Fighting for Love - Unstillbare Sehnsucht - Gina L. Maxwell - E-Book

Fighting for Love - Unstillbare Sehnsucht E-Book

Gina L. Maxwell

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Beschreibung

Gemeinsam kämpfen sie für ihre Liebe - romantisch und mitreißend! Die Kellnerin Kat MacGregor ist verzweifelt, als Mitglieder einer Verbrecherbande vor ihrer Tür stehen und die 20.000 Dollar einfordern, die ihr inhaftierter Ex-Verlobter deren Boss schuldet. Die Männer lassen keinen Zweifel daran, dass Kat mit ihrem Leben bezahlen wird, sollte es ihr nicht gelingen, das Geld zu beschaffen. Als eines Abends der ehemalige Martial-Arts-Kämpfer Aiden O’Brien in ihrer Bar auftaucht und ihr seine Hilfe anbietet, hat Kat keine andere Wahl, als das Angebot anzunehmen. Vom ersten Augenblick an fällt es ihr schwer, der Leidenschaft, die Aiden in ihr weckt, zu widerstehen. Doch sie ahnt nicht, dass er ein Geheimnis vor ihr verbirgt, das ihr das Herz brechen könnte ... (ca. 340 Seiten)

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Seitenzahl: 470

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Prolog

1

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5

6

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Liebe Leserinnen und Leser

Die Autorin

Gina L. Maxwell bei LYX

Impressum

GINA L. MAXWELL

Fighting for Love

Unstillbare Sehnsucht

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Michaela Link

Zu diesem Buch

Die Kellnerin Kat MacGregor ist verzweifelt, als Mitglieder einer Verbrecherbande vor ihrer Tür stehen und die 20 000 Dollar einfordern, die ihr inhaftierter Ex-Verlobter deren Boss schuldet. Die Männer lassen keinen Zweifel daran, dass Kat mit ihrem Leben bezahlen wird, sollte es ihr nicht gelingen, das Geld zu beschaffen. Als eines Abends der ehemalige Martial-Arts-Kämpfer Aiden O’Brien in ihrer Bar auftaucht und ihr seine Hilfe anbietet, hat Kat keine andere Wahl, als das Angebot anzunehmen. Vom ersten Augenblick an fällt es ihr schwer, der Leidenschaft, die Aiden in ihr weckt, zu widerstehen. Doch sie ahnt nicht, dass er ein Geheimnis vor ihr verbirgt, das ihr das Herz brechen könnte …

Für alle, die sexuell missbraucht wurden: Auf dass ihr immer die innere Kämpferin willkommen heißt, euch selbst bedingungslos liebt und niemals den Mut verliert.

Prolog

Aiden O’Brien bog mit seiner 62er Harley Panhead am Stadtrand von Alabaster, Louisiana, auf den Parkplatz einer heruntergekommenen Bar ein. Lou’s Riverview.

Von außen sah die Bar aus wie ein großes einstöckiges Wohnhaus, das bessere Tage gesehen hatte. Der baufälligen, hölzernen Verkleidung und dem rissigen Fundament nach zu urteilen, war das vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen.

Aiden lenkte sein Bike in eine Parklücke neben der Tür und trat mit seinem gummibesohlten Stiefel den Ständer herunter. Mit einem kaum unterdrückten Stöhnen schwang er das rechte Bein über den Sitz. Eine Fahrt von Boston, Massachusetts, nach Louisiana war eine wunderbare Gelegenheit, ruhige Straßen und eine malerische Landschaft zu genießen. Bedauerlicherweise entpuppte sie sich außerdem als die weniger wunderbare Gelegenheit, sich alle Knochen durchschütteln zu lassen.

Irgendwo zwischen West Virginia und Kentucky hatte er ein Brennen in seinem Steißbein verspürt. Als er Mississippi erreicht hatte, taten ihm bereits der ganze Rücken und die Schultern weh. So sehr er seine alte Panhead auch liebte, sie war definitiv kein Tourenbike.

Während er die Beine streckte, fragte er sich, ob Bayou das französische Wort für Brathähnchen war. Ohne den kühlenden Fahrtwind fühlte Aiden sich jedenfalls genau wie ein Brathähnchen vom Vortag, das unter einer Hitzelampe verschrumpelte. Das Surren einer Klimaanlage an der Ecke des Gebäudes machte ihm Hoffnung, dass er im Innern Zuflucht vor den sengenden Sonnenstrahlen finden würde.

Nachdem er sich die Sonnenbrille an den Ausschnitt des T-Shirts gehängt hatte, zog er die schwere, verwitterte Tür auf und trat ein. Die Kneipe sah aus wie die meisten alten Bars und Tavernen. Holznischen säumten die Wände des Schankraums, und in der Mitte standen so viele Tische, wie sich hatten hineinzwängen lassen. Jede Nische lag unter etwas, das als Lampe durchgehen konnte, obwohl es sich lediglich um Glühbirnen handelte, die in undefinierbaren Plastikkugeln von der Decke baumelten. Die Kugeln waren mit der Zeit vom Tabakrauch ganz gelb geworden. In einem Hinterzimmer standen Billardtische und zerschlissene Sofas für diejenigen, die gern tranken, während sie Billardstöcke – leicht verfügbare Waffen für eventuelle Wutanfälle – schwangen.

Rechter Hand ragte eine Theke aus massiver Eiche hufeisenförmig in den Raum. Da erst früher Nachmittag war und dazu Dienstag, war das Lokal fast leer, bis auf den einsamen Barkeeper und vier alte Käuze, die an einem der vorderen Tische Poker spielten. Ihre Kleider waren schmutzig, sie hatten sich offensichtlich tagelang nicht rasiert und besaßen insgesamt etwa ein Dutzend Zähne. Aiden fragte sich, ob sie Obdachlose waren oder ob Alabamas Bewohner gemeinhin so aussahen.

Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und ging zur Theke. Seine Kehle fühlte sich an wie die Sahara, und er hatte vor, etwas dagegen zu unternehmen. Dann würde er sich ein bisschen unterhalten und feststellen, ob die Informationen, die man ihm gegeben hatte, immer noch zutrafen. Hoffentlich taten sie es. Dann konnte er seinem Freund die gute Nachricht überbringen und sich wieder auf den Weg machen.

Aber nicht zurück nach Boston. Diese Gefälligkeit, die er seinem Freund erwies, hatte ihn endlich aus seinem Loch herausgeholt. Jetzt, da er es hinter sich gelassen hatte, fragte er sich, warum er nicht schon vor fünf Jahren fortgegangen war, als er sein Leben zerstört hatte. Und das seines besten Freundes.

Vielleicht würde er den Rest des Sommers auf seiner Harley das Land bereisen. Und dort bleiben, wo es ihm am besten gefiel, einen Motorradladen aufmachen oder in dem von jemand anderem arbeiten. Es spielte keine Rolle, solange er an Bikes rumschrauben konnte. Das war das Einzige, was ihn ablenkte und ihm wenigstens ein paar Stunden am Tag schenkte, in denen er nicht die schlimmste Nacht seines Lebens wieder und wieder Revue passieren lassen musste.

»Was soll es sein?«

Der Barkeeper stellte das Einweckglas, das er abgetrocknet hatte, auf das Regal hinter sich, stützte sich auf die Theke und wartete geduldig.

Aiden zog seine Brieftasche heraus und griff nach einem Fünf-Dollar-Schein. Dann hielt er ihn dem Mann hin und sagte: »Ein großes Wasser und ein wenig Konversation.«

Mit einer hochgezogenen Augenbraue schaute der Barkeeper zwischen dem Geldschein und Aiden hin und her. Wahrscheinlich versuchte er herauszufinden, was genau dieser Gast wohl wollte. Ein Fünfer war nicht gerade ein Betrag, den jemand anbot, wenn er nach Informationen fischte. Auf der anderen Seite war es ein großes Trinkgeld für die Bestellung eines kostenlosen Getränks.

Aiden versuchte, einen nicht bedrohlichen Gesichtsausdruck hinzubekommen. Es fiel ihm nicht mehr so leicht wie früher, aber es musste sein. Denn angesichts der leuchtend bunten Tattoos und all der Piercings überlegte es sich sonst jeder zweimal, mit ihm zu reden.

Also würde Aiden ein Lächeln vortäuschen müssen, wenn er die Frau finden wollte, nach der er suchte.

Glücklicherweise rettete ihn der Barkeeper und tat den ersten Schritt. Der Mann streckte die Hand aus und stellte sich als Johnny Anders vor. Aiden umfasste die Hand mit festem Griff und schüttelte sie einige Male. »Irish.« Als Johnny fragend die Augenbrauen hochzog, fügte er hinzu: »Einfach Irish.«

Niemand hier unten brauchte seinen richtigen Namen zu kennen. Welchen Sinn hatte es, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, wenn man sie jedes Mal, wenn man sich vorstellte, prompt wieder hervorkramte?

