Ferrari - Das schnellste Unternehmen der Welt - Christiane Oppermann - E-Book

Ferrari - Das schnellste Unternehmen der Welt E-Book

Christiane Oppermann

3,8

Beschreibung

Ferrari: die emotional stärkste Automarke der Welt, der Inbegriff des Sportwagens. Doch die Marke Ferrari war nicht immer so dominant wie heute. Die Firmengeschichte mit ihren Fehlern und Triumphen liest sich wie ein Lehrstück des Managements.

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Oppermann, Christiane

Ferrari - Das schnellste Unternehmen der Welt

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2005. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40126-3

|7|Einleitung

»Barchetta«, »Monza«, »Enzo Ferrari«, »Maranello«, »612 Scaglietti« – das sind Namen, die Bilder von rasend schnellen Sportwagen, eleganten Karosserien und die Klangkulissen aufbrausender Zwölfzylinder-Motoren heraufbeschwören. »F2004«, »Hockenheim«, »Formel 1« und »Ferrari« sind die Zauberformeln, die Millionen Menschen vor die Fernseher locken und Armeen rotkostümierter Fans mit Kind, Caravan und Camping-Grill an die Rennpisten treiben. Kein anderes Autounternehmen übt eine so magnetische Wirkung auf Menschen aller Schichten, Kulturkreise und Einkommensklassen aus wie die Scuderia Ferrari. Selbst in den biederen Wohnvierteln und Schrebergärten flattern in der Rennsaison die roten Fahnen mit dem schwarzen Pferd auf gelbem Grund. Was hat Ferrari, was die anderen Unternehmen – die auch schnelle und schöne Wagen herstellen – einfach nicht haben?

Wie gelang es, aus den Autos, die in der kleinen Fabrik in Maranello gebaut werden, wahre Kunstwerke des Automobilbaus, den Inbegriff von Leistung und Leidenschaft zu schaffen? Schon zu Enzo Ferraris Zeiten gründete der Ruhm der Firma, vor allem aber ihr finanzielles Überleben, auf den »für die Straße« produzierten Sportwagen, die die kleine, hoch qualifizierte Mannschaft in Maranello für die Reichen und Berühmten in aller Welt gefertigt hat. Mit ihnen sollte das Geld für den Rennsport verdient werden. Diese Fahrzeuge aus der Fabrik nahe Modena sind auch heute hoch begehrte Preziosen des Luxusautomobilmarktes.

|8|Kein anderer Rennstall im Formel-1-Zirkus war in den vergangenen Jahren so erfolgreich wie die Scuderia Ferrari. Das Unternehmen mit dem steigenden Pferd im Emblem hat alles kassiert, was sich in der Königsklasse des Autosports gewinnen ließ. Die Souveränität und Kontinuität, mit der Ferraris Formel-1-Piloten einen Sieg nach dem anderen für die Rennwagenbauer aus Maranello einfuhren, hatte die Teams der Konkurrenten fast zu Statisten degradiert.

Selbst erfolgreiche Automobilkonzerne wie BMW und Daimler-Chrysler konnten die Siegesserie der »Roten« lange nicht brechen. Immer wieder fuhren ihre Teams den roten Stars der Asphaltpisten, Michael Schumacher und Rubens Barrichello, hinterher.

Lange Zeit versuchten die Renndirektoren der Wettbewerber, den Erfolg der Ferraris mit der überragenden Begabung des Formel-1-Superstars Michael Schumacher zu erklären, der emotionslos und präzise jede Strecke zu meistern schien und seinen Boliden als Erster über die Zielgerade brachte. Fünfzehn teils schwere Unfälle hat »Schumi«, wie ihn seine Fans bewundernd nennen, in seinem Rennfahrerleben überstanden – ohne erkennbare Blessuren davonzutragen.

Seit aber Rubens Barrichello, Ferraris zweiter Formel-1-Fahrer, zweimal auch den Titel des Vizeweltmeisters errang, lässt sich die Erfolgsserie nicht mehr mit dem überragenden Talent von Michael Schumacher allein erklären. Irgendetwas muss die Scuderia Ferrari anders gemacht haben als die anderen Mannschaften.

Dies ist eine Frage, die längst nicht nur die Automobilmanager umtreibt, sondern auch in anderen Konzernen von größtem Interesse ist. Wie gelang dem Ferrari-Management das Kunststück, aus einer Truppe von hochsensiblen Spezialisten und überbezahlten Chaoten ein Team zu schmieden? Wie schafften sie es, ihre Mannschaft immer wieder aufs Neue zu motivieren? Nach jeder erfolgreichen Saison Leistung und Leidenschaft der Techniker, Ingenieure und Fahrer pünktlich zum Beginn des neuen Rennjahres neu zu entfachen?

|9|Der Erfolg der vergangenen Jahre hat auch altgediente Ferraristi überrascht, denn sie erinnern sich noch an die mageren Jahren der Scuderia, als die roten Flitzer bestenfalls im Mittelfeld die Zielgerade passierten, wenn sie nicht wegen technischer Mängel vorher die Rennstrecke verlassen mussten. Das waren die Zeiten, als die Scuderia nur noch vom Mythos der Vergangenheit zehrte. Von dem im Rückblick verklärten Erfolg des Gründers Enzo Ferrari, der zu den großen Pionieren im Automobilbau zählt. Denn ihm war es gelungen, seinen Rennstall durch alle Krisen immer wieder auf Siegeskurs zu führen und eine Marke zu schaffen, die selbst ein Vierteljahrhundert nach dem Tod des Patrons trotz zahlreicher Niederlagen und Misserfolge nichts von ihrem strahlenden Image verloren hat.

Doch Siege auf den Rennstrecken und die Erträge aus der Amateursparte reichten schon zu Enzo Ferraris Zeiten nicht: Ohne die Hilfe eines mächtigen Partners, des Autokonzerns Fiat, wäre die Scuderia wie viele ehemalige Konkurrenten längst nur noch ein Kapitel in der Rennsporthistorie.

Der Wechsel des Familienunternehmens in den Großkonzern Fiat hat den Rennstall nicht nur vor der drohenden Pleite und dem Untergang gerettet, sondern ihm nach Jahren der Mittelmäßigkeit auch einen neuen, modernen Patron beschert, der den Vergleich mit Enzo Ferrari, was Leidenschaft für den Rennsport und Führungsstärke angeht, nicht scheuen muss. Luca di Montezemolo, der in seiner Jugend für kurze Zeit noch unter Ferrari gearbeitet hatte, gelang das Kunststück, den Geist des Alten zu pflegen und dennoch neue Erfolge zu erzielen: diesmal auf der Rennstrecke und im Unternehmen.

