Wer bist du - Valuta Tomas - E-Book

Wer bist du E-Book

Valuta Tomas

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Beschreibung

Geheimnisse - Das eine kann einem eine gänzlich neue Welt eröffnen, das andere das Leben kosten. Wie jeden Samstagabend, spielt auch heute in einem Pub irgendwo in New Bedford eine Liveband. Eigentlich will die Barkeeperin Evelyn den Bandmitgliedern das Getränk aufs Haus ausschenken, findet sich aber augenblicklich in den faszinierenden Fängen der Gitarristin Hela wieder. Unüberlegt beginnt sie eine Affäre mit dem Bandmitglied, bis sie wenige Tage später deren Zwillingsschwester Erin gegenübersteht und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Hin- und hergerissen von Helas selbstbewusster Ausstrahlung und Erins anziehender Distanzierung, weiß Evelyn nicht zu welchem Zwilling sie sich mehr hingezogen fühlt. Als dann aber auch noch die fünfjährige Mary in ihr Leben tritt und sie in Helas Gitarrenkoffer nicht das vorfindet, was man dort eigentlich vermutet, beginnt eine Achterbahn der Gefühle.

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Seitenzahl: 336

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Wer bist du

Valuta Tomas

Copyright © 2023 Valuta Tomas

Alle Rechte vorbehalten.

Coverfoto Urheber: Chainat

Urheberin Totenkopf-Bild: Amina-Xandra Gräser-Giersch

ISBN:9798393334925

Danksagung

Ein Dank geht an meine Familie, die mich bis zum heutigen Tag unterstützt und mir den Rücken stärkt.

Stefanie von Römer und Klaus Bärbel, ihr seid schon etwas verrückt, dass ihr mir auch weiterhin bei meinen Werken helft. Danke.

Danke auch an alle Leser, die immer wieder meine Bücher lesen und mich darin bestärken, einfach nicht aufzuhören. Tausend Dank dafür.

KAPITEL 1

Mitnichten ist Evelyn eine Musikexpertin. Musik empfindet sie als eine Art Lärmbelästigung und bevorzugt es eher ruhig.

Die Entscheidung einen Job anzunehmen bei dem Livemusik gespielt wird, wurde offensichtlich bei geistiger Umnachtung getroffen und bedarf einer Generalüberholung.

Dennoch schaut sie immer wieder zu der kleinen Bühne in The Vault Music Hall in New Bedford hinüber. Ihr Blick haftet an der E-Gitarristin, behält ihre Aufmerksamkeit allerdings beim Polieren des Cocktailglases. Immerhin ist sie zum Arbeiten hier und nicht zum Vergnügen. Aber diese Frau dort drüben erregt ihr Interesse. Laute Musik hin oder her.

Sofern sich Evelyn die Information richtig gemerkt hat, sind die fünf Damen auf der Bühne eine Coverband und tingeln von einer Stadt zur anderen. In die Charts kommen die Ladies sicherlich nicht. Allerdings ist bisher noch keines der Gläser hinter dem Tresen zersprungen. So schlecht ist das zarte Geschlecht dort oben also nicht. Es könnte schlimmer sein.

»Oder besser«, kichert die Barkeeperin, schlendert zum Ende der Theke und zapft einem Gast das bestellte Bier. Danach widmet sie sich wieder der Coverband.

»Wie findest du sie?«

Während Evelyn die Ruhe in Person ist, wirbelt ihre Kollegin Chantal wie ein Wiesel um sie herum. Ihre Arme wirken wie Tentakeln. Überall ihre Griffel und Saugnäpfe dran und mindestens drei Gäste auf einmal bedienen.

Evelyn blickt nach links und will antworten. Chantal ist aber wieder mal schneller und huscht hinter ihrem Rücken zur rechten Seite hinüber. Um sich ein Schleudertrauma zu ersparen, verweilt Evelyn mittig, zieht die Schultern hoch und schaut wieder zur Bühne. »Es ist eine Band, wie viele andere.«

»Du hast einfach keinen Geschmack«, winkt Chantal ab und schiebt sich mit ihren Tentakeln zur anderen Seite der Theke.

»Doch eigentlich schon«, schmunzelt Evelyn und blickt wieder zu der Gitarristin »aber nicht unbedingt den besten Musikgeschmack.«

Die gute Frau fällt keineswegs in ihr Beuteschema, strahlt aber etwas Unbekanntes aus. Etwas, was Evelyn neugierig macht. Das Äußere muss zwangsläufig nicht immer passen.

Der aktuelle Song endet und die Gitarristin zupft an den Stahlsaiten, um das nächste gecoverte Lied anzukündigen.

Auch wenn Evelyn kein Musikstudium abgeschlossen hat, kennt sie diesen Song, immerhin ist sie damit aufgewachsen.

Zu Billy Idols „Rebel Yell“ hat sie in jungen Jahren schon so manches Tanzbein geschwungen. Aber je älter und erwachsener sie wurde, umso mehr schwand das Interesse an der Musik und den damit verbundenen Annehmlichkeiten. Oder einfach der Spaß und das Gefühl von Freiheit.

Diese Eigenschaften hat sich die Gitarristin offenbar bewahrt, denn ohne diese Leidenschaft zur Musik könnte sie die E-Gitarre nicht so bedienen wie die gute Frau dies beweist.

Ohne einmal zur Gitarre blicken zu müssen, spielt sie die Noten, die dem Song seinen Weg zeigen. Das Schlagzeug folgt dem Takt, ebenso das Keyboard.

Beim Bass hatte Evelyn schon immer das Gefühl, dieses Instrument würde zwischen all den anderen klanglich untergehen. Aber so einen Song ohne Bass zu spielen, kann selbst sie sich nicht vorstellen.

Überrascht schaut Evelyn zu ihrem rechten Fuß hinunter. Dieser bewegt sich ohne Erlaubnis und Zustimmung seiner Eigentümerin zum Takt der Musik. »Ok, ihr habt mich.«

Lächelnd blickt Evelyn wieder zur Coverband. Genau genommen klebt ihr Blick an den Händen der Gitarristin. Deren Finger gleiten so sanft über die Saiten, dass sich Evelyn dabei erwischt, wie sie sich wünscht diese Finger würden ebenso sanft über ihren Körper gleiten.

Allein bei diesem Gedanken ereilt sie eine Gänsehaut. Für einen winzigen Augenblick schüttelt es sie vor Aufregung.

Plötzlich wird sie von der Seite angerempelt. »Na, hast du dich verguckt?«, gluckst Chantal und nickt zur Gitarristin.

