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Kommissarin Sabine Berner droht den Verstand zu verlieren. Nach mehreren Aussetzern wird sie so lange vom Dienst suspendiert, bis sie sich einem Psychiater vorgestellt hat. Eben das will Sabine jedoch vermeiden, denn sie fürchtet unangenehme Fragen über ihre Vergangenheit und ihren geheimnisvollen Helfer, den Vampir Peter von Borgo. Doch als sie vom Verschwinden eines jungen Mädchens erfährt, beschließt sie, dem Fall nachzugehen. Und wieder erhält Sabine Hinweise von Peter von Borgo, der ihr weiterhin Rätsel aufgibt. Woher hat er sein Wissen? Und ist er vielleicht doch nicht so unschuldig, wie es den Anschein hat?
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Seitenzahl: 524
Ulrike Schweikert
Feuer der Rache
Roman
Edel:eBooks
Copyright dieser Ausgabe © 2013 by Edel:eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg.
Der Roman erschien bereits unter dem Pseudonym Rike Speemann.
Copyright © by Ulrike Schweikert
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-95530-135-4
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Prolog
Osterfeuer in Blankenese
Private Ermittlungen
Maike, Carmen und Aletta
Der Pakt mit dem Teufel
Verräterische Spuren
Frisches Blut
Die Leiche aus der Elbe
Eine Nacht unter Leichen
Beltane, die Nacht der Hexen
Kaffeebesuch
Zeugenaussagen
Eine neue Welt
Schatten der Vergangenheit
Osterfeuer
Die Schuld
Das Ende
Epilog
Sie saß auf den kantigen Steinen, die das Bett der Elbe begrenzten, und weinte. Es war bereits dunkel, aber dieser Herbstabend schien einer der wenigen milden Abende im Hamburger Land zu werden. Der Wind wisperte in den Weidenbüschen, die den Blick vom Strandweg her abschirmten. Eine Gruppe von Spaziergängern schritt durch das Strandgras, eine Fähre tuckerte auf dem Fluss vorbei, Scheinwerferlicht huschte über das braune Wasser, doch das Mädchen bemerkte nichts von alldem. Sie saß nur da, die Knie eng an die Brust gepresst, das Gesicht in den Händen vergraben, und schluchzte. Tränen rannen ihr über die Wangen. Die Welt um sie herum war still und leer. Ihre Seele wanderte weit weg durch eine Finsternis, die nur sie selbst sehen konnte.
Irgendetwas drang durch die Dunkelheit und kroch über die tiefen Abgründe hinweg. Das Schluchzen verstummte. Der bebende Körper erstarrte, das Gesicht noch immer in den Händen verborgen. Da war etwas. Eine Gefahr! Ein Teil ihres Geistes hatte wachsam in die Nacht gelauscht und warnte sie nun. Sie spürte, wie sich die Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Es schien ihr, als sei es plötzlich kalt geworden. Die feuchte Kälte, die sie schaudern ließ, musste vom Fluss her kommen. Es war spät geworden. Sie war hungrig und müde, und deshalb fror sie. Es war Zeit, zu den Menschen zurückzukehren. Das war alles.
Nein, ist es nicht! Willst du wieder nicht auf deine Instinkte hören?
Nun konnte sie deutlich fühlen, dass die Kälte sich von hinten her über die Sand- und Grasflächen näherte. Das Mädchen sprang auf, die Hände abwehrend von sich gestreckt. Ihr Blick huschte zwischen den Zweigen der Weiden hindurch auf der Suche nach der heranschleichenden Gefahr.
Zuerst konnte sie nichts erkennen, dann erhob sich plötzlich die Silhouette eines großen, schlanken Mannes vor ihr, als habe er sich gerade erst aus den Schatten zu einem festen Körper zusammengefügt. Bedächtig trat er näher. Das Mädchen öffnete den Mund, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Sie konnte nur reglos dastehen und den Mann anstarren. Dabei registrierte ihr Gehirn jede Einzelheit, die das Mondlicht ihr enthüllte: sein fast hageres Gesicht mit der vorspringenden Nase und der bleichen Haut, die dunklen Augenbrauen und das schwarze, schulterlange Haar. Seine Augen schienen rot zu sein. Nein, das war nicht möglich. Es musste die Spiegelung eines Lichts vom Wasser her sein. Geräuschlos trat er näher, bis er keine drei Schritte entfernt vor ihr stand.
„Guten Abend“, sagte er mit leiser, dunkler Stimme.
„Sie haben mich erschreckt“, stieß das Mädchen hervor. Nun müsste die Panik in ihr aufsteigen, das Gefühl eines wilden Tieres, das man in einen Käfig gesperrt hat, aus dem es kein Entrinnen gibt, stattdessen fühlte sie Müdigkeit an ihren Beinen emporkriechen. Ihre Lider wogen schwer, ihr Atem ging tief und ruhig. Warum konnte sie ihren Blick nicht von diesen seltsamen Augen abwenden?
Sie fühlte, wie sein Blick über sie hinwegglitt, und es war ihr, als könne sie erkennen, was er vor sich sah: ein Mädchen, fast noch ein Kind, mit schmächtigem Körper und knochigen Armen und Beinen. Farblose Haarsträhnen hingen wirr in das nichtssagende Gesicht mit der zu kleinen Nase und den zu dünnen Lippen. Das blasse Grau der Augen machte den Eindruck eines ehemals farbigen Stoffes, der durch zu häufiges Waschen seine Leuchtkraft verloren hatte. Sie sah, wie das Interesse in seinen Augen erlosch. Gleich würde er sich abwenden und davongehen. Wie konnte es anders sein. Sie hatte diesen Blick schon zu oft gesehen, um etwas anderes zu erwarten.
Er ging nicht. Stattdessen fragte er höflich: „Darf ich mich zu dir setzen?“
Nein! Sie wollte, dass er sie nicht mehr ansah und sie in Ruhe ließ. Erstaunt bemerkte sie, wie sie nickte. Ihre Knie fühlten sich weich an. Sie sank zurück auf die Steine und starrte auf die Elbe hinaus. Der Fremde ließ sich an ihrer Seite nieder und verschränkte die Arme um seine Knie.
„Peter von Borgo“, stellte er sich vor.
Sie reagierte nicht. So etwas wie Enttäuschung war in seiner Miene, dennoch blieb er sitzen.
„Ich habe dich weinen hören“, unterbrach er nach einer Weile die Stille. Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: „Was mag der Grund sein, sich solcher Verzweiflung hinzugeben? Sollten Mädchen in deinem Alter nicht glücklich sein und an einem herrlichen Spätsommerabend das Leben genießen und sich freuen?“
Sie wunderte sich über seine seltsame Art zu sprechen. Er klang, als wäre er einem alten Film entstiegen. Auch fragte etwas in ihr, wie er ihr Weinen gehört haben konnte. Die Gedanken versanken jedoch in dem Nebel, der durch ihr Gehirn zog.
„Glück, Freude“, wiederholte sie stattdessen laut und lauschte diesen Worten nach, als habe sie sie noch nie vernommen. „Über was soll ich mich freuen? Kann ich jemals Glück empfinden? Ich werde mich hier auf der Stelle ins Wasser stürzen. Vielleicht ist es dann wenigstens friedlich.“ Tränen füllten ihre Augen und rannen über ihre Wangen herab.
Peter von Borgo hob fragend die Brauen. Offensichtlich war der Damm gebrochen, und es war keine weitere Aufforderung nötig.
„Sie wollen mich einsperren“, schluchzte das Mädchen. „Er hat getobt und mich geschlagen, und nun will er mich wegbringen, bis alles vorbei ist. Sie hat nur genickt und geweint und mich vorwurfsvoll angesehen. Ich sei die größte Enttäuschung ihres Lebens. Zum Pfarrer ist sie gelaufen und hat mit ihm darüber geredet, und er hat ihr die Adresse gegeben.“ Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Marienstift Schwagstorf. Zu den Franziskanerinnen wollen sie mich abschieben.“ Das Schluchzen nahm einen hysterischen Klang an. Ihr Begleiter zog angewidert die Oberlippe hoch und rückte ein Stück von ihr ab.
„Ich halte das nicht aus. Ich sterbe, wenn ich allein bin. Rose darf nicht mitkommen. Ich zittere schon, wenn ich eine Stunde ohne sie bin. Es ist alles so dunkel um mich. Ich kann das nicht aushalten. Nachts sehe ich immer diese Gesichter um mich. Böse Fratzen, die näher und näher kommen. Ich will schreien und davonlaufen, doch ich kann mich nicht rühren, und kein Ton kommt aus meinem Mund. Es drückt mir die Luft ab. Ich ersticke, wenn Rose nachts nicht meine Hand hält.“ Sie wischte sich die Tränen an ihrem Ärmel ab und sah auf die Elbe hinaus. Ihre Stimme war noch immer leise, aber der jämmerliche Klang war nun verschwunden.
„Ich habe Angst davor, die Augen zuzumachen, doch irgendwann ist die Erschöpfung stärker, und dann beginnt es von Neuem. Immer wieder, immer wieder.“ Sie riss in Panik die Augen auf und starrte den Mann an ihrer Seite an, doch sie sah etwas anderes.
„Nein, lieber springe ich in den Fluss. Das Wasser macht mir auch Angst, aber ich weiß, es dauert nicht lange, und dann ist alles für immer zu Ende.“ Ihr Blick kehrte aus der Ferne zurück und richtete sich nun voller Erstaunen auf Peter von Borgo.
