Final Game - Valuta Tomas - E-Book

Final Game E-Book

Valuta Tomas

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Beschreibung

Chapter 1 San Francisco: Ein letztes Mal müssen die Five Dogs ihre Macht auf der Straße beweisen. Ein letztes Mal kämpfen die Protagonistinnen Sam und Neve um ihre Liebe, während die Kinder der Hunde ihren ganz eigenen Einfluss auf ihre Eltern haben. Auf Neve wird ein Attentat verübt, das sie dazu zwingt, ihre Familie zu verlassen. Aus Liebe zu ihrer Frau und den Kindern, flüchtet sie in das kriminellste Viertel von San Francisco, Hunters Point. Der einzige Ort dieser Metropole, den Matt noch nicht sein Eigen nennen kann. Ein Ort, den keiner der Hunde freiwillig betritt und Neve sich deswegen dort sicher und unentdeckt fühlt. Allerdings schürt sie somit unwissentlich einen erneuten Bandenkrieg. Ohne zu wissen, dass sie damit einen Fehler begeht, holt Sam ihre Frau wieder nach Hause. Ihr ist nicht bewusst, dass sie mit dieser Entscheidung eine Welle an seelischen Qualen auslöst, die nicht nur sie selbst und die Kinder betrifft, sondern alle die an Neves Leben teilhaben. Ein Leben, das die FBI Agentin verlässt, als ihr Körper versagt und ihr Herz zum letzten Mal schlägt … Fortsetzung mit Chapter 2

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Valuta Tomas

Final Game

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Round 1

Round 2

Round 3

Round 4

Round 5

Round 6

Round 7

Round 8

Round 9

Round 10

Round 11

Round 12

Round 13

Impressum neobooks

Prolog

Jean

Auszug aus Graceful Body

Sams Hände krallen sich in den luftgepolsterten Rand des Geburtsbeckens. Kniend lässt sie ihren Kopf zwischen den ausgestreckten Armen hängen. Schwer atmend versucht sie den Schmerz zu ertragen.

Die Hände ballen sich zu Fäusten, während sie zu stöhnen beginnt. Neve hockt neben ihr und massiert sanft ihren Rücken.

»Geht's?«, fragt sie fürsorglich. Sams Antwort ist ein weiteres schmerzverzerrtes Stöhnen. Wimmernd erträgt sie die erneute Kontraktion, bis diese nach und nach abebbt. Zitternd beugt sie sich etwas vor. Sie stützt die Ellenbogen auf den Beckenrand und wischt sich ein paar Haarsträhnen von der schweißnassen Stirn. Laura ist ihr behilflich und schiebt eine hinter das Ohr.

»Noch ein Wort von dir, Neve, und ich schmeiße dich raus. Seit Stunden redest du wie ein Wasserfall. Ich kann deine Stimme nicht mehr hören«, keift Sam wütend und blickt zu ihrer Frau nach hinten. Ihre Augen werfen ihr einen so unnachgiebigen und wütenden Blick zu, dass das warme Wasser im Becken eigentlich mit einem Schlag gefrieren müsste.

Neve presst schuldbewusst, aber erschlagen über Sams Worte, die Lippen aufeinander. Leicht betreten blickt sie um sich. Sam hat ja recht. Seit vor Stunden bei ihrer Frau die Wehen eingesetzt haben, hat sie den Mund tatsächlich keine fünf Minuten durchgängig geschlossen gehalten.

»Sei nicht so hart zu ihr«, versucht Laura ihre Freundin zu beruhigen. Sanft streicht sie ihr über den Kopf. Sam blickt zu ihr hoch.

»Wir sprechen uns in ein paar Tagen wieder, wenn du in den Wehen bist und zur Oberzicke mutierst«, raunt sie zynisch. Laura lächelt und stupst ihr auf die Nasenspitze.

»Mit Sicherheit werde ich nicht so zickig wie du.«

»Nein, schlimmer«, gluckst Jessica von der Couch hinüber. Laura reißt den Kopf in die Richtung ihrer Frau. Den Blick den sie ihr zuwirft, kann mit Sams von eben in hundert Jahren mithalten.

»Siehst du, geht schon los«, lacht Jessica, ohne sich bewusst zu sein, wie gefährlich diese Aussage für sie enden könnte. Laura schnaubt wütend.

»Vorsicht, Wasser kommt.« Neve rutscht im Becken etwas zur Seite, damit Matt und Damon jeder einen Topf mit warmem Wasser nachkippen können. Mit vorsichtig kreisenden Bewegungen verteilt sie die wohltuende Wärme. Sam stöhnt kurz wohlig auf, als die Wärme sie erreicht. Sie legt die Unterarme auf den Rand und legt den Kopf ab. Genießerisch schließt sie die Augen für ein paar Sekunden, bis Matt ihr fürsorglich über die Haare streicht.

Auch wenn es ihr schwerfällt und sie eigentlich nur noch schlafen will, öffnet sie ihre Augen und blickt zu ihm hoch.

»Meine tapfere kleine Sam«, lächelt er vertraut. Bevor sein treuster Hund aber antworten kann, setzt auch schon die nächste Wehe wieder ein. Stöhnend und wimmernd erträgt sie die Schmerzen, bis sie plötzlich zu schreien beginnt.

Seit Stunden wechselten sie und Neve aus dem Becken wieder heraus, damit Sam sich etwas bewegen konnte. Neve folgte ihr auf Schritt und Tritt. Sie stützte sie und konnte immer genau sehen, wann die Schmerzen größer und stärker wurden. Aber noch nie schrie ihre Frau vor Schmerzen auf.

Von daher schießt sie alarmierend hoch, rutscht zu Sam hinüber und massiert ihr wieder den Rücken. Sam reißt eine Hand vom Rand und legt sie sich auf den Bauch. Sie schreit noch immer, bis es zu einem Stöhnen abschwächt.

»Wann hört das endlich auf?«, krächzt sie schluchzend, kaum das sie Luftholen kann.

»Ich werde den Muttermund nochmal überprüfen«, lenkt die Hebamme Sam von den Schmerzen ab. Neve rutscht etwas zur Seite, damit die gute Frau an Sam herankommt. Vorsichtig tastet diese sie ab und hört gleich darauf zur Sicherheit noch einmal die Herztöne ab. Kaum kann Neve dieses aufgeregte und schnelle Pochen hören, schießen ihr Tränen in die Augen.

Bei jedem Ultraschalltermin begleitete sie ihre Frau, auch wenn sie deshalb ihren neuen Job unterbrechen musste. Ihr war es aber immer wichtiger bei ihrer Frau und ihrem Kind zu sein, anstatt Verbrecher zu jagen.

Auch Precious war jedes Mal dabei und starrte begeistert zu diesem kleinen Wesen auf den Bildschirm. Beide Frauen bereiteten sie schon früh darauf vor, dass sie bald ein Geschwisterchen haben würde. Sie hüpfte immer voller Aufregung herum und bettelte darum, dass sie eine Schwester haben möchte. Einen Bruder hätte sie ja schon. Aber sobald sie dieses kleine Etwas auf dem Monitor sah, war es ihr egal, ob sie eine Schwester oder einen Bruder bekam. Sie fand diesen Anblick einfach nur faszinierend. Auch war das eine der seltenen Momente, wo sie vollkommen ruhig wurde. Sie sprang nicht wie gewohnt durch die Weltgeschichte oder quietsche mit ruderndem Armen herum. Nein, sie war bei jedem Termin unfassbar ruhig und gebannt.

Bis heute wissen die Frauen nicht, ob es ein Junge oder Mädchen wird. Es ist ihnen auch egal. Matt rümpfte zwar immer die Nase, weil er schon neugierig war, akzeptierte aber die Entscheidung seiner Frauen.

Die Namensfindung für ein Mädchen war ja schon geklärt. Bei einem Jungen konnten sie sich auch recht schnell einigen. Dylan.

Laura tippte dann irgendwann auf den Küchentisch der beiden und erhob Besitzansprüche auf diesen Namen.

»Wenn es bei euch ein Mädchen wird, nehmen wir den Namen.« Ihr ernster Tonfall ließ keine weiteren Kommentare zu. Selbst Jessica hielt still, als Laura das in diesem Augenblick scheinbar vollkommen alleine entschied.

Die Geburtstermine der beiden liegen nur ein paar Tage auseinander. Laura ist froh, dass Sam die erste ist. Denn somit kann sie sich entscheiden, ob sie zuhause ebenfalls eine Wassergeburt haben möchte, oder doch lieber traditionell ins Krankenhaus geht. Bis heute scheint sie sich noch nicht entschieden zu haben.