Röte schießt in Evelyns Gesicht. Hastig dreht sie sich zur anderen Seite des Tresens der wie ein U mittig in den Raum platziert wurde. Sie hat dieses Prinzip schon oft verflucht, weil sie so von allen Seiten angequatscht werden kann, hat sich im Laufe der letzten drei Jahre aber an dieses notwendige Übel gewöhnt.

Nachdem sie einem Gast ein unspektakuläres Wasser eingeschenkt hat, wirft sie sich das Handtuch über die Schulter und wandert zu Chantal zurück.

Was sich deren Eltern bei der Namenssuche für dieses arme Ding gedacht haben, fragte sie sich schon am ersten Arbeitstag. Wahrscheinlich wurden damals zu viele Pornos konsumiert, sodass den Eltern nichts Geistreicheres eingefallen war. Anders kann sich Evelyn diesen namentlichen Querschläger nicht erklären.

Wie jeden Samstagabend ist das Vault auch heute gut besucht. Die Band macht gute Stimmung und hat bisher nicht einen Gast vergrault. Das spricht für sie.

Evelyn hat sich deren Namen nicht gemerkt, aber auch nur weil die fünf Frauen für sie eine von vielen Bands ist, die einen Auftritt in dieser Lokalität haben und danach weiterziehen.

Bisher gab es keine lohnende Begründung sich ein klein wenig mehr mit solch musikalischen Talenten zu beschäftigen. Evelyn geht lediglich ihrem Job nach, bedient die Gäste und reicht den Bandmitgliedern in deren Pause einen Drink, der aufs Haus geht.

Vielleicht lohnt es sich aber dieses Mal. Denn wieder kleben ihre Augen an der Gitarristin die ihre E-Gitarre wie einen Hund an der Leine führt und gänzlich unter Kontrolle hat.

Evelyn bleibt für einen Moment das Herz stehen, als die gute Frau zusammen mit der Leadsängerin den Refrain anstimmt.

Evelyns Armhaare richten sich auf. In ihrem Schritt beginnt es aufgeregt zu kribbeln. »Wow.«

Wie hypnotisiert beobachtet die Barkeeperin die Gitarristin. Sie kann nicht glauben, dass diese unbekannte Frau solch eine Wirkung auf sie hat.

Erstmalig betrachtet sie die Gitarristin gänzlich. Schätzungsweise ist der Körper auf einen Meter fünfundsiebzig gewachsen und trägt durchschnittlich viele Kilo mit sich herum. Blaue zerrissene Jeans, schwarzer Ledergürtel, weißes bauchfreies Top, rotes Halstuch, Halbfingerhandschuhe. Die schwarzen gewellten Haare, welche über der rechten Schulter liegen, da sie auf der linken Seite streng an der Kopfhaut geflochten wurden, verleihen ihrem Aussehen den richtigen Touch. Wenn sich Evelyn nicht ganz in der ethnischen Abstammung täuscht, könnte diese Frau dort oben auf der Bühne iranischer Herkunft sein.

Bis zum Bauchnabel ziert das Gesicht eines Totenschädels den Bauch der Gitarristin. Die gute Frau wirkt ein wenig wie ein Tomboy, ist dafür definitiv aber noch zu feminin. Ein Mix, den Evelyn anziehend findet.

Der durch die Bar dringende Applaus holt Evelyn aus ihrer Schwärmerei. Ebenso aber auch der Gast der sicherlich seit Dekaden nach einem Manhattan brüllt.

Fast wie in Trance bereitet die Barkeeperin den Cocktail mit Whiskey, Wermut, Angostura Bitter und einer Cocktailkirsche zu, hört mit einem Ohr allerdings dabei zu, wie die Coverband ein neues Lied beginnt. Und dieses scheint eines der raueren Sorte zu sein. Die genutzten Gitarrenriffs der Unbekannten und die Schläge der Schlagzeugerin zeigen deutlich, dass es nun in die Metal- oder Gothik-Richtung geht.

Der Boden beginnt zu beben. Die Lautsprecher geben ihr Bestes, um den Song nicht allzu sehr zu verzehren. Sie scheinen für eine solche gewaltige Kraft nicht ausgerichtet zu sein.

Die Leadsängerin schmettert den Text in das Mikrofon und wird unermüdlich von der Gitarristin begleitet. Diese quält die Saiten ihrer Gitarre bis zur Belastungsgrenze, nur um den Song die richtige Stärke zu geben.

Das Publikum ist unschlüssig, ob zu diesem Song tatsächlich getanzt werden kann, oder ob man eher in alter Metal-Manier headbangen sollte.

Auch wenn die Leadsängerin nicht ohne Grund diesen Job in der Band übernommen hat, kommt die Gitarristin wieder zum Einsatz und holt Evelyn auf Schlag ab.

Während sie den Text kraftvoll zum Ausdruck bringt, kann Evelyn sehen, wie die Adern am Hals der Gitarristin stark hervortreten.

Die Leadsängerin steigt mit in den Part ein. Die beiden harmonieren fantastisch miteinander. Dies scheint also der Grund zu sein, weshalb die Gitarristin nicht einfach nur die Gitarristin ist, sondern einen wichtigen musikalischen Einfluss bei den Auftritten hat.

Mit der nächsten Bestellung, einem Swimming Pool, widmet sich Evelyn wieder gänzlich ihrem Job. Sie hat sich schon zu sehr ablenken lassen. Von ihrer körperlichen Reaktion auf die Gitarristin mal ganz abgesehen. Das reicht für einen Abend.

Außerdem legt die Band eine künstlerische Pause ein, so dass sie eh gleich alle Hände voll zu tun haben wird, um den Mitgliedern ihren jeweiligen Drink zuzubereiten.

Evelyn serviert dem Gast die Bestellung, wirft ihr Handtuch in einer geübten Bewegung über die Schulter, dreht sich um und belässt ihre Aufmerksamkeit bei der Band, die sich auf den Weg zum Tresen macht.

Ohne es zu kontrollieren, fesselt sie sich automatisch an die Gitarristin und nimmt die anderen vier Frauen gar nicht wahr.

Das macht aber auch nichts, diese werden von Chantal und Deborah bedient. Gut für Evelyn, so kann und muss sie sich nur auf eine Frau konzentrieren. Und diese sitzt ihr urplötzlich direkt gegenüber. Es ist ja nicht so, als ob die Barkeeperin nicht jeden ihrer Schritte von der Bühne bis zur Bar beobachtet hätte, nein gar nicht. Dennoch scheint es plötzlich zu schnell gegangen zu sein. Denn kaum sitzt die Gitarristin, wird Evelyn leicht schummerig. Röte steigt in ihr auf.

Sie räuspert sich und holt sich selbst in ihren Job zurück. »Hi, was kann ich dir bringen?«, krächzt sie ihre Nervosität herunter und stützt sich der Frau gegenüber am Tresen ab.

