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Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Film und Fernsehen, Note: 2,0, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit dokumentiert zentrale Aspekte über die verschiedenen inhaltlichen, strukturellen sowie sprachlichen Unterschiede der Nachrichtensendungen RTL II News des privaten Fernsehsenders RTL II und der Tagesschau des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders ARD. Ziel ist die Darstellung und Analyse zweier Nachrichtenstrategien, die durch jeweils andere Kombination inhaltlicher und formaler Aspekte spezifische Strukturen des Verständnisses von Nachrichtensendungen aufweisen. Es sollen Unterschiede aufgezeigt werden, die die verschiedenen Auffassungen von Informationsvermittlung darlegen und die unterschiedlichen Inszenierungsstrategien bezüglich struktureller, inhaltlicher und sprachlicher Differenzen beider Sendungsformate verdeutlichen. Seit der Gründung der ARD-Tagesschau Anfang der 50er Jahre haben sich im Verlauf der Fernsehgeschichte mehrere Nachrichtenformate etabliert. Hierzu zählen Nachrichtenjournale, Magazine und Wochenschauen. Der Privatsender RTL II strahlt seit 1995 täglich um 20:00 Uhr eine Nachrichtensendung aus, die auf dem gleichen Sendeplatz, wie die Hauptausgabe der Tagesschau liegt. Ein direkter, ausführlicher Vergleich beider unterschiedlicher Formate von ARD und RTL II ist mir nicht bekannt. In der Nachrichtenforschung wird zwischen Medien- und Publikumsforschung sowie den Untersuchungen der Medien- und Kommunikationswissenschaften unterschieden. Publikumsforschung bezieht sich auf den Rezipienten. Anfang der 60er Jahre begann die Publikumsforschung in Deutschland. Das Interesse an vergleichbaren Nutzungsdaten zwischen ARD und ZDF war groß. Die Publikumsforschung ermittelte nicht mehr nur Daten zum besseren Wissen über ein anonymes Publikum, sie diente den Rundfunkanstalten auch zur Markterforschung für neue Sendekonzepte. In dieser Arbeit spielt die Publikumsforschung nur eine Nebenrolle und gibt lediglich Aufschluss über das Zielpublikum. [...]
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Teil 2: Analyse
6. Forschungsdesign und methodische Umsetzung6.1 Zur Auswahl des Corpus und des Designs 45
6.2 Einführung und Vorstellung der zu vergleichenden Nachrichtensender 45 6.2.1 ARD Tagesschau 46 6.2.2 RTL II News 47
6.3 Zielpublikum und Zuschauerquote 47
7. Präsentation und Visualisierung
7.1 Thematische Aufgliederung 49
7.2 Sendungsablauf der Nachrichtensendung 53
7.3 Analyse der Vorspanne und der Sendestruktur 53
7.4 Funktionen der Nachrichtensprecher 58
648. Sprachliche Gestaltung der Fernsehnachrichten8.1 Sprache in der Schlagzeile 65
8.2 Sprache in der Moderation 70
8.2.1 Kontaktive Handlungsformen 71
8.2.1.1 Begrüßen und Verabschieden 73 8.2.1.2 Ansprechen 73
8.2.2 Strukturelle Handlungsformen 74 8.2.2.1 Überleiten 74 8.2.2.3 Verweisen 76
8.2.3 Informierende und kommentierende Handlungsformen 76 Ansagen 77 8.3 Meldung 79 8.3.1 Lead 80 8.3.1.1 Hard Lead 81 8.3.1.2 Soft Lead 84
899. Fazit
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VILiteraturverzeichnisXIVAbbildungs- und TabellenverzeichnisXVAnhang
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§ Paragraph Abb. Abbildung Anh. Anhang APTV Associated Press Television News ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Bd. Band bspw. beispielsweise bzw. beziehungsweise ca. circa d.h. das heißt eventl. eventuell f. folgende ff. fortfolgende Fn. Fußnote GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung Hrsg. Herausgeber i. d. R. in der Regel Kap. Kapitel Mio. Million(en) Nr. Nummer RTL Radio Television Luxemburg S. Seite s. siehe u. und u. a. unter anderem oder und andere(s) v. von oder vom vgl. vergleiche WDR Westdeutscher Rundfunk z. B. zum Beispiel z. Zt. zur Zeit ZDF Zweites Deutsches Fernsehen
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1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit dokumentiert zentrale Aspekte über die verschiedenen inhaltlichen, strukturellen sowie sprachlichen Unterschiede der Nachrichtensendungen RTL II News des privaten Fernsehsenders RTL II und der Tagesschau des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders ARD. Ziel ist die Darstellung und Analyse zweier Nachrichtenstrategien, die durch jeweils andere Kombination inhaltlicher und formaler Aspekte spezifische Strukturen des Verständnisses von Nachrichtensendungen aufweisen.
