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Julchen ermittelt auf Holmsland Klit! Sommer in Mitteljütland. Hier das Meer, dort der Ringkøbing Fjord und dazwischen nichts als Sand, Dünen und dänische Sommerhäuser. Der vierte Fall erwischt Julchen mitten im Urlaub. Ausgerechnet im geliebten Hvide Sande fällt dem Bearded Collie eine Leiche vor die Pfoten. In einer dieser alten Hütten am Fjordhafen. Während die pfiffige Hündin gemeinsam mit ihrer Assistentin im Fischer- und Surfermilieu ermittelt, überschlagen sich die Ereignisse.
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Seitenzahl: 207
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Sommer in Mitteljütland. Hier das Meer, dort der Ringkøbing Fjord und dazwischen nichts als Sand, Dünen und dänische Sommerhäuser. Der vierte Fall erwischt Julchen mitten im Urlaub. Ausgerechnet im geliebten Hvide Sande fällt dem Bearded Collie eine Leiche vor die Pfoten. In einer dieser alten Hütten am Fjordhafen. Während die pfiffige Hündin gemeinsam mit ihrer Assistentin im Fischer-und Surfermilieu ermittelt, überschlagen sich die Ereignisse.
Die Reisejournalistin und Buchautorin zog 2010 vom Rheinland an die Küste. Auf ihrem mehrfach ausgezeichneten »Meerblog« berichtet sie über das Leben an der Nordsee und schreibt Geschichten vom langsamen Reisen in der Welt. In Nordfriesland entstanden ihre ersten Romane.
Mit Sand unter den Pfoten
bist du ein anderer Hund.
Julchen
*
Es wird eindeutig zu viel gemordet.
Mademoiselle Julie
Madame: die Chefin in Julchens Zuhause. In anderen Haushalten sagen sie oft Frauchen.
Monsieur: der Mann von der Chefin, Herrchen sagen sie in anderen Rudeln. Julchens frühe französischsprachige Prägung hat sie vor der Übernahme derartiger Begriffe bewahrt. Wo das Französische herrührt, weiß keiner so genau. Als Welpe hat sie eher auf Julie gehört als auf Julchen.
Jannimann: von der Verwandtschaft so getaufter Mitbewohner namens Janni, auch die Schlumpfbacke genannt. Er stammt zwar aus derselben Geburtshütte wie Julchen, tickt aber ganz anders.
Mademoiselle Julie: Julchens Alter Ego ist auf Psychotherapie spezialisiert. Ihr Geheimrezept: Buddeln hilft! Immer.
Grandmadame: Mutter von Madame und Partyhase. Erscheint stets pünktlich zu Feierlichkeiten auf der Bühne.
Gackervieh: unter Lutschern als Hühner bekannt, die nach Julchens Erfahrung ziemlich leckere Eier produzieren. Im Sommer hatte sie nämlich mal ein Versteck entdeckt und konnte zwei Stück probieren, bevor Madame ihre Naschaktion entdeckte.
Lutscher: So nennt man nette, abschleckwillige Zweibeiner. Also fast alle. Trifft es nicht zu, spricht man unter Hunden von Nichtlutschern.
Chachaputi: Ein ausgefallener Kosename für Julchen, der angeblich aus einem verschollenen Inka-Dialekt stammt und so etwas wie »Sonne im Herzen und Hummeln im Hintern« bedeutet. Sagt Madame nur »Chacha«, weiß man nicht so recht, ob von Herz oder Hintern die Rede ist.
Plüschomat: Lebewesen mit enorm viel Fell, egal ob Hund, Schaf oder Moschusochse.
Himmelschafundmeer: typischer Fluch unter Hunden an der Nordseeküste. Wird aktuell zu Himmelfjordundmeer.
Heilige Ackergülle: siehe oben.
Zum Pferdeäpfelpürieren: wenn etwas absoluter Mist ist.
Multifunktionaler Schnackapparat: Smartphone, so pflegen die Lutscher auf Neudeutsch zu sagen. Quasi die Verlängerung eines Lutscherarms. Neben der Blechhöhle und dem Wunderkasten gehört es zu den drei wichtigsten Dingen im Lutscherleben.
