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"Arto Ratamo hat Herz, Erfindergeist und einen untrüglichen Spürsinn." Passauer Neue Presse.
Bei seinen Forschungen stößt der Wissenschaftler Arto Ratamo auf das tödliche Ebola-Virus. Als es ihm gelingt, ein Gegenmittel zu entwickeln, gerät er ins Visier von Terrorgruppen und Geheimdiensten. Eine blutige Hatz beginnt, bei der seine Frau ums Leben kommt und Ratamo vom Gejagten zum Jäger wird ...
Taavi Soininvaaras Romane um den beliebten Kommissar Arto Ratamo wurden verfilmt und vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem finnischen Krimipreis.
"Finnisches Blut" ist der erste Roman der beliebten Serie, in dem Arto Ratamo zum Ermittler wird.
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Seitenzahl: 408
Taavi Soininvaara
Finnisches Blut
Kriminalroman
Aus dem Finnischen von Peter Uhlmann
Titel der OriginalausgabeEbola-Helsinki
ISBN E-Pub 978-3-8412-0196-6
ISBN PDF 978-3-8412-2196-4
ISBN Printausgabe 978-3-7466-2282-8
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2011
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die deutsche Erstausgabe erschien 2007 bei Aufbau Taschenbuch,
einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
Copyright © 2000 Taavi Soininvaara
Published by agreement with Tammi Publishers, Helsinki
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Buch lesen
Innentitel
Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
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MITTWOCH 9. August
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DONNERSTAG 10. August
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FREITAG 11. August
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EPILOG
Im Lichtkegel der Autoscheinwerfer tauchte urplötzlich das Katzenauge eines Fahrrads auf. Ein lautes metallisches Klirren war zu hören und danach ein dumpfer Aufprall, als der Radfahrer auf der Motorhaube aufschlug. Generalmajor Raimo Siren trat auf die Bremse. Er riß das Lenkrad herum und sah, wie Blut über die Windschutzscheibe floß. Sein Wagen geriet ins Schleudern, mit Mühe und Not konnte er ihn auf der Straße halten.
Hatte er einen Menschen umgebracht? Wo zum Teufel war das Fahrrad plötzlich hergekommen? Würde der Unfall das Ende seiner Laufbahn bedeuten? Auf der Straße war doch niemand zu sehen gewesen, als er Joris Nummer im Speicher des Autotelefons gesucht hatte. Liefen auf dem Radweg Fußgänger? Hatte er auf der Straße Gegenverkehr gehabt? Das Abendessen, das sehr feucht gewesen war, hatte sich lange hingezogen und seine Sinne betäubt.
Der heftige Regen peitschte rhythmisch auf das Auto, und Sirens Puls hämmerte in den Schläfen. Er gab Gas und schaute im Rückspiegel auf die Straße, die im Licht der Straßenlaternen glitzerte: Das Opfer lag in einer unnatürlichen Stellung mitten auf der linken Fahrspur. Siren erstarrte, als er im Seitenspiegel sah, wie zwei Gestalten vom Radweg zu dem Überfahrenen rannten. Er spürte noch kurz eine warme Welle des Mitleids, die dann aber angesichts seiner Angst versiegte.
|6|Der für die militärische Aufklärung Finnlands verantwortliche General geriet nicht in Panik, obwohl ihm klar war, welche Folgen es hätte, wenn man ihn überführen würde: Anklage, Entlassung, Schadensersatz, Gefängnis und eine große, eine außerordentlich große Schande.
Zu Hause in Marjaniemenranta schloß sich Siren in seinem Arbeitszimmer ein und ging stundenlang das Geschehene immer wieder durch, nur Musik von Sibelius begleitete ihn dabei. Am Ende mußte er den Tatsachen ins Auge sehen: Er wußte von Amts wegen, daß die Polizei über mehr als genug Mittel verfügte, ihm auf die Spur zu kommen, auch wenn er das Auto desinfizieren, die Schäden ausbessern lassen und die defekten Teile aus der Reparaturwerkstatt stehlen würde. Möglicherweise blieb das Opfer am Leben und sagte aus, was geschehen war. Es könnte sein, daß die Polizei Reifenspuren oder winzige Glassplitter oder Lackteilchen seines Wagens fand. Selbst wenn ein Wunder geschähe und die Polizei am Unfallort oder an seinem Auto nichts entdeckte, was ihn mit dem Geschehen in Verbindung brächte, würden doch die Augenzeugen seinen Untergang besiegeln. Sie hatten sein Auto bestimmt gesehen, vielleicht sogar die Nummer. Man würde ihn ausfindig machen, das war unausweichlich.