Die Gitarristin schaut Evelyn direkt an. Ihre tiefbraunen Augen packen die Barkeeperin und schleudern sie in einen Strudel irrsinniger Gefühle, die keineswegs kontrolliert werden möchten. Sie wollen eher frei und wild sein. So wild wie Evelyn im Augenblick von der Gitarristin betrachtet wird. »Was kannst du mir denn empfehlen?«

Stille. Das Vault wird zwar von Hintergrundmusik belagert, in Evelyns Kopf herrscht aber eine unfassbare Stille.

»Hey!« Mit einem Handrückenschlag gegen den Arm holt Chantal ihre Kollegin in die Realität zurück. Evelyn ist in eine Gefühlsströmung gefallen, aus der sie sich selbst nicht mehr befreien konnte. Und das nur wegen der braunen Augen der Gitarristin.

Blinzelnd blickt Evelyn flüchtig zur Seite, bedankt sich nickend bei ihrer Kollegin und widmet sich wieder dem Bandmitglied.

»Egal, ich mache dir alles. Geht aufs Haus.«

Eine Augenbraue der Gitarristin zieht sich interessiert nach oben. »Na wenn das so ist, hätte ich von dir gerne Sex on the Beach, gefolgt von einem unvergesslichen Orgasmus.«

Diese eindeutige Zweideutigkeit hätte sogar ein Kleinkind verstanden.

Evelyn muss doch tatsächlich schmunzeln. Was hätte sie auf solch eine Frage auch anderes erwarten können?

Dennoch lässt sie sich nicht aus der Ruhe bringen und beginnt mit dem Sex on the Beach.

Ihre Hände zittern als sie Wodka, Pfirsich, Cranberry- und Orangensaft miteinander mischt. Sie spürt den Blick der Gitarristin auf sich.

Mit einer Scheibe Orange und einem Schirmchen ausgestattet, stellt Evelyn den Cocktail ab, kippt für den Orgasmus Sambuca in ein Shot-Glas, lässt über den Rücken eines Barlöffels vorsichtig den Baileys hineinlaufen und stellt auch dieses Getränk der Gitarristin hin. »Aber nicht zu schnell trinken, es soll ja kein Quickie werden«, zwinkert sie lächelnd.

»Ist es euch erlaubt während der Schicht zu trinken? Ich ertrage es nicht allein einen Orgasmus zu haben«, säuselt die Gitarristin und erwischt Evelyn eiskalt.

Die Barkeeperin setzt ein breites Grinsen auf. »Leider muss ich dich enttäuschen. Es herrscht absolutes Alkoholverbot während der Arbeit. Du musst den Sex und die damit einhergehenden Folgen also für dich behalten.«

»Autsch«, theatralisch legt sich die Gitarristin eine Hand auf die Brust »das trifft mich nun doch ganz schön hart.«

Lächelnd will sich die Barkeeperin wieder auf ihre Arbeit konzentrieren, nimmt allerdings aus dem Augenwinkel die Hand wahr, die in ihre Richtung gestreckt wird.

»Hela«, stellt sich das Bandmitglied namentlich vor.

Überrascht nimmt Evelyn die Hand entgegen. Schlagartig erfasst sie eine zärtliche Wärme. Eine Wärme in der sie sich am liebsten auf der Stelle verlieren will. »Evelyn.«

Hela nimmt das Shot-Glas und leert es. Danach bedient sie sich an dem Cocktail.

»Wenn man zuerst den Orgasmus hatte, kann man sich danach besser auf den Sex konzentrieren«, zwinkert sie frech und nippt an dem entsprechenden Getränk. »Wann hast du denn Feierabend? Mein Interesse ist geweckt.«

Mit diesen Worten setzt sich Hela in dem Hocker auf, blinzelt über den Tresen und betrachtet Evelyn deutlich von oben bis unten.

Von dieser direkten Anmache tatsächlich eiskalt erwischt, muss Evelyn zuerst schlucken und dann mehrmals blinzeln. Sowas ist ihr auch noch nicht untergekommen. Kann man aber etwas anderes von einer Person erwarten, die ohne ein Ziel durch Amerika tingelt und an jeder Lokalität hält, in der Live-Musik gespielt wird? Sicherlich nicht.

Evelyn wird nur eine von Vielen sein, das weiß sie. Und zu ihrer eigenen Überraschung stört sie diese Tatsache nicht im Geringsten. Denn irgendetwas hat diese Gitarristin an sich, dass sie sich wahrhaftig auf ein solches Abenteuer einlassen würde. Sie kann es selbst kaum glauben, da sie eigentlich eher diese ruhige Typin ist und nicht eine, die alles nimmt was ihr vor die Füße fällt.

Evelyn stützt sich wieder am Tresen ab und lehnt sich etwas zu der Gitarristin hinüber. Damit nicht rechnend wird ihr kurz schummerig, als Hela es ihr gleichmacht und die beiden Frauen sich gefährlich nahe sind.

Bevor sie auf die Aussage reagieren kann, kommt Hela ihr zuvor. »Deine Grübchen haben es mir angetan«, lächelt sie charmant und zeigt in Evelyns schmales Gesicht, das von dunkelblonden, langen, im Wavelook gestylten, Haaren umgeben wird. Die spitze Nase passt nicht so ganz zu den doch recht vollen Lippen, tut dem Gesamtbild aber keinen Abbruch. Der Piercing-Ring im rechten Nasenflügel ist so klein und schmal, dass er erst beim genaueren Betrachten auffällt. Der Ring an der unteren Lippe auf der linken Seite sticht hingegen sofort ins Auge.

Evelyn schmunzelt kokett. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du tatsächlich noch ein paar Stunden warten würdest. Meine Schicht hat erst begonnen.«

»Lass das mal meine Sorge sein«, zwinkert Hela neckisch.

Evelyn schnappt sich ein benutztes Cocktailglas und spült es. Dass sie dabei von Hela beobachtet wird, macht sie doch etwas nervös.

»Ich lasse auch gutes Trinkgeld springen.«

Wie ein Schlag in den Nacken, zuckt Evelyn. Beunruhigt schaut sie Hela an.

»So tief bin ich tatsächlich noch nicht gesunken, um mich für Sex bezahlen zu lassen.«

»Nein, nein, das hast du völlig falsch verstanden«, wehrt sich Hela mit unschuldigem Blick und erhobenen Händen. »Ich möchte lediglich deine Dienste bezahlen.«

Blitzschnell schlägt sich Hela eine Hand gegen die Stirn und kneift die Augen zusammen.

Evelyn beginnt zu lachen. Das zerknautschte Gesicht der Gitarristin ist wahrhaftig zu köstlich, als dass es ignoriert werden könnte.

