Fettnäpfchenführer Japan - Kerstin Fels - E-Book

Fettnäpfchenführer Japan E-Book

Kerstin Fels

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Beschreibung

Von Teezeremonie bis Onsen-Besuch – Japan ist das Blamagepotenzialland #1 und hält mehr als einen Fallstrick bereit. Begleiten Sie unseren Protagonisten Herrn Hoffmann ins Land der aufgehenden Sonne und lernen Sie ... ... die hohe Kunst der richtigen Bescheidenheit ... warum eine Sitzordnung weit mehr als nur Gewohnheit ist ... dass Körpergeräusche okay sind, aber nur die richtigen ... dass glückliche Rinder mit Sake massiert werden

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Seitenzahl: 307

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FETTNÄPFCHENFÜHRER

JAPAN

KERSTIN UND ANDREAS FELS

DER UNTERHALTSAME REISEKNIGGE

Impressum

© 2024 Bruckmann Verlag GmbH

Infanteriestraße 11a

80797 München

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7343-3246-3

eISBN: 978-3-9588-9493-8

Autoren: Kerstin und Andreas Fels

Verantwortlich: Matthias Walter

Produktmanagement: Svenja Müller

Korrektorat: Christiane Gsänger

Umschlaggestaltung: derUHLIG Büro für Gestaltung unter Verwendung von Motiven von Lorerock81 / istock (Holzfigur), macrovector / freepic.com (Mikrofon), Thomas Uhlig (Hintergrund)

Satz: Röser MEDIA, Karlsruhe

Druck und Verarbeitung: Printed in Türkiye by Elma Basim

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Alle Angaben dieses Werkes wurden von den Autoren sorgfältig recherchiert und auf den neuesten Stand gebracht sowie vom Verlag geprüft. Für die Richtigkeit der Angaben kann jedoch keine Haftung erfolgen. Sollte dieses Werk Links auf Webseiten Dritter enthalten, so machen wir uns diese Inhalte nicht zu eigen und übernehmen für die Inhalte keine Haftung.

INHALT

DIE PROTAGONISTEN

VORWORT

1HERR HOFFMANN HAT DIE WELT GESEHEN

Weltmännische Ansichten über den Japaner an sich

2HERR HOFFMANN VERWECHSELT NAMEN

Hinz und Kunz auf Japanisch

3HERR HOFFMANN ISST MIT STÄBCHEN

Wie ein Verbot zur Erfindung von Sushi führte

4HERR HOFFMANN STELLT SICH VOR

Visitenkarten-Terror

5HERR HOFFMANN SCHENKT SICH NACH

Trinken steht über dem Militär

6HERR HOFFMANN GEHT BADEN

Wo ist eigentlich die Wasserrutsche?

7HERR HOFFMANN GIBT TRINKGELD

Vier Erdbeben pro Tag

8HERR HOFFMANN GIBT DIE HAND

Von unangenehmen Grüßen und Handgreiflichkeiten

9HERR HOFFMANN EKELT SICH

Wenn man beim Essen von Schuldgefühlen geplagt wird

10HERR HOFFMANN SETZT SICH

Durstiges Opfer strengen Sitzordnungsmanagements

11HERR HOFFMANN UND DIE SACHE MIT DER TOILETTE

Unerfreuliche Begegnung mit der Klangprinzessin und ihrem Hightech-Freund

12HERR HOFFMANN IST SPONTAN

Kirschblüte: Ein Land im Ausnahmezustand

13HERR HOFFMANN GREIFT ZUM MIKRO

Karaoke für die Karriere

14HERR HOFFMANN LÄSST DIE SCHUHE AN

Eine hygienische Todsünde

15HERR HOFFMANN TRÄGT STRASSENKLEIDUNG

Textile Peinlichkeiten in traditioneller Unterkunft

16HERR HOFFMANN MACHT ES SICH BEQUEM

Auch Sitzen will gelernt sein

17HERR HOFFMANN DENKT NICHT NACH

Wo ist eigentlich das Bett?

18HERR HOFFMANN PUTZT SICH DIE NASE

Kaltes Grauen in textilen Tüchern

19HERR HOFFMANN FÜTTERT TIERE

Haarige Erlebnisse mit der leckeren Brotzeit

20HERR HOFFMANN GIBT SICH ZWANGLOS

Körpergeräusche sind ok – solange es die richtigen zur richtigen Zeit sind

21HERR HOFFMANN HAT ETWAS GEGEN TATTOOS

Große Reise mit unter die Haut gehenden Peinlichkeiten

22HERR HOFFMANN FÄHRT TAXI

Orientierungslos im Großstadt-Dschungel

23HERR HOFFMANN TRÄGT SEIN SAKKO OFFEN

Luftige Kluft als Aufreger

24HERR HOFFMANN SUCHT EINEN MÜLLEIMER

Kann man Schweiß eigentlich trinken?

25HERR HOFFMANN ERWARTET EINE KLARE ANTWORT

Ja oder ja?

26HERR HOFFMANN BEKOMMT BÖSE BLICKE

Selbstmord-Ärgernisse und eine Fahrt im Super-Zug

27HERR HOFFMANN STOPPT GOTTESLÄSTERUNG

Eine rote Mütze schafft religiöse Missverständnisse

28HERR HOFFMANN VERPASST DAS THEMA

Wie bei Partys: Die Wichtigsten kommen zum Schluss

29HERR HOFFMANN MACHT EINEN WITZ

Humoristische Tabu-Zonen

30HERR HOFFMANN HAT HUNGER

Pachinko – seltsam und sehr, sehr laut

31HERR HOFFMANN IN DER MÄDCHEN-ZONE

Was passiert hinter den Vorhängen der pinken Automaten?