Statischer Schnackapparat: seltenes Teil, das in manchen Haushalten überlebt hat. Einst als Festnetztelefon bekannt.
Wunderkasten: Jeder hat sein Heiligtum. Was dem Gackervieh der Kompostierer, ist dem Lutscher der sogenannte Fernseher. In Wirklichkeit ein Nahseher. Die Welt in Klein. Für den Vierbeiner gilt der ritualisierte Abend vor der Glotze als Glücksfall. Zumindest dann, wenn er einen Platz neben seinem bevorzugten Lutscher ergattern und auf ein zünftiges Krauli hoffen kann.
Blechhöhle: ein beliebtes Fortbewegungsmittel, in Lutscherkreisen auch Auto genannt. Julchens sichere Burg für lautstarke Verweise an Kühe, Pferde, Hindernisse auf der Fahrbahn und vor allem: Höllenmaschinen.
Höllenmaschinen: das Schlimmste, was sich auf den Straßen herumtreibt. Der Wahnsinn auf zwei Rädern. Laut, aufreizend schnell und mit vermummten Wesen bestückt.
Rüdenkram: Damit sind männliche Hunde meist über die Maße beschäftigt, wie Julchen findet. Der Gemeine Rüde sucht die Konfrontation mit seinesgleichen und verteidigt »sein« Territorium bis aufs Messer, oder sagen wir: bis auf den Fangzahn.
Vorderpfotentaps: spezieller Paartanz der Bearded-Collie-Tradition, den auch andere Hunde beherrschen. Die Tänzer stellen sich dazu auf die Hinterbeine, berühren sich mit den Vorderpfoten und lassen es krachen.
Oberjournalistisch und schafsköddelkorrekt: Julchens Devise. Als Ermittlerin ist sie nun mal der Wahrheit und nichts als der Wahrheit verpflichtet.
Tüdelig sein: offizieller plattdeutscher Begriff im Norden für »durch den Wind sein«. Also der Normalzustand, wenn du ein Jannimännchen bist.
Prolog
1. Am Fjord
2. Langer Sand
3. Der Schock
4. In der Lokalpresse
5. Vernebelt
6. Der Hauch einer Spur
7. Attacke!
8. Verstärkung naht
9. Kryle
10. Oles Vergangenheit
11. Spurlos verschwunden
12. Der Mantrailer
13. Der verlorene Freund
14. Mettes Sorge
15. Die Begegnung
16. Oles Geheimnisse
17. Der Einsatz
18. Miss Undercover
19. Wo ist Mette?
20. Feuer am Fjord
21. Grandmadame und der Fischer
22. Das Date
23. Ein Funken Wahrheit
24. Morten
25. Bergson brilliert
27. Auf dem Fjord
28. Miss Undercover fliegt auf
29. Finale am Fjord
Epilog
Nachwort von Janni
Nachwort von Monsieur
Nachwort von Grandmadame
Nachwort von Hafrún
Worte des Dankes
Weiterlesen in der edition croissant
Kind des Windes
Eine steife Brise fuhr mir durch den Plüsch. Nach Tagen der Sommerhitze freute sich ganz Südjütland über den aufkommenden Wind. Ein aufgeregtes Gackern ertönte hinter mir im Garten. Hafrún schien einen Wurm gefunden zu haben, und die beiden anderen Hennen waren neidisch. Ich wuffte kurz in ihre Richtung, doch als Streitschlichterin war meine Wenigkeit in der Hühnerwelt nicht autorisiert. Allein Madame schwitzte noch. Unermüdlich rannte sie zwischen Haus und Blechhöhle hin und her. Sie trug unsere Dinge ins Auto, Monsieur packte mit an. Zuletzt hatte sie Knödel, einen Junghund und aktuell mein Lieblingsplüsch, in den Händen. Doch dann brachte sie ihn zurück. Ich bellte ihr aufgeregt aus dem Garten zu. Knödel musste mit! Auch wenn es ein Mädelstrip war. Doch sie schüttelte den Kopf und meinte, er bräuchte dringend einen OP-Termin. Ich gab auf, und Madame steckte stattdessen Bertine ein. Da es sich um ein unkompliziertes Schwein mit sonnigem Gemüt handelte, war ich absolut einverstanden mit der rosa Reisebegleitung.
