Feministisch streiken - AG Feministischer Streik Kassel - E-Book

Feministisch streiken E-Book

AG Feministischer Streik Kassel

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Beschreibung

Von männlichen Arbeitern ausgegrenzt, von den Gewerkschaften verraten und bei der Sorgearbeit schon immer im Stich gelassen, haben Frauen und queere Menschen in den letzten Jahrzehnten Myriaden an Kämpfen gegen den patriarchalen, kapitalistischen Normalzustand geführt. Zu Hunderttausenden sind sie weltweit auf die Straße gegangen, um die Verhältnisse, die sie unterdrücken sollen, zu bestreiken. In dem Wissen darum, dass sie über den besseren Gesellschaftsentwurf verfügen, haben Frauen, trans, inter und non-binäre Menschen dabei nicht nur ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, sondern auch den Streik als Kampfform weit über seine klassische Bedeutung als Lohnarbeitskampf hinausgetrieben. Doch wie entfaltet sich das revolutionäre Potenzial des feministischen Streiks? Welche Wege müssen wir gehen, um Brücken zwischen allen lohnabhängigen, sorgearbeitenden und prekär Beschäftigten zu schlagen? Und wie schaffen wir es, die Welt still stehen zu lassen, um sie – sobald sie wieder anläuft – in einem anderen Takt zu einer anderen Musik tanzen zu lassen? In zwölf prägnanten Thesen zu Stand und Ausrichtung der feministischen Streikbewegung in Deutschland wird in "Feministisch streiken" diskutiert, wie es gelingen kann, die patriarchalen Verhältnisse ins Wanken zu bringen.

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Seitenzahl: 366

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Als Teil der bundesweiten feministischen Streikbewegung engagiert sich die AG Feministischer Streik Kassel in der feministischen Vernetzung rund um den 8. März und über diesen hinaus. Dabei verankert sie den feministischen Streikgedanken vor Ort durch feministische Interventionen in Lohnarbeitskämpfe im Care-Bereich.

Mail: [email protected]

Instagram: ag_feministischer_streik_ks

Wir freuen uns über Fragen und Kritik.

AG Feministischer Streik Kassel

Feministisch streiken

Dort kämpfen, wo das Leben ist

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

AG Feministischer Streik Kassel:

Feministisch streiken

1. Auflage, Oktober 2023

eBook UNRAST Verlag, Januar 2024

ISBN 978-3-95405-179-3

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Leonie Witka, Kassel

Satz: Andreas Hollender, Köln

Inhaltsverzeichnis

0. Vorwort

1. Einleitung

2. Zwölf Thesen und ein Buch

Thesen für den feministischen Streik

3. Für eine queerfeministische Klassenpolitik

Warum wir über Arbeit reden

Warum wir über das Patriarchat reden

Warum wir über Klasse reden

Für eine queerfeministische Klassenpolitik

4. Der feministische Streik – eine revolutionäre Praxis?

Die (kleine) Geschichte des deutschen Streikrechts

Wenn wir streiken, steht die Welt still – feministisch streiken

Warum eigentlich Streik?

Auch unbezahlte Arbeit muss bestreikt werden

Der feministische Streik als Vorbild revolutionärer Praxis? (Gastbeitrag aus Hamburg)

Wir haben eine Welt zu gewinnen!

5. »Da war plötzlich so viel lila ...« – Zum Verhältnis zwischen Gewerkschaften und der feministischen Streikbewegung

Gewerkschaften und Feminismus – Was macht Arbeitskämpfe feministisch?

Kämpfe verbinden – Über die Zusammenarbeit zwischen eministischen Gruppen und Gewerkschaften

»Das ist ein richtig fetter Klotz an Institution«

Und jetzt?

6. Internationalistische Perspektiven

Inicjatywa Pracownicza – Polen

Sara Cufré – Argentinien

Ana Mahmudi – Iran

Nilüfer Koç – Kurdistan

Revolutionärer Aufbau Zürich, Frauenkampfstruktur – Schweiz – Patrizia und Cora

Simunye Women Workers Forum – Südafrika – Meme

Kayole Community Justice Center & Women in Social Justice Centers – Kenia – Maryanne Kasina

7. Was ist unser Streik? Feministischer Streik in der Praxis

Dort kämpfen, wo das Leben ist: Was heißt das eigentlich in unserer Zeit?

Für den feministischen Streik im Alltag

Feministisch streiken in revolutionären Bewegungen

8. Wofür wir streiken – Feministische Utopien

Konkrete Utopien I: Leben, wie wir wollen!

Konkrete Utopien II: Die Revolution ist bereits da!

9. Danksagung

Literaturverzeichnis

Glossar

Anmerkungen

0. Vorwort

Dieser Text wurde von einer Person geschrieben, die wegen der Erarbeitung dieses Buches zeitweise die AG feministischer Streik verlassen hat.

Als ich gefragt wurde, ob ich mir vorstellen kann, dieses Vorwort zu schreiben, musste ich ein wenig schmunzeln. Nicht nur, weil ich für dieses Buchprojekt eine Pause in der AG Feministischer Streik Kassel eingelegt habe. Sondern auch, weil das mich daran erinnert, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass ihr nun dieses Buch in euren Händen haltet.

Die Geschichte dieses Buches beginnt mit einem Treffen Anfang Juni 2021. Wir hatten uns ein paar Monate zuvor in einer Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des 8. MärzG[1] kennengelernt und waren bei der Frage angelangt, die sich jede Arbeitsgruppe irgendwann unweigerlich stellt: Wie weiter?

Unsere Idee, zum 8. März dem Aufruf vom Care Revolution Netzwerk zu folgen und einen »Platz für Sorge« in Kassel einzurichten, hatten wir hinter uns gelassen; die Hoffnung, dass die feministische Streikbewegung in Deutschland nach den Demonstrationen 2018 zu einer großen und schlagkräftigen BewegungG anwachsen wird, allerdings auch.

Wir waren alle noch nicht lange in Kassel und aus Freiburg, Halle, Jena, Köln, Berlin brachten wir eine Menge Begeisterung für den feministischen Streik mit, allerdings auch einen Haufen Enttäuschung und Ratlosigkeit.

Tatsächlich stand im Laufe dieses Treffens kurz im Raum, den feministischen Streik sein zu lassen, einen Sekt zu öffnen und sich einem anderen feministischen Politikfeld zu widmen. Denn wofür auf einen feministischen Streik hinarbeiten, wenn er uns doch so unrealistisch erscheint und so viel Frustration damit verbunden ist? Dass wir das nicht gemacht haben, liegt letzten Endes schlichtweg daran, dass wir es nicht übers Herz gebracht haben. Trotz vieler Fragen und einer ordentlichen Portion Verzweiflung war und ist da auch noch ein glühender Funken Überzeugung, dass es sich lohnt, am feministischen Streik festzuhalten, um der Überwindung von PatriarchatG und Kapitalismus näherzukommen – aber mehr dazu auf den nächsten Seiten.

Trotzdem war klar: Wir stecken in einer Phase mittelmäßiger Orientierungslosigkeit und wir brauchen neuen Elan, um weiterzumachen. Aber wo ansetzen?

Was auch klar war: Wenn wir schon Stunden um Stunden unsere Köpfe zusammenstecken, dann muss da zumindest ein Aufschlag bei rumkommen, der zur Diskussion anregt und bestenfalls Menschen motiviert, sich (wieder) mit dem feministischen Streik zu beschäftigen. Ergebnis davon sind die zwölf Thesen, die ihr am Anfang des Buches lesen könnt.