32HERR HOFFMANN PARFÜMIERT SICH

Ein Potpourri aus Duft und Betrübnis

33HERR HOFFMANN VERTEILT GESCHENKE

Norddeutscher Kitsch und schlafende Menschen in der U-Bahn

34HERR HOFFMANN WIRD RAUSGEWORFEN

Je später der Abend, desto müder die Gäste

35HERR HOFFMANN ÄRGERT SICH

Mentales Nitroglyzerin in gefährlicher Umgebung

36HERR HOFFMANN BEOBACHTET EINEN VERBOTENEN KUSS

Im ultimativen Trend-Viertel, Treffpunkt: Treuer Hund

37HERR HOFFMANN IST EIN MACHER

Kurzstreckenläufer im Businessmarathon

38HERR HOFFMANN LIEST MANGA

Von Astro-Boy bis zu gefesselten Schulmädchen

39HERR HOFFMANN MEINT’S NICHT SO

Ein gewagter Drahtseilakt namens Ironie

40HERR HOFFMANN ISST DAS BESTE FLEISCH DER WELT

Sake-Massagen für glückliche Rinder

41HERR HOFFMANN ALS GENTLEMAN ALTER SCHULE

Ladies First als Blindgänger im Land des Lächelns

42HERR HOFFMANN SCHERT ALLE ÜBER EINEN KAMM

Nicht alle Asiaten spielen Pingpong

43HERR HOFFMANN VERBEUGT SICH

Ein Fall für Winkelmesser

44HERR HOFFMANN BRINGT BLUMEN MIT

Freude und Verlegenheit als ungleiche Zwillinge

45HERR HOFFMANN GESTIKULIERT

Gefahren und Tücken der Körpersprache

46HERR HOFFMANN UND DIE SCHATTEN DER VERGANGENHEIT

Unruhe am Schrein des friedlichen Landes

47HERR HOFFMANN KOMMT ZUM ESSEN VORBEI

Kartoffelsalat als Eingriff in die Privatsphäre

48HERR HOFFMANN IST EIN HERZLICHER MENSCH

Sich selbst am nächsten sein – den Anderen zuliebe

EPILOG

Von Teezeremonie bis onsen-Besuch – Japan ist das Blamagepotenzial-Land #1 und hält mehr als einen Fallstrick bereit. Begleiten Sie unseren Protagonisten Herrn Hoffmann ins Land der aufgehenden Sonne und lernen Sie …

… die hohe Kunst der richtigen Bescheidenheit

… warum eine Sitzordnung weit mehr als nur Gewohnheit ist

… dass Körpergeräusche okay sind, aber nur die richtigen

… dass glückliche Rinder mit Sake massiert werden

»Die Autoren haben alle erdenklichen Situationen humorvoll aufbereitet – und ganz nebenbei ermöglichen sie dem Leser einen Einblick in japanische Geschichte und Kultur.«

JAPANCOWNTACT

»Super unterhaltsam, lehrreich und lustig – und der ultimative Lesetipp für alle, die sich einmal auf den Weg nach Japan wagen wollen!«

DAISUKI-MAGAZIN

10 DINGE,

MIT DENEN MAN SICH IN JAPAN AUF JEDEN FALL BLAMIERT

1.Achten Sie auf Ihre Schuhe. Sie werden vor dem Betreten von Restaurants, Tempeln, ryōkan, Privatwohnungen – ach, eigentlich fast überall – ausgezogen. Für die Toilette gibt es nochmal eigene Klo-Slipper, die den Toilettenraum nicht verlassen dürfen. Niemals.

2.Beim Baden in einer heißen Quelle, in einem onsen, kann einiges schiefgehen. Achten Sie darauf, die richtige Umkleide zu erwischen (rot für Frauen, blau für Männer) und waschen Sie sich ordentlich, bevor Sie sich ins Becken setzen. Und natürlich: Schuhe aus!

3.Beim Trinkgeld ist es eigentlich ganz einfach: Geben Sie keins.

4.Sie essen mit Stäbchen? Dann sollten Sie vermeiden, diese in den Reis zu stecken – das erinnert an ein Beerdigungsritual.

5.Wenn Sie in einer Gruppe unterwegs sind, schenken Sie sich keinen Alkohol nach. Das wird jemand aus der Gruppe übernehmen, keine Sorge.

6.Sie fahren mit dem Taxi? Setzen Sie sich nach hinten und lassen Sie den Fahrer die Tür für Sie öffnen.

7.Beim Überreichen von Visitenkarten nehmen Sie die Karten der anderen mit beiden Händen an, studieren diese aufmerksam und verstauen sie dann sorgfältig (nicht in der Hosentasche!).

8.Werfen Sie keinen Müll auf die Straße – auch wenn kein Mülleimer weit und breit zu sehen ist.

9.Sie warten auf die U-Bahn? Bitte anstellen. Am Bahnsteig finden Sie entsprechende Markierungen auf dem Boden.

10.Im Zweifel gilt: Versuchen Sie nicht aufzufallen – zumindest nicht mehr als nötig.

DIE PROTAGONISTEN

Herr Hoffmann

Auf unserer Reise durch die japanische Fettnäpfchen-Landschaft begleiten wir Herrn Hoffmann, einen deutschen Chemiker, der zum ersten Mal beruflich nach Japan geschickt wird. Aber was kann da schon schiefgehen? Japan ist doch auch nicht viel anders als Flensburg, oder?

Seine Familie

Herrn Hoffmanns Frau Hannah blickt mit Sorge auf die bevorstehende Reise. Gibt es in Japan überhaupt etwas Ordentliches zu Essen?

Seine Kinder Tina und Oli hingegen freuen sich. Bestimmt wird ihr Vater ihnen tolle Geschenke mitbringen. Vielleicht ein Samurai-Schwert oder einen Kimono?

Frau Watanabe

Zum Glück ist Herr Hoffmann nicht auf sich gestellt, sondern hat Frau Watanabe an seiner Seite. Sie arbeitet ebenfalls für den Nakagawa Chemiekonzern und ihre Aufgabe ist es, den fremden gaijin vor dem Schlimmsten zu bewahren. Nun, sie gibt ihr Bestes. Aber Herr Hoffmann ist auch wirklich ein schwieriger Fall …

Herr Uchida

Mit seinem Faible für taubenblaue Krawatten und lauwarmen Sake begleitet Herr Uchida unseren norddeutschen Helden als Übersetzer. So ist er ein hilfreicher Unterstützer bei Meetings, aber auch beim gemeinsamen Kneipenbesuch mit den Kollegen. Nun ja, zumindest meistens …

VORWORT

Ein ganzes Buch zum Thema Blamagen in Japan? Ist das nicht übertrieben? Kann man denn überhaupt so häufig ins Fettnäpfchen treten? Ja, man kann! Zumindest wir haben uns in Japan blamiert. Und zwar kräftig. Und das nicht nur einmal. Nun geben in der Regel gerade die peinlichen Erlebnisse im Nachhinein die besten Anekdoten ab – aber wenn Sie sich denn doch die eine oder andere Blamage ersparen möchten, sollten Sie dieses Buch lesen.