Es sollen Unterschiede aufgezeigt werden, die die verschiedenen Auffassungen von Informationsvermittlung darlegen und die unterschiedlichen Inszenierungsstrategien bezüglich struktureller, inhaltlicher und sprachlicher Differenzen beider Sendungsformate verdeutlichen.
Seit der Gründung der ARD-Tagesschau Anfang der 50er Jahre haben sich im Verlauf der Fernsehgeschichte mehrere Nachrichtenformate etabliert. Hierzu zählen Nachrichtenjournale, Magazine und Wochenschauen.1Der Privatsender RTL II strahlt seit 1995 täglich um 20:00 Uhr eine Nachrichtensendung aus, die auf dem gleichen Sendeplatz, wie die Hauptausgabe der Tagesschau liegt.
Ein direkter, ausführlicher Vergleich beider unterschiedlicher Formate von ARD und RTL II ist mir nicht bekannt.
In der Nachrichtenforschung wird zwischen Medien- und Publikumsforschung sowie den Untersuchungen der Medien- und Kommunikationswissenschaften unterschieden. Publikumsforschung bezieht sich auf den Rezipienten. Anfang der 60er Jahre begann die Publikumsforschung in Deutschland. Das Interesse an vergleichbaren Nutzungsdaten zwischen ARD und ZDF war groß. Die Publikumsforschung ermittelte nicht mehr nur Daten zum besseren Wissen über ein anonymes Publikum, sie diente den Rundfunkanstalten auch zur Markterforschung für neue Sendekonzepte.2
In dieser Arbeit spielt die Publikumsforschung nur eine Nebenrolle und gibt lediglich Aufschluss über das Zielpublikum.
1vgl. Straßner, Erich (1982): Fernsehnachrichten. Eine Produktions-, Produkt- und Rezeptionsanalyse, Tübingen.
2vgl. Kamps, Klaus u. Miriam Meckel (1998): Fernsehnachrichten. Entwicklung in Forschung und Praxis. In: Kamps, Klaus u. Miriam
Meckel (Hrsg.), Fernsehnachrichten, Wiesbaden, S.20.
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1. Einleitung 2
Ab Mitte der 60er Jahre wurden erste Stimmen laut, die Falschinformationen in den Nachrichten gesehen haben wollten. Seitdem sind Nachrichten im Fernsehen als Forschungsgebiet diverser Disziplinen interessant. Hierzu zählen auch die Medien- und Kommunikationswissenschaften. Anfang der 90er Jahre wurde vor allem die ARD-Tagesschau Forschungsgrundlage für sprachlich-wissenschaftliche, ökonomische und medienwirksame Untersuchungen.3Die vorliegende Arbeit schließt an diese Untersuchungen an und gibt einen detaillierten, kontrastiven Überblick über die Funktions- und Arbeitsweisen der Medienmacher von ARD und RTL II.