Grandmadame wartete in Tønder auf uns. Vor ein paar Wochen war sie endlich umgezogen und wohnte nun nicht mehr so weit von uns entfernt. Sie hatte Oles ehemalige Ferienwohnung bezogen und konnte einen Großteil ihrer Möbel im Rheinland lassen. Ein Umzug mit leichtem Gepäck, hatte sie geschwärmt.
Ole hatten wir bei unserem letzten Fall kennen und schätzen gelernt. Wobei man dazu sagen muss, dass er zunächst zum Kreis der Verdächtigen zählte. Nicht nur, weil er quasi als einziger vom Ableben seiner Tante profitierte, wenn auch nur finanziell. Emotional hatte die beliebte Frau eine Riesenlücke in ihrem Umfeld hinterlassen, und das vor allem bei ihrem Neffen, für den sie wie eine Mutter gewesen war. Aber nun hatte Ole ja uns. Neue Mieter mit Rudelanschluss! Und Grandmadame, diese Genusslutscherin, profitierte zugleich von Oles ausgewiesenen Kochkünsten. Eine Mietbude mit Halbpension! Darauf waren wir zugegebenermaßen alle ein wenig neidisch.
Großes Hallihallo und Bussibussi, als wir Tønder erreichten. Madame versuchte verzweifelt, Grandmadames Dinge noch in der Blechhöhle zu verstauen. Sie drückte und schob. Ich bellte Ole zum Abschied gut zu, während er mit betrübtem Gesicht hinter uns herwinkte.
»Was hat er denn?« Neugierig wuffte ich in Richtung Grandmadame.
Doch diese schüttelte den Kopf, verständnislos.
»Ich sehe und höre weit und breit kein Motorrad. Warum bellt die Prinzessin?«
Ja, Himmelschafundmeer! Lutscherinnen und Lutscher quasselten ständig und fabrizierten im Übrigen eine erschreckende Vielzahl an unangenehmen Geräuschen, egal ob mit ihren hunderttausend Elektrogeräten oder anderen Hilfsmitteln. Und ich sollte nur Laute von mir geben, wenn eine Höllenmaschine die Atmosphäre verpestete?
Madame nutzte die folgende Wuffpause, um ihrerseits zu fragen: »Was ist denn mit Ole los? Er sah irgendwie traurig aus.«
Danke für die Übersetzung!
Grandmadame holte für meinen Geschmack etwas zu weit aus: »Also… Gestern Nachmittag saßen wir gemütlich bei Kaffee und frisch gebackenem Apfelkuchen mit Sahne… «
»Grandmadame!«, fiel ich ihr wuffend ins Wort. Das Wasser lief mir im Maul zusammen. »Komm auf den Punkt!«
Madame schaute sie von der Seite an und grinste, wie ich eindeutig aus meiner Box im hinteren Teil der Blechhöhle erkennen konnte. War das etwa lustig?
Ohne sich irgendeiner Schuld bewusst zu sein, fuhr Grandmadame fort: »Übrigens einer der besten Apfelkuchen, den ich je gegessen habe.«
Das machte sie doch extra!
»Jedenfalls klingelte das Telefon, Ole ging in den Flur. Als er zurückkam, war er wie ausgewechselt.«
Die Omi seufzte tief. »Frag mich nicht, worum es ging. Ole hat dicht gemacht. Wenig später hab ich mich bedankt und mich in meine Wohnung zurückgezogen. Er wollte allein sein, denke ich, brauchte Zeit zum Nachdenken.«
Sie machte eine kurze Pause. »Vielleicht gab es eine schlechte Nachricht aus der Verwandtschaft?«
»Ole hat in Dänemark keine Familie mehr. Seine Mutter lebt in Schweden. Das Verhältnis zu ihr hat sich in den letzten zehn Jahren stark abgekühlt, hat er mal erzählt.«
Wir schwiegen, jeder hing seinen Gedanken nach.
