2,99 €
Im Angesicht des feuerspeienden Drachens fragte sich Felix, ob es klüger gewesen wäre, an diesem Morgen in die Schule zu gehen und die angekündigte Matheklausur zu schreiben. Die Wahl zwischen Held + Königreich + Prinzessin und Mathe schien leicht. Leider hatte zu dem Zeitpunkt niemand feuerspeiende Drachen, Seeungeheuer, tödliche Abgründe und das unsäglich Böse selbst erwähnt - ansonsten hätte sich Felix auf jeden Fall anders entschieden. Denn die Prinzessin ist nett - aber gleich für sie sterben klingt nur in Gedichten oder Brian-Adams-Songs gut. Doch zum Glück lassen sich die meisten Probleme einer Märchenwelt mit der Intelligenz und Logik eines cleveren Zwölfjährigen lösen - zumindest hofft Felix das.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Titel
Infos zum Buch
Entschuldigung des Fehlens von Felix Krollman am Freitag, den 17. November
Ein Wort zum Schluss:
Leseprobe: Drachen Fliegen - Ein fast realistisches Märchen
Über den Autor
Fantasievermerk
Fair Use Vereinbarung
Impressum
Titel
Felix Held in Ausbildung
von Matthias Czarnetzki
Infos zum Buch
Anregungen, Kritiken und Wünsche sind jederzeit herzlich Willkommen. Der direkte Draht zum Autor: MCzarnetzki.de
Entschuldigung des Fehlens von Felix Krollman am Freitag, den 17. November
Sehr geehrter Herr Lehrer, sicher haben Sie bemerkt, dass ich am Freitag nicht im Unterricht war und dadurch leider die angekündigte Mathematikklausur versäumt habe. Ich könnte jetzt eine halbwegs glaubwürdige Ausrede erfinden oder ein gefälschtes ärztliches Attest vorlegen, aber Sie sagen ja immer, die Wahrheit wird von Ihnen am wenigsten bestraft und kommt sowieso ans Licht. Deshalb will ich möglichst genau schildern, welche Ereignisse mein Erscheinen verhinderten.
Wie Sie sich bestimmt erinnern, war dieser Freitag relativ kühl und es nieselte. Da mir am Vorabend beim Weckerstellen ein Fehler in der Disposition bezüglich der Weckzeit unterlaufen war, wurde es sehr eng mit der Zeit. Nun hätte ich es mit einer geringfügigen Verspätung doch noch zur Schule schaffen können, aber wie gesagt, es war kühl. Und meine Mami sagt immer, wenn es kühl ist, nimm einen Schal. Den hatte ich in der Eile meines Aufbruches glatt vergessen, deshalb musste ich noch einmal umkehren, schließlich bin ich gut erzogen und kann die Anweisung meiner um mich besorgten Mami nicht einfach ignorieren. Deshalb konnte ich nicht wie gewohnt mit meinen Freunden zur Schule gehen. Zu Hause war leider niemand mehr da, denn, wie Sie wissen, arbeiten meine Eltern beide, obwohl meine Mami nur halbe Tage. Ich musste deshalb allein nach dem Schal suchen, den ich nicht gleich fand, weil meine Mami am Tag zuvor aufgeräumt hatte. Ich finde übrigens nie etwas von meinen Sachen, wenn meine Mami aufgeräumt hat. Vollkommen unvermutet hatte Mami den Schal gut sichtbar an der Flurgarderobe aufgehängt. Deshalb dauerte die Suche auch etwas länger. Danach verließ ich schnurstracks das Haus, um nicht zuviel vom Unterricht zu versäumen. Ich schloss gerade die Haustür zu, als ich hinter mir eine Stimme hörte. Da sie schon einige Hausbesuche bei uns gemacht haben, wissen sie ja, dass unser Haus etwas abseits in einer kleinen Buschoase liegt. Ich vermutete, dass sich eine kriminelle Gestalt in diesem Gebüsch versteckte und auf die Gelegenheit wartete, ein schwaches, wehrloses Kind zu überfallen und den Hausschlüssel zu