Find Us in the Cold - Liv Modes - E-Book

Find Us in the Cold E-Book

Liv Modes

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Beschreibung

Liebe auf gefrorenen Pfaden: Finden Olivers und Ashs Herz zueinander? Nach dem tragischen Verlust seines besten Freundes ist für Oliver nichts mehr wie zuvor. Seiner Karriere als Eisschnellläufer droht das Aus, seine Leistungen sind unterirdisch. Retten soll ihn ein Trainingscamp in Kanada, doch durch einen schicksalhaften Fehler landet er im gleichen Hotelzimmer wie Ash - seinem neuen Physiotherapeuten. Zwischen schweißtreibenden Trainingseinheiten und Verletzungen entfacht eine leidenschaftliche Anziehung zwischen ihnen. Doch ihre aufkeimende Liebe wird von Olis Verlust und Ashs Krankheit bedroht. Als sich ihre Wege zu trennen drohen, müssen sie sich ihren inneren Dämonen stellen. Ist der Leistungssport wirklich alles für Oli und kann Ash seine Vergangenheit überwinden?

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Find Us in the Cold

Liv Modes (*1997) konvertierte 2015 vom Land- zum Hauptstadtleben. Nach einem Umweg über den Sozialversicherungsbereich begann sie 2021, Psychologie zu studieren. Bisher erschienen ihr Sciencefiction-Debüt »ANXO: Zwischen den Sphären« im Eisermann Verlag, der Romance-Kurzroman »Auf der anderen Seite der Sterne« im Selfpublishing, sowie der Young Adult-Roman »Flip my Heart« im Carlsen Verlag. Bei Forever erschien außerdem »Hurricane Heart«. Daneben veröffentlichte sie mehrere Kurzgeschichten, ist Mitgründerin des Autor*innen-Netzwerks #BerlinAuthors und absolvierte ein Fernstudium zur Social Media Managerin.

Liebe auf gefrorenen Pfaden: Finden Olivers und Ashs Herz zueinander?

Nach dem tragischen Verlust seines besten Freundes ist für Oliver nichts mehr wie zuvor. Seiner Karriere als Eisschnellläufer droht das Aus, seine Leistungen sind unterirdisch. Retten soll ihn ein Trainingscamp in Kanada, doch durch einen schicksalhaften Fehler landet er im gleichen Hotelzimmer wie Ash - seinem neuen Physiotherapeuten. Zwischen schweißtreibenden Trainingseinheiten und Verletzungen entfacht eine leidenschaftliche Anziehung zwischen ihnen. Doch ihre aufkeimende Liebe wird von Olis Verlust und Ashs Krankheit bedroht. Als sich ihre Wege zu trennen drohen, müssen sie sich ihren inneren Dämonen stellen. Ist der Leistungssport wirklich alles für Oli und kann Ash seine Vergangenheit überwinden?

Liv Modes

Find Us in the Cold

Roman

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Autorinnenfoto: privat

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978-3-95818-765-8

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

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Cover

Titelseite

Inhalt

1

Widmung

Für alle, die zerbrochen sindFür alle, die heilen

1

Oliver

Bevor Pip gestorben war, hatte ich nicht gewusst, auf wie viele Arten ich frieren konnte.

Für mich hatte es immer nur zwei Arten von Kälte gegeben: den klirrenden Frost an einem Wintermorgen, wenn alles noch still war und mein Atem in der Luft hing wie eine Prophezeiung, und die vertraute Kälte, die mich umgab, wenn ich aufs Eis trat – und die eigentlich keine Kälte war, sondern eine Umarmung.

Ruhe. Stabilität.

Bevor Pip gestorben war, war die Kälte meine Freundin gewesen.

Seit der Beerdigung fror ich ständig, egal wie viele Schichten Kleidung ich trug oder wie viele Runden ich auf der Eisbahn zurücklegte. Das Frösteln war mir so vertraut geworden, dass es mir kaum noch auffiel. Selbst jetzt, während ich durch die Terminalhalle des Münchner Flughafens sprintete und mein Koffer rhythmisch in meine Hacken schlug, fror ich.

Das war aktuell jedoch nicht mein größtes Problem.

Mein größtes Problem war die Frau, die am Ende der Halle hektisch auf und ab sprang und in meine Richtung winkte. Ihre blonden Haare wirbelten bei jedem Sprung um ihren Kopf, und ihre in allen möglichen Pastellfarben gefärbten Spitzen ließen sie aussehen wie einen wild gewordenen Regenbogen.

»Fuck, Nathalie!«, keuchte ich, als ich meine beste Freundin endlich erreichte. »Wenn du mit mir Kardio trainieren willst, brauchst du es nur zu sagen.«

Nathalie musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wenn ich Kardio trainieren will, mache ich andere Dinge. Du kannst dich bei Gelegenheit gern dazugesellen.«

Ihre Mundwinkel zuckten belustigt, und kurz vergaß ich die Kälte, den Schweiß, der mein T-Shirt am Rücken durchnässte, und die Tatsache, dass ich wegen Nathalies »Shit, ich hab meinen Perso zu Hause vergessen, kannst du mir den schnell bringen, ich bin bei Terminal 2, nee, war doch 1« gerade vermutlich einen neuen Rekord in Flughafensprints aufgestellt hatte.

Für einen Augenblick fühlte sich alles genauso an wie früher, als ich noch nicht ständig gefroren hatte.

Doch dann verpasste ich den Moment, in dem ich hätte antworten sollen, irgendetwas Albernes, über das wir noch Tage später gelacht hätten wie Teenager im Sexualkundeunterricht, und bis es mir auffiel, war es schon zu spät. Nathalies Miene verdunkelte sich, und das belustigte Funkeln in ihren Augen wich diesem unerträglichen Ausdruck von Sorge, mit dem sie mich jedes Mal ansah, sobald sich auch nur ein Hauch von Normalität einstellte.

Wie ich diesen Blick hasste. Er fühlte sich jedes Mal an wie bei vollem Tempo auf dem Eis stolpern. In einer Sekunde war alles in Ordnung, und in der nächsten wusste ich nicht, ob ich mich auf den Füßen halten oder fallen und zu einem Scherbenhaufen zersplittern würde.

Inzwischen fragte ich mich, was mir mehr zu schaffen machte – dass mein bester Freund gestorben war oder diese Blicke.

Bevor sich Nathalies Sorge zu einem ausgewachsenen »Oh mein Gott, war das unsensibel? Es tut mir so leid!«-Vortrag entwickeln konnte, zwang ich mich zu einem Lächeln.

Sie verbarg ihre Erleichterung darüber nur schlecht, doch das war in Ordnung. Das bedeutete, dass wir uns nun wieder der Tatsache zuwenden konnten, dass sie gerade dabei war, ihren Flug zu verpassen.

»Na, wenigstens muss ich mir jetzt keine Gedanken mehr darum machen, dass das Training heute ausfällt«, antwortete ich lahm und viel zu spät, während ich begann, in meinem Rucksack nach dem Grund zu wühlen, wieso ich überhaupt hier war. »Wie kann man denn seinen Personalausweis vergessen?«

Nathalie zuckte mit den Schultern und grinste.

