenergie. Und ich bin auch schon seit den ersten Studiensemestern dabei“, beendete er sein Reden über die Welt der Solarenergie.

Vom Bilker Rheinpark aus, wo sie sich eine Weile im Schatten der Bäume auf einer der Parkbänke versteckt hatten, schlenderten sie am Fernsehturm und am Parlament vorbei zum Graf-Adolf-Platz. Von dort aus nahmen sie die U-Bahn Richtung Hauptbahnhof, und Chris brachte Zola zum Worringer Platz. Sie verabschiedeten sich ein kleines Stück entfernt vom Restaurant Hargeisa. Als Zola zu ihm schaute und ihn anlächelte, wäre es um ein Haar um seinen Sinn für Anstand und Selbstbeherrschung geschehen. Wie gerne er sie küssen würde! Warum fiel es ihm bloß so schwer, er wollte doch der starke, respektvoll dominante Mann sein und diesen ersten Schritt übernehmen …, aber er traute sich einfach nicht. Noch nicht …

Kapitel 3 – Dienstag, 22. Juni 2021

Sven Schmidt nahm einen kräftigen Schluck von dem Alt, das die Kellnerin ihm schon gebracht hatte. Er saß im Bösen Chinesen im Düsseldorfer Medienhafen. Trotz des warmen Sommerabends hatte er um einen Platz im Innenraum gebeten. Auf der gut mit Gästen gefüllten Terrasse wäre die Atmosphäre zwar geeigneter, aber drinnen fühlte er sich weniger beobachtet. Zumal man den Chinesen eine Sache lassen musste: Sie waren diskret.

Als Eva eintrat, leerte er gerade sein erstes Glas. Wie lange war es her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte? Sie hatten sich ja nie oft oder regelmäßig getroffen. Aber seit es für sie keinen offiziellen Grund für Treffen mit ihm mehr gab, war die Sache komplizierter geworden. Eva hatte ihrem ehemaligen V-Mann nie ihren richtigen Namen genannt, und Sven hatte sich für Eugen als seinen Decknamen entschieden.

Sie erkannte ihn schon von Weitem. Sven konnte beobachten, wie ihre sonst so kühlen, blauen Augen aufleuchteten. Nach außen hin mochte Eva die taffe, straighte Frau sein. Doch er wusste genau, wie es hinter dieser Fassade aussah. Und wie er sie in seinen Bann ziehen konnte.

„Schön, dich zu sehen“, hauchte sie ihm entgegen.

Er war aufgestanden und grinste sie an. Mit einer Hand an ihrem unteren Rücken zog er Eva an sich heran. Die andere Hand legte er ihr in den Nacken und zog ihren Kopf für einen gierigen Kuss zu sich herunter. Sie schloss die Augen und klammerte sich an den aufgeknöpften Kragen seines schwarzen Hemds. Nachdem er ihr an den festen Hintern packte, den sie heute in einen luftigen, leicht durchscheinenden Rock gehüllt hatte, beendete Sven den Kuss. Der Blick, den sie ihm beim Hinsetzen zuwarf, sprühte förmlich vor Erregung. Bis sie die Narbe auf seiner rechten Wange erblickte.

„Was ist mit deinem Gesicht passiert?“, fragte sie erschrocken.

„Da hat mich ein Neger rasiert. Wie war dein Flug?“, fragte er sie ausweichend.

Prompt verdunkelten sich Evas Augen wieder. „Ich würde meinem Chef am liebsten den Kopf abreißen.“

„Wo stellt sich der Schwachkopf jetzt wieder quer?“

Genervt stieß sie die Luft durch die Nase aus und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe letzte Woche eine Präsentation in der Führungsgruppe gehalten. Alle Ergebnisse meiner Recherchen der letzten Monate. Nein, Jahre eigentlich. So viele Beweise vorgelegt, dass man das ganze BND-Gebäude damit von innen und außen neu tapezieren könnte. Mit klaren Handlungsvorschlägen, Plänen für mögliche Aktionen. Da hieß es noch: Respekt, großartige Arbeit, genau, was wir brauchen. Von wegen! Kaum haben die Speichellecker zugeschlagen, wird alles wieder abgeschmettert!“

„Warum, was passt denen wieder nicht?“, hakte Sven nach.