„Was ist nur in mich gefahren?“, murmelte sie und schüttelte den Kopf.
Der Mann betrachtete das braun schäumende Wasser und sah dann wieder zu dem Mädchen an seiner Seite, das ihn noch immer verwirrt anstarrte.
„Nun, ich will mich nicht einmischen“, sagte er. „Das Ertrinken soll eine qualvolle Sache sein, aber Schmerz und Krämpfe währen nicht ewig. Da hast du sicher recht.“ Er streckte den Arm aus und deutete auf den Fluss hinaus. „Wenn du fest entschlossen bist, diesen Schritt zu tun – gut, ich werde dich nicht aufhalten. Die Flut wird deine Leiche mit sich nehmen.“ Das Mädchen schwieg. „Andererseits habe ich nur zu oft die Erfahrung gemacht, dass Menschen auch das größte Leid schnell überwinden. Sie sind vergesslich. Die Zeit schleift die Kanten ab, wie das Wasser am Grund dieses Stroms die Kiesel rundet. Gib den Mühlen der Zeit zehn Jahre. Was hast du zu verlieren? Ist der Schmerz nach dieser Zeit immer noch da, ja, dann spring! Die Elbe wird dich auch dann noch aufnehmen.“
Das Mädchen öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder, ohne einen Laut von sich zu geben.
Vom Geesthang her näherten sich eilige Schritte. „Rabby?“, erklang eine atemlose Stimme. „Rabby? Bist du hier draußen? Verdammt, antworte mir!“
Ein Mädchen rannte zwischen den hohen Gräsern auf das Ufer zu. Peter von Borgo konnte zwischen den Weidenzweigen ihre Silhouette im Mondlicht sehen. Sie war nicht nur größer als die Gestalt an seiner Seite, ihr Körper zeigte auch äußerlich, dass sie das Kindsein hinter sich gelassen hatte. Ein üppiger Busen wippte unter ihrem knappen T-Shirt, das die schmale Taille freiließ. Hüften und Schenkel waren durchaus fraulich zu nennen. Ihr langes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, flatterte hinter ihr her, als sie über den Sand auf die beiden Schatten am Ufer zulief. Die Hände in die Taille gestützt, blieb sie schwer atmend stehen.
„Rabby, warum antwortest du nicht? Ich habe mir Sorgen gemacht! Ich dachte, du bist nach oben gegangen, und dann warst du plötzlich weg.“
„Ich wollte allein sein und nachdenken. Cherry, nicht böse sein.“
Das Mädchen musterte Peter von Borgo misstrauisch. „Allein? So? Und wer ist das hier?“
Rabby zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Er war plötzlich da und wollte nicht mehr gehen.“
Cherry griff nach dem Arm der Freundin und zog sie hoch. Schützend schob sie sich vor die schmächtige Gestalt. Plötzlich huschte Erkennen über ihr Gesicht. „Sie sind das!“, stieß sie aus. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell, ihr Blick huschte über den Mann, der nun auch aufgestanden war. „Hören Sie, ich bin Ihnen sehr dankbar, aber nun verschwinden Sie und lassen Sie meine Freundin in Ruhe.“ Ihre Miene war feindselig.
„Was habe ich getan, um dein Misstrauen zu verdienen?“, fragte Peter von Borgo lächelnd. Ein kurzer Blick aus seinen roten Augen, und der Aufruhr musste in sich zusammenfallen. Ein schnurrendes Kätzchen würde der Tiger in seinen Händen sein, wie all die anderen auch.
„Und wenn Sie noch so süßlich lächeln, mir machen Sie nichts vor. Ich kann das Böse spüren!“, fauchte das Mädchen, packte Rabby bei den Handgelenken und zerrte sie hinter sich her. Der Vampir starrte den beiden nach. Noch lange stand er dort am Ufer der Elbe, ohne sich zu rühren oder auch nur den Blick abzuwenden.
So etwas war ihm in fast vierhundert Jahren noch nicht passiert.
In der Ferne grollte Donner. Die Schatten im Zimmer dehnten sich aus, als würde der Nachmittag im Zeitraffer vergehen und die Dämmerung schon jetzt über Hamburg heraufziehen. Sabine legte die Zeitung weg und stand auf, um den Deckenfluter anzuschalten. Noch ehe sie den Raum durchquert hatte, tauchte ein Blitz die abgewetzten Möbel in grelles Licht; der Donner ließ nicht lange auf sich warten. Sabine trat ans Fenster, gegen dessen Scheibe der Regen nun immer heftiger prasselte. Nur verschwommen sah sie die Autos durch das Wasser pflügen und Regenschirme eilig über den Gehweg huschen. Viele schwarze und graue, nur ganz wenige bunte. Der schrille Klang der Türglocke ließ sie zusammenzucken.
Wer konnte das sein? Wer wollte sie an diesem ungemütlichen Frühlingstag besuchen? Sicher war es Lars von der anderen Flurseite. Vielleicht inspirierte ihn das Gewitter und hatte zu einem Schreibanfall geführt, dessen Ergebnis der erfolglose Nachwuchsschriftsteller nun gleich seiner Nachbarin vortragen wollte. Sabine seufzte. Es klingelte noch einmal. Diesmal etwas länger und eindringlicher. Sie trat in den Flur, strich ihr von blonden Strähnchen durchzogenes Haar aus dem Gesicht und öffnete die Wohnungstür. Der Treppenabsatz lag dunkel und verwaist vor ihr, dafür schrillte die Glocke ein drittes Mal.
„Ja, bitte?“, rief sie in den Hörer neben der Tür.
„Nu komm mal in die Puschen“, raunzte ihr eine vertraute Stimme ins Ohr. „Oder willst du mich bei dem Muddelwetter ewig vor der Tür stehen lassen?“
„Sönke, ach, du bist das“, begrüßte sie ihren Kollegen und drückte auf den Türöffner. Ein Summen ertönte, dann das Klacken der Haustür. Stiefel polterten die Treppe herauf. Ein nasser, grauer Haarschopf erschien, dann ein triefender grauer Regenmantel und schlammige Schuhe, die auf der Treppe deutliche Spuren hinterließen. Schwer atmend blieb der große, hagere Mann stehen und wischte sich das tropfende Haar aus der Stirn.
„Moin, mien Deern“, begrüßte er die Oberkommissarin. „War mal ’ne Buddel Medizin einholen“ – er hob eine Flasche Rum in die Höhe und strich liebevoll über das Etikett – „und da dacht ich mir, ich komm dir mal ein büschen begöschen.“
„Ein bisschen was?“
„Begöschen – dir gute Laune machen. Hab mir schon gedacht, dass du hier drög rumsitzt und recht gnaderig bist. Nee, zieh nu nich ’ne Karpfenschnut, ich weiß, dass du klöterig bist.“
Sabine lachte. „Ich bin weder gnaderig noch klöterig – was immer das auch heißen mag. Ich sitze ganz gemütlich bei meinem Tee und lese Zeitung.“
Sönke zog seine Stiefel aus, warf den Regenmantel über einen Haken der Garderobe und folgte Sabine ins Wohnzimmer. Seine Socken hinterließen nasse Spuren auf dem Laminatboden. Er schaltete das Deckenlicht an, trat an den Tisch und hob Sabines Teebecher in die Höhe. Seine dunklen Augenbrauen wanderten nach oben. „So, du sitzt also hier gemütlich im Dunkeln und schlürfst deinen kalten Tee. Wem willst du etwas vormachen?“
Er ließ seinen Blick über die Frau wandern, die heute viel älter wirkte als dreißig Jahre: Ihre Wangen waren eingefallen, die Schatten unter den Augen nicht mit Make-up überdeckt. Trotz der Strähnchen war ihr Haar stumpf. Das weite T-Shirt und die Schlupfhose waren nicht gerade vorteilhaft und verbargen die eigentlich schlanke Gestalt. Sönke schüttelte den Kopf.
„Ach, mien Deern, du bist Kriminaloberkommissarin, du darfst dich doch nicht so gehen lassen.“
„Oberkommissarin?“, fauchte Sabine. „Das war ich mal! Jetzt bin ich eine Irre, vor der man die Menschheit beschützen muss!“ Tränen standen ihr in den Augen. Rasch wandte sie sich ab und wischte sich mit einem zerknüllten Taschentuch über das Gesicht.
Sönke seufzte. Er trat neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter. „Du bist nicht irre. Nur weil so ein bekloppter Seelendoktor so was sagt, glaubt das doch kein Mensch.“
„Der Tieze glaubt es!“
Sönke schnaubte durch die Nase. „Der Tieze, dieser Klookschieter“, wiederholte er verächtlich, und sein Ton sagte deutlich, was er von der Urteilskraft des Kriminaloberrates, Chef der LKA-Direktion 41, hielt. „Auch Thomas sagt, das ist alles dumm Tüch.“
Sabine seufzte noch einmal. Ihre Schultern sackten nach vorn. „Dumm Tüch oder nicht. Leider tut es nichts zur Sache, was wir oder auch Thomas über ihn denken. Der Tieze entscheidet, ob ich – weil ich die angeordnete Therapie verweigere – vom Dienst suspendiert werde oder nicht.“
Sönkes Hand rutschte von ihrer Schulter. Mit schwerem Schritt ging er in die Küche hinüber. „Jau, da hast du leider recht. Aber noch bist du ja nur krankgeschrieben.“
„Und? Wenn ich nicht bald eine Bescheinigung von diesem Seelenheini bringe, dann bin ich suspendiert.“
Sabine hörte, wie er Schranktüren öffnete und wieder zufallen ließ.