Durch die Entscheidung von Sam und Neve, das Kind zuhause zur Welt zu bringen, umgingen die beiden Freundinnen aber auch die kleine Prügel um den Kreißsaal.

Die Hebamme blickt zu Neve zurück und nickt bestätigend. Dann schaut sie Sam zuversichtlich an.

»Der Muttermund ist weit genug geöffnet. Du machst das wirklich super. Es kann eigentlich jeden Augenblick losgehen.«

»Wehe wenn nicht«, grunzt Sam gereizt. Nach Luft ringend richtet sie sich etwas auf und stützt sich zur Seite. Neve versteht diese Aufforderung ohne Worte, rutscht zu ihr hinüber und zieht sie vorsichtig zwischen ihre Beine.

Schwer atmend lehnt sich Sam mit dem Rücken gegen sie. Atmend entspannt sie sich etwas und schließt erschöpft die Augen.

Behutsam legt Neve beide Arme um sie. Sanft streichen ihre Hände über Sams Bauch.

Als wenn es erst gestern gewesen wäre, weiß sie noch, wie sie eines Morgens im Bett hochschrak, als sie Sam lauthals schreien hörte. Schlaftrunken stolperte sie besorgt aus dem Bett und stürzte in das Ankleidezimmer. Ihre klebrigen Augen erfassten ihre Frau, die sich fassungslos im großen Spiegel anstarrte.

»Was ist?«, hechelte Neve von diesem kleinen Sprint. Sam drehte sich zu ihr um. Als wenn sie die Frage nicht fassen könnte, quietschte sie entrüstet »Siehst du das nicht?«. Neve blickte an ihr entlang. Mehr als diesen hinreißend und entzückend runden Bauch ihrer Frau, konnte sie nicht sehen. Von daher zog sie unwissentlich die Schultern hoch.

Sam blickte an sich hinunter. Sie konnte scheinbar nicht glauben, dass ihre Frau diese körperliche Veränderung nicht bemerkte. Sie war damals in der 31. Woche und schob somit schon eine gute Kugel vor sich her, aber irgendetwas schien sie nun in diesem Augenblick völlig aus der Fassung zu bringen.

»Ich sehe wie ein Pottwal aus«, quietschte sie geschockt. Sie drehte sich zum Spiegel zurück.

»Ich bin ein Elefant. Das ist ja widerlich«, schimpfte sie entrüstet.

»Ach, wird es ein Junge?«

»Was?« Sam schaute Neve fragend an. Die zog ein weiteres Mal die Schultern noch. Der Schlaf stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben.

»Wenn du ein Elefant bist und es ein Junge wird, dann hängt sicherlich schon der Rüssel raus«, gluckste sie verschlafen. Dann überlegte sie angestrengt.

»Nein, der Spruch ging irgendwie anders«, winkte sie lachend ab.

»Neve!« quietschte Sam wütend und stampfte mit einem Fuß auf.

Die ältere Frau drehte sich mit einem Mal um, murmelte »Hormone« vor sich hin und ließ sich in die Kissen zurückstürzen.

Da sahen beide Frauen dabei zu, wie Sams Bauch von Woche zu Woche wuchs und von einem Tag auf den anderen, fühlte sich ihre Frau fett? Das konnten nur die Hormone sein.

Mit einem kräftigen Schwung landete im nächsten Augenblick ein Kissen hart in ihrem Gesicht.

»Beweg sofort deinen Arsch. Du musst dich um mich kümmern«, keifte Sam wütend. Neve blinzelte verschlafen zu ihr hoch. Als sie diese Wut in ihren Augen erkennen konnte, erhob sie sich widerwillig aus den Kissen.

»Ok, ich mache dir einen Tee«, murmelte sie. Schlafend und mit hängendem Kopf schlurfte sie aus dem Schlafzimmer, durch den Flur und trottete dann die Treppe hinunter.

»Das kann ja noch heiter werden«, gähnte sie vor sich hin, während das Wasser nur langsam zu kochen begann.

***

Schmerzend schlingt Sam eine Hand um Neves Finger, die andere schiebt sie in ihren Nacken, wo sie sich leicht festkrallt. Aber schon nach ein paar Sekunden entspannt sie sich wieder. Erschöpft lässt sie den Kopf auf ihre Schulter fallen.

»Ich halte das nicht mehr lange aus«, flüstert sie entkräftet. Neves streichelnde Hände beruhigen sie für einen kurzen Moment, bis Sam sie schmunzeln hört. Sie kommt aber nicht dazu zu fragen, weshalb sich dieses entzückende Lächeln auf den Lippen ihrer Frau befindet. Denn die gleitet an ihr Ohr und flüstert »Brauchst du auch nicht. Deine Fruchtblase ist eben geplatzt«. Als Antwort entspannt sich Sam noch mehr. Sie weiß selbst, dass sie jetzt ihre letzten Kraftreserven irgendwie anzapfen muss.

»Wenn…«, sie schluckt schwer »wenn du meinst, mich nochmal schwängern zu wollen, werde ich dir den Hals umdrehen«, pustet sie angestrengt. Neve lacht leise.

»Ich würde es jederzeit wieder tun«, flüstert sie und haucht ihrer Frau einen sanften Kuss auf den Hals.

»Aber ohne mich«, murmelt Sam erschöpft. Sie holt einige Male tief Luft, bis die nächste Kontraktion beginnt. Krampfend und schreiend hält sie sich an ihrer Frau fest. Die drückt ihre Wange gegen Sams Kopf und gibt ihr vereinzelnd ein paar Küsse gegen die Schläfe. Sie kann spüren, wie viel Kraft Sam dieser ganze Prozess kostet. Wie erschöpft sie ist und wie die Schmerzen sie zerreißen. Wenn es dafür nicht diesen wunderschönen Grund gäbe, wäre sie vor Sorge schon tausend Tode gestorben.

Dennoch erinnert sie sich an dem Abend, als Matt in das Bad des Schlafzimmers schlenderte und den beiden einen kleinen Plastikbecher auf die Armatur stellte.

»Schönen Abend noch und viel Spaß damit«, gluckste er frech. Zuerst starrte Neve mit großen Augen auf dieses kleine Behältnis, streckte dann aber einen Arm aus und zeigte Richtung Tür.

»Verschwinde«, lachte sie. Es dauerte eine paar Momente, bis sich die Haustür öffnete und danach wieder verschloss. Neve begab sich gleich darauf vor der Armatur in die Hocke. Ihre Augen erfassten den Becher. Wie ein wissbegieriges Kind im Biologie-Unterricht, blickte sie mit großen Augen auf den Inhalt dieses Gefäßes.

»Das ist sooo widerlich«, schluckte sie hart. Ihr Blick glitt zu Sam, die ein paar Meter vom Bad entfernt stand. Ein Ausdruck, der puren Ekel ausdrückte, hatte sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet. Sie schien zu überlegen, ob sie diese Idee tatsächlich in die Tat umsetzten. Auch sie musste schwer schlucken.

Neve blickte zu dem Becher zurück und schüttelte angewidert den Kopf.

»Und du hast das Zeug geschluckt.« Ein wütendes Schnauben war zu hören.

»Das musste jetzt sein, oder?«, keifte Sam wütend. Dann fuchtelte sie mit einer Hand zu dem Becher hin.

»Mach… fang lieber an, bevor die Dinger da drinnen…. Man, warum braucht man dafür nur unbedingt diese Scheiße?« Als wenn sie sich jeden Augenblick übergeben würde, unterdrückte sie tapfer ein Würgen. Neve zog entschuldigend die Schultern hoch.

»Tut mir leid, dass ich das nun mal leider nicht kann.«

»Ja ja, fang endlich an«, brummte Sam wütend und machte einen weiteren Schritt zurück.

Neve holte tief Luft, schluckte und griff zur Seite. Etwas zittrig zog sie sich die vertrauten Gummihandschuhe über und griff nach dem Becher. Fast in Zeitlupe drehte sie den Deckel auf. Vorsichtig nahm sie diesen ab. Angespannt spähte sie in den Becher hinein. Im nächsten Moment schoss sie einen Schritt zurück.

»Warum zur Hölle muss dieses Zeug nur so pervers stinken?«, keifte sie wütend und schlug sich eine Hand auf Nase und Mund.

»Boah, das geht gar nicht.« Weil Sam in ausreichender Entfernung stand, bekam sie von dem Odeur nichts ab. Von daher traute sie sich frech zu lachen, als sie Neves angewidertes Gesicht sah.

