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Valuta Tomas

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Beschreibung

Wie reagiert ein Mensch, dem bewusst wird, dass er manipuliert und beeinflusst wurde, die Beeinflussung Wirkung zeigt und plötzlich alles ganz anders erscheint? Verliert er den Boden unter den Füßen und das bisher so vertraute Leben? Oder werden ihm erst dadurch die Augen geöffnet und eine gänzlich neue Welt präsentiert? Nachdem Ava dem versuchten Mord durch Nora nur knapp entkommt, findet sie sich in einem Lernprozess wieder, der ihre bisherigen Wertvorstellungen infrage stellt. Sie lernt, sich auf den Kernpunkt von Begebenheiten zu konzentrieren, was den bitteren Beigeschmack mit sich bringt, dass sie dadurch einen Serienmörder quasi laufen lässt. Ebenso aber auch, dass ungewollt Gefühle für die Psychiaterin Doktor Nora Jercy in ihr aufkeimen. Weil Nora sogar bei Avas Eltern mit ihrer arroganten Art glänzt, glaubt sie ihr kleines Psychospielchen mit der jungen Frau bis zum Ende weitertreiben zu können. Sie vergisst dabei nur, dass ein Spiel immer zwei Mitspieler hat. Dadurch sieht sie sich das erste Mal in Konfrontation mit ihrer bisherigen Verhaltensweise der Journalistin gegenüber. Nora wäre aber nicht Nora, wenn sie selbst am Tag von Avas Abreise nicht dem nachgehen würde, was sie am besten kann: Verletzen. Wegen einer Pressekonferenz stehen sich die Frauen Monate später wieder gegenüber. Bis dahin hat jede von ihnen ihren ganz eigenen Wandel durchlebt - und keine von ihnen kann mit diesem Wandel alleine umgehen.

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Seitenzahl: 533

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Kapitel 13

Es wirkt fast wie ein Traum, als sich Avas Körper aufbäumt und sie mit einem lauten Atemzug Luft holt. Panisch reißt sie die Augen auf. Sie sieht Nora über sich. Diese Bestie ist noch immer über ihr. Ihr hassverzerrtes Gesicht hat sich verwandelt. Der blinde Hass ist gewichen. Stattdessen überzieht blanke Panik die Psychiaterin. Riesige Augen richten sich erschrocken auf die Journalistin. Entsetzt starrt Nora zu Ava hinunter. Die junge Frau windet sich unter ihr und ringt hustend nach Luft.

Die Hände noch immer im Würgegriff geformt, nimmt die Psychiaterin diese von Avas Hals, lehnt sich von ihr weg und starrt sie erschüttert an. Ihr scheint erst jetzt bewusst zu werden, was sie getan hat - was sie versucht hat.

In langsamen Bewegungen steigt Nora von Ava herunter und verlässt das Bett. Panisch hustend kriecht Ava von dieser hasserfüllten Person weg. Sie hält sich den Hals, holt keuchend Luft und fällt bei ihrer Flucht fast aus dem Bett. Ihren Blick richtet sie ängstlich auf die Psychiaterin. Diese wandert mit unmenschlich langsamen Schritten und gesenktem Kopf auf die Zimmertür zu. Als sie diese leise hinter sich schließt, legt sie sich eine Hand auf die Stirn.

Ava registriert ihre eigenen Handlungen nicht. Sie sieht nur noch wie sie um das Bett stolpert, zur Tür stürzt und diese mit zitternden Händen abschließt. Sie reißt sich herum und schiebt mit aller Kraft die Kommode vor die Tür.

Bebend weicht sie von dort weg. Ängstlich starrt sie gegen das Holz. Das Herz schlägt ihr bis zum Hals. Ihr starkes Husten erinnert sie daran, was ihr bis eben angetan wurde. Der Kehlkopf fühlt sich noch immer an, als wenn er sich an der Wirbelsäule recht wohlfühlen würde. Das Schlucken fällt schwer. Es erzeugt jedes Mal einen kleinen Würgereiz.

Wankend flüchtet Ava von der Tür, bis sie gegen das Bett prallt. Die Augen noch immer gegen diese kleine Mauer gerichtet, die Ava vor Nora schützt, sinkt sie auf das Bett. Nicht eine Sekunde lässt sie die Augen von der Tür. Sie ist noch nicht einmal fähig dazu zu denken.

***

Ein regelmäßig dumpfes Klopfen reißt Ava aus dem Schlaf. Es dauert einen kleinen Augenblick bis sie registriert wo sie ist und was in den letzten Stunden geschah. Als das aber durch ihre schlafenden Gehirnwindungen marschiert, öffnet sie blitzschnell die Augen. Ihr Blick richtet sich sofort auf die Tür. Die Kommode steht noch immer so da, wie sie sie hingeschoben hat. Es ist also nichts passiert.

Das dumpfe Klopfen geht weiter. Angestrengt horcht Ava. Nora steht nicht vor ihrer Tür und klopft. Definitiv nicht, den Unterschied würde sie hören.

Langsam dreht sie sich im Bett und blickt zum Fenster. Sie nimmt das Klopfen nun deutlicher wahr. Es kommt von draußen. Hackt Nora etwa Feuerholz? Nein, dafür ist das Klopfen zu schnell und zu gleichmäßig.

Mit wackeligen Beinen kraxelt Ava geschwächt aus dem Bett. Vorsichtig tritt sie an das Fenster. Neugierig blinzelt sie hinaus, ist aber ganz darauf bedacht nicht gesehen zu werden. Wer weiß was ihr sonst noch alles angetan werden würde?

Überrascht weiten sich Avas Augen. Erstaunt zieht sie die Augenbrauen hoch.

Na wenigstens ihr scheint es gut zu gehen.

Verwundert über so viel Tatendrang beobachtet Ava Nora dabei wie sie auf ihrem Pferd sitzt und einige Runden auf dem Grundstück dreht. Sofern man diese Weite als Grundstück überhaupt so betiteln kann.

Nora feuert ihr Pferd immer wieder zu einem schnelleren Galopp an. Ihr Gesicht ist zu einer wütenden Maske verzogen. Ein dunkler Schleier umgibt es. Die Haare sind offen und wirken fehl am Platz.

Hat sie überhaupt auch nur ein Auge zugemacht?

Besorgt tritt Ava näher an das Fenster heran, macht diesen Schritt aber gleich wieder zurück, kaum dass ihr einfällt was gestern Abend passiert ist.

Sie wollte mich umbringen und ich mache mir Sorgen darüber, ob sie gut geschlafen hat?

Ava beobachtet Nora dabei, wie sie ihr Pferd herumreißt und zum Haus zurückreitet. Immer und immer wieder gibt sie ihrer Süßen einen Stoß in die Seite. Sie beugt sich nach vorne und scheint vor sich selbst flüchten zu wollen. Vor sich und vor dem was sie getan hat. Ihr wütendes Gesicht sprüht so viel Selbsthass aus, dass Ava sich dessen voll und ganz bewusst ist. Nora scheint selbst nicht zu begreifen was sie letzte Nacht getan hat. Ihr Gesichtsausdruck drückt im Augenblick so viel aus, dass Ava von dieser Flut an Informationen regelrecht überfallen wird.

Schluckend verlässt sie den Platz am Fenster. Gleich darauf kann sie hören, wie Nora mit rasender Geschwindigkeit am Haus vorbeireitet. Leicht panisch blickt sie die Wände entlang an denen Nora draußen entlangreitet. Minuten um Minuten starrt Ava dagegen, bis es plötzlich an ihrer Zimmertür klopft. Erschrocken reißt sie sich herum. Panisch blickt sie gegen die Tür.

»Miss Ramirez?« Noras Stimme ertönt vorsichtig und zurückhaltend.

Oh Gott, was will sie?

»Miss Ramirez, sind Sie wach?« Noras Stimme klingt minimal kräftiger.

Was jetzt? Was soll ich machen?

»J…«, krächzend räuspert sich Ava »ja.« Ihr Puls steigt.

»Ich muss Sie bitten, mich zur Polizei zu begleiten.« Aufmerksam horcht Ava hin. Langsam geht sie auf die Tür zu.

»Warum zur Polizei?« Als Ava ganz an die Tür tritt, kann sie nichts außer beängstigende Stille hören.

»Ich möchte mich wegen versuchten Mordes selbst anzeigen und benötige dazu bitte Ihre Aussage.« Entgeistert weicht Ava von der Tür. Mit riesigen Augen blickt sie dagegen. Sie denkt nicht nach, als sie die Kommode von der Tür schiebt und diese aufschließt. Sie reißt die Tür mit solch einem Schwung auf, dass Nora erschrocken einen Schritt zurückweicht. Überrascht schaut sie Ava an. Mit einem Schlag kann Ava unermessliche Scham in Noras Gesicht erkennen. Wieso Scham? Was ist plötzlich aus diesem Kotzbrocken geworden? Kann sie etwa doch Gefühle zeigen?

»Was? Anzeige? Wieso? Nein!«

Hörst du dir beim Reden eigentlich selbst zu?

Nora senkt den Kopf. Ava konnte sehen, dass ihre Augen rot unterlaufen sind. Entweder sind das die Auswirkungen des Alkohols und einem eventuellen Schlafmangel. Oder aber, Nora hat wegen ihrer Tat Stundenlang geheult. Was würde eher zu dieser Bestie passen?

Wirr blickt Nora um sich, bis sie die Schultern zurücknimmt, den Kopf hebt und Ava voller Stärke anschaut.