Unschuldig dreinblickend öffnet Hela eines ihrer Augen und blinzelt mit entschuldigtem Blick zu der Barkeeperin hinüber. »Ich mache es gerade nicht besser, richtig?«

»Nein«, lacht Evelyn und poliert das Glas in ihren Händen.

»Mist! Jetzt habe ich es mir mit dir so richtig versaut, oder?«

»Japp«, bestätigt Evelyn, beugt sich dennoch zu Hela hinüber.

»Wer weiß, vielleicht schaffst du es ja, um drei Uhr diesen Fauxpas wieder gutzumachen«, zwinkert sie eindeutig und lässt Hela mit dieser Aussage am Tresen zurück. Immerhin hat sie noch eine andere Seite des Tresens zu bedienen.

Überrascht blickt Evelyn zur Hintertür des Pubs. Erstaunt zieht sie eine Augenbraue hoch.

Suchend schaut Hela um sich, bis sie die Barkeeperin mit einer Zigarette in der Hand an der Hausmauer gelehnt stehen sieht. Zielstrebig geht sie auf Evelyn zu, kommt vor ihr zum Stehen, nimmt ihr die Zigarette aus der Hand und zieht selbst daran.

Während sie den Qualm auspustet, fühlt sich Evelyn regelrecht dazu verpflichtet dabei zuzusehen, wie Hela ihre Lippen formt um den Zigarettenqualm entweichen lassen zu können. Lippen, die gepflegt, gut durchblutet und zu zärtlich aussehen, als dass man ihnen keine Aufmerksamkeit schenken könnte.

Wortlos gibt Hela der Barkeeperin die Zigarette zurück. Regungslos steht sie ihr gegenüber. Es folgt kein Wort, keine Bewegung, keine Andeutung, nichts.

Weil sie sich etwas Unbehagen in dieser Situation fühlt, stellt sich Evelyn aufrechter, blickt flüchtig um sich, spielt mit der Zunge an dem Lippenpiercing und bleibt dann mit ihrer Aufmerksamkeit bei der Gitarristin.

»Und«, sie räuspert sich »verdient man als Coverbandmitglied genug um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, oder gibt es noch einen anderen Job, dem du nachgehst?«

»Ist dir kein besseres Thema eingefallen, um diese peinliche Stille zu unterbrechen?«

Ohne jegliche Mimik zu verziehen, betrachtet Hela die Barkeeperin. Diese presst die Lippen aufeinander, zieht dann aber die Schultern hoch.

»Nein, tatsächlich nicht. Ich habe noch kein Feierabend, sondern lediglich Pause. Daher ist deine Anwesenheit etwas irritierend für mich.«

Hela nimmt Evelyn die Zigarette erneut aus der Hand, behält sie dieses Mal aber bei sich.

»Die Musik ist lediglich eine Leidenschaft, der ich nachgehe. Das große Geld verdiene ich mit meiner Söldnerarbeit. Ich bin Scharfschützenauftragskillerin. Meine Loyalität gilt dem Meistbietenden.«

Stille.

Evelyns Augen wachsen mit jedem Herzschlag ins Unermessliche. Angst steigt in ihr auf. Während Hela keine einzige Miene verzieht und seelenruhig die Zigarette raucht, schaut Evelyn sie verunsichert an.

Sie schluckt, drückt sich gegen die Hausmauer und versucht Hela somit etwas auszuweichen.

»Glaubst du mir das etwa?«, fragt die Gitarristin ruhig grinsend, wirft die Zigarette zu Boden und tritt sie aus.

»Das«, Evelyn schluckt ein weiteres Mal »wäre ziemlich dumm von mir, oder?«

»Ja sicherlich, weil ich dich dann töten müsste.«

Evelyn empfand Helas Stimme bis jetzt als sehr angenehm. Dunkel, facettenreich, mittelkräftig. Nun wirkt sie sanft und sinnlich. Es passt keineswegs zu den Worten, die gesprochen wurden, dennoch wird die Barkeeperin auf unerklärliche Weise davon gefesselt.

»Wie lange geht deine Pause noch?«

Verunsichert über diesen Themenwechsel blickt Evelyn zu ihrer Armbanduhr.

»Zehn Minuten«, krächzt sie.

»Länger brauche ich nicht, um dich schweben zu lassen.«

Ehe Evelyn weiß, wie ihr geschieht, packt Hela ihre Hände, drückt sie gegen die Hausmauer, presst sich mit ihrem Körper gegen die Barkeeperin und verschmilzt im nächsten Augenblick mit ihren Lippen.

Gleichgültig welche Worte gefallen sind, die Lippen der Gitarristin wiegen mit einem Mal alles auf.

Wie eine aus dem Körper gerissene Seele, beobachtet sich Evelyn dabei, wie sie hinter dem Pub von Hela verführt wird.

Sie kann sich nicht wehren und will es auch gar nicht. Sie will den Nervenkitzel der Gefahr erwischt zu werden spüren und auskosten. Sie will von dieser wildfremden Frau, von der sie rein gar nichts weiß, genommen werden, ohne danach irgendwelche Hoffnungen zu haben. Sie will mit dieser fremden Frau diesen einvernehmlichen One-Night-Stand in einer Gasse hinter einem Pub. Sie will das Bewusstsein in sich spüren, diese Frau danach nie wieder zu sehen und nur eine von vielen gewesen zu sein. Sie möchte nur noch von dieser Frau aus dieser Gasse getragen werden, ganz gleich wohin.

Evelyn hört Hela stöhnen, blickt hinunter und spürt dieses Geräusch zwischen ihren Beinen.

Mit zitternden Beinen und bis in die letzte Faser ihres Körpers von dieser fremden Frau entführt, fährt sie Hela mit einer Hand durch die Haare. Sie will und versucht erst gar nicht festzustellen was die Gitarristin mit ihr anstellt. Es ist auch egal, Evelyn will es einfach nur spüren. Die Gefahr, das Abenteuer, diese Frau.

Hela steht aus der Hocke auf, schiebt sich über Evelyns Körper und taucht ohne Umwege mit ihren Fingern in die Barkeeperin ein. Zustimmend beißt sich Evelyn auf die Lippen und versucht sich akustisch zu beherrschen.

Helas freie Hand wandert vom Rücken nach vorne über eine der Brüste bis hoch zum Hals. Sie spürt Evelyns Puls unter den Fingern pochen. Aufgeregt, unkontrolliert, hektisch.

Evelyn reißt die, bis eben geschlossenen Augen auf. Erschrocken schaut sie Hela an, denn deren Hand beginnt sich langsam um ihren Hals zu schließen. Mit jedem Stoß, der zwischen ihren Beinen stattfindet, schließt sich Helas Hand wie ein Schraubstock um Evelyns Hals. Die Stöße werden härter und schneller. Evelyns Puls wird rasender, ihre Angst präsenter. Panik steigt in ihr auf. Worte wie Auftragskillerin und töten schießen ihr in den Kopf.