Das Problem war nur, wir haben uns zwar viele Gedanken über die Thesen gemacht – darüber, wie wir diese dann konkret zugänglich machen können, allerdings weniger. Zwar konnten wir die Thesen bei einem bundesweiten feministischen Streiktreffen diskutieren, was toll war, aber die Thesen zu veröffentlichen, gestaltete sich schwierig.

Ich erinnere mich noch an einen etwas verzweifelten Vormittag nach einem Haufen Absagen von Zeitschriften und Zeitungen (Thesen scheinen kein Lieblingsformat von Zeitungen zu sein), bis wer von uns aus der Gruppe auf die Idee gekommen ist, Verlage anzuschreiben und anzurufen mit der Hoffnung, irgendein Buch zu finden, dem wir unsere Thesen unterjubeln können.

Das Ergebnis davon war dann das unerwartete Angebot vom Unrast Verlag, selbst ein Buch zu schreiben.

Die Entscheidung, dieses Buch zu schreiben, haben wir uns dabei nicht leicht gemacht: Es war klar, dass wir einen Haufen praktischer Arbeit hinten anstellen müssen. Auch waren einige von uns involviert in der Bearbeitung feministischer Konfliktlinien in Kassel. Eigentlich waren wir auch gefragt, noch mehr Beziehungs- und Vernetzungsarbeit zu leisten, um als feministische Bewegung (wieder) besser miteinander zusammenzuarbeiten und gemeinsam stärker zu werden. Unser Gefühl war, mit dem Rückzug in ein Buchprojekt unsere feministischen Genoss*innen und Freund*innen in Kassel (und schließlich auch in der bundesweiten Vernetzung) im Stich zu lassen, was trotz aller Bemühungen sicherlich auch ein Stück weit der Fall war.

Gleichzeitig erschien das Angebot, ein Buch zu schreiben, auch wahnsinnig verlockend: Noch mehr Platz für unsere Gedanken, noch mehr Zeit, um sich mit anderen auszutauschen und sich auf die Suche nach Antworten zu begeben. Bezeichnend ist auch, dass wir trotz Buchprojekt unsere Gruppengröße verdoppeln konnten und an Stelle von sechs nun zwölf Personen sind.

Daneben hatten wir bereits ein Jahr vor Beginn des Buchprozesses das SolidaritätsbündnisCare-Arbeit Kassel ins Leben gerufen, in dem wir zusammen mit großartigen anderen Gruppen und Einzelpersonen ArbeitskämpfeG vor allem im Sozial- und Erziehungsdienst unterstützen. Unsere konkrete Arbeit war demnach nicht gefährdet, komplett zum Erliegen zu kommen.

Warum ihr nun schlussendlich dieses Buch in den Händen haltet, ist schwer zu sagen. Sicher ist eine große Portion Neugier dabei gewesen und auch das Gefühl, »diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen zu können«.

Es zeigte sich aber schnell, dass es mit dieser Entscheidung nicht getan war. Denn wir hatten nicht nur unterschiedliche Vorstellungen, wie so ein Buch aussehen kann und wie wir den Prozess dahin gestalten. Sondern auch die Frage, an wen sich das Buch richten soll, stellte sich neu. Während wir bei den Thesen vor allem die feministische Streikbewegung im Kopf hatten, wollen wir mit dem Buch eine (zumindest etwas) breitere Leser*innenschaft ansprechen. Zudem war gemeinsam ein Buch zu schreiben mit verschiedenen Herausforderungen und Fragen verbunden: Bereits aus dem Schreibprozess zu den Thesen wussten wir, dass nicht nur der Streik (wie wir in These 3 schreiben), sondern auch das gemeinsame Schreiben Beziehungsarbeit ist.

Daneben haben wir zum einen zwar fast alle gelernt, wie wir für die Uni einen Text schreiben, was feministisch schreiben heißt und wie das aussieht, allerdings weniger. Zum anderen begleitete uns auch die Frage, welche Leerstellen wir in unserem Denken haben und wie wir diese am besten füllen können. Und schlussendlich wollten wir bei all unseren Ansprüchen auch noch pragmatisch bleiben und kein ausuferndes Projekt aus dem Buch machen.

Inmitten all dieser Fragen und Aushandlungen fiel auch irgendwann meine Entscheidung, für die Zeit des Buchprojekts eine Pause in der Streik-AG einzulegen und mich mehr der Arbeit im Solidaritätsbündnis Care-Arbeit Kassel zu widmen. Am weiteren Prozess zur Erstellung der folgenden Seiten war ich daher nicht mehr beteiligt. Aber ich weiß, dass ein Haufen Gehirnschmalz, viel Liebe, Leidenschaft, ganz viele schlaue Gedanken und wahrscheinlich auch eine ordentliche Portion Wahnsinn in dieses Buch geflossen sind.

Und ich bin mir sicher, egal mit welcher Motivation ihr dieses Buch lest, ihr werdet darin etwas finden, das neu für euch ist, das euch inspiriert, das ihr anders seht, das euch zu kompliziert oder zu einfach formuliert ist, das euch zum Nachdenken anregt – und wahrscheinlich noch vieles mehr.

Ich freue mich nun vor allem, wieder mehr Zeit mit meinen Freund*innen und Genoss*innen zu haben und endlich wieder gemeinsam mit ihnen Politik machen zu können. Und ich freue mich aufs Lesen und dabei Stöbern, Runzeln, Nachdenken, Verzweifeln, Hoffen, Freuen. Genau das wünsche ich euch auch: Viel Spaß!

Kassel, Mai 2023

1. Einleitung

Als 2018 an verschiedenen Orten der Welt feministisch gestreikt wurde, wurden auch wir von einer Welle der Begeisterung gepackt. Die Bilder von FLINTA*G, die sich kollektiv und massenhaft verweigerten, besetzten, blockierten, randalierten, aber auch Orte des Zusammenkommens schufen, machten klar, dass für feministische Forderungen nicht mehr gebettelt wird. Auch in den zarten Versuchen einer feministischen Streikbewegung in der Bundesrepublik schien für uns eine neue Form feministischer PraxisG und OrganisierungG auf und wir waren Feuer und Flamme für diese neuen Versuche. Ältere Feminist*innen konnten sich zwar noch an die Frauenstreiks in den 1990er Jahren erinnern, für uns alle war aber unglaublich faszinierend, welche Kraft in der feministischen BewegungG plötzlich sichtbar wurde. Wir wussten, dass es in diesem Kampf um uns und unser Leben ging – und um die zentralen Fragen des Lebens überhaupt. »Ich will dort kämpfen, wo das Leben ist!«, sagte die sozialistische Feministin Clara Zetkin Anfang des 20. Jahrhunderts. Für uns heute heißt feministische Politik immer noch genau das. In der BRD hat die jüngste feministische Streikbewegung dann relativ schnell wieder an Fahrt verloren. Uns hatte sie aber maßgeblich geprägt und unseren Blick auf feministische Politik verändert. Ohne Diskussion wollten wir den feministischen Streik nicht einfach aufgeben. Die in diesem Buch formulierten zwölf Thesen sollten ein Aufschlag für diese Diskussion sein. Nun ist ein ganzes Buch daraus geworden.

