Flames of Love - Erik & Olivia - Gina L. Maxwell - E-Book

Flames of Love - Erik & Olivia E-Book

Gina L. Maxwell

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Beschreibung

SAFEWORD FIRE: DIE HEIßESTEN MÄNNER BOSTONS

Eric Grady ist am Tiefpunkt seines Lebens angekommen! Gerade wurde er von seinem Chef suspendiert. Er darf seine Einheit beim Boston Fire Department erst wieder anführen, wenn er das Trauma aus seinem letzten Einsatz als Soldat im Irak verarbeitet hat - mit Hilfe einer Psychotherapie! In dieser Stimmung lässt er sich auf den heißesten One-Night-Stand seines Lebens ein und staunt nicht schlecht, als er der geheimnisvollen Frau kurz darauf wieder gegenübersteht: Olivia ist seine Therapeutin ...

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmung1234567891011121314151617181920EpilogDie AutorinDie Romane von Gina L. Maxwell bei LYX.digitalImpressum

GINA L. MAXWELL

Flames of Love

Erik & Olivia

Roman

Ins Deutsche übertragen vonRalf Schmitz

Zu diesem Buch

Erik Grady lebt für seinen Job beim Boston Fire Department. Doch als ihn immer häufiger Flashbacks von seinem letzten Einsatz für die US Army einholen, setzt ihm sein Chef ein Ultimatum: Erik darf sein Team erst wieder anführen, wenn er sein Trauma verarbeitet hat. Dass er dafür Hilfe bei einer Psychotherapeutin suchen muss, behagt Erik gar nicht. Der ehemalige Soldat ist es gewohnt, keine Schwäche zu zeigen und seine Dämonen auf seine Weise in Schach zu halten. Um seinen Frust zu bewältigen, lässt er sich auf einen heißen One-Night-Stand mit einer schönen Unbekannten ein. Doch schon bei der ersten Berührung merkt er, dass Olivia ihm unter die Haut geht wie keine Frau zuvor. Als sie am nächsten Morgen verschwunden ist, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, ist er verzweifelt – bis er zu seiner ersten Therapiesitzung erscheint. Denn seine Psychologin ist niemand anders als die geheimnisvolle Frau, die ihm gezeigt hat, dass es für ihn mehr geben könnte als belanglose Affären …

Für alle tapferen Männer undFrauen bei der Feuerwehr

1

»Himmel, Wolf, wir sind in einem Nachtklub und nicht auf einer Beerdigung. Mach mal ein anderes Gesicht, okay? Kein Mädchen hat Lust, einen scheiß Totengräber zu vögeln!«

Erik »Wolf« Grady warf Gavin »Dozer« Greer, der seit siebzehn Jahren sein bester Kumpel war, einen finsteren Blick zu und formulierte ein lautloses Fick dich, aber so was von, Arschloch, bevor er am Tresen für jeden von ihnen ein Sam Adams und einen Jameson Highball orderte. »Das ist doch Bockmist, und das weißt du auch«, knurrte er. »Ich brauche keinen verdammten Seelenklempner, damit ich meinen Job richtig mache.«

Dozer zuckte mit den breiten Schultern, um zu signalisieren, dass Eriks Zorn den Riesen nicht mehr juckte als der Anruf eines »Vielfliegers« bei der Feuerwehr – eines paranoiden oder einsamen Zivilisten (im Regelfall beides), der zum wiederholten Male den Einsatz eines Ersthelfers verlangte, ohne dass ein echter Notfall vorlag. »Nichts zu machen, Mann. Der Chief hat gesprochen. Je schneller du es hinter dich bringst, desto eher bist du wieder dabei.«

Erik knirschte mit den Zähnen, um sich das gute Dutzend sarkastischer Bemerkungen zu verkneifen, das ihm durch den Kopf schoss. Schließlich war Dozer nicht für Eriks momentane Lage verantwortlich. Also brauchte er sich auch nicht wie ein Arsch aufführen und seinen Freund gegen sich aufbringen. Gebaut wie ein alter, solider Sherman-Panzer und auf robuste Art gut aussehend, taugte Dozer als Urbild des typischen amerikanischen Helden auf den Plakaten der Army – allerdings mit einem unüberhörbaren Bostoner Akzent. Zudem war er ein rotzfrecher, kompromissloser Scheißkerl, aber wenn es hart auf hart kam, wollte Erik keinen Mann lieber in seinem Team haben als ihn.

Erik kippte seinen Schnaps weg und orderte auf der Stelle den nächsten.

Vor zwei Stunden hatte er im Büro des Mannes gestanden, von dem er seit sieben Jahren im Distrikt 9 der Feuerwehr von Boston Befehle entgegennahm. Er respektierte Bill Marshall auf ganzer Linie, sowohl als Freund als auch als Vorbild – und Erik respektierte so schnell niemanden.

Andererseits war Erik der Respekt vor seinem Brandmeister als Berufssoldat, der zur Feuerwehr gewechselt war, seit mehr als fünfzehn Jahren gewissermaßen in die mentale DNS eingeprägt. Klar, manchmal hatte er sich seinen Vorgesetzten auch widersetzt oder ihnen hier und da widersprochen. Schließlich war man als Soldat nicht automatisch ein ahnungslos blökendes Schaf. Aber wenn es darauf ankam, befolgte er seine Befehle und erwartete dasselbe von jedem Mann, der seinem Kommando unterstand, sei es in der Army oder nun als Lieutenant der Spezialeinheit des BFD, Rettungswagen 2.

Aber jetzt … Scheiße! Noch keinem Befehl hätte er sich so gerne widersetzt wie diesem.

Er schüttelte die Erinnerung an das Gespräch ab und ließ den Blick durch den Phoenix Club schweifen. Es war ein typischer Freitagabend. Die Bässe der Housemusic drangen von allen Seiten auf Erik ein und wummerten in seiner Brust wie ein zweiter Herzschlag. Farbige Laser an der Decke über der Tanzfläche durchschnitten die Dunkelheit im Schnellfeuermodus und verwandelten den Club in den Albtraum eines jeden Epileptikers. Das Flackern erhellte die berauschten, einander auf die Pelle rückenden Menschen in ihren Zwanzigern und sorgte an den Tischen und in den Nischen ringsum für das nötige Zwielicht. Dort hingen für gewöhnlich die Dreißiger ab, nippten an ihren besseren Drinks und begutachteten die jüngeren Tänzer.

Wenn es nach Erik gegangen wäre, säßen sie jetzt in einem Pub wie Charley’s bei Fassbier und muffigen Brezeln, und würden Sport gucken oder gemeinsam Billard spielen. Er fühlte sich mit fünfunddreißig zu alt für die Klubszene, einer der Gründe, warum er nicht mehr so häufig ausging. Doch die anderen vier in seinem Team – eigentlich seine Brüder – mochten die Rave-Stimmung noch immer, die sie alles andere für ein paar Stunden vergessen und sie schlicht sie selbst sein ließ. Außerdem mochten sie die Frauen, und die Frauen mochten sie. Die fünf hatten sich mit den Jahren unter den Stammgästen einen gewissen Ruf erworben.

Während sie sich einen Weg durch die Menge zu ihrem Tisch bahnten, den die anderen schon vor seinem und Dozers Erscheinen reserviert hatten, gelang es Erik, sich nicht von der Handvoll Frauen aufhalten zu lassen, die ihn, wie er feststellte, aufs Korn genommen hatten. Wobei »aufs Korn genommen« hieß, dass sie ihn mit ihren Blicken auszogen. Die Mädchen, die im Phoenix feierten, waren gewöhnlich nicht gerade schüchtern und er konnte sich nicht erinnern, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, in der er mehr hatte unternehmen müssen, als den Frauen gegenüber sein bloßes Interesse anzudeuten.

Heute jedoch wollte er nur eines: sich betrinken. Er wusste, dass er äußerlich normal wirkte, doch in seinem massigen, ein Meter dreiundneunzig großen Körper tobten die Gefühle und seine Gedanken rasten.

Erik stieß einen resignierten Seufzer aus und zwang sich, an etwas anderes zu denken, während er einen der Sessel für sich beanspruchte. Er hatte seit dem Einsatz bei einem Kraftwerk, das in die Luft gegangen war, noch keine Nacht durchgeschlafen – und das sah man ihm an.