Ich sah Ole wieder vor mir, wie wir ihn kennengelernt hatten: ein verschwiegener Typ mit Hoodie, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Stets tauchte er wie aus dem Nichts auf und verschwand ebenso lautlos. Er observierte uns und rettete uns aus einer misslichen Situation. Wie ein Agent und gleichzeitig eine Art Schutzengel. Seitdem war viel Wasser die Priele hinauf- und hinabgeflossen. Nun war der alte Ole zurück, wie es schien. Unser Geheimagent, wie ich ihn im Winter noch genannt hatte. Seit unserem Umzug von Nordfriesland nach Südjütland gehörte Ole zur Familie. Und so begann unser Mädelstrip nach Holmsland Klit damit, dass wir uns Sorgen machten.
Die Reise war anstrengend, ich kam kaum zum Schlafen. Grandmadame quatschte gerne, und Madame fiel ein. Wilde Diskussionen, man hörte sein eigenes Schnarchen nicht mehr! Einmal hatte Madame, diese alte Poetin, zu mir gesagt: »Dein Atem klingt wie der heisere Wind in den Fugen einer alten Hütte.« Angeblich liebte sie mein sanftes Sägen, es würde sie beruhigen. Hauptsache, sie schlief mir nicht am Steuer ein! Also kümmerte ich mich lieber lautstark um den Gegenverkehr. Was Madame nun wieder störte. Ihr würden die Ohr klingen! Himmelschafundmeer, gab es noch Gerechtigkeit auf dieser Welt? Immerhin waren nun alle angehalten, ein Schnatterpäuschen einzulegen, Grandmadame inklusive.
Gegen Abend kamen wir an. Alle freuten sich wie die Lämmer im Frühling, auch wenn keiner hüpfte. Wir bestaunten die Mietbude mit Aussicht und schoben Kohldampf. Man orderte Pizza. Nach dem Dinner ratzte ich gleich weg. Bekam gar nicht mit, dass Madame noch jagen, äh, einkaufen fuhr. Erst als sie wieder auf der Matte stand, mit schweren Einkaufstüten beladen, bemerkte ich nachträglich den temporären Verlust und wedelte ihr erfreut entgegen.
»Die Prinzessin war lieb«, berichtete Grandmadame überflüssigerweise. Was denn sonst?
Madame und ich drehten eine erste Runde, und alles kam mir so bekannt vor. Ich starrte auf den Fjord. Manchmal wirkten seine Wasser stumpf und grau, manchmal brach sich das Licht, und alles funkelte wie der Sternenhimmel in wolkenlosen Nächten. Manchmal wirkte er dunkel, tief und unergründlich wie das Meer. Manchmal war er aufgewühlt und spritzte provozierend, wenn ich an der Kante stand. Ich antwortete gebührend. Doch grundsätzlich verstand ich diesen Fjord nicht. Sein Wasser hatte ich bereits probiert, es schmeckte weniger salzig als das Meer. Madame erklärte mir, dass die Lutscher fein säuberlich beide Wasser voneinander getrennt hatten. Sie hätten eine Schleuse installiert, dort an der schmalsten Stelle, früher die einzige Verbindung des Fjords nach draußen. Nur wenn die Zweibeiner es wollten, durften sich beide Wasser treffen. Alles mussten sie kontrollieren. Aber sie würden es nicht schaffen. Superjulchen kannte ihr Meer, das wildeste aller. Von nichts und niemandem ließ es sich beeinflussen. Da konntest du stundenlang mit ihm diskutieren und dir das Maul fusselig bellen.
Der Regen wäre schön, meinte Madame, als wir wieder in der Bude waren. Tropfen bildeten Schlieren, die an der Fensterwand hinabliefen. Sie vereinten sich, entschärften das Bild. Auf den letzten Metern hatte uns das Wasser von oben überrascht. Ich sah eine dunkle Gestalt mit gebeugtem Rücken die Wasserkante entlanglaufen und bellte. Merkte der Typ nicht, dass es regnete? Das Wasser tanzte auf dem Boden der Terrasse, hinter der Grashalme, Strandhafer und die ewigen Heckenrosen fast rückenhoch wucherten. Dazwischen bunte Tupfer von Rainfarn, Vogel–Wicken und Grasnelken. Madame hatte mich botanisch aufgeklärt, als ich das Ambiente gründlich untersuchte. Dahinter dehnte sich das Wasser bis zum Horizont, weit wie ein ruhiges Meer.