rauben. Ich drehte mich also blitzschnell um und wollte dem Gegner durch einen speziell trainierten Kampfschrei Angst einjagen. Doch als ich Auge und Auge mit dem Unhold stand, blieb mir der Schrei im Hals stecken. In diesen Sekunden wiederholte das Wesen seine Frage. "Could you please helping me?" Ich habe mir von meinem Papa später sagen lassen, dass das in einem grammatikalisch unzulässigen Englisch so etwas wie "Kannst du mir bitte helfen?" heißen sollte, aber selbst wenn ich Englisch so gut könnte, hätte mir das im Moment kaum geholfen. Ich war nämlich völlig baff. Denn vor mit stand ein ausgewachsener Troll! Glauben Sie nicht, dass das nur ein Produkt meiner Phantasie war oder ich Ihnen was vorschwindeln will! Nein, da war wirklich ein Troll! Ich wusste sofort, dass das einer ist, obwohl ich vorher noch nie einen gesehen hatte. In diesem Moment war ich mir aber nicht der Einzigartigkeit meines Erlebnisses bewusst sondern eher dessen, dass die gewaltige, gut anderthalb Meter lange und mindestens hundert Kilo schwere Keule, die er über seiner Schulter trug, mir im Ernstfall empfindlich weh tun könnte. Und genau in diesem Moment nahm er das Ding von der Schulter und mir wurde schwarz vor Augen. Naja, Urglat (das ist sein Name) hat später beteuert, dass er die Keule nur absetzen wollte, um mir die Hand zu geben. Ehrlich gesagt, er ist auch ganz anders als die Trolle, von denen man sonst so liest. Er ist nett, freundlich und vollkommen harmlos, wenn er genug gegessen hat. Das Nächste, was ich mitbekam, war, dass mich Urglat wie eine Feder hoch hob (er ist furchtbar stark, falls ich das noch nicht erwähnt hatte) und in die Büsche trug. Dort sah ich etwas, was mich an einen Riss in unserem Raum-Zeit-Kontinuum erinnerte. Ich spürte ein eigenartiges Kribbeln vom Scheitel bis zur Sohle, als mich Urglat durch diesen Riss trug, so, als würde man in eine Wasseroberfläche eintauchen, nur dass hinter der Oberfläche kein Wasser, sondern ein anderes Universum war. Die Erkenntnis, in ein Paralleluniversum verschleppt, in der Gewalt eines übermächtigen Feindes zu sein und nur geringe Hoffnungen zu haben, nach Hause zurückzukehren, waren zuviel für meine empfindliche Psyche. Mit anderen Worten, ich fiel in Ohnmacht. Schon wieder.
Als ich zu mir kam, sah ich nur weiß. Ich lag bäuchlings auf einem weißen Marmorfußboden in einem Zimmer mit weißen Marmorwänden, dessen weiße Marmordecke von weißen Marmorsäulen gestützt wurde. Die Architektur war nicht schlecht, nur die Farbgestaltung etwas eintönig - meiner bescheidenen Meinung nach.
Ich muss wohl eine ganze Weile weggetreten sein, denn ich hatte außer Kopfschmerzen noch einen gewaltigen Hunger bekommen. Ich begann etwas zu Essen zu suchen, da öffnete sich ein Vorhang. Ich hatte ihn vorher nicht bemerkt, weil er ebenfalls weiß war. Dahinter trat eine Prinzessin hervor. So eine richtige Märchenprinzessin mit einem Goldreif auf der Stirn und ganz in weiß gekleidet. Hätte ich einen älteren Bruder, dann würde der sagen, sie war ein richtig steiler Zahn. Da ich aber erst zwölf Jahre alt bin, habe ich noch einen klaren Verstand und kann ohne Übertreibung sagen, dass sie sehr gut aussah. Nur etwas blass, es kann aber auch sein, dass das ganze Weiß im Zimmer auf sie abgefärbt hat. Ich schätze mal, dass sie nicht viel älter war als ich, höchstens zwölf oder dreizehn. Sie sah aber jünger aus.