»Noch mal«, sagte Erik nach einem Schluck Bier, »ich brauche keinen verdammten Seelenklempner, um meinen Job richtig zu machen.«

»Dein psychologisches Gutachten sagt offenbar etwas anderes. Und das nicht ohne Grund, Wolf, und glaub bloß nicht, ich hätte deine Panikattacken im Dienst in letzter Zeit nicht mitbekommen.«

Erik ballte die Fäuste und bemühte sich, seine Zunge im Zaum zu halten. »Du hast ja keine Ahnung, wovon du redest. Wenn ich keine Luft mehr kriege, dann, weil wir die halbe Zeit keine Atemschutzmasken tragen, weshalb ich in letzter Zeit echt angefressen bin. Ich wäre nicht der Erste, der sich beim BFD eine Lungenerkrankung holt. Und ganz sicher auch nicht der Letzte.«

»Da hast du recht.« Dozer trank einen Schluck Sam Adams und schaute Erik dann in die Augen. »Aber du bist derjenige, dessen Psychogutachten dick und breit mit dem Vermerk Posttraumatische Belastungsstörung abgestempelt wurde.«

Erik fluchte. Am liebsten hätte er jetzt auf irgendwas eingedroschen, etwas Unnachgiebiges, damit ihn ein scharfer Schmerz durchführe, der ihn davon überzeugte, dass er noch unter den Lebenden weilte.

Aber er würde es lassen. Noch hatte er die Fähigkeit, Herr seiner Handlungen zu sein, nicht verloren, und das würde er auch nicht zulassen. Sein Kopf war allerdings eine andere Geschichte. Mit jedem Tag schien er mehr die Kontrolle über das zu verlieren, was darin vorging. Die Explosion in dem Kraftwerk hatte den mentalen Panzer durchlöchert, hinter dem er schon vor Jahren seinen ganzen Mist geparkt hatte. Aus Haarrissen waren in den letzten Wochen klaffende Lecks geworden, aus denen nun seine inneren Dämonen entwichen und sein Leben in ein beschissenes Chaos verwandelten.

Was nicht hieß, dass er total am Rad drehte. Jedenfalls noch nicht. Noch entschied er, wann und wo er wie viel Finsternis auf einmal zuließ. Das war seine Methode, und sie funktionierte. Konnte ja sein, dass die Anspannung in letzter Zeit ein bisschen größer war als sonst, aber das war noch lange nichts, womit er nicht klarkommen konnte.

Er würde sich ums Verrecken nicht einfach abservieren lassen. Er liebte seinen Job, und noch mehr liebte er die Männer und Frauen, mit denen er beim BFD diente. Er würde lieber sterben, als sie im Stich zu lassen, und er müsste schon gelähmt sein, um Dienst am Schreibtisch zu versehen, Papier zu stapeln und den Politiker zu spielen.

So viel war ihm klar gewesen, als er vorhin vor seinem Häuptling gestanden hatte. Er hatte Bill unverwandt angesehen und gefragt: »Wo muss ich hingehen?«

Bill hatte einen Schwall Luft ausgestoßen, als hätte er, während er auf Eriks Antwort wartete, die ganze Zeit den Atem angehalten, dann hatte er nach einem Aktenordner gegriffen und ihn Erik über den Schreibtisch gereicht.

Erik schlug den Ordner auf und sah in seinem Namen ausgefüllte Formulare sowie Informationen über einen Seelenklempner, dessen Name sich wie die Kreuzung aus einem Frühstücksgetränk und einer Figur aus Jäger des verlorenen Schatzes las. Und da ihm nichts Besseres einfiel, platzte es aus ihm heraus: »Soll der Name ein Witz sein?«

»Seelenklempner dürfen ziemlich sicher keinen Sinn für Humor besitzen«, gab Bill trocken zurück. »Sie melden sich da Punkt acht am Montag. Kommen Sie nicht zu spät, und vermasseln Sie es nicht. Es geht um Ihren Arsch.«

Erik schloss den Ordner und verkniff sich die passenden Bemerkungen, die ihm durch den Kopf schossen. »Ja, Sir.«

»Schön, dann raus mit Ihnen, mein Junge. Sie haben sicher noch was mit Ihrer Crew vor. Gehen Sie Dampf ablassen, ich melde mich dann nächste Woche bei Ihnen.«

Er antwortete dem Chief mit einem knappen Nicken und fuhr nach Hause, um sich für seine Verabredung mit den Jungs im Phoenix fertig zu machen. Zuhause. Mit Verachtung dachte Erik an das dürftige Apartment, das seinen gesamten weltlichen Besitz enthielt. Das hier war sein Zuhause, die Feuerwache Roxbury an der Columbus Avenue, und die Leute des Rettungswagens 2 sowie die Mannschaft des Löschzuges 42 waren seine Familie. Er war lieber in dem alten einstöckigen Gebäude, wo sie sich gegenseitig verarschten oder sich bei einem Einsatz den Hintern aufrissen, als irgendwo sonst auf der Welt.

Erik hatte schon als Ranger in der Army nur für seine Arbeit gelebt, genauso wie vom ersten Tag an als Feuerwehrmann. Der Job befriedigte seine Sucht nach Adrenalin und seine Kampfeslust, nur dass er nun nicht mehr gegen bewaffnete Terroristen kämpfte, sondern gegen Feuersbrünste und andere mitunter tödliche Gefahren. Außerdem bekam er so die Gelegenheit, den Menschen seiner Wahlheimat zu helfen. Sein Job hielt ihn außerdem zu sehr auf Trab, um Gedanken an die Vergangenheit aufkommen zu lassen.

Zumindest bisher. »Fuck«, brummte er bei sich. »Ich brauche ein verdammtes Hobby.«

»Hör mal, wieso greifst du dir keine von den heißen Fegern aus der Junggesellinnenparty da drüben und kommst mal auf andere Gedanken? Aber halt lieber die Klappe, sonst könnte die Stimmung kippen.«

Dozer, der seit seiner ersten Zeit in der Army so gerufen wurde, hielt sich nicht damit auf, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ob er es mit menschlichen Gefühlen zu tun hatte oder damit, dem Feind den Arsch zu versohlen, der Ausdruck »leisetreten« kam in seinem Wortschatz nicht vor. Worum es auch ging, Gavin walzte durchs Leben, ohne jemals einen Blick zurück auf das Gemetzel zu werfen, das er angerichtet hatte. Nicht dass er ein unsensibler Arsch gewesen wäre – jedenfalls nicht immer –, er ging bloß davon aus, dass es einen verdammt guten Grund dafür gab, wenn er jemanden mit seinen Äußerungen aus der Bahn warf. Es gab auf der Welt nur zwei Menschen, bei denen der Typ weich wurde: seine Mom und seine kleine Schwester Gabrielle.

»Beim letzten Mal habe ich noch keine Tipps von dir gebraucht, um mich flachlegen zu lassen, Doze. Erik leerte sein Sam Adams, bevor er sich dem Glas Jameson, seinem Lieblingsdrink, zuwandte. »Und verzeih mir, wenn ich nur grenzwertig gut gelaunt bin, nachdem ich meinen Scheißjob verloren habe.«

»Hey, was habe ich dir gesagt?«, erinnerte Dozer ihn. »Es geht nur um eine längere Beurlaubung, nur so lange, bis du deinen Scheiß wieder auf die Reihe kriegst.«

»Und ich habe dir gesagt, dass es keinen Scheiß gibt, den ich auf die Reihe kriegen müsste.« Nicht sehr viel Scheiß zumindest.

Dozer ließ den Blick schweifen, wahrscheinlich auf der Suche nach seiner nächsten ätzenden Bemerkung, als sein Blick an etwas hängen blieb. Erik musterte die gut besuchte Bar, weil er sehen wollte, was die Aufmerksamkeit seines Freundes erregt hatte, und blieb bei einer drallen Bedienung hängen, die an einem Ecktisch auf der anderen Seite des Raumes Drinks servierte. Als einer der Typen in der Nische eine Hand auf ihrer nackten Taille platzierte, schlug Dozer mit der Faust auf den Tisch.

Womit Erik klar war, dass Dozer mehr als nur ein flüchtiges Interesse an dieser heißen Frau hatte, die sich nun ihren Weg zurück an die Bar bahnte.

Dozer behielt sie im Auge, bis sie aus seiner Sichtweite verschwunden war, dann öffnete er die Faust auf dem Tisch und beugte sich zu Erik, als hätte es gerade zwischen ihnen keine Gesprächspause gegeben. »Hör mal, ich verstehe dich ja. Wirklich –«

Klar, sein Freund verstand ihn. Genau wie die drei anderen in ihrem Team. Sie hatten alle ihre Dienstzeiten im Irak oder in Afghanistan abgerissen, bevor sie beim BFD angefangen hatten. Und jeder von ihnen hatte mehr als nur einen Albtraum aus dem Krieg mitgebracht.