„Hast du keinen ordentlichen Tee im Haus? Den maddeligen Murks hier kann man nicht mal mit Rum trinken!“
Ein Lächeln erhellte Sabines Gesicht. Wie sehr vermisste sie den Kriminalobermeister, der, seit sie beim LKA angefangen hatte, das Büro mit ihr teilte. Er war meist wortkarg, oft schlecht gelaunt und doch auch die gute Seele, die immer auf dem Teppich blieb, wenn die fünf Mitglieder der 4. Mordbereitschaft nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf stand. Dann gab es Sönkes Allheilmittel: starken Friesentee mit Sahne und Rum.
Sabine eilte in die Küche und reichte Sönke die Teedose, bevor er auch noch die restlichen Schränke durchwühlte. Während der Wasserkocher zu rauschen begann, lud sie zwei blau-weiße Teebecher, Sahne, Kandis und eine Packung Kekse auf ein Tablett. Sönke klemmte sich seine Rumflasche unter den Arm und ging ins Wohnzimmer zurück. Der Stuhl knackte, als er sich darauf fallen ließ. Sabine hörte die Zeitung rascheln, die noch immer aufgeschlagen auf dem Tisch lag.
„Verfluchte Schweinerei!“, polterte der Kriminalobermeister. „Die sollte man langsam zu Tode quälen! Stattdessen bekommen sie ein Zimmerchen mit Essen frei Haus und sind nach ein paar Jahren wieder draußen!“
Sabine musste nicht fragen, wen Sönke meinte. Sie hatte den Artikel, der mehr als eine halbe Seite der Hamburger Morgenpost einnahm, bereits gelesen. Ab morgen würde die Geschichte in jedem Boulevardblatt breitgetreten werden. Ein von Adoptiveltern zu Tode gequältes Kind – und die Behörden hatten nichts bemerkt, bis es zu spät war. Die Polizei hatte den neunjährigen Jungen vor zwei Tagen unterernährt und mit Spuren von schwerer Misshandlung ins Krankenhaus gebracht. Mittlerweile jedoch war er – wenn die Journalisten richtig recherchiert hatten – seinen inneren Verletzungen erlegen. Die Jagd nach den grausigen Details der Story war eröffnet. Nun würden Interviews mit Nachbarn folgen und mit den Eltern der Täter, und vielleicht würde sogar ein Bild der leiblichen Mutter auftauchen, die den Sohn zur Adoption freigegeben hatte – händeringend und tränenüberströmt: Das würde die Auflage steigern!
„Ist es euer Fall?“, fragte Sabine, während sie Sönke Tee eingoss.
Der Kriminalobermeister ließ Sahne in den Becher tropfen und sah zu, wie sie sich mit dem Braun des Tees vermischte.
„Nein, die Zweite ist da dran. Der Dorst hat den Kleinen vorgestern noch im Krankenhaus gesehen – heute musste er zu seiner Sektion. Der hat nicht gerade erfreut geguckt, als ich ihm heute Morgen über den Weg gelaufen bin.“
„Hat er nicht auch einen Sohn in diesem Alter?“, fragte Sabine.
Sönke nickte nur und starrte düster in seine Tasse.
„Die Adoptiveltern sitzen in U-Haft. Die können froh sein, dass ich das Verhör nicht führe“, grummelte der Besucher. „Ich wüsste nicht, wie ich mich zurückhalten sollte.“ Er schlug die Zeitung zu, faltete sie noch zweimal und schob sie dann auf den Stuhl neben sich, so als wolle er damit auch die Gedanken an diesen Fall aus seinem Kopf verbannen.
„Und was habt ihr zurzeit auf dem Tisch?“, fragte Sabine, nachdem sie Sönke zum zweiten Mal den Becher gefüllt hatte.
„Die Messerstecherei auf dem Kiez. Einer war sofort tot, der andere wird wohl durchkommen. Bisher ist er allerdings noch nicht sehr mitteilsam. Die meisten Leute sind für den Mordfall ,Alter Elbpark‘ abgezogen worden. Du weißt, die Frau, die sie im Gebüsch unterhalb der Bismarckstatue gefunden haben.“
Sabine nickte und nahm sich einen Keks. Sie lauschte Sönkes Bericht über die Aktivitäten im Präsidium, trank vier Becher Tee mit Sahne und Rum und aß ein Dutzend Kekse. Inzwischen war es draußen dunkel geworden. Sönke schob den Ärmel hoch, um einen Blick auf seine Uhr zu werfen.
„Is nich wahr!“, rief er und sprang auf. „Du, ich muss los. Wenn ich zu spät komm ...“
„Dann ist Frieda sauer, und du bekommst kein Essen“, ergänzte Sabine und grinste.
Sönke nickte. „Heute gibt es Bratkartoffeln mit viel Krabben, morgen gebackenen Hecht und Samstag echten Börsentopf – Filet vom Rind, Kalb und Schwein mit schön Gemüse!“ Er leckte sich über die Lippen.
„Na, dann los!“, forderte ihn die Kollegin auf und reichte ihm seine Rumflasche. „So etwas darf man nicht aufs Spiel setzen!“
Am Freitag brachte Sabines geschiedener Mann, der Hamburger Staranwalt Jens Thorne, Julia und Leila in die Lange Reihe nach St. Georg.
„Mama!“ Das kleine Mädchen schlang die Arme um ihre Mutter, die in die Knie gegangen war, um die Tochter zu umarmen. Leila, die Setterhündin, kläffte begeistert und versuchte abwechselnd, Mutter und Tochter das Gesicht zu lecken. Julia kreischte vor Vergnügen.
„Leila, lass das! Mach Platz!“
Doch wie üblich war die Hündin während der Begrüßung zu aufgeregt, um sich an ihre Erziehung zu erinnern.
„Hier sind Julias Sachen“, versuchte Jens das Gekläff zu übertönen und drückte seiner Exfrau eine Reisetasche in die Hand. „Ich werde sie Montag gegen Abend wieder abholen.“
Sabine sah ihn an, doch er wich ihrem Blick aus. „Hast du noch mal mit deinem Anwalt gesprochen?“ Es ärgerte sie, dass ihre Stimme so schwach und flehend klang. Ihr Herz schlug schneller, und sie spürte, wie ihr der Schweiß unter den Achseln ausbrach.
„Nun, er meint, wenn deine – Aussetzer – nur ein vorübergehendes Überlastungssymptom waren, dann sollten wir – zum Wohle des Kindes – die Besuche nicht völlig einstellen. Falls du deswegen jedoch suspendiert wirst und auf Dauer deinen Job verlierst, muss geklärt werden, ob dein Zustand eine Gefahr für die Seele meiner Tochter ist.“
„Ich bin keine Gefahr für die Seele unserer Tochter“, presste sie hervor. Sie hätte ihn für seine Worte schlagen mögen, nach ihm treten, ihm wüste Beschimpfungen ins Gesicht schleudern, aber das hätte er nur als neue Waffe gegen sie eingesetzt, um ihr Julia endgültig zu entziehen. So schluckte sie ihre Wut hinunter, zwang sich zu einem Lächeln und wünschte ihrem Exmann und seiner Freundin schöne Ostertage auf Sylt. Erleichtert atmete sie auf, als sie die Tür hinter ihm schließen konnte.
„Mama, gehen wir zu den Feuern? Ach bitte! Papa sagt, das ist nichts für kleine Mädchen, aber ich bin doch schon so groß und komme im Herbst in die Schule!“
Sie reckte sich, um größer zu erscheinen, und warf mit einer koketten Bewegung ihre blonden Zöpfe auf den Rücken. „Biiiiiitte!“ Sie fügte noch einen Augenaufschlag hinzu, dem man eigentlich nicht widerstehen konnte.
„Wir gehen heute Nachmittag in den Zoo“, versuchte Sabine das Mädchen abzulenken. „Morgen früh schauen wir, ob du im Spielwarengeschäft etwas Schönes findest, und dann fahren wir mit der Fähre nach Blankenese.“
„Und dann gehen wir zu den großen Feuern!“ Julia strahlte.
„Hm, mal sehen“, sagte Sabine. Während sie für ihre Tochter eine Scheibe Toast mit Kalbsleberwurst bestrich, überlegte sie, ob ein Besuch der Osterfeuer mit einem sechsjährigen Mädchen dem Scheidungsanwalt Munition liefern konnte.
Es war schon weit nach Mitternacht, aber Sabine konnte keinen Schlaf finden. Sie wälzte sich ruhelos von einer Seite auf die andere. Ihr ganzer Körper schien verspannt, ihre Augen schmerzten, und doch war das nichts gegen den Schmerz, der in ihrer Seele wütete. Sie konnte ihn fühlen, als ob er hier wäre. Wenn sie die Lider schloss, sah sie die sehnige Gestalt; das schimmernd weiße Gesicht, die blassen Lippen, das schwarze, lange Haar. Wenn sie ihn nur berühren könnte, in seinen Armen in die Dunkelheit sinken, seinen tödlichen Kuss an ihrem Hals.