»Ich war so mit den Vorbereitungen für Omas Junggesellinnenabschied beschäftigt!«, log sie schamlos, und ihre Augen funkelten jetzt wieder, auch wenn noch immer ein Rest Sorge darin lag.

Ich schnaubte. Mit zweiundachtzig Jahren hatte Nathalies Oma beschlossen, ihren langjährigen Lebenspartner doch noch heiraten zu wollen – ohne Tamtam, Kirche und Familie. Seit sie allerdings wusste, dass man sich inzwischen strippende Feuerwehrmänner im Internet bestellen konnte, bestand sie auf einem Junggesellinnenabschied. Da sie ansonsten nicht viel übers Internet wusste, war Nathalie die ehrenvolle – und absolut überschaubare – Aufgabe zugefallen, eine halbe Stunde zu googeln und ein Buchungsformular auszufüllen.

Statt sie darauf hinzuweisen, versenkte ich meinen Arm noch etwas tiefer in meinem Rucksack und bekam endlich mein Portemonnaie zu fassen.

»Bitte sehr.« Ich überreichte ihr die kleine unschuldige Plastikkarte, wegen der sie mich in mittelschwerer Panik angerufen hatte. »Dafür schuldest du mir was.«

»Versprochen.« Nathalie schob den Ausweis in die winzige Tasche ihrer Jeans, aus der er wahrscheinlich nach drei Schritten wieder herausfallen würde. Warum immer noch keine vernünftigen Taschen in Frauenhosen genäht wurden, blieb mir ein ewiges Rätsel. »Fährst du jetzt noch mal nach Hause?«

Ich schüttelte den Kopf und deutete auf den riesigen Koffer, der hinter mir stand. »Schaff ich nicht mehr. Ich hab meine Sachen schnell fertig gepackt, bevor ich zu deiner Wohnung gefahren bin.«

Für den Bruchteil einer Sekunde runzelte Nathalie die Stirn, dann wurde der Ausdruck von Schuldbewusstsein überschattet.

»Tut mir leid, dass du wegen mir so einen Stress hattest, nur weil ich mein Leben nicht auf die Kette kriege«, sagte sie leiser und sah auf ihre Hände. Erst jetzt bemerkte ich die ausgedruckte Buchungsbestätigung, die unter ihren Fingern zerknitterte. Ich blinzelte. Niemand unter fünfzig druckte heutzutage noch Buchungsbestätigungen aus.

Außer man wollte sichergehen, das Abfluggate zu finden, auch wenn man vergessen hatte, das Handy zu laden, und das Ladekabel schon wieder verschwunden war – Dinge, die Nathalie so häufig passierten, dass ihre Mitbewohnerin ihr zu jedem Anlass neue Kabel schenkte. Irgendeines fehlte immer.

Bis eben war ein kleiner Teil von mir noch sauer gewesen, dass ich wegen Nathalies Verpeiltheit nur eine halbe Stunde Zeit gehabt hatte, um für eine fünfmonatige Reise zu packen. Aber der Zettel in ihrer Hand erinnerte mich daran, wie viel es sie kostete, das Chaos in ihrem Kopf zu kontrollieren. Mein Ärger verebbte.

Außerdem flog ich nur zu einem Trainingscamp in irgendeine kanadische Kleinstadt. Etwas anderes als Sportsachen und meine Schlittschuhe würde ich also ohnehin nicht brauchen.

»Dafür hast du mich doch«, meinte ich versöhnlich. »Ich schick dir später einfach die Rechnung vom Flughafencafé, weil ich meine Wartezeit jetzt in Latte macchiato mit Vanillesirup ertränken gehen werde.«

Sie sah auf einmal sehr besorgt aus. »Ist es wirklich okay, wenn ich dich alleine lasse? Wegen …«

»Wie viel Zeit hast du denn noch?«, unterbrach ich sie und schnipste gegen das Papier in ihrer Hand.

Nathalie warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr und fluchte dann sehr laut auf Polnisch. »Ich muss ja los!«

Und dieser Satz war so typisch Nathalie, dass ich beinahe laut gelacht hätte.

Aber nur beinahe.

Stattdessen ließ ich mich in eine überschwängliche Umarmung ziehen. Mir stieg der vertraute Geruch ihres Pfirsichshampoos in die Nase, das mich an verbotene nächtliche Ausflüge im Sportinternat und ungefähr jedes andere wichtige Ereignis in meinem Leben erinnerte.

Ich drückte sie noch etwas fester an mich, und eine ihrer Haarsträhnen verirrte sich in die Nähe meiner Nase. Beinahe hätte ich ihr in den Regenbogen geniest.

»Ich komm dich bald besuchen«, murmelte Nathalie mir ins Ohr. »Bau keine Scheiße bis dahin.«

Obwohl sie es nicht sehen konnte, wanderten meine Augenbrauen nach oben. »Wer von uns beiden hat noch mal die Stempelkarte vom Krankenhaus?«

Zur Antwort stupste Nathalie mir in die Seite, genau an die Stelle, von der sie wusste, dass ich dort kitzelig war.

Ich wich aus, ohne sie loszulassen, und allein die Tatsache, dass wir beide Profisportler mit jahrelang trainierter Körperbeherrschung waren, rettete uns davor, Bekanntschaft mit dem Flughafenboden zu machen.

»Grüß deine Oma von mir. Und den Feuerwehrmann. Und schick mir endlich deinen Wettkampfplan!«

»Pfff«, machte Nathalie, absichtlich so nah an meinem Ohr, dass ich das Gefühl hatte, sie würde einmal durch meinen Kopf hindurchpusten. Ich schob sie von mir, und dann machte sie sich endlich auf den Weg zu ihrem Gate, mit wehenden Haaren und den Resten eines schelmischen Grinsens im Gesicht.

Ich fröstelte, als sie aus meinem Sichtfeld verschwand.

Nathalie hatte ich unterbrechen können, aber meine Gedanken nicht. Es dauerte kaum eine Stunde, bis ich sie einfach nicht mehr ignorieren konnte und sich mein Körper anfühlte wie ein gespanntes Drahtseil.

Andere Menschen hatten nachvollziehbare Ängste, vor Schlangen oder Nadeln oder der Klimakrise.

Ich hatte Angst vor Flughäfen. Es gab einfach zu viele Gänge, zu viele Geräusche, zu viele Menschen, zu viel Durcheinander, und je länger ich mich in Wartehallen und Gates und Flughafenrestaurants aufhalten musste, desto mehr fühlte ich mich wie in einem Karussell gefangen, das sich rasend schnell im Kreis drehte und mich niemals wieder aussteigen ließ.

Ironischerweise ließ das Gefühl meistens nach, sobald ich im Flugzeug saß. Obwohl ich in einer Metallröhre in zehntausend Metern Höhe saß, kam mir die Welt dann wieder ruhiger und überschaubarer vor.