»Also schön. Einfach Irish.« Johnny ließ das Lächeln aufblitzen, das ihm wahrscheinlich jede Menge Trinkgeld einbrachte, griff nach dem Einweckglas, das er gerade gesäubert hatte, und füllte es mit Eis und Wasser aus dem Zapfhahn. »Also, woher kommen Sie?«

Hinter Aiden brach in der Pokerbande ein heftiger Streit aus. Er spähte über die Schulter. Ein Mann schrie den Verdacht heraus, dass sein Kumpan gemogelt habe. Dabei gestikulierte er so wild, dass die Hälfte seines Biers einige Schritte von Aiden entfernt auf den Boden schwappte. Johnny brüllte den Gästen zu, dass sie sich beruhigen sollten. Er habe keine Lust, für sie aufzuwischen.

Aiden hob das Glas an seine ausgetrockneten Lippen und legte den Kopf in den Nacken, bis er auch noch den letzten Wassertropfen getrunken hatte. Dann stieß er erleichtert den Atem aus, schob das Glas zurück über die Theke und nickte, eine Bitte, es nachzufüllen.

»Boston«, antwortete er schließlich. Er sollte wahrscheinlich versuchen, Sätze von mehr als zwei Silben zu bilden, schließlich war sein Ziel, eine Unterhaltung in Gang zu bringen und Informationen zu sammeln. Aber bevor er es probieren konnte, hörte er Schritte aus dem hinteren Flur kommen, über dem ein Schild mit der Aufschrift Büro hing.

Eine Kellnerin trat in den Schankraum, während sie sich noch das lange rote Haar zu einem Pferdeschwanz zusammenband, und begutachtete ihr Werk in einer verspiegelten Werbung für Miller-Bier an der Wand.

Sie war … atemberaubend.

Der Krampf in seinen Eingeweiden – wie nach einem Schlag in die Magengrube – traf ihn völlig unerwartet. Aiden konnte sich nicht daran erinnern, wann ein weibliches Wesen ihn zum letzten Mal dazu gebracht hatte, sich aufrechter hinzusetzen und um einen ersten Blick zu buhlen. Anscheinend hatte sein Schwanz kein solches Problem mit dem Gedächtnis und wollte das auch beweisen.

In der Hoffnung, lässig zu wirken, stellte Aiden seinen linken Stiefel auf die metallene Fußstütze, die sich an der ganzen Theke entlangzog, damit die Frau nicht sah, wie eng der Schritt seiner Jeans geworden war.

Sie war keine klassische Schönheit. Ihr Anblick ließ einen nicht an förmliche Kleider denken, an korrektes Make-up und trockenen Champagner. Eher an luftige Kleider, Haar in einer Sommerbrise und den erfrischenden Biss in eine gezuckerte Zitrone …

Scheiße. Aiden rieb sich die Stirn. Er musste sich während der letzten Stunden seiner Fahrt einen Hitzschlag zugezogen haben. Klar, Hitzschlag klang gut. Damit konnte er sich anfreunden. Die Alternative – sich eine Frau wie aus der Limonadenwerbung vorzustellen – würde den Niedergang seiner Manneskraft bedeuten, dann konnte er seinem Selbstbild als harter Kerl gleich den Abschiedskuss geben.

Die lebende, atmende Bedrohung für seine neuerdings kultivierte Gleichgültigkeit in Bezug auf Sex fing seinen Blick im Spiegel auf. Sie taxierte ihn kühl. Etwas, von dem er dachte, es sei vielleicht beiderseitiges Interesse, loderte einen Moment auf wie ein angerissenes Streichholz, bevor die Fremde die Flamme löschte und den Blick abwandte. Wenn sie sich die Worte kein Interesse auf die Stirn tätowiert hätte, wäre es keine klarere Botschaft gewesen.

Er heuchelte seinerseits Desinteresse und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Wasser, aber er musterte sie weiter aus den Augenwinkeln. Sie drehte sich um und streckte die Hand über die Theke nach der offenen Bierflasche aus, die Johnny in Erwartung ihrer Ankunft bereitgestellt haben musste. Dann hob sie die Flasche an die Lippen und nahm mehrere lange Schlucke. Die glückliche Scheißflasche.

Die Kleine war gertenschlank, wohlproportioniert und nicht viel größer als einen Meter fünfundsechzig. Genau wie Johnny trug sie ein mit einem Logo versehenes Shirt, aber ihres hatte einen tiefen Ausschnitt, der die Wölbungen ihrer Brüste preisgab. Ein formeller schwarzer Rock schmiegte sich nicht nur um ihren Hintern, er machte für ihn Reklame. Die Kleidung war eng und dazu geschaffen, Aufmerksamkeit zu erregen.

Genau die falsche Aufmerksamkeit.

Bilder von betrunkenen Arschlöchern, die sie begrapschten, während sie ihnen Drinks servierte, zogen vor seinem inneren Auge vorüber. Etwas, das er jahrelang totgeglaubt hatte, regte sich in Aidens Bauch. Der irregeleitete Drang, zu beschützen und zu verteidigen, obwohl er kein Recht dazu hatte. Wo diese Frau arbeitete und welche Aufmerksamkeit sie erregte, ging ihn nichts an.

Allerdings entspricht sie genau der, die es sein könnte, Blödmann. Dann ging es ihn sehr wohl etwas an.

Er erinnerte sich an die Beschreibung seiner Freundin. Rotes Haar, klein und mit vielen Sommersprossen. Es sah so aus, als müsse er sich doch nicht mit Johnny unterhalten. Sie war nicht nah genug, als dass er irgendwelche Sommersprossen hätte sehen können, aber ihr rotes Haar war unverkennbar.

»Hey, Johnny«, sagte sie, »meinst du, wir können einen Ausbruch von Masern oder etwas in der Art vorschützen und heute Abend schließen?«

Der Mann schnaubte. »Machst du Witze? Lou würde uns wahrscheinlich erklären, dass wir Handschuhe und Atemschutzmasken tragen und weiterservieren sollen.«

Sie band sich eine kleine, schwarze Kellnerschürze mit Taschen um die Taille und seufzte. »Dann werden wir wohl einfach hoffen müssen, dass die Zeit schnell rum ist und heute Abend nichts zu Bruch geht.«

»Dein unerschütterlicher Optimismus ist das, was ich am meisten an dir liebe, Sydney«, bemerkte Johnny.

Verdammt. Falscher Name.

Sie bedachte Johnny mit einem schiefen Grinsen, während sie sich einen Bestellblock und einen Stift in die Schürze steckte. »Leck mich, Anders.«

Als die alten Männer aufhörten zu spielen und die Kellnerin lautstark begrüßten, ging sie um den Tresen herum und begrüßte sie ihrerseits mit spitzfindigen Kommentaren. Aiden wollte Johnny gerade um die Speisekarte der Bar bitten, als er neben sich ein Kreischen hörte.

Sydney war auf dem verschütteten Bier ausgerutscht und auf einem One-Way-Trip in Richtung Boden. Aidens Reflexe setzten ein. Er tat einen großen Schritt nach links, legte ihr einen Arm um die Taille und verhinderte ihren Sturz, kurz bevor sie auf dem Boden aufgeschlagen wäre. Sie legte ihm instinktiv die Arme um den Hals und klammerte sich an ihm fest, was ihren Körper auf gleiche Höhe mit seinem brachte.

Irgendwo im Hintergrund pfiffen die Leute, weil er die Frau gerettet hatte, aber er nahm den Beifall nicht zur Kenntnis. Auch sonst nichts weiter, was das betraf. Sein Oberkörper fühlte sich wie gebrandmarkt an, wo ihre Brüste sich gegen die Piercings in seinen Brustwarzen pressten und Schockwellen der Wonne zu seinen Eiern hinabschickten. Verzweifelt darauf bedacht, sich davon abzulenken, konzentrierte er sich auf ihr Gesicht, das jetzt nur Zentimeter von seinem entfernt war.

Natürliche Schönheit. Das waren die Worte, die ihm durch den Kopf schossen. Alles an ihr sah aus, als sei es von einem der vier Elemente gekommen. Er hatte falsch gelegen mit der Einschätzung, ihr Haar sei lediglich rot. Jetzt, da er es aus der Nähe sah, erinnerte es ihn an die orangefarbenen und goldenen Streifen eines Sonnenaufgangs.

Blaue Augen mit einem Anflug von Grün, wie das Meer in einem Prospekt für den perfekten Inselurlaub, blickten ihn unschuldig und unsicher an.

Der Rest ihres Gesichtes zeigte verschiedene Pfirsichschattierungen: Die hellste war ihre makellose Haut, die dunkelste ihre vollen Lippen, und das Merkmal, das jede Schattierung dazwischen innehatte …

Sommersprossen.

Es sah so aus, als hätte er sich doch nicht geirrt. Denn trotz des falschen Namens war ihm der Grund, warum er Boston verlassen hatte und in diese hinterwäldlerische Stadt mitten im Nirgendwo gefahren war, gerade buchstäblich in die Arme gefallen.