»Ich habe letzte Nacht versucht Sie zu töten. Und wenn Sie nicht persönlich geworden wären und mich nicht beim Vornamen genannt hätten, so wie ich es Ihnen beigebracht habe, wäre es mir auch gelungen. So etwas ist kein Kavaliersdelikt und nicht zu tolerieren.«

Natürlich ist das kein Kavaliersdelikt … .

»Nein, Miss Jercy, nein. Ich … .«

Bin ich völlig irre? Ich habe jetzt die Möglichkeit mich für alles zu rächen. Für dieses scheiß Bad im Fluss. Für den Pisseimer, für das verkackte Bett. Für alles. Ich sollte diese Gelegenheit nutzen.

»Nein, Miss Jercy. Wenn Sie sich selbst anzeigen und inhaftiert werden, werden Hunderte von Serienmörder dort draußen frei umherlaufen und niemals gefasst werden. Ihre Fähigkeiten und Ihr Wissen werden hier gebraucht und nicht in einer sechs Quadratmeter großen Zelle.«

Mein Gott bin ich bescheuert. Wie kann man nur so blöd sein?

Nora schaut Ava verwundert an. Sie scheint nicht glauben zu können was die Journalistin gesagt hat. Erneut senkt sie den Kopf.

»Haben Sie sich schon im Spiegel angesehen? Wenn nicht dann werden Sie sicherlich Ihre Meinung ändern.« Es dauert etwas bis Ava weiß was Nora damit meint. Als ihr das aber bewusst wird, beginnt ihr Herz härter zu schlagen. Sie spürt wie ihr die Farbe aus dem Gesicht weicht.

Sicherlich ist mein Gesicht blau von den Schlägen und ich habe Würgemale am Hals.

»Egal wie ich aussehe, Miss Jercy, es ist wichtig, dass Sie hierbleiben und dem nachgehen was Sie am besten können.«

Wie bescheuert bin ich eigentlich?

Eine drückende Stille kehrt ein. Keine der Frauen weiß was sie sagen soll. Soll Nora sich entschuldigen? Soll sie sich bedanken?

Schnaufend senkt die Psychiaterin erneut den Kopf und schabt mit einer Fußspitze auf dem Boden herum. So verlegen und verwirrt hat Ava sie noch nie gesehen.

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich ganz gerne mit Ihnen zusammen frühstücken. Ich würde Brötchen holen.« Bei den letzten Worten räuspert sich die Psychiaterin.

Hat sie jemals einen Menschen zum Frühstück eingeladen?

»Sehr gerne.«

Ok, hiermit erkläre ich mich ganz offiziell für irre.

Überrascht schaut Nora hoch. Ihr Blick hellt etwas auf. Ein minimales Lächeln zuckt an ihrem Mundwinkel.

»Danke.« Mit diesem einen Wort dreht sie sich um und macht sich auf den Weg. Ava blickt ihr hinterher und könnte sich selbst umbringen. Was ist nur in sie gefahren? Da hat jemand versucht sie umzubringen. Dieser jemand will sich dafür selbst anzeigen und Ava hat nichts Besseres zu tun, als das zu verhindern? Und dieser jemand ist dann auch noch zufällig die schlimmste und grauenvollste Person der Ava jemals begegnet ist.

***

Noras Augen weiten sich. Ihr Blick richtet sich auf den gedeckten Frühstückstisch. Sie brauchte mit ihrem Pferd über eine Stunde, um in dieser verlassenen Gegend frische Brötchen zu besorgen. Wenn sie mit dem Auto gefahren wäre, wäre sie sicherlich schneller gewesen. Aber erstens wären es dann verdammt teure Brötchen geworden und zweitens glaubt Ava, dass der erneute Ausritt der Psychiaterin gutgetan hat. Sie wird sich wahrscheinlich noch einmal ausgepowert haben.

»Ich hoffe es ist ok, dass ich in der Zwischenzeit den Tisch gedeckt habe?« Unsicher wippt Ava auf den Fußballen herum. Sie weiß ja wie Nora dazu steht, wenn sie ungefragt ihr Eigentum berührt.

Noras Augen wandern über den Tisch. Geschnittene Tomaten, Gurke, Radieschen, Paprika, Pflanzenbutter, Hummus, Marmelade. Alles was Noras Herz begehrt befindet sich auf dem Tisch. Auf beiden Seiten des Tisches steht jeweils ein Teller.

Allerdings fällt auf, dass bei Noras Teller eine kleine Vase mit einer Wildblume steht.

Noras Augen liegen auf dieser Blume. Sie zeigt keine Regung, nichts. Sie starrt einfach diese kleine Blume an. Die einzige Regung die sie zeigt, ist jene, dass sich ihre Hand in die Rückenlehne ihres Stuhles krallt. Aber das bekommt Ava nicht mit. Sie schaut währenddessen unsicher hin und her.

»Rosen wachsen hier leider kei… .« Noras Kopfschütteln unterbricht Ava mit einem Schlag.

Ok, jetzt schlägt sie mir den Kopf ab, weil ich ungefragt eine Blume von ihrem Grundstück gepflückt habe. Irgendetwas in der Richtung wird sie machen.

»Ich mag Wildblumen«, haucht Nora leise und schaut noch immer zu der kleinen gelben Blume hinunter.

»Sie wachsen immer und überall. Sie lassen sich nicht von irgendwelchen Umständen und Widrigkeiten unterkriegen. Sie brauchen keine besondere Pflege oder Hingabe. Sie wachsen aus eigener Kraft und richten sich voller Stärke wieder auf, wenn man meint sie zertrampeln zu wollen.«

Redet sie noch immer von der Wildblume?

Überrascht über ihre eigenen Gedanken, weicht Ava einen Schritt vom Tisch weg. Sie spürt ihren Kopf arbeiten, kann das allerdings noch nicht so recht einordnen. Ihr ist schon vor ein paar Tagen aufgefallen, dass ihr Kopf viel intensiver und länger arbeitet, als sie es bisher von sich kennt.

»Ich lege die Brötchen in einen Korb«, lenkt sich Ava selbst ab, greift nach der Tüte in Noras Händen und entnimmt ihr diese. Dass sie die Psychiaterin für den Bruchteil einer Sekunde mit dem Zeigefinger am Handrücken berührt, scheint keine von beiden bewusst wahrgenommen zu haben. Denn niemand reagiert darauf. Es scheint nicht passiert zu sein. Nur das Kribbeln in Avas Zeigefinger zeigt ihr, dass es doch geschehen ist. Es fühlt sich fast wie ein kleiner elektrischer Schlag an. Im ersten Augenblick kribbelt es, dann wird es leicht taub und dann prickelt es irgendwie nervös.

Wirr öffnet Ava einen Schrank nach dem anderen. Sie will so beschäftigt wie möglich wirken, obwohl das eigentlich gar nicht so schwer ist. Sie sucht sich tatsächlich einen Wolf um einen Korb zu finden. Dann fällt es ihr ein. Sie senkt den Blick, hebt die Hand und führt sie in einer normalen Geschwindigkeit an den Brotkasten. Sie weiß doch seit dem ersten Tag, dass sich dort drinnen ein Körbchen befindet. Wieso ist sie nicht gleich darauf gekommen?

In Avas Körper schlägt ein Blitz ein, kaum dass ihre Hand auf Noras liegt. Diese hält den Griff des Brotkastens fest um die Klappe zu öffnen. Zwei Dumme ein Gedanke.

Mit einem riesigen Schritt zurück, weicht Ava nicht nur dem Brotkasten und der ungewollten Berührung aus, sondern auch der Doktorin und den Gefühlen, die im Augenblick Purzelbäume schlagen.

Seid ihr wahnsinnig? Diese Frau hat letzte Nacht versucht mich umzubringen und ihr verdammten Schmetterlinge führt einen Freudentanz auf?

»Es ist alles in Ordnung, Miss Ramirez. Mir ist bewusst, dass es keine Absicht von Ihnen war«, versucht die ältere Frau Ava davon abzuhalten ein schlechtes Gewissen zu kriegen.

Ich hätte kein schlechtes Gewissen gehabt. Doch wahrscheinlich schon. Ach, was weiß denn ich.

Schnaufend senkt Ava den Kopf. Dann schüttelt sie diesen.

Herrgott, es macht mich wahnsinnig in ihrer Nähe zu sein. Ich möchte sie so gerne umbringen. Und meine Gefühle wollen sie in den Arm nehmen … und noch so vieles mehr. Ich muss dieses scheiß Buch endlich zu Ende bringen und dann von hier verschwinden. Aber um das zu schaffen, brauche ich noch etwas mehr. Mehr von der Psychiaterin und mehr von der Frau die dahintersteckt. Aber wie soll ich dort herankommen, wenn sie sich so dermaßen abschottet?

Ava hebt den Kopf und will Nora mit dieser Tatsache konfrontieren. Damit, dass sie mehr Input benötigt. Mehr von allem. Aber das einzige was sie in diesem Augenblick aufnimmt sind Noras Augen. Sie bemerkt wie Nora sie anschaut. Sie kann eine minimale Bewegung ihrer Augen entdecken. Nora tastet ihr Gesicht ab … und ihren Hals. Leichte Röte überzieht ihr Gesicht. Dann gleitet ihr Blick für den Bruchteil einer Sekunde zu Boden.

Sie schämt sich. Mein Gott, sie schämt sich.

»Ich hoffe, dass die Verfärbungen bis nächste Woche verschwunden sind«, lenkt sich die Psychiaterin selbst von ihrem Gefühl ab und wendet sich wieder dem Brotkasten zu.