Der Gedanke machte ihr keine Angst, nein, es war eher, als wäre sie in einem erotischen Traum gefangen, als würde ihr Körper sich endlich einmal wieder an Leidenschaft erfreuen. Sabine biss sich auf die Lippen, um das Stöhnen zu unterdrücken, das in ihr aufstieg. Sie strich sich mit den Fingerspitzen über den Hals. Längst schon waren die kleinen Bissmale verheilt, doch es kam ihr so vor, als könne sie wieder spüren, wie sich die spitzen Zähne durch ihre Haut bohrten.
Wie kam es, dass sie ihn so deutlich vor sich sah? Wie konnte es sein, dass sie ihn spürte und roch?
Sabine fuhr hoch und riss die Augen auf. Er war hier! Ihr Blick huschte durch das dunkle Zimmer. Sie zitterte am ganzen Körper. Sicher war er gekommen, um sie wieder zu beobachten, um in ihrer Nähe zu sein. Sie wusste nicht, ob der Gedanke sie mehr beunruhigte oder erfreute.
„Peter?“, flüsterte sie. „Bist du da?“
Sie lauschte in die Nacht, doch nur die gedämpften Geräusche aus der Langen Reihe drangen zu ihr. Entschlossen schlug sie die Bettdecke zurück und schwang die Beine über die Kante.
„Peter!“, sagte sie noch ein wenig lauter, hörte aber nur Leila winseln.
Der Hund würde ihn wittern und einen Fremden in der Wohnung melden, sagte sie sich, während sie sich durch die dunklen Zimmer tastete. Oder vielleicht doch nicht? Besaß der Vampir nicht eine unheimliche Macht über Menschen und Tiere?
Ja, und dieser Macht bist du erlegen, grollte sie in Gedanken. Deshalb darfst du nicht mehr arbeiten und hängst hier nur gelangweilt herum, und deshalb wirst du vielleicht auch noch den kleinen Anteil am Leben deiner Tochter verlieren, den Jens und seine Anwälte dir gelassen haben. Sie ballte die Fäuste. Das warme Gefühl in ihrem Leib verflog, die Sehnsucht wurde von Wut verdrängt.
Du wünschst dir Liebe, Zärtlichkeit und Sex, mit einem normalen Mann, versuchte sie sich einzureden, und nicht ein blutsaugendes Monster, das es – nach dem Stand unserer aufgeklärten Wissenschaft – gar nicht geben kann!
Sabine öffnete die Tür zum Arbeitszimmer und lugte hinein. Da schlief ihr kleiner Engel, das Haar wie ein Heiligenschein auf dem bunten Kissenbezug ausgebreitet. Den Daumen im Mund, die Knie angezogen, lag Julia da und schlief. Sabine konnte nicht anders, sie musste zu ihr gehen und ihr über das Haar streichen.
Als Mutter hat man das Recht, ein wenig sentimental zu sein, rechtfertigte sie sich vor sich selbst. Was habe ich denn sonst noch für Freuden in meinem Leben? Noch einmal sah sich Sabine um, die Augen ein wenig zusammengekniffen. Nichts. Sie hatte sich geirrt. Er war nicht da. Warum schaltete sie nicht einfach alle Lampen ein?, fragte sie sich, als sie durch den Flur ins Schlafzimmer zurücktappte. Dann sähe sie gleich, ob sich jemand in ihre Wohnung eingeschlichen hatte oder nicht.
Er ist ein Wesen der Nacht. Eben! Er war der Eindringling, das Böse, das hier nichts zu suchen hatte. Warum, verdammt noch mal, nahm sie auf seine Empfindungen Rücksicht?
Weil es seit dieser Nacht im Dezember, als er von ihrem Blut getrunken hatte, eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen gab.
Das ist ähnlich wie sexuelle Hörigkeit, warf sie sich vor, gab aber der anderen Stimme die Gelegenheit, dies weit von sich zu weisen und von seiner Klugheit, dem vornehmen Wesen und den wundervollen Stunden in seiner Gegenwart, angefüllt mit interessanten Gesprächen, zu schwärmen.
Sabine ließ sich auf ihr Bett sinken, schloss die Augen und seufzte wohlig, während sie den schönen Erinnerungen nachhing. Plötzlich stellten sich die Härchen an ihrem Nacken auf. Ein kühler Lufthauch ließ sie schaudern.
Er war doch hier!
Sabine sprang auf. Ohne darüber nachzudenken, was sie tat, rannte sie zurück ins Arbeitszimmer, riss die Tür auf und schaltete das Licht ein.
„Schsch! Du erschreckst ja das Kind“, begrüßte sie die Stimme, die sie jede Nacht im Schlaf verfolgte. Schlanke Finger hoben sich und berührten den zweiten Schalter, der neben der Schlafcouch angebracht war. Die Lampe erlosch. Das Kind murmelte im Schlaf und drehte sich auf die andere Seite, ohne jedoch zu erwachen. Für einige Augenblicke konnte Sabine nichts sehen. Nur das grüne Blitzen des Smaragdrings, den er an seinem Finger trug, sprang vor ihren Augen auf und ab.
„Verflucht!“, zischte sie. „Was tust du hier? Was hast du mit meiner Tochter gemacht?“ Ihre Hand tastete wieder nach dem Lichtschalter.
„Nichts! Lass sie schlafen. Warum das Kind mitten in der Nacht wecken und es unnötig ängstigen?“
Er hatte ihr überhaupt nichts zu befehlen! Dennoch ließ sie die Hand sinken. Wieder flammte Zorn in ihr auf. Wie konnte er sich erdreisten, zu ihrer Tochter zu gehen? Hatte er sie verletzt? Oder war sie rechtzeitig gekommen, um sie vor seiner Gier nach Blut zu schützen?
Langsam wurden die Konturen im Zimmer schärfer. Da lag ihr Kind unter seiner Decke und kehrte dem Monster, das an seinem Bett saß, sorglos den Rücken zu. Sabine ging auf ihn zu. Er erhob sich und trat einen Schritt zurück. Sie kniete sich nieder und strich über den Hals der Tochter. Er schien unversehrt, und auch das Nachthemd wies keine verräterischen Blutflecken auf.
„Du vertraust mir nicht?“, fragte er im Plauderton.
Sie wandte sich dem Vampir zu, blieb aber zwischen ihm und dem Mädchen stehen. „Warum sollte ich dir vertrauen? Ich weiß, was dich jede Nacht auf die Straßen treibt: dein Durst nach Blut!“
Er neigte höflich den Kopf.
„Hast du vor, dich an Julia zu vergreifen, weil du mich nicht bekommen hast? Oder willst du mich strafen, weil ich mich dir widersetzt habe?“ Noch ein Gedanke kam ihr in den Sinn – so furchtbar, dass sie ihn nicht aussprechen wollte.
„Oder hattest du etwa vor, sie zu beseitigen, damit sie nicht mehr zwischen uns steht?“
„Könnten wir weitere Verdächtigungen in dein Schlafzimmer verlegen? Sieh, ihr Schlaf verfliegt, ihr Geist erwacht!“
Sabine warf einen Blick hinter sich. Ja, er hatte recht, Julia wurde unruhig.
„Schlaf weiter, meine Süße“, hauchte sie und küsste die rosige Wange. Sabine ging zur Tür und hielt sie für den nächtlichen Besucher auf. Peter von Borgo verbeugte sich elegant und strich dann lautlos an ihr vorbei. Nur ein Hauch von Kälte verriet seine Nähe. Peter von Borgo sprach erst wieder, als Sabine die Schlafzimmertür hinter ihm geschlossen hatte.
„Du weißt, dass ich dich erwählt habe“, sagte er leise. „Ich habe fast vierhundert Jahre nach einem Wesen Ausschau gehalten, das mir meine Sinne noch einmal so verwirrt und mein Blut so in Wallung bringt wie Antonia an diesem einen Abend auf diesem unvergesslichen Ball. Ich suchte und habe dich gefunden. Ich bin in deiner Nähe, denn du gehörst zu mir!“
„Mein Entschluss steht fest, und das habe ich dir auch gesagt. Ich werde dir nicht folgen, damit du mich zu einem Vampir machen kannst! Ich lasse mir mein Leben nicht nehmen“, fügte sie trotzig hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust.
Peter von Borgo betrachtete sie aufmerksam. „Was ist es denn, das du so stolz ,Leben‘ nennst? Du hast deine Arbeit verloren, du siehst dein Kind kaum mehr als zwei Tage im Monat. Du verbringst jeden Abend hier, eingeschlossen in deiner Wohnung, läufst wie ein gefangenes Tier auf und ab und hast nicht einmal die Muße, ein Buch zu lesen oder ein Musikstück zu genießen.“
Sabine fragte sich nicht, woher er das alles wusste. Er hatte es also noch immer nicht aufgegeben, jeden ihrer Schritte zu belauern.
„Wem habe ich das denn zu verdanken?“, fauchte sie. „Du bist in mein Leben eingebrochen und hast mir fast alles genommen. Und nun willst du auch noch den Rest zerstören. Das Leben, das ich führe, ist immer noch besser, denn als untotes Monster Blut saugen zu müssen!“
Peter von Borgo hob die Brauen. „Ach ja? Nun, wenn du es sagst. Doch glaubst du auch daran?“
Er trat näher. Sie spürte seinen hypnotischen Blick und versuchte, sich von den roten Augen zu lösen.