Er mußte etwas dagegen tun.
Arto Ratamo betrachtete die Langschwanzmakaken, die im Labor hinter einem unzerbrechlichen Plastikfenster in ihren Käfigen herumhüpften. Seine Augen waren aus Mangel an Schlaf gerötet. Es war nachts Viertel zwei, er hatte ein Gegenmittel gegen das Ebola-Killervirus, das die Affen in sich trugen, hergestellt und mußte noch testen, ob es wirkte.
Anfang Mai hatte man auf dem Flughafen Helsinki-Vantaa bemerkt, daß ein Teil der Affen, die der Helsinkier Zoo auf den Philippinen bestellt hatte, krank war. Nachdem die Tierärztin des Zoos die unter Quarantäne gestellten Affen gesehen hatte, informierte sie sofort die EELA, die Nationale Forschungsanstalt für Veterinärmedizin und Lebensmittelprüfung. Die Frau stand regelrecht unter Schock, weil von den fünfzehn bekannten Ebola-Epidemien fünf gerade unter philippinischen Affen gewütet hatten. Außerhalb von Afrika war das Virus sechsmal aufgetreten: Einmal auf den Philippinen, zweimal in Europa und dreimal in den USA. Nach Ansicht der Wissenschaftler lebte das Ebola-Virus in den Trägertieren auf dem afrikanischen Kontinent und auf den Philippinen. Von ihnen wurde es auf den Menschen übertragen und breitete sich über Blut und Körpersekrete schnell aus.
Der Leiter der Virologischen Abteilung der EELA, Eero Manneraho, stellte unverzüglich eine Forschungsgruppe aus Mitarbeitern seiner Einrichtung und Fachleuten der Virologischen |10|Abteilung des Staatlichen Gesundheitsamtes und des Instituts für Virologie der Universität Helsinki zusammen. Diese bestätigte zum Entsetzen der Behörden, daß drei Affen an Ebola erkrankt waren. Das von der Forschungsgruppe gefundene Virus war mit keinem einzigen der bis dahin bekannten vier Untertypen des Ebola identisch. Wahrscheinlich hatte eine geringfügige Änderung im Erbgut von Ebola-Zaire eine neue, die nächste Generation von Ebola-Stamms geschaffen. Sie wurde wie üblich nach dem Fundort benannt. Die Blut- und Zelltests der Forschungsgruppe bewiesen, daß Ebola-Helsinki auf den Menschen übertragen wurde. Es breitete sich nicht auf dem Luftweg aus, war aber dennoch extrem gefährlich. So wie Ebola-Zaire würde es neunzig Prozent der Infizierten töten – auch Menschen.
Um eine Katastrophe zu verhindern wurden die Sicherheitsmaßnahmen in der EELA bis aufs äußerste verschärft. Affen und Menschen sind biologisch fast identisch, und deshalb werden die meisten Krankheiten zwischen ihnen ohne Schwierigkeiten übertragen. Auch Ebola-Helsinki. Die Gesundheitsbehörden und die Polizei waren übereinstimmend der Auffassung, daß der Virenfund erst nach dem Ausbruch einer Epidemie veröffentlicht werden sollte oder wenn die Gefahr gebannt war. Man fürchtete, daß Panik ausbrechen und der Alltag empfindlich gestört werden könnte.
Nach Ablauf der Inkubationszeit bestätigte sich, daß nur zwei philippinische Affenjäger infiziert waren. Man hatte die beiden Männer jedoch rechtzeitig isoliert, und so konnte sich Ebola nicht ausbreiten. Eine Katastrophe war durch das rasche Handeln auf dem Flughafen Seutula und in der EELA sowie durch die modernen Verfahren beim Verladen von Flugfracht verhindert worden: Niemand auf den Flughäfen oder in Finnland hatte die Affen berührt.
|11|Der Tiergroßhändler aus Manila, von dem die Affen für den Helsinkier Zoo stammten, hatte die Tiere bei verschiedenen Jägern erworben und jeden Affen in einem eigenen Käfig gehalten. Dadurch hatten sich die meisten Affen nicht angesteckt und konnten als Versuchstiere verwendet werden. Die Forschungsgruppe begann die Arbeit zur Entwicklung eines Gegenmittels für Ebola-Helsinki.