Mit diesem Buch verfolgen wir mehrere Anliegen. Einmal wollen wir dem auf die Spur kommen, was wir aus dem feministischen Streik für eine revolutionäreG und feministische Praxis im Allgemeinen lernen können. Mit der Perspektive auf eine gemeinsame Praxis im Streik sehen wir aber auch die Möglichkeit der Vermittlung verschiedener feministischer Strömungen bzw. Anliegen. Unser Ziel ist es, aus materialistischerG Perspektive auch queereG Themen – die sonst von materialistischen Feminist*innen oft ignoriert werden – zu bearbeiten. Dezidiert queerfeministische Zugänge fanden wir im großen Ganzen nicht überzeugend, einzelne Elemente aber dennoch hilfreich. Als Ergebnis langer Diskussionen und eines sehr pragmatischen Umgangs mit verschiedensten Theorie-Ansätzen könnt ihr in diesem Buch unseren Vorschlag für eine queerfeministische Klassenpolitik lesen. Zu guter Letzt sehen wir auch immer noch Gründe dafür, feministisch zu streiken, die hier im Buch ausformuliert werden. Ob wir gemeinsam an einer Wiederbelebung der feministischen Streikbewegung arbeiten oder uns doch eher anderen Politikfeldern zuwenden sollten – das würden wir gerne mit euch diskutieren.

Dieses Buch enthält einen kurzen Einstieg in Kapitalismuskritik, in feministische Theorie, Theorien über Streik, Gewerkschaften und Internationalismus. Damit richtet es sich an alle, die den feministischen Streik miterlebt haben (oder davon gehört haben) und denken, dass wir ihn nicht einfach auf den Müllhaufen der Geschichte manövrieren, sondern zumindest gemeinsam vermessen sollten, was er war und was er sein könnte. Es richtet sich an alle, die in der feministischen Streikbewegung aktiv sind oder es werden wollen. Und es richtet sich an alle, die sich mit den Verhältnissen, wie sie sind, nicht zufrieden geben und sie radikal verändern wollen – und auf der Suche nach geeigneten Praxen und Organisierungsformen dafür sind, egal ob ihr schon lange zu feministischen Themen arbeitet oder neu in der Bewegung seid.

Die Abschnitte des Buches funktionieren auch unabhängig voneinander. Wir haben uns bemüht, die Kapitel so zu schreiben, dass jedes auch für sich stehen kann. Das heißt, ihr könnt einfach das lesen, was euch interessiert. Einiges ist sehr einführend und soll euch die Möglichkeit geben, in neue Gedanken und Debatten einzusteigen. Die einführenden Texte könnt ihr aber auch überblättern, wenn ihr sie nicht braucht. Das betrifft vor allem die Einführungen zu Arbeit, Geschlecht, Klasse (Kapitel 3) und Gewerkschaften (Kapitel 5). Wobei das Kapitel 3 stärker theoriegeleitet ist und daher sprachlich etwas komplexer geschrieben ist.

Wir haben uns auch dafür entschieden, in unserem Buch unterschiedliche Textformen zu vereinen. Die einführenden Anfangskapitel haben einen eher wissenschaftlichen und theoretischen Zugang, während die Kapitel im hinteren Teil sich eher aus unseren praktischen Überlegungen speisen. In verschiedenen Kapiteln lassen wir auch andere Personen mit ihren Erkenntnissen zu Wort kommen. In das Kapitel 4 zum feministischen Streik haben wir einen Text von Genoss*innen aus Hamburg aufgenommen. Im Kapitel zu Internationalismus (Kapitel 6) lassen wir andere Leute sprechen und drucken Interviews ab, die wir mit verschiedenen Aktivist*innen geführt haben. Auch für das Kapitel zu Gewerkschaften (Kapitel 5) haben wir verschiedene Menschen interviewt, deren Aussagen in unsere Erkenntnisse miteingeflossen sind.

Wir haben uns zudem bemüht, sprachlich präzise, aber nicht zu kompliziert zu schreiben. Weil wir aber trotzdem eine Menge Fachwörter benutzen, haben wir für euch ein Glossar erstellt, das ihr am Ende des Buches findet. Die Begriffe, die im Glossar stehen, haben wir im Text mit einem hochgestellten G gekennzeichnet. Wir hoffen, wir können damit zu einem besseren Verständnis beitragen.

Wir haben dieses Buch als Kollektiv geschrieben. Das bedeutet, dass wir mit mehr als zehn Personen Aushandlungen darüber geführt haben, worüber wir konkret schreiben, welche Prioritäten wir setzen und was wir zu Dingen denken. Wir haben auch viel diskutiert, wie wir schreiben und welche Wörter und Begriffe wir wählen. Zu vielen Fragen haben wir in der Schreibgruppe widersprüchliche Meinungen und Gedanken gehabt. Während wir uns zu bestimmten Themen inhaltlich einig waren, haben wir zu anderen Fragen viel diskutiert, gestritten und zum Teil schmerzhafte Auseinandersetzungen untereinander geführt. Im Laufe des Buchprozesses sind auch Personen ausgestiegen, weil in Bezug auf die Arbeitsweise und in inhaltlichen Fragen unterschiedliche Haltungen deutlich geworden sind, die innerhalb der Gruppe nicht miteinander vereinbar waren. Das bedeutet, dass dieses Buch keine homogene oder abgeschlossene Analyse darstellt. Vielmehr hoffen wir, dass es den Auftakt von vielen weiteren Debatten und Aushandlungen in unterschiedlichen Kontexten bildet, auf die wir uns jetzt schon freuen!

Wir schreiben dieses Buch aus einer weißenG Perspektive. Wir haben alle keinen Migrationshintergrund und sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, manche von uns in Ostdeutschland, viele von uns in Westdeutschland. Alle Schreibenden studieren derzeit noch oder haben studiert, wir schreiben also aus einer akademischen und durch Theorie informierten Perspektive. Niemand von uns hat eine Be_hinderungG. Wir haben unterschiedliche sozioökonomische Hintergründe, teilweise lohnarbeitenG wir im Care-Sektor oder in der politischen Bildungsarbeit. Wir sind eine Gruppe von FLINTA*, wir erleben also im Alltag selbst Sexismus und Queerfeindlichkeit. Und wir sind in Kassel in verschiedenen aktivistischen Kontexten organisiert. Auch das prägt unseren Blick auf Theorie und Praxis. Wir thematisieren in unserem Text auch Diskriminierungsformen, zu denen wir selbst kein Erfahrungswissen haben, wie Rassismus oder AbleismusG. Wir sind deshalb auf das Wissen und die Kritik von Genoss*innen angewiesen, die uns Gedanken und Anregungen gegeben haben, auf die wir selbst nicht gekommen wären.

Mit genau diesem Wissen, das uns Genoss*innen zur Verfügung gestellt haben, sind wir teilweise verantwortungslos umgegangen. So haben wir etwa für das Internationalismus-Kapitel ein Hintergrundgespräch mit eine*r Genoss*in geführt und Teile aus diesem Interview in das Kapitel einfließen lassen, ohne anfangs zu kennzeichnen, woher dieses Wissen kommt. Dadurch hat es so gewirkt, als wären wir von selbst auf diese Gedanken gekommen. Um das zu erkennen, mussten wir in einer kritischen Intervention jedoch erst darauf hingewiesen werden. Diese Kritik wollen wir hier sichtbar machen. Die folgende Darstellung der Kritik und die damit einhergehenden Erkenntnisse in den nächsten Absätzen sind das Ergebnis von Gesprächen, die infolge dieser Intervention stattgefunden haben. Wir teilen also auch hier Wissen und Erkenntnisse, die uns in dieser Form nur durch den Austausch mit von Rassismus betroffenen Genoss*innen bewusst wurden.