Wir haben Herrn Hoffmann auf die Reise geschickt, der Ihnen als Spezialist der gelungenen Blamage zur Seite stehen wird. Herr Hoffmann ist ein deutscher Durchschnittsbürger. Und er wird verschiedene Japaner auf seiner Reise treffen. Aber Vorsicht: Genauso wenig wie Herr Hoffmann den typischen Deutschen repräsentieren kann, stehen seine Bekanntschaften für die typischen Japaner. Die es natürlich genauso wenig geben kann wie die typischen Deutschen. Kurz gesagt: Nur weil zum Beispiel Herr Uchida (Sie werden ihn noch kennenlernen) offenbar ein Faible für taubenblaue Krawatten hat, muss dies keineswegs für alle Japaner gelten.

Noch kurz zur Schreibweise: Ganz allgemein sind japanische Begriffe klein und kursiv geschrieben. Ausgenommen von dieser Regel sind Eigennamen oder Begriffe, von denen wir einfach mal ausgehen, dass sie allgemein bekannt sind (z. B. Geisha, Karaoke, Sushi). Außerdem haben wir uns für die korrekte japanische Schreibweise statt der eingedeutschten Form entschieden, also Tōkyō statt Tokio.

In welcher Reihenfolge Sie Herrn Hoffmanns Abenteuer verfolgen, bleibt natürlich ganz Ihnen überlassen.

Viel Spaß dabei!

1

HERR HOFFMANN HAT DIE WELT GESEHEN

Weltmännische Ansichten über den Japaner an sich

24. März, Abendbrotzeit, Flensburg

»Japan ist wie Flensburg«, versucht Egon Hoffmann die Zweifel seiner Frau mit einer wegwerfenden Handbewegung zu zerstreuen. Doch so ganz überzeugt ist Hannah noch nicht von der anstehenden Tagungsreise ihres Mannes in das Land der Kimonos, Kulleraugencomics und Kirschblüten.

»Aber ist denn da nicht immer noch alles verstrahlt?«, fragt sie sorgenvoll.

»Hannah, Tōkyō ist 250 Kilometer entfernt von Fukushima«, tadelt Herr Hoffmann die geografischen Unkenntnisse seiner Frau. Und er muss es ja wissen – schließlich hat er die Entfernung erst gestern bei Wikipedia nachgelesen.

Japan soll also wie Flensburg sein? Nicht dass Sie denken, Herr Hoffmann sei ein Ignorant, gar ein ungebildeter Vollidiot. Im Gegenteil – er hat studiert und arbeitet als Chemiker in einem Weltkonzern. Er liest recht viel und hat einige umfangreiche Artikel für Fachmagazine geschrieben, deren Auflage im mittleren vierstelligen Bereich liegt – eine ordentliche Zahl, wenn man sich die möglichen Leser in einem geschlossenen Raum vorstellt, zum Beispiel der Aula des Gymnasiums seines Sohnes Oliver. Genau der hatte, auf dem gepackten Hartschalenkoffer seines Vaters sitzend, die Diskussion über die bevorstehende Geschäftsreise seines Vaters überhaupt erst losgetreten.

»Musst du dann auch Hunde essen?«, hatte der 12-Jährige die schwungvolle Erzählung seines Vaters über Geisha, Samurai und Karate jäh unterbrochen.

Der schüttelte den Kopf: »Unfug. In Japan essen die sowas nicht. Die essen fast nur rohen Fisch.« Er schaute zu seiner 16-jährigen Tochter Tina: »Ja, und fleißig sind sie. Die fleißigsten Menschen der Welt! Wohnen in Wohnungen nicht größer als dein Zimmer, können ›R‹ und ›L‹ nicht auseinanderhalten, spielen Pingpong und sind alle ein bisschen verrückt«, beeilte er sich, seiner sprachlosen Familie den Japaner an sich mit großer Geste zu erklären.

Der Japaner an sich ist so. Das weiß man, wenn man hin und wieder eine Japan-Doku im Fernsehen sieht und mit anderen Weltenbummlern plaudert. Globetrottern wie Herrn Hoffmann also, einem Mann, der die Welt gesehen hat. Das glaubt er zumindest, denn eigentlich beschränkt sich die von ihm gesehene Welt auf spanische Inseln, Tirol, Rimini, London und kleine Teile der US-Ostküste.

Wir begleiten nun den ahnungslosen Norddeutschen auf seinem unbekümmerten Trip durch das Minenfeld der japanischen Etikette. Dabei wird er nicht nur peinliche und für alle Beteiligten ausgesprochen unangenehme Augenblicke erleben, sondern auch in brenzlige zwischenmenschliche Situationen geraten. Kein Wunder, denn eigentlich ist es völlig unmöglich nach Japan zu reisen, ohne sich dabei unsäglich zu blamieren. Aber Herr Hoffmann hat ein sicheres Gespür dafür, sich geradezu kriminell unangemessen zu verhalten.

Wir werden erleben, wie Herr Hoffmann trotz seiner gefühlten Weltmännischkeit an die Grenzen des Exotenbonus stößt, den er als gaikokujin, als Mensch aus dem Ausland, genießt. Er wird Blamagen erleben, auslösen und aus ihnen das japanische Miteinander kennenlernen. Und er wird seiner Familie natürlich stolz erzählen, wie gewandt er selbst die haarigsten Begebenheiten meisterte. Nur gut, dass wir es besser wissen und als Zeugen seinen ersten Japanbesuch verfolgen können. Kurz: Es ist all das festgehalten, was in nur wenigen Tagen Kulturaustausch in die Hose gehen kann.

Und eines kann jetzt schon einmal vorweggenommen werden: Japan ist nicht wie Flensburg. Nicht einmal annähernd.