Als die Nachricht schließlich veröffentlicht wurde, verurteilten die Medien in scharfem Ton das Vorgehen der Behörden, die den Fall fast einen Monat lang verheimlicht hatten.
Die hermetisch dichte Stahltür des Kontrollraums schloß sich hinter Ratamo, und er betrat den Versammlungsraum. Der befand sich in der dritten Sicherheitsstufe, in der Krankheiten mit einem hohen Ansteckungsrisiko wie Milzbrand, Fleckfieber und HIV erforscht wurden. Im Versammlungsraum traf man die Vorbereitungen für den Übergang zur vierten Sicherheitsstufe, auch »die Front«, wie sie wegen der Lebensgefahr allenthalben hieß.
Ratamo war überzeugt, daß auch die Gegenmittelversion Nummer fünfhundertsieben nicht wirken würde. Die Forschungsgruppe schuftete schon seit drei Monaten fast vierundzwanzig Stunden am Tag, um ein Mittel gegen Ebola-Helsinki zu finden. Ein Teil der Gruppe betrieb wissenschaftliche Grundlagenarbeit, ein zweiter Teil stand in Kontakt mit anderen Forschern, ein dritter entwickelte neue Gegenmittel, die der vierte testete. Ratamo hatte sich auf die Herstellung von Gegenmitteln konzentriert.
Er war allein im ganzen Haus, und das ärgerte ihn. Wie üblich war er am Morgen viel zu spät gekommen, daraufhin hatte Manneraho ihn zu Überstunden verdonnert. Ratamo wollte |12|das Gegenmittel, das er am Tag entwickelt hatte, noch testen, selbst wenn er dafür die ganze Nacht brauchen sollte. Früh würde er sich dann richtig ausschlafen, egal, was Manneraho dazu sagte.
Ratamos Bewegungen wirkten routiniert. Er rieb sich die Hände mit Talkum ein, zog dünne Gummihandschuhe an und befestigte sie mit Klebeband sorgfältig an dem aseptischen Operationsanzug; mit den Strümpfen verfuhr er an den Hosenbeinen genauso. Dann nahm er vom Kleiderständer den biologischen Raumanzug, auf dessen linkem Arm sein Name stand. Den unter Druck stehenden Chemturion-Anzug trug man beim Umgang mit äußerst gefährlichen und leicht ansteckenden Mikroben. Ratamo schob die Finger in die dicken, mit Dichtungen am Anzug befestigten Gummihandschuhe und zog den hermetischen Reißverschluß zu. Als letztes verband er einen Luftschlauch, der an der Wand hing, mit seinem Anzug, damit der durch die Körperwärme entstandene Dampf abgeleitet werden konnte.
Bevor er die dritte Sicherheitsstufe verließ, schraubte er den Luftschlauch ab und öffnete dann die Stahltür zur Luftschleuse, die an »die Front« führte. Dort wurden extrem infektiöse Viren wie Lassa, Hanta und Ebola untersucht. Diese Viren waren tödlich, weil es noch kein Heilmittel dagegen gab. Als sich die Tür geschlossen hatte, wurde er im ultravioletten Licht der engen Luftschleuse unter der Dusche mit Chemikalien besprüht, um Verunreinigungen zu entfernen. Die UV-Strahlung sollte das Erbgut der Viren zerstören und sie sterilisieren.
Einen Augenblick später öffnete sich die Tür zur »Front«, und Ratamo betrat das Labor. Er griff nach einem der an der Decke hängenden Luftschläuche und verband ihn mit seinem |13|Anzug, Geräusche von außen erreichten ihn nun nicht mehr. In seinem Helm rauschte die Luft laut und kitzelte im Ohr. Es dauerte einen Augenblick, bis die Schweißperlen auf seiner Stirn getrocknet waren. Ohne den Luftschlauch glich der Weltraumanzug einer Sauna.