1

Zwei Monate später …

Aiden sah sich in der lärmerfüllten Bar um und studierte die verschiedenen Stadien der Berauschtheit der Gäste: betrunken, wirklich betrunken und total am Ende.

Es herrschte gerade Hochbetrieb, aber Kat MacGregor, die sich den schlecht passenden Decknamen Sydney Carter zugelegt hatte, lief mit müheloser Ausdauer zwischen der Theke und den Tischen hin und her.

Gleich als er sie gefunden hatte, hatte Aiden sich selbst als Security Guard für die Bar angeheuert und sich gestattet, eine kleine Truppe Mitarbeiter aufzustellen. Er hatte nur zwei Tage lang den Schaden begutachten müssen, den die nächtlichen Barstreitereien verursachten, um Lou seine Idee zu verkaufen. Zumal das Sicherheitspersonal genauso beschissen bezahlt wurde wie der Rest der Angestellten. Der Barbesitzer hatte am Ende dem Deal zugestimmt, da er keine Biergläser und Tische mehr zu ersetzen brauchte.

Aiden hatte Xander James angerufen, seinen guten Freund und ehemaligen Mannschaftskameraden, und kurze Zeit später hatte Xan seine irdische Habe eingepackt und war mit Aidens anderem Bike hergekommen, um Teil des Teams zu werden und »sein nächstes Abenteuer zu erleben«.

Zudem hatte Aiden Johnny Anders und zwei von Johnnys Kumpeln rekrutiert, um die Truppe abzurunden. Jetzt hatte Lou jeden Abend zwei Sicherheitsleute, sogenannte Cooler, die in der Bar arbeiteten. Am Wochenende waren es gewöhnlich drei oder vier, je nachdem, wann es Vollmond wurde, denn die Verrücktheit schien an diesen Tagen zu fließen wie das Bier.

Das Schwierigste war gewesen, Johnny und den anderen den Unterschied zwischen einem Rausschmeißer und einem Cooler zu erklären. Sie dachten beharrlich, dass es ihr Job wäre einzugreifen, sobald ein Problem zur Krise wurde – aber das war der Job eines Rausschmeißers.

Cooler sahen Dinge vorher. Sie taten ihr Bestes, Auseinandersetzungen im Keim zu ersticken, bevor sie zu echten Problemen wurden, was dafür sorgte, dass in der Bar weiter viel los war, es allerdings weniger wild zuging.

Xan und Aiden mussten ihre Kollegen während der ersten Wochen begleiten, um ihnen zu zeigen, worauf sie als Cooler zu achten hatten. Sobald sie jedoch den Bogen raushatten, gab es am Ende der Nacht erheblich weniger Trümmer aufzulesen. Nicht dass auch nur eine Nacht in Lou’s Riverview annähernd friedlich und ereignislos ablief, aber es gab wesentlich weniger Randale als zuvor.

Und wenn er Kats Umgebung jetzt ein klein wenig sicherer machen konnte, dann war er es zufrieden.

»Jeden Abend derselbe Scheiß, hm, Kumpel?« Xanders Stimme mit dem britischen Akzent knisterte durch den Knopf in seinem Ohr. Aiden hatte das Geld für diese Babys gesponsert, was für Lou das entscheidende Argument des Deals gewesen war. Aiden war es recht, Hauptsache, seine Verstärkung konnte ihn hören, wenn er sie brauchte.

Jeden Freitagabend war es das Gleiche. Wenn die Bewohner Alabasters nach ihrer Arbeitswoche Dampf abließen, wurde die Bar zu einer Brutstätte des Ärgers. Die Nerven der Leute lagen blank, befeuert von literweise Bier und Runden von Schnäpsen. Die ganze Szene wurde klassisch untermalt von Rock- und Countrymusik, die aus den Boxen dröhnte.

»Genau wie immer«, antwortete er geistesabwesend auf Xanders Frage, während Kat mit einer Ladung Bier vorbeizischte.

Er drehte kaum den Kopf, während er ihr mit dem Blick folgte. Der Schwung ihrer Hüften und die Wölbung ihres Hinterns hypnotisierten ihn geradezu, verdammt noch mal. Kat ließ die Arbeit als Kellnerin wie eine Kunstform aussehen, schlängelte sich gekonnt mit vollen Tabletts durch die Menge, servierte Drinks und wehrte mit ihrem derben Witz und ihrer noch schärferen Zunge die Einheimischen ab.

Während sie sich durch das Land der Berauschten arbeitete, hielt er Ausschau nach Anzeichen von Ärger und beobachtete die couragierte Rothaarige aus dem Augenwinkel. Sie verstand sich darauf, mit der Situation fertig zu werden, und im Gegensatz zu den anderen Kellnerinnen rief sie niemals nach den Coolern, wenn sie Hilfe brauchte. Aber das hinderte ihn kein einziges Mal daran, einzugreifen. Irgendein verdorbener Apfel war immer in der Kiste. Irgendjemand war immer dabei, der den gesunden Menschenverstand, den Gott ihm geschenkt hatte, nicht benutzte.

Wenn er eine potenzielle Bedrohung erspähte, ging er darauf zu und kümmerte sich darum, bevor die Sache eskalierte. Falls seine Anwesenheit nicht genügte, erfüllte eine wohlformulierte Drohung bezüglich der Kronjuwelen meistens ihren Zweck. Hierzulande war die »Familie« alles, was die Typen hatten, und sie hielten sie gern unversehrt.

Als er das erste Mal bei einem ziemlich unhöflichen Gast eingegriffen hatte, um Kat zu beschützen, hatte sie ihn ungläubig angesehen. Er hatte es gerade eben geschafft, ihren Blick zu erwidern, und sich außerstande gesehen, ein Wort hervorzubringen, solange der Blick ihrer hellblauen Augen auf ihn gerichtet blieb, bis sie auf dem Absatz herumgewirbelt und davongestürmt war. Das hatte sich noch einige Male wiederholt: Er griff ein, dann folgte ein peinlicher Wettbewerb im Niederstarren und ein stummer Rückzug.

Eines Abends, nachdem er einen Mann im Würgegriff »hinausbegleitet« hatte, weil er ihr den Hintern begrapscht hatte, pirschte sie sich draußen mit schmalen Augen an Aiden heran, die Fäuste in die schlanken Hüften gestemmt. »Ich kann auf mich selbst aufpassen.«

Aiden verschränkte die Arme vor der Brust. »Daran zweifle ich nicht.«

»Dann lass es bleiben. Die anderen Cooler mischen sich nicht so oft ein wie du. Wenn ich mich mit einem gewissen Maß an Mist abfinde, trägt mir das anständige Trinkgelder ein. Deine finsteren Blicke auf jeden Kunden, der mich auch nur falsch ansieht, beeinträchtigen meinen Gewinn, Freundchen.«

Aiden hatte nicht bedacht, dass die Kellnerinnen ein besseres Trinkgeld bekamen, wenn sie zuließen, dass die Männer mit ihnen flirteten oder sie begrapschten. Er runzelte finster die Stirn. Er wollte ihr keinen finanziellen Schaden zufügen, aber noch weniger würde er klein beigeben. »Was würdest du sagen, wie viel du jedes Mal einbüßt, wenn ich eingreife?«

Sie warf die Hände hoch, sichtlich frustriert. »Fünf, zehn, zwanzig Mäuse? Woher zur Hölle soll ich das wissen?«

Er nickte. »Dann werde ich dir jedes Mal zwanzig Mäuse geben, wenn ich dafür sorge, dass irgendein Arschloch die Finger von dir lässt.«

Sie zog die Brauen zusammen, und ihre Haltung lockerte sich. »Ich will dein Geld nicht, Irish.« Ihm gefiel der Klang seines Namens aus ihrem Mund. Oder zumindest seines Spitznamens. Genauso wie sie einen Decknamen benutzte, war er bei seinem alten Spitznamen aus Kämpfertagen geblieben. Xander war der Einzige hier, der seinen wahren Namen – und seine Geheimnisse – kannte, und Aiden hatte vor, dafür zu sorgen, dass es so blieb.

»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte sie. »Ich will, dass du dich zurückhältst.«

Den Teufel würde er tun. »Kann ich nicht.«

»Was soll das heißen, du kannst es nicht?«

Er konnte ihr diese Frage ebenso wenig beantworten, wie er sich wunschgemäß zurückziehen konnte. Wie auch? Er durfte ihr schließlich nicht verraten, dass er sein Zuhause in Boston gegen Posemuckel im Nirgendwo eingetauscht hatte, weil er einem Freund eine Gefälligkeit schuldete und die ganze Sache sich dann zu etwas gänzlich anderem entwickelt hatte. Dass nämlich sein Versprechen, sicherzustellen, dass es ihr gut ging, den zweiten Platz gegenüber seinem eigenen unerklärlichen Verlangen einnahm, über sie zu wachen. Sie zu beschützen.