Pip hatte das immer damit begründet, dass vor dem Abflug tausend Dinge passieren konnten. Aber sobald man in der Luft war, gab es nur noch zwei Optionen: Entweder stürzte man ab oder eben nicht. Und wenn man draufging, war alles andere sowieso egal.

Vor seinem Tod hatte ich ihm zugestimmt. Damals war Sterben für mich eher ein theoretisches Konzept gewesen, etwas, über das wir klug daherreden konnten, weil wir tief im Inneren dachten, dass es uns nicht passieren würde.

Doch jetzt, im Flughafencafé, mit meinem dritten Vanilla Latte vor mir, hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht, wenn er nicht schon tot gewesen wäre. Ob für die Leichtsinnigkeit, mit der er sein eigenes Leben betrachtet hatte, oder dafür, dass er jetzt nicht neben mir saß und mich von den kreisenden Gedanken in meinem Kopf ablenkte, wusste ich nicht genau.

Unruhig rutschte ich auf den braunen Ledersesseln herum und spielte mit dem unangetasteten Zuckertütchen, das mir eine der Servicekräfte auf die Unterteller gelegt hatte. Meine Koffeindosis einer ganzen Woche innerhalb weniger Minuten inhaliert zu haben, war nicht die beste Idee gewesen. Mein Herzschlag fühlte sich schneller an als Jenny Wolfs Weltrekord auf 100 Metern, und die Links zu diversen Stripper-Websites, die Nathalie mir schickte (»Such dir deinen eigenen Feuerwehrmann!«), halfen nur wenig.

Ich rieb das Zuckertütchen so fest zwischen den Fingern, dass das Papier schließlich riss und die weißen Körner über den ganzen Tisch flogen. Leise fluchend versuchte ich, das Chaos zu beseitigen, sorgte jedoch nur dafür, dass ich den Zucker nun auch noch an meinen Händen und auf meiner Jogginghose verteilte. Seufzend gab ich auf und starrte auf die Unordnung, die ich angerichtet hatte. Wenn Pip jetzt hier gewesen wäre, hätte er mich aus vollem Herzen ausgelacht und dann einen Lappen besorgt.

Aber wenn Pip hier gewesen wäre, hätte ich auch kein Zuckertütchen massakriert. Mit zusammengebissenen Zähnen begann ich, Muster in das Chaos zu malen.

Die einzigen Flüge, vor denen ich mich nicht in ein Nervenbündel verwandelt hatte, waren die mit Pip gewesen. Er hatte im Duty-free-Bereich die unnötigsten Artikel ausfindig gemacht, nur um sich von mir erklären zu lassen, wieso er keinen glitzernden Stoffelefanten (gruselige Wackelaugen) oder eine Wirtschaftszeitschrift mit Finanztipps (»Der Zug ist für dich abgefahren«) kaufen sollte. Wir hatten uns hinter die Sicherheitskontrolle gesetzt, und je nachdem, welche Vorlesungen er gerade belegte, hatte Pip mir erzählt, welche arbeits- oder strafrechtlichen Gesetze gerade gebrochen wurden, und jeder Person, die uns wegen des Stofftiers komisch ansah (Pip hatte natürlich trotzdem eins gekauft), hatten wir Grimassen geschnitten.

Außerdem hätte er mich daran erinnert, dass ich kein Koffein vertrug, schon gar nicht um sieben Uhr morgens.

Bei der Erinnerung daran fühlte sich die Leere auf dem Sessel neben mir an, als hätte ich einen Körperteil verloren. Ich versuchte, einen Elefanten in den Zucker zu malen, aber das Ergebnis sah aus wie ein trauriger Kreis mit Antennen. Die Leere lachte gehässig, bevor sie nach mir griff und mich zwischen ihren Fingern zerrieb.

Plötzlich konnte ich nicht mehr still sitzen und sprang so hastig auf, dass der Tisch mitsamt dem Geschirr ins Wackeln geriet. Die Frau am Nebentisch warf mir einen bösen Blick zu und deutete mit übertriebener Geste auf die Kopfhörer in ihren Ohren. Früher hätte ich mein charmantestes Lächeln angeknipst und mich so wortgewandt bei ihr entschuldigt, dass sie mich danach auf ein Stück Cheesecake einladen wollte. Doch alles, was mein Kopf gerade zustande brachte, war weißes Rauschen. Fahrig sammelte ich meine Sachen ein, murmelte im Vorbeigehen etwas Unverständliches in die ungefähre Richtung der Frau und verließ das Café so hastig, als hätte ich etwas gestohlen.

Wäre ich nicht damit beschäftigt gewesen, die Nerven zu verlieren, während ich mich durch die Security manövrierte, hätte ich mich vermutlich über mich selbst lustig gemacht. Ich hatte mit zwölf einen Debattierwettbewerb gewonnen, war mit sechzehn bei den Junior-Winterspielen für Deutschland angetreten und konnte selbst nach dem schlimmsten Horrorfilm entspannt nachts aufs Klo gehen.

Aber alleine auf einem Flughafen zu sein, das war es, was mich aus der Bahn warf. Wirklich sehr erwachsen von mir.

Ich wollte mich gerade auf den Weg zu den Wartebänken machen, um die nächste Stunde damit zu verbringen, mich so zu verspannen, dass selbst der beste Physiotherapeut die Knoten nicht mehr aus meiner Muskulatur herausmassieren könnte, da entdeckte ich etwas in einem der Shops, die den Weg säumten.

Etwas grün-blau Glitzerndes mit einem Rüssel und riesigen Kulleraugen.

Das Geräusch, das meiner Kehle entwich, veranlasste die Person neben mir zu einem besorgten Seitenblick.

Es war ein Stoffelefant.

2

Ash

»Eines Tages bringe ich sie um«, murmelte ich, als mein Handy vibrierte und mich fröhlich darüber informierte, dass @liza.phillips.photography mich in einer Story getaggt hatte. Ich ließ den Pinsel sinken, mit dem ich gerade noch Holzlasur auf Zaunlatten aufgetragen hatte, und öffnete Instagram. Mein Display zeigte einen dieser »Was machst du gerade? Poste ein Bild und tagge fünf weitere Personen«-Sticker, mit denen Liza mich regelmäßig vollspammte.

Dieses Mal war das Bild im Hintergrund ein Foto ihres Arbeitsbereichs in ihrer Wohnung, ein ästhetisches Set-up, das ich schon unzählige Male in ihrem Feed gesehen hatte.

Noch mehr als die Sticker ärgerte mich allerdings die Caption.

»Manchmal braucht Bildbearbeitung etwas länger, aber das Endergebnis ist es wert. Auf viele gemeinsame zukünftige Projekte!«

Dazu war der Account ihres Auftraggebers verlinkt.

Die Story war vor einer Minute gepostet worden. Wenn sie vor einer Minute noch in ihrer Wohnung gewesen war, würde sie definitiv zu spät kommen.

»Auf meinem Grundstück sind keine Toten erlaubt.«

Die Stimme ließ mich zusammenzucken und herumfahren.