„Komm mit mir. Was bietet dir das Leben hier? Ich liebe dich! Ich begehre dich! Zusammen werden wir ein ewig junges Leben führen, und wir werden es genießen.“
Sie wollte sich wehren, wollte gegen ihn kämpfen und ihn von sich stoßen, stattdessen schmiegte sie sich an seine Brust und schloss die Augen. War das ein Vorgeschmack auf das heiße Verlangen, das sie dann jede Nacht fühlen würde? Sabine stöhnte auf. Sie spürte seine Lippen, seine Zunge und die Zähne über ihren Hals gleiten.
„Komm mit mir.“
„Nein! Julia braucht eine Mutter.“
„Du kannst deine Tochter besuchen. Jede Nacht, wenn du es willst, kannst du an ihrem Bett stehen und sie in ihrem Schlaf bewachen.“
„Heimlich und unerkannt“, stieß Sabine bitter hervor. „Werde ich dann nach dem Blut meines eigenen Kindes lechzen?“
Er antwortete nicht. Sabine befreite sich aus seiner Umarmung und wich zum Fenster zurück.
„Ich will, dass du gehst und dass du dich nie wieder in mein Leben mischst. Ich verbiete dir, noch einmal diese Wohnung zu betreten. Und ich warne dich, Hand an mein Kind zu legen. Ich weiß, wo deine Verstecke sind, und ich werde nicht zögern, deinen nächtlichen Umtrieben ein Ende zu bereiten, wenn du dich nicht an meine Forderungen hältst.“
„Willst du mir einen Pflock durch das Herz treiben, meinen Kopf abschlagen und meinen Mund mit Knoblauch füllen?“, fragte er, doch in dem amüsierten Ton schwang Schmerz mit.
„Ja, wenn du mir keine andere Wahl lässt!“
Wortlos verschwand er, kam aber nach wenigen Augenblicken zurück und drückte Sabine das große Fleischmesser in die Hand. Die Arme erhoben, die Brust entblößt, stellte er sich vor sie.
„Nun denn, dann reiße mir das Herz aus dem Leib. Es ist besser, zu Asche zu zerfallen, als für immer von dir gewiesen zu werden. Warum zögerst du? Ich werde mich nicht wehren und dich nicht verletzen.“
Sabine sah auf das Messer in ihrer Hand. „Verflucht!“ Sie schleuderte es in eine Ecke, wo es klappernd zwischen einem Stapel Zeitschriften und ihrem Steuerordner liegen blieb. „Verschwinde endlich. Ich bin müde und möchte schlafen!“
Der Vampir legte die Hand an die Brust und verbeugte sich. Seine Konturen begannen sich aufzulösen, bis nur noch ein rauchiges Gebilde in der Luft hing, das ein Windhauch vom Fenster her verwehte. Träge floss der Nebel über das Fensterbrett nach draußen in die Dunkelheit.
Peter von Borgo lief durch die Nacht. Ihm war danach, sich in einen Wolf zu verwandeln und durchs nasse Gras zu rennen, bis sein Atem keuchend wurde, aber das war unmöglich, solange er sich noch hier in der Stadt befand. Trotz der vorgerückten Nachtstunde waren in Hamburg noch immer viel zu viele Autos und Fußgänger unterwegs. Der Vampir griff sich einen einsamen Nachtschwärmer, biss ihm grob in den Hals und trank einen Schluck Blut. Angewidert zog er die Lippe hoch. Der Mann roch nach altem Schweiß und Erbrochenem. Was aber noch viel schlimmer war: In seinem Blut kreiste jede Menge Alkohol. Peter von Borgo spuckte das Blut auf das Kopfsteinpflaster und schleuderte den Mann gegen eine Hauswand. Seine Beine knickten ein, und er blieb reglos liegen. Vielleicht hatte er sich das Genick gebrochen, vielleicht war es aber auch nur der Blick des Angreifers, der bei jedem Opfer für einen langen Schlaf des Vergessens sorgte.
Zwei junge Frauen kamen ihm kichernd entgegen. Sie bemerkten ihn nicht, bis sich seine Finger um den Hals der Blonden legten. Das Kichern verstummte, und beide starrten ihn aus glasigen Augen an. Er musste seinen Mund nicht erst ihrem Hals nähern. Ihre Ausdünstungen stachen ihm in die Nase und machten klar, dass auch ihr Blut verseucht und für ihn nicht bekömmlich war.
„Gibt es in dieser lausigen Stadt keine nüchternen Menschen?“, fauchte er zornig und stieß die Frau gegen ihre Freundin, sodass die beiden im Gebüsch der winzigen, öffentlichen Grünfläche landeten. Ohne sich umzusehen, eilte Peter von Borgo weiter. Die schlafenden Gestalten am Hansaplatz ließ er gleich links liegen. Er wusste, dass sie hier ihren Crackrausch ausschliefen oder dass gar ein Cocktail aus Heroin und Kokain in ihren Adern pulsierte. Den Fehler, sich an einem der Junkies zu vergreifen, hatte er nur einmal gemacht! Was er brauchte, war reines, unverdorbenes Blut und etwas, das seine in Aufruhr gebrachten Gefühle beruhigte. Der Vampir ballte die Fäuste, bis die Knöchel scharf hervortraten. Er durchquerte die Bahnhofshallen. Da, ein Mann in Uniform! Der war sicher nicht von Alkohol verseucht.
„He, was soll das?“, protestierte der Bahnbeamte schwach, als der Vampir ihn am Kragen packte. Er bekam jedoch keine Antwort. Peter von Borgo bog ihm brutal den Hals zurück, biss zu und trank in großen Schlucken. Die Lebenskraft schoss durch seine Kehle, wärmte seinen Leib und breitete sich dann bis in die Fingerspitzen und Zehen aus. Welche Wohltat! Ihm war nach einem Blutfest. Er wollte heute töten und sich an den letzten Herzschlägen seiner Opfer berauschen. Nur ganz leise meldete sich die Stimme der Vernunft in seinem Kopf, doch er ignorierte sie. Das Blut des Mannes rann ihm über Kinn und Hals, während er gierig weitertrank.
Ein einfahrender Zug ließ den Boden erzittern. Bremsen kreischten, Türen öffneten sich, Stimmen wanderten den Bahnsteig entlang. Für einen Moment fühlte sich der Vampir aus seinem Blutrausch gerissen, doch dieser Augenblick reichte aus, dass sich seine Vernunft Gehör verschaffen konnte.
Sie hat dich weggeschickt, ja. Sie hat gesagt, dass sie dich nicht mehr sehen will und es keine Hoffnung für dich gibt, aber ist das Grund genug, all das wegzuwerfen, was du dir über Jahrhunderte mühevoll erarbeitet hast? Willst du für ein paar Stunden gnädigen Vergessens im Rausch des Blutes alles aufgeben? Sie werden dich jagen, und sie werden dich in deinem Versteck aufstöbern. Dies sind nicht mehr die Zeiten, da ein paar unerklärliche Leichen mit einem Schulterzucken begraben und vergessen werden. Peter von Borgo dachte an sein Versteck in der Speicherstadt, deren Gerüche er so liebte, und an seine prachtvolle Villa über dem Geesthang in Blankenese. Zweihundert Jahre genoss er die Ruhe so nah an dieser pulsierenden Stadt voller Menschen nun schon. Nein, er würde das nicht alles aufgeben!
Der Vampir löste seine Zähne aus dem Fleisch des Mannes, dessen Körper wie eine Stoffpuppe in sich zusammensank. Peter von Borgo beugte sich hinab und nahm seine Hand. Der Puls war schwach. Er hatte viel Blut verloren, aber vermutlich nicht zu viel. Irgendwann im Laufe des Tages würde er erwachen, verwirrt und schwach, ohne sich an die nächtlichen Ereignisse erinnern zu können, aber immerhin am Leben.
Der Vampir packte den Mann an seiner Uniformjacke und zog ihn mühelos mit einer Hand hoch. Schritte näherten sich. Stimmen schallten zu ihm herüber. Rasch klemmte er den leblosen Körper unter den Arm, trug ihn zu einer der Toiletten, schob ihn in eine Kabine und verschloss sie von innen. Als Nebel wogte er unter der Tür hindurch, verwandelte sich wieder und verließ gemessenen Schrittes den Bahnhof.
Der Ostersamstag begann trocken und warm. Am Nachmittag fuhren Mutter und Tochter mit der U-Bahn zu den Landungsbrücken und nahmen dann eine Fähre nach Finkenwerder und weiter über den Anleger Teufelsbrück nach Blankenese. Julia jauchzte und lief oben auf Deck von einer Reling zur anderen, damit sie ja nichts verpasste.
„Mama, da sieh, das kleine Boot mit dem roten Segel! Und da vorn kommt ein ganz großer Dampfer. Und da! Siehst du den Leuchtturm?“
Sabine gab die passenden Kommentare ab und folgte ihrer Tochter von der einen Schiffsseite zur anderen und wieder zurück. Längst hatte Julia vergessen, dass sie ja eigentlich schmollen wollte, da sich die Mutter geweigert hatte, Leila zu diesem Ausflug mitzunehmen.