Wir haben in der Erstellung dieses Buchs sowohl inhaltlich als auch in unserer Arbeitsweise Rassismus reproduziert. Damit haben wir Genoss*innen und Freund*innen von uns verletzt und enttäuscht. »Ich würde gern sagen, es ist verwunderlich, aber das ist es nicht«, brachte es eine*r von ihnen auf den Punkt. Als unsere Auseinandersetzung damit endlich ins Laufen gekommen ist, war das Buch bereits fertig geschrieben. So ging die Abgabe des Manuskripts mit der Reflexion dazu einher, in welchen Punkten und Dimensionen es diesem Buch anzumerken ist, dass es von einer weißen Autor*innengruppe geschrieben wurde.

Es ist nicht verwunderlich, dass wir in dieselben rassistischen Muster verfallen sind, die uns diese Gesellschaft von klein auf beigebracht hat: Unsichtbarmachung von und Nicht-Beschäftigung mit Rassismuserfahrungen und die Nicht-Anerkennung der Arbeit, die es bedeutet, sich mit Rassismen auseinanderzusetzen und sie alltäglich zu erfahren.

Hier tritt deutlich zutage, womit wir uns als Autor*innengruppe nur unzureichend auseinandergesetzt haben: Wir sind eine weiße Schreibgruppe und haben aufgrund dessen eingeschränkte Sichtweisen und Erfahrungen. Wir gehen von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten aus, die so nicht universalisierbar sind, und denken bestimmtes Wissen und viele Erfahrungen nicht mit. Obwohl wir mit dem Anspruch angetreten sind, verschiedene Machtverhältnisse in diesem Buch als Ausgangspunkt zu nehmen, ist an vielen Stellen die Rede von einem »Wir«, das bei Weitem nicht alle Menschen miteinschließt. Die Auseinandersetzung damit ist unbequem, anstrengend und überfordernd und gerade deshalb haben wir uns davor gescheut, sie anzugehen.

Möchten wir aber mit unseren Genoss*innen gemeinsam gegen gesellschaftliche Verhältnisse vorgehen, müssen wir dabei reflektieren, dass wir unterschiedlich von Ungleichheitsverhältnissen betroffen sind und dass auch wir es sind, die diese Verhältnisse reproduzieren und stützen. Unsere Blicke auf den Alltag und die politische Praxis und damit auch auf Möglichkeiten von Emanzipation und Widerstand unterscheiden sich. RassifizierteG und migrantisierteG Genoss*innen in Deutschland müssen sich auch innerhalb organisierter Gruppen mit Rassismus befassen und ständig Aufklärungsarbeit leisten. Be_hinderteG Personen sind an vielen Orten mit Barrieren konfrontiert, nicht-akademisierte Menschen müssen ständig eine verständlichere Sprache einfordern. Doch nur selten führt das zu einer tiefgehenden Reflexion, die darin mündet, auch die politische Praxis und die Art und Weise, wie wir Kämpfe führen, zu verändern. Damit ist und bleibt die linke Bewegung in Deutschland ein exklusiver Club mehrheitlich weißer, privilegierter Personen, der nur schwer zugänglich ist und nur schwerfällig bereit ist, andere Stimmen zuzulassen und ihnen zuzuhören.

Unsere Ignoranz und unsere Rassismen spiegeln sich auch in der bundesweiten feministischen Streikbewegung wider. Sie besteht zu großen Teilen aus weißen Aktivist*innen und hat es bisher verfehlt, einen rassismuskritischen Reflektionsprozess einzuleiten und durchzuführen, trotz verschiedener Auseinandersetzungen, die in der Vergangenheit bereits stattgefunden haben. Auch beim Schreiben dieses Buches haben wir es verpasst, diese Kritik aufzunehmen und zu thematisieren. Wir haben uns nicht mit der Frage auseinandergesetzt, weshalb die lokalen und auch die bundesweiten Streik-Vernetzungen mehrheitlich weiß sind. Wir haben auch nicht mit migrantisierten und rassifizierten Menschen gesprochen, die bewusst kein Teil der Bewegung (mehr) sind oder sich aufgrund fehlender Auseinandersetzung mit Rassismus innerhalb der Bewegung nicht in dieser organisieren wollen. Das wäre eine wichtige und notwendige Erweiterung für unsere Ausführungen gewesen und stellt nun eine Lücke dar, die wir nicht mehr füllen können. Wir möchten jedoch trotzdem die Diskussion dazu anregen und freuen uns, wenn wir uns zukünftig darüber austauschen!

Trotz der Lücken und Verfehlungen, die wir hier aufzeigen, haben wir uns entschieden, das Buch zu veröffentlichen. Wir selbst haben im Schreibprozess sehr viel gelernt und freuen uns darauf, diese Dinge mit mehr Menschen zu diskutieren. Unsere Reflexionsprozesse hinsichtlich der Frage, inwiefern wir Machtverhältnisse in diesem Buch und in unserer bisherigen politischen Praxis zementieren, sind aber noch lange nicht abgeschlossen. Wir sehen das Buch als einen Zwischenstand in kontinuierlich andauernden Lern- und Übungsprozessen, die darauf abzielen, diese Machtverhältnisse nicht länger zu festigen, sondern stattdessen anzugreifen.

Unsere Perspektiven, aus denen heraus wir dieses Buch geschrieben haben, sind nicht nur weiß, sondern auch durch Erfahrungen und Wissen aus dem globalen Norden geprägt. Das bedeutet, dass wir uns hauptsächlich auf diesen Kontext beziehen, meistens ganz konkret auf Verhältnisse und Gegebenheiten in Deutschland.

Nicht nur in Deutschland, sondern an vielen Orten dieser Welt taucht in (queer-) feministischen Debatten immer wieder die umstrittene Frage auf, wer eigentlich das politische SubjektG unserer Kämpfe ist. Auch in unserem Buchschreibprozess haben wir viel darüber diskutiert und uns gefragt: Über wen sprechen wir gerade? Welche Geschlechter sind gemeint, wer erfährt welche Form von Ausbeutung und Ausgrenzung? Und wer steht im Zentrum feministischer Kämpfe? Wir versuchen in diesem Buch, so konkret wie möglich die Geschlechter zu nennen, um die es im jeweiligen Kontext geht. In historischen Betrachtungen geht es oft um Frauen. TIN*G Personen tauchen hier meist nicht explizit auf. Viele Analysen in diesem Buch und vor allem Möglichkeiten des Widerstandes, die wir aufmachen, beziehen sich auf FLINTA* (Frauen, Lesben, inter*G, nicht-binäre, trans*G und agenderG Personen). Teilweise unterscheiden sich die Situationen von Frauen und TIN* aber auch. Und auch trans*, nicht-binäre und inter* Personen sind mit teils sehr unterschiedlichen Problemen und Erfahrungen in dieser Gesellschaft konfrontiert. Auch trans* Personen bilden keine homogene Gruppe: Trans*maskuline und trans*feminine Perspektiven unterscheiden sich. Wir versuchen möglichst, verschiedenen Identitäten nicht einfach nur ›mitzumeinen‹, sondern die verschiedenen Rollen, sozialen Lagen und Erfahrungen zu differenzieren. Dabei ist natürlich klar, dass individuelle Erfahrungen nie in diesen abstrakten Beschreibungen aufgehen. Wir denken aber, dass wir einige gesellschaftliche Gesamttendenzen und grundlegende Mechanismen beschreiben konnten.