»– aber du weißt genau, dass sie in der Sache nicht nachgeben werden. Geh zu den Sitzungen, sieh zu, dass du die Unterschrift von dem Psychofritzen kriegst, und schaff deinen Arsch dahin zurück, wo er hingehört.«

Erik nickte ihm knapp zu. So sah es aus. Das war der Plan. »Schon erledigt.«

»Gut«, sagte Dozer. »Aber zackig, ja? Der Captain will, dass ich ihm solange den LT mache, besonders glücklich bin ich über die Beförderung nicht. Zu viel Papierkram, zu viel Verantwortung. Kannst den Mist gerne behalten.«

Erik schüttelte den Kopf. »Das werde ich nie kapieren, Mann. Du warst ein verflucht guter Ranger, zum Teufel, du hättest sogar ein verflucht guter Regimentskommandeur sein können, wenn du nicht jede Beförderung abgelehnt hättest, bloß um bei der Einheit bleiben zu können. Und jetzt gibst du dich wieder damit zufrieden, meine Nummer zwei zu sein, obwohl du leicht selbst Lieutenant werden könntest.«

»Und wer wäre dann da, um dir ständig deinen Arsch zu retten? Du kannst von Glück sagen, dass ich dich gut genug leiden kann, um bei dir zu bleiben.«

Erik zog eine Augenbraue hoch. »Oder stehst du drauf, mein Laufbursche zu sein?«

»Ja, alles klar, Großmaul, wie wäre es, wenn wir uns morgen auf ein nettes, kleines Spontanspiel auf dem Platz treffen? Dann werden wir ja sehen, wer hier der Laufbursche ist.«

»Abgemacht. Aber denk an deinen Tampon. Den musst du dir schon aus dem Hintern ziehen, wenn du eine Chance haben willst, mich zu schlagen.« Dozer zeigte ihm den Stinkefinger, und Erik spürte zum ersten Mal, seit er in Bills Büro zitiert worden war, das Heranziehen eines Lächelns im Gesicht. Er wies mit einem Nicken auf die drei leeren Stühle an ihrem Tisch und fragte: »Wo bleiben die Kids?«

Die übrigen drei Mitglieder ihres Teams – Ashton »Smoke« Donovan, Sean »Bowie« Evans und Tyler »Preacher« Connelly – hatten die Angewohnheit, sich wie wirkliche Brüder zu zanken und zu balgen. Dozer und Erik hatten irgendwann angefangen, sie zum Scherz die Kids zu nennen. Dann waren sie dabei geblieben, weil die drei es nicht ausstehen konnten.

Dozer deutete auf eine Nische in der Ecke. »Smoke sitzt da drüben, mit einer hübschen Rothaarigen auf dem Schoß, die ihm am Gesicht klebt wie ein Staubsauger. Die denkt sicher, sie hat heute Abend das große Los gezogen.« Smoke war der ausgewiesene Lady-Killer ihrer Gruppe. Die Jungs witzelten darüber, dass sein Bettpfosten, wenn er für jede Frau, mit der Smoke Sex gehabt hatte, eine Kerbe reinritzen würde, wie ein Tummelplatz für Termiten aussehen würde. »Bowie und Preacher sind irgendwo auf der Tanzfläche und lassen Dampf ab.«

Erik hätte fast seinen Whiskey durch die Nase geprustet. »Ich glaube, den Ausdruck benutzt heute kein Mensch mehr. Du solltest hin und wieder mal einen Blick ins Urban Dictionary werfen.«

Dozer machte ein Gesicht, das keinen Zweifel daran ließ, dass ihm das total schnuppe war, und erstarrte, als dieselbe dunkelhaarige Bedienung vorbeikam, um einen Tisch in der Nähe mit Getränken zu versorgen. Ohne den Blick von ihr zu wenden, sagte er: »Was ist jetzt mit der Junggesellinnenparty?«

Erik kippte seinen Drink runter und genoss das flüssige Feuer in seiner Kehle. Abermals sah er zu, wie sein Freund den Rest der Welt ignorierte, bis seine neueste Obsession sich aus seinem Blickfeld entfernt hatte. Falls er unauffällig hatte sein wollen, so versagte er auf ganzer Linie. »Na, mach schon«, forderte Erik seinen Freund auf, in der Hoffnung, Dozer würde mehr unternehmen, als das Mädchen nur anzustarren. Diese Zurückhaltung war so gar nicht seine Art. »Ich bin jedenfalls nicht in Stimmung«, antwortete er auf Dozers Frage.

Dozers Alarmsirene schrillte wie ein Feueralarm der Kategorie fünf. »Scheiße, Wolf, hast du Herpes oder was?«

Erik lächelte und schüttelte den Kopf. »Hat dir schon mal jemand gesteckt, was für ein Arschloch du bist, D?«

»Tagtäglich und sonntags sogar zweimal, mein Freund.«

»Zu Recht.« Erik knallte sein leeres Glas hart auf den Holztisch. »Ich brauch noch einen Drink«, sagte er, indem er aufstand und sich der Bar zuwandte. Während er sich durch das Gewühl der Körper drängte, überlegte er, ob er Dozers Rat nicht einfach annehmen und sich eine willige Frau suchen sollte, die ihn auf andere Gedanken bringen würde.

Früher war er wie die anderen hinter jedem Rock her gewesen, hatte aber in letzter Zeit nicht mehr so viel Lust gehabt, Zufallsbekanntschaften aufzureißen. Er hätte dafür keinen bestimmten Grund nennen können, doch die One-Night-Stands hatten mit der Zeit irgendwie an Reiz verloren. Die Frauen verschmolzen in seiner Erinnerung bis zur Gesichtslosigkeit, ohne besondere Kennzeichen oder Unterscheidungsmerkmale. Als ihm irgendwann aufgegangen war, dass er sich ihre Namen nicht mal für die Dauer ihrer Zusammenkunft merken konnte, warf er einen langen, tiefen Blick in den sprichwörtlichen Spiegel und erkannte, dass er nicht viel von dem Mann hielt, der ihn daraus anstarrte. Seitdem neigte er dazu, das während der Arbeit angestaute Adrenalin lieber mit mörderischen Trainingseinheiten abzubauen.

Aber manchmal genügten die Übungen nicht. Sie erschöpften den Körper, nicht jedoch seinen Geist. An den Tagen, an denen es der Rettungswagen 2 mit knallharten Einsätzen zu tun bekam, die alles Üble aus den Tiefen seiner Seele heraufzubeschwören drohten, verließ er sich auf die einzige Methode, seine Gedanken so lange zu betäuben, dass er die Neustarttaste drücken konnte. Sex. Schnellen, harten, schmutzigen Sex mit Frauen, denen es gefiel, wenn seine dunkle Seite die Oberhand gewann. Doch unternahm er alles, damit das nur selten und in großen Abständen vorkam.

Als er endlich vor der Bar stand, trat er in eine gerade entstandene Lücke und winkte Tommie zu, einem der Barkeeper und außerdem Frischling auf dem Löschzug 42. Nachdem Tommie ihm zugenickt hatte, wandte Erik sich ab und legte, um seinen Platz zu behaupten, den Ellbogen auf den Tresen. Die Erfahrung lehrte ihn, dass der Junge sich zuerst um die zum Flirten bereiten Mädchen kümmern würde, bevor er die übrigen Gäste bediente. Die Mädels gaben Trinkgeld extra und steckten ihm ihre Nummern zu. Erik konnte dem jungen Mann seine Prioritäten unmöglich ankreiden.

In dem Versuch, an nichts Besonderes zu denken, betrachtete er müßig, was sich um ihm herum abspielte. Die Tanzfläche bildete das Zentrum des Klubs. Sie lag ein paar Zentimeter tiefer, war von einer halbhohen Mauer und breiten Treppenstufen auf jeder der vier Seiten eingefasst, die beide Ebenen miteinander verbanden. Die Hauptebene bot auf einer Seite die Bar und auf den drei übrigen Gruppen von Tischen und Nischen Platz. Leicht erhöht konnte man von dort, wenn die bunte Bühnenbeleuchtung es zuließ, die Tanzenden ebenso gut beobachten wie die Zaungäste am Rand der Tanzfläche.

Auch wenn Erik sicher davon ausging, dass der Architekt den Raum ausschließlich aus ästhetischen Gründen so eingerichtet hatte, waren ihm und den anderen die taktischen Vorzüge des Grundrisses sofort ins Auge gesprungen. Man würde hier jemanden, den man im Auge behalten musste, nicht so schnell verlieren, und da sich der Haupteingang ebenfalls auf der Hauptebene befand, war es auch kein Problem, das ständige Kommen und Gehen zu beobachten.