Sie hat sich tatsächlich für das geschämt was sie in meinem Gesicht gesehen hat. Ich fasse es nicht.

Als Ava vor einer Stunde im Bad vor dem Spiegel stand, traten Tränen in ihre Augen. Das was sie sah, konnte unmöglich von Nora stammen. Ihre rechte Gesichtshälfte ist geschwollen und lila verfärbt. Die Haut am Wangenknochen wirkt sogar tiefblau. Am Hals befinden sich an den Seiten großflächig Verfärbungen, während Abdrücke am vorderen Hals zu erkennen sind die eindeutig von den Daumen stammen.

»Wieso? Was ist denn nächste Woche?« Ava will nicht darüber nachdenken, was mit ihrem Gesicht passiert ist. Sie will es so schnell wie möglich vergessen. Sicherlich wird es ihr schwerer fallen, als ihr lieb ist, aber sie wird alles daransetzen vergangene Nacht zu vergessen.

»Ich habe nächste Woche einen Vortrag.«

Und? Ich muss nicht bei jedem dabei sein. Ich kenne das mittlerweile gut genug. Es ist immer dasselbe.

»In L.A..« Mit diesen kurzen Worten hebt Nora flüchtig den Blick und beobachtet Avas Reaktion.

Sarah. Tanzen. Frauen. Familie. Freiheit. Leben.

»Ihnen gehen jetzt tausend Dinge durch den Kopf was Sie machen können, wenn wir in L.A. sind«, lächelt Nora schelmisch und füllt die Brötchen in den Korb. Ohne auf eine Antwort von Ava zu warten, nickt sie und stellt den Korb auf den Tisch.

»Von mir aus brauchen Sie mich nächste Woche nicht zu dem Vortrag begleiten. Sie können Ihre Zeit sicherlich anders nutzen.«

Ich könnte sie jetzt glatt knutschen. Sie macht mich grade völlig happy. Wie macht sie das nur? So ein Arschloch sein und dennoch immer den richtigen Nerv treffen, um die Menschen wieder gut zu stimmen?

»Ich bin Soziopathin, Miss Ramirez. Mir liegt es im Blut die Menschen zu manipulieren und ihnen in den jeweiligen Situationen die richtigen Sätze entgegenzubringen. Lernen Sie das endlich, ansonsten verlieren Sie früher oder später den Verstand wenn Sie weiterhin versuchen mich verstehen zu wollen.«

Mit diesen nüchternen Worten setzt sich die Psychiaterin an den Frühstückstisch. Die gefalteten Hände gegen den Mund gepresst, blickt sie stur über die Nahrungsmittel. Ava spürt wie sich die ältere Frau dazu zwingt sie nicht anzuschauen. Ihr Blick wirkt irgendwie brennend – wütend.

»Wie machen Sie das? Wie können Sie wissen was die Menschen denken und fühlen?« Ava zieht ihren Stuhl vom Tisch und setzt sich. Fast bewegungslos betrachtet sie die Doktorin, die in ihren eigenen Gedanken verlorengegangen zu sein scheint. Ihr Blick ruht auf dem Tisch, ohne dass sich die Augen bewegen.

Was denkt sie im Augenblick? Diese Frau ist alleine durch ihren Intellekt unfassbar interessant. Dann wirkt sie noch so geheimnisvoll, weil sie nicht alles sofort von sich preisgibt und ist dazu auch noch so distanziert, dass man sich regelrecht nach ihr sehnt. Eine gefährliche Mischung.

»Ich sehe, Miss Ramirez. Ich habe einfach angefangen die Augen zu öffnen und mich mit meinem Umfeld zu beschäftigen. Ich habe aufgehört ein blindes Lämmchen zu sein, das Allem und Jedem folgt.«

»Was sehen Sie? Was sehen Sie, wenn Sie mich anschauen und mir solch einen Satz entgegenbringen, wie den von eben? Was sehen Sie da in mir?«

Nora hebt den Blick und betrachtet Ava. Ihre Augen gleiten ein weiteres Mal über das misshandelte Gesicht. Und wieder huscht ihr Blick für einen winzigen Augenblick verschämt nach unten.

»Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, Miss Jercy. Ich bin mir durchaus bewusst, dass es nicht gegen mich persönlich gerichtet war. Sie hassen die Menschen und möchten sie nicht um sich haben. Durch meinen Aufenthalt bei Ihnen bin ich in Ihr bisher gut behütetes Leben eingedrungen. Es ist also nachvollziehbar, dass Sie diesen Parasiten beseitigen wollten. Ich hätte einfach nicht da sein dürfen, dann wäre das auch nicht geschehen.« Überrascht hebt Nora den Blick. Erstaunt schaut sie Ava an. Sprachlos öffnet sie den Mund.

»Bitte sagen Sie jetzt kein Wort, Miss Jercy. Ich will davon im Augenblick wirklich nichts hören. Sie sind kein gewalttätiger Mensch, das weiß ich. Die Tatsache, dass Sie betrunken waren, ist keine Entschuldigung. Ich weiß, dass es eigentlich nicht von Ihnen gewollt war. Sie sind es nur nicht gewohnt jemanden um sich herum zu haben. Also sparen Sie sich irgendwelche Erklärungen zu vergangener Nacht. Erklären Sie mir lieber, wie Sie die Menschen lesen können.«

Schüttelnd senkt Nora den Kopf, hebt ihn dann sofort wieder an und holt tief Luft. Sie nimmt ihren Teller, steht vom Platz auf, umrundet den Tisch und bleibt neben Ava stehen. Fragend schaut sie zu ihr hinunter. Die Journalistin braucht einen kleinen Augenblick, bis sie die Frage in Noras Augen erkennen kann. Sie nickt.

Nora stellt den Teller ab, setzt sich neben die junge Frau und betrachtet sie. Sekunden um Sekunden schaut sie in das misshandelte Gesicht, bis diese sich durch den intensiven Blick unwohl fühlt.

»Das menschliche Gesicht besitzt sechsundzwanzig Muskeln. Davon sind acht für die Mimik verantwortlich.« Flüchtig zeigt Nora in Avas Gesicht.

»Der Musculus frontalis hebt die Augenbrauen an. Der Musculus corrugator supercilii sorgt für das Stirnrunzeln.« Ihren Worten begleitend, huscht Noras Zeigefinger mit bewusst großem Abstand über Avas Gesicht. Interessiert hört Ava aufmerksam zu.

»Der Musculus levator palpebrae superioris ist für das Heben des Augenlides zuständig und wird dann eingesetzt, wenn man erstaunt ist. Der Musculus orbicularis oculi ist für das Blinzeln verantwortlich. Mit dem Musculus levator labii superioris drücken wir Ekel aus.« Noras Zeigefinger wandert von Avas unteren Augenhöhlen seitlich an der Nase entlang, bis hin zur Oberlippe.

»Der Musculus depressor anguli oris zieht die Mundwinkel herab, während dies der Musculus depressor labii inferioris mit der Unterlippe macht. Mit dem Musculus mentalis kann ein Schmollmund gebildet werden. Als ich vorhin sagte, dass ich in L.A. einen Vortrag habe, hat sich Ihr Gesicht schlagartig etwas erhellt. Ihre Gesichtsmuskeln wurden weicher und wirkten entspannter. Die Augen weiteten sich, die Brauen hoben sich, der Mund öffnete sich leicht. Dann wechselten Ihre Augen. Sie begannen zu glänzen. Sie bekamen minimale Lachfältchen an den Augen, die Wangen schoben sich nach oben, die Mundwinkel zogen sich hoch. Sie lächelten, obwohl es Ihnen selbst nicht bewusst war.« Regungslos betrachtet Ava Nora bei dieser ausführlichen Erklärung. Schließlich möchte sie wissen, wie die Doktorin sie liest.

»Und da ich nun mal nicht auf den Kopf gefallen bin, weiß ich durch meine Lebenserfahrung, was in diesen Augenblicken in den Köpfen der Menschen vonstattengeht. Das Ganze ist also leichter als man glaubt. Man muss sich einfach nur auf den Menschen konzentrieren und ihn betrachten - seine Mimik lesen. Das was man für Sekundenbruchteile nicht beeinflussen kann, lässt mich wissen was die Person beschäftigt. Im Laufe der Jahre haben wir das allerdings verlernt und somit entstehen sehr viele Konflikte. Und das nur weil wir uns nicht mehr mit uns selbst beschäftigen. Wir sind einfach blind geworden. Blind der Welt, den Menschen und uns selbst gegenüber. Und das ist nur eines der Dinge, die ich an den Menschen hasse und verachte. Diese arrogante Ignoranz.«

Ava greift in dem Korb nach einem Brötchen und schneidet es auf.

»Sie sind aber kein Stück besser, Miss Jercy. In meinem ganzen Leben bin ich bisher noch keinem Menschen begegnet, der so arrogant und ignorant ist, wie Sie. Warum ist das so? Weshalb sind Sie solch ein Arschloch?«

Aus dem Augenwinkel schaut Ava flüchtig zu der Doktorin hinüber, konzentriert sich dann aber darauf, sich kein Stück Fleisch aus den Fingern zu schneiden.

»Überraschung. Die Augen geweitet, die Brauen hochgezogen, nur der offene Mund fehlt.« Bevor Nora auch nur ein Wort sagen kann, sieht sie Avas prüfenden Blick der über ihr Gesicht wandert.