Das Buch startet mit zwölf Thesen zum feministischen Streik, welche wir 2021/22 geschrieben haben. Die Thesen bilden den Ausgangspunkt dieses Buches. Die weiteren Kapitel versuchen, verschiedene Begriffe und Überlegungen, die wir in den Thesen formuliert haben, tiefer zu ergründen. In Kapitel 3, »Queerfeministische Klassenpolitik«, machen wir eine Einführung in das Thema Arbeit und Klasse und schauen, wie diese sich auf PatriarchatG und Kapitalismus auswirken bzw. mit ihnen im Wechselspiel stehen. Daraus leiten wir dann unsere Theorie der queerfeministischen Klassenpolitik ab und zeigen, warum diese so notwendig ist.

Im Kapitel über den feministischen Streik (Kapitel 4) versuchen wir, historisch, begrifflich und juristisch das Feld zu klären, auf dem wir uns bewegen, wenn wir von einem feministischem Streik sprechen. Dabei wollen wir revolutionäre Potenziale, aber auch Schwierigkeiten des feministischen Streiks abstecken. Unterstützt wird dieses Kapitel durch einen Gastbeitrag von Hamburger Genoss*innen vom 8. MärzG-Bündnis.

Im Kapitel »Da war plötzlich so viel lila …« (Kapitel 5) wird das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und der feministischen Streikbewegung genauer unter die Lupe genommen. Grundlage für dieses Kapitel waren viele Gespräche und Interviews mit verschiedenen Aktivist*innen, Kolleg*innen und Wissenschaftler*innen.

Im Kapitel zu Internationalismus (Kapitel 6) beschäftigen wir uns mit Kämpfen an anderen Orten, aber auch damit, was gelebter Internationalismus für uns vor Ort bedeuten kann. Wir möchten unsere Kämpfe mit den ihren verbinden, uns gegenseitig unterstützen und voneinander lernen. Dafür haben wir mit Aktivist*innen aus Polen, Argentinien, dem Iran, der kurdischen Bewegung, Kenia, der Schweiz und Südafrika über ihre Erfahrungen gesprochen und und die gekürzten Interviews hier abgedruckt. In unsere Diskussion sind aber auch Gespräche mit Genoss*innen in Kassel eingeflossen.

In Kapitel 7 beschreiben wir einige Eckpfeiler für einen feministischen Streik heute. Hier geht es zentral auch um die Frage, wie wir mit anderen Kämpfen in Verbindung stehen, und wir nehmen dabei auch Themen in den Blick, die in der ersten Betrachtung nicht als explizit feministische Themen erkennbar sind. Wir navigieren den feministischen Streik dabei durch das Durcheinander unserer Alltagserfahrungen und der großen Weltgeschichte. Wir enden dann mit Kapitel 8 in einer feministischen Utopie, die, bei genauerer Betrachtung, auch schon in unser heutiges Leben hineinragt.

Wir hoffen, dass euch das Buch in euren Kämpfen weiterhilft, und freuen uns auf die Diskussionen, die wir damit anregen.

2. Zwölf Thesen und ein Buch

Am Anfang dieses Buchprozesses standen zwölf Thesen. Und am Anfang dieser Thesen wiederum eine Menge Fragen. Es war gerade einmal wieder ein 8. MärzG vergangen und wir fragten uns, wo wir nun eigentlich stehen. Wohin steuert die feministische Streikbewegung der BRD? Warum folgte auf die Jahre der breiten und großen Proteste am 8. März, bei denen wir der Form eines tatsächlichen politischen Streiks schrittweise näherzukommen schienen, Jahre der völligen Demotivation und inneren Streitigkeiten? Wer steht denn eigentlich noch hinter dem Aufbau einer feministischen BewegungG, die einen feministischen Generalstreik als Zwischenziel anvisiert?

Wir entschieden, dass es in Zeiten mittelfristiger Orientierungslosigkeit ratsam sein kann, sich ernsthaft mit solcherlei Fragen zu beschäftigen. Ergebnis dieses Prozesses waren die zwölf Thesen, die wir nicht als das Ende der Geschichte, sondern vielmehr als Ausgangspunkt der Diskussion betrachteten. Die Diskussion, um die es uns ging und nach wie vor geht, ist die innerhalb einer feministischen Bewegung, zwischen linken Gewerkschafter*innen und Lohnabhängigen, streikerfahrenen, kritischen Stimmen und glühenden Verfechter*innen eines Streiks.

Bei Fertigstellung der Thesen hatten wir einiges gelernt – vieles aber auch nur oberflächlich gestreift und inhaltlich angerissen. Als daher die Frage vom Unrast Verlag kam, ob wir uns vorstellen könnten, ein Buch zu schreiben, nahmen wir uns der Aufgabe trotz aller Skepsis auch mit einiger Freude an. Ein Buch zu schreiben, so viel war uns klar, bedeutete, in eine tiefere Auseinandersetzung mit den Inhalten zu gehen. Nicht nur konnten wir uns der Geschichte des (feministischen) Streikens umfassender annehmen, auch unsere theoretischen Grundlagen konnten plötzlich mehr Raum zur Entfaltung bekommen. Wir stellten fest, dass wir dringend mehr Perspektiven aufnehmen und uns mit Genoss*innen international austauschen wollten.

In den Thesen haben wir eine stärkere Fokussierung auf die Bewegung in ihrem konkreten Zustand vorgenommen. Im Buch hingegen stellen wir uns verstärkt die Frage, was den feministischen Streik eigentlich in seiner Qualität ausmacht. Wo ist der Streik nicht nur eine Methode, sondern auch eine Haltung, eine spezifische Kampfform, die die Widersprüche zum Ausdruck bringt, denen wir als FLINTA*G ausgesetzt sind? Das Buch steht also in direkter Kontinuität zu unseren Thesen – es widerspricht ihnen nicht, sondern ergänzt sie mit Tiefe und Perspektive. So konnten wir unseren Streikbegriff über den Prozess des Schreibens nochmals erweitern, indem wir ihn mit umfassenderer Kenntnis aus internationalen Kontexten und einem präziseren Verständnis des Feministischen im Streik bereicherten, ohne dem Streikbegriff der Thesen damit einen Abbruch zu tun.

Wir freuen uns daher, dass wir euch nun am Ende des Buchschreibprozesses eine breite Grundlage zur Diskussion liefern können. Eine, die sich nochmal stärker erklärt und hinterfragt, und die ebenso wie die Thesen zur Kritik und zum Weiterdenken einlädt.

Thesen für den feministischen Streik

Streiks und Massenbewegungen, die Verbesserungen für unsere Lebens- und Arbeitsverhältnisse erkämpft haben, sind Teil unserer Geschichte. Dennoch scheint es heute im globalen Norden schwer vorstellbar, fast unmöglich, noch einmal derartige soziale Bewegungen vereint auf der Straße zu sehen. Dafür hat der neoliberale Kapitalismus mit seinem Individualismus und der daraus folgenden Vereinzelung gesorgt. Doch um sein Überleben zu sichern, untergräbt dieser patriarchale Kapitalismus die Wurzeln seiner – und unserer – ReproduktionG: Unser Planet steht kurz vor dem Klima-Kollaps, Depression und Burnout sind an der Tagesordnung, gesellschaftliche Infrastruktur – wie Krankenhäuser – wird privatisiert und dem Profitstreben unterworfen. Erziehung, Pflege und Sorge müssen entweder bezahlt unter Zeit- und Leistungsdruck und prekärstenG Bedingungen oder unbezahlt in der raren Freizeit erledigt werden – und zwar vor allem von FLINTA*, die, gerade in der (schlecht) bezahlten SorgearbeitG, zudem häufig eine Migrationsgeschichte haben oder sich in besonders vulnerablen Lebenssituationen befinden. Oft scheint es, als hätten wir nicht viele Möglichkeiten, uns gegen das, was uns angetan wird, zu wehren. Doch der Blick auf unsere Geschichte und auch auf die gegenwärtigen feministischen Kämpfe im globalen Süden zeigt uns, dass wir stark sind, wenn wir die Vereinzelung überwinden können! Weil die Krise unserer Zeit eine Krise der Reproduktion ist, muss unsere Antwort eine feministische sein. Aus Polen, Spanien und Argentinien können wir Hoffnung schöpfen und lernen, was zu tun ist. Unsere Thesen sind ein Versuch zu zeigen, warum der feministische Streik die Kampfansage ist, die wir jetzt vor uns hertragen müssen – und wie wir damit anfangen.