Auch die Erwartungen der modernen Mediengesellschaft haben neue Maßstäbe gesetzt. Aus dem einst exklusiven Zeitvertreib ehrgeiziger junger Männer ist im vergangenen Jahrhundert ein globaler Rennzirkus, ein Milliardengeschäft der internationalen Markenkonzerne und TV-Anstalten geworden. Daimler-Chrysler, BMW, Ford, Renault, Toyota und Ferrari schicken ihre |10|High-Tech-Flitzer auf die Asphaltpisten – und ein Millionenpublikum in aller Welt schaut zu. Bernie Ecclestone ist der Intendant dieser Wandershow. Seine Hauptaufgabe ist es, das Publikum bei Laune, die Spieler, die Automobilkonzerne und Motorsportler an der langen Leine und die Sponsoren in Spendierlaune zu halten.

Dieser profitable Dreisprung drohte in den vergangenen Jahren aus dem Gleichgewicht zu geraten. Der Dauersieger Schumacher im Ferrari begann Langeweile im Publikum zu verbreiten. Die Autokonzerne muckten gegen das Diktat des grand old man auf. Deshalb wurden die Regeln des multimedialen Monopolys geändert und die Teams zu einer Änderung ihrer Strategie gezwungen. Die neuen Regeln verlangen vor allem von Ferrari, dessen Stärke auf ausgedehnten Testprogrammen und unlimitiertem Verschleiß von Motoren, Reifen und Material beruht, rigoroses Umdenken. Nicht nur Geschwindigkeit ist im Rennzyklus 2005 gefragt, sondern Dauerleistung – ein Kriterium, das bei Ferrari eine große Rolle spielt, wenn es um die Disziplinierung von Mitarbeitern geht, nicht aber um die Wiederverwendung von Motoren und Material.

Die Analyse von Ferrari wird auch Erkenntnisse liefern, die für Spitzenmanager anderer Unternehmen von großem Interesse sein können: Wie können Tradition und Innovation eine Symbiose eingehen und als überzeugende Führungsinstrumente die Mitarbeiter zu Hochleistungen motivieren? Dabei geht es auch darum, wie aus einer internationalen Truppe von Spezialisten ein eingeschworenes Team geformt werden kann. Denn von allen Branchen hat der Motorsport die längste Erfahrung mit multinationalen Mannschaften.

Ferrari – das ist ein Marketing-Miracle, die Kreation einer weltweit anerkannten Marke, wie es nur wenige gibt und die seit mehr als einem halben Jahrhundert die Phantasie vieler Menschen beflügelt. Es ist vor allem aber ein Fallbeispiel für die erfolgreiche Transformation eines autokratisch geführten Familienunternehmens in ein modernes Unternehmen, das mit einer Mischung aus |11|Leidenschaft und zeitgemäßen Managementmethoden auf Erfolgskurs gehalten wird – und sich vom Leistungsdruck im Formel-1-Zirkus immer wieder emanzipieren konnte.

|13|Gründerzeit und Aufbruch

Wie Enzo Ferrari eine Legende schuf

Auch Alfredo Ferrari wagte nicht, nach Modena zu reisen. Dabei hatte der Werkstattbesitzer eine durchaus erfreuliche Nachricht den Behörden zu vermelden: die Geburt seines Sohnes Enzo Anselmo, der an diesem Tag das Licht der Welt erblickt hatte.

Erst zwei Tage später machte sich Alfredo auf den Weg zum Amt, um seinen Sohn anzumelden. Damit war bereits die erste Besonderheit im Leben des kleinen Enzo eingetreten: Er hatte zwei Geburtstage: das Datum, an dem er geboren worden war, und den 20. Februar, den der Standesbeamte als Geburtsdatum des Säuglings notierte, weil nach dem damals geltenden Recht erst der Tag der Anmeldung im Standesamt die Existenz eines neuen Bürgers begründete.

Die ersten Jahre des jungen Ferrari verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Der Vater betrieb eine Schlosser- und Schmiedewerkstatt. Die Familie lebte in durchaus komfortablen Verhältnissen in dieser eher ländlichen Gegend am Rande Modenas. Sie bewohnten ein kleines Haus, dem die kleine Fabrik des Familienoberhauptes |16|angegliedert war. Nach der Jahrhundertwende besaßen sie sogar ein eigenes Auto. In dieser Umgebung zeigte Enzo schon früh mehr Interesse an Kurbelwellen als an Kühen.

Der Höhepunkt seiner Kindheit und das Schlüsselerlebnis, das sein künftiges Leben bestimmen sollte, war der Besuch eines Autorennens, des Circuito di Bologna. 1908 nahm Vater Alfredo ihn mit zu dem Ereignis in der Provinzhauptstadt.

Damals war der Automobilsport noch eine sehr junge Sportart. Am 22. Juli 1894 war das erste offizielle Rennen in Frankreich ausgetragen worden – eine Wettfahrt über Fernstraßen, die oft nicht besser waren als Schotterwege. An der ersten, als Vorläuferin des heutigen Rennzirkus der Formel 1 gewerteten Rallye Paris–Rouen nahmen 21 Fahrzeuge teil, die im 30-Sekunden-Takt auf die 126 Kilometer lange Strecke geschickt wurden.

Um die Jahrhundertwende gewann der Automobilsport schnell an Popularität, und immer neue »Große Preise« in den Metropolen und Provinzhauptstädten Europas und der USA wurden veranstaltet. Erst nach einer Reihe von schweren Unfällen wurden die Rennen von den öffentlichen Straßen auf Pisten, die nur für den Automobilsport angelegt worden waren, verlagert.

Das Erlebnis in Bologna ließ den jungen Enzo nicht mehr los. Er war fasziniert von den Fahrzeugen, die von tollkühnen Fahrern über die Straßen der Stadt gejagt wurden. Er hatte seine Leidenschaft für Automobile entdeckt und sich in den Kopf gesetzt, dass er eines Tages selbst eines dieser Gefährte über die Rennpisten steuern würde.

|17|Aufwärmtraining

Vater Alfredo Ferrari nahm die anhaltende Begeisterung seines jüngeren Sohnes ernst und förderte sie nach Kräften. Trotz Ausbruchs des Ersten Weltkrieges schickte er ihn zum Istituto Tecnico nach Modena. Die Ingenieursausbildung sollte Enzo später den Einstieg in die Automobilindustrie erleichtern.

Doch bereits 1915 musste der Schüler das Institut wieder verlassen und sein Studium abbrechen – sein Vater und sein älterer Bruder waren gestorben.