Verängstigt, aber wehrlos starrt sie Hela an. Die Gitarristin hat solch ein beruhigendes Lächeln auf den Lippen, dass die Barkeeperin kurzzeitig mit dem Gedanken spielt, sich von Hela einfach erwürgen zu lassen. Hauptsache sie kann diese Frau bis zu ihrem letzten Atemzug in sich spüren.

Ehe sie diesen Gedanken aber wachsen lassen kann, um ihn eventuell in die Wirklichkeit umzusetzen, spürt sie wie der Sauerstoffmangel eine merkwürdige Wirkung auf sie ausübt. Alles in ihrem Körper wird sensibler, wachsamer, empfindlicher. Allerdings nimmt sie den Orgasmus kaum wahr, der in der unteren Körperregion zu wachsen beginnt. Ihre Aufmerksamkeit gilt Hela und deren Hand an ihrem Hals.

Plötzlich beginnt ihr ganzer Körper vor Aufregung zu kribbeln. Er signalisiert ihr etwas, was sie niemals für möglich gehalten hätte. Dass sie das hier will!

Helas Hand drückt Evelyns Hals weiter zu. Der mangelnde Sauerstoff beginnt der Barkeeperin zuzusetzen. Ihr Kopf fängt an sich zu drehen. Eine gewisse Stille kehrt ein. Eine Blockade errichtet sich. Alles in ihrem Kopf rennt gegen diese Blockade und versucht auf irgendeine Weise freizukommen. Freizukommen, um Luft zu bekommen. Aber es ist nicht das was Evelyn will. Das was sie will, ist das Gefühl welches sich von ihren Lenden über ihren Bauch, ihrem Herzen bis hin zu ihrem Hals hocharbeitet. Sie will es und bekommt es.

In einer schier unbekannten Explosion entlädt sich dieses Gefühl und wird durch den zugedrückten Hals nur noch verstärkt.

Mit offenem Mund aber ohne jeglichen Laut, ist es Evelyn keineswegs möglich, diese Explosion und dieses Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Sie spürt, wie ihr das Blut zu Kopf steigt und dieser jeden Augenblick zu platzen droht.

Es ist ihr gleichgültig. Es ist in diesem Augenblick gänzlich unwesentlich, ob sie hier und jetzt sterben könnte oder nicht. Das was jetzt im Augenblick zählt, ist dieses gewaltige Gefühl welches wie ein wildgewordenes Tier in ihrem Körper tobt. Ein Tier welches ohne Kontrolle, Dressur oder Einschränkungen sein Unwesen treibt. Es reißt Evelyn in einen Strudel nie zuvor gespürter Gefühle und lässt sie dort schweben - machtlos schweben.

Hela scheint die Einzige zu sein, die über dieses Gefühl Macht besitzt. Denn kaum gibt sie Evelyns Hals frei und legt mit einer beängstigenden Zärtlichkeit ihre Lippen auf den Mund der Barkeeperin, senkt dieses unbändige Tier das Haupt und ergibt sich willenlos.

Mit zitternden und wackeligen Beinen steht Evelyn hinter der Theke und versucht sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Noch vor zehn Minuten stand sie draußen in der Gasse und hatte den heftigsten Orgasmus, den sie sich jemals hätte vorstellen können. Und das nur, weil ihr währenddessen der Hals zugedrückt und somit die Luftzufuhr verwehrt wurde.

Niemals in ihrem Leben hätte sie geglaubt, diese Erfahrung jemals zu machen. Ganz gleich ob gewollt oder ungewollt. Solche Spielchen kamen ihr immer krank und abstrus vor. Sowas bevorzugen Leute, die einen an der Waffel haben, aber nicht sie.

Ja, es kann gerne schon mal etwas härter beim Sex zugehen, es muss ja nicht immer der Bilderbuch-Blümchen-Sex sein.

Dass sie das aber mal erleben würde und offensichtlich Gefallen daran findet, hätte sie sich selbst niemals erträumen lassen.

Ob sie es sich eingestehen will oder nicht, in den Momenten, in denen sie kurzzeitig tatsächlich glaubte den Löffel abzugeben, spürte sie sich lebendiger als je zuvor.

Erschöpft blickt Evelyn zur Bühne. Als wenn nichts gewesen wäre, geht Hela ihrem Job als Gitarristin nach. Sie schmettert die Zeilen eines Songs in das Mikrofon, zupft an den Saiten ihrer Gitarre und absolviert nach Lehrbuch diesen Auftritt.

Davon würde sich Evelyn gerne eine Scheibe abschneiden. Ihr ganzer Körper zittert wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Eigentlich möchte sie sich jetzt ganz gerne unter der Theke wie ein Embryo zusammenkauern, vor Glück und Zufriedenheit anfangen zu weinen und irgendwann einschlafen.

Um halb vier wirft Evelyn den Kopf gegen die Stütze, holt tief Luft und versucht irgendwie zur Ruhe zu kommen. Die Nacht war noch belebt.

Die Coverband gab bis zum Schluss ihr Bestes, das Haus war belebt und Evelyn hatte alle Hände voll zu tun. Sie hatte kaum Zeit, um hin und wieder zu der Gitarristin zu schauen. Warum auch? Es war eine einmalige Sache, das wussten beide von Anbeginn. Dennoch hat Hela einen gewissen Eindruck bei Evelyn hinterlassen. Das muss sich die Barkeeperin tatsächlich eingestehen.

Tief Luft holend lehnt sie sich vor, umgreift den Zündschlüssel und will den Motor ihres blauen Chevrolet Lacetti starten.

Erschrocken blickt sie zur Seite. Die Beifahrertür wird geöffnet. In einer seichten Bewegung nimmt Hela wie selbstverständlich Platz. Sie zieht die Tür zu und richtet ihre Aufmerksamkeit auf Evelyn. »Wir bleiben noch ein paar Tage.«

Evelyn nimmt die Hand vom Zündschlüssel und lehnt sich gegen den Sitz. Regungs- und wortlos schaut sie die Gitarristin an. Dann schießt sie blitzschnell hoch und dreht sich in Helas Richtung. Sie packt sie an der Jacke, küsst sie hart, drückt sie gegen die Lehne und bedient den Hebel am Sitz, um mit ihr zusammen in eine liegende Position zu kippen. Bequem geht sicherlich anders, aber es ist nicht das was Evelyn will. Evelyn will Hela dasselbe Gefühl geben, welches sie vor einigen Stunden spüren durfte.

Daher hält sie sich nicht lange mit unnötigen Floskeln auf und macht sich stattdessen sofort an Helas Hose zu schaffen.