These 1: Als feministische Streikbewegung in Deutschland stecken wir in einer Phase mittelmäßiger Orientierungslosigkeit. Das Hangeln von einer Aktion zur nächsten führt dazu, dass sich unsere Ressourcen leerlaufen, ohne dass wir tatsächlich einen Plan haben, wohin wir wollen und wie wir unsere Ziele erreichen können.

Und so stellt sich immer wieder nach dem 8. März die gleiche Frage: Was nun eigentlich? Wir erholen uns von den Strapazen der Demovorbereitung, machen das Jahr über noch die ein oder andere Aktion, um dann im November erneut mit der Demovorbereitung für den 8. März einzusteigen. Und das jedes Jahr aufs Neue. Wir sind dabei wenig zielgerichtet, machen mal dies und mal das. Unser Motto ist mehr »Hauptsache, wir machen irgendwas«, als dass wir an eine ernsthafte Veränderung glauben und eine konkrete Vorstellung davon haben, was wir wollen. So kann zwar die feministische Bewegung wachsen, doch wohin wir uns eigentlich bewegen, bleibt unklar.

These 2: In den letzten Jahren mangelte es der feministischen Bewegung an einer antikapitalistischen Ausrichtung. Im bestehenden System lässt sich aber keine Befreiung von FLINTA* bewerkstelligen. Wir müssen uns daher gemeinsam für eine queerfeministische Klassenpolitik zur Befreiung aller Geschlechter jenseits des Kapitalismus entschließen!

Feminismus ist geradezu in Mode gekommen: H&M verkauft T-Shirts, auf denen »The Revolution is female« steht, und im Pride Month werden vor den Läden Regenbogenfahnen gehisst. Das macht uns wütend, weil es zeigt, wie feministische Anliegen in das kapitalistische System integriert werden. Dagegen braucht es einen hundertprozentig antikapitalistischen Feminismus, denn ein liberaler Feminismus wird die Gewaltverhältnisse niemals hinter sich lassen: Wir müssen uns also entscheiden, liberale Feminist*innen rechts liegen zu lassen, wenn sie sich nicht davon überzeugen lassen, für eine vollständige Überwindung der Verhältnisse zu kämpfen. Das mag wehtun, aber nicht so sehr wie das ewige Ausharren in den gewaltvollen Zwängen der Gegenwart. Die zwanghafte Herstellung und Aufrechterhaltung von Geschlechterbinarität, das globale Nord/Süd-Gefälle sowie die Ausbeutung von Care- und Sorgearbeit bilden erst das Fundament der kapitalistischen Produktionsweise. Patriarchat und Kapitalismus sind strukturell miteinander verbunden und können daher auch nur gemeinsam überwunden werden. Deshalb: Für eine progressive queerfeministische Klassenpolitik!

These 3: Die Streikbewegung der letzten Jahre hat intern an einem Umgang miteinander gelitten, der uns oft zurückgeworfen hat. Natürlich braucht es OrganisierungG und Entschlossenheit, aber auch Wohlwollen und Vertrauen. Wenn wir nicht aktiv an einem guten Umgang miteinander arbeiten, wird jede Meinungsverschiedenheit zur Sprengstofffalle und schnell zur nächsten Spaltung.

Streik ist Beziehungsarbeit! Wir alle leben in einer Welt voller Widersprüche und sind dabei mit jeweils unterschiedlichen Erfahrungen und Positionierungen konfrontiert, die unsere Ansprüche und Vorstellungen von politischer Arbeit prägen. Die feministische Bewegung ist kein märchenhafter Ort jenseits der Normalgesellschaft, an dem wir internalisierte Rassismen, Antisemitismus, queerGfeindliche Verhaltensweisen und anderen Scheiß plötzlich auf magische Weise überwinden würden. Anstatt uns aber deshalb zu zerlegen, sollten wir einen kritisch-solidarischen Umgang einüben, der weder vom Anspruch abrückt, es besser zu machen, noch von der dringend notwendigen Fehlerfreundlichkeit gegenüber uns selbst und anderen.

These 4: Trotz aller Schwierigkeiten müssen wir am Streik als Mittel unserer Wahl festhalten! Durch ihn können wir gesellschaftlichen sowie ökonomischen Druck erzeugen und so die verschiedenen Ebenen, auf denen sich etwas verändern muss, gemeinsam adressieren!

Auch wenn es uns in der BRD bislang nicht gelungen ist, eine Streikbewegung aufzubauen, die ihres Namens würdig ist, dürfen wir den feministischen Streik nicht aufgeben! Er ist genau das Mittel, das wir brauchen, um eine langfristige und antikapitalistische feministische Bewegung aufzubauen, die groß werden kann. Wenn wir Arbeitsverhältnisse in den Mittelpunkt unserer Bewegung stellen, greifen wir die kapitalistische Dimension patriarchaler Unterdrückung an. Ein feministischer Streik verbindet sowohl ökonomische als auch politische Anliegen. Wie bei einem klassischen gewerkschaftlichen Streik legen wir beim feministischen Streik unsere Arbeit nieder – aber erzeugen dabei nicht nur ökonomischen, sondern eben auch gesellschaftlichen Druck. Wir kämpfen dann nicht nur für eine konkrete Verbesserung unserer Arbeitsverhältnisse, sondern auch für eine tiefgreifende Veränderung unserer Lebensumstände: gegen Gewalt an FLINTA*, binäre Geschlechterrollen und neoliberale Sparpolitik. Dafür, dass reproduktive Arbeiten einen wichtigeren Stellenwert in der Gesellschaft erhalten und für alle durch alle gesorgt wird.

These 5: Der feministische Streik kann mehr sein als nur unser Mittel zum Zweck, nämlich bereits ein Prozess, in dem wir Utopien erproben. Das passiert aber nicht von allein, sondern muss ein ausgesprochenes Ziel unserer Arbeit sein.

Streik heißt Verweigerung! Im feministischen Streik verweigern wir uns dabei aber nicht nur der Ausführung unserer abgewerteten und missachteten Arbeit, sondern auch anderer gesellschaftlicher Zwänge – und das erfordert von uns das Erproben von Utopien. Wenn wir die Individualisierung von Sorgearbeit bestreiken, erfordert das unweigerlich kollektivierte Formen der Zubereitung von Mahlzeiten, der Pflege und Kinderbetreuung. Wir müssen neue Arten von Beziehungsarbeit erlernen, auch über gesellschaftliche Spaltungslinien hinweg – und das schon im Hier und Jetzt. Doch wir dürfen nicht dem Trugschluss verfallen, das alles passiere allein durch das Niederlegen von Arbeit. Stattdessen müssen wir das Üben dieser Utopien als Teil unserer PraxisG begreifen, anstatt die neuen Formen des Umgangs miteinander in eine ferne, bessere Zukunft zu verlagern. Nur wenn wir alle gesellschaftlichen und kollektiven Dimensionen bei diesem Kampf mitbedenken, kann der feministische Streik als Mittel seine vielen Facetten entfalten und uns zum Erfolg führen!