Die Arbeit setzt sich aus zwei komplexen Teilen zusammen. Im ersten Teil werden die theoretischen Grundlagen für das Medium Fernsehen allgemein und speziell für Fernsehnachrichten dargelegt. Es findet zunächst in Kapitel 2 ein Einblick in das Medium Fernsehen, den Fernsehtext sowie der Produzenten- und Rezipientensituation statt. Im 3. Kapitel stehen die Fernsehnachrichten im Mittelpunkt der Betrachtung. Neben der Entwicklung von Fernsehnachrichten wird die Politikvermittlung im Fernsehen thematisiert. Zu dem werden die Nachrichtenwerttheorie sowie die wichtigsten Nachrichtenfaktoren aufgewiesen. Darüber hinaus wird die Frage, ob es sich bei Fernsehnachrichten um Information oder Unterhaltung handelt, kritisch diskutiert. Im letzten und 4. Kapitel der theoretischen Einführung wird die Visualisierung von Fernsehnachrichten dargestellt. Der Fokus liegt in diesem Abschnitt insbesondere auf der Relation von Bild und Text.
Im zweiten Teil findet der direkte Vergleich zwischen beiden Nachrichtenformaten statt. Einleitend werden die Sender und Redaktionen der ARD und von RTL II vorgestellt, sowie das Publikum und die Einschaltquoten beider Sendungen aufgezeigt. Die Präsentationsweise und Visualisierung der Sendungen werden in Kapitel 7 dargelegt. Im Mittelpunkt stehen die unterschiedlichen Sendungsabläufe und Themenprofile, die Nachrichtensprecher sowie die Vorspanne beider Sendungen. In Kapitel 8 beschäftige ich mich ausschließlich mit der sprachlichen Gestaltung der Fernsehnachrichten. Hierbei stehen insbesondere die Schlagzeile, Moderation und Meldung im Fokus der sprachlichen Analyse. In einem abschließenden Fazit in Kapitel 9 werden die wichtigsten Ergebnisse aufgewiesen und kontrastiv gegenübergestellt.
3vgl. Schmitz, Ulrich (1990): Postmoderne Concierge: die „Tagesschau“, Opladen.
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2. Fernsehen
Fernsehen ist ein Phänomen, das in unserer heutigen westlichen Gesellschaft fast jeden betrifft und fast jeder täglich nutzt. Ob man nun rezipiert, um sich Spielfilme, Reportagen, Quizsendungen oder Nachrichten anzuschauen: Fernsehen ist ein Teil unseres Alltags geworden.4Im 2. Kapitel sollen die Besonderheiten des Fernsehens, des Fernsehtextes und der Situation von Produzent und Rezipient kritisch dargestellt werden. Die Theorien der amerikanischen Medienkritker Marshall McLuhan und Neil Postman werden besondere berücksichtigt.
Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft lassen Millionen von Zuschauern unserer Welt zusammen vor den Fernseher rücken. Wenn sich fast mehr Menschen vor dem Fernseher versammeln als anderswo, komprimiert der Fernseher die Welt zum „globalen Dorf“.5Dieser viel beachtete Ausdruck geht auf den Kanadier Marshall McLuhan zurück. McLuhan stellte die These auf, dass die modernen Medien die Welt zusammenwachsen lassen und kulturelle Grenzen sprengen können.6Das Fernsehen besitzt unter den Medien die absolute Vorherrschaft. Das zeigt sich in der asymmetrischen Berichterstattung, die durch seine Intertextualität geprägt wird: Seine Moderatoren, Darsteller und Programme werden fortwährend von der Presse und den Journalisten kommentiert, viele Zeitungen haben sich auf das Geschehen im und um das Fernsehen spezialisiert. Analog berichtet das Fernsehen nicht mit der gleichen Intensität über andere Medien.
Das Medium Fernsehen ist eine Unterform der Massenmedien. Seit dem Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts gilt in Deutschland das Fernsehen als führendes Massenmedium.7
4vgl. Mikos, Lothar (1994): Fernsehen im Erleben der Zuschauer - Vom lustvollen Umgang mit einem populären Medium, München ,
S.27ff.
5vgl. McLuhan, Marshall (1995): The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert, Paderborn.
6ebd. S. 101.
7vgl. Faulstich, Werner (1994): Grundwissen Medien, München, S. 159f.