2

HERR HOFFMANN VERWECHSELT NAMEN

Hinz und Kunz auf Japanisch

25. März, 20:12 Uhr, etwa 11.000 Meter über Skandinavien

Herr Hoffmann schwitzt. Sein Gesicht läuft rot an, seine Augen tränen. Aus seiner Nase dringen Geräusche, die an das erschreckte Schnauben eines Seeotters im Angesicht eines Schwertwals erinnern. Schrecklich! Dabei hat er sich doch nur ein Tütchen mit Nüssen in den Mund geschüttet. Speichel schießt in seine Mundhöhle, seine Zunge schwillt an, der Gaumen brennt. Scharf, scharf, scharf! Hastig kaut er die schreckliche Fracht grob durch und schluckt sie dann mit großer Willensanstrengung herunter. Schnell noch mit dem Tomatensaft nachspülen. Aaaah. Schön, wenn der Schmerz nachlässt.

Der junge Japaner neben ihm – er trägt einen Anzug, der auch nach vier Stunden Flug noch aussieht wie frisch gebügelt – sieht ihn erschrocken an. Wahrscheinlich befürchtet er, gleich Erste Hilfe leisten zu müssen. Oder dass der Westler neben ihm einfach stirbt und ihm damit den Weg zum Klo während des rund dreizehnstündigen Fluges versperrt. Herr Hoffmann lächelt ihm gequält zu, um anzudeuten, dass er sich keine Sorgen machen soll. Dieser Gesichtsausdruck scheint den Japaner noch mehr zu beunruhigen. Egal. Was hat er sich da eigentlich in den Mund geschüttet? Mit zitternden Fingern untersucht er das nun leere Päckchen, das ihm die Stewardess eben mit seinem Tomatensaft gebracht hatte. Wasabi-Peanuts. Aha. Ist das nicht diese scharfe grüne Paste, die immer bei Sushi mit dabei ist?

Das erklärt einiges. Spontan entscheidet Herr Hoffmann sich für das westliche Menü: Hühnchen mit Reis. Er wird sich doch nicht schon auf dem Flug umbringen lassen …

Nach 9.335 langen Kilometern befindet sich die Maschine endlich im Landeanflug auf den Narita Airport.

Endlich da!

Auf dem gesamten Flug hat er kaum eine halbe Stunde am Stück geschlafen, da der Anzug-Typ neben ihm (er sieht übrigens noch immer wie frisch gebügelt aus) die ganze Nacht damit verbracht hat, über den kleinen Monitor japanische Filme zu schauen. Leider hat er dabei die Angewohnheit, in spannenden, brenzligen oder einfach nur unerwarteten Situationen so heftig mit beiden Armen zu rudern, dass Herr Hoffmann gerne noch ein Tütchen Wasabi-Erdnüsse gehabt hätte, um den Inhalt seinem Sitznachbarn in die Augen zu reiben.

Aber nun ist er zu kraftlos für weitere Rachefantasien. Müde und Jetlag-geplagt schleppt er sich kurz darauf durch den riesigen, blitzblank gewischten Flughafen. Wenn er doch bloß schon wieder zurück in Deutschland wäre. Von den Durchsagen versteht er kein Wort, auf Werbetafeln blinken unverständliche Schriftzeichen und überall sind nur Asiaten. Die anderen Europäer aus dem Flugzeug scheinen direkt wieder zurückgeflogen zu sein.

Sollte ihn nicht jemand abholen? Der Nakagawa Chemiekonzern wollte doch jemanden schicken, der ihn unterstützt und ihm als Ansprechpartner dient … Hektisch kramt Herr Hoffmann in seinem Sakko (das übrigens schon nach 30 Minuten Flug so aussah, als sei die Erfindung des Bügeleisens spurlos an ihm vorübergegangen) nach dem Zettel, auf dem er sich den Namen notiert hatte. Ah, da ist er ja: ›Nakagawa kagakuhōjin – WATANABE Takako‹. Das Erste ist der Firmenname, also muss das danach der Name seines Begleiters sein …

»Mister Hoffmann?« Eine kleine Frau kommt lächelnd auf ihn zu. In ihren Händen hält sie ein Schild, auf dem ›Hofmann‹ steht.

Ah, also doch kein Begleiter, sondern eine Begleiterin. Herr Hoffmann knüllt schnell den Zettel wieder in seine Tasche, geht auf die Dame zu und gibt ihr lächelnd die Hand: »Hello, Mrs. Takako! Nice to meet you.«

Was ist diesmal schiefgelaufen?

Da hat Herr Hoffmann gerade mal seit einer Viertelstunde japanischen Boden unter den Füßen und schon ist er ins erste Fettnäpfchen hineingeschlittert. Nein, es lag nicht an den verschwitzten Händen, seinem mit klarem, deutschen Akzent durchsetzten Englisch oder dem westlichen Handschlag. Was er leider nicht wusste: In japanischer Schreibweise steht der Familienname vor dem Vornamen. Hoffmann Egon also statt Egon Hoffmann, daher handelt es sich auch nicht um Frau Takako, sondern um Frau Watanabe.

Diese lächelt aber nur gelassen: »Good morning, Hoffmann-san, nice to meet you. But it’s Mrs. Watanabe.«

Seine Betreuerin ist vermutlich deshalb ausgewählt worden, weil sie schon einige Kontakte mit Westlern hatte (sie spricht auch gutes Englisch). Daher ist sie nicht davon ausgegangen, dass Herr Hoffmann sie mit einer traditionell japanischen Verbeugung begrüßen würde.

Herr Hoffmann hat keine Zeit, sich über seinen Fauxpas zu ärgern, denn er grübelt. Hoffmann-san? Was soll das nun wieder heißen?

Frau Watanabe hat einfach die übliche höfliche Standard-Anrede benutzt. Die Silbe san wird dabei einfach an den Nachnamen angehängt – und zwar egal, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. An einen Vornamen angehängt, drückt -san sowohl Respekt als auch Nähe aus. In der japanischen Sprache gibt es eine ganze Reihe verschiedener Anreden, die nur darauf lauern, dass unbedarfte Reisende sie vertauschen und sich damit aufs gesellschaftliche Glatteis begeben. Die meisten werden jedoch zum Glück kaum von Ihnen erwartet.