Entschlossen schob Ratamo seine vom Anzug geschützten Füße in die Gummistiefel, die an der Tür standen. Die Affen in ihren Plastikkäfigen wurden nervös, als sie den Mann in seinem Raumanzug erblickten: Einer hämmerte an die Wände seiner Zelle, der zweite bewegte sich unruhig hin und her, und alle drei schrien laut. Sie waren so groß wie kleine Hunde, besaßen einen schlanken Körperbau und lange Gliedmaßen. Ihr Fell war auf dem Rücken cremegelb und auf der Brust weiß. Sie hatten eine hundeartige Schnauze, scharfe Eckzähne, einen langen, gebogenen, peitschenförmigen Schwanz und zierliche, menschenähnliche Hände.
Ratamo entnahm jedem Affen ein Reagenzglas voll Blut. Dann holte er mit der Pipette Ebola-Blut aus dem ersten Röhrchen, tropfte es auf den Objektträger und spritzte Gegenmittel darauf. Seine Hand zitterte leicht, als er die Glasscheibe behutsam unter das Elektronenmikroskop legte. Im Blut wimmelte es von »Würmern«, Ebola-Helsinki-Viren, die an Schnüre erinnerten. Ihm stockte der Atem, als ein Wurm nach dem anderen erstarrte.
Ratamo brüllte wie ein Verrückter, nachdem auch das letzte Virus in dem Bluttropfen gelähmt war. Das Gegenmittel wirkte! Er hatte ein Mittel gegen das Ebola-Virus gefunden. Gegen ein Virus, das auf höllische Weise fast alle Infizierten tötete. Gegen ein Virus, das als unbesiegbar eingestuft war. Ratamo jubelte in seinem Schutzanzug, er schwankte hin und her und hüpfte wie ein Schamane, der Regen beschwor.
|14|Als er sich wieder beruhigt hatte, wurde ihm klar, daß die Arbeit noch nicht vollendet war. Er unterzog die Blutproben einem schnellen ELISA-Test, der endgültig bewies, daß sein Gegenmittel fähig war, Ebola-Helsinki während der Inkubationszeit zu töten. Er führte die Tests auch mit dem Blut der beiden anderen infizierten Affen durch. Dann wählte er aus einem Satz von Instrumenten auf dem Tisch diejenigen aus, die für die Entnahme von Proben erforderlich waren, und trat langsam an den nächstgelegenen Käfig. Er mußte sich vorsehen, damit ihm die Affen den Schutzanzug nicht zerkratzten, trotz des Gegenmittels wollte er sich einem Virusmonster wie dem Ebola nicht aussetzen. Vorsichtig gab er mit einer Injektionsspritze, die an einem langen Stab befestigt war, allen drei Affen Antiserum. In ein paar Stunden würden die Tiere gesund sein.
Ratamo tauchte die Instrumente in das hellgrüne Envirochem-Desinfektionsmittel und spülte damit die Handschuhe seines Raumanzuges so sorgfältig ab, wie es seine Erregung zuließ. Er lief möglichst schnell zu der Tür, die in die Luftschleuse führte, und stieß dabei die Stiefel von den Füßen. Auf dem Boden der Dusche plätscherte das Wasser, während Ratamo unruhig von einem Bein aufs andere trat. Die knapp zehn Minuten unter der Desinfektionsdusche kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Während das Envirochem über die Maske seines Raumanzugs floß, dachte er über die Bedeutung seiner Entdeckung nach. Schon die Lokalisierung des Ebola-Virus in Finnland war eine wichtige Nachricht gewesen, aber die Entdeckung eines Gegenmittels würde mit großen Buchstaben in das Geschichtsbuch der Virologie geschrieben werden. Für ihn selbst hatte die Entdeckung jedoch auch eine Bedeutung, die ganz banal war. Manneraho würde wochenlang damit beschäftigt sein, von einem Vortrag und Interview zum anderen zu |15|rennen und von einer Konferenz zur nächsten zu reisen, dann könnte er selbst endlich Urlaub machen. Den ganzen Sommer hatte er wie ein Packesel in einem Bergdorf schuften müssen, obwohl er alles versucht hatte, um der Arbeit aus dem Wege zu gehen.