Die ältere Frau blickte zu ihr hinüber. Sie schnaubte wütend.

»Lach ruhig weiter. Ich schütte dir das Zeug gleich über den Kopf«, drohte sie murmelnd hinter vorgehaltener Hand. Sofort beendete Sam das Lachen, konnte es aber nicht verhindern, dass sie noch ein kleines Lächeln auf den Lippen hatte.

Neve trat wieder an die Armatur, blieb dann aber stehen. Hastig schüttelte sie den Kopf. Mit einem Satz huschte sie an Sam vorbei und verließ das Schlafzimmer. Ihre Frau schaute ihr etwas sparsam hinterher.

Es dauert etwas bis Neve zurückkehrte. Sam brach gleich darauf in schallendes Gelächter aus, als sie die Wäscheklammer auf der Nase ihrer Frau sah.

»Du kannst mich gerne auslachen, aber das Zeug stinkt wie die Pest«, fluchte Neve mit unbekannter Nasenstimme. Sam presste ihre Lippen aufeinander, nur damit sich Neve nicht allzu verspottet fühlte. Allerdings konnte sie ein kurzes prusten beim besten Willen nicht unterdrücken.

Mit zusammengekniffenen Augen blickte Neve sie noch einmal an, bis sie zur Armatur zurückging. Sie fuchtelte einige Zeit vor sich hin, schnappte mit weggedrehtem Kopf immer wieder nach Luft, bis sie fast salutierend vor ihrer Frau stand.

»Bewaffnet und bereit, Ma'am«, verkündete sie mit ihrer Nasenstimme stolz. Sam schmunzelte, griff ihr in die Bluse und zog sie in das Schafzimmer zurück.

»Komm Schatz, mach mir ein Kind«, lachte sie schalkhaft und sarkastisch. Sie nahm Neve die Wäscheklammer ab, schmiss sie achtlos zur Seite und zog sie näher zu sich, nur um ihre Lippen voll und ganz für sich in Besitz zu nehmen.

»Oh, ich werde es dir so richtig besorgen, Baby«, murmelte Neve mit gespielt männlicher Stimme. Beiden entfuhr gleichzeitig ein Lachen, bis sie sich auf das Bett fallen ließen und ihren ersten Versuch von zwei starteten.

***

»Oh Gott, Neve«, schreit Sam mit einem Mal unfassbar ängstlich. Nur mit einem einzigen schnellen Blick nach oben, reicht Neve Laura, Sams Hand. Diese übernimmt hastig und kniet sich am Becken hinter ihre Freundin. Beschützend hält sie sie, während Neve vorsichtig hinter Sam wegrutscht.

Die Hebamme eilt um das Becken herum. Zitternd und mit dieser Situation plötzlich völlig überfordert, kniet sich Neve zwischen Sams Beine.

Schreiend wirft Sam den Kopf auf den Rand zurück. Behutsam streichelt Laura sie, hält ihre Hand aber noch immer fest, die ihr bei dieser Kraftanstrengung fast die Knochen bricht.

Nur nebenbei bemerkt Neve, dass Laura ihrer Freundin irgendwelche Worte zuflüstert. Sie kann zwar keines davon verstehen, weiß aber, dass sie Sam beruhigen. Denn ihre Frau wechselt von einem Schrei, zu einem Brummen. Mit aller Kraft die sie besitzt, presst sie die Lippen aufeinander und die Augen zusammen. Aus dem Schreien ist ein kontrolliert schnelles atmen geworden. Wie ein Hund nach einer ausgiebigen Fahrradtour, hechelt Sam und klammert sich an Lauras Hand.

»Du machst das super«, lobt ihre Freundin sie. Als wenn sie die Worte kaum verstehen würde, schüttelt Sam den Kopf. Sie reißt ihn nach vorne, schaut ihre Frau an und beginnt wieder zu schreien.

Mit den Worten der Hebamme »Das Baby kommt«, wirft Sam den Kopf wieder zurück. Ihr ganzer Körper spannt sich bis in die letzte Faser an, als sie das erste Mal zu pressen beginnt.

Wenn Neve glaubte bisher jeden Schmerzensschrei ihrer Frau gehört zu haben, dann war es nichts gegen das, was ihre Ohren in diesem Augenblick zu hören bekommen. Sie überkommt eine Gänsehaut, wird sich aber schlagartig wieder bewusst, in welcher Verantwortung sie sich im Augenblick befindet.

Sam entspannt sich für einen kurzen Moment, nur um gleich darauf erneut vor Schmerzen zu schreien.

»Ruhig weiter atmen«, rät ihr die Hebamme, was Sam aber kaum wahrnimmt. Sie krallt sich weiter in Lauras Hand und lässt es sich nicht nehmen, ein lautes »Fuck« zu schreien.

Laura streicht ihr behutsam über den Kopf und haucht ihr während der weiteren Zeit immer wieder beruhigende Küsse auf das Haar. Sie blickt zu Neve vor, die zwischen Sams Beinen kniet und den Blick starr auf deren Schritt gerichtet hat.

Als sich deren Augen nach einer gefühlten Ewigkeit und unendlichen Schmerzen für ihre Frau weiten und sie irgendwie geschockt nach Luft schnappt, flüstert Laura Sam beruhigend »Weiter pressen« zu. Aber wieder schüttelt ihre Freundin den Kopf. Sie ist kaum noch bei Verstand. Benommen agiert sie nur noch und hört auf ihren Körper. Er sagt ihr, was sie zutun hat.

Von daher reißt sie erst wenige Sekunden nach Lauras Aussage den Kopf wieder vor. Ihre Augen halten sich an Neve fest, die wie hypnotisiert zu ihr hinunterblickt. Ihre Hände schwimmen zitternd aber aufmerksam vor Sam. Nur kurz hebt sie den Blick. Sie sieht ihre Frau voller Konzentration und mit hochrotem Kopf pressen und gleichzeitig den Schmerz ertragen. Sie selbst durfte dieses Gefühl mit Precious leider nie erfahren und ist für einen kurzen Augenblick tatsächlich neidisch auf Sam.

Diesen wichtigen und herzerfüllenden Schritt nun aber mit ihr teilen zu dürfen, reißt sie wieder in ihre Aufgabe zurück.

Zitternd aber zaghaft legt sie ihre Hände unter das Köpfchen des Babys. Sie bekommt kaum mit, dass ihr die Hebamme behilflich ist und unter Wasser die ersten Reste der Fruchtblase vom Köpfchen streicht.

Fassungslos und von diesem kleinen Wunder überwältigt, starrt sie zu diesem winzigen Wesen hinunter, dass sich noch nicht ganz zeigen mag.

Erst als Sam für ein paar Sekunden den Kopf wieder zurücklegt, Luft holt und sich ein letztes Mal anspannt, scheint sich das Baby den restlichen Werdegang überlegt zu haben.

Mit einem lauten Aufschrei, gibt Sam ihrem Kind einen letzten kleinen Stups, bis sich der Zwerg sanft von Neves Händen in einer einzigen fließenden Bewegung vollständig auffangen lässt.

So wie die Hebamme ihr das in mehreren Gesprächen zuvor genau erklärt hat, hebt Neve den Zwerg schnell aber zugleich vorsichtig aus dem Wasser und legt ihn Sam auf die Brust.

Ihre Frau braucht noch ein paar Sekunden, bis sie wieder bei klarem Verstand ist. Laura drückt ihr unaufhaltsam schluchzende Küsse auf die Haare, bis sie ihre Hand loslässt.

Kraftlos hebt Sam den Kopf und blickt zu diesem winzigen nackten Bündel auf ihrer Brust. Von den Schmerzen zwar noch benommen, aber mit dem Wissen, dass dieser Schritt nun vollendet ist, nimmt sie die Hände vor und legt sie vorsichtig um den kleinen Hosenscheißer. Schluchzend und weinend, streicht sie dem Zwerg über den faltigen und blassen Körper. Kaum beginnt das Baby zu schreien, fängt sie zu lachen an.

Erschöpft lässt sie für einen kurzen Moment den Kopf nach hinten fallen, blickt dann aber wieder nach vorne. Sie erfasst ihre Frau, die noch immer vor ihr kniet. Mit großen Augen und nassen Wangen starrt sie schon fast apathisch auf dieses neue Leben, bis Sam eine Hand zu ihr ausstreckt. Wortlos nimmt Neve diese und rutscht an ihre Seite. Ihre Ohren nehmen das Schreien des Babys wahr. Ihre Hand nimmt Sams sanfte Hand wahr und dennoch kommt ihr dieser Moment so unglaublich surreal vor. Sie kann das alles gar nicht so schnell verarbeiten, wie das nun gelaufen ist.