"Willkommen, Held aus der anderen Welt. Ich bin Prinzessin Lara." Mit dem Helden muss sie mich gemeint haben, weil sonst kein anderer im Zimmer war. Ich habe mich aber in diesem Moment nicht angesprochen gefühlt. Erst als sie mich anguckte, als müsse ich was sagen, habe ich begriffen, dass sie mit mir redete. "Hi! Auch einen schönen Tag! Kannst du mir sagen, was hier überhaupt los ist?" erwiderte ich ihre Begrüßung. Ihre Stimme klang übrigens wie Honig. Das habe ich mal gelesen und mich gewundert, was das heißen sollte. Jetzt wusste ich es. "Und ich könnte was Essbares gebrauchen", hängte ich dran. Sie klatschte in die Hände. "Du sollst sofort etwas zu essen bekommen. Aber iss schnell, wir müssen zum Hohen Rat. Der klärt dich über deine Mission auf." Gleich wieder Stress! Wie ich das liebe. Ein weißgekleideter Diener erschien mit einem riesigen Tablett voll biologisch wertvollen Obsts. Ich habe mich nicht gleich darauf gestürzt. Erst mussten ein paar dringende Fragen geklärt werden. "Kannst du mir sagen, wo ich hier bin?" "Du bist auf Zamora, dem Schwesterplaneten deiner Erde." "Damit weiß ich genauso viel wie vorher." "Du kennst dich mit den verschiedenen Dimensionen nicht so aus?" Auf mein Kopfschütteln redete sie weiter. "Es ist ganz einfach. Wir leben in eurer Welt, aber so, dass ihr uns nicht sehen könnt. Nur manchmal, in ihren Träumen, gelangen einige Menschen hierher und können von Zamora berichten. Und aus diesen Berichten entstanden eure Sagen, Legenden und Märchen." "Dann bin ich in einer Traumwelt, oder so?" "So ähnlich. Du bist in einem realen Traum. Und zwar gefangen." "Klingt als gibt es keinen schnellen Rückweg." "Du musst uns helfen und eine Aufgabe erfüllen. Dann können wir dich zurückschicken. Wenn du aber die Aufgabe ablehnen willst, weil du Angst hast und dich nicht traust sondern dich fürchtest, dann bringen wir dich gleich zurück. Natürlich würde dann meine Dimension vernichtet werden und du würdest dir wahrscheinlich dein Leben lang die Schuld dafür geben. Aber wir wären da wirklich nicht nachtragend. Wie sollten wir auch? Uns wird es dann nicht mehr geben." Bei dem Ton und der Argumentation konnte ich verständlicherweise nicht sofort ablehnen, obwohl ich laut meiner Uhr dadurch den Mathematikunterricht versäumen würde. "Ich kann mir ja anhören, was ihr von mir wollt." Darauf hat sie nur gelächelt und ich habe mich über die Früchte hergemacht. Nachdem ich meinen Hunger gestillt hatte, nahm Prinzessin Lara mich an der Hand und führte mich zur Tür. Dort habe ich mich von ihrer Hand befreit, da Händchenhalten nichts für einen richtigen Jungen ist, und folgte ihr. Dabei sah ich, dass das ganze Schloss weiß war, wirklich alles. "Weißt du Lara, mein Papa ist ein guter Innenarchitekt. Falls dir die Farbe auch auf den Keks geht, könntest du ihn rüberholen lassen. Der macht die Bude hier wohnlich", sagte ich. "Geht nicht. Das hier ist das Weiße Schloss und Weiß ist bei uns die Farbe für alles Reine und Gute. Das soll dafür stehen, dass ich mein Volk immer gerecht und weise regiere. Ein Spritzer Farbe bringt unser Gesellschaftssystem zum Wanken." Nun gut, das sollte dann ihr Problem sein. Glücklicherweise führte sie mich auf den Hof, wo ein paar Pferde auf uns warteten. Raten sie welche Farbe. Nachdem Lara höflich, aber bestimmt, eine Eskorte abgelehnt hatte, ritten wir los.