Keuchend liegt Hela unter der Barkeeperin und hat sich ihr ergeben. Voller Vertrauen hat sie sich in deren Hände begeben.

Die neu gewonnene Erfahrung umsetzend, packt Evelyn Hela am Hals und denkt nicht eine Sekunde nach. Im Gegensatz zu der Gitarristin bereitet sie sie nicht auf den kommenden Sauerstoffmangel vor. Nein, sie drückt ihr gleich von Anfang an den Hals zu. Fast so, als wenn sie sie tatsächlich erwürgen will.

Hela scheint dies allerdings nicht zu stören. Im Gegenteil, sie wirft den Kopf zurück und empfängt dieses Gefühl mit offenen Armen.

Evelyn kann beobachten wie Helas Adern am Hals hervortreten und spürt dabei eine unglaubliche Erregung in sich aufsteigen.

Auch wenn die Barkeeperin dazu selbst nicht in der Lage war, scheint es Hela nicht schwer zu fallen trotz der zugedrückten Kehle noch etwas stöhnen zu können. Dieses Geräusch, der Ausdruck der Lust und Erregung wird lauter, stockender, bis es kurz verstummt und dann in einem einzigen langgezogenen Laut wieder ertönt.

Helas Muskeln legen sich um Evelyns Finger, wie deren Hand um ihren Hals. Kaum kann sie dieses reale Gefühl wahrnehmen, lockert Evelyn den Griff um Helas Hals.

»Fuck!«, stöhnt Hela und fährt sich mit der Zunge über die Lippen.

Evelyn betrachtet sie für ein paar Momente, setzt sich dann aber auf ihren Sitz zurück.

Hela braucht einige Atemzüge, bis sie ihre Hose schließt und den Sitz in die normale Position zurückstellt. Sie beobachtet Evelyn dabei, wie sie mit geschlossenen Augen ihre Finger im Mund säubert. Ihr gefällt dieser Anblick so sehr, dass sich ein kleines Lächeln auf ihren Lippen bildet.

Hela greift in die Tasche ihrer kurzen Lederjacke, holt einen Stift heraus, schnappt sich Evelyns Arm und schreibt dort eine Handynummer auf.

»Falls du Lust hast ….« Sie stockt kurz. Irritiert schaut sie Evelyn an. »Wieso klingt das jetzt schon wieder so falsch?«

Schulterzuckend lacht Evelyn.

»Korrektur: Wenn du auch ohne Sex Zeit mit mir verbringen magst, kannst du dich gerne bei mir melden.« Hela steckt den Stift ein und steigt aus. »Und falls ich nicht gleich antworten sollte, nicht aufgeben. Ich antworte immer, egal ob es gute oder schlechte Nachrichten werden.«

Schelmisch zwinkernd schließt Hela die Wagentür und verschwindet in der dunklen Nacht.

Evelyn beobachtet sie so lange bis sie tatsächlich nichts mehr von der Gitarristin sehen kann, atmet tief durch und lehnt sich in den Sitz zurück. Sie umgreift das Lenkrad, krallt sich dort kurzzeitig fest, öffnet die linke Hand und schaut auf die Finger, die eben noch einer wildfremden Frau einen Orgasmus beschert haben.

Selbstgerecht grinsend dreht sie den Zündschlüssel. Zeit endlich ins Bett zu fallen.

Kapitel 2

Leg mich flach und begrab mich schwanger.

Schlagartig wird Evelyns Mund trocken. Nachdem es kurzzeitig stehengeblieben ist, beginnt ihr Herz vor Aufregung Purzelbäume zu schlagen.

Montagabend und bis jetzt hat sie sich bewusst dagegen entschieden Hela eine Nachricht zu schreiben, oder sonst irgendwie Kontakt zu ihr aufzunehmen.

Zugegeben, sie hatte des Öfteren ihr Handy in der einen Hand, den Zettel, auf dem sie Helas Nummer übertrug, in der anderen. Dennoch beschloss sie sich nicht zu melden.

Es war von vorneherein klar, dass diese Geschichte zwischen den beiden auch wirklich nur eine Geschichte bleiben würde. Ein einmaliger One-Night-Stand. Ok, in diesem Fall war es ein zweimaliger One-Night-Stand, aber mehr sollte es nicht werden.

Auch wenn Hela ihr anbot auf andere Weise Zeit mit ihr zu verbringen, glaubte Evelyn bis jetzt, dass dies keine gute Idee wäre. Hela scheint nicht der Typ Frau zu sein, die etwas Langfristiges sucht. Eher im Gegenteil, sie wirkt wie ein Blatt im Wind, welches die Annehmlichkeiten der Umgebung annimmt, die sich ihr bei der Landung darbietet. Etwas worauf Evelyn keineswegs aus ist.

Dennoch ist sie erfreut darüber, Hela dabei zu beobachten, wie sie sich an den Tresen setzt. Ihre Handtasche legt sie neben sich auf den freien Hocker, zieht den olivfarbenen Mantel aus und legt ihn über die Handtasche. Sie zupft flüchtig an der weißen lockeren Bluse und fährt sich dann mit einer Hand durch die offenen Haare. Diese zieren, im Gegensatz zu Samstag, in einem akkuraten Mittelscheitel Helas Kopf. Aber auch diese Frisur steht dieser unbekannten Frau. Sie macht sie femininer. Nicht, dass Evelyn etwas gegen den Hauch eines Tomboys bei Hela entgegenzusetzen hatte. Nein, das war es ja, was sie an dieser Frau reizte.

Dieser neue Look steht ihr aber ebenso gut. So gut, dass Evelyn nicht lange überlegt und sich sofort auf den Weg zu ihr macht.

»Hi«, begrüßt sie Hela lächelnd und wirft sich das Handtuch über die Schulter.

Hela blickt auf, lächelt und nickt.

»Hallo.« Dann blickt sie sich suchend um. »Ich bin neu in der Stadt und mir ist zu Ohren gekommen, dass man hier gut essen könnte?!«

»Natürlich.« Bestätigend greift Evelyn unter den Tresen und reicht Hela eine Speisenkarte.

»Danke.«

Ohne die Barkeeperin weiter zu beachten, blickt Hela in die Karte.

»Ihr steht heute gar nicht auf dem Plan.«

Es dauert etwas, bis sich Hela angesprochen fühlt. Fragend blickt sie hoch. »Bitte?«

Evelyn macht eine Kopfbewegung zur Bühne. Hela folgt ihrem Blick.