Stunden warteten alle auf diesen Augenblick und dann ging alles so schnell, dass Neve am liebsten noch einmal zurückspulen möchte, um das alles erneut zu erleben.

Erst als Sams Hand über ihre Wange streicht, kommt sie wieder zu sich. Benommen schaut sie ihre Frau an. Trotz der Erschöpfung, leuchten deren Augen voller Freude. Sie nimmt Neves Hand und führt sie vorsichtig zu dem kleinen Zwerg. Kaum spürt sie dessen Haut, laufen ihr noch mehr Tränen geräuschlos über die Wangen. Sie spürt den Hosenscheißer atmen, hört ihn schreien und könnte in diesem Augenblick selbst vor Freude schreien.

Sam holt sich erneut ihre Aufmerksamkeit, als sie ihre eigene Hand auf Neves legt. Kaum berühren sie beide den Zwerg, schauen sie sich an und wissen was sie wollen.

Neugierig blicken zwei Augenpaare an diesem winzigen Körper entlang, bis Sam die erste ist, die zu lächeln beginnt.

»Hallo Jean«, begrüßt sie weinend die kleine Maus auf dieser Welt.

Sam legt den Kopf zurück und sucht ihre Tochter. Zwischen all den Erwachsenen, kann sie sie dann ausfindig machen und lächelt sie voller Stolz an.

»Du hast eine Schwester«, verkündet sie erschöpft. Anstatt laut aufzuschreien, kniet sich Precious neben ihrer Mutter an das Becken. Faszinierend blickt sie auf das kleine Wesen. Erst durch das schwache Nicken, zeigt sie somit, dass sie die Aussage ihrer Mutter verstanden hat. Ihre braunen Augen tasten den kleinen schreienden Körper ab.

»Sie sieht komisch aus.« Neve schiebt einen Arm in Sams Nacken um sie zu stützen und streicht Precious mit der anderen Hand über den Kopf.

»Das ist ganz normal. Das wird schon.« Sam kann spüren, wie anstrengend diese kleine Aussage für ihre Frau war. Das ganze scheint sie doch mehr Kraft gekostet zu haben, als sie sich wahrscheinlich selbst zugemutet hätte.

Ihre eigenen erschöpften Augen blicken um das Becken herum. Auch wenn ihr die dortigen Menschen die liebsten auf der Erde sind, fühlt sie sich im Augenblick doch etwas beobachtet. Jessica und Laura kommen aus dem schluchzen und heulen gar nicht mehr heraus. Matt hat seine Unterarme auf den Beckenrand abgelegt und den Kopf dort platziert. Glücklich, fasziniert und mit nassen Wangen lässt er sein weiteres Kind keine Sekunde aus den Augen, während Damon hinter ihm steht und ebenfalls leicht benommen auf den Zwerg blickt.

Als wenn er es sich von Matt abgeschaut hätte, hat selbst Marley seine große Schnauze auf den Rand gelegt und miekst Schwanzwedelnd. Die Hebamme hat sich für diesen Augenblick kurz zurückgezogen. Sie wird gleich noch genug zutun haben. Diesen Moment will sie einfach nicht stören.

»Ich liebe dich«, reißt Neve ihre Frau flüsternd aus dem verträumten Blick. Strahlend schaut Sam sie an. Ihre Augen reden ohne Unterlass, aber ihre Lippen bewegen sich nicht. Sie deuten nur ein schüchternes Lächeln an. So lange, bis sich Neve zu ihr lehnt und sich einen vorsichtigen Kuss klaut.

Gemeinsam blicken sie zu ihrer Tochter und streicheln die kleine schreiende Jean zaghaft.

Round 1

Das Gefühl schweben zu können, hat Sam ganz und gar eingenommen. Neve kann es sehen, sie kann es am Gesichtsausdruck ihrer Frau erkennen. Daran, dass sie nicht imstande ist die Augen zu öffnen. Es ist nur ein zaghaftes flattern der Lider.

Um die getrockneten Lippen zu befeuchten, gleitet Sams Zunge über ihren leicht geöffneten Mund.

Neves Augen wandern von Sams pulsierender Halsschlagader über ihren bewegenden Brustkorb. Ihre Hingabe an Aufmerksamkeit hat deren Brustwarzen vor einiger Zeit aufrichten lassen. Eine leichte Briese ist Neve behilflich und lässt Sams Brustwarzen vollends härter werden.

Auch wenn sie kaum zu sehen sind, lächelt Neve bei dem Anblick von den kleinen und wenigen Schwangerschaftsstreifen die ihre Frau von der Schwangerschaft zurückbehielt. Sam hasst diese hässlichen Dinger, das weiß Neve. Dennoch ist es für sie selbst, der schönste Beweis für das wertvollste Wunder dieser Welt.

Seit Jean auf der Welt ist, hat Neve eine weitere Lieblingsstelle an Sams Körper entdeckt. Der Bauchnabel muss sich damit abfinden, dass Neve die Schwangerschaftsstreifen ebenso verwöhnt. Unbewusst will die ältere Frau Sam davon überzeugen, dass sie ebenso zu ihr gehören wie alles andere. Dass sie wunderschön und Zeuge eines wachsenden Lebens sind. Bis heute ist es Neve nicht gelungen Sam von ihren Gedanken zu überzeugen. Manchmal kann diese junge Frau dickköpfiger sein, als der stärkste Stier.

Fasziniert von dem Anblick und immer wieder aufs Neue neugierig, beugt sich Neve etwas vor. Gebannt blickt sie auf ihre Hand, die sich in einem gleichmäßigen Rhythmus vor und zurückbewegt. Sie beobachtet die Finger, die vor Lust glänzend in Sam eintauchen und gleich darauf wieder zum Vorschein kommen.

Begierig blickt sie zwischen dem Gesicht ihrer Frau und ihrer Hand hin und her. Sie kann sich einfach nicht entscheiden welcher Anblick köstlicher für sie ist.

Sam zu sehen und zu wissen, dass sie ihre Frau nach all diesen Jahren noch immer auf ihren gemeinsamen Gipfel der Lust treiben kann, ist für sie schon fast unglaublich.

Sams rechtes Bein hat sie zwischen ihre eigenen geschlungen, nur um Sam in der Position zu haben, in der sie ihre Frau haben will.

Neve liegt seitlich an Sam entlang und hat einen faszinierenden Anblick auf ihren ganzen Körper. Mit dem Arm unter Neves Achsel geschoben, könnte Sam jederzeit die Position ändern und die Führung übernehmen. Aber dazu ist die Südländerin gar nicht fähig. Zu sehr hat ihre Frau sie gefangengenommen.

Neves Augen blicken an Sams linkem Bein entlang. Fast im selben Rhythmus wie ihre Hand, schwabt Süsswasser gegen Sams Fuß, während es gleichzeitig Neves Waden umspült. Dieser gleichmäßige Rhythmus wiegt beide Frauen auf einer besonderen Ebene der Sicherheit.

Mit einem Mal hebt Sam ihre linke Hand und legt sie auf die Hand ihrer Frau. Gleichzeitig stellt sie das freie Bein auf und breitet es weiter aus.

Lächelnd blickt Neve zu ihr zurück. Sie kennt diese Aufforderung ihrer Frau. Sie kennt alles von ihr. Jede kleinste Handlung ist ihr so vertraut, wie ihre eigenen. Und genau aus diesem Grund beendet sie den bisherigen Rhythmus. Stattdessen taucht sie tiefer in ihre Frau, die sie mit dem anheben ihres Beckens sehnsüchtig erwartet. Der Fuß des aufgestellten Beins schiebt sich in den weichen Sand. Die Hand die auf Neves liegt, verlässt diesen Platz und krallt sich ebenfalls in den Sand.

Neve braucht ihre Finger nur noch ein paar Sekunden in Sam zu bewegen. Auf diese Weise mit ihrer Frau verbunden zu sein und sie so tief zu spüren, lässt Neve vor Ehrfurcht und gleichzeitiger Liebe noch immer erschauern.

Während ihre Finger tief und vorsichtig in Sam tanzen, beugt sie sich hinab und bedeckt zuerst Sams Schlüsselbein mit Küssen. Danach ihren Hals. Das atmen ihrer Frau wird schwerer und stockender.