In Blankenese angekommen, bekam Julia auf der Terrasse des Strandhotels einen Kakao und ein Stück Rührkuchen. Mit offenem Mund sah sie den vielen Helfern der freiwilligen Feuerwehr zu, die nahe am Wasser einen der riesigen Scheiterhaufen errichteten, die in dieser Nacht Tausende von Besuchern zwischen Övelgönne und Blankenese an den Strand locken würden.
Nachdem sich Julia die Krümel vom Mund gewischt und Sabine bezahlt hatte, schlenderten die beiden weiter den Strandweg entlang, bis sie die letzten Blankeneser Häuser hinter sich gelassen hatten und durch ein Tor den Weg am Fuß des Baurs Park betraten. Das schmiedeeiserne Geländer, das den Park vom Uferstreifen trennte, zeugte noch von der Herrlichkeit alter Zeiten. Sabine versuchte sich vorzustellen, wie der Park damals wohl ausgesehen hatte. Waren seine steilen Geesthänge auch schon so düster von Wald und dichtem Unterholz bewachsen gewesen? Oder zeigte er sich damals prächtig gepflegt, wie heute noch der obere, flache Teil, mit weitläufigen Rasenflächen, Rosenbeeten und einzelnen, ausladenden Bäumen? Sie malte sich die Menschen aus, die hier in den Villen gelebt hatten oder mit der Kutsche zu einem Spaziergang aus dem eng verbauten Hamburg herübergefahren waren. Damen mit langen Röcken und Sonnenschirmen zum Schutz ihrer blassen Haut, Herren in Weste und Gehrock, den Zylinder auf dem Kopf. Es waren die, die es geschafft hatten: Reeder, Kaufleute, Bankiers. Der Geburtsadel spielte in Hamburg keine Rolle.
War das Leben damals für eine Frau einfacher gewesen? Zumindest hatten klare Verhältnisse geherrscht. Die Frau war für das Haus und die Kinder zuständig, der Mann brachte das Geld rein. Man ließ sich nicht einfach scheiden – und die Frauen mussten die Mätressen ihrer Männer erdulden.
Sie passierten den geschützten Hafen des Blankeneser Segelclubs mit seinem schwimmenden Clubhaus. Nur wenige Jollen und kleine Yachten schaukelten an den Stegen vertäut. Bei diesem schönen Wetter war man am Wochenende draußen auf der Elbe!
„Mama, schau, der Leuchtturm!“, rief Julia und legte den Kopf in den Nacken, um den rotweißen Turm auf dem Kanonenberg zu betrachten.
„Gehen wir da hinauf?“
„Nein, jetzt machen wir erst einmal einen Besuch im Panzerweg.“
Auf der lang gezogenen Treppengasse blieb Sabine vor einem verwitterten Klinkerhäuschen stehen, das fast völlig von Efeu überwuchert war. Sie streckte den Finger nach der Klingel aus, zögerte dann jedoch.
Warum war sie hier? Wie kam sie plötzlich auf die Idee, diesem Haus einen Besuch abzustatten? Noch könnte sie einfach gehen und mit Julia auf den Kanonenberg steigen. Was sollte das Kind bei einer alten Frau, die es nicht kannte?
Sabine zögerte noch immer, als sich plötzlich die Tür öffnete und eine alte Dame heraustrat, einen Eimer mit Kompostabfällen in der Hand. Als sie Sabine entdeckte, die noch immer unschlüssig vor dem Gartentor stand, stellte sie den Eimer ab und kam den Weg entlang.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie und wischte sich die Hände an ihrer karierten Schürze ab.
„Ja, ich weiß nicht“, stotterte Sabine.
Die Frau stutzte, dann lächelte sie. „Ach, Sie sind das, Frau Kommissarin – Berner? Ja? Habe ich mir das richtig gemerkt?“
Sabine nickte. „Darf ich reinkommen?“
Frau Mascheck öffnete das Gartentor und trat zurück. „Aber natürlich, kommen Sie. – Ist das Ihre Tochter?“
„Ja, das ist Julia“, stellte Sabine das Mädchen vor.
„Du magst doch sicher Schokoladenkekse, oder?“, lud die alte Dame Julia ein, die sich schüchtern an Sabines Seite drückte.
Kurz darauf saßen sie zu dritt um den Holztisch in der Küche. Julia aß Kekse, die Frauen tranken starken Tee mit Milch und Kandiszucker.
„Was führt Sie zu mir?“ Rosa Mascheck fragte erst, als Sabine ihre Tasse schon zur Hälfte geleert hatte. „Sind Sie dienstlich hier? Ich hoffe, es gibt nicht wieder Schwierigkeiten mit meinem Neffen und der Villa. Ich dachte, die Vorwürfe hätten sich erledigt.“
„Es ist alles in Ordnung“, beschwichtigte Sabine rasch die Befürchtungen ihrer Gastgeberin. „Mein Besuch hier hat nichts mit Ihrem Neffen zu tun. Ich dachte nur schon lange, nun ja – ich würde Sie gerne noch einmal sehen und mich für Ihre Auskünfte bedanken und ...“
Sie zuckte verlegen mit den Schultern. Ganz aufrichtig war das sicher nicht. Nahezu alles hatte seit ein paar Monaten mit dem Vampir zu tun, der zeitweise in der Villa der Maschecks am Baurs Park wohnte und den Rosa Mascheck für ihren Neffen hielt.
Vermutlich hat er ihren echten Neffen umgebracht und seine Leiche verschwinden lassen, um sich dessen Identität zu bedienen, dachte Sabine.
„Da bin ich aber beruhigt. Ich habe eine Woche gebraucht, die Spuren der Durchsuchung zu beseitigen.“ Sie hob abwehrend die Hände. „Nein, Sie müssen sich nicht entschuldigen, und Sie müssen sich auch nicht bei mir bedanken. Es ging um verschwundene Kinder, und da muss man allen Spuren folgen. Es ist die Pflicht jedes Bürgers, der Polizei behilflich zu sein.“
Eine Weile saßen sie schweigend da.
„Halten Sie immer noch das Haus sauber?“, fragte Sabine.
„Aber ja. Sie wissen doch, wie Männer sind. In ein paar Wochen würde man es wahrscheinlich nicht mehr wiedererkennen.“ Rosa Mascheck schüttelte den Kopf. „Es geht mich ja nichts an, aber anscheinend waren Sie schon lange nicht mehr zu Besuch dort: keine Gläser, keine offene Weinflasche ...“
„Nein, es ist Monate her.“
Erinnerungen stiegen in Sabine hoch. Obwohl sie es nicht wollte, waren es schöne Bilder, und es kam ihr so vor, als habe sie etwas verloren.
„Schade – ich dachte, Sie und er ... nun ja, ich werde Sie nicht fragen, Kommissarin Berner, so unhöflich bin ich nicht.“
„Sagen Sie Sabine zu mir.“
Die alte Dame lächelte. „Heißt das, ich werde Sie nun öfter sehen?“
„Wenn es Ihnen recht ist?“
Sabine und Julia saßen, bis es dunkel wurde, bei Rosa Mascheck. Julia entdeckte ein altes Puppenhaus in der Ecke der Küche und spielte, nachdem ihr die Gastgeberin aufmunternd zugenickt hatte, mit Hingabe mit der kleinen Puppenfamilie.
Die Frauen sprachen erst über Belanglosigkeiten, bald jedoch platzte Sabine mit ihrer drohenden Suspendierung heraus, und nachdem sie einmal angefangen hatte, gab es kein Halten mehr. Es kam ihr zuerst seltsam vor, dass sie hier mit einer ihr eigentlich fremden Frau saß und dieser ihre tiefsten Ängste anvertraute. Doch sie fühlte sich zu der kleinen, zerbrechlich wirkenden Frau hingezogen und genoss deren Aufmerksamkeit und die Geborgenheit, die das alte Häuschen ausstrahlte. Nur über Peter von Borgo und was er war, sprach sie nicht. So verständnisvoll die alte Dame war, etwas in Sabine warnte sie, dass ein Vampir in ihrer Familienvilla über das Begriffsvermögen von Rosa Mascheck gehen würde.
„Mama, es ist schon dunkel“, unterbrach sie Julia plötzlich. „Werden bald die Feuer angezündet? Gehen wir jetzt? Ach bitte, du hast es versprochen!“
Sabine erhob sich, trat zu ihrer Tochter und strich ihr über das Haar. „Ich habe gar nichts versprochen, du Frechdachs, aber wenn wir schon einmal hier sind, können wir einen Blick zum Strand hinunter riskieren. – Rosa, kommen Sie auch mit?“
Frau Mascheck schüttelte den Kopf. „Nein, das ist nichts für mich. Dieser Trubel und Lärm und die vielen betrunkenen jungen Leute. Es ist eine Schande, wie der Strand jedes Jahr am Tag danach aussieht, am Ostersonntag!“
Rosa Mascheck brachte ihre Gäste zum Gartentor. „Also dann, bis bald, Sabine“, sagte sie und reichte ihr die knochige Hand. „Seien Sie guten Mutes, Sie werden Ihren Weg finden, auch wenn Sie ihn jetzt noch nicht vor sich sehen.“
Sabine fühlte sich seltsam leicht ums Herz, als sie sich mit Julia an der Hand im Menschenstrom am Ufer entlangtreiben ließ. Es war eine klare Nacht, unzählige beleuchtete Schiffe fuhren den Fluss hinauf oder hinunter, und die Flammen der mehrere Meter hohen Scheiterhaufen schlugen in den dunklen Himmel. Julia sagte kein Wort. Sie blieb nur immer wieder stehen und starrte die riesigen Fackeln an.