Nora sinkt ein klein wenig in ihrer sitzenden Haltung zusammen. Ihr Blick wird ruhiger, der Ausdruck auf ihrem Gesicht sanfter. Sie wirkt entspannt.

»Sie lernen sehr schnell, Miss Ramirez. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich wurde zu einem Arschloch gemacht. Ich bin so nicht geboren.« Nora schneidet sich ebenfalls ein Brötchen auf und belegt es mit Tomaten.

»Man kann aus einem Menschen einen Mörder machen, einen Lügner und noch vieles mehr. Aber wie schafft man es, ein Arschloch aus jemandem zu machen?«

»Das ist ganz einfach. Man«, Nora beißt vom Brötchen ab, was Ava ein klein wenig missfällt, weil es Nora in der Erklärung zurückwirft »muss einfach nur immer und immer wieder von den Menschen enttäuscht werden. Da wächst die Kälte und Herzlosigkeit in einem von ganz alleine. Und das wieder zu reparieren ist nahezu unmöglich. Deswegen bin ich auch so gefühlskalt. Es liegt also nicht nur an meiner Krankheit, sondern an den Menschen die dieses Gefühl gesät und geerntet haben.«

»Von wie vielen Menschen wurden Sie enttäuscht? Wie viele haben Sie zu dem kalten Monster gemacht, das Sie mittlerweile geworden sind?«

Verwundert blickt Nora auf. Sie betrachtet Ava. Ein Schmunzeln wächst in ihrem Gesicht.

»Sie sind heute ganz schön mutig mit Ihren Aussagen.« Ava hebt das Kinn. Selbstbewusst wirft sie ihre Augen auf die Psychiaterin.

»Sie haben mir durch vergangene Nacht einen unermesslichen Joker zugespielt, den ich nun schamlos ausnutzen werde.«

Mit einem Schlag platzt Noras Gesicht vor Röte. Bewusst senkt sie den Blick und beißt vom Brötchen ab.

Avas Gedanken tanzen hingegen Tango. Noch nie hat sie solch ein Siegesgefühl in sich gespürt, wie in diesem Augenblick. Das muss sie auskosten. Sie weiß, dass sie dieses Gefühl in Noras Gegenwart nie wieder spüren wird. Spätestens morgen wird die ältere Frau wieder derselbe Kotzbrocken sein, wie die vergangenen Monate. Ava muss sich also ranhalten, wenn sie den Triumph noch etwas auskosten will.

»Unzählige, Miss Ramirez. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Ich war immer und zu jeder Zeit für die Menschen da. Egal ob diese meine Freunde waren, oder nicht. Zu jeder Tages- und Nachtzeit stand meine Tür offen. Ich hatte für jeden ein offenes Ohr und ebenso offene Arme. Aber je mehr die Zeit verstrich und je verkorkster die Gesellschaft wurde, umso hinterhältiger wurden die Menschen. Egal wie ehrlich ich selbst war, mir wurden nur noch Lügen und Ausreden aufgetischt.«

Das passiert jedem. Das ist normal.

»So etwas sollte nicht normal sein, Miss Ramirez. Das ist einfach nicht richtig.« Nora schaut Ava kurz an, wobei die Journalistin das Gefühl hat ihre Gedanken laut ausgesprochen zu haben.

»Ich habe zwei Jahre meines Lebens damit verbracht, vor dem Fenster einer geschlossenen Anstalt zu stehen, in den Garten zu starren, mich mit Medikamenten vollpumpen zu lassen und mich zu fragen, weshalb die Menschen solche Bestien sind. Was in unserer Gesellschaft falsch gelaufen ist, dass wir so blind geworden sind.« Ava vergisst zu atmen.

»Ich habe bis heute keine Antwort gefunden. Stattdessen habe ich mich dieser Tatsache einfach ergeben, die Schultern hochgezogen und mir gesagt, dass das nicht mehr mein Bier ist. Ich muss die Menschen nicht verstehen, wenn sie solche Arschlöcher geworden sind.«

Mit dem größten Respekt den Ava bisher jemals empfunden hat, starrt sie die Psychiaterin sprachlos an. Sie hatte keine Ahnung. Sie hatte einfach keine Ahnung … .

»Was glauben Sie«, Ava muss sich räuspern, um sich in das Gespräch zurückzuholen »weshalb die Gesellschaft so geworden ist?« Nora lacht. Sie stellt die Ellenbogen auf den Tisch und legt ihr Kinn auf die Handflächen.

»Meinen Sie diese Frage wirklich ernst? Sind sie tatsächlich so blind?«

»Ich denke nicht, aber ich möchte Ihre Theorie dazu hören.«

»Theorie«, lacht Nora schnippisch.

»Das ist keine Theorie, das sind Tatsachen. Sagt Ihnen die geplante Obsoleszenz etwas?« Ava lässt sich diesen Zungenbrecher auf der Zunge zergehen, bevor sie verneint.

»Das ist der Begriff dafür, dass Produkte oder Wissensbestände auf natürliche oder künstlich beeinflusste Art veraltet sind oder altern. Dinge werden vom Hersteller also geplant dazu konzipiert früher defekt zu gehen, beziehungsweise nicht mehr mit der Zeit und Mode zu gehen. Erfinder dieser Manipulation war Alfred P. Sloan in den Zwanzigerjahren. Er wollte damit erreichen, dass die Menschen sich alle drei Jahre ein neues Auto kaufen, um somit mit der Mode zu gehen. Es ist also eine Konsumismus-Strategie, die bis heute anhält. Anstatt das wir etwas reparieren, schmeißen wir es lieber weg und kaufen uns etwas Neues. Gibt es ein neues Handy, muss man das haben, obwohl das alte noch einwandfrei funktioniert. Geräte werden absichtlich so konzipiert, dass sie irgendwann nicht mehr den neuen Anforderungen gerecht werden. Somit werden wir also dazu gezwungen uns neue Dinge anzuschaffen. Die Vorstellung immer mehr Geld auszugeben, ist kollektiv in unserem Unterbewusstsein fest verankert. Es ist keine unnütze Aktivität mehr, sondern ein Pflichtgefühl. Die Pflicht zu konsumieren. Alfred P. Sloan schaffte es, das Interesse vom Wesentlichen auf das Nebensächliche zu lenken. Plötzlich waren nicht mehr die Motoren und die Sicherheit eines Fahrzeuges vorrangig, sondern die Farbe des Lacks oder die Innenausstattung. Es ist also eine gezielte Beschaffung von Bedürfnissen, die eigentlich völlig überflüssig sind. Und das nur, um Macht zu erlangen und Geld zu erwirtschaften.«

Deswegen ist sie damals in der Mall so ausgeflippt. Das shoppen ist reine Manipulation. Ich hätte die Bluse und die Hose gar nicht gebraucht, war aber bereit dazu, beides zu kaufen, nur um mit der Mode zu gehen.

»Und das alles hat Einfluss auf das Wesen der Menschen genommen. Anstatt uns mit unserem Gegenüber zu beschäftigen, wischen wir lieber nach links und urteilen durch das Aussehen über einen unbekannten Menschen.« Nora schmiert sich die andere Brötchenhälfte, lässt es aber unberührt auf dem Teller liegen.

»Ich bin es einfach leid mich mit den Menschen zu beschäftigen und ihnen wohlgesonnen gegenüberzutreten, wenn sie eh nur an mir vorbeischauen und mich als Persönlichkeit nicht wahrnehmen. Also bin ich lieber ein Arschloch und halte alles von mir fern was mir nicht guttut.«

»Und was ist mit den Menschen, die es ehrlich mit Ihnen meinen? Die sich tatsächlich für Sie interessieren?«

»Die gibt es nicht. Niemand interessiert sich für mich. Ich will das auch gar nicht.«

»Sind Sie sich da sicher?«

Mit funkelnden Augen schaut Nora die jüngere Frau an. Mit einem Anflug von Arroganz hebt die Psychiaterin das Kinn.

»Zeigen Sie mir nur eine Person, Miss Ramirez und ich überdenke meine bisherige Denkweise.«

Anstatt zu antworten, streckt sich Ava in ihrer Körperhaltung. Sie setzt sich aufrechter in den Stuhl, schiebt den Oberkörper etwas vor und blickt mit gesundem Selbstbewusstsein zu der Doktorin hinüber.

Natürlich versteht Nora diese Haltung. Sie versteht sie so deutlich, dass sie zu lachen beginnt.

Nora steht vom Stuhl auf, nimmt ihren Teller, stellt diesen in der Spüle ab und geht mit dem Brötchen in der Hand zur Küchentür. Sie schaut noch einmal zu Ava zurück, beginnt wieder zu lachen und beißt vom Brötchen ab. Mit vollem Mund verschwindet Nora lachend in ihrem Büro. Ava sitzt hingegen am Küchentisch und hat das Gefühl, erneut mit ausgestreckten Armen und Beinen in das nächstbeste Fettnäpfchen gesprungen zu sein.

Es ist doch scheiß egal was ich mache, es ist immer falsch.

Wütend schiebt Ava ihren Stuhl zurück, pfeffert den Teller in die Spüle und schert sich nicht darum, ob das Geschirr dadurch eventuell kaputtgehen könnte.

Ich kann es selbst kaum glauben, aber ich finde Nora wirklich interessant. Sie ist nicht wie jeder Mensch. Sie ist so kompliziert und anders, aber genau das macht sie in meinen Augen so interessant. Sie ist geheimnisvoll. Ihr Verhalten ist fremd, weil wir es einfach nicht mehr kennen.