Als Erik sich nun dem Eingang zuwandte, blieb sein Blick an einer umwerfenden Blondine hängen, die er hier noch nie gesehen hatte. Sie war stark geschminkt – dicker Eyeliner und Lippen rot wie die Sünde –, was im Widerspruch zu ihrem unschuldigen Gesicht stand. Ihr ärmelloses, rotes Kleid war über den großen Brüsten tief ausgeschnitten und schmiegte sich so eng an ihre Kurven, dass es um ein Haar offenbart hätte, was sie darunter trug. Falls sie überhaupt Unterwäsche trug. Himmel! Erik sah plötzlich vor seinem inneren Auge, wie er ihr langes, gewelltes Haar um eine seiner Hände wickelte und daran zog, bis er ihren Mund verschlingen konnte, ihren Hals …

»Das macht zwölf Dollar, Wolf!«, verschaffte Tommie sich über dem Lärm Gehör.

Mist. Wenn er weiter solchen Vorstellungen nachhing, würde sein Schwanz auf ewig vom Abdruck seines Reißverschlusses verunstaltet sein.

Erik nickte knapp, um zu bekunden, dass er verstanden hatte, ließ die Frau in Rot jedoch keinen Moment aus den Augen. Er wusste, dass er nur Zwanziger dabei hatte, kramte einen aus seiner Brieftasche und warf den Schein auf den Tresen. Dann nahm er seinen Drink und lehnte sich gegen eine gewaltige Säule in der Nähe, um die Frau weiter zu beobachten. Etwas an ihr, das über ihren unglaublichen Sex-Appeal hinausging, machte ihn irrsinnig an.

Er nippte an seinem Whiskey und sah zu, wie ihre mit schwarzem Kohlestift umrandeten Augen über die Tanzfläche schweiften, während sie so selbstsicher wie ein verwundetes Reh in einem Wolfsgehege tiefer in den Raum kam. Sie war nervös. Schultern und Hals angespannt, der Rücken kerzengerade, hielt sie ihre winzige Clutch, als würde ihr Leben davon abhängen.

Doch trotz dieser unterschwelligen Signale wirkte sie nicht sanftmütig, und so wie sie sich zurechtgemacht hatte, wollte sie entweder Aufmerksamkeit erregen oder Eindruck schinden. Da sie alleine hier war, war sie vielleicht mit jemandem verabredet, den sie noch nicht kannte. Das mochte auch ihre Nervosität erklären, dachte Erik.

Dennoch wäre es eine Schande, denn aus Gründen, über die Erik lieber nicht nachdenken wollte, wünschte er sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als ihre Anspannung in eine ferne Erinnerung zu verwandeln – ganz zu schweigen von seiner eigenen. Und das am liebsten die ganze Nacht.

Doch er beschloss, den Rest seines Drinks zu genießen und sie währenddessen zwanglos zu beobachten. Falls sich herausstellte, dass hier niemand auf sie wartete, würde er einspringen.

Womöglich war in dieser Nacht doch noch nicht alles verloren.

2

Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das.

Olivia Jones hatte dieses Mantra in Gedanken heute schon so oft wiederholt, dass es praktisch als Endlosschleife im Hintergrund ihres Bewusstseins immer weiterdudelte. Außer sie hörte eine Stimme im Kopf (die Stimme der Vernunft), die ihr riet, ihren Prachthintern in die Gegenrichtung zu bewegen, nach Hause zu fahren und es sich mit einem Buch und ihren Katzen gemütlich zu machen.

Wie an jedem anderen Abend in den letzten zwei Jahren.

Als sie versuchte, sich in dem Krach des Zentrums für Lärmbelästigung – auch bekannt als Phoenix Club – zu orientieren, zupfte sie unauffällig am Saum ihres roten Kleides. Ihr Outfit fühlte sich zwei Nummern zu klein an. Doch ihre beste Freundin hatte darauf bestanden, dass andere für ihre Figur in diesem Kleid »sterben würden«, was Olivia zusammenzucken ließ. Angie hatte die Augen aufgerissen und sich sofort für ihre unpassende Wortwahl entschuldigt, doch das hatte Olivia nur umso mehr aufgebracht.

Niemand sollte sich in ihrer Gegenwart zensieren müssen. Und sie sollte nicht immer noch automatisch auf etwas so Albernes wie eine Redensart anspringen, die von aller Welt einschließlich ihrer Mutter verwendet wurde. Es war höchste Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen.

Noch vor zwei Jahren hatte Olivia das Leben geführt, das sie sich immer erträumt hatte, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war. Sie hatte ihren besten Freund und gleichzeitig ihre College-Jugendliebe geheiratet, erfolgreich an einer Karriere gestrickt, die sie liebte, und sie hatte wunderbare Freunde, zwei liebenswerte Katzen und eine tolle Wohnung mit Blick auf den Hafen gehabt. Alles war perfekt und so, wie sie es sich vorgestellt und in ihrem Lebensplan festgelegt hatte … bis auf eine bemerkenswerte Ausnahme.

Olivia hätte nie damit gerechnet, mit fünfundzwanzig Jahren Witwe zu werden.

Oh Gott … Brett. Was mache ich nur?

Wie gerne hätte sie sich ihm jetzt anvertraut und ihn um seinen Rat gebeten. Andererseits hätte sie, würde er noch leben, seinen Rat in dieser Lage gar nicht gebraucht. Seit seinem Tod hatte ihr Leben aus Sechzigstundenwochen bestanden, darüber hinaus war sie, von gelegentlichen Ausbrüchen mit ihren weniger zwangsgestörten Freundinnen abgesehen, so gut es eben ging ihrer täglichen Routine gefolgt.

Im letzten Monat hatte sie beschlossen, einen Neuanfang zu starten. Sie hatte sich vorgenommen, endlich wieder zu leben, und heute tat sie den ersten Schritt in diese Richtung – besser gesagt, sie wagte den Sprung ins kalte Wasser. Olivia wollte heute Abend einen Fremden aufreißen und ihn in ein Hotel abschleppen, nur um Sex mit ihm zu haben. Anonymen Sex ohne Verpflichtungen. Sie wollte sich mit diesem ersten vorsichtig tastenden Versuch dazu zwingen, wieder in den Sattel zu steigen, und sich damit beweisen, dass es für sie noch ein Morgen gab.

Sie spürte ein Kribbeln, als sie vor der halbhohen Absperrung der Tanzfläche stand, und ihr Nacken prickelte. Irritiert blickte sie sich um. Einige männliche wie weibliche Augenpaare hatten sich an ihr festgehakt, was allerdings keine Überraschung war, da ihr Kleid geradezu danach schrie, dass man sie angaffte. Was also verursachte –

Ihr stockte der Atem, und ihre Gedanken standen still, als ihr Blick auf einen Riesen von einem Mann in einem weit offenen schwarzen Hemd fiel, das so gut saß, als hätte man es ihm direkt auf den unglaublichen Leib geschneidert.

Ein Wahnsinnstyp, wenn auch nicht so perfekt wie ein männliches Model. Eher so wie jemand, der in der Wildnis groß geworden war. Der um alles, was er besaß, mit Zähnen und Klauen gekämpft hatte und nicht zögern würde, das und mehr wieder zu tun, um daran festzuhalten. Das kurz geschorene rabenschwarze Haar passte zu dem Bartschatten, der nur da zu sein schien, um der Gesellschaft zu signalisieren, dass er sich zwar zivilisiert gab, aber nicht daran dachte, sich ihren Launen zu fügen oder vollständig anzupassen.

Er lehnte lässig an einem Pfeiler und nippte an einer dunklen Flüssigkeit in einem Highball-Glas. Seine Augenfarbe konnte sie aus der Entfernung und im Flackerlicht nicht erkennen, was der Intensität seines Blickes, der ihren Körper abtastete, jedoch keinen Abbruch tat. Als er zu ihren Augen zurückkehrte, zuckte träge ein halbes schiefes Grinsen an seinem Mundwinkel, bevor er ihr kaum merklich mit seinem Glas zuprostete. Er schaffte es, dass sie sich in einem Raum voller Menschen vollkommen allein fühlte – mit ihm.

»Hey, mija.«

Olivia, die von dem Fremden so hypnotisiert war, als hielte er eine schwingende Taschenuhr zwischen den Fingern, erschrak, als ihre beste Freundin sie ansprach. Angelina de la Vega trug ihr knappes Kellnerinnen-Outfit, balancierte ein volles Tablett und sah sie sichtlich besorgt an. Olivia atmete langsam aus und kehrte dem Mann den Rücken, sah ihre Freundin an und widerstand dem Drang, dem Typen mit der dicken Hose heimliche Blicke zuzuwerfen.

Oh, mein Gott, hab ich ihn gerade echt so genannt? Dabei habe ich seine dicke Hose gar nicht bemerkt, will sagen, ich hab nicht einmal bemerkt, ob er überhaupt was in der Hose hat. Sie zuckte innerlich zusammen. Mist!Hör sofort auf, an so was zu denken!