»Pops! Ich hab gar nicht gehört, dass du rausgekommen bist.«

Mein Großvater stand im Rahmen der Verandatür, in denselben derben Arbeitshosen und dem roten Flanellhemd wie seit dreißig Jahren, und musterte mich, als hätte ich eine Delle in seinen geliebten Truck gefahren. Früher hatte ich geglaubt, er sei mit diesem Gesichtsausdruck auf die Welt gekommen. Erst viele Jahre später war es mir gelungen, die verschiedenen Emotionen aus seinen zusammengezogenen Augenbrauen herauszulesen. Inzwischen wusste ich, dass es nur ungefähr drei Tage im Jahr gab, an denen sich die Furchen auf seiner Stirn ein wenig glätteten, und heute war sicher keiner dieser Tage.

Er deutete auf das Handy in meiner Hand. »Deine Schwester?«

Ich nickte.

»Streitet ihr schon wieder?«

»Wir streiten nie.«

Pops musterte mich kritisch, aber ich hatte faktisch nicht gelogen. Liza und ich hatten uns nur ein einziges Mal gestritten, als wir acht Jahre alt gewesen waren und sie meinen Vanillepudding klauen wollte. Ich hatte den Becher nach ihr geworfen, sie verfehlt und stattdessen die Oberärztin getroffen, die gerade zur Tür hereingekommen war. Danach waren wir wieder dazu übergegangen, nicht miteinander zu reden, wenn wir sauer aufeinander waren.

»Sie kommt zu spät, sie muss noch arbeiten.«

Pops nickte verständnisvoll, ein winziges Lächeln zog an seinen Mundwinkeln. »Deine Schwester ist immer so fleißig. Hat sie schon die Zusage für diesen neuen Auftrag, von dem sie gesprochen hat?«

»Keine Ahnung. Erzählt sie bestimmt gleich.«

In diesem Moment ploppte eine Nachricht auf meinem Handy auf: Dauert noch eine Sekunde, Mom und Dad sind gleich da und holen mich ab. Esst schon mal, wird ja sonst kalt. Bis gleich!

Ich hielt Pops das Telefon hin und gab mir Mühe, nicht weiter darüber nachzudenken, dass meine Familie mein Abschiedsabendessen verpasste.

Gleichzeitig hätte ich am liebsten schon im Flugzeug nach Kanada gesessen.

Ich schob die bissige Bemerkung, die mir auf der Zunge lag, beiseite und zwang mich zu einem Lächeln. »Ist Francis schon fertig?«

Pops nickte und ging wieder nach drinnen.

Ich folgte ihm, ohne Liza zu antworten.

In dem kleinen Holzhaus, das Pops und sein bester Freund nach dem Tod meiner Großmutter vor Jahrzehnten ins Hinterland von Minnesota gebaut hatten, roch es nach einer umwerfenden Mischung aus frisch gebackenem Brot und Chili sin Carne. Francis griff gerade nach dem dampfenden Topf, der auf dem Gasherd stand, und zuckte im nächsten Moment zurück.

»Au, verdammt«, murmelte er und klang dabei so empört, als hätte der Topf ihn durch seine Temperatur persönlich beleidigt.

»Wie kann man so viel kochen und sich trotzdem jedes Mal wundern, dass es wehtut, wenn man heiße Dinge anfasst?«, fragte ich belustigt, während ich ihm die Ofenhandschuhe reichte.

Francis nahm sie kopfschüttelnd entgegen. »Man muss seine Küche fühlen!«

»So abgetragen, wie diese Dinger inzwischen sind, fühlst du deine Küche auch so«, bemerkte Pops trocken. Die Handschuhe entstammten einem Kunstprojekt, das Liza und ich in der zweiten Klasse gemacht hatten, und dass sie überhaupt noch benutzbar waren, war ein mittelgroßes Wunder. An Lizas Handschuh – dem linken – löste sich der Daumen ab, und auf dem rechten – mein Werk – prangten zwei große Brandlöcher. Aber Francis weigerte sich, Neue zu kaufen, und auch wenn ich ihn damit aufzog, rührte es mich heimlich, wie sehr er an unserer Kinderbastelei hing.

Geschützt von verblassenden Sonnenblumen, transportierte Francis das Chili ohne weitere Zwischenfälle zum Tisch, wo ein frisch gebackenes Brot darauf wartete, aufgeschnitten zu werden. Er griff zum Messer, und Pops und ich riefen gleichzeitig »Vorsicht, heiß!«. Wie jedes Mal verdrehte Francis die Augen, wie jedes Mal wechselten Pops und ich einen wissenden Blick, bei dem sich die Falten in seinem Gesicht ein klein wenig glätteten, und wie jedes Mal verbrannte sich Francis im nächsten Moment noch mal die Finger. Pops nahm ihm das Messer weg.

Während er das Brot schnitt und sein bester Freund leise vor sich hin schimpfte, schob ich mich auf meinen Stammplatz hinten auf der Eckbank. Der, von dem aus man über Pops’ Kopf hinweg auf die Veranda und das weite Grasland dahinter schauen konnte.

Ich liebte diese Aussicht. Sie erinnerte mich an die Sommer, in denen ich stabil genug gewesen war, um ein paar Wochen außerhalb der direkten Reichweite von Krankenhäusern zu verbringen. Ich hatte es geliebt, die Füße in den See zu hängen oder zwischen den hohen Halmen verloren zu gehen und auf dem Rücken liegend in den Himmel zu starren, bis die Welt um mich herum nicht mehr existierte. Zumindest so lange, wie sich meine Pollenallergie ignorieren ließ.

Außerdem war ich so Francis’ von Sorge verklebter Stimme und Pops’ stillem kritischem Blick entgangen, die mich ständig verfolgt und mir das Gefühl gegeben hatten, dass der leiseste Windhauch mich umpusten würde. Am Ufer des kleinen Sees, verborgen zwischen den Halmen, hatte ich vergessen können, dass ich kein normales Kind war.

»Du musst richtig essen, du brauchst Kraft, wenn du Leute kneten willst!«

Ich riss mich von der Aussicht los und konzentrierte mich auf das Chili, das Francis inzwischen auf den Tellern verteilt hatte. Er schaute mich an, als würde ich in den nächsten fünf Sekunden dem Hungertod erliegen, wenn ich nicht sofort zu essen anfinge. Jedes Mal, wenn er das tat, verspürte ich den Drang, sofort die gesamte Vorratskammer leer zu essen, nur um ihm zu versichern, dass es mir gut ging.

»Ich glaube, da musst du dir keine Sorgen machen«, erwiderte ich leichthin und spannte scherzhaft meinen Bizeps an. »Außerdem besteht Physiotherapie nicht nur daraus, Leute zu massieren, das weißt du doch.«

Pops schnaubte. »Unsinn. Dr. Shaw hat mir das mal verschrieben, aber dieser Quacksalber hat dreimal auf meinen Rücken gedrückt und wollte hundert Dollar dafür haben! Das ist was für Leute, die bei jedem kleinen Wehwehchen jammern und Streicheleinheiten brauchen, sonst nichts.«

»Wenn ich mir anschaue, wie du den Einkauf hebst, würde ich glatt sagen, du solltest den Quacksalber noch mal besuchen«, entgegnete ich wider besseres Wissen. Pops versenkte sich ohne eine Antwort in seinem Chili.