Kapitel 14

»Wenn sich Personen auf die Lippen beißen sind sie angespannt.«

Ava folgt Noras Blick durch die Hotellobby und erblickt einen Mann mittleren Alters, der ein Telefonat führt und sich nebenbei immer wieder auf die untere Lippe beißt.

Die Journalistin hat Nora zu ihrem Vortrag in L.A. begleitet, diesen aber im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen. Sie war so happy darüber endlich mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen, dass sie Dornröschen nachahmte und über zwölf Stunden am Stück schlief. Dadurch hat sie allerdings auch das Date mit Sarah verpasst. Denn kaum hatte Ava wieder Netz, rief sie sofort ihre beste Freundin an und verabredete sich mit ihr.

Als sie dann nach dem Schlafmarathon die Augen aufschlug, hatte sie mehrere verpasste Anrufe auf dem Handy und unzählige Nachrichten.

Natürlich musste es dann auch noch dazu kommen, dass dieses Date die einzige Zeit war die Sarah frei hatte. Danach wäre es leichter den Präsidenten zum Kaffeekränzchen einzuladen, als die Tontechnikerin.

»Wenn jemand den Kopf senkt, empfindet er Schuld. Ein Blick nach unten und zur Seite, zeugt von Scham.«

So wie bei dir vergangene Woche.

Die Verfärbungen in Avas Gesicht sind pünktlich zur Abreise verschwunden. Ava konnte Nora ansehen, dass sie erleichtert war. Ihr selbst war das in gewisser Hinsicht egal. Sie hätte nur keine Erklärung dafür gehabt.

»Sich an den Ohrläppchen zu ziehen, oder an Schmuck zu spielen, sind während eines Gesprächs sogenannte Manipulatoren.« Mit einer schnellen Bewegung weist Nora auf eine Dame an der Rezeption. Leider können die Frauen nicht verstehen welche Worte zwischen der guten Frau und der Mitarbeiterin fallen, aber ihre Körpersprache scheint deutlich genug zu sprechen.

»Es sind Anzeichen für Lügen.«

Ava betrachtet die Dame und sieht, wie sie sich mehrfach ein paar Haare hinter ein Ohr schiebt.

»Und dann erwartet man von mir, dass ich mich mit diesen Bestien gutstelle, wenn sie nichts Besseres zu tun haben, als ständig zu lügen.«

Ava kann mehr als deutlich die Missgunst und den Hass in Noras Stimme vernehmen. Immer wenn sie so negativ über die Menschen redet, wird ihre Stimme ruhiger und tiefer.

»Gute Nacht, Miss Ramirez.« Mit diesen Worten lässt die Psychiaterin die Journalistin in der Lobby zurück. Der jungen Frau passt dies relativ gut. Denn sie will alleine sein. Sie will Ruhe um sich haben, damit sie lernen kann einige Dinge von den Menschen zu lesen, die sie bis heute so nicht wahrnahm. Sie möchte das in die Tat umsetzen, was Nora ihr bis heute beigebracht hat.

***

Als sie einige Zeit später die Zimmertür aufschließt, fällt sie fast über ihre eigenen Füße. Sie kann gerade noch einen großen Schritt nach vorne machen und somit dem gefalteten Zettel auf dem Boden ausweichen. Ava schmeißt den Schlüssel auf den Tisch, hebt den Zettel auf und beginnt zu lesen.

Als ich mich selbst zu lieben begann, hörte ich auf, mich nach einem anderen Leben zu sehnen, und ich konnte sehen, dass alles, was mich umgibt, mich einlädt zu wachsen. Heute nenne ich dies "REIFE".

Diese Frau ist einfach unglaublich.

Ava wirbelt um die eigene Achse, als es an der Tür klopft. Mit dem Zettel in der Hand öffnet sie diese und sieht die Verfasserin der Zeilen vor sich stehen. Den Kopf gesenkt, den Blick gehoben, vermittelt Nora der Journalistin ein Gefühl, welches keineswegs mit Hass in Verbindung zu bringen ist. Im Gegenteil.

Ava weiß, dass sie das Unvermeidliche nicht verhindern kann. Doch, eigentlich kann sie es schon verhindern. Sie kann es mit einem Wort verhindern.

Nein!

Dieses eine Wort ist es was die Doktorin von ihr hören will. Nur dieses eine Wort. Ein Wort, das so unfassbar schwer über Avas Lippen kommt, dass sie es erst gar nicht in Erwägung zieht, dieses auszusprechen.

***

Mit den Händen rechts und links von sich gestreckt und in die butterweiche Matratze gekrallt, vernimmt Ava eine schnelle Atmung. Diese ist aber nicht ihre eigene. Diese rasende Atmung gehört zu Nora. Aber weshalb atmet die Doktorin so schnell? Die ältere Frau hat keinen Grund so schwer zu atmen. Was ist hier los?

Langsam, fast benommen von ihren tosenden Gefühlen, hebt Ava den Kopf und schaut mit schwammigem Blick an sich entlang. Noras Kopf ruht zwischen ihren Beinen. Ihre linke Hand massiert Ava in einem sanften und gleichmäßigen Rhythmus. Ihre Lippen und Zunge begleiten diesen zaghaften Tanz. Die rechte Hand der Doktorin befindet sich allerdings an einem Ort, den Ava den Atem raubt. Ihre Augen wachsen bei diesem Anblick. Ihre Atmung wird ruhiger. Die Erregung, die Besitz von ihrem Körper genommen hat, nimmt mit jedem Herzschlag ab. Regungslos starrt sie auf Noras rechte Hand. Ava kann nicht glauben was sie sieht.

Das ist unmöglich. Das ist absolut unmöglich.

Mit gehobenem Kopf, einer flachen Atmung und einem kaum noch schlagenden Herz, sieht Ava dabei zu, wie sich Noras rechte Hand in deren Slip befindet und sie sich dort selbst massiert. Begleitend zu den Bewegungen, atmet Nora ihre eigene Erregung in Ava hinein. Die Journalistin nimmt dieses Gefühl allerdings nicht auf. Zu hingerissen ist sie von diesem Anblick. Zu betäubt von den aufgeregten Gefühlen die in ihr unkoordinierte Purzelbäume schlagen. Zu fassungslos von der losgelösten Handlung der Psychiaterin.

Regungslos starrt Ava an sich hinunter. Sie beobachtet die Doktorin und vergisst zu atmen. Sie kann einfach nicht glauben was sie sieht.

Weil ihr die Veränderung des Aktes keineswegs entgeht, öffnet Nora ihre Augen. Sie will die Kontrolle über die Situation bewahren. Nichts soll dem Zufall überlassen sein. Egal was geschehen ist, dass Ava mit einem Mal so angespannt ist, Nora wird es unter Kontrolle bringen.

Noras Augenlider schieben sich in einer unmenschlich langsamen Bewegung nach oben. Ihr aufkommender Blick ist sanft … weich … gütig … nicht von dieser Welt … .

Oh mein Gott.

Fassungslos starrt Ava die Doktorin an. Nora öffnet die Augen ganz, schaut zu Ava hoch und registriert deren entsetzten Gesichtsausdruck. Mit riesigen Augen und offenem Mund starrt sie zu der älteren Frau hinunter.

Es dauert nur Bruchteile von Sekunden und Ava bemerkt eine Veränderung in Noras Augen. Von zärtlicher Güte, wechselt ihr Blick in eine kontrollierte Härte. Dann flackert für einen winzigen Moment entsetzte Überraschung auf, danach eisige Kälte. Und genau in diesem Moment zieht Nora ganz langsam ihre Hand aus dem Slip. Sie stützt sich auf der Matratze ab, drückt sich hoch und steigt aus dem Bett.

Ohne sich auch nur einen Millimeter bewegt zu haben, starrt Ava zu der Psychiaterin hoch. Wie sie in ihrer gewohnt starken Haltung in BH und Slip vor dem Bett steht und sie mit einem Mal verachtend betrachtet. Dieses Gefühl, das sie Ava im Augenblick vermittelt, ist pure Verachtung. Eine Seite der Lippen strafft sich, während sich dieselbe Seite des Gesichtes leicht nach oben zieht.

Sie hasst mich dafür.

Ava beginnt zu zittern, obwohl sie noch nicht einmal weiß, weshalb Angst in ihr erwacht. Was ist passiert, dass plötzlich dieser Wechsel stattgefunden hat? Weshalb verurteilt Nora Ava für ihre eigenen Handlungen? Wieso verachtet sie die junge Frau? Warum vermittelt sie ihr somit Schuldgefühle? Was hat Ava nur getan?

Ohne jegliche Hast sucht Nora ihre Kleidung zusammen, reißt die Zimmertür auf und verlässt so halbnackt wie sie ist, Avas Zimmer. Kaum fällt die Tür ins Schloss, schießen der jungen Frau Tränen in die Augen.

Was war das?

Mit ausgebreiteten Armen, gespreizten Beinen und den Händen in die Matratze gekrallt, sinkt Avas Kopf in das Kissen zurück. Sie blickt zur Zimmerdecke hinauf und beginnt zu weinen.

Ihr Blick … . Dieser Blick als sie die Augen öffnete … . Sie hatte sich nicht unter Kontrolle. Wieso gibt sie mir dann aber die Schuld dafür? Was habe ich denn getan?

***

Zitternd und kraftlos steht Ava einige Zeit später vor Noras Zimmer. Sie traut sich kaum, klopft aber dennoch gegen das Holz. Sie will das klären. Ava will diese Angelegenheit mit Nora aus der Welt schaffen. Egal was die ältere Frau geritten hat, es muss eine Erklärung dafür geben. Und Ava ist nicht bereit dazu den Schwanz einzuziehen und diese Sache zwischen sich stehen zu lassen.