Die Dusche hörte abrupt auf. Ratamo kehrte in den Versammlungsraum zurück, zog den Raumanzug aus und hängte ihn wieder an den Ständer. Die Regeln für die vierte Sicherheitsstufe der EELA waren streng. Er hätte die Formel des Gegenmittels in das Untersuchungsprotokoll auf dem Computer eintragen müssen. Alle wesentlichen Informationen mußten als Originaldatei in den Räumen der EELA verbleiben, sie durften nicht aus der Forschungsanstalt hinausgebracht werden. Sogar das Kopieren von Dateien war nur in sehr begrenztem Maße möglich. Ratamo hatte die Zusammensetzung des Gegenmittels nur in sein Heft mit kariertem Papier geschrieben und war so erschöpft, daß er sich einfach nicht imstande sah, die Anforderungen der Bürokratie zu erfüllen. Das würde er später sofort nachholen, wenn er im Laufe des Tages wieder ins Institut käme. Er schrieb aber schnell noch eine Nachricht für die Forschungsgruppe:
»GEGENMITTEL GEFUNDEN! ARTO.«
Ein Luftstrom rauschte um ihn herum, als er hastig durch die Stahltür die Räume der zweiten Sicherheitsstufe betrat. Beim Öffnen der Türen zwischen den Abteilungen saugte der Unterdruck die Luft aus der Abteilung mit der niedrigeren Sicherheitsstufe in die der höheren Stufe und verhinderte so das Austreten möglicherweise verseuchter Luft.
Ratamo lief mit langen Schritten über den Hauptflur der zweiten Sicherheitsstufe, die für die Untersuchung von Krankheiten mittlerer Ansteckungsgefahr bestimmt war. Er ging |16|wieder durch eine hermetische Tür und ein UV-Lichtbad und betrat die Abteilung der ersten Sicherheitsstufe. Dort erforschte man Krankheiten mit geringem Ansteckungsrisiko, deshalb waren die Sicherheitsbestimmungen hier schon bedeutend lockerer.
In der Garderobe zog er den Operationsanzug aus und schlüpfte in seine Zivilsachen, dann verließ er das Laborgebäude und brachte seine Notizen in sein Arbeitszimmer im Hauptgebäude der EELA.
Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, als er zu seinem Auto ging. Er dachte an die Meteorologen, die schon die ganze Woche besseres Wetter versprochen hatten. Wie angenehm wäre doch so eine Arbeit, bei der man sich irren durfte. Bei Ebola-Helsinki konnte man sich keine Irrtümer leisten. Und es half nicht, wenn man sich etwas vormachte und glaubte, das Virus stelle nun keine Gefahr mehr dar, weil ein Gegenmittel gefunden war. Das Mittel wirkte nur während der Inkubationszeit, in der keine Symptome auftraten. Würde Ebola-Helsinki in dieser Zeit freigesetzt, dann könnte es sich über den Flugverkehr in der ganzen Welt ausbreiten. Wenn der erste Infizierte schließlich erkrankte und die Epidemie entdeckt wurde, wäre es für die Behörden unmöglich, alle Infizierten zu finden. Nur einem Bruchteil der Virusträger könnte das Gegenmittel rechtzeitig vor Ausbruch der Krankheit gegeben werden. Dennoch fühlte sich Ratamo ruhig und ausgeglichen. Er hatte kein Ungeheuer geschaffen, sondern ein Mittel dagegen entwickelt.
Ratamo setzte sich in seinen Käfer, Baujahr 1972 mit Schiebedach, steckte sich einen Priem unter die Oberlippe und startete sein getreues Gefährt. Die nächtliche Fahrt durch die leeren Straßen Helsinkis bis nach Hause zur Kapteeninkatu in Ullanlinna dauerte in dem heftigen Regen lange. Er spürte, wie |17|die Müdigkeit kam, und genoß die Vorfreude, bald gut und lange schlafen zu können.
Nachdem er seinen Wagen auf dem Innenhof des Hauses geparkt hatte, fuhr er mit dem Aufzug in die erste Etage. Im Flur zog er sich so leise wie möglich aus, um seine Tochter und seine Frau nicht zu wecken, und schlich dann auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer. Im Dämmerlicht der Nachttischlampe mit einem Mumin-Motiv gab er Nelli einen Kuß und berührte dabei nur ganz leicht ihre weiche Wange.
Raimo Siren, der Chef des Operativen Stabes im Generalstab der Streitkräfte, legte in seinem Büro in Kaartinkaupunki langsam den Hörer auf. Seine Uniformjacke hing auf der Stuhllehne, und die Hemdsärmel waren hochgekrempelt. In seinem angespannten Gesicht zuckte es, als er sich mit zitternder Hand Kognak eingoß und den ersten Schluck an diesem Morgen nahm. Es brannte im Magen.