Enzo Ferrari gelang es, eine Stelle als Ausbilder für die Feuerwehr in Bologna zu erlangen. Nun unterrichtete er angehende Feuerwehrleute und bereitete sie auf ihre neuen Aufgaben vor. Im Jahr 1917, mit 19 Jahren, wurde Enzo Ferrari zum Kriegsdienst an der Front eingezogen. Wegen seiner Erfahrungen als Hufschmied, die er in der Werkstatt seines Vaters gesammelt hatte, wurde Ferrari nicht in den Kampf geschickt, sondern hinter der Front eingesetzt. Er war für die Hufeisen der Maultiere zuständig, die die Kanonen der Artillerie zogen. 1918 wurde er als unheilbar an der Spanischen Grippe erkrankt entlassen. Enzo aber überlebte die heimtückische Krankheit, der in Europa Hunderttausende zum Opfer fielen.

Nach seiner Genesung gab ihm sein früherer Arbeitgeber, der Chef der Bologneser Feuerwehrbrigade, ein Empfehlungsschreiben für einen Bekannten mit, der beim italienischen Automobilkonzern Fiat arbeitete. Ferrari machte sich große Hoffnungen auf eine Anstellung in Fiats Rennsportabteilung. Doch seine Bewerbung |18|wurde abgelehnt, weil er keine abgeschlossene Ausbildung als Techniker und Ingenieur vorweisen konnte. Enttäuscht nahm er einen Job als Prüfer und Kontrolleur bei einem Chassisbauer in Turin an. Auch das war kein Weg, der ihn seinem Ziel, Rennfahrer zu werden, näher brachte.

Frustriert und desillusioniert kehrte er nach Hause zurück. Doch es dauerte nicht lange, bis Enzo Ferrari die große Enttäuschung überwunden hatte und sich wieder auf Arbeitssuche, nunmehr in Bologna, begab. Diesmal hatte er mehr Glück: Er bekam einen Job in der Werkstatt Giovannoni, die sich aufs Ausschlachten von Gebrauchtwagen, speziell Kleintransportern, spezialisiert hatte. Die Chassis dieser Kraftfahrzeuge wurden dann nach Mailand weiterverkauft und wieder im Fahrzeugbau verwendet. Interesse an diesen Autoskeletten hatten neben anderen auch Motorsportler, die die Plattformen als Basis für Rennwagen nutzten.

Zu Ferraris Aufgaben gehörte es, die ausgebauten Chassis nach Mailand zu transportieren. Eine Pflicht, die er nur zu gerne übernahm, brachte sie ihn doch seinen Idolen, den Rennfahrern, näher. Zu Giovannonis Kunden zählte auch Ugo Sivocci, dem der junge Mann mit seinen ehrgeizigen Ambitionen auffiel. Sivocci beschaffte Ferrari einen Job in Mailand, und der ergriff die neue Chance sofort. Für eine kurze Zeit montierte Ferrari Isotta-Fraschini-Motoren auf gebrauchte Chassis. Dann wurden Sivocci und Ferrari zusammen von dem Sportwagenbauer SA Costruzioni Meccaniche Nazionali angeheuert.

Hier konnte Ferrari endlich erste Erfahrungen als Rennfahrer sammeln. Sein Debüt gab der Neuling in dieser Disziplin am 5. Oktober 1919 bei dem Bergrennen Parma–Poggio di Berceto. Am Steuer eines CMN-Wagens mit Isotta-Fraschini-Motor schaffte er den 5. Platz in seiner Klasse und den 12. Rang unter allen gestarteten Fahrzeugen – kein berauschendes Ergebnis.

Ferrari begriff, dass er sich noch sehr viel besser vorbereiten müsste, wenn er ganz vorne mitfahren wollte. Ein Jahr später wechselte erst er und kurze Zeit später auch Sivocci ins Rennteam |19|von Alfa Romeo. Dort passierte er 1920 bei der Targa Florio auf Sizilien als Zweiter die Ziellinie der 148,8 Kilometer langen Strecke. 1923 gewann er das Rennen auf dem Circuito di Sivocci in Ravenna. Den größten Coup landete er 1924 bei der Fahrt zum Coppa Acerbo in Pescara.

In seinen Memoiren schilderte er das Rennen: »Von allen Wettbewerben, an denen ich in jener Zeit teilnahm, erinnere ich mich mit einer gewissen Genugtuung an meinen Sieg in Pescara 1924, in einem Alfa Romeo R.L. Mit diesem Wagen hatte ich bereits in Ravenna den Savio-Kurs gewonnen und in Rovigo die Rennstrecke von Polesine, aber im Wettbewerb um den Acerbo-Pokal habe ich meinen Ruhm als Rennfahrer begründet. Tatsächlich konnte ich Mercedes schlagen, die gerade erst die Targa Florio gewonnen hatten. Dem Alfa-Team gehörte auch der damalige Star Campari an, der einen P2 fuhr, aber unglücklicherweise aufgeben musste.

Es war vereinbart worden, dass ich Campari vorbeifahren lassen sollte, wenn er hinter mir auftaucht. Von der ersten Runde an habe ich immer wieder in den Rückspiegel geschaut und darauf gewartet, dass Campari aufholt. Doch er kam nicht. Das machte mich zwar nervös, denn Camparis Auto war schneller als meines und außerdem waren da ja noch die Mercedes-Fahrer im Rennen. Deshalb gab ich Gas. Denn mir war auch klar geworden, dass ich einen sehr guten Start gehabt hatte und vorn lag. Ich fuhr also mit voller Kraft weiter und gewann. Im Ziel erzählte mir Campari dann, wie er das Rennen verbracht hatte. Nachdem er wegen einer defekten Kupplung hatte aufgeben müssen, hatte er sich in einer Seitenstraße versteckt, damit seine Gegner nicht zu früh bemerken, dass er ausgefallen war.«

Nach weiteren Siegen wurde er zum Werksfahrer befördert. Das bedeutete, dass er nicht mehr die gebrauchten Rennwagen fahren musste, sondern in den neuesten Modellen die großen Wettbewerbe bestreiten durfte.

Bei der Vorbereitung für den europäischen Grand Prix in Lyon 1924 stieg Enzo Ferrari jedoch nach einigen Trainingsrunden zur |20|Verwunderung von Mitstreitern und Rivalen aus seinem Sportwagen und kündigte an, künftig keine großen Rennen mehr fahren zu wollen. Seine Teamkollegen waren überrascht, dass er seine erfolgversprechende Karriere so leichtfertig aufgab. Hatte Ferrari plötzlich Angst vor seiner eigenen Courage bekommen, oder wollte er mit seinem plötzlichen Sinneswandel seiner Frau einen Liebesdienst erweisen? Die Tänzerin Laura Garello, die Ferrari 1923 geheiratet hatte, sah es in der Tat gar nicht gerne, wenn Ferrari Rennen fuhr und sein Leben riskierte. Deshalb hatte sie ihn bedrängt, den gefährlichen Motorsport aufzugeben.