Frustriert schlug sie die Speisekarte auf und drehte ihre Perlenkette unruhig zwischen ihren Fingern. „Auf Grundlage meiner Recherchen habe ich eine konstatierte Aktion gegen die Geldwäsche ausgearbeitet. Aber der Boss hat kein Go von den Amis bekommen. Zu gefährlich. Die Saudis könnten zukünftig ihre Waffen aus Russland oder China kaufen, wenn wir ihr Finanzsystem durcheinanderbringen. Also werden wir, mal wieder, die Füße stillhalten. Die Waffenlobby ist zu einflussreich. Bis zum ersten Irakkrieg, als Saddam Hussein Kuwait überfallen hatte, ging es ja wenigstens noch ums Öl. Aber das ist lange her. Jetzt geht es nur noch um Waffen.“ Eva redete sich den ganzen Frust in einem Schwall von der Seele. Als er fragte, was sie tun könnten, lachte sie resigniert auf. „Gar nichts. Zusehen, wie die Großen die Welt vernichten, und uns freuen, wenn wir mal mitspielen dürfen.“

Die Kellnerin kam, um ihre Bestellung aufzunehmen. Nachdem sie gegangen war, setzte Eva ihre Ausführungen wieder mit voller, von Wut getriebener Inbrunst fort. „Schleuserringe bringen immer mehr Menschen über das Mittelmeer. Ein Flüchtling zahlt durchschnittlich zehntausend Euro. Überleg mal, was allein da schon zusammenkommt. Das Geld wird dann scharia-konform bei einer der dreihundertfünfzig Scharia-Banken angelegt. Die dürfen keine Zinsen zahlen, sondern fein Geschäfte machen. Mit diesem dreckigen Geld werden also ganz normal auf internationalem Parkett Investitionen getätigt, Projekte finanziert, ganze Regierungen gekauft, verdammt noch mal. Wenn man die Drahtzieher dahinter bei den Eiern packen will, muss man an ihr Geld ran. Deswegen habe ich die Wege des Geldes verfolgt, was so eine kleinschrittige, beschissene Scheiße war. Die sind ja clever, die Muslime, mit ihrem Hawala-System. Versuch da mal, irgendwelche Geldströme nachzuvollziehen, das ist krasser als im Wilden Westen.“ Eva unterbrach ihren Frustvortrag kurz, als die Getränke gebracht wurden. „Jedenfalls habe ich die Wiege des Geldes gefunden“, redete sie nach einem großen Schluck von ihrem Weißwein prompt weiter.

Es gefiel Sven, wenn sie in Rage war. Mal abgesehen von der elektrisierenden Energie, die von ihr ausging und ihn schon gegen seinen Willen anturnte, war sie in solchen Momenten doch einfach nur Frau. Und zwar eine Frau, die einen starken Mann brauchte, dem sie ihr Herz ausschütten und in dessen Armen sie die Welt um sich herum vergessen konnte. Und genau diese Frau war es, die sich so bereitwillig in seine Hände begab. Feminismus – dass er nicht lachte.