»Hey, chica.« Sie zwang sich zu lächeln. »Danke noch mal, dass du deine Schicht getauscht hast und heute hier bist.«

»Du weißt doch, dass ich immer für dich da bin. Ich wäre sowieso hier gewesen, aber so habe ich eine Entschuldigung, in deiner Nähe zu bleiben und notfalls die Reißleine zu ziehen.«

Jetzt schenkte Olivia ihrer Freundin ein ehrliches Lächeln. Sie war so dankbar, dass sie Angie hatte. Sie hatte sie von dem Moment an geliebt, als sie in der Mensa des Boston College während des Mittagessens beobachtet hatte, wie die feurige Latina auf einen Typen losging, der doppelt so groß war wie sie, weil er eine anzügliche Bemerkung über ihren wohlgeformten Hintern gemacht hatte. Der Kerl war schneller geschrumpft als seine Eier in Eiswasser, und nachdem er sich dafür entschuldigt hatte, ein »frauenfeindliches Schwein« gewesen zu sein (die Vorlage dafür hatte Angie höchstpersönlich zur Verfügung gestellt), hatte er sich stumm davongeschlichen, um zukünftig einen weiten Bogen um sie zu machen.

Olivia war dermaßen beeindruckt gewesen, dass sie langsam aufgestanden und zu klatschen begonnen hatte, worauf Angie mit einem tiefen Knicks geantwortet und sich anschließend vorgestellt hatte. Seitdem waren sie Busenfreundinnen, und Olivia hörte nicht auf, Angies ausgeprägtes Selbstbewusstsein und die Furchtlosigkeit zu bewundern, mit der sie ihr Leben in die Hand nahm.

Außerdem war sie heute dankbar dafür, dass Angie an manchen Abenden in diesem Club kellnerte. Olivia mochte etwas untypisch Verrücktes vorhaben, leichtsinnig wollte sie dabei auf keinen Fall sein. Angie würde sie im Auge behalten und darauf achtgeben, mit wem Olivia sich einließ. Außerdem würde sie, als besondere Vorsichtsmaßnahme, ein Bild des Kandidaten erhalten. Man konnte heutzutage nicht vorsichtig genug sein.

Olivia ließ den Blick schweifen und nahm alles in sich auf, während sie tief ein- und ausatmete und ihren Herzschlag zu beruhigen versuchte. Doch ihr Herz schien entschlossen, mit den wummernden Bässen mitzuhalten, deren Widerhall durch ihre Adern pulsierte.

»Hier«, sagte Angie und drückte Olivia einen Jack mit Cola in die Hand. »Der Erste geht aufs Haus. Damit du runterkommst.«

»Danke.« Olivia vergeudete keine Zeit. Sie hob das Glas an die Lippen und kippte die Hälfte des Inhalts in einem Zug herunter. Angie sah sie dabei mit nachdenklich glänzenden Augen an. »Du hast mich doch schon die ganze Zeit darin unterstützt, Angie. Lass mich jetzt bloß nicht im Stich. Ohne dich schaffe ich das nicht, und du weißt, dass das hier irgendwie Sinn macht.«

»Ja, weiß ich, aber vielleicht solltest du es nicht so auf die Spitze treiben. Wieso fängst du nicht mit ein paar harmlosen Verabredungen an?«

Olivia schüttelte den Kopf. »Hab ich schon. Das liegt bereits hinter mir.« Sie war in den vergangenen sechs Monaten häufig ausgegangen. Auf manche Verabredungen waren sogar ein oder zwei Fortsetzungen gefolgt. Sie war emotional so weit. Doch sobald ihr jemand an die Wäsche ging … na ja, zeigte es sich, dass sie doch nicht so weit war, wie sie dachte. Sie hatte viel über Alternativen nachgedacht, doch schließlich war ihr nichts anderes eingefallen als eine Art Konfrontationstherapie. »Nein, ich kann nicht zuerst die Zehen ausstrecken und darauf hoffen, dass ich mich an das kalte Wasser gewöhne. Sobald ich Zeit zum Nachdenken habe, bekomme ich nur wieder das Gefühl, untreu zu sein, und komme am Ende nie darüber hinweg. Ich muss mich kopfüber da reinstürzen. Anders geht es nicht!«

Sekunden später nickte ihre Freundin ihr mit einem zuversichtlichen, wenn auch etwas wackeligen Lächeln zu. »Hast du schon einen Kandidaten im Auge?«

Olivia nahm noch einen großen Schluck und dachte an den Mann am Pfeiler. Ins kalte Wasser springen war eine Sache, aber wirklich und wahrhaftig INS KALTE WASSER SPRINGEN war etwas ganz anderes. Besser, sie suchte sich jemanden aus, der ein bisschen mehr ihre Kragenweite war.

»Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich umzusehen«, wich sie aus und ließ den Blick schweifen. »Aber es ist rappelvoll hier. Es dauert bestimmt nicht lange. Und ich suche ja nicht nach einem Supermann. Ein Mann für alle Fälle tut’s auch.«

»Gut, aber denk daran«, gab Angie zurück, während sie die Leute ringsum betrachtete. »Es gibt nicht viele Typen, die so anständig sind wie …« Olivia kannte das Ende des Satzes. So anständig wie Brett. Anständig war genau das richtige Wort, um ihren Mann zu beschreiben. Er mochte nicht vollkommen gewesen sein, nicht einmal wundervoll hätte es genau getroffen. Aber er war ohne Zweifel anständig gewesen. »Hör einfach auf dein Bauchgefühl. Und wenn ich du wäre, würde ich die Playboys meiden und mich an Typen halten, die wie Streber rausgeputzt sind.«

Mit anderen Worten: keine dicke Hose. »Alles klar.« Genug geredet. Je eher sie es anging, desto schneller hatte sie es hinter sich. Als würde man ein Pflaster abreißen. Olivia hob ihr Glas und stärkte sich mit einem weiteren Schluck. »Kannst du meine Tasche bei dir einschließen? Sonst lasse ich sie noch irgendwo stehen oder verliere sie. Und mach dir keine Sorgen mehr, alles wird gut.«

»Wenn du mich brauchst, ich bin in der Nähe«, versicherte Angie ihr und nahm die kleine rote Clutch an sich. Sie schenkte Olivia noch ein zuversichtliches Lächeln und überließ sie vorerst sich selbst.

Olivia wandte sich der Tanzfläche zu und konzentrierte sich auf die wogenden Körper und die tiefen, in ihrer Brust wummernden Bässe. Sie spürte, wie der Alkohol seine Wirkung entfaltete, die Knoten in ihren Schultern löste und ihre Hüften dazu verführte, sich leicht im Rhythmus der Musik zu wiegen.

»Und ich dachte schon, Ihre Freundin würde nie mehr von Ihrer Seite weichen.«

Das tiefe Timbre seiner Stimme – sie konnte nicht sagen, wieso, doch sie wusste sofort, dass er es war – traf sie bis ins Mark, setzte sich von dort durch sämtliche Wirbel fort und machte das bisschen Entspannung gleich wieder zunichte.

In der Hoffnung, dass ihr Pokerface besser saß, als sie vermutete, drehte sie sich um … und vergaß auf der Stelle, wie man sprach.

Sie maß knapp eins siebzig und stand auf sieben Zentimeter hohen Absätzen, trotzdem überragte er sie noch um gut fünfzehn Zentimeter, womit er fast so groß war wie der Jolly Green Giant oder – »Paul Bunyan«.

»Haben Sie mich gerade Paul Bunyan genannt?«

Klar war es zu viel verlangt, dass ihr alberner Schnitzer – ihr unwillkürliches Selbstgespräch – von der Musik verschluckt werden würde. Sie schlug sich innerlich gegen die Stirn. Zweimal.

Olivias Hirn beeilte sich, eine Antwort zu finden. Doch alles, was es lieferte, waren Halbsätze, die sich aneinandergereiht angehört hätten, als wäre sie Schweinchen Dick. Also atmete sie tief durch die Nase ein, tarnte das Ausatmen mit einem weiteren Schluck aus ihrem Glas und zapfte dann die Erinnerung an das unternehmungslustige Mädchen an, das sie früher einmal gewesen war, bevor das Leben sie vor ihrer Zeit hatte altern lassen.

