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Im Netz von Terror und Rache.
Der Frost klirrt, und Arto Ratamo ist müde. Doch seine Lebensgeister erwachen, als in Finnland ein tödlicher Reigen seinen Anfang nimmt: der empfindlichste Terroranschlag auf die westliche Welt. Zwischen Helsinki, Petersburg und Bagdad muss Ratamo den Tod Tausender verhindern ...
Taavi Soininvaara ist der Meister des finnischen Krimis. Seine Romane um den scharfsinnigen und sympathischen Ermittler Arto Ratamo sind "spannend und glaubwürdig". (Süddeutsche Zeitung).
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Seitenzahl: 539
Taavi Soininvaara
FinnischerTango
Roman
Aus dem Finnischenvon Peter Uhlmann
Titel der Originalausgabe
Pimeyden ydin
ISBN 978-3-8412-0192-8
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, November 2011
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 bei Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
Copyright © 2005 Taavi Soininvaara
Published by agreement with Tammi Publishers,Helsinki and Leonhardt & Høier Literary Agency, Copenhagen
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Impressum
Die das Dunkel nicht fühlen, werden sich nie nach dem Lichte umsehen.
Henry Thomas Buckle, Geschichte der Zivilisation in England
Es gibt kalten und heißen Eifer; das Größte ist auf der Welt durch letzteren vollbracht worden.
Lloyd George, Reden
Ein Adler fängt keine Fliegen.
Lateinisches Sprichwort
Irak im Jahre 2003
Die nackte Gestalt hing am Deckenventilator, die Hände an den Flügeln festgebunden, und drehte sich langsam im Kreise. Der Mann wartete, gleich würde es geschehen, jeden Moment konnte seine Qual beginnen. Auf dem Gang im Kriegsgefangenenlager Camp Bucca hallten die angstvollen Schreie der Gefangenen und die wütenden oder belustigten Rufe der britischen Soldaten wider, und die Wachhunde kläfften.
Er schrie vor Schmerz, als die Schwefelsäuretropfen seine Unterschenkel wie tausend glühende Nadeln trafen, die Muskeln verkrampften sich, und das Zwerchfell zog sich zusammen, aber im Magen war nichts mehr, was er hätte erbrechen können. Der Geruch der von der Säure verbrannten Haut stieg ihm durch den Stoff der über seinen Kopf gezogenen Kapuze in die Nase. Dann rollte eine neue Welle des Schmerzes über ihn hinweg, als Seifenwasser auf seine Beine geschüttet wurde; es reagierte mit der Säure und brannte zunächst wie Feuer, doch allmählich ließ das Brennen nach.
Konzentriere dich, beschäftige dein Gehirn …
An den Schmerz gewöhnte man sich nie, aber er glaubte ihn jetzt bedeutend besser auszuhalten als vor vierundneunzig Tagen; damals hatte das erste Mal ein Elektroschock seinen Körper erschüttert. Oder bildete er sich das nur ein? Sein Gedächtnis fütterte ihn mit Informationen: Der Schmerz ist eine subjektive Erfahrung und lässt sich nicht messen. Die Intensität des Schmerzes, den ein anderer Mensch empfindet, kann man nur durch die Beobachtung seines Verhaltens beurteilen: Wie spricht, weint, schreit er, zieht er sich zurück, oder hinkt er, welche Medikamente nimmt er … Der Schmerz hängt mit einer Gewebeschädigung oder der Gefahr einer solchen zusammen. An den freiliegenden Nervenenden wird ein Schmerzsignal ausgelöst, das ins zentrale Nervensystem übertragen und dort auf verschiedenen Ebenen umgewandelt wird. Es entsteht das Schmerzempfinden …
»Rede, Gefangener! Rede oder stirb!«, rief die Soldatin vergnügt auf Englisch, begleitet vom pausenlosen, immer wütenderen Bellen der Schäferhunde, das von den kahlen, graugelben Gefängniswänden vervielfacht wurde. Er sah das zu einem Grinsen verzerrte Gesicht der Frau deutlich vor sich, obwohl unter der Kapuze völlige Dunkelheit herrschte.