»Ihr steht heute nicht auf dem Plan. Eigentlich vergeben wir Auftritte erst ab Mitte der Woche.«

Hela blickt zu ihr zurück. Sie lächelt. »Ach so, jetzt verstehe ich was Sie meinen. Es tut mir leid, aber Sie verwechseln mich mit meiner Schwester Hela.«

Überrascht und wie von einem Zug überrollt, zieht Evelyn den Kopf zurück. Röte steigt in ihr auf. Jetzt wird ihr klar, weshalb vorhin der erste Blick auf diese Frau sie so gänzlich aus der Bahn geworfen hat. So eindeutig reagierte sie am Samstag nicht auf Hela. Sie war interessiert und spürte eine gewisse Anziehung, aber dieser ungewollte Verlust ihrer Kontrolle verspürte sie erst vorhin beim Anblick von Helas Schwester. Eine außergewöhnliche Tatsache die sie sich eingestehen muss.

»Oh, entschuldigen Sie bitte. Das tut mir schrecklich leid, das wusste ich nicht. Ich wollte Sie nicht belästigen.«

Um sich selbst aus dieser peinlichen Situation zu retten und sich irgendwo dahinter zu verstecken, greift Evelyn nach einem Glas und poliert es akribisch, obwohl sie dieses erst vor wenigen Minuten gereinigt und poliert an seinen Platz gestellt hat.

»Es braucht Ihnen nicht unangenehm zu sein, wir werden ständig verwechselt«, lächelt Helas Schwester.

Erleichtert, weil sie ihren Kopf behalten kann, atmet Evelyn aus und widmet sich dem neuen Gast. »Sie sind also Zwillinge? Wow, die Ähnlichkeit ist verblüffend.«

»Ja, das hören wir ständig. Mein Name ist Erin.« Lächelnd reicht Helas Schwester Evelyn die Hand.

Doch leicht irritiert über diese Situation nimmt Evelyn die Hand und glaubt ein Déjà-vu zu erleben. Diese zärtliche Wärme, welche von Erins Hand ausströmt, kennt sie nur zu gut. Helas Hand entließ diese Wärme ebenfalls, als sie das erste Mal Kontakt mit ihr hatte. Und auch, als sie sie zu einem unvergesslichen Orgasmus trieb, während die andere warme und zärtliche Hand ihre Kehle zudrückte.

»Evelyn.«

»Schön dich kennenzulernen, Evelyn«, lächelt Erin und behält ihre Aufmerksamkeit bei der Barkeeperin.

Mit einer Kopfbewegung weist Evelyn auf die Speisenkarte in Erins Hand. Als wenn sie diese gänzlich vergessen hätte, nickt Erin und huscht suchend über die Karte.

»Was kann ich dir bringen?«

»Was kannst du mir denn empfehlen?«

Diese Frage kennt Evelyn nur zu gut. Sie schmunzelt bei dieser Erinnerung. »Kommt darauf an, was dir eher liegt. Salat, Suppe, Burger, Steak.«

»Oh Gott, bitte zu dieser späten Stunde nichts Schweres. Ich tendiere eher zu einem Salat.«

»Dann lege ich dir die grüne Göttin nahe. Die eingelegten roten Zwiebeln sind ein Genuss. Und erst das Avocado-Chili-Dressing, ein Gedicht.«

Zustimmend nickt Erin, klappt die Speisenkarte zu und reicht sie Evelyn. »Ich verlasse mich auf dein Wort. Eine grüne Göttin also bitte.«

»Gerne.« Evelyn gibt die Bestellung ins Gerät ein. »Und was möchtest du trinken?«

»Wasser.«

Nickend bereitet Evelyn die Bestellung zu, bis das Wort Sex ihr Gehör erreicht. Und dieses Wort kam definitiv von Erin.

Verunsichert schaut die Barkeeperin sie an. »Bitte?«

»Du und Hela, ihr hattet Sex, nicht wahr?«

Wenn sie könnte, würde Evelyn sich vor Scham im Erdboden verkriechen. Aber da das nicht möglich ist, muss sie die Schamesröte in ihrem Gesicht leider Gottes ertragen. Dass ihr Herz in ihrem strohtrockenen Hals schlägt, ignoriert sie ebenso gekonnt, wie den gleichfalls trockenen Mund.

»Ich, äh, ich … .«

Erin lacht flüchtig. »Keine Sorge, du brauchst dich nicht rechtfertigen. Ich kenne es nicht anders von Hela. Sie ist wie ein Blatt im Wind. Nicht festzuhalten. Sie verführt jede Frau, die ihr über den Weg läuft und hinterließ schon oft gebrochene Herzen.« Erin trinkt einen Schluck Wasser. »Ich möchte dich nur darum bitten, dir keine Hoffnungen zu machen. Hela nimmt das alles nicht ernst und möchte lediglich Spaß haben. Erwarte also bitte nicht, dass sie sich bei dir melden würde, oder du sie jemals wiedersehen wirst.«

Endlich kann Evelyn wieder schlucken. »Danke der Fürsorge, aber ich mache mir keine Hoffnungen. Es war von vorneherein für mich klar, dass es nur eine einmalige Sache ist.«

Ok, somit hat sie Erins Frage, ob die beiden Sex hatten, beantwortet. Egal, das Thema ist eh durch.

»Dann bin ich beruhigt. Ich bin es allmählich leid, immer hinter Hela aufzuräumen und all die enttäuschten Frauen zu trösten«, grinst Erin und trinkt einen weiteren Schluck Wasser.

»Das stelle ich mir ziemlich belastend vor. Steht ihr euch denn sehr nahe?«

Erin lacht. »Nein, die einzigen Dinge, die wir gemeinsam haben, ist die Leidenschaft zur Musik und die Tatsache, dass wir auf Frauen stehen. Ansonsten könnten wir nicht unterschiedlicher sein. Wir gehen uns ununterbrochen auf die Nerven. Dennoch sind wir auf unerklärliche Weise abhängig voneinander. Wir sind unzertrennlich.«

Eine Mitarbeiterin bringt Erin den Salat, während Evelyn einen neuen Gast bedient.

Montagabend und es ist gewohnt ruhig im Pub. Erst ab Mittwoch wird die Lokalität wieder etwas voller. Denn dann ist das Wochenende schon in Sicht und die Gäste werden lockerer. Sie beginnen sich langsam auf die schönste Zeit der Woche vorzubereiten.

»Wow, du hast nicht gelogen, dieser Salat ist vorzüglich.« Den Mund mit einer Serviette abwischend, zeigt Erin begeistert zu dem Salat vor sich.

Tatsächlich ein klein wenig verbeugend lächelt Evelyn sie herzlich an. »Habe ich gerne gemacht.«

»Das gibt fünf Sterne auf Yelp.«

Beide Frauen beginnen zu lachen.

»Du bist also neu hierhergezogen?«

Evelyn weiß selbst nicht, weshalb sie diese Frage gestellt hat. Sie spürte lediglich eine unbändige Neugierde in sich und gab diesem Gefühl einen Freifahrtschein.