These 6: Politische SubjekteG bilden sich nur im Prozess heraus. Der Aufbau einer großen feministischen Streikbewegung kann ein solcher Prozess sein und uns somit langfristig Handlungsfähigkeit verleihen. Dabei liegt der größte Erfolg darin, erfahrbar zu machen, dass wir die Dinge in die Hand nehmen und die Welt verändern können.

Niemand ist als Revolutionär*in auf die Welt gekommen – und selbst diejenigen, die zu dieser Selbstbezeichnung gelangt sind, würden sich in einer Gesellschaft, die wir uns für die Zukunft erträumen, wohl nur schwer zurechtfinden. Zu sehr sind wir alle geformt und geschult durch die Gesellschaft der Kleinstunternehmer*innen und Egozentriker*innen, durch Profit- und Konkurrenzlogiken. Es braucht einen langsamen, aber steten Umbau der Persönlichkeit, wenn wir in Zukunft bedürfnis- statt leistungsorientiert leben wollen. Wir wollen die Dinge politisch betrachten, anstatt uns wie heute in der Passivität der RepräsentativdemokratieG einzurichten. Was es hierfür braucht: Viele verschiedene Prozesse innerhalb der feministischen Streikbewegung, in denen wir uns als politische Subjekte ausprobieren können: als wütende Masse, als umsorgende Genoss*innen und als kritische Köpfe. Nur dadurch, dass wir einen gemeinsamen Weg beschreiten, können wir mehr werden, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit machen und die Angst vor dieser ungewissen Zukunft loswerden, die eine echte selbstgestaltete politische Gesellschaft bereithalten könnte! Dafür braucht es nicht immer den fertigen Fahrplan, viel ist schon gewonnen durchs Loslegen, Machen, dabei vielleicht auch mal auf die Fresse Fliegen – und durch die langfristige Perspektive, dass der Weg im Gehen deutlicher werden wird!

These 7: Ohne ein konkretes Ziel können wir keine Strategie entwickeln und niemand wird sich unserem Weg anschließen. Daher müssen wir ausformulieren, was unsere Vision ist: Wir wollen eine bedürfnisorientierte Gesellschaft errichten, in der Reproduktionsarbeit vergesellschaftet ist.

Wer heute Reproduktionsarbeit leistet, der weiß um das aufreibende Gefühl, ständig etwas hinterherzulaufen und selten genug Zeit und Kraft zu haben, um mehr als das Nötigste zu erledigen. Und wie soll es auch anders sein in einem System, das Fürsorge ausschließlich als Mittel begreift, unsere Leistungsfähigkeit für den Arbeitsmarkt zu sichern. Wie schön könnte es hingegen sein, wenn das körperliche und emotionale Wohlbefinden von uns und unseren Mitmenschen kein Extra ist. Wenn wir uns zuallererst um uns selbst und umeinander kümmern, anstatt in ständiger Konkurrenz zueinander Profite für die Firma zu erwirtschaften. Wenn Kranke das Bett nicht räumen müssen, um einer Fallpauschale gerecht zu werden, Menschen ihre Wohnung nicht verlieren können, weil das Viertel teurer geworden ist! Wenn wir in gemeinsamer Verantwortungsübernahme an der Eindämmung des Klimawandels arbeiten, statt dem schwerfälligen Ringen der kapitalistischen Staaten um jedes Gramm CO2 beizuwohnen. So simpel und doch so anspruchsvoll sind unsere ersten Ideen einer anderen Gesellschaft. Dass das noch längst nicht das Ende aller Weisheit ist, versteht sich von selbst. Aber auch wenn wir den Horizont utopischer Möglichkeiten noch lange nicht vermessen haben, so haben wir doch schon jetzt klar vor Augen: Nachdem wir das patriarchal-kapitalistische Korsett durchschnitten haben, entsteht etwas neues Unbekanntes, das schöner und besser ist als die Tristesse der Gegenwart!

These 8: Neben einem langfristigen Ziel bedarf es auch mittelfristiger radikaler Zwischenziele, die die kapitalistische Logik infrage stellen. In ihnen muss unsere Vision einer anderen Gesellschaft bereits sichtbar werden.

Jaja, im Moment ist überhaupt ein politischer Streik für manche schon das größte der Gefühle. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es uns um das geht, was danach folgt, und dass immer für etwas gestreikt wird! Dieses ›Wofür‹ kann weder immer nur eine sozialdemokratische Verbesserung sein noch direkt die große Utopie, die nur verschwommen am Horizont aufscheint. Um voranzuschreiten brauchen wir radikale Zwischenschritte, welche die kapitalistische Logik selbst angreifen und dadurch auch unserer Utopie schärfere Konturen verleihen. Bereits existierende Beispiele dafür sind die Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnungsbau- oder Energiekonzernen wie RWE oder Deutsche Wohnen, aber auch die Neukonzipierung von Bildungseinrichtungen ohne Leistungslogik.

Der politische Streik ist für die Erreichung unserer Ziele und Zwischenziele in vielerlei Hinsicht ein geeignetes Mittel. Gleichzeitig ist der politische Streik selbst schon ein Moment von deren Verwirklichung. Mittel und Zweck sind hier nicht mehr klar voneinander zu trennen. In der Praxis des politischen Streiks scheint unsere Utopie schon auf.

These 9: In den kommenden Jahren wollen wir eine feministische Streikbewegung entlang von Lohnarbeitskämpfen und ergänzend im unentlohnten Sorgebereich aufbauen. Die derzeitigen ArbeitskämpfeG in sozialen Berufen sind ein zentraler Ort, um feministische Ideen gesellschaftlich breiter zu verankern.

Für einen feministischen Streik gibt es tausend gute Gründe. Wir können aber nicht gegen alles gleichzeitig ankämpfen. Also wo anfangen? In einem Land wie Deutschland, das bis zum Abwinken mit materiellem Überfluss ausgestattet ist, stellt die immense Ausbeutung bezahlter und unbezahlter Sorgearbeit einen Skandal dar. In Anbetracht dessen, wer unter welchen Bedingungen im Sorgebereich arbeitet, treten die rassistischen und vergeschlechtlichten Strukturen unserer Gesellschaft besonders hervor und ihre Einhegung in globale Ausbeutungsverhältnisse wird deutlich. Unsere Wut über die bestehenden Verhältnisse hierauf zu konzentrieren, ist daher die logische Konsequenz. Der Angriff auf die kapitalistisch-patriarchale Arbeitsteilung ist mehr als überfällig. Es gibt bereits gesellschaftliche Auseinandersetzungen, die genau an dieser Stelle geführt werden, wie etwa die jüngsten Arbeitskämpfe in Krankenhäusern oder Sozial- und Erziehungsdiensten. Als feministische Streikbewegung besteht unsere Aufgabe darin, uns dort einzumischen und zu unterstützen. Zwischen den Arbeiten im bezahlten und unbezahlten Sorgebereich muss dabei eine Brücke geschlagen werden. Auf Basis feministischer und emanzipatorischer Ideen für ein solidarisches Zusammenleben kann so eine neue Klassenperspektive und neues Klassenselbstbewusstsein entstehen.

These 10: Das kapitalistische Wirtschaftssystem basiert auf rassistischer Ausbeutung und Gewalt. Unser Kampf für eine befreite Gesellschaft kann darum nur ein antirassistischer und internationalistischer sein. Wir müssen unsere strukturellen Verstrickungen und Beziehungen sowohl innerhalb der BRD als auch mit Menschen im globalen Süden im Blick haben, um rassistischen Spaltungslinien des Kapitals aktiven Widerstand entgegenzustellen.