Aiden kämpfte gegen den Drang, sie in die Arme zu nehmen und die Geister zu verjagen, die er in ihren Augen sah. Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans. »Solange ich da bin, fasst niemand dich ohne Einladung an.« Er konnte nicht anders, er senkte den Kopf und flüsterte ihr ins Ohr: »Niemand.«

Sie zuckte zurück und schnappte kaum hörbar nach Luft. Ein Aufblitzen von etwas, was er nicht identifizieren konnte, huschte über ihr Gesicht, bevor sie zurück in die Kneipe hastete. Danach sprach sie nie wieder mit ihm, abgesehen von einem schnellen Danke mit den Augen, wann immer er ihr half. Nonverbale Kommunikation passte ihm gut, daher reagierte er immer seinerseits mit einem kurzen Blick und hoffte, dass dieser Blick sagte: Gern geschehen, und nicht: Gottverdammt noch mal, du bist zauberhaft,oder: Ich würde alles darum geben, mich für eine Nacht in dir zu vergraben. Da sie noch nicht zum Schlag ausgeholt oder ihm in die Eier getreten hatte, nahm er an, dass er seine Sache bisher ganz gut gemacht hatte.

Doch mit jedem Tag wurde es schwerer, die Hitze zu verbergen, von der er vermutete, dass sie in seinen Augen flirrte, wenn er sie erblickte. Er konnte nicht anders. Er hielt sich für einen anständigen Kerl, aber er war verdammt noch mal alles andere als ein Heiliger. Ihre zierliche, elfenhafte Gestalt und ihre subtilen Kurven wurden von ihrer kurzen Arbeitskleidung noch betont, und er konnte sich nur mit Mühe bezähmen, sie nicht im Geiste auszuziehen.

Und sie dann im Geiste zu vögeln.

»Irish«, ertönte Xans Stimme aus dem Headset. »Hast du im Auge, was sich drüben bei den Billardtischen zusammenbraut?«

»Wie oft habe ich dir gesagt, dass wir es auf dieser Seite des großen Teichs ›Pool‹ nennen? Du klingst wie ein Arsch.«

»Richtig, du dagegen klingst wahnsinnig gebildet mit deinem Bostoner Akzent, du verdammter Southie.« Xan schoss mit einem Hinweis auf Aidens Herkunft aus dem Südbostoner Arbeiterviertel zurück.

»Immer noch besser, als ein Yorkie zu sein, du Depp«, zahlte Aiden es seinem Freund mit einer Anspielung auf die Heimat des Yorkshire-Terriers heim.

Manche Freunde tranken Bier miteinander und umarmten sich. Manche schlugen auf Punching-Balls und schissen einander zusammen. Aiden und Xan gehörten zu der Sorte, die sich nicht zärtlich umarmte.

Er sah auf und entdeckte zwei Typen, die bereits eine hitzige Auseinandersetzung hatten, aber das Handy vibrierte an seiner Hüfte, bevor er auch nur einen Schritt in ihre Richtung getan hatte. Scheiße. Nur sehr wenige Personen hatten seine Nummer. Schon gar keine, die er abwimmeln konnte. Er schaute auf das Display und stieß einen leisen Fluch angesichts der SMS aus.

»Xan, ich muss mal telefonieren. Meinst du, du wirst allein mit dieser Sache fertig?«

»Sieh dir an, mit wem du redest. Natürlich werde ich mit denen fertig. Ich werde mit allem fertig.« Xander war für viele Dinge bekannt. Bescheidenheit zählte nicht dazu. »Mach deinen Anruf, aber beeil dich. Ich will dieses hübsche Vögelchen anquatschen, das mich die ganze Zeit mit den Augen bumst.«

»Auch wenn es ein Schock für dich ist«, antwortete Aiden auf dem Weg in das hintere Büro, »aber dein Sexleben ist nicht meine oberste Priorität.«

»Ebenso wenig wie dein eigenes. Du musst mit diesem ganzen Quatsch aufhören und endlich …«

»Klappe, Xan.« Als er die Bürotür hinter sich schloss, dämpfte das den größten Teil des Lärms von der Bar. »Wenn ich deine Meinung hören will, frage ich dich schon.«

Er schaltete sein Funkgerät aus, zog sich den Knopf aus dem Ohr und ließ ihn über die Schulter baumeln. Aiden hasste diese Anrufe. Sie erinnerten ihn an Dinge, die er zu vergessen versuchte. Wie das Doppelleben, das er gegenwärtig führte.

Nach zweimaligem Klingeln ging ein Mann ran. »Hallo, O’Brien.«

»Wie läuft’s denn so, Jax?«

»Lief schon mal besser, Mann. Durch den Arbeitsstress und die Hochzeitsplanung ist V noch neurotischer als normalerweise. Dazu kommt noch die Sorge um ihre kleine Schwester. Ich erwäge ernsthaft, eine Annonce in den Kleinanzeigen zu schalten und nach einem alten und einem jungen Priester zu suchen, für einen Exorzismus.«

Aiden grinste und lehnte sich mit der Hüfte an die Kante des mit Papieren bedeckten Schreibtischs. »Also hoffst du, dass ein aktueller Bericht helfen wird, die Bestie zu besänftigen, ist es das?«

»Ich bin an diesem Punkt bereit, alles zu versuchen, aber ich dachte, dass ich dich vor der Zeitung anrufen sollte. Also, wie läuft es im Alligatorenkäfig? Lass mich raten: Ihr zwei seid durchgebrannt und macht irgendwo am Strand Babys.«

»Ich dachte, du wolltest gute Neuigkeiten.«

»Machst du Witze? Das wären großartige Neuigkeiten. Dann wären wir durch die Ehe mit zwei Schwestern quasi Brüder, und wir könnten das erste irisch-hawaiianische Team in Mixed Martial Arts gründen. Stell dir nur vor, wie cool unser Banner aussehen würde. Als Logo eine Ananas mit einem ausgestanzten irischen Kleeblatt.« Aiden fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Er hatte fast vergessen, wie anstrengend Jax sein konnte. Auf Außenseiter wirkte der Gute trügerisch gelassen und entspannt, aber jene, die das Glück hatten, ihn als Freund bezeichnen zu dürfen, wussten, dass der Bursche von grenzenloser Energie nur so strotzte und diese auf drei Dinge verwandte: Kämpfen, Surfen und seine Beziehung mit Vanessa, Kats älterer Schwester. Davon abgesehen war Jax der Typ Mann, auf den man sich verlassen konnte, wenn die Kacke am Dampfen war.

Und genau das war der Grund, warum Aiden sich in seiner gegenwärtigen Situation befand. Er stand in Jax’ Schuld. Tief.

Er kannte die Einzelheiten von Kats Situation nicht und wusste nur, dass sie Vanessa wegen einer größeren Sache um Hilfe gebeten hatte, bevor sie von ihrem letzten bekannten Wohnort verschwunden war. Jax und Vanessa hatten einen Privatdetektiv angeheuert, dem es gelungen war, sie in Alabaster aufzuspüren, aber Vanessa war nicht davon überzeugt, dass ihre Schwester nicht immer noch in irgendwelchen Schwierigkeiten steckte. An dem Punkt hatte er den Anruf von Jax bekommen, der ihn darum gebeten hatte, für zwei Wochen nach Louisiana zu fahren, um festzustellen, was Kat so trieb und ob es ihr gut ging.

Aber aus zwei Wochen waren inzwischen fast drei Monate geworden, in denen Aiden auf Kat aufgepasst hatte, ob es ihr gefiel oder nicht. Er erstattete Jax oder Vanessa regelmäßig Bericht, um sich vorzumachen, dass er um seiner Freunde willen in Alabaster blieb und nicht aus eigenem Interesse. Aiden steckte die Hand in seine Jeanstasche. »Ich wünschte, ich könnte helfen, aber es gibt hier nichts Neues zu berichten. Immer das Gleiche, weißt du?«

»Nun, ich würde sagen, das ist besser als die Alternative – die Erkenntnis, dass sie immer noch in Schwierigkeiten steckt«, sagte Jax. »Hör zu, ich wollte dir außerdem erzählen, dass ich morgen mit V zu einer Kreuzfahrt aufbreche. Wir werden zwei Wochen fort sein. Sie muss unbedingt mal ausspannen, bevor sie total zusammenklappt. Ich mache mir auch um Kat Sorgen, aber meine Verlobte hat Vorrang, und ich rechne fest damit, dass du dort in der Pampa mit allem fertig wirst, bis wir zurückkommen.«

Aiden nickte. »Sie lebt hier seit sechs Monaten ohne irgendwelche Zwischenfälle. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist praktisch gleich Null, also kümmere dich einfach um dein Mädchen. Ich habe die Dinge hier unter Kontrolle.«

»Danke, Mann.«

»Der große Tag kommt also näher, wie?«

Jax’ schwerer Seufzer drang deutlich hörbar und klar durch den winzigen Lautsprecher. »Ich bin mir nicht sicher. Sie hat das Datum bereits zweimal verschoben und einen neuen Termin festgesetzt. Eigentlich war diese Kreuzfahrt für die Flitterwochen geplant. Sie verschiebt die Hochzeit immer weiter und redet sich mit zu viel Arbeit heraus oder dass die Dinge noch nicht geregelt wären. Aber ich weiß es besser.«

»Ich hätte Vanessa nicht für eine Frau gehalten, die kalte Füße bekommt.«

»Darum geht es nicht, Bruder. Sie hofft immer noch, dass Kat sich endlich auf einen ihrer Anrufe hin melden und zustimmen wird, zu der Trauung zu kommen.«

Aiden hätte schwören können, dass diese Worte ihm einen Stich versetzten. Er stand seinen eigenen Schwestern sehr nahe. Unvorstellbar, nicht auf ihrer Hochzeit aufzutauchen. Colleen war seine irische Zwillingsschwester, was bedeutete, dass sie im gleichen Jahr geboren worden waren. Er war im Januar zur Welt gekommen und sie im Dezember. Während ihrer Kindheit und Jugend hatte sie für ihn und ihre kleine Schwester, Mary Catherine, oft die Rolle der Mama übernommen, wenn ihre Mutter bei einem ihrer zwei Jobs war. Und außerhalb des Hauses hatte Aiden seine Schwestern beschützt und sich um sie gekümmert.