Sie senkte das Glas, zuckte die Achseln und sagte: »Sie sehen so aus, als kämen Sie gerade aus der Wildnis. Und da Ihre Größe Sie zu einem halben Riesen macht, würde ich sagen, Sie sind mindestens um ein paar Ecken mit ihm verwandt.«

Paul Bunyans Grinsen ließ ein zuvor verstecktes Grübchen in der rechten Wange erkennen. Ihr Inneres gab nach, und wenn das Grübchen nicht wieder verschwand, würde auch ihr Verstand nicht mehr lange standhalten. Und diese Augen … Herr im Himmel, seine Augen … sie hatten dieselbe Bernsteinfarbe wie sein Drink und waren absolut umwerfend. Und dann noch diese dunklen Wimpern, für die sie bereitwillig ihre Seele verkaufen und womöglich auch noch ihre Vagina mit dreingeben würde.

Dann mal los. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es jetzt sowieso mit keinem anderen mehr klappen würde, also kann ich es auch gleich drauf ankommen lassen.

»Und welche erfundene Figur sind dann Sie?«

Sie schaute an ihrem roten Kleid hinunter und überlegte. Sie dachte an Julia Roberts in Pretty Woman und wie jedermann sie nur nach ihrem Äußeren beurteilte, ohne an ihr als Mensch interessiert zu sein. »Paul« hatte jedenfalls nicht gezögert, sie anzusprechen, und sie zweifelte nicht daran, dass er sie ähnlich eingeschätzt hatte. Normalerweise wäre sie entsetzt gewesen, doch unter den gegebenen Umständen war es genau das, was sie wollte. Schließlich war sie nicht hier, um irgendwen mit ihrer Bildung oder nutzlosem Wissen zu beeindrucken, was sie höchstens zu einem willigen Opfer für eine Partie Trivial Pursuit gemacht hätte.

»Wahrscheinlich eine Mischung aus Vivian Ward und Dance Club Barbie.«

Er schob eine Hand in die Hosentasche, dass nur noch der Daumen herausschaute. »Nein, Sie gehören in eine andere Liga.«

Sie hob eine Braue. »Mir war nicht klar, dass es darauf eine falsche Antwort gibt.«

»Vielleicht nicht«, sagte er, »aber dass Sie sich mit einer Prostituierten oder einem von den Klubhäschen hier vergleichen, ist Quatsch.«

In Olivias Magen stülpte sich etwas um. Etwas, das nach Olivias Meinung unmöglich aus dem Gleichgewicht geraten und sich schon gar nicht umstülpen durfte, während sie plötzlich einen Geschmack im Mund hatte, als würde sie an Baumwolle lutschen.

Sie versuchte, mit aller Kraft zu verhindern, dass ihr Äußeres die Feuersbrunst widerspiegelte, die in ihrem Inneren tobte, und nippte beiläufig an ihrem Drink, um den Kleister wegzuspülen, der ihr die Zunge an den Gaumen pappte.

»Vermutlich fällt Ihnen ein besserer Vergleich ein.«

Er trat einen Schritt vor, bis ihre Körper nur mehr Zentimeter voneinander entfernt waren. Nun musste sie den Kopf in den Nacken legen, wenn sie Blickkontakt halten wollte. So nah wirkte sein Gesicht, als würde sie ihn in HD betrachten. Auf robuste Weise schön. Anders ließ es sich nicht in Worte fassen. Allein sein Aussehen verdiente eine klare Zehn. Nahm man noch seine angeborene Alpha-Anziehung hinzu, ging seine Bewertung glatt durch die Decke.

Er senkte den Blick auf ihre Lippen, bevor er ihn wieder hob. Dann streckte er den Zeigefinger der Hand aus, mit der er das Glas hielt, und fuhr damit am Ansatz ihrer Haare entlang, kam dabei ihrem Gesicht sehr nah und setzte seinen Weg schließlich bis zum Ende fort. Obwohl er lediglich ihr Haar berührt hatte, folgte der Spur seines Fingers eine Welle von Schauern.

»Sie sind eine Sirene.«

Olivia blinzelte mehrmals. »Ich bin … ein ohrenbetäubendes Warnsignal?«

Eine Seite seines sexy Mundes zuckte. »Nein, ein mythologisches Geschöpf, dessen Schönheit und liebreizender Gesang Männer dazu bringt, auf der Suche danach mit ihren Schiffen an felsigen Gestaden zu zerschellen.«

Wow! Dieser Kerl spielte so was von in einer anderen Liga. Es war nun fast zehn Jahre her, seit sie das letzte Mal so geflirtet hatte. Die vorherigen Dates zählten nicht. Waren das die allerneuesten Anmachsprüche? Die dann auch noch funktionierten? Was sollte man überhaupt auf so etwas antworten? »Ich kann nicht singen. Ich bin extrem unmusikalisch.«

Und wieder schlug sie sich innerlich die Hand vor die Stirn und stöhnte. So antwortete man auf so etwas ganz bestimmt nicht. Mach nur weiter so, du Genie! Doch er belohnte sie ungeachtet ihres Jammers mit einem breiten Lächeln und herzlichem Glucksen. Gnade mir Gott!

»Also keine Karaoke-Bars. Ich präge mir das für später ein.«

»Für später?«, fragte sie und wölbte eine Braue. »Finden Sie nicht, Sie sind ein wenig voreilig?«

»Schon möglich.« Er beugte sich vor, bis sie seinen warmen Atem an ihrem Ohr spürte. Seine Stimme klang jetzt tiefer, schroff und kaum noch gezügelt. Von Kopf bis Fuß die Verkörperung eines wilden, ungezügelten Mannes. »Vielleicht hoffe ich auch nur, dass die Macht der Verführung auf meiner Seite ist.«

Ein Schauer rieselte über ihren Rücken. Fast hätte sie ihm gesagt, dass die Chancen dafür günstig standen, doch in letzter Sekunde fiel ihr wieder ein, warum sie hier war. »Ich bin nicht auf eine Verabredung aus.«

Ihre Knie drohten nachzugeben, als er weit genug zurückwich, um ihr in die Augen sehen zu können. Wieso sah er sie an, als könnte er sie glatt durchschauen? Und wieso zum Teufel durchschaute sie ihn überhaupt nicht? Immerhin war es ihr Job, Menschen zu durchschauen. Sie konnte sie durch bloße Beobachtung klassifizieren. Es genügte, wenn sie sich ein paar Minuten mit einem Menschen unterhielt, und schon konnte sie einen ziemlich exakten Bericht darüber verfassen, wer oder was dieser Mensch war.

Aber den Mann, der da vor ihr aufragte, bekam sie ums Verrecken nicht scharf gestellt. Er war so … geheimnisvoll. Ein Mysterium, ein Rätsel. In der einen Sekunde lustig und zum Flirten aufgelegt, in der nächsten eindringlich und erotisch.

»Nein«, sagte er. »Offenbar nicht. Sie sind auf etwas Bestimmtes aus. Jemand Bestimmten. Richtig?«

Das hätte wie eine Frage klingen müssen, tat es aber nicht. Sein Tonfall und sein Blick zwangen sie beinahe zuzugeben, dass er recht hatte. Und, Gott möge ihr beistehen, sie zögerte keinen Augenblick.

»Ja.«

»Jemanden, der ihnen gibt, wonach Sie sich sehnen, was Sie brauchen«, setzte er nach.

»Und was, glauben Sie, ist das?«

»Sex«, antwortete er mit äußerstem Selbstvertrauen und null Scham. »So sinnlich und elektrisierend, dass Sie sich wieder lebendig fühlen. Weil die Männer in Ihrem Leben Sie mit ihren glatt gebügelten Anzügen und schlaffen Schwänzen zu Tode langweilen. Die wissen, was man an der Börse macht, aber nicht, was man mit einer Frau macht, damit sie vor Lust schreit.« Er machte eine Pause und beobachtete sie.

»Also kamen Sie hierher, um sich einen Mann zu suchen, der Ihnen das geben kann«, fuhr er fort. »Der Ihnen die Verantwortung abnimmt und Dinge mit Ihnen tut, die Sie in die Umlaufbahn katapultieren und alles andere vergessen lassen. Aber vor allem wollen Sie etwas fühlen, Süße. Sie wollen, ganz einfach ausgedrückt, dass Ihnen einer den Verstand rausvögelt.« Er hob sein Glas und leerte es, ohne sie aus den Augen zu lassen, während er darauf wartete, dass seine Worte Wirkung zeigten. Und, bei allen Heiligen und Teufeln, das taten sie. »Wie dicht dran bin ich?«

Erik hatte keinen Schimmer, was zum Henker über ihn gekommen war. Es war ganz schön gewagt, so mit ihr zu reden. Abgesehen von ihrem Versuch, so zu tun, als wäre sie nicht anders als die anderen Vergnügungssüchtigen hier, war alles Übrige totaler Blödsinn. Zunächst hatte er sie zwar nicht direkt durchschaut, aber als er beobachtete, wie sie mit ihrer Freundin sprach – die interessanterweise die Bedienung war, die Dozer schon den ganzen Abend im Auge hatte –, erkannte er, was er wissen musste.