Bis zu diesem Moment hatte ich noch keine Gelegenheit gehabt, einen Blick nach draußen zu werfen, denn während der ganzen Zeit kam ich nie nah genug an ein Fenster, um die Landschaft zu betrachten. Jetzt war ich aber überwältigt von der Pracht des Landes. Saftig grüne Grasflächen wellten sich über sanfte Hügel soweit das Auge reichte. Farbenprächtig blühende Bäume wuchsen überall und verströmten einen angenehmen, süßen Duft. Wir folgten einem breiten Sandweg, der sich durch die grüne Fläche wie eine riesige gelbe Schlange wand, immer zwischen den Hügeln entlang. Zuerst war ich etwas verwirrt, denn sowohl vor, als auch hinter mir, schien es eine Sonne zu geben. Die hinter mir stand ziemlich hoch am Himmel, während die vor mir gerade den Horizont überstrahlte. Lara bemerkte meine Verwunderung. "Das vor uns ist die goldene Stadt. Ihre Bewohner nennen sie manchmal die Schwester der Sonne. Dort befindet sich der Hohe Rat." Ich nahm diese Erklärung hin und sehnte mich nach meiner Sonnenbrille. Die Spieglung ging mir nämlich langsam auf den Nerv und die Kopfschmerzen wurden davon auch nicht besser, doch mit der Zeit gewöhnte ich mich daran. Ich vermied es, direkt nach vorn zu schauen und sah in die Landschaft, an der wir gerade vorbeikamen. Vereinzelt führten kleine Pfade vom Hauptweg weg und endeten an den Türen winziger Häuser, deren Bewohner damit beschäftigt waren, die Gärten zu pflegen, in der Sonne zu sitzen oder sich zu unterhalten. Ebenso wie die Häuser, waren auch die Bewohner sehr klein. Ich schätze, dass ein Erwachsener von ihnen mir gerade bis an die Schulter reichen würde. Wenn wir an ihnen vorbeikamen, dann hielten sie inne, wandten sich zu uns und verbeugten sich. Lara erwiderte jeden dieser Grüße durch ein huldvolles Winken. Nachdem wir ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, gesellte sich ein kleiner Bach zu dem Weg. Sein Plätschern verband sich mit dem Zwitschern der Vögel zu einem lustigen Reiselied. Ich konnte es nicht vermeiden und pfiff beinahe wie von selbst die Melodie mit. Lara lächelte mich von der Seite an. Schließlich fiel mir auf, dass der Glanz der Goldenen Stadt verschwunden war. Aufmerksam betrachtete ich die Landschaft. Die Hügel links und rechts von mir waren unmerklich angestiegen und verdeckten alles dahinter, bis wir uns am Grund einer Schlucht befanden, die der Bach - jetzt ein reißender Fluss - in den Stein geschnitten hatte. Plötzlich, hinter einer Biegung, traten die Felswände zur Seite und gaben den Blick in ein riesiges Tal frei.
Mein Blick wurde automatisch zu dessen Mittelpunkt gezogen. Denn dort war die Goldene Stadt. Das, was ich vorhin gesehen hatte, war nicht mehr als das Funkeln der höchsten Turmspitzen, die über den Rand des riesigen Talkessels hinausschauten. Der Fluss strömte direkt zu dieser Stadt, wo er einen Wassergraben speiste, der sie ganz umgab. Dieser Graben spiegelte den Glanz der Stadt ebenfalls wieder und verstärkte ihn. Augenblicklich war ich geblendet. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Lara mir eine Brille reichte. "Setz die auf. Jemand, der es nicht gewöhnt ist, bekommt ziemlich schnell Kopfschmerzen von dem ganzen Funkeln." Was sie nicht sagte. Die Gläser waren zwar fast schwarz, aber im Vergleich zu der Helligkeit, die von der Stadt ausging, reichten sie gerade so aus.