Der lange Weg vom Mechaniker zum Unternehmer

Doch auch nach dem spontanen Abschied vom Rennsport konnte Ferrari als Testingenieur im Alfa-Team bleiben. Die zweite Chance verdankte Ferrari seiner Begabung für technische Errungenschaften und seinen Fähigkeiten als Mechaniker. Trotz des überraschenden Erfolges seiner jungen Motorsportkarriere hatte Ferrari nicht nur auf seine Fähigkeiten als Fahrer gesetzt, sondern gleichzeitig seine Kenntnisse als Techniker und Ingenieur vertieft. Nun wurde er der Spezialist für komplizierte Probleme im Rennteam. Doch das war nicht seine einzige Einkommensquelle: Er war auch der zuständige Händler für Alfa-Romeo-Fahrzeuge in Modena.

Drei Jahre später kehrte Ferrari noch einmal auf die Piste zurück. 1927 saß er wieder als Fahrer in einem Rennwagen. Diesmal fuhr er auf eigene Rechnung. Es gelang ihm, mit Überraschungssiegen in Alessandria und Modena aufzufallen. Doch das blieb ein kurzes Intermezzo.

Am 16. November 1929 gründete Enzo Ferrari zusammen mit den Rennfahrern Graf Carlo Felice Trossi und Mario Tadini die Società Anonima Scuderia Ferrari. Kurz: die Scuderia Ferrari S.p.A. mit Sitz in der Viale Trentino e Trieste in Modena. Unterstützt |21|wurde er bei seinem Start in die Selbstständigkeit von den reichen Erben eines Textilunternehmens aus Ferrara: Augusto und Alfredo Caniato. Die beiden Brüder waren Amateurfahrer und wichtige Kunden von Alfa Romeo. Als sich der Automobilkonzern 1925 vorübergehend aus dem Renngeschäft zurückzog, wurde Ferrari beauftragt, sich um die wohlhabenden und vom Motorsport faszinierten Brüder aus Ferrara zu kümmern. Vor allem sollte er dafür sorgen, dass die Caniatos jeden Service erhielten, den sie für ihr kostspieliges Hobby brauchten: den Transport der Fahrzeuge an die Piste, technische Wartung und jede andere Dienstleistung, die sie wünschten. Ferrari nutzte die Gelegenheit und schlug Alfa einen Deal vor: Seine Firma erbrachte diese Leistungen, und Alfa beteiligte sich an seinem Unternehmen. Ähnliche Vereinbarungen schloss er mit Bosch, Shell und Pirelli. Auf diese Weise konnte er sich die Lieferung von Zündkerzen, Öl, Sprit und Zubehör zu Vorzugspreisen sichern.

Der Jungunternehmer begann Rennautos nach eigenen Plänen zu entwickeln. Zum Emblem seiner Firma wählte er ein schwarzes springendes Pferd auf gelbem Grund.

Um dieses Firmenwappen entspann sich schnell eine Legende. Das Cavallino rampante schmückte im Ersten Weltkrieg das Kampfflugzeug von Francesco Baracca, einem jungen adeligen Piloten, der zum Kriegshelden aufgestiegen war, weil er während des Krieges 34 gegnerische Flugzeuge abgeschossen hatte. Kurz vor Kriegsende wurde seine Maschine getroffen und er stürzte ab. Seinen Vater, den Grafen Baracca, traf Ferrari häufig bei Autorennen. Und 1923 – so hat Enzo Ferrari immer gern erzählt – habe ihn dann die Gräfin Paolina Baracca bedrängt, mit dem Emblem, das einst die Flugzeuge ihres Sohnes zierten – ein schwarzes springendes Pferd – seine Rennwagen zu schmücken: »Das bringt Ihnen Glück.«

Ferrari wählte als Hintergrund für das schwarze Pferd das Gelb der Wappenfarbe von Modena und platzierte die italienischen Landesfarben in einem Balken darüber.

|22|Mit 31 Jahren war Enzo Ferrari vom Angestellten zum Scheinselbstständigen aufgestiegen. Er arbeitete auf eigene Rechnung, war aber abhängig von seinem alten Arbeitgeber. Sein junger Rennstall hatte das Motorsportprogramm von Alfa Romeo übernommen, aber das Personal, vor allem die Rennfahrer, durfte Ferrari nach eigenem Ermessen einstellen. Dabei zeigte sich, dass Enzo Ferrari nicht nur ein gewiefter Geschäftsmann war, sondern auch ein überaus geschickter Unternehmensführer, der es verstand, renommierte Fachleute für seine Projekte zu gewinnen.

Schon im ersten Jahr seiner Unternehmertätigkeit hatte Ferrari 50 Motorsportler unter Vertrag – darunter auch die Stars dieser Disziplin. Er konnte Giuseppe Campari gewinnen – und Tazio Nuvolari. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten: Schon im ersten Jahr nahm die Scuderia an 22 Veranstaltungen teil und errang acht Siege und mehrere gute Platzierungen.

Großen Anteil an dem beeindruckenden Start des Unternehmens hatte sicher Nuvolari. Auch im Rückblick war das Engagement des sechs Jahre älteren Rennsportlers Ferraris größter Coup. Nuvolari, der in Casteldario bei Mantua geboren worden war, hatte seine Karriere als Autohändler begonnen und die Liebe zum Rennsport bei Motorradrennen entdeckt, an denen er nach dem Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte. Zusammen mit dem italienischen Rennfahrer Achille Varzi hatte Nuvolari zunächst einen eigenen Rennstall gegründet. In diesem Unternehmen brachte Varzi vor allem das Kapital und Nuvolari das Können ein. Letzterer siegte mit Bugatti-Sportwagen in zahlreichen Rennen. Was ihm keineswegs das Lob seines Geschäftskollegen eintrug, sondern zu einer schweren Belastung für die Partnerschaft wurde. Der für seine Exzentrik ebenso wie für seinen Reichtum bekannte Varzi neidete Nuvolari seine Erfolge und die Popularität. Die Stimmung wurde frostig. Schließlich trennten sich die beiden Gründer, und Nuvolari begann als Profifahrer für andere Rennställe zu arbeiten – dazu gehörte für einige Jahre auch Ferrari. Wegen seines draufgängerischen Fahrstils, seiner Tollkühnheit wurde er von seinen Fans »der fliegende |23|Mantuaner« genannt. Und diesem Spitznamen machte er alle Ehre. Wenn Nuvolari am Steuer eines Sportwagens saß, ging es um alles oder nichts. Kein Rennfahrer hatte in jenen Jahren so viele Unfälle mit zum Teil schweren Verletzungen wie der kleine Mann aus Mantua, der die aerodynamisch wenig ausgefeilten Sportwagen am liebsten im Powerslide mit Vollgas durch die Kurven der Pisten jagte. Enzo Ferrari bewunderte Nuvolaris Mut, konnte aber nur schwer akzeptieren, dass jemand besser war als er – und ihm seine Überlegenheit auch zeigte. Ferraris gekränkte Eitelkeit wurde bald zur Belastung für das Arbeitsverhältnis, obwohl die beiden passionierten Autonarren einander nach außen mit Respekt begegneten.