Auf die Terrasse mit der schönen Aussicht ließen sie mich nicht. Aus Angst vor Anarchie, vermutete ich. Es gab ja keinen Zaun, das würde im Kontrollverlust enden! Lutscher liebten ihre spezielle Sicht der Dinge, die sie Ordnung nannten. Ein todlangweiliges Ding. Nur in dem rundherum zugebauten Innenhof durfte ich unbeaufsichtigt abhängen. Manchmal grübelte ich dort vor mich hin. Mangelte es den uns zugeteilten Lutscherinnen an Vertrauen?
Grandmadame schnarchte vor dem Wunderkasten, was sehr animierend wirkte. Ich fand derweil den perfekten Platz, eine Plüschunterlage am tiefen Fenster. Ziemlich großzügig bemessen. Auch Schweinchen Bertine hatte sich bereits ausgebreitet, alle Viere in die Höhe. Sie schlief wie Janni, wenn er vollkommen entspannt war. Ich bettete meinen Kopf gleich neben Bertine.
Als ich gerade in tiefe Träume versinken wollte, ließ mich ein abruptes Geräusch hochfahren. Alarmiert stand ich auf, lief hierhin und dorthin. Wo kam der Unfug her? Ich suchte vergeblich. Madame wollte mich durch irgendwelchen Singsang und Kraulen beruhigen. Erst als Grandmadame sich in ihre Schlafhöhle zurückgezogen hatte, kehrte Ruhe ein.
Die Nacht war voller Sterne, als ich Stunden später erwachte. Ein Fest, das Firmament. Madame stand staunend vor der Fensterwand: »Da ist Leben am Himmel. Alles so plastisch. Sie tanzen, die Sterne.«
Ich hob kurz den Kopf, senkte ihn wieder und legte ihn zwischen den Vorderbeinen ab.
»Das hier ist ein Hundekrimi«, dachte ich schläfrig. Madame konnte sich poetische Anwandlungen sparen.
»Hui, die war schnell.«
Erst tanzende Sterne, Boogie oder Salsa, man wusste es nicht, nun eine Sternschnuppe.
»Es ist Mitte August, die Zeit der Perseiden«, meinte Frau Prof. Dr. Meteorschauer.
Ich stand auf, tapste vorwärts und ließ mich mit einem Stöhnen an anderer Stelle nieder.
»Noch eine! Die verpuffen so schnell, dass man wirklich verpasst, sich etwas zu wünschen.«
Ich schnaubte. Bestimmt hatte sie sich trotzdem was gewünscht, diese Romantikerin. Aber mir sagte sie ja nichts. Großes Geheimnis. Sonst ging es nicht in Erfüllung, blablabla. Was sollte sie sich schon groß wünschen? Mich hatte sie schon. Monsieur, Grandmadame, Janni, die Hühner, ein paar Freunde und ein neues Leben in Dänemark. Strand und Meer ums Eck. Mehr brauchte man nun wirklich nicht.
Ich warf einen Blick nach draußen, während Madame sich weiterhin den Hals verrenkte. Langsam zog etwas Dunkles mit einem Licht über den Fjord, das musste ein Boot sein. Konnte der Fischer überhaupt sehen, wohin er fuhr? Nicht, dass er mit einem Fisch zusammenstieß! Ich schloss die Augen und fand mich auf einem dieser schmalen Kähne wieder, Nase im Fahrtwind. Neonfarbene Fähnchen flatterten in einer Ecke, vorne baumelte eine Laterne. Ringsherum nichts als die stockdunkle Nacht. Ein Fisch hüpfte an Bord, flutschte über den Boden. Noch ehe ich ihn stoppen konnte, sprang er auf der anderen Seite hinaus und tauchte erneut ab. Es blubberte unter der Wasseroberfläche, dann schoss der Fisch in Bruchteilen von Sekunden hoch und platschte ins Wasser. Schneller als jede Sternschnuppe.