In alle vier Himmelsrichtungen spannten sich gewaltige Brücken über das Wasser, die auf massiven Pfeilern ruhten. Von jeder Brücke aus führte dann eine breite Straße gerade bis zum Horizont. Wir reisten auf der Südstraße, der wir bin ins Zentrum der Stadt folgten. Zwar gab es viel Verkehr auf den Straßen, aber die Einwohner waren freundlich und nicht die geringste Reiberei zwischen den Wagen, den Fußgängern und den Reitern störte unsere Reise.
Obwohl ich die unterschiedlichsten Wesen und Rassen auf den Plätzen und Straßen sah, schien doch der Hauptteil der Bevölkerung aus Menschen zu bestehen, so wie ich sie kannte. Das heißt solche, die auch eine normale Größe erreichten. Ansonsten war an denen nicht viel normal. Jeder trug Kostüm und Maske. Wie es aussah, war Blau wohl die Farbe der Saison. Zugegeben, vor dem Gold sah es ganz hübsch aus.
Langsam näherten wir uns dem Punkt, an dem sich die vier Straßen treffen mussten, dem Zentrum und landeten schließlich auf einem großen, freien Platz. Mitten darauf stand ein riesiges Schloss.
Und es war wirklich riesig. Wenn ich sage riesig, denn meine ich das auch. Unser ganzes Haus hätte bequem durch das Tor gepasst und so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte die Spitze des obersten Turmes nicht sehen. Sie verschwand irgendwo im Himmel. Wo konnte ich nicht erkennen; bei dem ganzen Goldgefunkel hätte ich auch gleich in die Sonne starren können und trotz Sonnenbrille mein Augenlicht verloren. "Beeindruckend, nicht wahr?" sagte Lara. "Es sind schon Menschen blind geworden, die es zu lange angeschaut haben." Wer hätte das gedacht! "Danke für die Warnung. Das nächste Mal vielleicht fünf Minuten eher." Als wir in das Schloss hineinritten, umschwärmten uns augenblicklich Heerscharen von Dienern. Sie halfen uns beim Absteigen, führten die Pferde weg, brachten uns etwas zu trinken und fragten, ob wir noch irgendwelche Wünsche hätten. Doch sie verstummten, als ein alter Mann den Hof betrat. Sein weißer Bart reichte bis zur Brust und gekleidet war er in etwas, was ich hier mal als blaues Nachthemd bezeichnen möchte. "Seid gegrüßt, Prinzessin Lara." "Ich grüße euch ebenfalls, Corak", erwiderte sie und verbeugte sich. Dann warf der Alte einen Blick auf mich. "Ist er das?" fragte er die Prinzessin. "Ja." Darauf musterte er mich in der Art, wie meine Mami im Laden eine Jacke für mich erst mal auf mikroskopische Fehler untersucht, die einen Rabatt rechtfertigen würden. Allerdings konnte ich an seinem Gesicht nicht ablesen, was er von mir hielt. "Sei willkommen auf Zamora", sagte er schließlich. "Du befindest dich in der Goldenen Stadt und ich bin Corak, der Vorsitzende des Hohen Rates." "Hi, ich bin Felix und nach dem, was ich gehört habe, eure letzte Hoffnung." "Das fürchte ich." Wenn man bedenkt, dass von seinem Verhalten die Rettung Zamoras abhängen konnte, dann war das wohl ziemlich frech. Aber bevor ich dazu etwas sagen konnte, machte er eine Geste in Richtung Eingang. "Kommt mit. Der Hohe Rat erwartet euch bereits." Ich folgte Lara und Corak durch die hohen Gänge des Palastes. Obwohl wir kaum Treppen stiegen, hatte ich doch das Gefühl, dass wir immer höher kamen. Als ich einen Blick aus einem Fenster warf, sah ich die Dächer der Stadt unter mir. Ich wunderte mich zwar darüber, konnte aber keinen meiner beiden Führer deswegen fragen, die waren nämlich ins Gespräch vertieft. Ich verstand kein Wort, aber es schien um sehr wichtige Dinge zu gehen. Schließlich hielten wir vor einer unscheinbaren Tür. Ohne dass Corak ein Zeichen gegeben hätte oder jemand unsere Ankunft bemerkt und gemeldet haben könnte, schwang sie geräuschlos auf und wir traten ein.