Zu Beginn seiner Unternehmerkarriere fuhr auch Ferrari noch einige Rennen mit. Bei einem dieser Rennen im Jahr 1931 kam es zu einer Art Showdown zwischen dem Chef und seinem besten Piloten. Nuvolari siegte um Haaresbreite vor Ferrari.

Ferrari konnte die Schmach seiner Niederlage nur schwer verwinden. Er kündigte wieder einmal den Abschied vom aktiven |24|Rennsport an. Allerdings bot ihm diesmal die Geburt seines Sohnes Alfredo (Dino) im Januar 1932 einen sehr glaubwürdigen Vorwand, sich aus dem Motorsport zurückzuziehen und das Cockpit der Sportwagen künftig Nuvolari und anderen Profifahrern zu überlassen.

Von links: Baconin Borzacchini, Enzo Ferrari, Tazio Nuvolari und ein Mechaniker vor einem Alfa Romeo 8C »Monza«

Nuvolari, der eher schmächtige Motorsportler mit einer Körpergröße von nur 1,60 Meter, war längst zum Star und zum Helden auf den Rennpisten in ganz Europa geworden. Schon nach wenigen Siegen boten seine Sparsamkeit, sein trockener Humor und sein Wagemut, den er am Steuer der kleinen Flitzer zeigte, Stoff für Legenden. So mokierte er sich einst über Enzo Ferraris Großzügigkeit, ihm für die Teilnahme bei der Targa Florio im Jahr 1932 ein Bahnticket auch für die Rückfahrt nach Modena gekauft zu haben. Nuvolari hielt das für eine Verschwendung: »Wenn man bei einem Rennen antritt, rechnet man auch damit, in einer Holzkiste zurückzukehren.« Natürlich gewann er das Rennen und brauchte die Rückfahrkarte doch.

Im Jahr 1933 trat die erste Krise auf. Bis dahin waren die Geschäfte für die Scuderia gut gelaufen – dank Ferraris umsichtiger Kooperations- und Partnerschaftsstrategie. Doch nun drohte ihm der Hauptsponsor Alfa Romeo wegzulaufen. Die Mailänder steckten in einer finanziellen Klemme und wollten sich völlig aus dem Rennsport zurückziehen. Damit hätte Ferrari zwar endlich das alleinige Verfügungsrecht über sein Unternehmen gehabt, aber auch keine Rennwagen mehr für den Einsatz in den Wettbewerben bekommen. Er hätte seinen Betrieb schließen müssen, denn auch die Fahrer hätten ihn verlassen. Schließlich rettete ihn die Reifenfirma Pirelli. Sie intervenierten bei der Alfa-Romeo-Direktion zugunsten Ferraris und erreichten, dass die Scuderia sechs neue Rennwagen des Typs P3 erhielt. Außerdem sollten der Fahrzeugentwickler Luigi Bazzi sowie der Testfahrer Attilio Marinoni künftig für Ferrari arbeiten. In aktuellem Managementjargon hieße das: Alfa Romeo hatte seine Rennabteilung outsourced.

Für Ferrari hätte dieses Arrangement den Durchbruch bringen |25|können – er verfügte nun über die nötige Manpower und das Material, um die Scuderia zur erfolgreichsten internationalen Rennfirma ausbauen zu können. Doch im internationalen Motorsport gaben jetzt andere das Tempo vor. Die deutschen Automobilhersteller hatten in jenen Jahren eindeutig die Nase vorn. Die Flitzer der Auto Union und die Silberpfeile von Mercedes-Benz waren der italienischen Konkurrenz technisch weit überlegen. Unterstützt von Hitlers Naziregime, das einen Sieg in den internationalen Autorennen als nationales Propagandaereignis feierte, hatten die deutschen Automobilbauer ausreichend Kapital zur Verfügung für Investitionen in ihre Rennabteilungen. Das Naziregime subventionierte die deutschen Teams mit mehreren Hunderttausend Mark. Die italienischen und französischen Rennabteilungen, die bisher die Rennen dominiert hatten, fielen immer weiter zurück: Ihre Fahrzeuge konnten mit der deutschen Automobiltechnik und dem hohen Materialeinsatz nicht mehr mithalten.

Nur in kritischen Situationen konnten die Champions der italienischen Scuderia ihre Stärke ausspielen. So hatte Ferraris Spitzenfahrer Tazio Nuvolari einen seiner spektakulärsten Auftritte 1935 auf dem Nürburgring beim »Großen Preis von Deutschland«. Bei strömendem Regen gewann er das Rennen, obwohl er mit einem deutlich schwächer motorisierten Fahrzeug gegen die Silberpfeile von Mercedes-Benz antrat. Manfred von Brauchitsch, der letzte deutsche Konkurrent, der noch im Rennen geblieben war, hatte die Reifen seines Mercedes-Rennwagens so abgefahren, dass sie in der letzten Runde platzten, und musste – den Sieg zum Greifen nahe – aufgeben. Nuvolari fuhr als Erster über die Ziellinie.

Die Siegerehrung an jenem denkwürdigen Tag bot Stoff für Anekdoten. Den Veranstaltern, die fest mit der Überlegenheit der deutschen Teilnehmer gerechnet hatten, fehlte die Schallplatte mit der italienischen Nationalhymne. Auch da konnte Nuvolari aushelfen: Vorsichtshalber hatte er immer eine Platte mit der Hymne in seinem Gepäck.

Trotz der Erfolge Nuvolaris blieb das Verhältnis zwischen dem |26|Rennfahrer und seinem Chef gespannt. Hinzu kam, dass der Motorsportler zunehmend unzufriedener mit dem Material wurde, das ihm Ferrari zur Verfügung stellte.