Wenn wir mit Grandmadame urlaubten, gingen wir nicht in die Dünen. Wir hatten Langsand entdeckt, einen abgelegeneren Teil von Hvide Sande, der wie eine Lutschernase in den Fjord hineinragte. Hier konnte Grandmadame unabhängig agieren, sie musste nicht weit laufen, um am städtischen Leben teilzuhaben. Hvide Sande war zwar nicht sonderlich groß, aber eine waschechte Hafenstadt. Ich liebte es, an der Kaimauer entlang zu bummeln und die Kähne zu beschnuppern. Meine Seebeine kribbelten dann vor Aufregung. Madame hatte Mühe, mich davon abzuhalten, spontan an Bord eines Schiffs zu gehen. Während ich auf nordfriesischen Fähren nur die besten Erfahrungen gemacht hatte, auch solche amouröser Art, waren mir die Seebeine in Südnorwegen gewachsen. Nicht ganz freiwillig, das muss ich zugeben. Ich landete auf einem ungewöhnlich kleinen und flachen Boot, um Madame zu einer Leuchtturminsel zu begleiten. Verdammt wackelige Angelegenheit, dieses luftgefüllte Gummiteil. Ein falscher Biss und pffffittt! Zum Glück war Janni nicht dabei, der ja gerne und oft mit offenem Maul durch die Gegend tüdelte. Steif stand ich in der Mitte des Boots. Der Skipper dachte wohl, wir säßen in einer schnittigen Yacht. Mit Karacho bretterte er aus der Bucht hinaus. Madame sah meine Not und bat ihn, das Tempo zu drosseln. So ging das besser. Wenigstens hatte man nicht den Eindruck, mit der nächsten kreuzenden Welle hinauskatapultiert zu werden. Am Ende gewöhnte ich mich an das neue Fahrgefühl. Entfernt erinnerte es an Ente Emilia, die uns auf der gesamten Tour begleitete. Wir schaukelten durch Skandinavien. Ich fand unser Gefährt zwar sympathisch, musste Emilia aufgrund ihrer Lautstärke jedoch häufiger zurechtweisen. Von den diversen Pannen will ich jetzt gar nicht reden. Aber ich schweife ab. Wir fuhren also mit dem Gummiboot zu dieser Insel. Ehrlich gesagt, war ich am nächsten Tag froh, zurück aufs Festland zu kommen. Das Eiland war fest in den Krallen der Möwen. Unzähliger Möwen. Vermutlich begann ich da, eine latente Abneigung gegen die impertinentesten aller Piepmätze zu entwickeln. Traumatisch wurde ein Erlebnis in Schweden. Ich musste miterleben, wie ein dreistes Möwenvieh einer unschuldigen Pausenlutscherin das Lunch klaute. Und es ging bei dem Angriff nicht gerade zimperlich vor! Den Schrei werde ich nie vergessen. Fortan hielt ich es für meine heilige Pflicht, die Lutscherheit vor heranschießenden Möwen zu warnen.
Auch auf Langsand trieben sie sich herum. Gemeinsam mit exzentrischen Kormoranen bevölkerten sie einen Steg am Fjord. Sie segelten über die Wasserkante und den Pfad. Eine einzige Verwarnung reichte bei weitem nicht, ich hatte alle Pfoten voll zu tun, lief hin und her.
Ansonsten war Langsand unspektakulär, so dachte ich zumindest. Nichts als ein großer Sandkasten am Fjord. Wir schliefen, aßen und spazierten auf Sand. Madame kehrte ihn täglich in der Bude zusammen. Ich beobachtete sie dabei, untersuchte die Häufchen, die sich am Boden gebildet hatten.
Madame philosophierte: »Eine der hervorragendsten Eigenschaften von Sand ist, dass er sich überall gleichmäßig verteilt. Das nenne ich demokratisch! In jedem Winkel sind Körner, auch dort, wo man gar nicht gewesen ist.«
Ich kapierte nur Ackergülle. Aber was die Verteilung anging, da musste sie sich keine Sorgen machen. Einmal schütteln, und der Sand flog in sämtliche Ecken. Um Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit kümmerte ich mich schon.
Einfache Sommerhäuser bestimmten das Bild auf Langsand, wo einst nur Fischerhütten in Wassernähe gestanden hatten. Bunte Holzhütten, mal wie aus dem Ei gepellt, mal heruntergekommen oder vollgestopft mit kuriosen Dingen. Die halb kaputten Buden faszinierten mich am meisten. Jedes Mal blieb ich dort stehen und schnüffelte so ausgiebig, dass Madame schon ungeduldig wurde. Ich liebte das Durcheinander und die tausend Gerüche. Die Geheimnisse hinter halb verdeckten Eingängen.