Sabine hing ihren eigenen Gedanken nach und ließ die Gesprächsfetzen, die sie erfassen konnte, an sich vorbeiziehen. Drei junge Mädchen schlenderten an ihnen vorüber.
„Schrecklich“, sagte die eine gerade, „ich hab in der BILD gelesen, die haben den Kleinen tagelang ans Bett gefesselt und ihn in seiner Scheiße liegen lassen.“
„Ja, und immer wenn er geschrien hat, haben sie ihn mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen“, sagte die zweite.
Schnell ging Sabine weiter. An zu Tode misshandelte Kinder wollte sie heute nicht denken.
„Sexy, sexy, die Kleine dort drüben“, wehten die Worte eines jungen Mannes zu ihr herüber.
„Ein Königreich für einen Busch, hinter den wir sie zerren können“, lamentierte sein Begleiter. Die anderen drei Männer lachten und hoben ihre Bierdosen. Sie pfiffen, als die Frau in ihrer engen Jeans und dem bauchfreien Top näher kam.
„Besoffene Idioten“, zischte sie und wich den nach ihr greifenden Händen aus.
Sabine legte ihren Arm um Julias Schulter und schob sie von der Gruppe weg auf den Weg zurück. Es wurde Zeit, dass sie nach Blankenese zurückkehrten und einen Bus nach Hause nahmen!
Eine zierliche junge Frau überholte sie mit schnellem Schritt. Sie hatte die Schultern hochgezogen, als wäre ihr kalt. Dünnes, dunkelblondes Haar hing ihr ins Gesicht und verdeckte ihre Züge. Sie strebte auf das reetgedeckte Häuschen am Fuß des Baurs Parks zu, neben dem der Weg hinauf auf den Geestrücken führte.
„Was tust du denn hier?“, begrüßte sie eine andere Frau, ganz in Schwarz gekleidet, mit langem schwarzem Haar, die rauchend vor der Gartentür gestanden hatte. Sie warf ihre erst zur Hälfte gerauchte Zigarette auf den Weg, lief der Blonden entgegen und legte schützend einen Arm um sie.
„Was soll denn das?“, fragte sie. Die Schultern der anderen bebten.
„Nun komm mal herein. Hier draußen herrscht ja wieder der blanke Wahnsinn.“ Sie zog die kleinere Frau durch das Tor, schob es mit dem Fuß hinter sich zu und führte sie den Weg entlang zum Haus, das man zwischen den Bäumen und wuchernden Sträuchern nur erahnen konnte.
„Mama, ich will aber noch nicht nach Hause, ich bin gar nicht müde“, protestierte Julia, als eine halbe Stunde später der Schnellbus am Fuß der Elbgangtreppe hielt. Doch noch während der Bus seinen großen Bogen um den Süllberg schlug, schlief sie ein und war kaum mehr wach zu bekommen, als sie am Bahnhof in die S-Bahn umsteigen mussten.
Die Tage schlichen dahin. Nachdem ihr Exmann Julia und Leila am Ostermontag wieder abgeholt hatte, fühlte sich Sabine noch einsamer und nutzloser. Immer wieder ertappte sie sich dabei, auf dem Weg nach Blankenese zu sein, mit der Fähre, dem Wagen oder der S-Bahn – auch wenn sie ursprünglich ein ganz anderes Ziel gehabt hatte.
Wenn wenigstens Ingrid da wäre! Sie vermisste ihre Freundin, die sich mit ihrem neuen Lover für einige Wochen nach Bali abgesetzt hatte. Sie könnte ihr im „Ragazza“ helfen. Nicht dass sich Sabine danach sehnte, Sozialarbeiterin für drogenabhängige Prostituierte zu werden. Dennoch wäre das wenigstens eine sinnvolle Beschäftigung, und sie würde von den sich im Kreis drehenden Gedanken abgelenkt werden.
Wieder einmal stand sie am Baurs Park vor dem geschlossenen Eisentor und sah die Auffahrt entlang zu der achtseitigen, weißen Villa, die im hellen Sonnenlicht vor ihr lag. Jedes Detail war ihr inzwischen vertraut: die runden Säulen, die verspielten Gitter der Balkonbrüstung, die umlaufende Balustrade, hinter der sich das flache Dach verbarg. Der Wind wisperte in den Blättern der Bäume. Das Tor war nicht verschlossen. Die Hand auf der Klinke, stand Sabine da.
Dort drinnen lag er irgendwo in einem dunklen Raum, sein Atem war verstummt, der Körper erstarrt. Er konnte sie nicht beobachten, würde nicht plötzlich hinter ihr stehen und sie überraschen. Dennoch war ihr, als flüstere seine Stimme in ihrem Kopf: Ja, komm zu mir, genieße die Kühle des Gartens, berausche dich an dem weiten Blick über die Elbe, und dann tritt ein und lass dich nieder. Schlafe, bis die Sonne versinkt, dann werde ich dich wecken.
Sabine schüttelte energisch den Kopf und ließ die Klinke los, als habe sie sich die Finger verbrannt.
Er war ein Teufel, ein Dämon, wie sie in mittelalterlichen Geschichten beschrieben wurden. Und nun saß er in ihrem Kopf und zerstörte ihren Verstand. Sie hatte ein ganz normales Leben geführt, bis ihr der Vampir bei ihrem letzten Fall in die Quere gekommen war. Er hatte sich in ihr Leben eingemischt und ihren Geist in vergangene Zeiten entführt. Immer wieder fand sie sich plötzlich an anderen Orten wieder und konnte sich nicht erinnern, wie sie dorthin gekommen war. Ganze Abende waren wie ausgelöscht. Nur nebelhafte, verwirrende Erinnerungen, die nicht ihre eigenen sein konnten, blieben zurück. Eine Weile hatte sie der unheimliche Verdacht bedrängt, sie würde langsam verrückt. Inzwischen glaubte sie das Unglaubliche. Aber wie konnte sie es zulassen, dass ein Psychiater in ihren Erinnerungen herumstocherte? Was würde er mit ihr machen, wenn er diese Gedanken fand?
Vielleicht war es richtig, dass Tieze sie von den Kollegen fernhielt. War sie denn noch eine Kriminalbeamtin, auf deren Urteilsvermögen man sich verlassen konnte? Würde sie in kritischen Situationen einen kühlen Kopf bewahren und richtig entscheiden, oder war sie zu einer Gefahr für die ganze Gruppe geworden?
Panik stieg in ihr auf. Sie sah sich in einem Bett mit Gittern, die Arme an die Stäbe gefesselt. Auch vor dem Fenster unterbrachen dicke Streben das Tageslicht. Sabine fuhr herum und rannte los. Sie überlegte nicht, wohin, sie wusste nur, dass sie weit weg von diesen unheilvollen Gedanken wollte. Ohne innezuhalten, lief sie den Weg den Geesthang hinunter, bis der düstere Wald am Strandweg hinter ihr zurückblieb.
Es war ein ganz normaler Frühlingstag. Wolken jagten über den Himmel, die Sonne blitzte immer wieder zwischen ihnen hindurch, ein paar Segel glitten über die Elbe, Spaziergänger mit Hunden schlenderten den Strandweg entlang.
Sabine schämte sich ein wenig. Was sollte sie nun tun? Und so landete sie zum dritten Mal in dieser Woche an Rosa Maschecks Küchentisch. Heute hatte die alte Dame Sandkuchen gebacken, von dem sie ein Stück mit eingekochten Kirschen und einem Berg Schlagsahne auf Sabines Teller legte.
„Sie machen mir Sorgen“, sagte Frau Mascheck und runzelte die ansonsten noch glatte Stirn. „Es fühlt sich an, als gäbe es eine finstere Kammer tief in Ihnen, die Ihnen großen Kummer bereitet. Statt sich dem Schmerz zu stellen und ihn zu überwinden, vergraben Sie ihn immer tiefer. Doch wir können nicht vor uns selbst davonlaufen. Wenn wir die dunklen Kammern nicht finden und sie erhellen, zerstören sie uns von innen heraus.“
Sabine schwieg und stocherte in ihrem Kuchen herum.
Rosa Mascheck presste die Lippen zusammen. Ihr Blick huschte zwischen ihrem Teller und Sabine hin und her. Offensichtlich rang sie mit einer Entscheidung, aber erst als Tassen und Teller geleert waren, sprach sie wieder.
„Es ist nun schon so viele Jahre her, dass mein Sohn von seiner Ausfahrt nicht zurückkam, aber ich vermisse ihn noch immer. Oft macht es mir nichts aus, allein zu sein, doch dann wird es mir wieder schmerzlich bewusst, dass von der Familie kaum jemand geblieben ist. – Außer Peter, aber der ist ein Einzelgänger, der sich nichts aus seiner alten Tante macht. Das soll jetzt kein Vorwurf sein“, fuhr sie schnell fort. Sabine betrachtete sie aufmerksam. „Nur manches Mal wünsche ich mir jemanden, den ich um Rat fragen kann, der mir zur Seite steht und mir hilft. Ich meine jetzt nicht jemanden, der mir im Haushalt zur Hand geht. Seit Tagen trage ich eine Sorge mit mir herum, die mich quält. Ich würde so gern helfen, weiß aber nicht, was tun.“ Sie warf Sabine einen schnellen Blick zu.