So wundert es wenig, dass er seine Zusammenarbeit mit Ferrari und Alfa Romeo aufkündigte, als er 1938 mit einem neuen Alfa Romeo, dem Tipo 308, beim Training in Südfrankreich wieder einen schweren Unfall erlitten hatte. Bei dem schlecht konstruierten Wagen war die Benzinleitung defekt, und das Fahrzeug hatte Feuer gefangen. Nuvolari sprang in Panik aus dem Fahrzeug, kurz bevor der Wagen explodierte und ausbrannte. Nuvolari überlebte das Desaster wie durch ein Wunder mit einigen leichten Verbrennungen und Prellungen. Daraufhin schwor er sich, nie wieder einen Alfa in einem Rennen zu steuern – und unterschrieb einen Vertrag mit der deutschen Auto Union. Dort war ein Platz frei geworden, nachdem der damalige Spitzenfahrer Bernd Rosemeyer tödlich verunglückt war.

Rückschlag und Neuanfang

Schon 1937 hatte Italiens Diktator Benito Mussolini die italienische Autoindustrie aufgefordert, für die einheimischen Rennfahrer bessere Wagen zu konstruieren, damit sie bei den internationalen Wettbewerben nicht länger ihrer deutschen Konkurrenz hinterherfahren müssten. Vor allem bei Alfa Romeo wurden die notwendigen Konsequenzen gezogen, um den Wunsch des Duce umzusetzen. Die Unternehmensleitung beschloss, die Motorsportabteilung wieder in den Konzern zu integrieren. Als Ferrari 1937 seine Pläne für einen neuen konkurrenzfähigen Rennwagen präsentierte, wurde ihm die neue Strategie eröffnet.

Am 1. Januar 1938 verkündete die Unternehmensleitung, dass Alfa Romeo wieder selbst ins Renngeschäft einsteigen werde und künftig Wagen mit eigenem »Alfa-Corse«-Emblem auf die Piste |27|schicken wollte. Enzo Ferrari, der bisher als Outsourcing-Partner die Motorsportaktivitäten des Konzerns übernommen und weiterentwickelt hatte, wurde quasi enteignet. Er musste die Rennwagen, die Entwicklungen und Pläne für die nächste Generation von Fahrzeugen an den Konzern abtreten. Seine Träume vom selbstständigen Unternehmertum zerplatzten, er hatte nun die Wahl, mittellos auf der Straße zu stehen oder die Leitung der Rennabteilung des Automobilkonzerns zu übernehmen. Er entschied sich für Alfa Romeo. Der Leiter der Entwicklungsabteilung des Konzerns, der Spanier Wilfredo Ricart, wurde sein Chef.

Doch glücklich wurde Ferrari nicht mit seinem neuen Job. Es fiel ihm schwer, sich in die Hierarchie einzuordnen. Konflikte mit dem Alfa-Romeo-Direktor Ugo Gobbato und seinem direkten Vorgesetzten waren programmiert. Den Entwicklungsingenieur Ricart konnte Ferrari nicht leiden. Aus seinen Ressentiments machte der Ex-Unternehmer keinen Hehl. Er lästerte über den »Spanier«, er habe schmieriges langes Haar und könne einem nicht einmal anständig die Hand geben. Sein Händedruck sei so schwach, dass man das Gefühl habe, man halte ein Stück leblosen Fleisches in den Fingern.

Die Trennung, die 1939 vollzogen wurde, war alles andere als angenehm. Zusammen mit seinen zwei engsten Kollegen Luigi Bazzi und Alberto Massimino verließ er die Firma. Alfa Romeo versuchte zwar nicht, die Truppe zu halten, diktierte aber Ferrari einen Aufhebungsvertrag mit umfangreichem Konkurrenzverbot. Demnach war es ihm vier Jahre lang nicht gestattet, unter seinem Namen Rennwagen zu bauen oder an Autorennen teilzunehmen.

Doch zurück im freien Unternehmertum, ließ er sich nicht aufhalten. Endlich hatte er sich völlig von der Firma getrennt, die lange Jahre sein Einkommen gesichert, aber auch so lange sein Leben bestimmt hatte. Jetzt war er endlich sein eigener Herr. In Modena gründete er umgehend ein neues Unternehmen. In Maranello eröffnete er eine kleine Fabrik, die während des Krieges |28|Werkzeugmaschinen herstellte. Unter dem Firmennamen »Auto Avio Costruzioni« baute er noch zwei Sportwagen, die er 1940 in der Mille Miglia, dem berühmten italienischen Straßenrennen, an den Start schickte.

Es war die letzte Veranstaltung dieser Art – danach wurden bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges alle Motorsportaktivitäten in Italien eingestellt. 1944 wurde Ferraris kleines Werk ausgebombt. Noch bevor die Fabrik wieder aufgebaut war, hatte Ferrari aber einen weit reichenden Entschluss gefasst. Er wollte seine Rennwagen künftig komplett in eigener Regie bauen: Motor, Getriebe, Chassis und selbst die Karosserie – alles sollte aus Maranello stammen, made by Ferrari.

Dieser Entscheidung ist die Scuderia bis heute treu geblieben: Als einziger Rennstall im Formel-1-Geschäft stellt Ferrari alle wesentlichen Teile in eigener Regie her. Auch wenn andere Wettbewerber wie heute McLaren-Mercedes oder BMW-Williams ihre Rennaktivitäten Spezialisten überlassen und nur noch wichtige Elemente wie die Motoren der Rennwagen liefern.

Die ehrgeizigen Pläne des Commendatore, wie Enzo Ferrari seit Ende der zwanziger Jahre genannt wurde, erforderten allerdings einen hohen Einsatz von Kapital, über das Ferrari nicht verfügte. Weder als Rennfahrer noch als angestellter Spitzenmanager oder als Unternehmer hatte Ferrari es je verstanden, Geld auf die hohe Kante zu legen. Mit den Autorennen ließen sich keine Reichtümer anhäufen. Bestenfalls kam er gerade so über die Runden, in den meisten Fällen musste er sich Mittel für die Investitionen leihen. Die Rennfahrer, die in seinen Autos an den Start fuhren, mussten die Siegprämie mit ihm teilen – Ferrari bekam 50 Prozent von den Einnahmen.

Ferraris dritter Neubeginn im Jahr 1946 fand wieder im Zeichen des springenden Pferdes statt. Nun konnte der Commendatore wieder unter seinem eigenen Namen durchstarten. Der erste Ferrari, der 1947 beim Großen Preis von Monaco an den Start ging, war der Tipo 125, den Gioacchino Colombo, ein langjähriger |29|Mitarbeiter des Commendatore, entwickelt hatte. Angetrieben wurde das Fahrzeug von einem um 60 Grad gedrehten Zwölfzylinder-Motor, dem ersten dieser Art aus dem Entwicklungsbüro von Colombo und dem Ingenieur Luigi Bazzi.