Mit einem Mal schlingt Sam beide Arme um Neve. Mit aller Kraft die sie in diesem Augenblick aufbringen kann, klammert sie sich an ihre Frau, während diese spüren kann, wie sich Sams Muskeln um ihre Finger legen und sie festhalten.

Es gab bis heute nicht einen einzigen Akt zwischen ihnen, wo Neve Zweifel daran hatte, Sam wäre nicht zum Orgasmus gekommen. Nicht ein Mal hat ihre Frau ihr etwas vorgemacht. Immer konnte sie spüren und auch schmecken, dass sie Sam tatsächlich diese Lust bereitete.

Sams Hand krallt sich in Neves Rücken fest. Der Sand in ihrer Hand rieselt dort prickelnd entlang. Ihr Mund lässt ein langgezogenes Stöhnen frei. Neves Lippen küssen Sams Hals. Ihre Zunge gleitet über die aufgeheizte Haut.

»Ich will noch ein Kind mit dir«, hört sie sich selbst zwischen den Küssen flüstern. Gleichzeitig schwächt Sams Stöhnen etwas ab. Momente verstreichen stillschweigend, bis Neve ein kaum hörbares aber ernstes »Nein« von Sam vernehmen kann. Flüsternd, irgendwie schüchtern.

Sie beugt sich auf. Verwundert schaut sie in das erschöpfte Gesicht ihrer Frau. Sam öffnet erst nach einigen Sekunden die Augen. Mit festem Blick schaut sie Neve an. Bestätigend zu ihrer Aussage schüttelt sie den Kopf.

»Nein«, wiederholt sie leise. Gleich darauf füllen sich ihre Augen mit Tränen.

»Neve, du stirbst. Verlange nicht von mir, dass ich in einem Arm unser Kind halte, während du in meinem anderen Arm stirbst.«

Erschrocken reißt Neve die Augen auf. Die vertraute Dunkelheit im Schlafzimmer legt sich augenblicklich wie ein erdrückender Schleier auf sie. Von der Wucht der Gefühle, die in diesem Traum auftauchten regelrecht erschlagen, holt sie tief Luft. Sie spürt ihr Herz bis zum Hals schlagen. Ein gewisser Grad an Panik erwacht in ihr. Mit einem Mal wird sie innerlich so nervös und aufgelöst, dass sie die Augen schließt und schwer schluckt. Mit aller Kraft konzentriert sie sich auf ihre Atmung, die in diesem Augenblick einen kleinen Marathon absolviert. Ihr Kiefer beginnt zu zittern, Tränen schießen in ihre Augen. Schlagartig öffnet sie diese wieder. Panisch wandert ihr Blick durch das Schlafzimmer. Sie dreht sich auf den Rücken und blickt zu Sam hinüber. Die liegt mit dem Rücken zu ihr auf der Seite und schläft den Schlaf der Gerechten. Irgendwie erleichtert atmet Neve ein weiteres Mal tief durch. Sie blickt zum Nachttisch zurück. Die Uhr zeigt ihr an, dass sie in einer halben Stunde aufstehen muss. Sich jetzt nochmal auf die Seite drehen und die Augen schließen wäre sinnlos. Sie wüsste eh nicht, ob sie das nach diesem Traum überhaupt könnte. Denn, wie sie augenblicklich feststellen muss, hat der Traum ihr nicht nur eine Welle von unangenehmer Angst mitgegeben, sondern auch ein ansehnlicher Schwall Erregung.

Neve spürt, dass es zwischen ihren Beinen brennt und kribbelt. Die Erregung und das noch vorhandene Gefühl der Angst vermengen sich zu einem Gefühl, welches sie nicht richtig einstufen kann. Es macht sie unfassbar nervös.

Sie blickt wieder zu Sam zurück und atmet noch einmal tief ein und aus.

»Es war nur ein Traum«, beruhigt sie sich selbst. Sie weiß, sollte sie mit dem Wunsch eines weiteren Kindes an Sam herantreten, würde Sam nicht Nein sagen. Ihre Frau würde zustimmen und sie könnten sich darüber freuen ihre Familie weiter wachsen zu lassen. Es wäre nur fraglich wie sie das machen wollen. Neve ist mittlerweile Mitte fünfzig. Eine Schwangerschaft wäre also viel zu gefährlich, für beide. Sam robbt ihr zwar mit elf Jahren Verspätung hinterher, aber auch für sie wäre eine weitere Schwangerschaft nicht von Vorteil. Zumal sie wahrscheinlich wieder eine mittlere Krise wegen der Veränderung ihres Körpers bekommen würde.

Neve will nicht weiter darüber nachdenken, was ihr der Traum für Zeichen gegeben hat. Sie will in erster Linie nur ein Bedürfnis beseitigen. Von daher robbt sie fast bewegungslos zu Sam hinüber. Vorsichtig legt sie ihre Hand auf Sams Hüfte. Angespannt blickt sie zu ihrem Gesicht hoch. Nichts, ihre Frau hat diese vorsichtige Berührung nicht mitbekommen, also weiter. Fast bewegungslos schiebt sie ihre Hand unter die Decke. Umständlich fummelt Neve am Gummizug der Schlafanzughose herum. Sie weiß bis heute nicht, weshalb Sam seit Monaten im Schlafanzug schlafen geht. Sie ist schon ewig nicht mehr splitterfasernackt aus dem Bad gekommen und so ins Bett gekrochen wie Gott sie schuf. Jedes Mal wenn Neve sie darauf ansprach, zuckte sie nur mit den Schultern und brabbelte etwas davon, dass ihr nachts kalt wäre. Die ausstrahlende Hitze, die Neve in diesem Augenblick allerdings entgegenströmt, erzählt definitiv etwas anderes.

Leichtfüßig wandern Neves Finger über Sams Unterleib, bis sie die ersten Haare spüren kann. Lächelnd zwirbelt sie einige Momente an den Haaren herum, bis sie sich ein Stück weiter traut. Kaum tasten sich ihre Finger zwischen Sams Beine, zuckt ihre Frau. Gleich darauf schiebt Sam ihr Becken etwas vor. Weg von ihrer Frau. Neve grinst. Es stört sie nicht. Wenn sie von vorne nicht an ihre Frau herankommt, wird sie einen anderen Weg nehmen.

Mit einem frechen Grinsen auf den Lippen wandert Neves Hand über Sams Becken nach hinten zu ihrem Po. Dieser ist noch immer so stramm und straff wie der einer siebzehnjährigen. Wie ihre Frau das macht, ist Neve bis heute ein Rätsel. Sams Arsch entspricht noch immer einem Apfel der Qualitätsklasse I. Das erleichtert ihr den direkten Weg zwischen Sams Beine.

Kaum berührt sie Sams Weiblichkeit mit den Fingerspitzen, entweicht ihr ein kurzes Stöhnen. Es fühlt sich so unfassbar vertraut und wunderschön an, dass sie niemals genug davon kriegen könnte. Sie kann sich einfach nicht vorstellen, jemals in ihrem Leben eine andere Frau im Intimbereich zu berühren, als ihre geliebte Frau. Sie kennt jeden einzelnen Millimeter und dennoch fühlt es sich immer wieder so unfassbar aufregend und neu für sie an.

Voller Vorfreude auf einen wundervollen Morgen, gleitet Neves Hand fordernder zwischen Sams Beine. Die greift allerdings plötzlich nach hinten, packt Neves Hand und zerrt sie störrisch aus der Hose heraus.

»Lass das«, brummt sie und schiebt ihr Becken ein ganzes Stück weiter vor. Überrascht schaut Neve zu ihr hoch. Nachdenklich legt sich ihre Stirn in Falten. Dann lächelt sie. Sam schläft, sie weiß sicherlich gar nicht was Neve vorhatte. Und falls doch, hat sie es wahrscheinlich falsch interpretiert. Im Schlaf verwechselt man gerne mal ein paar Dinge. Von daher schiebt Neve ihre Hand unter das Oberteil und wandert verspielt zu Sams Brüsten hoch. Gerade als sie diese berühren will, schiebt Sam ihre Hand erneut weg.

»Hör auf«, grunzt sie verschlafen. Verdattert zieht Neve den Kopf zurück. Ok, Sam scheint wach zu sein und zu wissen was sie macht.

Neve nimmt die andere Hand hoch, schiebt Sams Haare zur Seite und haucht ihr einen Kuss auf den Hals.

»Wir haben seit Monaten nicht mehr miteinander geschlafen«, flüstert sie in der Hoffnung, Sam somit umstimmen zu können.

»Und? Ich habe nun mal keine Lust«, zickt Sam bockig. Neve grinst. Sie kuschelt sich an ihre Frau und haucht ihr einen Kuss auf die Wange.