„Wollen Sie mir nicht von Ihrer Sorge erzählen?“, reagierte die Kommissarin wie erwartet und fühlte sich dabei, als wäre sie blindlings in einen trüben Tümpel gesprungen, ohne vorher zu erkunden, wie tief das Wasser war. Sie wunderte sich über dieses seltsame Gefühl. Ging es nicht nur darum, einer einsamen, alten Dame, für die sie freundschaftliche Gefühle entwickelte, zuzuhören, Mitgefühl zu zeigen und ein paar Erinnerungen mit ihr zu teilen?
„Meine Nachbarin von schräg gegenüber ist außer sich, und ich teile ihre Sorgen“, begann Rosa Mascheck. „Irene lebt schon eine Ewigkeit hier, und vor ein paar Jahren sind ihre Enkelinnen Maike und Iris zu ihr gezogen. Sie bewohnen die beiden Kammern unter dem Dach, für die Irene sowieso keine Verwendung mehr hat. Seit sie sich vor fünf Jahren die Hüfte gebrochen hat, kommt sie die steile Treppe unters Dach nicht mehr hinauf. Die Mädchen erledigen nun ihre Einkäufe und halten das Haus sauber – soweit sie es selbst nicht mehr schafft.“
Sabine nickte. Die Wachsamkeit in ihrem Blick verebbte. Sollte sie Wasserkisten die Treppen der Panzerstraße hochtragen oder die Nachbarin zum Arzt fahren, weil die Mädchen genug davon hatten, ihre gebrechliche Großmutter zu umsorgen?
„Vor fünf Tagen, am Ostersonntag, ist Iris, die Zweitgeborene der Zwillinge, verschwunden, und Irene hat seitdem nichts mehr von ihr gehört.“
„Wie alt ist das Mädchen?“, fragte die Kommissarin und versuchte, das mulmige Gefühl in ihrem Magen zu ignorieren. Es war der Fluch ihrer Arbeit, immer gleich die schlimmsten Bilder vor sich zu sehen.
„Vierundzwanzig.“
„Sie ist eine erwachsene Frau! Könnte es sein, dass sie weggefahren ist? Mit einem Freund? Dass sie vergessen hat, es ihrer Großmutter zu sagen? Oder dass Ihre Nachbarin sich nicht mehr daran erinnert?“
Rosa Mascheck seufzte. „Solche Fragen hat der Polizist ihr auch gestellt. Ich verstehe ja, dass das zu der üblichen Vorgehensweise gehört, aber wenn Sie Iris kennen würden, dann kämen auch Ihnen diese Fragen lächerlich vor.“
„Der Polizist? Dann hat Ihre Nachbarin sie also als vermisst gemeldet?“
Die alte Dame nickte nachdrücklich. „Aber natürlich! Noch am Sonntag, nachdem sie bis zehn Uhr nicht nach Hause gekommen war. An diesem Tag wollte die Polizei die Meldung noch nicht entgegennehmen, und auch am nächsten Tag nicht. Erst vorgestern haben sie einen Beamten vorbeigeschickt, der die Aussage aufgeschrieben hat. Ja, und seitdem wartet Irene auf ein Lebenszeichen ihrer Enkelin.“
Sabine griff nach der knochigen Hand. „Ich kann es ihr nachfühlen. Nichts ist schrecklicher als die Angst um ein Kind. Aber wie könnte ich ihr helfen? Sie wissen doch, dass ich nicht im Dienst bin. Ich rufe natürlich gern die Kollegen bei der Vermisstenstelle an und frage, ob es schon irgendwelche Hinweise gibt, aber mehr kann ich nicht tun.“
Enttäuschung zeichnete sich auf dem Gesicht der alten Dame ab. „Könnten Sie sich nicht ein wenig umhören? Leute befragen, die Iris zuletzt gesehen haben, und was man in solch einem Fall alles macht?“
„Ich bin kein privater Ermittler!“
„Nein, aber Sie würden bestimmt eine gute Detektivin abgeben“, sagte die Alte sofort.
„Sie lesen zu viele Romane. Im richtigen Leben ist das Aufgabe der Polizei.“
Doch so schnell gab die alte Dame nicht auf. „Sie könnten sich mit Peter besprechen. Haben nicht Sie mir erzählt, er würde als Privatdetektiv arbeiten?“
„Nein“, rief Sabine so schnell, dass Rosa Mascheck erstaunt die Augenbrauen hob.
„Würden Sie mir wenigstens den Gefallen tun und einmal mit Irene sprechen?“, bat sie und sah mit einem solch flehenden Blick über den Tisch, dass Sabine nicht ablehnen konnte.
„Kommen Sie herein. Sie sind Kommissarin Berner, nicht?“
Sabine kam der Verdacht, dass sie sich gegen ihren Willen zu etwas überreden ließ, das andere über ihren Kopf hinweg bereits beschlossen hatten. Dennoch lächelte sie Irene Jacobson an und nickte.
Die Frau in der Tür war einen Kopf kleiner als Sabine und korpulent. Allerdings sprachen die schlaffen Hautfalten und die Schatten unter den Augen davon, dass sie in den vergangenen Tagen abgenommen und nicht viel Schlaf genossen hatte. Auf zwei Krücken gestützt, humpelte sie durch den engen Flur voraus und führte Sabine in ein vollgestopftes Wohnzimmer. „Setzen Sie sich doch“, forderte Frau Jacobson die Kommissarin auf und deutete auf ein durchgesessenes Sofa. „Darf ich Ihnen etwas anbieten?“
Sabine lehnte ab. „Keine Umstände. Rosa hat mich bereits den ganzen Nachmittag gemästet. Ich werde bald eine neue Garderobe brauchen, wenn ich sie noch öfter besuche.“
Ein kurzes Lächeln huschte über das faltige Gesicht, dann schienen ihre Ängste sie wieder einzuholen. Schwerfällig ließ sich die Frau in einen uralten Ohrensessel sinken.
„Erzählen Sie mir von Iris. Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?“
„Ostersonntag, zum Mittagessen. Ich dachte, sie wäre nach oben gegangen, um sich hinzulegen, aber als ich Maike gegen sieben hinaufschickte, um Iris zum Abendessen zu holen, war sie nicht da. Ich hatte gleich ein seltsames Gefühl, und als es immer später wurde und sie nicht zurückkam, da wusste ich, dass ihr etwas zugestoßen ist.“
„An was denken Sie?“
Die Alte hob die Hände. „Erst dachte ich, sie wäre vielleicht in einen Unfall verwickelt worden, doch dann hätte ich längst schon Nachricht aus einem Krankenhaus bekommen oder so. Nein, ich fürchte, sie ist in die Hände böser Menschen geraten. Ich will es mir gar nicht ausmalen, was meiner Kleinen zugestoßen ist.“ Tränen rannen über ihre Wangen. Hektisch wühlte sie in den Taschen ihrer Kittelschürze und nahm dann das Papiertaschentuch, das Sabine ihr reichte.
Die Kleine? Hatte Rosa nicht gesagt, Iris sei vierundzwanzig? Nun ja, ältere Menschen machten sich zuweilen ein verzerrtes Bild von ihrer Umwelt.
„Könnte es nicht doch sein, dass sie mit einem Freund oder einer Freundin weggegangen ist? Oder allein? So etwas kommt vor. Ihre Enkelin ist kein kleines Kind mehr.“
„Das würden Sie nicht sagen, wenn Sie sie kennen würden“, schluchzte Irene Jacobson.
Wieder dieser Satz. Warum nicht?
„Einen Freund hat sie nicht – hat sie noch nie gehabt. Sie war schon in der Schule stets mit ihrer Schwester Maike und ihren Freundinnen Carmen und Aletta zusammen – ich meine, als sie noch gemeinsam zur Schule gingen. Sie können die drei fragen. Sie haben Iris seit vergangenem Sonntag auch nicht mehr gesehen und machen sich mindestens so große Sorgen wie ich.“
„Und Iris’ Eltern?“
„Was soll mit ihnen sein?“
„Wo leben die Eltern? Haben Sie mit ihnen gesprochen? Wissen Sie auch nichts?“
„Ach so. Sie wohnen hier in Blankenese in der Schenefelder Landstraße 14 A. Das heißt, Barbara wohnt dort vor allem, Nils ist meist unterwegs. Er ist Kapitän auf einem Containerschiff der Hapag.“
Sabine kaute auf ihrer Lippe. „Und warum wohnen die Zwillinge dann seit Jahren schon bei Ihnen?“
Irene Jacobsons Blick wanderte durch den Raum. „Warum denn nicht? Wir verstehen uns gut. Ich bin nicht mehr so allein. Barbara ist mit ihrer Gemeindearbeit ausgefüllt, und die Mädchen genießen es, ein wenig mehr Freiheit zu haben.“ Ihre Miene verdüsterte sich. „Vielleicht war es ein Fehler.“ Wieder traten ihr Tränen in die Augen. „Ich weiß, dass sie mir die Schuld dafür geben wird. Ich habe die Mädchen ermutigt, ihr Elternhaus zu verlassen, und nun muss ich es verantworten, dass meine süße Kleine in die Hände von Verbrechern gefallen ist, die sie quälen. Oh, bitte, finden Sie sie und retten Sie mein Kind!“