Sie waren immer die Musketiere gewesen; sie drei gegen den Rest der Welt. Oder jedenfalls das, was damals ihre Welt gewesen war. Es war ihm schwer gefallen, sich während der letzten Jahre von ihnen fernzuhalten, auch wenn er es zu ihrem eigenen Wohl tat. Aber diese Bande zu seinen Geschwistern endgültig durchzuschneiden würde er nie im Leben verkraften.

Aiden rieb sich den Mund. »Tut mir leid, das zu hören, Mann. Hoffentlich wird einer der nächsten Anrufe bei Kat wegen der Hochzeit Erfolg haben.«

»Ich habe eine bessere Idee. Schnapp sie dir, entführ sie nach Hawaii, dann veranstalten wir eine Doppelhochzeit. Ich habe gehört, dass so etwas total in Mode sein soll.«

»Ja, sicher. Das wird bestimmt nicht passieren, Bruder«, wiederholte er mit dem hawaiianischen Akzent seines Freundes spöttisch.

»Okay, na schön«, entgegnete Jax. »Aber Scherz beiseite, Mann. Soweit V weiß, hat Kat eine wirklich üble Geschichte mit Männern hinter sich. Ich kenne sie nicht, aber ich kenne dich. Du bist ein guter Kerl, O’Brien. Du würdest sie ordentlich behandeln, und sie würde dich vielleicht sogar daran erinnern, dass du nicht das Stück Scheiße bist, für das du dich hältst. Wer weiß, du könntest dich vielleicht sogar verlieben.«

Aiden stieß sich von dem Schreibtisch ab und umklammerte das Telefon so fest, dass es vermutlich kaputtgehen würde, wenn er es länger so drückte. »Das ist unmöglich, Jax. Und du weißt es.«

»Das ist der Punkt, in dem du dich irrst«, antwortete sein Freund vielsagend.

»Ich habe die Schwester meines besten Freundes getötet, und das macht mich nicht unbedingt zu einem liebenswerten Typen.«

»Jeder Mensch verdient es, geliebt zu werden, O’Brien. Selbst du. Du hast dich einfach zu sehr in der Vergangenheit verloren, um das zu sehen.«

Da Aiden außerstande war, den Kloß in seiner Kehle wegzubekommen, der verhinderte, dass er noch etwas sagen konnte, legte er auf. Er konnte sich nicht um die Scheiße in seinem Kopf kümmern, die ihn gerade zu überwältigen drohte. Die Bar würde bald schließen. Er musste sich darauf konzentrieren, den Rest des Abends hinter sich zu bringen; dann würde er nach Hause gehen und trainieren, bis er fast das Bewusstsein verlöre oder zumindest zu müde wäre, um zu denken. Vollkommene körperliche und geistige Erschöpfung war inzwischen seine einzige Möglichkeit, sich selbst zu therapieren.

Als er den Hauptraum der Bar betrat, sah er Kat mit einem Gast streiten. Aiden drängelte sich durch die Menge, näherte sich den vier Männern in der Nische und stellte sich zwischen den Großmäuligen und Kat. Am Tisch wurde es still, als er sich vor den Männern aufbaute und die Arme vor der Brust verschränkte.

Nachdem er den betrunkenen Gast lediglich mit einem durchdringenden Blick bedacht hatte, richtete er seine Frage an Kat. »Wo liegt das Problem?«

»Er meckert nur wegen seiner Rechnung«, antwortete sie. »Das bedarf deiner Dienste nicht, Irish.«

Aiden feixte beinahe. Sie war so stolz, dieses Mädchen. Doch das gefiel ihm an ihr, und sie hatte recht. Mit einer Kabbelei wegen einer Rechnung konnte sie allein fertig werden. Er nickte ihr schnell zu und ging beiseite, blieb aber in Hörweite.

»Da wir gerade von Diensssten sprechen«, nuschelte der Mann. »Was nimmsssdu für deine Dienssste?«

Kat schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge. »Komm schon, Karl. Hat deine Mama dich nicht dazu erzogen, eine Dame niemals nach ihren Diensten zu fragen, es sei denn, sie bietet sie als Erste an?«

»Meine Mama iss davongelaufen, als ich noch klein war, aber mein Daddy hat mich vieldrrüber gelehrt, wasss man mit die Damen anfangkann.« Die Männer an seinem Tisch brachen in Gelächter aus und stießen einander in die Rippen.

»Da bin ich mir sicher«, antwortete sie. »Hör mal, warum bezahlst du nicht die sieben Runden, von denen wir beide wissen, dass du sie bestellt hast? Und ich spendiere euch auf Kosten des Hauses einen Absacker.«

Karl kniff die Augen zusammen, und ein Hohngrinsen verzerrte seine Lippen, als er sich vorbeugte. »Ich sssag dir was. Ich werde für die sssechs Runden bezahlen, von denen ich weiß, dass ich sie bestelltabe, und statt einer freien Runde kannssst du uns deine Titten zeigen.«

Aidens Körper war mit einem Mal so straff gespannt wie eine Bogensehne. Mit einem einzigen Schritt erreichte er die Nische, riss den Mistkerl an seiner Hemdbrust vom Stuhl und hielt ihn auf eine Weise fest, dass seine Zehen kaum mehr den Boden berührten.

Der Mann zitterte buchstäblich. Seine Augen waren so groß, dass er aussah, als bereite er sich auf eine Augen-OP vor, und er hatte den Kopf so weit nach hinten gebogen, dass er wie eine Comicfigur wirkte. Aiden besaß mindestens zwanzig Pfund Muskeln und war fast fünfzehn Zentimeter größer als der Typ. Ganz zu schweigen von seiner Fähigkeit, ihm auf Dutzende verschiedene Arten die Knochen zu brechen, falls ihm die Idee kam zuzuschlagen.

»Sag das noch mal, Arschloch«, knurrte er. »Wage es, das noch mal zu sagen, du verdammter Mistkerl.«

»Ich habe nur Witze gemacht, Mann, dassschwöre ich!«

»Irish, ich kann …«

»Ich habe alles unter Kontrolle, Syd. Geh wieder an die Arbeit«, sagte er so gelassen wie möglich. Der Zorn schäumte gefährlich dicht unter der Oberfläche. Auf keinen Fall wollte er irgendetwas davon auf sie umleiten, aber dank dieses Trottels hing seine Selbstbeherrschung am seidenen Faden.

Mit einem angewiderten Seufzer riss sie sich das Handtuch von der Schulter und stolzierte in Richtung Theke davon. Er wartete, bis er sicher war, dass nicht ihr halsstarriges schottisches Temperament mit ihr durchging. In diesem Fall wäre sie zweifellos zurückgekommen und hätte sich selbst verteidigt. Schließlich nahm Aiden die gefalteten Geldscheine, die er in der Brusttasche des Mannes sah, setzte ihn auf den Boden, warf einen Blick auf die Summe, die auf dem Rechnungszettel stand, und blätterte die Geldscheine durch – größtenteils zerknitterte Ein-Dollar-Scheine und einige wenige Fünfer.

»Dir fehlen immer noch sieben Dollar«, stellte Aiden fest. »Will irgendeiner von deinen Freunden den Rest und das Trinkgeld der Dame blechen?«

Die drei anderen Männer antworteten im Chor: »Karl hat gesagt, er würde bezahlen« und »Ich habe nichts dabei.« Aiden behielt das Geld und die Rechnung. Dann stieß er Karl hart mit einem Finger in die Brust und baute sich über ihm auf, um seinen Standpunkt klarzumachen.