Statt, dass ihr die Tür geöffnet wird, bleibt diese geschlossen. Ava horcht, kann aus dem Zimmer aber keine Laute hören. Es ist still.

Wirr blickt sie um sich, bis ihr eine Idee kommt. Zielstrebig begibt sie sich in die Lobby, durchquert diese und steuert auf die Hotelbar zu. Wie erwartet, nein, wie erhofft sieht sie Nora am Tresen sitzen. Sie sieht, wie die Doktorin schüttelnd den Kopf senkt und sich in die Haare greift.

Sie wollte das gar nicht. Das sollte nicht passieren. Ich sollte das nicht sehen. Sie hatte sich tatsächlich nicht unter Kontrolle. Dann bedeutet das aber wiederum, dass … .

Ohne den Gedanken weiter zu denken, geht Ava auf den Tresen zu und setzt sich ohne jegliche Aufforderung direkt neben die Psychiaterin.

Es dauert einen kleinen Moment, bis Nora den ungebetenen Gast neben sich bemerkt. Sie nimmt die Hände aus den Haaren, den Kopf hoch, dreht ihn und schaut Ava direkt an. Ihr Blick sprüht vor Zorn und Verachtung.

Was habe ich getan, dass sie mir dieses Gefühl vermittelt?

Genervt verdreht Nora die Augen, wendet sich schnaufend von Ava ab und rutscht vom Hocker. Bevor sie die Bar allerdings verlässt, bleibt sie stehen und blickt über ihre Schulter hinweg zu Ava zurück.

»Ziehen Sie sich um, wir gehen aus.«

***

»Ausgehen, ausgehen, ausgehen. Großartig, danke für diese spärliche Information.« Fluchend steht Ava vor ihrem Reisekoffer und hat keine Ahnung was sie anziehen soll. Die Aussage, dass Nora und sie ausgehen werden, kann vieles bedeuten. Geht es in ein Restaurant? In ein Museum? Orchester? Ball? Oder in die nächste Kneipe um die Ecke? Ein klein wenig mehr Input wäre für die Wahl der Kleidung hilfreich gewesen.

Nun steht Ava vor ihrem Koffer und hat keinen blassen Schimmer was sie anziehen soll.

»Sind Sie fertig?« Ava fährt doch tatsächlich erschrocken zusammen, als Noras Stimme wahrhaftig brüllend durch die geschlossene Zimmertür dringt. Sie hat noch nicht einmal zuvor geklopft. Sie keift gleich los.

Das kann ja ein heiterer Abend werden.

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend, schmeißt Ava den Deckel des Koffers zu, öffnet die Zimmertür und schaltet das Licht aus. Kaum steht sie Nora gegenüber, mustert diese sie von oben bis unten. Irgendwie wütend schaut sie die junge Frau an.

»Sagte ich nicht, dass Sie sich umzi… . Ach, mir doch scheiß egal wie Sie herumlaufen.« Mit einer abwertenden Handbewegung pfeffert Nora jedes weitere Wort in die Ecke und schreitet mit harten Schritten den Flur entlang.

Mein Gott, sie hätte sich bis zum Ende befriedigen sollen. Dann hätte sie jetzt sicherlich bessere Laune.

***

Was mache ich hier eigentlich? Ich sitze neben diesem Miststück die mich wieder wie den letzten Dreck behandelt, obwohl ich überhaupt nicht den Grund hierfür kenne. Ich habe nichts falsch gemacht. Wenn sie sich nicht unter Kontrolle hat, dann ist das nicht mein Problem.

»Hören Sie auf zu denken!«

Verwundert blickt Ava nach links, kaum dass Nora sie von der Seite aus scharf anfährt. Den Blick, den die ältere Frau ihr aus dem Augenwinkel zuwirft, könnte sogar Luzifer das Fürchten lehren. Er sprüht so dermaßen vor Wut und Groll, dass Ava ihren Namen vergisst. Sie will im Augenblick nur noch aus dem Auto springen damit sie diesem Blick entkommen kann. Dafür nimmt sie es sogar in Kauf, dass das Fahrzeug in voller Fahrt ist. Alles ist besser als noch länger Noras Nähe ertragen zu müssen. Wirklich alles.

Regungslos und weit von Nora weggelehnt schweigt Ava den Rest der Fahrt bis Nora vor einer Girlbar hält, aussteigt und an den Kofferraum geht.

Ava braucht noch einen Moment bis sie genügend Mumm hat, um aus dem Wagen zu steigen. Als sie aber an den Kofferraum tritt und Nora sieht vergisst sie weshalb sie so wütend auf diese Frau ist.

Mit offenem Mund gleiten ihre Augen die schwarzen Knie-Lederstiefel entlang. Sie huscht über die kurze Jeanshose, die Ava schon einmal an Nora sehen durfte. Das gute Stück bedeckt tatsächlich nur noch das Nötigste von Noras Allerwertesten. Die offene weiße Bluse und das weiße Unterhemd runden dieses Bild einstimmig ab.

»Sie sabbern!« Mit diesen beiden Worten holt Nora Ava in die Realität zurück. Durch die gereizte Tonlage wird der jungen Frau wieder einmal bewusst, weshalb sie Nora nicht ausstehen kann. Es reicht jetzt aber. Ava hat keine Lust mehr der Spielball zu sein.

»Nicht meine Hand war in Ihrem beschissenen Slip, Miss Jercy, sondern Ihre! Also machen Sie mich nicht dafür verantwo… .«

Blitzschnell macht Nora einen großen Schritt auf Ava zu. Instinktiv geht Ava diesen zurück und prallt gegen das Auto.

»Noch ein Wort von Ihnen und ich jage Sie splitterfasernackt über den verdammten Highway!«, zischt Nora, worauf Ava nichts anderes erwidern kann, als kleinlaut beizugeben und eingeschüchtert zu schlucken.

Nora wendet sich von der Journalistin ab und geht auf die Girlbar zu.

»Was soll das? Warum behandeln Sie mich so niederträchtig? Ich habe nichts zu der Situation beigetragen! Es kam alles ganz allein von Ihnen! Hören Sie also endlich auf mich als Ihren verdammten Prellbock zu benutzen, nur weil bei Ihnen irgendetwas nicht rund läuft! Ich bin nicht Ihre scheiß Puppe, mit der Sie machen können was Sie wollen! Hören Sie endlich damit auf!« Abrupt bleibt Nora stehen.

Oh oh, jetzt bin ich tatsächlich einen Schritt zu weit gegangen.

Nora legt den Kopf in den Nacken, wirft ihre Arme gen Himmel und legt sie sich danach auf den Kopf.

Jetzt habe ich verschissen. Jetzt schmeißt sie mich aus ihrem Haus und ruiniert meine Karriere.

Mit den Händen auf dem Kopf liegend dreht sich Nora um. Avas Augen weiten sich. Fassungslos schaut sie Nora an. Sie kann nicht glauben, dass Noras Gesicht nicht vor Zorn und Wut sprüht. Nein, die Psychiaterin lächelt. Das Gesicht der älteren Frau ist dermaßen mit Freude überzogen, dass man sich allein durch diesen verzückten Anblick in sie verlieben könnte.

Nora kehrt zu Ava zurück und ehe die junge Frau weiß wie ihr geschieht, nimmt Nora ihr Gesicht zwischen ihre Hände, zieht sie zu sich und haucht ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Sie schiebt Ava wieder zurück und blickt ihr in die Augen. Lächelnd und voller Freude.

»Sehr gut, Miss Ramirez, sehr sehr gut. Wehren Sie sich. Lassen Sie sich von mir nicht auf der Nase herumtanzen, auch wenn ich es noch so gerne mache. Sagen Sie mir Ihre Meinung. Schmeißen Sie mir alles an den Kopf was Sie wollen, aber bleiben Sie dabei immer ehrlich und fair. Das ist es was ich will. Das ist es was für mich interessant ist.« Nora stupst Ava auf die Nase und zwinkert ihr plötzlich zu.

»Wenn ich dazu fähig wäre, könnte ich mich glatt in Sie verlieben.« Nora wendet sich von Ava ab und schlendert mit auffallendem Hüftschwung auf die Diskothek zu.

Gegen das Auto gelehnt gafft Ava ihr mit offenem Mund hinterher.

Was zur Hölle stimmt mit dieser Frau bloß nicht? Ich verstehe sie nicht. Ich verstehe sie einfach nicht. Sind das die Wechseljahre oder weshalb schwankt ihre Stimmung schneller als der Flügelschlag eines Schmetterlings? Wie soll man sich dabei denn auf sie einlassen können?

Es dauert einen Moment bis Ava ihre Gedanken gesammelt hat und Nora folgt. Allerdings fühlt es sich an, als wenn sie auf Wolken schweben würde. Nicht die Wolke sieben, sondern eher eine Wolke, die einer eiskalten Erschöpfung gleichkommt. Sie weiß nicht wie lange sie diesem Nerventerror noch die Stirn bieten kann. In Noras Gegenwart zu sein, ist schlimmer als vierundzwanzig Stunden am Stück Achterbahn zu fahren. Selbst da würde man irgendwann noch wissen wo oben und unten ist. Aber bei Nora weiß man irgendwann einfach nicht mehr wer man ist. Diese Frau nimmt einem alles woran man sich festhalten kann. Aber auch wirklich alles.