»Jetzt können wir dich ja immer fragen, wenn etwas ist«, sagte Francis schlichtend und warf mir einen entschuldigenden Blick zu, der mir bestätigte, dass er insgeheim meiner Meinung war. Allerdings hatte er es schon vor Jahrzehnten aufgegeben, meinem Sturkopf von Großvater zu widersprechen. »Bist du schon aufgeregt, Ash?«

Dankbar, dass Francis uns einen Ausweg aus dem betretenen Schweigen bot, begann ich von dem bevorstehenden Flug zu erzählen, von den Sehenswürdigkeiten, die ich in Calgary anschauen wollte, und von dem Trainingszentrum, in dem ich arbeiten würde. Die Sätze blubberten aus mir heraus wie Blasen in einem Schaumbad, bis mich der Motor der Schrottkarre unterbrach.

Bei diesem Geräusch lehnte ich mich automatisch ein Stück vor, bis ich aus dem Fenster auf die Straße schauen konnte. Dort erschien gerade der abgenutzte alte Kombi, mit dem mein Vater schon herumfuhr, als Liza und ich zur Vorschule gingen. Später, als ich den Großteil meiner Zeit in Krankenhäusern verbracht hatte, hatte ich bei jedem Besuchstag Angst gehabt, dass gleich eine der Pflegekräfte in mein Zimmer kommen und mir mitteilen würde, dass meine Familie leider nicht kommen könne, weil das Auto auf irgendeinem Highway den Geist aufgegeben hatte.

Doch das war nie passiert.

Und auch heute zeigte sich die Schrottkarre zuverlässig und spuckte meine Familie auf den Parkplatz vor dem Häuschen.

Als Liza hinter unseren Eltern durch die Tür trat, wurde Pops’ Miene weicher. Für einen Moment schien es fast keine Falte in seinem Gesicht zu geben.

Ich konzentrierte mich auf meine Atmung, bevor meine Mundwinkel zu schwer werden würden, um weiterzulächeln.

Vier Sekunden einatmen. Sieben ausatmen. Vier ein. Sieben aus.

Mein Vater trat neben mich. »Bist du mit dem Zaun fertig geworden?«

Ich schüttelte den Kopf und senkte die Stimme. »Pops wird behaupten, dass er den Rest alleine hinkriegt. Kannst du ihn davon abhalten? Mir gefällt sein Rücken nicht.«

»Mache ich.«

»Danke.«

Das Wort blieb in der Luft hängen, aber wie immer sagte mein Vater nichts weiter. Stattdessen beobachteten wir die anderen, deren Anwesenheit die Küche auf einmal sehr viel kleiner wirken ließ. Ich versuchte, die Szenerie in mich aufzunehmen wie ein Polaroid. Mom, die Francis mit den neuesten Updates über ihren Sauerteig überfiel und dabei so lebendig aussah wie sonst selten. Francis, der mit schüchternem Lächeln zuhörte und schließlich aufstand, um eins seiner Kochbücher mit den unzähligen abgegriffenen Notizzetteln vom Küchenschrank zu holen. Liza mit ihrem strengen Zopf, aus dem nie auch nur eine Strähne herausschaute, wie sie Pops von dem neuen Großprojekt erzählte, das anstand, und wie mein Großvater jedes ihrer Worte aufsog. Und schließlich mein Vater, der noch immer etwas unbeholfen neben mir stand, mit dieser selbstverständlichen Präsenz, die sich durch mein Leben zog wie ein roter Faden. Egal, an welchen Punkt in meinem Leben ich zurückdachte – immer war da irgendwo die Ahnung meines Vaters, mit etwas zu viel Abstand und hochgezogenen Schultern.

»Ich glaube, wir müssen langsam los«, sagte ich irgendwann.

Mein Vater seufzte. Francis legte sein Kochbuch zur Seite und schloss mich fest in die Arme. Pops nickte mir zu wie einem Kadetten, bei dem er nicht sicher war, ob er das Zeug für die Army hatte. Mom und Liza waren bereits auf halbem Weg zum Auto, in dessen Kofferraum mein Gepäck schon auf mich wartete. Als ich die Haustür hinter mir zuzog, tastete ich zur Sicherheit nach dem Handy in meiner Hosentasche. Dabei bemerkte ich einen der dünnen Pinsel, die ich vorhin vorsorglich für kleine Ausbesserungen am Zaun eingesteckt hatte. Pops würde ihn später sicher suchen. Doch ich brachte ihn nicht zurück.

Während Mom die Schrottkarre zurück auf die Hauptstraße steuerte, starrte ich aus dem Fenster und ließ die Landschaft an mir vorbeiziehen. Ich suchte nach einem Gefühl von Wehmut in mir, von Abschiedsschmerz, von vorauseilendem Heimweh. Doch da war nichts. Nur ein winziges Kribbeln, das sich wie Erleichterung anfühlte, aber vielleicht waren das auch nur die Bohnen im Chili.

»Ash?« Die Stimme meiner Schwester riss mich aus meinen Gedanken. Ich hob den Kopf und suchte ihren Blick. Das musste man bei Liza immer machen. Selbst wenn sie einem direkt ins Gesicht sah, lag etwas darin, das man erst beim zweiten Hinsehen bemerkte. Als wäre sie eine optische Illusion, ein Bild, bei dem man die Augen zusammenkneifen musste, um die Konturen eines Gesichts zu erkennen. Es kam mir jedes Mal ironisch vor, dass sie ausgerechnet Fotografin geworden war.

»Bist du aufgeregt?«, wollte sie wissen, nachdem ich ihren Blick gefunden hatte. »Ist ein großer Schritt.«

»Ich fange einen Job an und ziehe in eine eigene Wohnung. Wie jeder andere Mensch in meinem Alter.«

Sie verdrehte die Augen. »Du weißt, was ich meine.«

»Was denn?«, fragte ich herausfordernd. Halb erwartete ich, dass unser Vater mit einer trivialen Frage über das Wetter oder den Verkehr in Kanada dazwischengehen würde, doch er intervenierte nicht. Vielleicht hatte er beschlossen, dass wir alt genug waren, um unsere Unstimmigkeiten allein zu klären.

»Ich meine, dass du in ein ganz neues Setting kommst«, erwiderte Liza beherrscht. »Das muss ja nichts Schlechtes sein. Ich mache mir nur Sorgen um dich.«

»Aber fürs Pünktlichkommen hat’s nicht gereicht.«

»Es tut mir leid, okay?« Für den Bruchteil einer Sekunde wurde Lizas Frustration lauter – laut genug, dass sich ihr Blick in meine Erinnerung brannte, zusammen mit dem dunklen Bedürfnis, sie noch etwas mehr zu provozieren, nur ein kleines bisschen. Bis sie explodierte. Bis niemand mehr über sie hinwegsehen konnte. Doch eine Sekunde später war der Moment wieder vorbei. »Es ging um einen wichtigen Klienten. Da musste ich mich drum kümmern.«

»Herrscht in Kanada eigentlich Linksverkehr?«, fragte mein Vater.