Hinter den Hütten entdeckten wir Tyskerhavnen, den Hafen der Fjordfischer. Zu Tipis gestapelte Holzpfähle, im Wind flatternde Fahnen. Zusammengeraffte Netze, Bojen in Kisten oder auf der Wiese. Zogen wir morgens früh genug los, sahen wir manchmal einen Fischer, der seinen Fang feilbot. Er hatte nicht im wilden Meer gefischt, sondern in diesem Tausendsassa von einem Gewässer. Der flache Ringkøbing Fjord war voller Leben, so schien es. Einmal entdeckte ich mit Madame ein winziges Stück Strand, so schmal, dass man den Hintern gerade noch ausstrecken konnte. Spontan erhob ich das Wort gegen das plätschernde und spritzende Wasser. Ja, glaubte der Fjord, ich ließe mich vergackeiern? Mir konnte er nicht vormachen, er sei mit dem wilden Meer verwandt oder verschwägert. Die Techniklutscher hatten diese Barriere zur Nordsee eingefügt. Hohe Wellen, Lärm, Überschwemmungen, man kannte das vom Wattenmeer bei Sturm. Die Schleuse verhinderte sämtliche Übel, schenkte man Madames Ausführungen Glauben. Doch wer weiß, ob sie nicht neue brachte.
An diesem Witz von einem Strand moderte eine Lage stinkender Algen herum, auf die ich nun wirklich nicht die Pfote setzen wollte. Madame tappte mit kritischem Blick und halb nackten Füßen hinter mir her, den langweiligsten aller Sätze »Da geht es nicht weiter« wie ein Mantra wiederholend. Das sah ich selbst! Dachte meine Assistentin etwa, ich hätte Tomaten auf den Augen? Vernahmen ihre Ohren nicht, dass ich diesen Küstensee warnen wollte, bevor er richtig frech wurde?
Meistens war nicht mein sonores Gebell, sondern das Möwengeschrei am lautesten. Bis auf die Abende, an denen jener Typ mit dem Moped über die frisch geteerten Wege von Langsand düste und dabei so richtig aufdrehte. Zum Pferdeäpfelpürieren! Was sollte das werden? Ein Aufstand der Junglutscher gegen das ruhige Spießerleben? Und da kam ihnen nichts Besseres in den Sinn, als diese Krachdinger zu benutzen. Der Nachwuchs durfte ruhig etwas politischer agieren, wenn er schon aufmüpfig werden wollte. Unser kaputter Planet hätte es bitter nötig.
Natürlich inspizierten wir jeden Winkel von Langsand, doch an einer Stelle kamen wir nicht weiter. Madame zeigte auf ein paar Schilder. Typisch Lutscher mit ihrem Verbotswahn! Unsereins beliebte so etwas zu ignorieren, doch die Braven blieben stehen und drehten um. Kurz darauf steuerte eine Blechhöhle an uns vorbei geradewegs in die verbotene Zone. Dann eine von diesen tonnenschweren, lauten Superblechhöhlen, die dem Transport dienten. Ich erschrak und sprang zur Seite. Augenblicklich ließ ich eine Schimpftirade vom Stapel. Was wurde dort hinten an der Spitze von Langsand getrieben, dass der Normalhund keinen Zutritt hatte?
Immerhin bekam ich Gelegenheit, eine Baustelle auf Langsand zu inspizieren. Laut Madame sollten noch weitere Ferienhütten entstehen. Wer wohl die länglichen Streifen so präzise gebuddelt hatte? Ich lief hinein und untersuchte die Konsistenz der Wände. Probeweise schaufelte ich, der Sand gab sofort nach. Madame lachte am Straßenrand und wies mich darauf hin, dass es ein Arbeitsgerät gewesen sei, ein schweres. Na und? Durfte man als Hund auf Plätzen, die von Lutscherhand geformt wurden, nicht Maß nehmen? Was das Buddeln anbelangte, war ich schließlich Expertin.