Wie ein treudoofer Hund, der eh nichts mehr anderes machen kann als das Bein zu heben, trottet Ava der Psychiaterin hinterher. An der Kasse holt sie die ältere Frau ein. Ihr ist bis jetzt noch nicht in den Sinn gekommen, sie zu fragen, was sie hier wollen. Eigentlich ist das auch egal. Es wird sicherlich wieder darauf hinauslaufen, dass Ava von Nora das Lesen von Menschen und ihren Gesten lernt.

Kaum winkt die Kassiererin Ava mit einem Stempel zu sich und drückt ihr gleich darauf die blaue Tinte auf den Handrücken, wird Ava klar, dass Nora den Eintritt für sie bezahlt hat.

Sehr freundlich.

Nora geht ein paar Schritte in die Diskothek hinein, dreht sich dann aber zu Ava um. Wie eine fürsorgliche Omi tätschelt sie der jungen Frau plötzlich gegen die Wange.

»Toben Sie sich aus, Miss Ramirez. Hier wird es sicherlich die ein oder andere degenerierte Blondine geben die freiwillig die Beine für Sie breitmacht.«

***

Drei Drinks später weiß Ava noch immer nicht, ob sie über Noras Worte wütend sein soll, oder nicht.

Die Welt fängt so langsam an schwammig und wackelig zu werden. Aber das ist nicht das was Ava will. Sie will sich nicht betrinken. Sie will Nora verstehen, mehr nicht. Sie hat sich noch nicht einmal auf die beiden Gespräche eingelassen, die zwei Damen mit ihr beginnen wollten. Beide hat sie eiskalt abblitzen lassen. Und das obwohl eine der beiden blond war. Ava hat es nicht interessiert. Wenn sie sich darauf eingelassen hätte, hätte sie nur wieder Mal Noras Aussage untermauert. Und das ist etwas was sie unter keinen Umständen freiwillig machen wird. Nicht heute Nacht! Diesen Triumph gönnt Ava der Psychiaterin nicht.

Mit einem neuen Drink in der Hand, dreht sich Ava vom Tresen zur Tanzfläche. Nur beiläufig beobachtet sie die bewegende Menge. Unzählige hübsche Damen lassen sich von der Musik tragen und leiten. Die einen allein, die anderen im Einklang mit einer anderen Frau. Es wird getanzt, geküsst und geflirtet. Alles was Ava die vergangenen Jahre ebenfalls getan hat wenn sie mit Sarah unterwegs war.

Jedes Wochenende ließen die beiden ihrer Stimmung freien Lauf und alles auf sich zukommen. Es gab bisher kaum ein Wochenende wo nicht eine der beiden eine Frau mit nach Hause nahm, oder selbst zur Begleitung wurde. Sie genossen diese Freiheit und machten keinen Hehl daraus. Beide lebten einfach.

Wenn Sarah ihre Freundin nun aber so sehen könnte, würde sie sicherlich fragen, ob es Ava nicht gut geht. So hat sie ihre beste Freundin noch nie gesehen. So teilnahmslos, so gelangweilt, so abwesend. Das was da am Tresen sitzt ist nicht Ava. Sie mag vielleicht so aussehen, aber die gute alte Ava hätte niemals auch nur zu einer Frau Nein gesagt. Aber heute Abend hat sie dies schon zweimal gemacht. Da kann also definitiv etwas nicht stimmen.

Weil sie glaubt sich zu irren, kneift Ava die Augen zusammen. Sie schärft den Blick, beugt sich näher zur Tanzfläche und ist sich nach einigen Momenten sicher. Zwischen all den tanzenden Damen sieht sie die Psychiaterin Nora Jercy zur Musik tanzen. Es fällt allerdings auf, dass die Doktorin die junge Frau immer wieder anschaut. Auch wenn hin und wieder eine tanzende Dame in ihr Blickfeld einbricht, behält sie ihre Aufmerksamkeit bei der Journalistin.

Mit einem undefinierbaren Lächeln auf den Lippen, hebt Nora eine Hand und winkt Ava mit dem Zeigefinger zu sich.

Um sicherzugehen, dass Nora tatsächlich sie meint, blickt die junge Frau zerstreut zuerst nach rechts und danach nach links. Nora meint Ava, denn niemand befindet sich in unmittelbarer Nähe der jungen Frau. Der Ruf gilt also ganz alleine ihr.

Ava schluckt, stellt das Glas ab und rutscht vom Hocker. Sie weiß nicht worauf das hinauslaufen soll und was Nora damit bezwecken will, aber es fühlt sich im Augenblick so an, als wenn die ältere Frau ein Lasso um Avas Körper geworfen hätte und sie zu sich zieht. Nora wirkt wie ein Magnet dem Ava einfach folgt, ohne zu wissen wie sie das zustande bekommt.

Sie hat mich schon wieder in der Hand. Ich will eigentlich gar nicht zu ihr. Wahrscheinlich habe ich einfach schon zu viel getrunken und kann mich deswegen nicht mehr gegen sie wehren. Oder aber, ich habe mich in sie verliebt und suche freiwillig ihre Nähe, egal wie schmerzhaft diese auch sein mag.

Bei diesem Gedanken bleibt Ava abrupt stehen. Erschrocken schaut sie Nora an.

Das kann nicht. Ich habe mich nicht in sie verliebt, das wüsste ich. Das würde ich spüren.

Nora reagiert auf Avas Stillstand und winkt sie deutlicher zu sich. Das Lächeln auf ihren Lippen wächst. Es zieht sich so verführerisch über ihr Gesicht, dass sie einer frisch verliebten Frau gleicht.

Wie eine gesteuerte Handpuppe gleitet Ava dann doch weiter auf die Psychiaterin zu bis nur noch wenige Schritte fehlen.

Nein! Nein! Nein!

Nora beobachtet die junge Frau. Stockend, fast schleifend wandert Ava auf sie zu. Nora kann in deren Gesicht den Kampf sehen, den sie mit sich austrägt. Einen Kampf, den sie nur verlieren kann, weil Nora ganz genau weiß welche Hebel sie nutzen muss, um Ava weiterhin wie eine Puppe tanzen zu lassen.

Ohne Ava aus den Augen zu lassen, senkt sie ein klein wenig den Kopf, neigt ihn und lächelt die junge Frau an. Dieses Lächeln wirkt anziehend, magisch, einfach utopisch. Es drückt so viele Gefühle aus, die Nora eigentlich gar nicht empfinden kann. Aber nur allein mit dieser Geste berührt sie Ava so tief in der Seele, dass sich die junge Frau mit einem Mal sicher in ihrer Gegenwart fühlt. Sie spürt Vertrauen der Psychiaterin gegenüber. Ehrliches Vertrauen, Sicherheit, aber auch Verlangen. Ein unermessliches Verlangen nach dieser Frau … .

Leicht schwankend kommt Ava vor der Doktorin zum Stehen. Doch schon etwas beschwipst kann sie das Lächeln auf den Lippen der älteren Frau nicht richtig deuten. Braucht sie auch nicht. Denn in der nächsten Sekunde entweichen ihr selbst sämtliche Gesichtszüge. Bis in die letzte Faser angespannt schaut Ava dabei zu, wie Nora ihre Hände auf Avas Hüfte legt und sie zu sich zieht.

Die eigene Hüfte passend zu der Musik bewegend, passt sich Noras Körper perfekt dem der jüngeren Frau an. Beide wirken wie füreinander gemacht und scheinen fast miteinander zu verschmelzen.

Nora lenkt Ava so zurecht wie sie sie haben will. Das bedeutet in ihrem Fall, dass sich ihr rechtes Bein zwischen Avas bewegt. Ein Arm schiebt sich gänzlich um Avas Taille und zieht sie noch weiter zu sich.

Wie eine Handpuppe, deren Faden durchgeschnitten wurde, kippt Avas Kopf nach unten. Starr gafft sie auf den Körper der Doktorin. Dieser schmiegt sich so eng an ihren, dass sie Noras Körperwärme spüren kann. Ihr Kreislauf beginnt Achterbahn zu fahren. Planlos purzeln Gedanken durch ihren Kopf, die sie keineswegs einordnen kann. Sie kann noch nicht einmal etwas damit anfangen. Irgendetwas stimmt mit diesen Gedanken nicht.

Zärtlich legt sich eine Hand unter Avas Kinn und hebt ihren Kopf an. Ava schaut hoch und sieht Noras bernsteinfarbenen Augen vor sich. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch beginnen in solch starken Schwingungen mit ihren Flügeln zu schlagen, dass Ava das Gefühl hat, jeden Augenblick von ihnen weggetragen zu werden.

Mein Gott … .

Mit einem Herz, das tatsächlich zu schwanken beginnt, schaut Ava dabei zu, wie sich Noras sonst so hartes Gesicht zu etwas Weichem und Zärtlichem verwandelt. Mit jedem musikalischen Takt wird Nora besonnener und sanfter. Das Lächeln auf ihren Lippen passt sich diesem Gefühl an. Die Bewegungen der beiden Körper werden zaghafter, schmiegsamer, vertrauter.

Mit einer beängstigenden Leichtigkeit hat Nora die junge Frau mit einem Schlag in ihren Bann gezogen, sodass sie alles mit ihr machen kann was ihr beliebt. Ava folgt willenlos ihren Bewegungen.