»Antworten Sie mir, Schönheit«, soufflierte er, als sie sich die Lippen leckte. »Wie dicht dran?«

Sie blinzelte, und er konnte fast sehen, wie sie im selben Moment ihre Gedanken zurückverfolgte. »Sehr dicht«, flüsterte sie.

Erik gestattete sich ein selbstzufriedenes Grinsen.

Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie es nicht glauben, ihre Haare schwangen über ihren Brüsten hin und her. »Das war verdammt gut geraten.«

»Nicht geraten«, erwiderte er. »Beobachtet.«

»Beobachtet. Könnten Sie das ein bisschen genauer erläutern?«

»Klar, kann ich.«

Doch Erik schwieg und gab ihr die Gelegenheit, sich darüber klar zu werden, ob sie wirklich alles wissen wollte. Denn wenn Erik etwas sagte, dann war es kein Blödsinn. Er hatte nie den Luxus derartiger Spielereien genossen. Als Offizier im Kampfeinsatz redete man nicht um den heißen Brei herum oder verbog Tatsachen, um die Gefühle anderer zu schonen. Man vergeudete dadurch nur kostbare Zeit, und jemandem eine bittere Wahrheit zu versüßen, war eine Übung in Nutzlosigkeit, weil die Medizin, wenn sie verabreicht werden musste, kein bisschen weniger bitter schmeckte.

Als sie merkte, dass er nichts weiter sagen würde, verdrehte sie die Augen. »Und würden Sie es denn auch erläutern?« Dann setzte sie leise hinzu: »Bitte?«

Sein Magen zog sich zusammen. Der Gedanke, dass sie ihn mit ihrem »Bitte« möglicherweise um etwas weitaus Sinnlicheres als eine bloße Erklärung bat, fachte das Feuer in ihm an, und er musste sich doppelt zusammenreißen, wollte er sich auf das Gespräch mit ihr konzentrieren.

»Da wäre schon mal Ihre Körpersprache«, sagte er. »Sie fühlen sich in Klamotten, die wie eine zweite Haut an Ihnen kleben, offensichtlich nicht besonders wohl. Dauernd fummeln Sie am Saum Ihres Kleides herum oder zupfen an Ihrem Ausschnitt. Auf den hohen Hacken bewegen Sie sich allerdings problemlos, was mir verrät, dass Sie daran gewöhnt sind, sich in Schale zu werfen, Ihre Kleidung sonst aber wesentlich konservativer ausfällt. Sie halten sich gerade, übertreiben es aber nicht, als wollten Sie Ihrer Auslegeware einen Platz an der Sonne gönnen. Ihre Haltung ist zu steif für eine Frau, die sich gehen lassen und mal richtig amüsieren will. Und dass Ihre Freundin Ihnen, kaum dass Sie hier waren, den Weg gebahnt und Ihnen dann, als Sie Ihr Glas halb hinunterstürzten, einen Einlauf verpasst hat, verkündete hell wie eine Neonreklame, wie nervös Sie sind.«

Erik hob eine Hand und zählte vom kleinen Finger bis zum Mittelfinger ab. Einen für jeden wiederholten Punkt. »Eine tolle Frau, allein, aufgetakelt. Bekämpft ihre Nervosität mit Alkohol, und will sich offenbar nicht nur unter die Leute mischen und tanzen.«

»Wow … jetzt weiß ich nicht, soll ich beeindruckt sein oder flippe ich besser aus.«

»Beeindruckt, würde ich meinen«, entgegnete er augenzwinkernd.

Als der DJ von der elektronischen Tanzmusik zu einem langsamen, sinnlichen Song überblendete, bildeten sich sofort Paare, die sich eng und vertraut miteinander bewegten. Erik hatte die Tanzfläche, seit er in diesem Club verkehrte, noch niemals betreten. Er war zwar häufig aufgefordert worden, hatte aber immer abgelehnt. Auf die schnellen Nummern konnte er nicht tanzen, und an der Intimität während der langsamen Songs war er nicht interessiert.

Bis jetzt.

Mit einem Nicken deutete er auf die Tanzfläche. »Tanzen Sie mit mir.«

Sie kaute auf ihrer Unterlippe und sah ihn prüfend an, ihre sämtlichen Zahnräder klickten.

»Ein Tanz kann nicht schaden«, meinte er, bevor sie ihn abservieren konnte, »und Ihre Freundin kann Sie dabei die ganze Zeit im Auge behalten.«

Sie machte große Augen. »Warum glauben Sie, dass sie mich im Auge behält?«

»Weil sie sich, seit ich hier aufgekreuzt bin, noch keine fünf Meter von Ihnen entfernt hat. Außerdem schießt sie heimlich Fotos von mir.«

Erik sah sich über seine Schulter nach der Kellnerin um, die unauffällig ihre Handykamera in seine Richtung hielt. Als ihr auffiel, dass ihr Opfer sie bemerkt hatte, sah sie ihn überrascht an. Sein Mundwinkel zuckte amüsiert, weil er ihr die Tour vermasselt hatte, dann nickte er ihr kurz zu. Sie deutete darauf mit zwei Fingern einer Hand auf ihre zusammengekniffenen Augen und zeigte dann auf ihn – Ich behalte dich im Auge, Freundchen –, bevor sie in der Menge verschwand.

»Ich gehe mal davon aus, das heißt, dass sie sich um Sie sorgt, und nicht, dass Sie eine Sammlung heimlich geschossener Fotos Ihrer Eroberungen anlegt.«

Sie lachte leichthin und schüttelte ungläubig den Kopf. »Wer sind Sie?«

»Jetzt gerade?« Grinsend stellte er ihre Gläser auf dem Tablett einer vorbeikommenden Kellnerin ab. »Ihr Tanzpartner.« Er nutzte ihre Verwirrung aus und führte sie auf die Tanzfläche hinunter. Da er wusste, dass sie sich am Rand wohler fühlen würde, hielt er an einer Ecke an und zog sie in seine Arme.

Seine Hände glitten abwärts und blieben in ihrem Kreuz liegen. Irgendwie fand er genug Willenskraft, um sich zu entspannen, anstatt den verdammten Abstand zwischen ihnen ganz zu schließen. Sie blieb stocksteif, ihre Hände berührten kaum seine Schulter. Doch er war ein geduldiger Mann und konnte, wenn es sein musste, den ganzen Abend warten.

Schließlich holte sie tief Luft und entließ damit einen Teil ihrer Anspannung.

Himmel, roch die Frau gut! Nach von der Sonne getränkten Rosenblüten. Dezent und natürlich. Das totale Gegenteil der Parfüms, mit denen die meisten Frauen sich übergossen. Erik hätte am liebsten sein Gesicht an ihrem Hals vergraben und seine Lungen mit ihrem Duft gefüllt, bis sie der Grund dafür wäre, dass er überhaupt noch atmete.

»Also«, begann sie, »ich nehme an, die Vorspiegelung falscher Tatsachen kann ich mir sparen. Was sind Sie? Hellseher? Können Sie Gedanken lesen?«

Wieder zuckten seine Lippen. »Ich sagte doch schon, ich bin ein guter Beobachter.«

»Ein guter Beobachter merkt, dass man bei der Pediküre war oder dass jemand Rechtshänder ist. Sie sind ein unheimlich guter Beobachter – wie ein Serienkiller –, während Sie selbst total undurchschaubar bleiben.«

Erik musste über ihre Beobachtungsgabe schmunzeln. »Ich verspreche Ihnen, ich bin kein Serienkiller.«

Fast hätte er gesagt, er sei kein »Killer«, aber das wäre gelogen gewesen. Er war ein Killer. Er hatte häufiger getötet, als er nachzählen konnte. Die Tatsache, dass er nur im Gefecht getötet hatte, sprach ihn nicht frei. Jedenfalls nicht in allen Punkten. Wenn man zurückblickte, war man angeschissen. Wenn er daran dachte, wie er manches Mal, ohne zu zögern, ein Leben genommen hatte, fragte er sich oft, ob er zu schnell abgedrückt hatte. Wenn womöglich …

Nein. Lass es sein.

Nicht, wenn er diese phänomenale Frau im Arm hielt, die ihn faszinierte und sein Blut so in Wallung brachte, wie er es schon verdammt lange nicht mehr erlebt hatte.