Ich hätte gern Vanillepudding nach den beiden geworfen.

Bis ich auf Platz 35C im Flieger nach Calgary saß und dem Bordpersonal dabei zusah, wie es die Sicherheitshinweise vortanzte, redeten Liza und ich kein Wort mehr miteinander.

Als sich das Flugzeug in Bewegung setzte, ploppte eine Nachricht auf meinem Handy auf: Arsch.

Ich aktivierte den Flugmodus.

3

Oliver

Ich war davon ausgegangen, dass es besser werden würde, sobald ich im Flugzeug saß.

Es wurde nicht besser.

Irgendwie gelang es mir, mich in den Schlaf zu zwingen. Als ich jedoch am frühen Nachmittag wieder erwachte und den endlosen Ozean unter mir erblickte, saß die Anspannung noch immer fest in meinem Körper. Ich versuchte, mich zu lockern, doch mein Nacken knackte beim Drehen wie Luftpolsterfolie, also ließ ich es sein.

Nathalie und ich hatten ewig darüber geredet, dass der erste Flug nach Pips Tod schwierig werden könnte, vor allem, da es mein erster Transatlantikflug war. Insgeheim hatte ich jedoch angenommen, dass die Unruhe, wie schlimm sie auch werden mochte, am Gate zurückbleiben würde, so wie jedes Mal. Ich hatte nicht vorgehabt, sie mit ins Flugzeug zu nehmen (eigentlich war sie auch zu groß fürs Handgepäck). Und schon gar nicht hatte ich vorgehabt, mich davon so fertigmachen zu lassen, dass mich selbst die angeblich beruhigenden Meergeräusche-Videos beinahe zum Heulen brachten.

In der aufziehenden Dunkelheit bemerkte ich nicht, wie sich das Meer unter uns in Festland verwandelte, und bis die Pilotin die Landung in Minneapolis ankündigte, hatte ich mich vollständig von einem professionellen, reiseerprobten Leistungssportler in ein einziges Nervenbündel verwandelt.

Ein Teil von mir atmete erleichtert auf, als das Flugzeug endlich in den Sinkflug ging und die Landebahn ansteuerte. Meine Beine brannten förmlich in dem Bedürfnis, sich auszustrecken und zu bewegen, und mein Rücken fühlte sich an wie der eines Achtzigjährigen. Doch der andere Teil von mir verkrampfte noch mehr. Denn hinter der Landebahn wartete ein weiterer Flughafen auf mich, und ich hatte keine Ahnung, wie ich das überstehen sollte.

Ich folgte den anderen Passagieren wie im Delirium aus dem Flugzeug ins Gebäude. Wie ich es durch die Einreisekontrollen bis zum richtigen Gate meines Anschlussfluges schaffte, wusste ich später nicht mehr. Die Nacht verschluckte die Landschaft vor den großen Glasfenstern und ließ mich allein mit dem Ameisenhaufen um mich herum zurück. Selbst der Anblick der asphaltierten Landebahn und einzelner Bäume am Horizont wäre mir lieber gewesen. Irgendetwas, dass sich nicht bewegte, auf das ich mich hätte konzentrieren können.

So aber drückten sich nur die metallenen Streben der Wartebank in meinen Rücken, und meine Schuhspitzen tippten ein unregelmäßiges Muster auf die grauen Fliesen. Meine Finger klammerten sich so fest um den Stoffelefanten, den ich in letzter Sekunde in München gekauft hatte, dass ich befürchtete, die Nähte könnten aufplatzen. Mit der freien Hand scrollte ich durch mein Handy. Zuerst versuchte ich, die Polnisch-Lektionen in meiner Sprachlern-App durchzugehen, doch meine Konzentration reichte nicht mehr, um sieben Fälle auseinanderzuhalten. Mir fielen schon die vier deutschen schwer, als ich dazu überging, meine offenen Nachrichten zu beantworten. Daumen hoch an meine Eltern, die wissen wollten, ob ich schon in den USA angekommen war. Eine ebenso begeisterte wie gelogene Antwort an Andreas, meinen Trainer, auf die Frage, wie es mir ging. Und schließlich eine an Nathalie, die schon vor Stunden in Polen gelandet war und für die es größte Wichtigkeit hatte, ob ich mit »Flaming Frank« ins Bett gehen würde oder nicht. In ihrer zweiten Nachricht fragte sie das Gleiche wie Andreas.

Ich ignorierte sie und besorgte mir stattdessen einen Kaffee, den ich wider besseres Wissen in einem Zug herunterkippte. Ich konnte förmlich spüren, wie mein Herzschlag sich unter Koffeineinfluss noch mehr beschleunigte und mein Gehirn den erhöhten Puls als weiteren Grund zur Sorge fehlinterpretierte.

Ich ließ meinen Kopf auf die Knie sinken, schmiegte meine Wange an den Elefanten und beobachtete die Menschen, die sich wie ein Fluss um mich herumbewegten. Ein Stück von mir entfernt saß eine Frau mit grauen Locken auf dem Boden und löste, an einen riesigen Rucksack gelehnt, ein Kreuzworträtsel. Ein Mann in einem dunkelblauen Businessanzug wanderte vor dem abgesperrten Boardingbereich auf und ab und redete leise und eindringlich auf jemanden am Telefon ein. Dabei gestikulierte er immer wieder unhöflich in Richtung des Flughafenmitarbeiters, der in der Nähe der Absperrung stand. Dieser ließ sich jedoch nicht davon beeindrucken und entwirrte weiter seelenruhig virtuelle Knoten auf seinem Handy – was ich daran erkannte, dass er seinen Ton nicht ausgeschaltet hatte und regelmäßig der »Level abgeschlossen«-Jingle ertönte. Ich hatte das gleiche Spiel auf meinem Smartphone. Nachdem eine Weile kein Jingle ertönte, überlegte ich, ob ich zu ihm hinübergehen und ihm bei dem Level helfen sollte, bei dem er offensichtlich festhing. Aber mir war nicht nach neuen Bekanntschaften zumute.

Der Mann mit dem Telefon erinnerte mich an Pip.

Irgendetwas, wo man Anzüge trägt. Seit er sechs Jahre alt gewesen war, hatte er das immer geantwortet, wenn man ihn gefragt hatte, was er denn mal werden wolle.

Diese Worte echoten noch immer in meinem Kopf, wenn ich eine Person im Anzug sah, in ihrem Hall ein hohler Schmerz, von dem ich wusste, dass er nie ganz verschwinden würde. Fast hatte ich mich an seine Anwesenheit gewöhnt.