Der Leiter der Abteilung Polizei im Innenministerium hatte Siren eben gebeten, zum Verhör bei der Kriminalpolizei zu erscheinen. Sie waren gute Bekannte und gehörten zur selben Freimaurerloge, deshalb hatte er Siren die unangenehme Nachricht selbst mitteilen wollen. Die Augenzeugen hatten das Auto und dessen Nummer am Unfallort gesehen. Um zu erreichen, daß sein Verhör auf einen Tag nach dem Wochenende verschoben wurde, hatte Siren all seine Überredungskünste aufbieten müssen.
Er fluchte, weil er es nicht geschafft hatte, die Augenzeugen aufzutreiben, bevor sie den Behörden und den Eltern des Mädchens berichten konnten, was sie wußten. Nun brauchte er gar nicht erst zu versuchen, die Zeugen zu bestechen. Selbst mit seinen Beziehungen würde es nicht mehr gelingen, die polizeilichen Ermittlungen aufzuhalten. Dafür würden mit Sicherheit die Eltern des gestorbenen Mädchens sorgen. Sein Leben würde schon bald zerstört sein.
|19|Siren hielt sich für einen der wichtigsten Offiziere der Streitkräfte. Er leitete deren geheimsten Teil, den Operativen Stab. Neben den Abteilungen für internationale Beziehungen und für Informationstechnik, der Operativen Abteilung, der Planungs- und der Untersuchungsabteilung gehörten zu ihm auch die beiden Nachrichtendienste der Streitkräfte, die Aufklärungsabteilung und die Sicherheitsabteilung. Letztere war für die Gegenspionage gegen die Aktivitäten fremder Nachrichtendienste in Finnland zuständig. Diese beiden Einheiten wurden im Generalstab auch als »Schlapphutabteilungen« bezeichnet. Sie befanden sich in den gleichen Räumen auf einem abgeschlossenen und genau überwachten Flur im dritten, dem obersten überirdischen Stockwerk des Generalstabs. Ihre Mitarbeiter sprachen sich nicht mit dem militärischen Rang an und durften bei der Arbeit Zivilkleidung tragen.
Die Aufklärungsabteilung, Sirens liebstes Kind, war für die militärische Auslandsaufklärung Finnlands verantwortlich. Trotz ihrer geringen Größe hatte sie international einen guten Ruf. Wie die militärischen Aufklärungsdienste der anderen westlichen Länder verfügte sie in Krisensituationen über äußerst weitreichende Befugnisse. Um Aktivitäten zu verhindern, die eine Gefahr für die Sicherheit des Landes darstellten, führte sie Operationen unterschiedlicher Art durch, manchmal auch bewaffnete. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hatte man es hier mit Erfolg erreicht, daß die Aufklärungsabteilung für die Öffentlichkeit fast gänzlich unbemerkt blieb. Der überwiegende Teil der Finnen hatte von ihr oder ihren Leistungen nie etwas gehört. Nur wenige wußten, daß sie überhaupt existierte, obwohl die Streitkräfte sie im offiziellen Schema ihrer Organisationsstruktur vorstellten.
Siren warf einen Blick auf die gegenüberliegende Wand, an |20|der in drei Reihen die Fotos seiner Vorgänger hingen. Es schien so, als würden ihn die Offiziere mit vorwurfsvollem Blick aus dem Jenseits anklagen. Das Bild eines entlassenen, zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Generals würde man nicht an die Wand hängen.
In seiner Bedrängnis dachte er wieder zurück an die Jahre in der Schlapphutabteilung. Er hatte als Aufklärer von der Pike auf gedient. Nach der Kadettenschule hatte er sich sofort für die Aufklärungsabteilung beworben. Der durchtrainierte junge Mann mit scharfem Verstand entwickelte sich schnell zum besten Agenten seiner Einheit, dem viele Einsätze in der Praxis übertragen wurden. Im Laufe der Jahre hatte er unterschiedliche Aufgaben auch in anderen Abteilungen erhalten und war dann 1996 im reifen Alter zum Generalmajor und Chef des Operativen Stabes befördert worden.