„Aber den Geheimdiensten ist es egal! Beweise? Feine Sache, was sollen wir mit dieser Info anfangen? Eine Razzia. Und dann? An die Drahtzieher kommen wir eh nicht ran. Dabei habe ich wasserdichte Beweise dafür, dass eine Solaranlage in Somaliland auf solche Weise finanziert wurde. Da war sogar eine afghanische Talibangruppe dabei, die das Geld aus dem Heroinverkauf in einer dieser Scharia-Banken angelegt hat. Ist das zu fassen? Bei einem Projekt, wo die offiziellen Investoren international anerkannte Banken wie die GWB aus Dubai sind! Aber die zahlen auch die Waffen der Amerikaner. Also werden sie auch von den Amis gedeckt. Die sind es ja auch, die den Markt mit Waffen vollpumpen. Aber das ist noch nicht mal das Schlimmste daran.“ Eva beugte sich vor, sodass die Perlenkette kurz um ihren Hals baumelte. Mit gedämpfter Stimme, doch ohne an Temperament verloren zu haben, legte sie Sven offen: „Dieses Somali Solar, das gesamte Ding, wurde von den Islamisten finanziert. Und jetzt waschen die ihr scheiß Scharia-Geld auch noch. Ein weiterer dubioser Investmentfonds aus Dubai wird ihnen das Projekt nach Fertigstellung abkaufen. Die Kerle haben dann ihr dreckiges Geld auch noch verdoppelt.“ Mit fassungslosem Kopfschütteln ließ sie sich wieder gegen die Stuhllehne sinken. Dann lachte sie schnaubend auf und meinte: „Ganz ehrlich, ich finde, das ganze Scheißding in Somaliland müsste einfach in die Luft gesprengt werden.“

Sven hatte ihr die ganze Zeit aufmerksam zugehört und die Informationen gierig aufgesogen. Ihr Fazit fiel zwar ungewöhnlich emotional für ihre Verhältnisse aus. Doch ihm gefiel diese Seite an ihr. Gerade in solchen Momenten, wo die Grenzen zwischen der BND-Eva und Einfach-nur-Frau-Eva verschwammen, brachte sie die Rädchen in seinem Kopf am besten ins Rollen.

„Entschuldige bitte, dass ich mich so ausgekotzt habe. Ich wollte unser Wiedersehen nicht mit meiner Arbeit ruinieren.“ Der feurige Missmut in Evas Augen hatte wieder ihrem verdeckten, sehnsuchtsvollen Naturell Platz gemacht.

„Aber das hast du doch nicht, Süße“, entgegnete Sven und griff über den Tisch nach ihrer Hand. Ihr Blick leuchtete wieder auf und bekam wie auf Knopfdruck diese anschmachtende Schwere. Sie liebte es, wenn er sie so nannte. „Bei mir kannst du alles rauslassen, das weißt du doch.“

„Oh ja“, schnurrte sie. „Sowohl was die Dinge außerhalb wie auch innerhalb des Schlafzimmers betrifft.“

Sven grinste, während sie mit dem Fuß leicht gegen die Innenseite seiner Wade strich und ihn mit einem verführerischen Augenaufschlag ansah. Es tat gut, wie sie sich ihm hingab. Es hatte auch lange genug gedauert und ihn einiges an Geduld gekostet, bis sie ihre Vernunft über Bord geworfen hatte. Aber schließlich war es ihm doch gelungen, dass sie in ihm den Mann sah, bei dem sie sich in jeglicher Hinsicht hemmungslos fallen lassen konnte.

Eva entging nicht die Erregung, die sich in Svens Züge mischte, auch wenn sie die dahinterliegenden Interessen nicht in ihrer Gänze kannte. Jedenfalls war das Essen für sie beide Nebensache. Er genoss es, wie sie ihn ansah, liebte es, zu beobachten, wie ihre Gedanken sich um nichts anderes mehr drehen konnten, als an die Vorstellung, was er gleich in ihrem Hotelzimmer mit ihr anstellen würde. Denn er würde sich nehmen, was ihm zustand.

Als Sven am nächsten Morgen aufwachte, hörte er, wie die Zimmertür ins Schloss fiel. Eva nahm wie immer den ersten Flug zurück nach Berlin und hatte ihm einen Becher Kaffee ans Bett gestellt.

Was hatte sie ihm gestern in ihrem Redeflash alles erzählt! Als sich seine Gedanken sortierten, klickte es plötzlich in seinem Kopf: Somaliland. Hargeisa. Hawala. Fluchthilfen. Drogengelder. Die Neger in den großen, schwarzen Mercedes-Limousinen, die er in der Worringer Straße vor diesem Laden gesehen hatte. Das war bestimmt kein Zufall und keine einfache Kleinkriminellenbande. Die sind vielleicht Teil eines größeren Netzwerks.