»Nein, es ist etwas komplizierter. Wie erwähnt, sind Hela und ich unzertrennlich. Das hat den Nachteil, dass ich mit ihr zusammen dauerhaft unterwegs bin. Dort wo die Band einen Gig hat, reisen wir hin, bleiben einige Tage und ziehen dann weiter.«

Erstaunt weiten sich Evelyns Augen. »Das klingt tatsächlich kompliziert. Ich wüsste nicht, ob ich das machen könnte. Man findet doch nie Halt. Egal ob beruflich, privat oder in der Liebe.«

Erin nickt. Sie wirkt, als wenn ihr diese Tatsache erst durch Evelyns Worte bewusstwird. »Das ist eben der Nachteil der Geschwisterliebe und dem Band, welches uns miteinander verbindet.«

Dann winkt sie ab und schiebt den letzten Rest des Salates zusammen. »Ich kenne es nicht anders. Wir sind noch jung und solange will Hela auch nicht mehr auf der Straße leben. Es gibt also Licht am Ende des Tunnels.«

Erin wischt sich den Mund ab und schiebt den Teller von sich. »Danke für die nette Gesellschaft, hat mich sehr gefreut.«

Doch davon überrascht, wie schnell Erin offensichtlich das Gespräch und die Gesellschaft mit einem Mal ausbremst, sieht Evelyn wie ihr Gast Geld auf den Tresen legt, nach Mantel und Handtasche greift und vom Hocker aufsteht. »Soll ich Hela von dir grüßen?«

Perplex überlegt Evelyn. »Kannst du gerne machen, es wäre aber nicht schlimm solltest du es vergessen.«

»Ich vergesse nie etwas. Ich grüße sie, wenn ich zu Wort komme.«

Zwinkernd und mit einem ehrlichen Lächeln ausgestattet verlässt Erin den Pub und lässt eine ziemlich verwirrte Evelyn zurück.

»Barkeeperin!«

Nur um Evelyns Aufmerksamkeit zu erregen, wird am nächsten Abend lautstark von einer Ecke der Theke zur anderen gebrüllt. Da sie, ohne sich umgedreht und hingeblickt zu haben, den Gast allein an der Stimme erkennt, weiß sie, weshalb ausgerechnet sie so aufdringlich gerufen wird.

Als sie sich umdreht, muss sie ein weiteres Mal nicht überlegen. Sie weiß sofort welchen Zwilling sie am Tresen sitzen hat.

Die Haare heute stramm nach hinten gekämmt geben den ersten Hinweis darauf, dass es sich hierbei um Hela handelt. Der gierige Ausdruck in ihren Augen untermauert diese Vermutung, ebenso die Lederjacke und die vielen Ringe an den Fingern. Ihr ganzes Aussehen wirkt keineswegs so feminin wie das von Erin. Die beiden unterscheiden sich doch schon recht. Nur das körperliche Merkmal des gleichen Aussehens ist leicht irritierend für Evelyn. Dennoch freut sie sich die Gitarristin zu sehen.

»Hallo Hela«, begrüßt sie den Gast. Die Gitarristin schaut sie erwartungsvoll mit großen Augen an. Irgendwie nervös trommelt sie mit den Fingern auf dem Tresen herum, stützt sich dort ab und beugt sich in Evelyns Richtung. »Ein Bier und eine Antwort bitte.«

Wie bestellt zapft Evelyn das Bier, stellt es mit einer Serviette vor Hela ab und wartet. Als nichts von der Gitarristin kommt, ergreift sie die Initiative. »Wenn du eine Antwort haben möchtest, benötige ich im Vorfeld eine Frage«, schmunzelt sie schelmisch.

»Weshalb hast du dich nicht gemeldet?«

Tatsächlich überrascht erwischt Evelyn diese Frage. »Entschuldige bitte. Ich ahnte nicht, dass du es wahrhaftig ernst meintest und ging davon aus, dass es nur bei diesem Abenteuer bleibt. Ich meldete mich nicht, weil ich nicht wie eine liebeskranke Klette wirken wollte.«

»Was wäre denn, wenn ich aber genau diese liebeskranke Klette gerne haben möchte? Wenn mein Interesse an dir nicht nur sexueller Natur wäre? Wenn ich die letzten Tage ständig auf eine Nachricht von dir gewartet hätte?«

Völlig überrannt von diesen Worten, kann Evelyn diese kaum glauben. Ihr Herz beginnt tatsächlich etwas heftiger zu schlagen. Freude steigt in ihr auf. Freude, Hoffnung, Erwartung.

Als sie in Helas Gesicht blickt und dort plötzlich aber auch Erin erkennen kann, wird ihr etwas bewusst.

Nervös blickt sie sich um und achtet darauf, weder von Chantal noch von einer ihrer anderen Kolleginnen allzu sehr beobachtet zu werden.

»Es tut mir leid Hela, wirklich. Ich habe mich an diesem Abend auf ein Abenteuer eingestellt und auch eingelassen. Ich bin aber nicht die Frau, die sowas dauerhaft macht. Ich bin eher diejenige, die eine feste Beziehung sucht und keine ständigen Abenteuer.«

Sichtlich geknickt sinkt Hela auf den Hocker zurück. »Du hast mit Erin gesprochen«, schnauft sie hoffnungslos.

Evelyn lehnt sich zur ihr hinüber. »Das hat absolut nichts mit Erin zu tun. Ich wusste von Anbeginn, dass es mit dir nur ein One-Night-Stand wird. Ich bin nicht bereit dazu, meine Zeit jemanden zu widmen, die durch unzählige Städte tingelt und nicht weiß, wo ihr Zuhause ist. Sei es nun in Bezug auf eine Bleibe, oder aber bei den Gefühlen. Gerne bin ich für dich eine von Vielen gewesen, aber mehr auch nicht.«

Hela presst die Lippen aufeinander. Evelyn kann sehen wie ihre Kieferknochen zu arbeiten beginnen. Sie schnaubt.

Ohne das Bier überhaupt angefasst zu haben, schmettert sie eine Hand auf den Tresen, dreht sich um und verlässt mit harten Schritten den Pub.

Wehmütig blickt Evelyn ihr hinterher. Sie war nicht darauf vorbereitet eine Abfuhr zu erteilen, weil sie das eigentlich gar nicht wollte. Die Worte kamen einfach aus ihr heraus. Wahrscheinlich ist ihr Wunsch nach einer festen Beziehung viel zu groß. Sie weiß, dass Hela ihr diesen nicht erfüllen kann. Von daher hat offensichtlich ihr Unterbewusstsein die Führung übernommen und Hela ungebremst überfahren.