In den nächsten Kapiteln werden historische Persönlichkeiten in japanischer Schreibweise geschrieben, also erst mit dem in Großbuchstaben geschriebenen Familiennamen, danach folgt der Vorname. Immer, wenn wir jedoch Herrn Hoffmanns Gedankengängen folgen, bleiben wir – wie er selbst auch – bei der westlichen Schreibweise und der einfachen Anrede ›Herr‹ oder ›Frau‹. Im Übrigen möchten wir Sie nicht weiter mit Herrn Hoffmanns zum Teil etwas eingerostetem Schulenglisch belästigen. Ab jetzt werden die Passagen, die er in Japan auf Englisch redet, zur Erhaltung Ihres Seelenheils auf Deutsch wiedergegeben. Glauben Sie uns – es ist besser so.

Was können Sie besser machen?

Wenn Sie beim einfachen -san bleiben, können Sie schon mal nicht ganz falsch liegen. Aber Vorsicht: Mit dieser Silbe drücken Sie Hochachtung aus. Es wäre also unhöflich, sich selbst oder Familienangehörige mit -san vorzustellen. Auch die Mitglieder der eigenen Firma, die ja in Japan fast so etwas wie die eigene Familie sind, werden ohne Anrede angesprochen oder vorgestellt. Hier kann man stattdessen die Position desjenigen in den Namen mit aufnehmen. Dasselbe würde in Deutschland zu eher seltsam klingenden Anreden wie ›Buchhalter Krause‹ oder ›Abteilungsleiterin Müller‹ führen – aber Sie können dieses Verhalten ja abperlen lassen wie Regentropfen von einem Lotusblatt, sobald Sie wieder in das Flugzeug nach Hause steigen.

Falls es sich bei Ihrem Gegenüber allerdings um einen Lehrer, Professor, Anwalt oder Arzt handelt, kann -san schon zu wenig der Ehre sein. Hängen Sie vorsichtshalber ein -sensei an den Namen an (auch dies gilt für Männer und Frauen gleichermaßen), dann sind Sie auf der sicheren Seite. Falls Sie den Namen nicht wissen, können Sie auch nur ›sensei‹ sagen. Auch bei älteren Männern, die in der Hierarchie des Konfuzianismus sehr hoch stehen, liegen Sie mit sensei nie falsch. Vielleicht werden Sie feststellen, dass in Japan recht häufig nach dem Alter gefragt wird, möglicherweise, um die Hierarchien auf diesem Weg möglichst schnell zu klären. Bei Frauen gilt dies allerdings, wie ja auch bei uns, als nicht besonders höflich. In Japan kann man daher auch trickreich nach dem Tierkreiszeichen fragen und sich so unauffällig das Alter ausrechnen.

Übrigens: Hüten Sie sich davor, Ihre Geschäftspartner mit der Anredechan statt -san anzusprechen, auch wenn es recht ähnlich klingt. Das könnte Ärger geben. Diese Silbe wird nämlich nur für kleine Mädchen und allgemein alles, was niedlich ist, verwendet.

3

HERR HOFFMANN ISST MIT STÄBCHEN

Wie ein Verbot zur Erfindung von Sushi führte

Vormittag des 26. März, Shinjuku, Tōkyō

Die Sonne brennt heiß vom Himmel und die Schlange wird einfach nicht kürzer. Ganz Tōkyō scheint zur Mittagszeit auf den Beinen zu sein. Und Tōkyō ist riesig. Davon hat Herr Hoffmann sich gerade eben selbst überzeugen können, als er mit Frau Watanabe im 46. Stock des Rathauses stand und auf das sich scheinbar unendlich erstreckende Häusermeer herabschaute. Einfach unglaublich.

»Sehen Sie, wir sind gleich dran«, reißt ihn Frau Watanabe aus seinen Gedanken – und wirklich. Sie sind nun fast am vorderen Ende der Schlange der kleinen Sushi-Bar angelangt. Laut Frau Watanabe einer der besten Läden in Shinjuku.

Kurz darauf sitzen die beiden an einem kleinen Tischchen vor dem Mittagsmenü, das Frau Watanabe geordert hat. Nach einem Seitenblick auf seine Begleiterin reinigt sich nun auch Herr Hoffmann die Hände mit dem oshibori, das ihn an die heißen, feuchten Tücher erinnert, die er im Flugzeug beim Aufwachen bekommen hat.

»Essen Sie oft hier?«, fragt Herr Hoffmann, als er beobachtet, wie Frau Watanabe mit geübtem Griff die hashi, die Essstäbchen, aus dem Papier zieht und mit einer schnellen Bewegung auseinanderbricht.

Sie lacht: »Ich weiß schon, ihr Deutschen denkt immer, wir Japaner würden jeden Tag Sushi essen. Aber das stimmt gar nicht, viel häufiger esse ich mittags Nudeln oder eine Suppe.«

Herr Hoffmann nimmt schnell einen Schluck grünen Tee, der kostenlos zum Essen gereicht wurde, um zu überspielen, dass er das tatsächlich gedacht hatte. Nun sieht er sich das Essen genauer an. Auf einem Holzbrettchen sind verschiedene Röllchen zu sehen, dazu Fischstücke auf kleinen Reisbällchen. Und eine Art rosafarbener Schwamm. Daneben, in einer kleinen Schale, eine Misosuppe. Um den Wasabi – den scharfen japanischen Meerrettich – macht er lieber einen Bogen. Das Erlebnis im Flugzeug reicht ihm.

Am besten fängt er mit der Suppe an – dass die hier aber auch die Vorspeisen zusammen mit dem Hauptgang bringen müssen … Nur, wo ist der Löffel? Ein schneller Blick auf Frau Watanabe liefert die Lösung. Sie trinkt die Suppe direkt aus der Schale und fischt mit ihren Stäbchen die Tofu- und Algenstücke heraus. Das ist Herrn Hoffmann jetzt zu kompliziert. Er ist schließlich froh, wenn er überhaupt etwas mit seinen Stäbchen gegriffen bekommt, da muss es nicht gleich der glitschige Tofu aus der Suppe sein. Das ist doch eher für Fortgeschrittene. Misstrauisch beäugt er noch mal die Platte und entscheidet sich dann für ein Röllchen mit einer gelben Füllung. Frau Watanabe zeigt ihm noch mal, wie er die hashi richtig halten muss: Ein Stäbchen liegt als Basis unbeweglich zwischen Mittel- und Ringfinger. Nur das obere Stäbchen wird mit Daumen und Zeigefinger gegen das untere bewegt.