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2. Fernsehen 4
Aus vielen Perspektiven betrachtet, leben wir heute in einem post-literarischen Zeitalter, in dem das Fernsehen als das Leitmedium unsere gesellschaftliche Kommunikation bestimmt. Medien und Massenmedien sind Begriffe mit denen sich nahezu jeder in unserer modernen Informationsgesellschaft fast täglich konfrontiert sieht. Doch was beinhaltet der Begriff Medien eigentlich? Medien ist die Mehrzahl von Medium und bedeutet übertragen aus dem Lateinischen einen „Sammelbegriff für Kommunikationsmittel“.8Kommunikation ist zunächst die Informationsübertragung von Sender zu Empfänger(n), also zwischen zwei oder mehreren Personen.
Massenkommunikation setzt allerdings die Existenz von Techniken zur Verbreitung der Botschaften voraus. Medien oder auch Kommunikationsmittel sind all jene „Gerätschaften“, die durch Techniken der Verbreitung und Vervielfältigung mittels Schrift, Bild und Ton, optisch und akustisch Aussagen bzw. Botschaften an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen vermitteln.9Als Kommunikationsmittel dienen z.B. Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, das Kino, der Film, Videos, das Fernsehen, Handys und der PC mit oder ohne Internet.
Medien ermöglichen verschiedene Kommunikationsformen. Das grundlegende Modell der Kommunikation geht von linearen Beziehungen zwischen der Produktion, dem Produkt, dem Medium und der Rezeption aus und erweitert dieses Modell des Austausches durch zusätzliche Variablen10. Biere und Hoberg unterscheiden vier Dimensionen der Kommunikation.11Die ersten beiden Dimensionen sind Raum und Zeit, die in der Kommunikation verändert werden können.
Die dritte Dimension betrifft die Kanäle, die für die Kommunikation zur Verfügung stehen. Die vierte und letzte Dimension beinhaltet die wechselseitige Adressierung, die zwischen den Kommunikationsbeteiligten möglich ist.
Eine sehr kurze, jedoch prägnante Beschreibung des Mediums Fernsehen stammt von Christian Doelker, der das Medium Fernsehen mit dem Terminus „Kulturtechnik
8vgl. Faulstich, Werner (1994): Grundwissen Medien, München, S. 159f.
9vgl. Maletzke, Gerhard (1959), Fernsehen im Leben der Jugend, Hamburg, S. 33.
10vgl. Maletzke, Gerhard (1963): Psychologie der Massenkommunikation, Hamburg, S. 61.
11vgl. Biere, Bernd Ulrich u. Rudolf Hoberg (Hrsg.)(1996): Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Fernsehen, Tübingen, S. 31.
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2. Fernsehen 5
Fernsehen“12bezeichnete. Fernsehen ist auf der einen Seite eine Technik, d.h. gewöhnlich entstehen Fernsehtexte in komplex aufgebauten Organisationen, die aus Spezialisten bestehen, die diese arbeitsteilig, routinemäßig und unter Einsatz vielfältiger technischer Hilfsmittel produzieren.13Auf der anderen Seite ist das Medium Fernsehen als Kulturtechnik eine sozial verankerte Kommunikationsform, die in ihrem kulturellen Kontext betrachtet werden muss. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll weniger die technische Seite des Mediums dargestellt, sondern es soll auf das situativ-funktionale Profil und die sprachlichen Charakteristika des Fernsehens eingegangen werden.