Weiter hinten nahm ich zwei ungewöhnlich gezeichnete Piepmätze wahr, die an den spärlich nachgewachsenen Pflanzen im Sand pickten. Ich stellte mir vor, dass an dieser Stelle einst eine leicht hügelige Landschaft aus Sand und Strandhafer gewesen war. Dazwischen vielleicht ein paar Heckenrosen und Brombeersträucher, wie sie heute zwischen den Fischerhütten herausragten. So konnte es ausgesehen haben, bevor die Bulldozer kamen und alles niederwalzten. Spuren hinterließen, in die man sich hineinlegen konnte. Optimal getarnt, wenn du sandfarben bist wie der Boden.
Zu oft wurde mir von Lutscherseiten suggeriert, ich wäre eine Blondine. Zum Pferdeäpfelpürieren! Mein Fell strebte einem Beigeton entgegen, Beige wie der Boden unter meinen Pfoten. Am Strand, in den Dünen und auf Langsand war ich in meinem natürlichen Habitat angekommen. Wie der Schneehase im letzten Eis der Arktis.
Ich wachte auf. Schräg fielen die Sonnenstrahlen in den Raum und kitzelten meine Nase. Der Fjord am Horizont, eine Ahnung von Wasser, ein verheißungsvolles Glitzern am Morgen. Nichts hielt mich mehr auf der Matte. Bertine durfte weiter dösen, während ich beschloss, Madame zu aktivieren. Dafür hatte ich eine eigene Methode entwickelt, die sich fundamental von Jannis kläglichem Gejammer und Gewinsel unterschied. Ich brummte und summte wie die Yogis: »Mmmmmmm…«
Reagierten die Lutscher nicht gleich, drehte ich die Lautstärke auf. Zugegebenermaßen war meine Frustrationsschwelle niedrig, wenn auch nicht so tief angesetzt wie beim Schlumpf. Als letztes Mittel bevorzugte ich ein kurzes, forderndes Bellen, um meinem Bedürfnis Ausdruck zu verleihen. Madame fiel aus dem Bett, streifte sich rasch die Klamotten über, vergaß fast ihre Brille und war mehr oder weniger einsatzbereit.
»Ich hab mir das Gesicht nicht gewaschen!« Jetzt moserte sie also herum, statt den Urlaub mit ihrer besten Freundin zu genießen. Die wenigstens darauf achtete, dass wir nicht die schönsten Momente des Tages verpassten! Und was die Hygiene betraf, die wurde von menschlichen Wesen völlig überbewertet, so meine Erfahrung.
Der Tag versprach fantastisch zu werden. Alle zwei, drei Meter blieb ich stehen, in intensive Geruchsanalysen vertieft. Hasenduft lag in der Luft. Madame wurde ungeduldig ob derart ausgedehnter Pausen.
»Juli!«
Wie? Nicht mal ein netter Kosename heute? War da jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden? Dem Gemeinen Lutscher fehlte es bisweilen an Empathie. Er schmorte vorzugsweise im eigenen Saft. Allerdings ließ ich mich nicht so einfach aus der Ruhe bringen. Wenn Madame das Tempo ändern wollte, durfte sie gerne die Leckerli-Tüte zücken. Man konnte über alles reden. Ich verlor zwar die Hasenspur, doch spurtete plötzlich ein ungestümer Rüde heran. Madame blickte sich überrascht um. Weit und breit kein zugehöriger Zweibeiner in Sicht. Schließlich trat sein mutmaßlicher Monsieur zwischen den Hütten hervor, ziemlich erleichtert den Ausreißer wiederzusehen. Den nahm er gleich an die Leine und entschuldigte sich bei Madame.
»Nicht doch!«, wuffte ich großzügig. »Jedem sei ein Stück Freiheit und Anarchie vergönnt, gerade einem bewegungsfreudigen Vierbeiner.«
Der Grauhaarige wies auf das bandagierte Bein des Rüden hin. »Auch das hielt ihn nicht ab.«
Jetzt grinsten mich beide an. Nach Komplimenten stand mir gerade gar nicht der Sinn. Ich wuffte Madame zu: »Wie lange wollten wir hier noch herumstehen?« Dem Flirten war ich grundsätzlich nicht abgeneigt, doch suchte ich mir meine Partner lieber selbst aus. Und dieser chaotische Stürmer nervte nur. War ich etwa die Bastille?