Herr Hoffmann greift ein wenig ungeschickt, aber dennoch erfolgreich das anvisierte maki-Röllchen, tunkt es kurz in das kleine Schüsselchen mit Sojasoße und nimmt es dann schnell in den Mund, bevor noch etwas schiefgeht. Geschafft. Zufrieden und auch ein bisschen stolz kaut er sein erstes Sushi. Nicht schlecht, schmeckt leicht säuerlich, erfrischend.

Frau Watanabe erklärt ihm, dass er zwischen den Sushis seine Geschmacksnerven mit dem eingelegten Ingwer – aha, das also ist der rosa Schwamm – neutralisieren kann. Die dünn geschnittenen Ingwerscheiben einzeln mit den Stäbchen hochzunehmen ist Herrn Hoffmann aber dann doch zu heikel.

So, welchen Fisch nun? Vorsichtig nimmt er eines der Reisbällchen mit einem Stück dunkelrotem Fisch darauf, balanciert es zur Schale mit der Sojasoße und – platsch. Schon liegt das Fischfilet neben einem traurigen Häuflein Reis in der Soße.

Frau Watanabe legt ihre Stäbchen beiseite. »Sehen Sie, Hofuman-san, Sushi kann man ebenso gut mit der Hand essen!« Wie zum Beweis nimmt sie ein kleines Schiffchen mit rotem Fischrogen mit drei Fingern und steckt es in den Mund. Erleichtert spießt Herr Hoffmann seine Stäbchen in sein tamago-nigiri und nimmt nun ebenfalls die Finger.

Was ist diesmal schiefgelaufen?

Genau wie zum Beispiel Kartoffeln bis vor kurzem ausschließlich mit der Gabel und nicht mit dem Messer zerteilt werden durften, gibt es auch bei Stäbchen eine Menge Dinge, die schieflaufen können. Herr Hoffmann hat es geschafft, durch sein Benehmen die Erinnerung an ein buddhistisches Totenritual wach zu rufen. Durch große Ess-Stäbchen oder Räucherkerzen, die in eine Schüssel Reis gesteckt werden, wird bei einer Totenfeier den Verstorbenen Essen dargebracht. Daher gilt es als respektlos, bei Tisch die Stäbchen ebenfalls ins Essen zu spießen. Ein anderes Ritual sieht vor, dass die Angehörigen des Verstorbenen die Knochen der eingeäscherten Leiche mit Stäbchen weiterreichen. Aus diesem Grund ist es ebenfalls tabu, beim Essen einzelne Häppchen mit den Stäbchen zum Probieren an die hashi Ihres Tischnachbarn weiterzugeben.

Nur, warum essen Japaner überhaupt mit Stäbchen? Einfach nur, damit wir Europäer beim ersten, kläglichen Ess-Versuch damit wie komplette Vollidioten aussehen? Nein – schuld sind die Chinesen. Denn die waren ihrer Zeit weit voraus. Schon etwa 1.500 v. Chr. verwendeten die Chinesen Essstäbchen. Die Japaner dagegen aßen zu dieser Zeit noch mit den Fingern – jahrhundertelang sollte sich daran auch nichts ändern. Erst gegen 500 schwappte dieser Teil der chinesischen Kultur nach Japan. Ganz schön spät? Nun ja, wir Europäer haben noch sehr viel länger mit den Fingern gegessen.

Obwohl die Gabel im 10. Jahrhundert in Byzanz erstmals auftauchte und schließlich auch ihren Weg nach Italien fand, hatte diese neue Erfindung es zunächst schwer. Als Symbol des Teufels verschrien, dauerte es bis Mitte des 14. Jahrhunderts, bis die Gabel sich zunächst in Italien durchsetzte. Aber noch Ludwig XIV, der Sonnenkönig, aß im 17./18. Jahrhundert mit den Fingern und auch der sonst Änderungen gegenüber aufgeschlossene Martin Luther schimpfte: »Gott behüte mich vor Gäbelchen!« Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts erhielt die Gabel neben dem Löffel und dem Messer auch im Rest der westlichen Welt ihren festen Platz. Endlich musste das Fleisch beim Zerteilen mit dem Messer nicht mehr mit den Fingern gehalten werden.

Zu dieser Zeit wird in Japan gar kein Fleisch gegessen. Seit 676 hat Kaiser Temmu unter dem Einfluss des sich ausbreitenden vegetarischen Buddhismus offiziell den Verzehr von Fleisch verboten. Da in Japan das Meer an keiner Stelle weiter als 150 Kilometer entfernt ist, ist Fisch die logische Alternative.

Nur, wie macht man ihn länger haltbar? Die buddhistischen Mönche experimentieren so lange mit dem leicht verderblichen Fisch, bis sie herausfinden, dass sich dieser nach Gärung länger hält. Reis beschleunigt die Gärung und macht den Fisch noch schmackhafter. Mitte des 17. Jahrhunderts wird mehr und mehr Reis angebaut und ein Teil der Ernte zu Reisessig verarbeitet. Der Arzt MATSUMOTO Yoshiichi kommt auf die clevere Idee, den tagelangen Gärungsprozess zu verkürzen, indem er den Reis ganz einfach mit Essig mischt. Jetzt geht alles viel schneller.

Doch seinen endgültigen Durchbruch erlebt Sushi Anfang des 19. Jahrhunderts in der Millionenstadt Edo, die später einmal Tōkyō heißen wird. In den überfüllten Straßen drängen sich die Angehörigen der verschiedenen Stände. Samurai stolzieren mit ihren edlen Seidengewändern umher, doch auch der niedrigste Stand – die Kaufleute – hat es in Edo zu großem Reichtum gebracht. Sie dürfen zwar nur einfache Baumwollgewänder tragen, stehen den Samurai aber durch aufwendig gefärbte Muster kaum nach. Kein Wunder, dass im immer beliebter werdenden kabuki-Theater denn auch häufig der tüchtige Kaufmann über den gerissenen Samurai siegt. Und natürlich sind die Kaufleute immer in Eile – Zeit war schon damals Geld. Da kommt es gerade recht, dass HANAWA Yōhei (1799–1858) eine neue Form des Sushi erfunden hat, das nigiri-Sushi. Im Gegensatz zu dem bislang verbreiteten Sushi, das noch umständlich in Formen gepresst wurde, formt Hanawa seinen Reis per Hand – und belegt diesen mit rohem Fisch. In wenigen Minuten ist das Fast Food fertig. Dieses flotte Sushi wird schnell beliebt, wie man an den verschmutzten Vorhängen an Hanawas Stand erkennen kann. An diesen Vorhängen wischen sich die Kunden die Hände sauber – je verschmutzter also der Stoff, desto beliebter das Essen.