Der Raum war kreisrund. In seiner Mitte stand ein ebenso kreisrunder Tisch, an dem zehn Männer saßen, die mindestens so alt wie Corak und genauso gekleidet waren. Zwei Stühle waren noch frei, zu denen begaben sich nun Corak und Lara. Ich musste stehen bleiben. So viel zur Gastfreundlichkeit.
Corak wollte keine Zeit verlieren. Er stand auf und sagte mit lauter, ruhiger Stimme: "Der Hohe Rat ist nun versammelt." Umwerfende Feststellung. "Ihr alle kennt die Gefahr, die über uns schwebt. Wie beschlossen, besorgten wir uns einen Helden aus der anderen Welt, da solche Personen die einzigen sind, denen der Fluch des Schwarzen Schlosses nichts anhaben kann." Hier merkte ich auf. Von einem Fluch hatte bisher niemand etwas gesagt. Über diesen Punkt würde ich noch Erkundigungen einziehen müssen. "Wir schickten unseren treuen Troll Urglat in die andere Welt und er brachte uns... Felix, einen Helden aus der anderen Welt. Oder das, was dem am nächsten kommt." Damit zeigte er auf mich. Alle drehten nun ihre Köpfe zu mir und starrten mich an wie ein Sonderangebot. "Ich weiß zwar nicht viel von ihm, aber ich hoffe, dass sein Herz rein und mutig genug ist, um uns helfen zu können. Und nun zu dir!" Damit meinte er mich. "Wie Prinzessin Lara mir sagte, weißt du noch nichts über deine Mission." Ich nickte. Corak seufzte. "Es ist eine lange Geschichte." "Macht nichts. Ich hab Zeit." Das wäre dann nämlich ein guter Ersatz des Geschichtsunterrichts, der nach meiner Uhr gerade in vollem Gange war. "Wir aber nicht. Es gibt eine Kurzfassung. Das Problem entstand kurz nachdem dieser Planet geschaffen wurde. Die Mächte des Bösen kämpften gegen die Mächte des Guten - also gegen uns - um die Vorherrschaft über den Planeten zu gewinnen und es gelang keiner Seite, einen Vorteil zu erringen. Stattdessen wurde das Land verwüstet und alle Völker standen kurz vor der Ausrottung. Es sah schlecht aus, als Galadrim auftauchte. Er kam aus dem Nichts und er verschwand später auch wieder dorthin. Unter seiner Führung drängten wir die dunklen Armeen zurück bis auf die südliche Hälfte des Kontinents. Eines Nachts, es war eine besondere Nacht, befahl Galadrim unseren Armeen den sofortigen Rückzug. Er allein blieb zurück. Als die Schwärze der Nacht am tiefsten war, bebte die Erde. Alle spürten es und keiner blieb ohne Furcht. Am nächsten Morgen sahen wir, was geschehen war: Morgul. Morgul trennt unseren Kontinent. Morgul ist der unüberwindbare Wall, ein riesiges Gebirge mit tiefen Schluchten und Gipfeln, die weit über den Himmel reichen. Keinem Geschöpf ist es gelungen, Morgul zu überqueren. Die Mächte des Bösen waren jenseits des Walls gefangen. Wir konnten frei und glücklich auf unserer Seite leben. Das war das Ende des letzten Krieges, den Zamora gesehen hat. Ich glaube nicht mal, dass wir in der Lage sind, überhaupt noch einen zu führen. Nun denn, Galadrim kam am Morgen danach zum Hohen Rat und übergab ihm Elendir, den Weltenstein, mit folgenden Worten: 'Bewahrt ihn gut, denn er enthält die Macht über Morgul. Er erhält ihn oder er zerstört ihn, wenn die Zeit gekommen ist.' Wir bewahrten Elendir seitdem ihm Weißen Schloss auf und glaubten uns in Sicherheit." Hier machte Corak eine Pause. Die Geschichte nahm ihn sichtlich mit. "Und weiter?" fragte ich, als die Pause