Ich rieb über die Gänsehaut auf meinen Armen und wandte mich ab. Dabei fiel mein Blick auf einen Typen, ungefähr in meinem Alter, der mit mir auf der Bank saß. Er wirkte entspannter, als jemals jemand an einem Flughafen sein sollte. Alle fünf Sekunden strich er sich wie automatisch eine der dunkelblonden Haarsträhnen aus dem Gesicht, die ihm ständig in die Stirn fielen, weil der kleine Zopf an seinem Hinterkopf viel zu locker gebunden war. Ich hatte das Bedürfnis, für ihn die Strähnen wegzustreichen, nur um etwas von seiner ruhigen Aura zu erhaschen.

Das Klingeln seines Handys ließ uns beide zusammenzucken. Für einen Augenblick sah er aus, als hätte jemand die Verbindung zwischen seinem Gehirn und seinen Gesichtsmuskeln zertrennt. Der Ausdruck verschwand so schnell, wie er gekommen war, und das Lächeln, das folgte, ließ mich an Sonnenaufgänge denken.

Der Typ nahm das Gespräch an. Ich hörte das Wort »Sorgerechtsstreit« und drehte mich höflich weg. Das Handy des Flughafenmitarbeiters verkündete, dass er das Level geschafft hatte.

Ich erwachte von dem Gefühl, mich übergeben zu müssen. Beim Boarding hatte ich den Typen mit dem Zopf aus den Augen verloren und mit ihm den Anflug von Ruhe, der von ihm ausgegangen war. Nachdem wir uns in der Luft befanden, hatte mein Körper der psychischen Belastung des Tages nachgegeben und war in einen unruhigen Schlaf gefallen. Ich versuchte, mich an meinen Traum zu erinnern. Doch mir blieb nur ein vages Gefühl der Bedrohung zurück.

Das konnte allerdings auch daran liegen, dass das Flugzeug ruckelte. Sicherheitshalber vergewisserte ich mich, dass in dem Netz am Vordersitz eine Kotztüte steckte. Ich atmete ein paar Mal sehr konzentriert ein und aus und sah mich dann etwas desorientiert nach einer Uhr um. Das Flugzeug ruckelte noch einmal, heftiger diesmal, wie ein Hund, der sich nach einem Bad in einer Pfütze schüttelte. Ich drückte den Stoffelefanten fester an mich, blinzelte, bis das Display der Flugzeuganzeige vor meinen Augen klarer wurde, und stellte zwei Dinge fest.

Erstens: Es war stockdunkel.

Zweitens: Wir hätten längst in Calgary sein müssen.

Mein Magen überdachte seine innere Stabilität.

Der Sitz rechts neben mir war frei, aber auf dem Gangplatz entdeckte ich die Frau mit dem Kreuzworträtsel. Sie kaute mit konzentrierter Miene auf ihrem Bleistift herum, ihr Fuß wippte rhythmisch auf und ab.

Die Anschnallsignale leuchteten auf.

Ohne von ihrem Kreuzworträtsel aufzublicken, schnallte sich die Frau an.

Ich tat es ihr nach, bevor ich mich ein Stück zu ihr hinüberlehnte. »Entschuldigung?«

Sie hob den Kopf, der Bleistift blieb in ihrem Mundwinkel hängen.

»Sollten wir nicht bald da sein?« Ich hasste es, wie sehr meine Stimme zitterte.

Die Frau musterte mich mit gerunzelter Stirn. »Wir haben keine Landeerlaubnis bekommen, wegen des Unwetters«, erklärte sie. Ihr Tonfall erinnerte mich an meine erste Therapeutin. »Wir fliegen jetzt einen anderen Flughafen an. Wissen Sie zufällig, was mit ›Tischlerabfällen‹ gemeint sein könnte? Neun Buchstaben?«

Ihre Worte nahmen nur sehr langsam Gestalt in meinem Kopf an.

Noch einmal landen.

Noch länger warten.

Noch ein Flughafen.

»Sägespäne«, presste ich hervor, bevor sich alles um mich herum zu drehen begann. Im nächsten Moment sackte das Flugzeug so heftig ab, dass ich mir die Hand auf den Mund pressen musste.

Jemand weiter hinten schrie auf.

Pips Stimme hallte durch meinen Kopf: Und wenn man draufgeht, ist alles andere sowieso egal.

Für eine Sekunde wünschte ich mir, tatsächlich zu sterben, nur um Pip für diesen Satz in welcher Nachwelt auch immer eine reinzuhauen.

Ich war so damit beschäftigt, meine Nerven in Schach zu halten, dass ich nicht einmal den Namen der Stadt mitbekam, in der wir kurz darauf landeten. Der Flughafen war wesentlich kleiner als der in München oder Minneapolis, trotzdem dauerte es ewig, bis ich mein Gepäck wiederhatte. Weder das Gelände noch das Flughafen-WLAN waren dafür ausgelegt, neben dem normalen Betrieb noch die Passagiere von drei Maschinen zu organisieren, die wegen des Unwetters gezwungenermaßen zwischengelandet waren. Das hielt den Mann an der Kontrolle für Nicht-US-Bürger nicht davon ab, meine Unterlagen so genau zu prüfen, dass er sie danach vermutlich auswendig konnte. Überall standen Menschen herum, telefonierten, beschwerten sich wegen der ständig abbrechenden Internetverbindung, rannten von einem Ende zum anderen und traten sich gegenseitig auf die Füße. Irgendwo in dem Gedränge glaubte ich, den Typen mit dem blonden Zopf zu sehen, aber vielleicht war mein Gehirn auch nur verzweifelt auf der Suche nach etwas Bekanntem, an dem es sich festklammern konnte.

Noch immer kam es mir vor, als würde sich die Welt um mich herum drehen. Auf meiner Stirn trocknete der Schweiß in der viel zu kalten Luft der Klimaanlage, und mein Körper fühlte sich an wie nach einem Marathon. Mein Handy zeigte dank der Zeitverschiebung zwar erst kurz vor acht an, doch meine innere Uhr ließ mich sehr deutlich wissen, dass es in Deutschland bereits tief in der Nacht war. Am liebsten hätte ich mich einfach irgendwo auf dem Boden zusammengerollt und wäre die nächsten drei bis sieben Werktage nicht mehr aufgestanden.

Stattdessen schleppte ich mich erst zum Gepäckband und dann zum nächsten Info-Point. Der Mitarbeiter hinter dem Tresen sah ungefähr so fertig aus, wie ich mich fühlte.

»Da müssen Sie wohl hierbleiben, bis Calgary wieder Maschinen landen lässt«, erklärte er mir ohne besondere Anteilnahme, nachdem ich ihm mein Problem geschildert hatte. Ihm war anzuhören, dass er das heute nicht zum ersten Mal sagte. »Die nächste Verbindung geht in ein paar Stunden nach New York, aber die ist bereits voll.«

»Hierbleiben?«, wiederholte ich schwach.