Zur Zeit gibt es in Deutschland mehr als dreißig Sender, die empfangen werden können14, während es Anfang der 80er Jahre in der Regel nur drei Sender waren. Hierzu zählten ARD, ZDF und je nach Region eines der dritten Programme. Die Programmvielfalt ist ein Resultat der technischen Neuerungen. Glasfaserkabel, digitale Nachrichtenübertragung und Satellitentechnik lassen unsere Welt immer näher zusammenrücken und das „globale Dorf“ wächst.15Die Konsequenzen der Technisierung sind:
- eine Ausdehnung der Sendezeit auf den gesamten Tag
- eine enorme Zunahme des Fernsehkonsums Jugendlicher
- eine flüchtigere Nutzung und ein flexibleres Programmwahlverhalten
- eine Fragmentierung der Publika16
Umgangssprachlich bezeichnet ‚Fernsehen’ sowohl das Medium als auch den Rezeptionsakt.17
Das Fernsehen ist ein Einwegmedium, wie bspw. der Hörfunk oder das Kino. Fernsehen ist sowohl optisch als auch akustisch, übermittelt gesprochene und geschriebene Texte, ist öffentlich und aktuell.18
Die gesprochene Sprache wird durch das Bild, das seinen eigenen semantischen Wert trägt, ergänzt. Geräusche und Musik stehen im Fernsehen als weitere Inszenierungsstrategien zu
12vgl. Doelker, Christian (1991): Kulturtechnik Fernsehen, Stuttgart, S. 8f.
13ebd.
14vgl. http://www.medien-index.de/TV_bundesweit-privat.htm (21.02.2006; 13:00 Uhr)
15vgl. McLuhan, Marshall (1995): The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert, Paderborn.
16vgl. Kamps, Klaus (1999): Politik in Fernsehnachrichten, Baden-Baden, S. 146.
17vgl. Faulstich, Werner (1994): Grundwissen Medien, München, S. 156.
18vgl. Holly, Werner (2004): Fernsehen, Tübingen.
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2. Fernsehen 6
Verfügung. Der Fernsehtext bildet also einen medienspezifischen Inszenierungskomplex von Sprache-Bild-Ton.19
Fernsehen ist wie direkte Kommunikation mehrkanalig und aktuell. Die umfassende Mehrkanaligkeit des Mediums Fernsehen reicht jedoch nicht aus, um dessen intensive Nutzung zu klären. Die Bezeichnung „Medium der Intimität“ verdankt das Fernsehen der direkten und informellen Art der Kommunikation, da es uns die Akteure öffentlicher Kommunikation so nahe bringt, wie wir es sonst nur mit engen Vertrauten erleben.20Zwei weitere Merkmale sind zu nennen, um die Allgegenwärtigkeit und den Erfolg zu deuten, nämlich sein sekundärer Charakter und seine lebensweltliche Einbettung. Unter dem sekundären Charakter des Fernsehens ist zu verstehen, dass die zentralen Eigenschaften des Fernsehens - seine Visualität, Oralität und Intimität - vermittelt werden. Insbesondere von kulturpessimistischen Medienkritikern wie Neil Postman wird das Fernsehen als Bildmedium verstanden, in der die gesprochene Sprache eine nur untergeordnete Rolle zukommt.21Solche Überlegungen erscheinen aus pragmatischer Sicht nicht haltbar, da das Fernsehbild nicht, wie bspw. ein Gemälde oder eine Fotographie isoliert auftritt, sondern mit den es umgebenden (sprachlichen) Zeichen eine Einheit bildet: „Aus der Rezipientenperspektive ist es daher sinnlos zu fragen, ob ein Text bebildert oder ein Bild durch einen Text erklärt wird. Für den Zuschauer ist beides simultan da.“22
In diesem Sinne ist die Visualität des Fernsehens sekundär, d.h. sie wird durch die anderen Kommunikationsformen des Fernsehens (insbesondere den Ton und die Sprache) ergänzt. Daneben ist das Fernsehen ein Medium der Oralität, indem es Sprache vor allem als gesprochene Sprache vermittelt. Auch hier handelt es sich um eine sekundäre Oralität, die zwar mit der gesprochenen Sprache deren Spontaneität gemeinsam hat, „aber diese Spontaneität auf der Grundlage der Erfahrung von Reflektiertheit, die unsere Schriftkultur kennzeichnet, ist nicht mehr dieselbe; sie ist nicht wildwüchsig, sondern gewollt, kultiviert, kontrolliert“.23Eine von Soziologen und Psychologen immer wieder betonte Eigenschaft des Mediums Fernsehen ist dessen Intimität.24
19vgl. Holly, Werner und Ulrich Püschel (1996): Sprache und Fernsehen, Heidelberg, S.2.