»Na schön«, sagte sie und neigte den Kopf zur Seite, »wenn Sie kein Serienkiller sind, was sind Sie dann?«

Ihre Augen verrieten ihm, dass sie ihn nicht nach seinem Beruf oder seinem Sternzeichen fragte. Ihre Frage zielte auf etwas, das tiefer lag und ihr helfen mochte, ihn zu verstehen. Ihre Bemerkung darüber, ihn nicht durchschauen zu können, bedeutete, dass sie auf dem Gebiet sonst keine Schwierigkeiten hatte. Vielleicht nutzte ihr diese Gabe im Job, oder sie gehörte bloß zu den Menschen, die sich etwas auf ihre Menschenkenntnis einbildeten.

»Ich bin nur ein Mann, der eine schöne Frau zu beeindrucken versucht.« Was nicht ganz falsch war. Weil er sie gerne schockierte – wie die meisten Männer hatte er kein Problem damit, hin und wieder ein wenig sein Ego aufzuplustern –, sah er sie unverwandt an und sagte: »Und meiner unmaßgeblichen Meinung nach sind Sie tatsächlich Linkshänderin, Ihre Pediküre ist im French-Stil – was mir zufälligerweise weitaus besser gefällt als knallige Zehennägel – und ich finde Ihren silbernen Zehenring höllisch sexy.«

Ihr fiel die Kinnlade runter, doch sie schloss den Mund rasch, um die Reaktion zu vertuschen. »Jetzt weiß ich es«, sagte sie dann. »Sie sind von der CIA und haben mein Dossier gelesen, wahrscheinlich haben Sie mich wochenlang beobachtet, bevor Sie mich angesprochen haben, um als angeblicher Verehrer nun mein Leben zu infiltrieren.«

»Erwischt.« Erik grinste so breit wie schon lange nicht mehr. »Haben Sie Mitleid mit einem kleinen Spion und lassen Sie mich nicht auffliegen, damit meine Vorgesetzten mich nicht zur Schnecke machen.«

»Hm, das muss ich mir noch überlegen. Ich gebe Ihnen dann Bescheid«, antwortete sie und grinste ein bisschen.

Er machte Fortschritte.

Erik stellte einen Fuß zwischen ihre Füße und trat näher, bis ihr Geschlecht sich gegen seinen harten Oberschenkelmuskel drückte. Er senkte den Kopf und schnupperte an ihrem Ohr. Ihr seidiges Haar strich über sein Gesicht, und ihr Duft berauschte seine Sinne.

Sie hatte etwas, das seinen inneren Höhlenmenschen nach dem Knüppel greifen und um ihre Zuneigung wetteifern ließ. Sein Schwanz stand in Habachtstellung, drängte gegen seinen Hosenstall und pochte im Takt mit seinem Herzschlag.

Ihre Hände tasteten versuchsweise über seine Schultern, auch das ein kleiner Sieg. Eine Hand verharrte zwischen seinen Schulterblättern, die andere strich über seinen Nacken. Er ließ die Hände weitere fünfzehn Zentimeter tiefer gleiten, sodass seine Finger sich nun über der Rundung ihrer Pobacken spreizten.

»Verraten Sie mir Ihren Namen, Süße?«

Sie schüttelte den Kopf. »Keine Namen.«

Erik zog sich so weit zurück, dass er ihr in die Augen schauen konnte. Nein, sie kokettierte nicht, sie meinte es ernst.

»Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass ich in Ihrem Büro auftauche und damit drohe, Ihnen eine Szene zu machen, falls es das ist, was Ihnen Kopfzerbrechen bereitet. Ich weiß, worum es hier geht, und ich habe nicht vor, mehr daraus zu machen als Sie.«

»Ich glaube Ihnen.«

Und warum auch nicht? Schließlich wusste jeder, dass Typen wie er nichts wollten, was auch nur von fern an eine Beziehung erinnerte, und er würde ihr bestimmt keinen Grund liefern, was ihn anbetraf, an diesen Klischees zu zweifeln. Was völlig in Ordnung war, da er echt nicht auf eine Beziehung aus war.

Wieso bist du dann enttäuscht, dass sie dich für diese Art Mann hält?

Weil ich es satt habe, diese Art Mann zu sein?

Herrgott, was stimmte bloß nicht mit ihm? Diese Art von Selbstgespräch ging echt gar nicht! Anscheinend nagte der Scheiß in seinem Beruf doch mehr an ihm, als er gedacht hatte. Schlag dir das aus dem Kopf, Grady! »Und warum dann keine Namen?«

Sie zuckte halbherzig mit den schmalen Schultern. »Das Risiko kann ich in meinem Beruf nicht eingehen.«

Das sah er ein. »Wir könnten falsche Namen verwenden.«

Sie antwortete nicht sofort, anscheinend dachte sie über seinen Vorschlag nach. Ihre Stirn legte sich in Falten, ein Anzeichen ihrer Unschuld, sodass er sich einen Augenblick lang fragte, ob sie sich mit ihrem Ausflug nicht vielleicht überhoben hatte.

Doch er tat den Gedanken ab. Sie war eine erwachsene Frau, die sich fest vorgenommen hatte, heute Nacht mit einem Mann zu schlafen. Warum also nicht mit ihm? Außerdem war ihm das Universum wegen der Scheiße, die es im Job über ihn ausgeschüttet hatte, etwas schuldig. Entschuldigung angenommen, Universum!

Als sie sich entschieden hatte, schüttelte sie den Kopf. »Ich brauche für Sie keinen Namen.«

»Brauchen vielleicht nicht, Schönste, aber ich will absolut, dass Sie mich beim Namen nennen.«

»Wieso? Was soll das bringen?«

Erik zog sie näher an sich und flüsterte ihr ins Ohr: »Weil ich will, dass Sie meinen Namen schreien, wenn ich Sie zum Orgasmus bringe, und keinen anderen.« Sie schnappte nach Luft, als er Sie ins Ohrläppchen zwickte. »Nicht mal Gottes Namen.«

Ihr flatternder Atem streifte seine Wange, und das Gefühl schoss ihm direkt in die Eier. Ihre Nippel waren zu harten Spitzen angeschwollen, die über seine Brust strichen, und die Finger in seinem Nacken zuckten haltlos. Es fühlte sich ganz so an, als hätten ihre Fingernägel jetzt schon die ersten Zeichen der Nacht in seine Haut geritzt, und die Vorstellung, wie sie mit ihren scharfen Krallen weitere Stellen seines Körpers markierte, ließ ihn bretthart werden.

»Und wenn ich Glück habe«, sagte er, »geben Sie mir Ihre Nummer, damit wir das irgendwann mal wiederholen können.«

Auf einmal versteifte sie sich und wich zurück. »Tut mir leid, aber ich kann das nicht.« Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und lief davon, als stünde ihr Hintern in Flammen.

Was zum Henker? Erik rührte sich vor Verblüffung ganze zwei Sekunden lang nicht von der Stelle – was für einen Soldaten, der darauf trainiert war, auf alles Unerwartete unverzüglich zu reagieren, eine Lebensspanne bedeutete – und folgte ihr dann mit großen Schritten, als sie die Stufen zur Hauptebene hinaufeilte.

»Hey!«, rief er. Gottverdammt, er hasste es, dass er ihren Namen nicht kannte. Irgendwas stimmte nicht, auch wenn er sich sicher war, ihre Signale nicht missdeutet zu haben. Ihr Körper wollte ihn, und auch wenn sie nicht selbst mit einer klaren Ansage herausgerückt war, so hatte sie doch zugegeben, dass sie auf einer Wellenlänge lagen.

Ja, aber nur, bis du ihr mitten zwischen all den Leuten deinen Dreck ins Ohr geblasen hast. Verflucht, er hatte seinem Schwanz das Reden überlassen und es zu weit getrieben. Er hatte ihr Angst gemacht oder doch wenigstens bewirkt, dass sie sich unwohl fühlte, was absolut unverzeihlich war. Er konnte unmöglich zulassen, dass sie so außer sich war, weil er sich wie ein Arschloch aufgeführt hatte.

Erik schloss mit ausholenden Schritten rasch zu ihr auf, auch weil die Leute ihm schon wegen seiner schieren Größe bereitwillig Platz machten. Er war im Nu bei ihr und griff nach einer ihrer Hände, um sie zurückzuhalten. »Hey, tut mir leid, das war unangebracht.«

Dann sah er aus dem Augenwinkel, wie ihre Freundin schnurstracks auf sie zuhielt. Ihrer Miene nach war sie eindeutig auf Krawall gebürstet. Der ganze ein Meter sechzig.

»Schon gut, Angie«, sagte seine Lady in Red. »Ich komm schon klar.«

Nun, da Erik dicht vor dem kleinen Hitzkopf stand, fiel ihm auf, dass ihre Augen nicht dunkelbraun waren, wie er angenommen hatte, sondern ein ziemlich umwerfendes Hellgrün hatten. Dann nahmen sie ihn ohne erkennbar freundliche Absichten aufs Korn.

»Das weiß