Der Mitarbeiter zuckte mit den Schultern. »Es gibt ein Hotel gleich neben dem Flughafen. Da können Sie einchecken, wenn Sie wollen. Die Fluggesellschaft erstattet die Kosten. Sollten sich Ihre Reisepläne ändern, können Sie Ihre Flüge online umbuchen, oder Sie gehen zu meiner Kollegin da drüben.«

Mein Blick folgte seinem Kopfnicken, und ich entdeckte besagte Kollegin. Sie stand mit versteinertem Gesicht hinter der Plexiglasscheibe ihres Tresens und ließ sich von einem mindestens achtzigjährigen Mann anschreien. Ein Teil von mir war beeindruckt von dem Volumen, das der Kerl noch in sich hatte. Die Schlange hinter ihm reichte durch die halbe Wartehalle.

»Danke. Ich nehme das Hotel.«

Denn egal, was die Alternative war, ich würde es keine Sekunde länger auf einem Flughafen aushalten.

Das Hotel schien in den Fünfzigern erbaut und seitdem nicht mehr renoviert worden zu sein. Eine altersschwache Lampe warf gruselige Schatten auf das Schild mit der Aufschrift »Richards Inn«. Von der Fassade bröckelte an mehreren Stellen Farbe, und die Blumen neben der Tür hatten sich längst dem Herbst ergeben. Der Asphalt auf dem Parkplatz war so rissig, dass eine Rolle meines Koffers darin hängen blieb und ich sie mit einem beherzten Ruck wieder lösen musste. Zum Glück hatten mir die Jahre auf dem Sportinternat und die unzähligen Trainingslager in Jugendherbergen jeden Anspruch abgewöhnt. Solange ich mein eigenes Bett hatte, war ich zufrieden.

Dass selbst das schwierig werden könnte, ging mir auf, als ich das Hotel betrat. Vor der Rezeption stand eine Familie mit zwei Kindern und einem Hund, ansonsten war die Lobby leer. Doch ich gab mich nicht der Illusion hin, dass all die Menschen vom Flughafen die Verbindung nach New York genommen hatten. Viel wahrscheinlicher war, dass der größte Ansturm auf die Hotelzimmer bereits vorbei war und ich, während ich dem Einreisebeamten den Unterschied zwischen Short- und Long-Track-Speedskating erklärte, jede Chance auf ein Bett verloren hatte.

Normalerweise war ich kein gläubiger Mensch – was für sich genommen schon eine Leistung war, wenn man aus Bayern kam –, aber in diesem Moment betete ich zu allem, was mir heilig war, dass ich mit meiner Vermutung falschlag.

Immerhin war es hier ruhiger. Die Kinder schienen fast im Stehen einzuschlafen. Ein polyesterblauer Teppich bedeckte den Boden und fing jedes Geräusch ab. Leise Jazzmusik spielte im Hintergrund, kleine Lampen spendeten indirektes Licht. Außer der Frau am Empfang und dem Vater, der gerade etwas unterschrieb, sagte niemand etwas.

Meine überreizten Nerven und ich atmeten erleichtert auf.

Die Gebete schienen erhört worden zu sein, denn fünfzehn Minuten später überreichte mir die Mitarbeiterin mit festgetackertem Lächeln eine Schlüsselkarte.

Und als ich diese an den Sensor vor meiner Zimmertür hielt und sich das Schloss mit einem leisen Klicken öffnete, da wäre ich fast bereit gewesen, zu konvertieren.

Aber nur fast.

Denn im Zimmer saß bereits jemand auf meinem Bett.

Es war der Typ mit dem blonden Zopf.

4

Ash

Als ein klickendes Geräusch ertönte und sich meine Zimmertür öffnete, glaubte ich kurz, dass Liza hereinkommen würde.

Dann fiel mir ein, dass ich Hunderte Meilen von Minnesota entfernt und es ziemlich unwahrscheinlich war, dass meine Schwester mal eben spontan vorbeischaute.

Ich sprang so hastig auf, dass mir mein Handy aus der Hand fiel. Mit rasendem Herzen starrte ich auf den großen, athletisch gebauten Typen, der in der geöffneten Tür stand. Seine schwarzen Haare waren millimeterkurz, die Schultern schmal und hochgezogen, und seine Kleidung passte nicht zusammen. Er trug Jogginghosen und Turnschuhe, aber dazu einen eng anliegenden Rollkragenpullover und einen eleganten Mantel, der zu dünn für Ende September wirkte. Er sah aus wie jemand, der zum ersten Mal einen teuren Sportclub betrat und den Dresscode noch nicht kannte.

Dazu passte auch der gestresste Ausdruck in seinem Gesicht, mit dem er mich anstarrte wie einen Geist. Nicht dazu passte der grün glitzernde Stoffelefant in seiner Hand.

Mein Puls beruhigte sich. Kriminelle brachten keine Emotional-Support-Kuscheltiere mit.

»Hey, Mann. Ich glaube, du hast dich in der Tür geirrt.« Ich lächelte, doch die Miene des Typen blieb unverändert. Eingefroren in geweiteten Augen und zusammengepressten Lippen. Sehr langsam, als müsste er jeden Muskel einzeln aktivieren, schaute er von den zu oft abgewischten Zahlen an der Zimmertür zu mir und schließlich auf seine Hand. Jetzt sah auch ich die Schlüsselkarte, die er umklammerte wie einen Rettungsanker. »Aber das ist mein Zimmer.«

Da war etwas in seiner Stimme, das mich stutzen ließ. Ein hohles Echo, wie von Mauern. Oder von Abgründen?

Normalerweise hätte ich das ignoriert. Hätte einen Witz gemacht oder Small Talk versucht, um die Situation zu entspannen. Doch etwas an der Art, wie der Typ mich ansah, hielt mich davon ab. Es war ein Blick, der etwas suchte, das er verloren hatte. Dem etwas genommen worden war, das er nicht bereit gewesen war zu geben.

Alles, was ich gerade noch hatte sagen wollen, erstarb auf meiner Zunge. Ich kannte diesen Blick. Ich hatte ihn oft genug im Spiegel gesehen.

Die Stille zwischen uns zog sich länger, spannte sich immer weiter, bis ich glaubte, etwas würde reißen, wenn wir auch nur eine Sekunde länger so verharrten. Unbewusst ballte ich die Hand zur Faust und konzentrierte mich auf das Gefühl des Bettlakens auf meiner Haut. Stellte mir die abgenutzten Fasern vor, die sich umeinanderschlangen und ineinander verbissen, nicht gewillt, ihrem unausweichlichen Schicksal nachzugeben.

»Da ist bestimmt ein Fehler passiert. Geh einfach runter zur Rezeption und sag Bescheid, dann finden sie sicher ein anderes Zimmer.«

Die Stille erbebte unter meinen Worten, strafte sie Lügen. So einfach würde es nicht sein, und das wussten wir beide, wir hatten den überfüllten Flughafen gesehen. Aber es gab keinen Grund, das zu meinem Problem zu machen.

Mein Problem war, dass ein Fremder eine Schlüsselkarte zu meinem Zimmer hatte und keine Anstalten machte, es zu verlassen.