»Du bist für heute Nacht fertig, Karl. Wenn du das nächste Mal herkommst, wirst du an zwei Dinge denken: Erstens, du bringst genug Geld mit, um für deine Rechnung aufzukommen und ein großzügiges Trinkgeld für die Kellnerin zu bezahlen, die ihren Hintern bewegt, um dir dein Bier zu bringen. Und zweitens, du wirst die Kellnerinnen mit dem Respekt behandeln, den sie verdienen. Kapiert?«

Karl nickte mit so viel Enthusiasmus, dass er aussah wie eine Wackelkopffigur auf Speed.

»Gut«, sagte Aiden. »Jetzt geh nach Hause.«

Der Mann und seine kleine Truppe verschwendeten keine Zeit, dem Befehl Folge zu leisten, und damit hatte Aiden an diesem Abend ein weiteres Problem gelöst.

Er legte den fehlenden Betrag zu den Scheinen von Karl, damit Kat nichts von ihrem Lohn abgezogen wurde, dann gab er dem Barkeeper das Geld, damit dieser die Rechnung verbuchte. Aus dem Augenwinkel sah er Kat durch den Flur zu dem hinteren Büro und der Angestelltentoilette gehen. Er schnappte sich einen weiteren Schein aus seiner Brieftasche und folgte ihr.

»Sydney.«

Sie drehte den Kopf, kurz bevor sie die Toilette betrat. Aiden ging auf sie zu und trat neben sie, außerstande, irgendetwas zu sagen. So war das jedes Mal bei ihm. Wann immer er ihr in der Bar zu Hilfe kam, hatte er keine Probleme, mit ihr zu sprechen. Er mochte ein Mann sein, der nicht viele Worte machte, aber das bedeutete nicht, dass er nicht alles sagte, was er sagen musste, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.

Doch wenn er mit Kat allein war, bekam er keine verdammte Silbe heraus. Er hatte Angst, dass aus seinem »Hey, wie war dein Wochenende?« etwas ganz anderes werden würde. Dass, wenn er den Mund öffnete, um irgendetwas zu sagen, all die Dinge heraussprudeln würden, die zu sagen er sich nicht gestatten durfte.

Scheiße, du bist alles, woran ich denken kann. Ich will deinen Körper an meinem spüren und deine Beine um meine Taille schlingen. Es fühlen, wie du um meinen Schwanz herum kommst. Ich will dich einatmen, bis du das Einzige in mir bist.

Also hielt er ihr, statt dieses Risiko einzugehen, lediglich den Zwanzig-Dollar-Schein hin, bis sie ihn annahm. Widerstrebend wie immer.

Mit dem Geldschein in der Hand bemerkte sie: »Ich habe dir gesagt, dass du das bleiben lassen sollst.«

»Ich weiß.«

Er zwang sich, sich umzudrehen, und kehrte in die Bar zurück.

»Irish.« Kurz bevor er den Hauptraum betrat, blieb er stehen, um über seine Schulter zu ihr hinüberzuschauen. Ihr Gesichtsausdruck war weicher geworden, die Linien um ihre blaugrünen Augen verschwunden. »Danke«, sagte sie. »Für das, was du da drin getan hast.«

Aiden nickte und ging weiter Richtung Bar. Während er sich einen Weg durch die Menge bahnte, hörte er noch einmal Jax’ letzte Worte im Kopf.

Jeder Mensch verdient es, geliebt zu werden. Selbst du.

Doch Jax irrte sich. Soweit es Aiden betraf, hatte er dieses Recht vor fünf langen Jahren auf einer regennassen Bostoner Straße verloren. In der Nacht, in der er Janeys Leben beendet hatte.

2

Kats beschissener Abend war gerade noch schlimmer geworden.

Sie hatten sie gefunden.

Zwei Staaten weiter mit einem falschen Namen – und sie hatten es nach sechs Monaten trotzdem geschafft, sie zu finden. Wie, spielte keine Rolle. Es war das Warum, das sie innerlich zerfraß.

Der Bierdeckel mit den feuchten Flecken und einer hastig gekritzelten Notiz bebte in ihren zitternden Händen. Sie riskierte einen schnellen Blick über den schlecht beleuchteten Angestelltenparkplatz hinter Lou’s Riverview, starrte abermals auf die Worte und betete, dass sie sie falsch verstanden hatte.

Zeit zu bezahlen!

Wir haben ein Auge auf dich, und unsere Ohren sind überall.

Du hast 48 Std.

Nein. Sie hatte gleich beim ersten Mal richtig gelesen. Grob übersetzt bedeutete die Notiz, dass Antony Sicoli in den nächsten zwei Tagen sein Geld wollte, anderenfalls konnte sie sich ein weiteres Mal auf die Notaufnahme freuen. Oder diesmal das Leichenschauhaus.

Die Notiz sagte ihr außerdem, dass sie beobachtet wurde und Sicoli bereits einen Helfer in der feinen Gesellschaft Alabasters rekrutiert hatte.

Mit anderen Worten, Kat MacGregor war absolut und vollkommen im Arsch.

Sie rang darum, die Säure in ihrem Magen zu behalten, wo sie hingehörte, und verfluchte sich doppelt und dreifach. Sie hätte es besser wissen sollen. Sie hätte ihr rotblondes Haar pechschwarz färben und es sich vielleicht gute zwanzig Zentimeter abschneiden sollen, sodass es ihr nur bis zum Kinn reichte. Sie hätte ihre Sommersprossen mit dicken Schichten Make-up bedecken sollen wie die anderen verlorenen Seelen, die für beschissene Trinkgelder und lüsterne Bemerkungen bei Lou arbeiteten.

Kellnern in diesem heruntergekommenen Lokal in den Niederungen von Alabaster war bei Gott kein Traumjob. Aber Lou bezahlte unter der Hand und stellte keine Fragen, also war die Arbeit für jemanden, der auf der Flucht war, der perfekte Job.

Kat durchwühlte ihre Handtasche und suchte verzweifelt nach den Schlüsseln für ihren kackbraunen 1984er Chevy Celebrity, weil sie das bisschen Sicherheit brauchte, das seine verrostete Karosserie ihr bot. Der Wagen mochte schrottig sein, aber er war die einzige Konstante in ihrem Leben gewesen, seit sie mit siebzehn Jahren ihr Elternhaus verlassen hatte.

Naja, der Wagen und Lenny.

Verdammter Lenny. Sie hatte gewusst, dass er es nicht weit bringen würde, seit sie in ihrem ersten Highschool-Jahr miteinander angebändelt hatten, aber das war ihr egal gewesen. Er hatte den Celebrity gehabt und war bereit gewesen, sie von zu Hause wegzubringen, weit weg von dem Scheiß, der sich innerhalb dieser vier Wände abgespielt hatte. Wen kümmerte es also, wenn seine Vorstellung von einem Job sich im Casino abspielte, während sie hier und da als Kellnerin jobbte, um dafür zu sorgen, dass sie genug hatten, um sich irgendwie über Wasser zu halten? Frustrierend, aber gewiss nicht das schlimmste Szenario, das sie sich vorstellen konnte.

Doch die Situation, der sie vor einem halben Jahr in Nashville mit knapper Not entkommen waren, hatte sich von frustrierend zu lebensbedrohlich entwickelt. Lenny hatte die Sache gründlich vermasselt, als er sich bei dem größten Verbrecherboss in Tennessee mit zwanzig Riesen verschuldet hatte. Zum Teufel, Sicoli war wahrscheinlich der einzige Verbrecherboss in Tennessee, und Lenny hatte es trotzdem geschafft, sich ausgerechnet mit ihm anzulegen.

Sie hatten gemacht, dass sie aus Nashville wegkamen, nachdem Sicolis Männer Lenny eine unmissverständliche Nachricht geschickt hatten – denn nichts sagt so deutlich »Bezahle, oder es passiert etwas« wie ein Unfall der eigenen Freundin. Also war Kat mit einigen gebrochenen Rippen und einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus gelandet und dazu mit einem geschwollenen Gesicht, das es mit der letzten Szene in einem Rocky-Film aufnehmen konnte. Kurz: Es war höchste Zeit gewesen zu verschwinden. Und so waren sie in der hinterwäldlerischen Stadt Alabaster gelandet.

Kat lachte sarkastisch und schüttelte den Inhalt ihrer Handtasche, in der Hoffnung, dass ihre Schlüssel auftauchen würden. Was für eine Fehlbenennung. Die Person, der diese Stadt ihren Namen verdankte, war entweder sehr naiv oder vollkommen blind gewesen. Alabaster hatte nichts Weißes oder Durchscheinendes an sich, sondern bestand vielmehr aus der gleichen Palette von Grün- und Brauntönen wie das schmuddelige Sumpfland am Mississippi.

Aber so beschissen Alabaster auch war, es hatte sich als ein anständiger Ort erwiesen, um sich zu verstecken. Zumindest bis zum vergangenen Monat, als Lenny mit einem ziemlich großen Vorrat an Crystal Meth von der Polizei erwischt und wegen »Drogenbesitz mit der Absicht zu verkaufen« angeklagt worden war. Crystal Meth! Als sie ihn endlich dazu gebracht hatte, sich bereit zu erklären, das Glücksspiel sein zu lassen, hätte sie in einer Million Jahren nicht gedacht, dass er anfangen würde, Drogen zu verkaufen. Nicht dass sie erwartet hätte, er würde sich eine ehrliche Arbeit suchen – so ein Mann wäre ja wohl kaum bei ihr geblieben –, aber Drogen?