Irgendwie fasziniert liegen Avas Augen auf der älteren Frau. Fast blind lässt sie sich von ihr führen. Die Journalistin ist nicht mehr in der Lage die Musik um sich herum zu hören. Sie spürt sie. Sie spürt durch Noras Körper den Takt der Musik und passt sich ihren Bewegungen an. Nora hat sie voll und ganz in sich eingeschlossen und nimmt sie zu etwas mit, was sich Ava niemals bei ihr hätte erträumen lassen. Nicht bei Nora. Nicht bei diesem Drachen. Nicht bei diesem Kotzbrocken. Nicht bei diesem elendigen Miststück.

Gott, ich sterbe in ihren Armen … .

Leichtfüßig tanzt Nora zu dem laufenden Song und nimmt die Journalistin ungefragt mit. Sie bewegt sich so vertraut zwischen ihren Beinen und hält sie in ihren Armen als wenn Avas Körper ihr gehören würde und sie das schon tausend Mal gemacht hat. Sie lächelt Ava so sanft an, dass sie damit den Verstand der jungen Frau auf Reisen schickt.

Ava hat kein Problem dem Takt der Musik zu folgen. Ihr Körper ist diese Art der Bewegungen gewohnt. Er hat sich nach so langer Zeit mal wieder nach einem guten Tanz gesehnt. Sie hätte nur nicht gedacht, dass sie jemals mit Nora tanzen würde. Und schon gar nicht so. So eng, so vertraut, so losgelöst, so befreit.

Ava raubt es fast den Verstand, wie Noras Hüften immer wieder verführerisch zu den Seiten fließen. Dadurch reibt sich das Bein der älteren Frau dauerhaft an Avas Innenschenkel. Diese Berührung lässt Avas Gehirn nach und nach mehr und mehr Pirouetten drehen.

Lächelnd zieht Nora Avas Aufmerksamkeit auf sich, als sie sich enger an die junge Frau schmiegt. Scheinbar bewusst presst sie ihren Busen gegen Avas. Die junge Frau glaubt Noras Herzschlag spüren zu können, aber wahrscheinlich ist es nur ihr eigener. Denn dieser beginnt in der kommenden Sekunde an zu rasen. Mit dem nächsten Wimpernschlag neigt sich Noras Gesicht so nah zu Avas, dass die Journalistin Noras Atem auf ihren Lippen spüren kann. Noch bevor sich die junge Frau auf irgendeine Weise auf diese Nähe einlassen kann, dreht sich Nora um und zeigt Ava den Rücken. Schwungvoll fliegen Noras Haare in Avas Gesicht. Die junge Frau kommt nicht dazu das zu verarbeiten. Denn mit dem nächsten Takt nimmt Nora ihre Arme hoch, schiebt sie sich in die Haare und kokettiert mit ihnen. Verschmitzt lächelnd blickt sie zu Ava zurück, die einfach nur noch agiert, statt zu reagieren. Sie beobachtet Nora beim Tanzen und kämpft mit sich, ihre Hände bei sich zu behalten. Es raubt ihr alles, zu wissen, Nora in solch einer Situation nicht berühren zu dürfen.

Ihre Augen gleiten Noras Rücken entlang, bis hinunter zu dem Arsch der Doktorin, der in dieser kurzen Jeans gemeingefährlich aussieht. Wenn sie dürfte, würde Ava auf die Knie fallen und sich in diesen Arsch verbeißen, nur alleine deshalb, weil er in dieser Hose zum fressen ausschaut. Aus keinem anderen Grund.

Noras Körper animiert Avas dazu, weiterhin mit ihr zu tanzen und neigt sich absichtlich immer wieder nach hinten, nur damit Ava sie spüren kann. Sie tanzt an dem Körper der jungen Frau, bewegt verführerisch die Hüften und blinzelt immer wieder schelmisch zu ihr zurück.

Gott, sie weiß ganz genau wie sie jemanden ausknocken kann.

Mit diesen Gedanken beobachtet Ava Nora dabei, wie sie in geschmeidigen Bewegungen um sie herumtanzt und sich schlagartig von hinten an sie schmiegt.

Die Journalistin spürt Noras Busen an ihrem Rücken; ihren Schritt an ihrem Arsch und eine schier unerträgliche Hitze die von der Doktorin aus geht.

Noras ganzer Körper drängt sich tanzend an Ava heran und sucht ihre Nähe. Mit dem nächsten Takt schlägt ein Blitz in Avas Körper ein, der ihr jegliche Fähigkeit des Denkens nimmt.

Nora umgreift Avas Haare, schiebt sie zur Seite und beißt ihr mit zärtlicher Kraft in den Hals. Sie lässt die Haare los, schlingt beide Arme um die junge Frau und umarmt sie mit einer besitzergreifenden Zärtlichkeit.

Während Ava Nora hinter sich spüren kann, verliert sie jegliche Kontrolle über sich und die Situation.

Tanzend hält Nora Ava in den Armen und genießt es, wie Avas Kopf von ganz alleine nach hinten auf ihre Schulter fällt. Sie sieht die geschlossenen Augen der jungen Frau und belohnt sie hierfür mit zärtlichen Bissen und hauchenden Küssen.

Ava nimmt Noras Arme wahr, die sie mit zärtlicher Kraft halten und weiterhin zu diesem Tanz verführen. Sie spürt Noras Atem und Lippen auf ihrer Haut und kann sich beim besten Willen nicht mehr halten. Mental bricht sie zusammen, was ihren Körper dazu verleitet, losgelöst in Noras Arme zu sinken. Die ältere Frau wird sie halten, das weiß sie.

Eine unerträgliche Kälte bricht mit dem nächsten Takt über Ava zusammen. Ohne es bemerkt zu haben, muss sie feststellen, dass Nora ihren Körper aus ihren Armen entlassen hat. Auch ihre wärmende Nähe fehlt.

Schon fast frierend öffnet Ava die Augen und blickt hinter sich. Leere. Nichts. Nora ist verschwunden.

Aufgelöst schaut Ava um sich, steht aber vor einem Nichts. Dort wo sie Nora vermutet hat, ist Leere. Die ein oder andere Frau tanzt an ihr vorbei, aber von Nora fehlt jede Spur. War sie überhaupt hier, oder hat sich Ava das alles eingebildet? Ist ihr Wunsch, eine Verbindung zu Nora herstellen zu können, tatsächlich so stark, dass sie sich die vergangenen Minuten nur erträumt hat? Fiel sie in eine Art Tagtraum, ohne dies bemerkt zu haben?

***

Um diese ganze Szenerie irgendwie verarbeiten zu können, wankt Ava zur Toilette und wäscht sich das Gesicht. Das kalte Wasser tropft ihre Haut hinab, bringt aber leider nicht die ersehnte Abkühlung. Mit hochrotem Gesicht und einem aufgewühlten Gefühlsleben schaut sich Ava im Spiegel an und kann nicht glauben, wie ihre Augen strahlen. Wie sie innerlich noch immer glüht. Egal ob dieser Tanz mit Nora Einbildung war oder nicht, bisher hat es noch keine Frau geschafft Ava so dermaßen aus der Fassung zu bringen. Und Nora scheint dies mit einer beängstigenden Leichtigkeit geschafft zu haben.

Nach dem Gang zur Toilette, entscheidet sich die junge Frau für einen kalten Drink, den sie mit nur wenigen Zügen leert. Aber auch das hilft nicht im Geringsten. Also gibt es nur noch eine Möglichkeit. Luft! Sie muss raus. Sie braucht frische Luft. Sie muss das was auf der Tanzfläche geschehen ist irgendwie verarbeiten. Sie weiß zwar noch nicht wie sie das anstellen soll, aber frische Luft ist schon mal ein guter Anfang.

Auf dem Weg zur rettenden Luft quetscht sich Ava an dem ein oder anderem knutschenden Paar vorbei und rutscht zwischen tiefgehende Gespräche hindurch. Allerdings stimmt mit diesem einem Paar dort drüben etwas nicht. Eine der beiden hat ihre Arme um die Taille ihrer Partnerin geschlungen und sie eng zu sich gezogen.

Die Frau, deren Mandeln intensiv untersucht werden, hat ihre Arme um den Hals der Hals-Nasen-Ohren Ärztin ohne Zulassung gelegt und scheint deren Mandeln ebenfalls eingehend zu durchforsten.

Auffallend an diesen Armen ist die Tatsache, dass die Arme vollständig tätowiert sind. Die weiße Bluse ist zwar nur bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, aber die Art der Tätowierungen lässt erahnen, dass da noch mehr ist. Auch kommen Ava diese tätowierten Arme recht bekannt vor. Ebenso die bordeauxroten Haare, die elegant zur Seite fallen während der Zungenclinch ungehindert weitergeht.

Fast gleichzeitig, als Ava bewusst wird wessen Arme und Haare das sind, bewegt sich der Rotschopf. Er richtet sich auf. Ava kann nun gänzlich in das Gesicht der Frau schauen. Nora.

Die junge Frau muss sich beherrschen damit sie nicht anfängt zu heulen, zu brüllen, umzukippen oder um sich zu schlagen. Stattdessen beginnt ihr Herz hart zu schlagen. Wut steigt in ihr auf. Enttäuschung, Traurigkeit und eine gehörige Portion Eifersucht, vermischt mit Unverständnis. Noch vor einer gefühlten Minute, glaubte sie, eine Verbindung zu Nora hergestellt zu haben – an sie herangekommen zu sein. Und nun? Nun steht wieder alles auf Anfang.

Nora legt den Kopf zurück, öffnet die Augen und dann kann sich Ava sicher sein, dass sich keine Fata Morgana vor ihr befindet. Diese bernsteinfarbenen Augen würde sie unter Tausenden erkennen.