»Kommst du allmählich in die Wechseljahre, oder wie?«, kichert sie leise. Blitzschnell dreht Sam ihren Kopf nach hinten und schaut ihre Frau an. Auch wenn die Südländerin eigentlich noch schläft und ihre Augen so klein sind, wie die eines neugeborenen Kitten, schafft sie es dennoch ihnen diesen beißenden, durchdringenden und wütenden Ausdruck zu verleihen. Neve muss bei diesem Anblick tatsächlich schwer schlucken.

»Ok, du hast gewonnen«, stammelt sie eingeschüchtert. Sofort zieht sie ihre Hand aus Sams Oberteil und rutscht von ihr weg. Anstatt sich weiter mit ihrer Frau auseinanderzusetzen, dreht sich Sam wieder auf die Seite, kuschelt sich bequemer in das Kissen und beginnt nach wenigen Momenten wieder gleichmäßiger zu atmen.

Erstaunt zieht Neve eine Augenbraue hoch. Wie von einem Zug überrollt, schaut sie ihre Frau verdattert an. Was war das denn jetzt? So ein Verhalten kennt sie überhaupt nicht von ihrer Frau. Ist Sam eventuell wirklich in die Wechseljahre gekommen und keine von ihnen hat es so richtig mitbekommen? Zeit wäre es allmählich. Dem Gesetz der Natur nach, müsste Sam mittlerweile tatsächlich mit einem durchgeknalltem Spiel ihrer Hormone rechnen. Aber äußert sich das wirklich gleich so? Na gut, was heißt das schon? Sie und Neve haben wahrhaftig seit Monaten nicht mehr miteinander geschlafen. Genau genommen hat es fast ein Jahr nach Jeans Geburt begonnen. Es begann also schon irgendwie schleichend. Falls hier grade wirklich von den Wechseljahren gesprochen wird.

Nachdenklich blickt Neve zu Sam zurück. Bisher strotzte ihre Frau allem was für eine Frau in ihrem Alter eigentlich üblich ist. Sie kann über keine schmerzenden Knochen klagen. Über PMS kann sie sich auch noch nicht beschweren. Die grauen Haare haben sich nicht wirklich nennenswert vermehrt. Ganz zu schweigen von irgendwelchen Falten. Während Neve mit tiefen Furchen und unzähligen Grand Canyons im Gesicht durch die Welt stolpert, muss man bei Sam schon zweimal hinschauen bis man den Ansatz einer Falte auch nur erahnen könnte.

Wenn das aber alles fast spurlos an Sam vorbeigegangen ist, weshalb dann dieser plötzliche Einbruch ihres Liebeslebens? Neve und Sam waren seit jeher immer scharf aufeinander. Manchmal konnten sie sich selbst kaum zügeln. Aber plötzlich schlief alles ein. Neve nahm das vorerst gar nicht so bewusst wahr, weil beide beruflich und privat zu sehr eingespannt waren, als dass ihnen diese Veränderung bewusst gewesen wäre. Wenn Neve jetzt aber so darüber nachdenkt, fällt es schon irgendwie auf. Wenn die ältere Frau versuchte ihre Frau zu verführen, blockte diese ab. Es kamen die typischen Aussagen einer Frau wie Kopfschmerzen, Menstruation oder Müdigkeit. Selbst mit einem riesigen Gedankensalat bremste Sam ihre Frau in ihren Verführungsversuchen aus. Von Sam selbst kam eigentlich gar nichts mehr. Den letzten richtig ausgiebigen Sex hatten die beiden damals, als Neve Sam im Loft beim tanzen erwischte. Das war das letzte Mal, dass sie sich so richtig Zeit füreinander genommen haben. Danach waren es nur noch irgendwelche Nummern um die Lust zu befriedigen. Mehr nicht, leider.

Während Neve so darüber nachdenkt, fällt ihr auch auf, dass Sam seit Monaten nicht mehr nackt in ihrer Gegenwart aufgetaucht ist. Es ist schon fast wie damals, als diese Geschichte mit Niklas passierte. Sam versteckt sich vor Neve. Nur warum? Es ist nichts Gravierendes passiert, dass Sam eine triftige Begründung für ihr Verhalten hätte.

Nachdenklich blickt Neve zu Sam zurück.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, flüstert sie leise. Keine Antwort.

Wenn Sam keine Lust hat mit Neve zu schlafen, könnte es natürlich auch heißen, dass sie ihre Lust auf andere Weise befriedigt. Das Thema hatten sie doch aber schon. Sam versicherte ihr immer wieder, dass sie niemals eine andere Frau haben will, als sie. Was ist aber passiert? Eventuell vielleicht doch eine andere Frau?

Bei dem Gedanken daran, versetzt es Neve einen Stich ins Herz. Sie schluckt schwer. Ihr Körper beginnt überall zu kribbeln, als sie mit diesen Gedanken auf Sams Hinterkopf blickt.

»Hast du eine andere?«, presst sie leise zwischen ihre Lippen. Sollte Sam tatsächlich eine Liebhaberin haben, muss Neve es wissen. Sie muss es einfach wissen. Dann kann sie wenigstens damit arbeiten. Irgendwie.

Mit einer harten Bewegung reißt Sam plötzlich die Decke von sich herunter.

»Hör mit dieser verdammten Scheiße auf«, keift sie wütend. Sie steht aus dem Bett auf, betritt das Bad und knallt die Tür lautstark hinter sich zu. Erschrocken zuckt Neve zusammen. Ok, so sollte der Morgen nicht beginnen.

***

Mit aller Kraft ballt Neve eine Hand zur Faust. Ihre Augen liegen brennend auf dem Kaffeevollautomaten. Brauchte das Ding schon immer so lange um einen einfachen Kaffee zu machen?

Nervös trommelt sie mit der anderen Hand auf der Arbeitsplatte herum. Dann reißt sie sich herum, stampft in den Flur und rupft die Schublade der Kommode fast heraus. Hektisch schiebt sie Ersatzschlüssel, Kinokarten, Kugelschreiber, kleine Blöcke und sonstige lästige Gegenstände herum bis sie fündig wird. Mit einem Feuerzeug und einer Schachtel Zigaretten ausgestattet, trampelt sie in die Küche zurück und zieht die Kaffeetasse unter dem Automaten weg.

Draußen auf der Veranda setzt sie sich auf die Stufen, stellt den Kaffee ab und zündet sich eine Zigarette an. Gleich der erste Zug wird mit einem ausgestreckten Mittelfinger ihrer Lunge quittiert. Ihr ist es egal. Es ist Ewigkeiten her, dass sie geraucht hat. Sie brauchte dieses Zeug nicht. Nie gab es eine Situation der sie nicht Herr war und unter Kontrolle hatte. Aber jetzt, jetzt braucht sie einfach eine Zigarette. Sie hat das Gefühl ihre Nerven würden blank liegen. Sie fühlt sich erschöpft und zugleich aufgekratzt. Sams Verhalten macht sie nervös. Irgendetwas stimmt nicht. Nur was? Eigentlich bringt sie kaum etwas so schnell aus der Fassung, dass sie sich tatsächlich hilflos fühlt. Aber Sams Verhalten von vorhin lassen ihre Alarmglocken läuten.

Neve legt das Feuerzeug zur Seite und zieht noch einmal an der Zigarette. Auch dieser Zug wird hustend aufgenommen.

Ihr Blick fällt auf die Hand, die bis eben noch das Feuerzeug hielt. Langsam hebt sie diese bis vor die Augen. Sie dreht sie und schaut sich den Handrücken genau an. Sie betrachtet die Finger und den Ringfinger mit dem Zeichen dieser unerklärlichen Liebe Sam gegenüber.

Neves Augen wandern über die Hand, bis sie schmunzelt. Ihr Blick tanzt über alte und faltige Haut. Nichts sitzt mehr so wie sie es eigentlich gewohnt ist. Altersflecken belagern ihre Haut, die wie ein ledriger Lappen über ihren Knochen hängt. Da cremt sie sich jeden Abend vor dem zu Bett gehen die Hände ein, kann die Zeit und deren Fortschritt dennoch nicht aufhalten.

»Kein Wunder, dass sich Sam jüngere Frauen sucht. Das ist doch nicht mehr schön«, murmelt sie enttäuscht über sich selbst und betrachtet ihre leicht sehnige Hand noch immer eingehend.