So oder so, es spielte keine Rolle. Durch seine Verhaftung hatte Lenny ihr indirekt einen Gefallen getan. Sie lebte zum ersten Mal allein, was ihr klargemacht hatte, dass sie auf eigenen Füßen stehen konnte. Ihr ganzes Leben war sie von einem anderen Menschen abhängig gewesen, der sich um alles gekümmert hatte. Aber das gehörte jetzt der Vergangenheit an.

Als Lenny seine Strafe in der Elayn-Hunt-Besserungsanstalt angetreten hatte, hatte Kat beschlossen, jeden Penny zu sparen und die Stadt zu verlassen – und mit ihr Lenny –, bevor er aus dem Gefängnis kam.

Und sie hatte törichterweise gedacht, dass die Dinge gut liefen. Zum ersten Mal seit zehn Jahren hatte sie ihre Freiheit genossen, die Chance auf ein neues Leben, in dem sie sich keine Sorgen darüber machen musste, welchen Mist Lenny gerade mal wieder baute. Aber ironischerweise war er jetzt in der Besserungsanstalt in Sicherheit, während sie hier in der realen Welt festsaß, mit Männern, die etwas wollten, was sie nicht liefern konnte.

Einfach wunderbar.

Endlich ertastete sie ihre Schlüssel und zog sie heraus. Mit zitternden Händen fummelte sie an dem Bund herum und ließ es prompt in den Dreck und die Dunkelheit zu ihren Füßen fallen. Fluchend bückte sie sich, um die Schlüssel aufzuheben, als sie ein paar Meter hinter sich ein lautes Schlurfen hörte. Ihr Herz raste, und ihr stockte der Atem bei dem Gedanken, sich tatsächlich Sicolis Schlägern stellen zu müssen, bis sie die trunkene Wiedergabe eines Songs von Alan Jackson hörte, der die Schritte begleitete. Kat war sich ziemlich sicher, dass kein Mafiaganove, der etwas auf sich hielt, sich seinem Opfer so achtlos nähern würde. Oder so unmelodisch.

Mit einem tiefen Atemzug ergriff sie ihre Schlüssel, stand auf und drehte sich um. Rick stand vor ihr, einer der Dreifachstammgäste im Lou’s. Was bedeutete, dass er regelmäßig dort war, regelmäßig betrunken war und sich regelmäßig wie ein Arschloch benahm.

»Hey, du, Sexy-Syd. Hast du auf mich gewartet?«, fragte er und stützte sich mit einem Arm auf den Celebrity.

Es war schlimm genug, auf einen Tarnnamen hören zu müssen. Dass Rick ihn in einen lächerlichen Spitznamen verwandelte, war noch schlimmer. Nachdem sie gerade eine Doppelschicht hinter sich gebracht hatte, war sie müde, ihr taten die Füße weh, und die Muskeln in ihrem Rücken brannten. Und das war ihr Zustand gewesen, bevor sie die fröhliche Notiz unter ihrem Scheibenwischer entdeckt hatte. Also war es fast mehr, als sie ertragen konnte, sich auch noch um Ricks Anmache kümmern zu müssen.

»Verpiss dich, Mullineaux, ich bin nicht in Stimmung. Steig in deinen Laster und sieh zu, dass du wieder nüchtern wirst. Der Laster steht übrigens auf dem vorderen Parkplatz.« Dann drehte sie sich in der Hoffnung, dass er den Hinweis verstanden hatte, von ihm weg, um ihre Tür aufzuschließen.

»Es ist nicht nötig, so verdammt unhöflich zu sein, Missy«, zischte er, wobei sein ausgeprägter Bayou-Akzent vernuschelt klang. »Du denkst wohl, du wärst was Besseres als die anderen Schlampen, die für Lou arbeiten, aber das bist du nicht.«

Seine Worte krochen ihr wie tausend Spinnen über die Haut. Sie nahm ihre Schlüssel zwischen die Finger, ballte die Faust und machte die Selbstverteidigungsgeste, die sie nach einem ihrer Lieblingscharaktere aus einem Marvel-Comic benannte hatte: den Vielfraß. Nicht zum ersten Mal – nicht einmal zum hundertsten Mal – wünschte sie, sie besäße tatsächlich echte Superkräfte. Dann hätte sie kein Problem, mit Abschaum wie Rick Mullineaux fertig zu werden.

Kat holte tief Luft und machte sich bereit, sich der Bedrohung zu stellen. Dann sagte sie: »Geh nach Hause, Rick. Ich suche weder mit dir noch mit irgendeinem anderen hier Streit. Ich will einfach nur arbeiten und in Ruhe gelassen werden.«

»Das ist wirklich verdammtes Pech, stimmt’s? Ich habe nämlich keine besondere Lust, dich in Ruhe zu lassen.«

Er trat vor und drängte sie gegen die Tür. Bevor er Hand an sie legen konnte, reagierte Kat, ritzte mit den Schlüsseln seine Wange auf und hinterließ dort einen blutigen Kratzer.

»Du Miststück!«

Sie holte aus, versetzte ihm einen festen Stoß, wirbelte herum und streckte dann die Hand nach dem rettenden Türgriff aus.

Bedauerlicherweise hatte sie die Logistik ihres Fluchtversuchs nicht durchdacht. Sie hatte Rick mit so viel Wucht weggestoßen, dass er rückwärts geflogen war … wo er von dem Wagen abprallte, der neben ihrem stand, nach vorne schnellte und sie zwischen seinem Bierbauch und dem Celebrity einklemmte. Im nächsten Moment fasste er sie mit einem brutalen Griff um die Hüften.

Sofort kamen die Albträume zurückgeflutet, die sie jahrelang in sich verschlossen gehalten hatte, und ihr altes Verteidigungssystem gewann die Oberhand. Sie konnte spüren, wie sie sich ausklinkte. Wie sie geistig in diese dunkle Leere glitt, in der nichts existierte. Nichts Schlimmes und nichts Gutes.

Einfach … nichts.

Er würde jetzt mit ihr machen können, was immer er wollte. Ihre Versuche, sich selbst zu schützen, hatten in dem Moment ein Ende genommen, als er sie berührt hatte.

Sie sperrte sich geistig gegen das, was nun kam, und stellte sich tot. Alles, was übrig blieb, war die Hoffnung, dass das Tier früher oder später die Lust an seinem grausamen Spiel verlieren würde. Und dass dann noch genug von ihr übrig war, um sich nach Hause zu schleppen.

Aiden trat durch die schwere, stählerne Hintertür der Bar und zündete sich die Zigarette an, die bereits zwischen seinen Lippen klemmte. Die drückende Augusthitze schlug ihm entgegen. Hier im Süden war die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass seine Kehle sich anfühlte, als würde sie sich bei jedem Atemzug mit Flüssigkeit füllen. Dann schon lieber etwas karzinogener Rauch als diese modrige Feuchtigkeit in seinen Lungen.

Er hatte die ganzen zweiunddreißig Jahre seines Lebens in Boston verbracht und den Winter gehasst, wann immer er gekommen war. Aber langsam erschien ihm ein Schneesturm besser zu sein als Louisianas drückende Sommerhitze. Obwohl wahrscheinlich selbst ein Höllenloch wie Alabaster eine Verbesserung war, wenn man bedachte, dass er hier nicht an jedem verdammten Tag seiner Vergangenheit ins Gesicht zu sehen brauchte.

Er nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und beobachtete die kirschrote Glut, wie sie in der Dunkelheit aufleuchtete, während sie sich durch Tabak und Papier fraß. In Stunden wie dieser wünschte er sich, sich nach dem langen Abend mit einem kalten Bier zu entspannen. Aber seit fünf Jahren war kein Tropfen Alkohol mehr über seine Lippen gekommen, und so würde es auch bleiben.

Die Freitage waren immer am schwersten. An diesen Abenden verdienten sich Aiden und die anderen Cooler definitiv ihre Gehaltsschecks. Er hatte heute vier Faustkämpfe verhindern müssen, und dabei war die Auseinandersetzungen nicht mit eingerechnet, die Xander geregelt hatte.

Aber, rief er sich ins Gedächtnis, jeder Abend, an dem er nicht die Fäuste gebrauchen musste, war für ihn ein Gewinn. Denn gleich nach der Null-Alkohol-Regel kam seine gleichermaßen strenge Null-Kämpfe-Regel. Kein leichtes Unterfangen für einen temperamentvollen irischen Southie, der sich seinen Lebensunterhalt früher als professioneller MMA-Fighter verdient hatte.