Wenn in der Geschichte des Kapitalismus weißeG Arbeiter*innen Errungenschaften für sich erkämpfen konnten, geschah dies oft auf dem Rücken von SchwarzenG Menschen und People of Color. Wenn sich in Deutschland weiße Frauen aus dem Mittelstand weigern, die Hauptverantwortung für unbezahlte Reproduktionsarbeit zu übernehmen, wird sie meist an die migrantischen und migrantisiertenG Arbeiter*innen unter uns ausgelagert. Damit die imperialistische Verstrickung von Arbeitsverhältnissen in unserem Kampf keine Nebensächlichkeit ist, müssen wir uns als Teil einer internationalistischen Bewegung verstehen. An dieser Stelle sei an eine Aktion der Roten Zora erinnert: Aus Solidarität mit streikenden Arbeiter*innen des deutschen Modekonzerns Adler in Südkorea attackierten sie mehrere der Filialen in Deutschland. Mit ihren Angriffen übten sie Druck auf die deutsche Unternehmensleitung aus, schufen Öffentlichkeit für die Arbeitsbedingungen der Näher*innen in Südkorea und trugen maßgeblich zu deren Verbesserung bei. Diese Aktion sehen wir als gelungenes Beispiel für feministischen Widerstand als Teil eines gemeinsamen Kampfes. Zugleich darf unser Feminismus keiner verkürzten Kapitalismuskritik verfallen, die statt gesellschaftlicher Strukturen bloß einzelne Unternehmen oder Bevölkerungsgruppen für schuldig an der kapitalistischen Misere erklärt.

These 11: Wir müssen feministische Kämpfe führen, die konkrete Verbesserungen im Hier und Jetzt bereithalten. Dafür sind Verbindungen zu anderen politischen Kämpfen notwendig.

Die wenigsten Menschen politisieren und organisieren sich aufgrund abstrakter Versprechungen auf eine bessere Zukunft, von der unklar ist, wann sie eintreten wird. Politisch aktiv werden wir, wenn konkrete Verbesserungen erkennbar werden. Feminismus hat für uns in der Vergangenheit schon einiges getan: Vom Recht auf Abtreibung bis zum Aufbrechen sexistischer Rollenbilder war Feminismus schon immer an der konkreten Lebensrealität von FLINTA* dran, und muss das auch in Zukunft sein. Feminismus ist kein Selbstzweck. Wir wollen uns nicht aus Prinzip feministisch organisieren, sondern weil wir davon überzeugt sind, dass Feminismus für ein besseres Leben ausschlaggebend ist. Viele FLINTA* führen andere Kämpfe; für mehr Lohn, bezahlbaren Wohnraum oder Aufenthaltstitel, von denen sie sich direktere Verbesserungen versprechen als vom Feminismus. Das gilt es anzuerkennen! Es geht uns nicht darum, Kämpfe gegeneinander auszuspielen und wiederum einer Haupt- und Nebenwiderspruchs-Argumentation zu verfallen. Ganz im Gegenteil: Es ist unsere Aufgabe zu zeigen, welche Rolle Feminismus in allen anderen emanzipatorischen Auseinandersetzungen spielt und wie Kämpfe miteinander verwoben sind. Lasst uns einen Feminismus prägen, der nicht für abstrakt-theoretische Verbesserungen steht, sondern praktisch, konkret und alltagsnah ist!

These 12: Wir haben eine Welt zu gewinnen! Dafür braucht es Entschlossenheit und Kampfgeist.

Wir wissen es bereits: Wir haben eine Welt zu gewinnen. Und dennoch ist der Weg dahin voller Hürden und das Ziel manchmal nicht in Sicht. Es lohnt daher ein Blick über den eigenen Tellerrand: International werden an unzähligen Orten feministische Kämpfe geführt, zum Teil mit überwältigendem Erfolg. Feminist*innen befreien Stadtteile von patriarchaler Polizeigewalt, gehen selbst in der Diktatur in Massen auf die Straße, bekämpfen Krieg und Naturausbeutung und führen Revolutionen an. In Rojava und Chiapas können wir beobachten, wie Frauen und TIN*G eine feministische Gesellschaft aufbauen. Ihrer aller widerständige Praxis ist ein Hoffnungsschimmer in schwierigen Zeiten. Der Kampf gegen kapitalistische und patriarchale Machtverhältnisse ist kein Zuckerschlecken, doch die feministische Streikbewegung in Deutschland hat sich in einer mittelmäßigen Orientierungslosigkeit verheddert. Umso wichtiger ist es darum, jetzt nicht den Mut zu verlieren. Was wir brauchen? Entschlossenheit und Selbstbewusstsein. Denn wenn wir unsere Arbeit niederlegen, stehen Krankenhäuser still, Fließbänder pausieren und Wohnungen verdrecken. In diesem Moment wird unsere ökonomische und gesellschaftliche Macht sichtbar und wir können die bestehenden Herrschaftsverhältnisse aus den Angeln heben. Darum lasst uns die Ärmel hochkrempeln und gegen Rassismus, Patriarchat und Kapitalismus den feministischen Streik beginnen!

Die Thesen stammen aus einem längeren Prozess der Auseinandersetzung mit den Potenzialen und Möglichkeiten des politischen feministischen Streiks sowie den Fallstricken und tatsächlichen Versuchen seiner Umsetzung in der Vergangenheit. Durch das Diskutieren und Debattieren haben wir einiges gelernt – insbesondere auch über uns und unsere Ziele. Wir hoffen, dass die daraus entstandenen Thesen auch anderen Gruppen und Menschen eine Diskussionsgrundlage bieten können. Zugleich sind wir uns bewusst, dass jedes Pamphlet, sei es noch so durchdacht, Lücken, fehlgeleitetes Denken und hoffentlich auch einige Kontroversen aufweist. Wir freuen uns daher, mit allen zu diskutieren, die andere Sichtweisen, neue Durchblicke, steile Gegenthesen oder Kritik mitbringen, welche uns gemeinsam weiter nach vorne bringen. Immerhin ist es eine gemeinsame feministische Zukunft, die wir anstreben!

Viva el feminismo!

AG Feministischer Streik Kassel

April 2022

3. Für eine queerfeministische Klassenpolitik

Zunächst wollen wir in diesem Kapitel die theoretischen Grundlagen für das klären, worüber in diesem Buch gesprochen werden soll. Einmal werden in diesem Kapitel zentrale Begriffe geklärt, die im feministischen Streik eine Rolle spielen: Was meinen wir damit, wenn wir von Arbeit, Geschlecht, Familie, Klasse schreiben? Es soll aber auch eine kurze gesellschaftstheoretische Einführung geben, in der wir die Missstände beschreiben, gegen die sich der feministische Streik richtet (bzw. richten sollte), und ihren Ursachen auf den Grund gehen. Wir spüren damit auch den gesellschaftlichen Widersprüchen nach, in denen wir handeln, und umkreisen die in feministischer Politik immer wieder kontrovers diskutierte Frage, wer eigentlich das politische SubjektG feministischer Kämpfe ist.

Das Terrain, auf dem wir uns dabei bewegen, ist seit Jahren durch die leidige Diskussion zwischen Klassenpolitik und IdentitätspolitikG besetzt. Der in dieser Debatte aufgemachte Widerspruch hat jedoch mit unserem Alltagserleben und unserer politischen PraxisG