Noch in jenem Jahr konnte Ferrari die ersten Siege verzeichnen: Franco Cortese gewann in dem Spider das Rennen auf dem Caracalla-Ring in Rom. 1949 fuhren die Ferrari-Rennwagen bereits bei den internationalen Rennen in der Spitzengruppe mit. Alberto Ascari erreichte als Erster das Ziel bei den Großen Preisen der Schweiz und Italiens. Sein Teamkollege Luigi »Gigi« Villoresi siegte in den Niederlanden. Diese Erfolge brachten Ferrari wieder internationale Anerkennung, die Genugtuung aber, den Erzrivalen Alfa Romeo bezwingen zu können, musste noch warten.

Großer Preis von Monaco in Monte Carlo 1950: José Froilan Gonzalez im Maserati 4CLT/48, dicht gefolgt von Luigi Villoresi im Ferrari 125.

|30|Alfa Romeo ging erst 1950 wieder bei den großen internationalen Grand-Prix-Wettbewerben an den Start. Dann allerdings mit einem leistungsfähigeren Motor als Ferrari. Alfas Alfetta konnte 335 PS mobilisieren, der Tipo 125 schaffte nur 300 Pferdestärken. Zwar hatte Ferrari als Erster den Zwölfzylinder-Motor entwickeln und in einen Rennwagen einbauen lassen, doch die Konkurrenz war nicht nur nachgezogen, sondern hatte ihn schon wieder überholt.

Wieder einmal hatte Ferrari das Tempo des technischen Fortschritts und die Leistungsfähigkeit seiner Konkurrenten verpasst. Wie einst die deutschen Automobilkonzerne stärkere und leistungsfähigere Boliden entwickelt hatten und damit an die Weltspitze fahren konnten, ohne dass die italienischen Sportwagenbauer mit eigenen Entwicklungen Paroli bieten konnten, so war dem Commendatore nun im eigenen Land ein alter Wettbewerber herangewachsen, dem er sogar noch die wesentlichen Basisentwicklungen für seinen Erfolg geliefert hatte.

Die technische Überlegenheit seines ehemaligen Arbeitgebers und größten Konkurrenten führte dazu, dass Ferrari sich zu einem für ihn ungewöhnlichen Schritt entschloss. Obwohl er in seinem 200-Mann-Betrieb am liebsten alles selber machen, entscheiden und bestimmen wollte, übertrug er in der drohenden Krise die technische Leitung seines Rennteams einem jungen Ingenieur. Der damals 32-jährige Aurelio Lampredi sollte dafür sorgen, dass die Ferraris künftig technisch in der Lage waren, die Wettbewerber abzuhängen. Fürs Erste konnte Lampredi die vorhandenen Motoren nur tunen, um sie auf 315 PS zu bringen, langfristig setzte er auf die Entwicklung eines stärkeren Zwölfzylinder-Antriebs, der dann schon 330 PS erreichen sollte, für einen neuen Rennwagen, den Tipo 375.

Für die erste Formel-1-Saison 1950 war das zu spät. Die Roten aus Maranello wurden mit dem alten Grand-Prix-Modell schon bei den ersten Rennen von Alfa Romeo so an die Seite gedrängt, dass Ferrari auf eine Teilnahme beim offiziellen Start der neuen |31|Königsklasse des Motorsports in Silverstone verzichtete. Die Schmach, bei diesem Rennen vor internationalem Publikum von seinem Erzrivalen in den Schatten gestellt zu werden, wollte sich der Commendatore ersparen.

So blieb 1950 das Jubeljahr für Alfa Romeo. Mit vier Fahrern starteten die Mailänder in die Formel-1-Ära und belegten beim ersten Rennen gleich die drei vorderen Plätze. Sieger wurde der populäre Nino Farina, promovierter Ökonom und Neffe des Karosseriebauers Giovanni Battista Farina, der als »Pininfarina« Geschichte im Automobildesign geschrieben hat. Der vierte Mann des Alfa-Corse-Teams, der Argentinier Juan Manuel Fangio, fiel nach einer Kollision mit den Strohballen zur Streckenbegrenzung nach einem Motorschaden aus.

Ferrari ließ seine Fahrer erst wieder im Großen Preis der Nationen am 30. Juli in Genf starten. Alberto Ascari fuhr den neuen Zwölfzylinder von Lampredi. Die Strategie schien erfolgreich zu sein, denn Ascari konnte sich an die Alfettas heranpirschen, fiel dann aber mit einem Motorschaden aus. Dass das Rennen lange in der kollektiven Erinnerung der Motorsportgemeinde haften blieb, liegt an dem schweren Unfall, den Ascaris Teamkollege Gigi Villoresi verursachte. Er kam mit dem alten 3,3-Liter-Modell von der Strecke ab und raste in die Zuschauermenge. Während Villoresi mit Kopfverletzungen, Brüchen des Schlüsselbeins und des Oberschenkels vergleichsweise glimpflich davonkam, starben vier Besucher, und 27 wurden schwer verletzt in Krankenhäuser eingeliefert.

Am 3. September in Monza kann Ferrari endlich Hoffnung schöpfen, dass sein Tipo 375 den Erzrivalen schlagen könnte. Obwohl auch die Mailänder aufgerüstet haben – ihre Geheimwaffe ist die Alfetta Tipo 159, bringt 370 PS und verbraucht 150 Liter eines Spezialspritgemischs auf 100 Kilometern – gelingt es Ascari im Ferrari 375, den Alfa-Fahrer Farina mit der neuen Alfetta 159 zu überholen. Dann allerdings ereilt ihn ein für viele Jahre immer wieder auftretendes Phänomen: Im entscheidenden Moment gab |32|der Ferrari seinen Geist auf – Motorschaden. Ascari gelang es zwar noch, durch einen Fahrzeugwechsel ins Rennen zurückzukehren, doch die Chance auf einen Sieg war vertan.

Immerhin schaffte es Ferrari, die legendäre Mille Miglia zu gewinnen, in der Sport- und Tourenwagen an den Start gehen. Erst das Jahr 1951 brachte Enzo Ferrari die lange ersehnte Revanche. Bei dem Grand-Prix-Rennen im englischen Silverstone am 14. Juli konnte sein Team den Rivalen Alfa Romeo in die Schranken weisen: José Froilan Gonzalez, der »Stier der Pampas«, gewann das Rennen im Ferrari 375 F1 vor den als unbesiegbar geltenden Alfettas 159.