»Du sollst damit aufhören.« Sams keifende Stimme lässt Neve zusammenfahren. Erschrocken dreht sie sich um. Ihre Frau steht mit geballten Fäusten und vor Wut kochend in der Verandatür. Ihr Blick verweilt flüchtig auf der Zigarette in Neves Hand, dann schaut sie ihre Frau wütend an. Wenn Blicke töten könnten, würde Neve wie ein steifes Stofftier zur Seite umkippen.

»Du rauchst, nur weil wir keinen Sex mehr haben? Macht dich das wirklich so fertig?« Sams Stimme zerreißt es fast vor Wut. Was ist nur in diese Frau gefahren? Weshalb scheint sie so maßlos wütend zu sein?

Bevor Neve aber antworten kann, dreht sich Sam um und verschwindet im Haus. Mit einer schnellen Bewegung wirft die ältere Frau die Zigarette in den Garten und eilt ihrer Frau hinterher. Im Flur bleibt sie verwundert stehen. Mit dem Rücken zu ihr, steht Sam regungslos vor ihr. Der Kopf ist leicht gesenkt, die Hände noch immer zu Fäusten geballt.

»Soll ich dir zeigen, weshalb wir nicht mehr miteinander schlafen? Willst du wirklich den Grund dafür wissen?« Neve schluckt. Will sie den Grund wirklich wissen? Will sie der Wahrheit in die Augen blicken?

Sam schaut über ihre Schulter hinweg nach hinten und hebt die Hände.

»Es ist jedenfalls nicht, weil ich irgendwelche jüngere Frauen vögel. Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass es für mich nur noch dich gibt.« Sams Stimme sprüht vor Aggressivität. Ihre Hände werkeln währenddessen am Oberteil des Schlafanzuges herum. Nachdem alle Knöpfe geöffnet sind, schiebt sie das Kleidungsstück von den Schultern und dreht sich um. Kaum steht sie ihrer Frau halbnackt gegenüber, greift sie an den Hosenbund und schiebt auch das letzte Kleidungsstück ihren Körper entlang.

»Das ist der Grund. Das und nichts anderes«, zischt Sam, kaum, dass die Hose den Boden berührt.

Als sie anfing sich dem Oberteil zu entledigen, dachte Neve für einen kurzen Augenblick, dass Sam eine Verletzung hat von der sie nichts weiß und sie hässlich entstellt. Aber wenn sie jetzt Sams Körper betrachtet kann sie nichts Auffälliges sehen.

»Sieh mich an, Neve. Sieh mich an.« Neve schluckt. Was ist mit Sam nur los?

»Das … das mache ich«, stottert sie verunsichert. Ihre Augen gleiten ein weiteres Mal Sams nackten Körper entlang. Sie weiß nicht worauf sie ihr Augenmerk richten soll. Nichts an Sam ist auffällig was ihre Aufmerksamkeit erregen könnte. Ihre Frau sieht aus wie eh und je.

»Ich bin hässlich, Neve. Seit Jeans Geburt ist mein Körper nicht mehr das was er einmal war. Ich hasse ihn! Ich hasse ihn mehr als ich es in Worte fassen könnte!« Was? Neves Augen weiten sich erschrocken. Verwundert über diese völlig irrsinnige Aussage, starrt Neve ihre Frau an. Deren wütender Gesichtsausdruck deutet an, dass sie zur Hochform aufläuft.

»Ich habe während der Schwangerschaft über fünfzehn Kilo zugenommen und bin bis heute nur zwölf davon losgeworden.« Bestätigend greift sie sich in die Seite. Das bisschen Fleisch was sie zwischen ihre Finger quetscht kann doch nicht ihr Ernst sein, oder?

»Ich habe unzählige Cremes und Öle ausprobiert, nur damit meine Haut nicht reißt, aber nichts half. Mein Bauch sieht mit den Schwangerschaftsstreifen wie ein fettes Zebra aus.« Neve glaubt ihren Ohren nicht zu trauen. Bitte was? Fettes Zebra? Sam hat insgesamt sechs Streifen auf ihrem Bauch. Ihr Bindegewebe ist so unfassbar gut, dass man diese Streifen kaum sieht. Nur wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man sie. Und damit übertreibt Neve noch nicht einmal. Sams Schwangerschaftsstreifen sind wirklich kaum zu erkennen. Sie sind dünne Fäden. Sam scheint das aber völlig anders zu sehen.

»Ich hatte so sehr gehofft und tatsächlich gebetet, dass mir das nicht passiert, aber ich habe mich sogar geweitet. Ich wollte so bleiben wie ich war, damit du weiterhin so mit mir schlafen kannst wie du es gewohnt warst.« Sams Stimme bricht. Tränen schießen in ihre Augen.

»Aber nein, ich musste mich ja unbedingt weiten. Wenn du in mich eindringst benutzt du mittlerweile von Anfang an zwei Finger anstatt einen. Wenn du nur einen benutzen würdest, wäre es, als wenn ein Irischer Wolfshund einen Chihuahua vögelt. Mehr als Luft rammelt der da nicht. Und dasselbe hast du mit mir. Ich wollte dir das nie antun. Ich wollte so bleiben wie ich war. Ich wollte dir für immer gefallen und dir einen wunderschönen Körper bieten. Aber es ist alles im Arsch. Nichts ist mehr so wie es einmal war. Und dafür hasse ich meinen Körper.«

Neve kann nicht so schnell reagieren, wie Sam sich bückt, die Hose hochzieht und das Oberteil vom Boden aufhebt.

»Sam … .« Neve macht einen Schritt in ihre Richtung, aber Sam reißt sich herum und rennt weinend die Treppe hinauf. Oben rennt sie Precious fast über den Haufen. Mit Jean umständlich im Arm, schaut Precious ihrer Mutter verwundert hinterher. Verdattert blickt sie nach unten und erfasst Neve. Die steht am unteren Ende der Treppe und blickt ihrer Frau verzweifelt hinterher. Als sie ihre Kinder dort oben stehen sieht, verdrängt sie die Sorgen um ihre Frau. Mit einem Ohr hört sie die Badezimmertür im Schlafzimmer zuschlagen. Alle anderen Sinne richtet sie auf ihre Kids.

»Guten Morgen«, lächelt sie gequält. Sie drückt Precious einen Kuss auf den Kopf, kaum dass sie mit Jean unten ankommt.

»Was ist mit Mommy? Warum weint sie? Habt ihr euch gestritten?« Wie kann man so kurz nach dem aufstehen schon so viele Fragen auf Lager haben?

Precious lehnt sich etwas zurück und blickt skeptisch zu Neve hinauf.

»Mummy, du stinkst. Hast du etwa geraucht?« Jetzt kriegt man es sogar schon von den eigenen Kindern volle Breitseite.

Leicht genervt schnauft Neve laut aus und nickt.

»Ja und es war ein Fehler. Tut mir leid«, pustet sie entkräftet. Kann der Tag eigentlich noch besser beginnen?

»Hast du Jean etwa ganz alleine aus dem Bett geholt?« Erstaunt streicht Neve dem Zwerg über den Kopf.

»Mamaaa«, jault Precious genervt. Seit einiger Zeit versucht sich die kleine Maus an den verschiedensten Varianten dieser Betitelungen. Selbst Sam bekommt oft genug ein kurzes Mum an den Kopf geworfen.

»Ich bin schon fast zwölf Jahre alt und nicht mehr so klein wie ihr immer denkt. Natürlich habe ich Jean alleine aus dem Bett geholt.« Neve schmunzelt bei dem trotzigen Unterton ihrer Tochter.

»Sicher, wie konnte ich nur daran zweifeln?« Precious schaut Neve nachdenklich an. Ihre Augen verengen sich.

»Geht es dir nicht gut? Du bist weiß im Gesicht.« Erstaunt blickt Neve zu ihrer Tochter hinunter.

»Echt?« Schon seit ein paar Minuten fühlt sie sich etwas mulmig. Sie hatte allerdings keine Ahnung, dass man dies scheinbar so offen sehen kann. Sagen wollte sie nichts.

Als wenn Precious mit ihrer Aussage die Achterbahn in Bewegung gesetzt hätte, wird Neve im nächsten Augenblick schwindelig.

»Ok«, stöhnt sie und hält sich den Kopf.

»Mummy?« Besorgt behält Precious ihre Mutter im Auge, bis die ihre Hand vom Kopf nimmt und auf die Brust legt. Direkt auf das Herz. Mit der anderen krallt sie sich an den Handlauf der Treppe. Langsam wankt sie zwei Schritte zurück. Ihr Blick wird von Sekunde zu Sekunde glasiger. Sie beginnt angestrengt zu atmen.