Die Arbeit in der Schlapphutabteilung hatte sich in den Jahren seiner Dienstzeit grundlegend geändert. Während der Amtszeit von Präsident Kekkonen durfte vor allem die Aufklärungsabteilung, von bestimmten Einschränkungen in bezug auf die Sowjetunion abgesehen, völlig ungehindert agieren. Später war durch mehr Offenheit im öffentlichen Sektor und durch die zunehmende Kontrolle die Handlungsfreiheit etwas eingeschränkt worden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wirkten die neuen Bedrohungen auf die Aufklärungsabteilung wie eine Spritze mit einem Anregungsmittel. Man war der Auffassung, daß es sich lohnte, die Aktivitäten der neuen Aufklärungsdienste Rußlands genau zu beobachten, und außerdem wurde die Überwachung der kriminellen Organisationen, deren Zahl explosionsartig anstieg, und der Waffenhändler intensiviert.
Siren erhob sich und zog die Gardinen auf. Sein in dunklen Farbtönen eingerichtetes Zimmer wirkte immer düster. Das |21|Licht flutete herein und munterte den verkaterten Mann etwas auf.
Die Schuld nagte wie eine Fräsmaschine an dem General, der in einem strenggläubigen laestadianischen Zuhause aufgewachsen war. Die sechzehnjährige Gymnasiastin, die er überfahren hatte, war an ihren Verletzungen gestorben. Siren hatte vorher noch nie irgend jemandem Schaden zugefügt, außer bei dienstlichen Aufträgen, doch da war er dazu gezwungen gewesen. Er versuchte sich vorzustellen, welchen Schmerz die Eltern des von ihm getöteten Mädchens empfinden mochten, und spürte eine Woge des Mitgefühls. Er hatte herausgefunden, daß die Schülerin das einzige Kind ihrer Familie war. Genau wie Siiri. Sirens Tochter war schon dreißig, aber der Vater sah in seinem Kind immer noch das Engelsgesicht im geblümten Kleid, das ihn schüchtern um ein paar Münzen bat, mit denen es sich Bonbons kaufen wollte. Er konnte sich nicht vorstellen, was er bei Siiris Tod empfände. Seine Tat würde ihm nie vergeben werden.
Er schaltete den CD-Player ein und suchte auf der CD den »Valse Triste«. Sibelius hatte in seinem Werk Phantasien geschildert, in denen sich das Gefühl der Todesangst und das der Lebensfreude abwechselten. Siren fand, daß diese Melodien gut beschrieben, wie ihm in seinem Innersten zumute war. Er fragte sich, warum nur die Musik und der Schnaps seinen Lebensschmerz linderten. Einmal mehr gelangte er zu dem Ergebnis, daß mit wissenschaftlichen Untersuchungen nichts Wesentliches herausgefunden wurde.
Der sechzigjährige Generalmajor strich sich mit der Hand, die so groß war wie ein Brotlaib, über die kurzen blonden Haare, seufzte tief und trank noch ein Glas Kognak in einem Zug aus. Er hatte knapp vier Tage Zeit, um sich zu retten.
Von Nellis fröhlichem Kreischen wurde Ratamo wach. Mit geschlossenen Augen gähnte und räkelte er sich genüßlich. Aus der Küche drangen der Kaffeeduft und vertraute Geräusche ins Schlafzimmer. Das Familienleben hatte auch seine guten Seiten, sogar in einer Ehe, die allmählich verkümmerte.
Ratamo öffnete langsam die Augen. Ihm fiel wieder ein, was in der letzten Nacht geschehen war. Zuerst spürte er Stolz, und dann spielte ein Lächeln um seinen Mund, weil schon bald statt ungeliebtem Broterwerb ungetrübte Urlaubsfreude anstand. Der Kopf mit den blonden Zöpfen, der zur Schlafzimmertür hereinlugte, unterbrach seine Gedankengänge.
»Na, wen haben wir denn da«, sagte Ratamo und breitete die Arme aus.
Nelli juchzte frohgelaunt, rannte zum Bett, hüpfte auf ihren Vater und gab ihm mehrere Küsse auf die stopplige Wange.
»Geht mein Schätzchen jetzt in den Kindergarten?«
»Wir singen heute ›Tante Monika‹.«
»Ihr singt also das Lied von der ›Tante Monika‹. Das ist ja prima. Kannst du denn schon den Text?« Liebevoll betrachtete Ratamo seine Tochter, die auf seinem Bauch lag. Es verblüffte ihn jeden Tag aufs neue, wie stark die Gefühle waren, die das Kind in ihm weckte.
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