Konzentriere dich, denk nicht an den Schmerz …
Gab es irgendjemanden, dessen Leben sich genauso schnell und total geändert hatte wie seines? Noch vor drei Monaten hatte er mit seinen Eltern und seinen zwei jüngeren Schwestern in Adhamiyah gelebt, einem Vorort Bagdads für die obere Klasse, er war Wissenschaftsminister der Regierung gewesen und hatte zum beneideten engsten Kreis Saddams gehört. Nach dem Beginn des Angriffs der Koalition hatte er sich mit seiner Familie zu Hause verschanzt. Einigen Glücklichen gelang es noch rechtzeitig, zu fliehen und das Land zu verlassen, ihnen jedoch nicht.
Von den Bomben blieben sie verschont, und als die US-Truppen am 5. April in Bagdad einmarschierten, glaubten sie schon, das Schlimmste überstanden zu haben. Doch dann begannen die Verhaftungen: Die Amerikaner wussten, wo Saddams Leute wohnten, und holten einen nach dem anderen zum Verhör. Es gelang ihm, aus Bagdad zu fliehen, er versuchte den Hafen von Umm Qasr und die kuweitische Grenze zu erreichen, aber britische Soldaten stoppten ihn und seine Begleitung in der Nähe von Basra und steckten ihn in diesen Vorhof der Hölle – ins Camp Bucca. Ein paar Wochen nach seiner Gefangennahme erfuhr er, dass sein Zuhause noch am Tag seiner Flucht aus Bagdad gesprengt und seine Familie ermordet worden war. Er hatte Sehnsucht nach seinen Eltern und Schwestern.
Eine eiskalte Dusche traf ohne Vorwarnung seinen Körper mit so hohem Druck, dass es schmerzte. Er saugte Wasser aus dem Stoff der Kapuze und bekam einen feuchten Mund, aber der Durst wurde nur noch schlimmer.
Die Briten folterten ihn, weil der Widerstand auf den Straßen Bagdads und überall im Land weiterging, obwohl die eigentlichen Kampfhandlungen längst beendet waren. Die ihn verhörten, wollten wissen, was Saddams engster Kreis in den Monaten, als der Sturz des Diktators näher rückte, geplant hatte, wer den Widerstand der Iraker anführte, was die Aufständischen anstrebten.
Die Briten wussten, dass im Irak die Autorität der Oberhäupter alter Familienclans bei jedem Umsturz noch größer wurde, und seine Familie war eine der ältesten und einflussreichsten im Land und in der ganzen arabischen Welt. Unter seinen Vorfahren fanden sich Dutzende Ajatollahs und Glaubensgelehrte geringeren Ranges sowie Staatsmänner und Politiker. Er war ein Nachkomme des Propheten in gerader Linie. Seine Familie verfügte über gute Beziehungen zu den Machthabern aller arabischen Staaten; später würde ihm das von Nutzen sein, aber derzeit nicht. Denn jetzt war er nur einer von sehr vielen irakischen »Geistergefangenen«, die nicht in die Gefangenenlisten eingetragen wurden und deren Existenz die Truppen der Koalition nicht einmal den Beobachtern des Internationalen Roten Kreuzes mitteilten.
Er spürte einen stechenden Schmerz in den Schultern, als die Ventilatorflügel anhielten. Ihm war schwindlig. Erst jetzt bemerkte er, dass er am ganzen Körper zitterte. Aber warum? Er wartete doch ganz gelassen auf die nächsten Säurespritzer. Lieber physischer Schmerz als die Erniedrigungen. Die Briten dachten sich immer neue aus, dabei fehlte es ihnen nicht an Phantasie: Man hatte ihm Frauenunterwäsche angezogen und ihn gezwungen, in widerlichen Gruppenbildern zu posieren, er musste sich die Wunden von in Leichensäcken liegenden Mitgefangenen, in Eis aufbewahrte verstümmelte Tote und die Folterqualen anderer Gefangener ansehen.