Heute muss ein traditioneller Sushi-Koch in Japan eine mindestens fünfjährige Lehre absolvieren – bei Köchen, die den giftigen Kugelfisch zubereiten, dauert die Lehrzeit sogar zehn Jahre. Traditionell ist die Herstellung von Sushi Männersache. Frauenhände sind angeblich zu warm, um den klebrigen Reis richtig zu formen und aufgrund von Make-Up und Parfüm sei ihr Geruchssinn beeinträchtigt. Noch immer kämpfen Sushi-Meisterinnen gegen Vorurteile wie diese und versuchen, mithilfe von grandiosen Sushikreationen die Kundschaft von ihrem Können zu überzeugen.

Was können Sie besser machen?

Neben den beiden bereits oben erwähnten Regeln gibt es noch zahlreiche weitere, die beim Essen mit Stäbchen zu beachten sind. Auch wenn Sie während Ihres Aufenthaltes vermutlich keinen japanischen Freiherrn Knigge beeindrucken müssen, hinterlassen Sie einen guten Eindruck, wenn Sie folgende Schnitzer vermeiden: Halten Sie die Stäbchen nicht in der Faust (so wie Sie es mit Besteck ja auch nicht tun), sondern in der üblichen Haltung (s. o.) locker zwischen den Fingern. Ebenfalls barbarisch kommt es rüber, wenn Sie Essen mit den Stäbchen einfach aufspießen. Die Stäbchen abzulecken, damit auf Menschen oder Dinge zu zeigen sowie sie als Zahnstocher zu missbrauchen, ist ebenfalls so tabu, wie es bei uns das Ablecken des Messers ist. Ebenso wenig sollten Sie mit dem Stäbchen Schüsseln zu sich heranziehen oder gar Sojasoße von den Esswerkzeugen tropfen lassen.

Vorsicht ist auch beim Ablegen der Stäbchen geboten. Nicht nur, dass Sie diese nicht, wie bereits oben erwähnt, in die Schüssel stecken sollten, auch das Ablegen der hashi quer über der Schüssel kommt nicht gut an. Wenn Sie die Essstäbchen gerade nicht benutzen, sollten Sie sie auf der Stäbchenbank (hashioki) ablegen. Falls es keine gibt, können Sie die Stäbchen auch auf einen Teller legen.

Beim Zerkleinern von zu großen Bissen können Sie diese mit den Stäbchen wie mit einer Art Zange zerteilen. Benutzen Sie sie aber nicht wie eine Säge. Falls Sie eine Rede halten wollen oder müssen: Verzichten Sie darauf, mit den Essstäbchen gegen ein Glas oder Ähnliches zu schlagen, um Aufmerksamkeit zu erlangen.

Alles zu kompliziert? Lieber bei Messer und Gabel bleiben? Auch keine Lösung. Zumindest in Sushi-Restaurants gilt dieser Wunsch als Beleidigung für den Küchenchef, denn er unterstellt, dass er die Häppchen nicht richtig zubereitet hat. Also kämpfen Sie sich lieber durch – und üben Sie vielleicht zu Hause in einem unbeobachteten Moment ganz in Ruhe. Kleinen Kindern bringt man das Essen mit Stäbchen übrigens bei, indem ein Gummiband um das hintere Ende gebunden wird. So rutschen sie nicht auseinander und können wie eine Art Zange benutzt werden. Diesen Trick aber bitte ebenfalls nur in den eigenen vier Wänden zum Üben verwenden.

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HERR HOFFMANN STELLT SICH VOR

Visitenkarten-Terror

13:50 Uhr am 26. März, ein paar Hundert Meter von der Nakagawa-Zentrale in Shinjuku, Tōkyō entfernt

Herr Hoffmann hat ein gutes Gefühl! Diesmal wird nichts schiefgehen. Er ist blendend vorbereitet. Ein Blick auf die Armbanduhr zeigt zehn vor 2. Er wird genau um Punkt 14 Uhr auf dem Kongress ankommen. Keine Sekunde zu spät natürlich, aber auch keine zu früh. Dann wird er vor seinem Vortrag etwa eine halbe Stunde Zeit haben, die japanischen Kollegen kennenzulernen, die diese Vortragsreihe organisieren und die ihn nach Japan eingeladen haben. Siegesgewiss klopft Herr Hoffmann auf seine Aktentasche, in der seine Unterlagen verstaut sind. Diesmal wird sich niemand über sein nicht immer völlig akzentfreies Englisch lustig machen wie damals in Kalifornien. Diese Japaner sind doch sehr viel höflichere Leute als die vorlauten Amerikaner. Und das Beste: Die meisten sprechen schlechter Englisch als Herr Hoffmann.

Eine Gruppe von vier Schulmädchen kommt aus einem Café, dessen Eingangsbereich wie eine Katze gestaltet ist. Alle tragen weiße Matrosenblusen und dunkelblaue Röckchen, sehr adrett. Manchmal wünschte er sich, seine Tochter Tina würde öfter mal so ordentlich … Hoppla, jetzt sehen ihn alle vier an und kichern. Hoffentlich hat er sie nicht zu lange angestarrt. Demonstrativ wirft Herr Hoffmann einen geschäftigen Blick auf seine Armbanduhr – und rammt dabei fast zwei uniformierte Herren mit orange-leuchtender Schärpe und blütenweißen Handschuhen. Sie stehen vor einem Stück Straße, gerade mal zwei Quadratmeter groß, das ohne einen ersichtlichen Grund abgesperrt ist und winken die vorbeiströmenden Menschen sicher um das Hindernis herum. Herr Hoffmann meistert diese letzte Hürde souverän und betritt das Kongresszentrum genau 24 Sekunden vor zwei. Perfekt.