Als er einen Schwall weißen Rauchs ausatmete, hörte er das Murmeln eines Gesprächs, das auf dem hinteren Teil des Parkplatzes geführt wurde. Das schwache Flutlicht über dem rückseitigen Tor beleuchtete die Szene kaum. Er konnte nur schattenhafte Gestalten erkennen, aber eine davon war definitiv weiblich, und nach den nachlässigen Bewegungen der sich über sie beugenden Silhouette zu urteilen, war die andere ein betrunkener Gast.

Aiden wusste, dass einige der Kellnerinnen mehr taten als nur den Gästen ihre Drinks zu bringen. Obwohl ihm die Vorstellung nicht gefiel, hielt er sich aus ihren Angelegenheiten heraus, so wie sie sich aus seinen heraushielten. Es war das unausgesprochene Gesetz von Lou’s Riverview.

Da er nicht das Verlangen verspürte, etwas zu beobachten, was er sich später mit Bleichmittel aus den Augen waschen musste, ließ er seine Zigarette fallen und drehte sich um, um in die Bar zurückzukehren. Gerade als er die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, hörte er den Mann zornig aufschreien, gefolgt von den Geräuschen einer Rangelei. Wie angewurzelt blieb er stehen.

Dann wirbelte er herum und lief zu dem Paar hinüber. Auf dem Weg zu ihnen zählte er seine Schritte, um sich daran zu erinnern, dass er sein Temperament im Zaum halten musste. Als er nah genug war, um sich der Geschehnisse sicher zu sein, ballte er so fest die Fäuste, dass seine Knöchel knackten. Und in der Sekunde, in der er begriff, dass das Opfer Kat war, wäre Aiden vor Wut beinahe explodiert. Seine Instinkte feuerten Befehle an seine Muskeln, das Arschloch mit einem Superman-Boxhieb in die nächste Woche zu katapultieren, aber er schaffte es, sich zu zügeln, kurz bevor er die Beherrschung verlor.

Stattdessen packte er den Mann im Genick, riss ihn zurück und brüllte los, während er den Typen fast zwei Meter durch die Luft schleuderte, bis der mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden landete und sich nicht mehr rührte.

»Mullineaux, du verdammter Mistkerl«, stieß Aiden zwischen den Zähnen hervor. Er beugte sich über den reglosen Hinterwäldler und tastete nach seinem Puls. Er war beinahe enttäuscht, dass das Herz des Mannes noch immer schön gleichmäßig schlug. Nachdem er ihn an den Rand des Parkplatzes gerollt hatte, damit er seinen Rausch ausschlafen konnte, ging er nach Kat sehen.

Sie drückte sich immer noch an die Seite ihres Wagens und hatte nicht einmal den Kopf gedreht, um festzustellen, was geschehen war oder wohin ihr Angreifer verschwunden war. Aiden musterte sie von Kopf bis Fuß, um nachzusehen, ob der Mistkerl sie in irgendeiner Weise verletzt hatte. Ihr kurzer, schwarzer Rock, die Standardkluft der Kellnerinnen in Lou’s Riverview, saß immer noch dort, wo er hingehörte, aber das taillierte, weiße T-Shirt war aus dem Bund gezogen worden.

Sein Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken, dass irgendjemand, insbesondere Mullineaux, sie wie ein Stück Fleisch begrapscht hatte. Körperlich wirkte sie jung und unschuldig; das und ihre natürliche Schönheit passten so gar nicht zu ihrer Umgebung. Aber ihre Augen erzählten eine ganz andere Geschichte. Sie zeigten deutlich, dass sie von ihrer Vergangenheit verfolgt wurde, und in dieser Hinsicht passte sie sehr gut zum Rest der Außenseiter, die sich im Lou’s versammelten.

»Sydney?« Er konnte es nicht ausstehen, ihren falschen Namen zu benutzen, aber soweit es sie betraf, war er einfach ein x-beliebiger Kollege, der sie kaum kannte, und so musste es auch bleiben. »Er ist jetzt weg. Es ist okay.«

Nichts.

Scheiße.

Sie zitterte. Ihr Anblick erinnerte ihn an den Tag, an dem er und Mary Catherine in einer Ecke hinter ihrer Schule ein winziges Kätzchen gefunden hatten. Es hatte sich zu einem bebenden kleinen Fellball zusammengerollt und die Schnauze verborgen, als könne eine Bedrohung, die es nicht sehen konnte, auch nicht wahr werden. Er erinnerte sich daran, wie Mary Catherine in dieser Ecke gehockt und die winzige Kreatur gestreichelt hatte. Sie hatte dem Kätzchen so lange gut zugeredet, bis das Tier sich endlich sicher genug gefühlt hatte, um den Kopf hervorzustrecken.

Aiden war nie der logische und beruhigende Typ gewesen, sondern eher ein kaum unter Kontrolle gehaltenes Pulverfass. Diese Mentalität hatte ihm bei seinen professionellen Kämpfen gute Dienste geleistet, aber auch außerhalb des Käfigs hatte er immer zuerst zugeschlagen und später Fragen gestellt. Am Ende hatte das sein Leben ruiniert. Schlimmer noch: das Leben der Menschen, die er liebte.

Seit damals hatte er sein Bestes getan, das genaue Gegenteil zu sein. Es war ihm gelungen, sein Temperament im Zaum zu halten, und jetzt hoffte er, dass er es nicht total vermasseln würde, wenn er versuchte, gelassen und sanft zu sein.

Er erinnerte sich an Mary Catherine und das Kätzchen und schob sich hinter Kat, in der Hoffnung, sie aus ihrer Starre zu holen. Zögernd streckte er die Hand aus, um ihr über den Rücken zu streichen. Sobald seine Hand flach zwischen ihren Schulterblättern lag, keuchte sie auf, als würde sie mitten im Februar durch die Wasseroberfläche des Bostoner Hafens brechen.

Sie wirbelte herum und zischte: »Fass mich nicht an.«

Als er sie jetzt sah, mit dem Rücken flach gegen den Wagen gepresst und vor Angst geweiteten Augen, verspürte Aiden den Wunsch, Mullineaux mit bloßen Händen zu erwürgen. Es waren Jahre vergangen, seit er den Drang verspürt hatte, eine Frau in die Arme zu nehmen, abgesehen von Gelegenheiten, bei denen er die primitivsten sexuellen Bedürfnisse befriedigt hatte, aber während der letzten Monate hatte er sich bei dem Wunsch ertappt, Kat einfach zu halten und über ihren Kummer, worin immer er auch bestehen mochte, hinwegzutrösten.

Die jetzige Situation stellte keine Ausnahme dar. Aber Aiden konnte dem Drang aus verschiedenen Gründen nicht nachgeben, nicht zuletzt wegen seines Vorsatzes, ihr nicht zu nahe zu kommen.

Also hielt er stattdessen die Hände hoch und betete, dass der zweite Teil von Mary Catherines Methode besser funktionieren würde als der erste, dass das Reden mehr bringen würde, als es Streicheln getan hatte.

»Ich werde dir nicht wehtun, ich schwöre es.«

Die tiefe Stimme drang in Kats Ohren und ließ die Welt um sie herum wieder klarer werden.

Ich-wer-de-dir-nicht-weh-tun-ich-schwö-re-es.

Ihr Geist registrierte den Bostoner Akzent, und sie wusste, dass nur ein einziger Mann so sprach. Ein Mann, der trotz seiner Reserviertheit immer an ihrer Seite zu sein schien, wenn ein Gast sie begrapschte oder auch nur zu widerborstig wurde – ob sie seinen Beistand wollte oder nicht.

Es war ein Mann, dessen blaue Augen ihr das Gefühl gaben, gleichzeitig nackt und beschützt zu sein, und dazu reichte ein einziger Blick quer durch eine überfüllte Bar.

»Irish?«

»Ja.«

Die Erleichterung ließ Kat zuerst ihre Zehen wieder spüren und dann nach und nach ihren Körper, weckte ihre Sinne und verjagte die unterbewusste Lähmung, die sie mehr hasste als irgendetwas sonst. Sie begann, sich einigermaßen normal zu fühlen … bis sie bemerkte, dass Rick hinter Irish der Länge nach auf dem Boden lag, und ihr Puls sich wieder beschleunigte.

»Hey, zerbrich dir über ihn nicht den Kopf.« Irish trat beiseite, die Hände immer noch erhoben, zum Zeichen, dass er sie nicht bedrohte. Er versperrte ihr die Sicht, deutete mit zwei Fingern auf seine eigenen Augen und sagte: »Bleib bei mir, Kätzchen.«

Bei ihm bleiben? Was meinte er damit? Bevor sie etwas Dummes tun und vielleicht einfach nur wegen einer hingeworfenen Bemerkung in Ohnmacht fallen konnte, drang der letzte Teil seiner Worte in ihr Gehirn vor.

»Kätzchen?« Oh nein. Hatte er ihren wahren Namen entdeckt? War das seine Art, es sie wissen zu lassen? Dann kam ihr ein Gedanke, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Vielleicht ist er einer von Sicolis Männern. »Warum hast du mich so genannt?«