20ebd.
21vgl. Postman, Neil (2003), Wir amüsieren uns zu Tode, 15. Aufl. Paderborn.
22Burger, Harald (1990): Sprache der Massenmedien, 1. Aufl. Berlin.
23vgl. Holly, Werner u. Ulrich Püschel (1992): Sprache und Fernsehen, Berlin.
24vgl. Meyrowitz, Joshua (1987): Die Fernseh-Gesellschaft. Wirklichkeit und Identität im Medienzeitalter, Weinheim und Basel, S. 50.
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2. Fernsehen 7
Durch den Einsatz technischer Hilfsmittel, wie Mikrophone und Kameras vermittelt das Fernsehen, über die Grenzen der Ortsgebundenheit hinweg, den Rezipienten eine intime Nähe, die dazu beiträgt, dass sie sich am Fernsehereignis beteiligt fühlen. Diese Intimität ist ebenfalls sekundär, weil die Nähe des Fernsehens im Vergleich zu intimen face-to-face Interaktionen nicht direkt erfahrbar ist.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass sich das Fernsehen als Einwegmedium durch seinen sekundären Charakter auszeichnet. Sekundär ist dabei jedoch nicht als eine negative Bewertung zu verstehen, sondern trägt zum Reiz des Fernsehens bei. Bspw. hat die sekundäre Intimität des Fernsehens den Vorteil, Intimität sozial entlastet erfahren zu können. Sekundäre Oralität verbindet die Vorteile von Oralität (z.B. Spontaneität) mit denen der Schriftlichkeit (z.B. Reflektiertheit). Sekundäre Visualität bedeutet nichts anderes, als dass sich Bild, Sprache und Ton gegenseitig ergänzen, wodurch das Textverständnis erleichtert werden kann. Insofern trägt auch der sekundäre Charakter des Fernsehens zu dessen intensiver Nutzung bei. Das zweite herausragende Merkmal des Fernsehens ist dessen lebensweltliche Einbettung.25Die Individualisierung in der modernen Gesellschaft führt zu einer Erweiterung der Handlungsspielräume des Einzelnen und zu einer Vergrößerung seiner Wahlmöglichkeiten. Dabei stellt das Fernsehen nicht das einzige Kommunikationssystem dar, denn auch die anderen Medien, wie z.B. Kino, Bücher oder Zeitungen, bieten Rezeptionsangebote an. Zwar kommt dem Medium Fernsehen aufgrund seiner Mehrkanaligkeit und der Ausdifferenziertheit seines Programmangebots die Rolle eines Leitmediums innerhalb dieses Medienverbundes zu, inwieweit und wozu ein Medium genutzt wird, hängt aber von der Lebenswelt der Rezipienten ab.26Denn erst in der Rezeption kann aus den Rezeptionsangeboten, die das Medium Fernsehen offeriert, sozialer Sinn entstehen.
Typisiert man die Funktionen, die das Medium Fernsehen innerhalb der Lebenswelten haben kann, so lassen sich zwei Funktionsebenen unterscheiden, nämlich zum einen eine diachrone Ebene, zum anderen eine synchrone.
Auf der diachronen Ebene besteht die Funktion des Fernsehens darin, dass es zusammen mit anderen Medien wie Büchern, Verträgen usw. ein kulturelles soziales Gedächtnis der Gesellschaft bildet.27Die Gedächtnisfunktion ergibt sich daraus, dass das Fernsehen nicht nur ein flüchtiges Kommunikationsmedium ist, wie es dem Rezipienten erscheint, sondern auf der
25vgl. Schütz, Alfred und Thomas Luckmann (1979): Strukturen der Lebenswelt, Band 1. Frankfurt.
26vgl. Mikos, Lothar (1994): Fernsehen im Erleben der Zuschauer - Vom lustvollen Umgang mit einem populären Medium, München , S.3.
27ebd. S. 10