zu lang wurde. "Elendir ist weg. Verschwunden. Nicht mehr da. Nur Prinzessin Lara und ich hatten Zutritt zu dem Raum, in dem er aufbewahrt wurde. Gemäß der Tradition sehen der Vorsitzende des Hohen Rats und der Thronfolger ein Mal im Monat nach, ob er noch da ist. Vor einer Woche kontrollierten wir den Raum und Elendir war weg." "Hat ihn die Putzfrau weggeworfen?" fragte ich. "Wenn bei uns in der Schule was wegkommt, dann war es meistens Frau Wiegelhuber, die Putzfrau. Sie ist irgendwie krankhaft putzsüchtig. Und sie schmeißt alles weg, was nicht angenagelt ist." Aber Corak bedachte mich nur mit einem ärgerlichen Blick. "Natürlich nicht! Der Raum wird durch Magie rein gehalten! Diebstahl ist die einzige Erklärung. Unsere Feinde müssen den Wall überwunden und den Stein gestohlen haben. Wahrscheinlich liegt Elendir jetzt im Schwarzen Schloss und wartet auf seine Zeit, um Morgul zu zerstören." Corak knabberte aufgeregt an seinen Fingernägeln. "Was dann passiert, wage ich mir nicht auszumalen. Die Horden des Bösen werden unsere friedlichen Völker überrennen und ausrotten. Deshalb brauchen wir deine Hilfe. Du musst Elendir aus dem Schwarzen Schloss holen und zurückbringen. Du musst!" "Naja", sagte ich, "es gibt da noch einige Kleinigkeiten, die ich vorher wissen müsste. Zum Beispiel hast du vorhin den Fluch des Schwarzen Schlosses erwähnt. Es würde mich doch schon stark interessieren, in was ich da reinlaufe." Corak runzelte die Stirn. "Der Fluch kann dir nichts anhaben. Keiner unseres Volkes kann es betreten, uns hält der Fluch auf. Aber du kommst von außerhalb. Bei dir wirkt die Magie nicht." "Dazu muss ich nur den unüberwindbaren Wall überwinden." "Ja", bestätigte Corak. "Unüberwindbar. Fällt da was auf?" "Wenn es einer von der Gegenseite geschafft hat, muss es einen Weg geben. Es gehört zu deiner Aufgabe diesen Weg zu finden." "Müsste ich sonst noch was wissen?" "Etwas Eile wäre angebracht." "Warum?" "Die bestimmte Zeit, zu der Elendir seine Macht entfaltet. Wie ich vorhin sagte, wurde Morgul in einer besonderen Nacht erschaffen. Damals standen alle Planeten unseres Sonnensystems in einer Reihe und verstärkten die kosmischen Kräfte. Diese Stellung kommt alle dreitausendachthunderteinundneunzig Jahre einmal vor." "Wie das klingt, habt ihr eine andere Auffassung von Eile als ich." "Das nächste Mal gibt es diese Stellung in einundzwanzig Tagen. Wirst du uns zu retten?" "Eigentlich würde ich ja schon", sagte ich, "aber es gibt da ein Problem. Wenn ich nicht pünktlich zum Abendessen zu Hause bin, krieg ich Zoff mit meinen Eltern." "Wir können nach deiner Rückkehr ein Dimensionstor öffnen, das dich rechtzeitig in deine Welt zurückbringt." Im Prinzip kam mir die Abwechslung ja gelegen - das tägliche Hin und Her zwischen Schule und Heim war nach sechs Jahren etwas langweilig geworden. Außerdem lernen wir ja für das Leben und ich dachte, dass eine praktische Anwendung meiner Kenntnisse ganz in ihrem Sinne ist. Trotzdem wollte ich meine Begeisterung nicht so offen zeigen und kratzte mich hinter dem Ohr. "Okay, ich kann's ja mal versuchen.", murmelte ich schließlich. Und alle atmeten erleichtert auf. Außer mir. Denn laut Uhrzeit war so eben die letzte Unterrichtsstunde verstrichen. Ich bedauere dieses Versäumnis immer noch zutiefst.