Als ein Stock krachend seinen Oberschenkel traf, zuckte er zusammen und schrie auf, der Schmerz strahlte in seinen ganzen Körper aus.
»Wo sind Saddam, Udai, Qusai … Wer organisiert die Bombenanschläge in Bagdad … Wer führt den Widerstand in Falludscha?«, schrie die Frau mit schriller Stimme, und ein neuer Schlag klatschte auf die Rückseite seines Oberschenkels. »Sobald du redest, hört das auf.«
Der Mann stellte sich bewusstlos, manchmal half das. Er konzentrierte sich und dachte an die Folterer und nicht mehr an den bevorstehenden Schmerz. Die Soldatin ließ ihn an Erich Fromms Theorie glauben, wonach an einem Zerstörungssyndrom leidende Menschen sich ihres gestörten Verlangens bewusst waren und es mit brutalen Taten zum Ausdruck brachten. Unter normalen Verhältnissen versuchten solche Psychopathen ihr Verlangen zu kontrollieren, aber unter Kriegsbedingungen oder wenn im normalen Leben alles drunter und drüber ging, brauchten sie sich nicht mehr zurückzuhalten.
»Der erträgt das noch mal«, flüsterte die Soldatin ihrem Kameraden zu, sie glaubte wohl, er höre es nicht. Und es stimmte, was sie sagte, er würde eine weitere und, wenn es sein musste, auch noch hundert Wellen des Schmerzes aushalten. Er wollte nicht sterben. Kierkegaard hatte seinerzeit behauptet, ein Geheimnis adele den Menschen und verleihe seinem ganzen Leben eine neue Bedeutung. Der Däne hatte recht gehabt.
In dem Augenblick trafen die Säuretropfen seine Schenkel, und er zerrte an den Seilen. Ein Schrei entfuhr ihm und hallte von den Wänden des Zellenganges wider. Rasch sank er in die dunkelsten Schichten des Bewusstseins, doch noch schossen ihm Gedanken durch den Kopf; er klammerte sich an ihnen fest und wartete auf das Wasser, das den Schmerz linderte.
Überlass dich nicht der Verzweiflung, sie beseitigt den Schmerz nicht. Konzentriere dich …
Ihm fiel Spinozas Rat ein: »Du sollst der Menschen Tun weder belachen noch beweinen, sondern es begreifen.« Er dachte an andere Genies, die so waren wie er, und das gab ihm Kraft. Alle, die in ihrem Leben etwas Großes vollbrachten, hatten schon als Kind auf irgendeine unbestimmte Weise davon gewusst. Sie alle hatten schon als junge Menschen erfahren, dass sie etwas Besonderes waren. Und sie alle hatten sich ihr ganzes Leben lang auch für etwas Besonderes gehalten, für anders als die anderen. Sie waren introvertiert und bescheiden, es sei denn, ihr Auftrag verpflichtete sie zu etwas anderem. Sie alle blieben in jeder beliebigen Situation ganz gelassen, ihnen konnte nichts geschehen; sie betrachteten auch ihr eigenes Leben mit den Augen eines Außenstehenden, eines Allmächtigen. Und sie warteten. Sie alle warteten auf das Schicksal, auf das Ereignis, durch das der Sturm ihrer Genialität losbrechen würde. Er brauchte nicht mehr zu warten.
Adil al-Moteiri hatte sein Schicksal in den Folterkammern des Kriegsgefangenenlagers Camp Bucca gefunden. Im Kern der Dunkelheit. Jetzt sah er alles aus dem richtigen Blickwinkel. Er würde es nicht dulden, dass er zum Rächer verkam, er würde nicht zulassen, dass Hass und Gewalt seine Sinne trübten. Die Wut und die Kraft, die sich in ihm angestaut hatten, würde er einsetzen, um Unrecht wiedergutzumachen.
Er hatte den Darb al-sad ma red eingeschlagen.
Den Weg ohne Wiederkehr.