Eine Gruppe in Anzüge gehüllter Herren erwartet ihn. Mindestens zwei davon gehören laut Plan zu den Veranstaltern und sein Übersetzer für den Vortrag sollte auch dabei sein. Aber wer ist wer? Ein kleiner Mann mit dicken Brillengläsern zieht geräuschvoll die Nase hoch. Herr Hoffmann hofft inständig, dass nicht ausgerechnet dieser Typ der Übersetzer ist. Alle tragen graue Anzüge, weiße Hemden und mehr oder weniger graue Krawatten. Oh je, wie soll er die nur alle auseinanderhalten?

Aber jetzt kommt erst mal das Wichtigste. Herr Hoffmann ist ja vorbereitet. Er weiß, wie wichtig das Ritual der Visitenkartenübergabe für den geschäftlichen Erfolg in Japan ist und er weiß auch, dass er als Besucher nun in der Pflicht ist, seine Karte als Erster zu überreichen. Lächelnd zückt Herr Hoffmann ein kleines, silbernes Visitenkarten-Etui aus seiner Aktentasche. Lächeln geht immer. Besonders in Japan. In einem Reiseführer hat Herr Hoffmann gelesen, dass Japanern Gemütsregungen wie Überraschung oder Ärger in der Öffentlichkeit mitunter peinlich sind, weshalb sie diese hinter einem Lächeln verstecken. Auch eine trauernde Witwe lächelt in der Öffentlichkeit, denn Trauer ist Privatsache und nicht für fremde Augen bestimmt. Kann gut sein. Zumindest hat er in Japan mehr lächelnde als traurige, wütende Menschen oder beschämte Menschen gesehen. Bis jetzt.

Das Etui hatte Herr Hoffmann sich gegen Hannahs Protest – ›35 Euro? Tut’s nicht auch ein einfaches Gummiband?‹ – noch in Deutschland gekauft. Eine gute Investition, wie sich jetzt zeigt, denn auch die anderen beginnen, spezielle Etuis hervorzuziehen. Ein kleiner Mann mit gestreifter Krawatte hat sogar einen ganzen Ordner für seine Visitenkarten dabei. Stolz, dass er diesmal richtig vorbereitet ist, verteilt Herr Hoffmann seine extra für die Reise doppelseitig bedruckten Visitenkarten: eine Seite mit deutscher Beschriftung, eine mit japanischer Beschriftung. Zum Test hatte er Frau Watanabe am Vorabend die japanische Seite vorlesen lassen. Sein Name lautet dort anscheinend Hofuman. Nun ja. Ähnlich genug.

Da Herr Hoffmann sich nicht sicher ist, wer im Raum der Ranghöchste ist, fängt er einfach bei dem mit der gestreiften Krawatte an. Der hat schließlich dicken Ordner, das wird schon was heißen.

Reihum verteilt er seine Karten und bekommt dafür von jedem der Anwesenden ebenfalls eine Karte gereicht. Manche sind auf der Rückseite englisch beschriftet, andere dagegen nur japanisch. Zügig bildet Herr Hoffmann aus den Karten einen dicken Stapel und verstaut diesen sorgfältig in seinem Etui. Niemals in die Hosentasche stecken! Das hatte ihm Kollege Klöppke, der schon mal in Japan war, noch in Flensburg eingeschärft.

Was ist diesmal schiefgelaufen?

Herr Klöppke hatte recht. Die angebotenen meishi (Visitenkarten) achtlos in die Tasche oder ins Portemonnaie zu stecken, gehört in Japan nicht zum guten Ton.

Aber das ist nicht die einzige Regel, die bei den Ritualen der Visitenkartenübergabe beachtet werden sollte. Denn es handelt sich nicht nur um eine kleine Pappkarte, die Kontaktdaten einer Person trägt. Nein, die Visitenkarte repräsentiert die Person. Ebenso wie manchem Deutschen das Auto als geliebter Teil der Persönlichkeit gilt, sind die Karten für viele Japaner ein wichtiger Teil ihrer Identität. Kein Wunder, dass sie überall und ständig ausgetauscht werden. Sogar für nicht berufstätige Hausfrauen ist es eine Selbstverständlichkeit, Visitenkarten zum Austausch bereitzuhalten. Nach einer Geschäftsreise muss man daher damit rechnen, mit einem dicken Berg Visitenkarten heimzukehren. Und ebenso sollte man selbst genügend dabeihaben.

Herr Morita, das ist der mit der gestreiften Krawatte, ist mit seinem speziellen Ordner nur für Visitenkarten keine Seltenheit. Sorgfältig hat er Herrn Hoffmanns Karte entgegengenommen, sie lange und aufmerksam studiert und erst dann in seinen gut gefüllten Ordner einsortiert.

Und genau das war der Fehler. Herr Hoffmann hat die Karten einfach zu schnell weggesteckt. Wenn sich jemand so wenig für die Karten interessiert – wie viel Interesse kann er da schon für die eng mit ihnen verbundenen Geschäftspartner haben?

Was können Sie besser machen?

Die Visitenkartenübergabe ist der zweite Schritt eines insgesamt dreigeteilten Rituals. Natürlich wird man nicht unbedingt erwarten, dass Sie als gaijin auf Anhieb alles richtig machen. Aber dennoch: Es dauert ohnehin lange genug, bis man Sie im Geschäftsleben vollständig akzeptiert und es wird schon erwartet, dass Sie sich Mühe geben. Versuchen Sie also, einen so guten ersten Eindruck wie möglich zu machen.

Schritt 1 – Vorstellung

Stellen Sie sich Ihrem Geschäftspartner mit ebenso schönen wie fantasielosen Worten vor, etwa: »Guten Tag, ich bin Herr/Frau XYZ von der Firma XYZ.« Das Ganze dann auf Englisch, oder noch besser – wenn Sie können – auf Japanisch. Fragen Sie danach, ob Sie Ihre Visitenkarte überreichen dürfen. Keine Sorge, die Antwort wird kaum »Nein« lauten.

Schritt 2 – Visitenkartenaustausch

Jetzt geht es los. Machen Sie es wie Herr Hoffmann und besorgen Sie sich ein Etui. Es muss nicht aus Metall sein und auch keine 35 Euro kosten, eines aus Plastik oder Leder tut es auch. Aber eine Organisation über ein Gummiband oder Karten, die in der Geldbörse aufbewahrt werden und eventuell bereits abgeknickte Ecken oder dunkle Ränder aufweisen, sind tabu.