»Mummy, was hast du?« Neve will antworten, aber bis auf ein kraftanstrengendes Keuchen kommt nichts Weiteres aus ihrem geöffneten Mund heraus. Die Hand die sich an der Brust befindet, krallt sich in das Shirt.

»Mum«, brüllt Precious im nächsten Augenblick die Treppe hinauf. Geistesgegenwärtig setzt sie Jean auf den Fußboden ab und rennt in die Küche. Als sie zurückkehrt hat sich Neve mittlerweile auf die Treppe gesetzt. Sie atmet noch immer schwer. Die Hand liegt unverändert auf der Brust, die Atmung ist gleichbleibend schwer.

»Mum«, schreit Precious ein zweites Mal und eilt zu ihrer Mutter.

»Hier, Mummy.« Precious' Stimme zittert, als sie Neve eine Hand hinhält auf deren Innenfläche eine Tablette liegt. Neve blickt auf die kleine Hand. Diese teilt sich mit einem Mal. Aus der einen Hand wird eine zweite, gleich darauf sogar eine dritte. Verwirrt über dieses Spektakel nimmt sie die Hand von ihrer Brust, um die Tablette an sich zu nehmen. Aber kaum verlässt ihre Hand die Brust, beginnt ihr Herz noch mehr zu schmerzen. Keuchend krallt sie sich in das Shirt zurück. Ihr Herz schlägt dreimal so schnell und schwer wie sonst. Es ist, als wenn Sam sie wieder auf einen höllischen Orgasmus-Trip geschickt hätte. Ihr Herz hämmert wie besessen gegen ihren Brustkorb. Schweiß tritt auf ihre Stirn.

»MUM!«, brüllt Precious ein letztes Mal, während Neve mit großen Augen auf Precious' wankende Hand blickt. Sie lässt den Handlauf der Treppe los, um dieses Mal mit dieser Hand die Tablette an sich zu nehmen. Aber auch jetzt will es nicht gelingen. Ihr Kopf spielt fangen mit ihr. Die Hand ihrer Tochter hüpft verzückt vor ihrer Nase herum. Sie wankt von einer Seite zur anderen, hebt und senkt sich. Keine Sekunde bleibt sie still, sodass Neve die Tablette an sich nehmen kann.

»Oh Gott«, hört sie Sam im nächsten Augenblick hinter sich.

»Mum, Mummy nimmt die Tablette nicht.«

»Gib sie ihr. Precious, gib ihr die Tablette in den Mund.« Noch während Sam ihrer Tochter diese Sätze entgegenwirft, stürzt sie die Treppe hinunter, wobei sie gleich zwei Stufen auf einmal nimmt.

Zitternd und völlig überfordert schiebt Precious die Tablette zwischen Neves Lippen. Bereitwillig nimmt Neve diese kleine Hilfe an, bis Sam neben ihr auftaucht. Hektisch nimmt sie Precious die Wasserflasche aus der Hand und nickt ihr zu.

»Das hast du super gemacht, Precious. Danke.« Ohne auf die Aussage ihrer Mutter zu achten, geht Precious ein paar Schritte zurück. Besorgt und auch verängstigt schaut sie Sam dabei zu, wie sie Neve die Flasche Wasser an die Lippen setzt. Erst nach einigen Momenten nimmt Neve den Kopf zurück und trinkt mehrere Schlucke.

Um sich irgendwo festzuhalten, hebt Precious Jean vom Boden und starrt wieder zu ihren Müttern zurück.

»Es tut so weh«, keucht Neve angestrengt und krallt sich noch immer in das Shirt. Sams besorgter Blick ruht auf Neves Hand, die schützend auf ihrem Herzen liegt.

»Ich rufe einen Krankenwagen.« Kaum dass Sam auf die Beine gesprungen ist, packt Neve sie mit der anderen Hand und hält sie fest. Angestrengt schüttelt sie den Kopf.

»Nicht, es geht gleich wieder. Lass die Tablette wirken«, keucht sie schwer. Nur widerwillig begibt sich Sam zu ihrer Frau hinunter, die sich mehr und mehr darauf konzentriert richtig zu atmen.

»Ich werde einen Termin bei deinem Arzt machen. Es muss doch in solchen Situationen irgendetwas geben was schneller wirkt, als diese Tabletten. Eine Spritze vielleicht«, murmelt Sam nachdenklich, während Neves Atmung mit jedem Herzschlag langsamer und ruhiger wird.

Einige Zeit später lässt Neve den Handlauf der Treppe los, nimmt die andere Hand von der Brust und stützt sich auf den Stufen ab. Sie beginnt geregelter zu atmen.

»Das liegt sicherlich an dieser verdammten Zigarette«, brummt Sam noch immer nachdenklich. Sie sucht den Auslöser für die Krampfattacke, die die ganze Familie so früh am Morgen in Schach hält.

Besorgt blickt sie zu Precious zurück. Die hat Jean soweit zu ihrem Gesicht hochgeschoben wie sie kann, nur um sich vor der Situation zu verstecken. Ihre Augen liegen dennoch schimmernd und verunsichert auf ihrer Mutter.

Sam streckt eine Hand nach ihr aus, während ihre andere auf Neves Schulter liegt.

»Alles ok?«, fragt sie ihre Tochter ruhig. Mit großen Augen schaut Precious Sam an. Erst nach einigen Sekunden nickt sie. Tapfer lächelt Sam sie an.

»Du hast super toll reagiert, Precious. Du warst eine große Hilfe, danke.« Anstatt zu antworten, schluckt Precious und nickt ein weiteres Mal wortlos.

Auch wenn es Neve einiges an Kraft kostet, blickt sie voller Stärke zu Precious. Gequält lächelt sie. Anstatt sich ebenfalls zu bedanken, zwinkert sie ihrer Tochter zu. Diese kleine Geste hat sich relativ schnell zwischen den beiden herauskristallisiert. Beide wissen was damit gemeint ist und wie es jeder für sich aufzunehmen hat. Manchmal bedarf es keiner Worte, sondern lediglich einer einfachen kleinen Geste.

Sam blickt zu Neve. Besorgt nimmt sie ihr ein paar Haare zurück.

»Geht’s wieder?« Neve holt tief Luft, setzt ein schweres Lächeln auf und nickt.

»Ja, danke.« Sam schüttelt den Kopf. Neve weiß, dass sie sich bei solchen Attacken für keine Hilfe zu bedanken hat. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit ihrer Frau in jeder Situation zu helfen.

Langsam steht sie vom Boden auf und nimmt Precious Jean aus dem Arm. Ihre Tochter hat sich während der ganzen Zeit kein einziges Mal zu Wort gemeldet, sondern alles stillschweigend beobachtet. Aber kaum, dass sie in Sams Armen ist, strahlt sie ihre Mutter an und schlingt sich um ihren Hals.

Im Gegensatz zu Precious, ist Jean ein unfassbar ruhiges Kind. Manchmal müssen Neve und Sam genauer hinsehen um festzustellen, ob Jean mit offenen Augen schläft oder nicht. Oftmals wandern nur ihre Augen ganz langsam hin und her und nehmen alles um sich herum auf.

Während Precious alles mit ihren Händen anschauen muss und zigtausend Fragen stellt, betrachtet Jean ihr Umfeld ruhig und wissbegierig.

Hin und wieder lachen Sam und Neve bei einem Glas Wein über ihre Kids und fragen sich, ob sie nicht »normale« Kinder haben können. Welche die gleichzeitig aufgeweckt und quirlig sind, aber dennoch ruhig und besonnen. Nein, sie müssen ja unbedingt zwei grundlegende Gegensätze haben, die tatsächlich nicht unterschiedlicher sein können. Und dennoch passen die beiden Kids wie zwei fehlende Puzzleteile in diese Familie, die sie somit vervollständigt.

Sam blickt noch einmal zu ihrer Frau zurück, die mittlerweile etwas aufrechter auf den Stufen sitzt und wieder normal atmet. Nur der Schweiß steht ihr noch auf der Stirn.

»Geht’s? Kann ich dich alleine lassen? Ich muss Jean die Windeln wechseln.« Neve nickt. Sicher schaut sie zu ihrer Frau hoch.

»Natürlich, geh ruhig. Ich werde nur noch ein paar Minuten hier sitzen bleiben.«

»Ok. Du schreist wenn was ist, ja?« Nickend bestätigt die ältere Frau Sams Aussage, obwohl sie diese irgendwie witzig findet. Wie soll sie schreien, wenn sie vor Schmerzen kaum atmen kann?