Als Enzo Ferrari per Telefon über den Erfolg informiert wurde, war er befreit und erleichtert. Aber das reichte ihm nicht. Um seinen Triumph über die Mailänder voll auszukosten, die ihn 1939 so erniedrigt hatten, musste er ihnen ihre Niederlage auf besonders pathetische und boshafte Weise unter die Nase reiben. In einem Telegramm schrieb er, »dass ich für unseren Alfa noch immer die zart-süße erste Liebe eines Jünglings empfinde« und »unter |33|die Tränen der Begeisterung mischen sich solche des Schmerzes. Denn an diesem Tag kommt mir die Gewissheit, dass ich meine Ziehmutter umgebracht habe.«

Alberto Ascari 1954 auf der Rennstrecke von Monza. Im Jahr darauf kommt Ascari auf derselben Strecke beim Training ums Leben.

Das war etwas voreilig, denn der »Muttermord« fand 1951 doch nicht statt. Die Ferraris siegten zwar noch auf dem Nürburgring und in Monza, aber als am Ende der Saison abgerechnet wurde, stellte noch einmal Alfa Romeo den Weltmeister. Diesmal war es der Argentinier Juan Manuel Fangio, der die meisten Punkte in den Formel-1-Rennen errungen hatte.

Doch im Jahr 1952 war dann endlich Ferrari an der Reihe. Die Scuderia war zum ersten Mal in der Formel-1-Geschichte das schnellste Unternehmen. Alberto Ascari wurde Weltmeister und wiederholte den Triumph auch 1953. Drei Jahre später, 1956, siegten die Roten aus Maranello als Partner von Lancia mit Juan Manuel Fangio und 1958 mit Mike Hawthorn. Doch zu dem Zeitpunkt hatte sich Alfa Romeo schon lange aus der Königsklasse des Motorrennsports zurückgezogen.

|34|Autos zum Träumen und Siegen

Schon in den fünfziger Jahren hatte Enzo Ferrari begonnen, ein zweites Standbein für sein Unternehmen aufzubauen. Die Produktion von rasanten Sportwagen für die Straße sollte zur Finanzierung der Rennaktivitäten beitragen. Als Klientel für die Luxusboliden hatte der Unternehmer wohlhabende Autoamateure, Filmstars und gut betuchte Zeitgenossen ins Visier genommen, denen das Vergnügen, im Ferrari über die Pisten und Promenaden zu rauschen, ein Vermögen wert sein würde.

Der Aufbau dieser Luxusklasse bereitete zunächst keine Schwierigkeiten. In den ersten vier Jahren wurden die gleichen Modelle, die für die Rennen gefertigt wurden, auch für einzelne Kunden produziert. Das war damals nicht ungewöhnlich, denn viele Motorsportler fuhren ihre Rennwagen auch im normalen Straßenverkehr. So nutzte der Mille-Miglia-Pilot Giovanni Marzotto das Fahrzeug, mit dem er zweimal an dem berühmten Straßenrennen teilgenommen hatte, auch, um morgens zur Arbeit ins Werksgelände in Maranello zu kommen.

Die Stückzahlen dieser für den Verkauf hergestellten Serie waren allerdings klein, bisweilen wurde nur ein einziges Exemplar der Supersportwagen montiert. Der Commendatore hatte auch begriffen, dass die Boliden, die er zu Spitzenpreisen versilbern wollte, nicht nur über die leistungsfähigsten Motoren verfügen mussten, sondern dass sie auch optisch für Furore sorgen sollten. Während im Rennsport die Form nur der Funktion folgen musste, ging es bei den Fahrzeugen, die als Traumautos für reiche |35|Privatkunden und Amateure produziert werden sollten, auch darum, ein stimmiges Design zu entwickeln, das neben Power gleichermaßen Prestige symbolisiert.

Von Träumen und Albträumen

Deshalb begann Ferrari auch auf die Karosserie seiner Sportwagen zu achten. Auf diesem Gebiet hatte die Scuderia keine Erfahrungen und auch keine Spezialisten. Ferrari suchte die Kooperation mit den besten Designern im Automobilbau. Zu den international renommierten Star-Karosseriebauern zählten schon damals Giovanni Battista »Pinin« Farina und dessen Sohn Sergio.

Vater und Sohn waren die Abkömmlinge einer Großfamilie, die von Anfang an beim Automobilbau und beim Motorsport dabei war. Die beiden Brüder Farina hatten 1896 die Wagenbaufirma Stabilimenti Farina gegründet. Der Sohn des älteren Bruders war der Rennfahrer Dr. Giuseppe »Nino« Farina, der 1950 erster Weltmeister in der Formel 1 wurde. Giovanni Battista war der jüngere der beiden Brüder, und wurde auch »Pinin« oder »der Kleine« Farina genannt. 1930 trennte er sich vom älteren Bruder und machte sich mit Carrozzeria Pinin Farina selbstständig. Erst von 1958 an, als sein Sohn Sergio das Unternehmen übernommen hatte, wurde der Firmenname in »Pininfarina« geändert. Der jüngere Bruder wurde der berühmte Karosseriebauer, der die spektakulären Blechkleider für viele Luxuswagen schneiderte – vor allem aber für Ferrari. Diese Zusammenarbeit hatte zumindest in ihren Anfängen einige Hindernisse zu überwinden.

Der Patron »Pinin« Farina und Ferrari waren genau genommen Weggefährten. Sie kannten sich seit den zwanziger Jahren, als sie beide noch selbst Rennen fuhren. Zeitgenossen berichteten, dass die beiden Patriarchen, jeder eigensinnig und eitel wie eine Diva, einander stets argwöhnisch beäugt und den Aufstieg des anderen mit Interesse verfolgt hatten. Sich getroffen und miteinander geredet hatten sie allerdings nie – bis zu jenem Tag im Jahr 1951, als sie sich nach langen Vorbereitungen und diplomatischen Winkelzügen schließlich auf neutralem Boden in einem Restaurant in Tortona an einen Tisch setzten. Aus diesem wohlvorbereiteten »Gipfeltreffen« wurde, wie Farina später formulierte, »ein lebenslanger Dialog«. Für Ferrari entsprangen daraus einige der feinsten und elegantesten Roadster und Cabrios. Farina schneiderte beispielsweise die Karosserien für den 375 America, den 250 GT Europa und den 250 GT Lusso.

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Ein Ferrari 166 MM Barchetta von 1950. MM steht für Mille Miglia.

Der Commendatore