Damit könnte ich eigentlich meinen Bericht hier beenden, aber sicher interessiert sie auch der Rest der Geschehnisse. Wenn sie alles gelesen haben, können sie mit Recht stolz auf ihre pädagogischen Leistungen sein, die ich hier praktisch angewendet habe.
Corak legte mir die Hand auf die Schulter. "Du sollst nicht allein gehen. Bis zum Schwarzen Schloss werden dich unsere besten Krieger begleiten." Er zeigte auf eine Tür, die ich noch nicht bemerkt hatte. Ich bin auch ziemlich sicher, dass sie bis zu diesem Moment nicht da war. "Tretet ein!"
Der Erste, der durch die Tür trat, war ein mir sehr bekannter Troll. "Urglat", stellte Corak ihn vor. "Er ist der beste Kämpfer aus der Sippe der weißen Trolle." Dazu sollte man wissen, dass es am ganzen Körper von Urglat kein einziges weißes Haar gab, vielmehr war jedes kohlrabenschwarz. Ich runzelte die Stirn, doch Lara erklärte die Sache. "Es gibt zwei Trollvölker. Die Weißen, zu denen Urglat gehört. Sie haben schwarzes Fell, aber sie kämpften in den alten Kriegen auf der Seite des Weißen Schlosses. Daher der Name. Es gibt noch ein anderes Volk, jenseits von Morgul. Die haben weißes Fell, aber ihre Herzen sind schwarz. Vor denen solltest du dich in Acht nehmen." Inzwischen war Urglat bis zu mir gekommen. Er reichte mir freundlich die Hand und sagte: "Ich hoffe, wir werden uns gut verstehen. Ich wollte dich bei unserer ersten Begegnung wirklich nicht erschrecken." "Schon gut", erwiderte ich und gab ihm die Hand. "Ich hatte nur mit deinem Englisch Probleme." Dabei versuchte ich zu lächeln. Urglat hatte zwar im Moment keine Keule dabei, aber mit zwei Metern Größe und hundertfünfzig Kilo Lebendgewicht bei null Prozent Fettanteil hätte mir bereits bloßes Anhauchen ernsthaft schaden können. "Corak hat mir diese Worte aufgeschrieben. Er sagte, das ihr in eurer Welt vielleicht nicht unsere Sprache sprechen könnt." Das mit der Sprache fiel mir erst jetzt auf: Obwohl Zamoranisch mit nichts vergleichbar war, was ich in der Schule jemals gelernt hatte, konnte ich es ohne Schwierigkeiten verstehen und sprechen. Ich wünschte, dass ginge mir mit Englisch genauso. Als nächstes trat ein achtzig Zentimeter hohes, goblinhaftes Wesen durch die Tür. Ich kann ihn wirklich nicht näher beschreiben, nur das er unheimlich alt aussah und eben wie ein Goblin. Vom Kopf her jedenfalls. Denn der Rest des Körpers verdeckte eine blaue Robe. Außer den langfingrigen Händen, die aus zwei überdimensionierten Ärmeln hervorlugten, war nichts zu sehen.
---ENDE DER LESEPROBE---