In der Gegenwart
Eeva Hallamaa warf die Tür ihres Arbeitszimmers zu und ging zur Treppe, ihre schnellen, energischen Schritte auf dem hellgrauen Fußboden im Exactum, einem Gebäude des Instituts für Mathematik und Statistik der Universität Helsinki, dröhnten durch den ganzen Flur. Die Lektorin hatte den Samstagvormittag damit verbracht, das am Montag beginnende Seminar für den Kurs der forschungsorientierten Studenten vorzubereiten, zumal auch ihre Familie nicht da war: Mikko fotografierte auf einer Hochzeit seiner Verwandten in Jyväskylä, und Kirsi war bei einer Klassenkameradin. In den letzten Wochen hatte sich Eeva so gut gefühlt wie lange nicht, aber heute war das Verlangen nach Amphetamin aus irgendeinem Grund wieder erwacht. Sie erinnerte sich nur allzu gut, wie selbst eine kleine Dosis Speed den Stress löste, entspannend und zugleich elektrisierend wirkte, wie dadurch die Lebensfreude und die Farben zurückkehrten …
Die Jahre, in denen sie Drogen genommen hatte, gingen ihr durch den Kopf, während sie die Wendeltreppe zum Foyer des Exactums hinunterstieg. Sie dachte daran, wie sie die Studenten bei den Partys der Fachschaft »Matrix« mit ihrer Energie mitgerissen hatte, wie sie nachts um drei aufgestanden war, um an ihrer Dissertation zu arbeiten … In rascher Folge tauchten Bilder von Ereignissen auf, eines angenehmer als das andere, bis plötzlich Kopfschmerzen einsetzten, als würde ein Bohrer in ihren Schläfen dröhnen. Eeva holte eine Packung der vom Arzt verschriebenen Schmerztabletten aus der Tasche. Die trug sie immer bei sich. Die Drogenabhängigkeit glich einem schlauen Tier, sie akzeptierte nur die schönen Erinnerungen, vergoldete sie und hielt allen Schmerz und Ärger von ihrem Opfer fern. Das vermochte kein einziger Mensch, selbst wenn er andere noch so gut überreden oder verführen konnte.
Eeva blieb im Foyer stehen, als sie ihr Spiegelbild in den Fensterscheiben sah. Ihre blonden Haare lagen zu dicht an, und im Gesicht hatte das Leben seine Spuren hinterlassen. Die Schicksalsschläge waren auf der Haut abzulesen, obwohl sie einen Menschen von innen aufzehrten. Sie versuchte sich einzureden, dass ein wenig Make-up genügen würde, um alles wieder in Ordnung zu bringen, dann strich sie über ihre dunklen Augenbrauen und überlegte, wann das letzte Mal jemand gesagt hatte, sie sei schön. Das war erst vor ein paar Wochen im Restaurant »Ahven« in Punavuori gewesen. Als ihr das einfiel, fühlte sie sich sofort besser. Trotzdem wollte sie die tägliche Dosis Kalktabletten erhöhen, obwohl ihr klar war, dass sie mit ihrem Gesundheitsenthusiasmus den Schaden, den sie ihrem Körper in den selbstzerstörerischen Jahren zugefügt hatte, nicht wiedergutmachen konnte.
Die trockene Kälte des Dezembertages schlug ihr ins Gesicht, als sie die schwere Holztür des Exactums öffnete. Die kalte Luft auf der Haut tat gut, alles, was von dem Verlangen nach Speed ablenkte, empfand sie als Erleichterung. Sie war schon ein Jahr lang sauber, aber die Sehnsucht nach Speed packte sie immer noch gelegentlich, mit regelmäßiger Unregelmäßigkeit. Zum Glück geschah das immer seltener. Sie hatte den Geruch der Abteilung für Suchtpsychiatrie in der Välskärinkatu noch in der Nase, überraschenderweise bewirkte diese Erinnerung, dass sich ihre Laune besserte. Dahin würde sie niemals zurückkehren.
Der Fußweg zwischen den Universitätsgebäuden war glatt, Eeva lief vorsichtig, rutschte dennoch auf schwarzem Eis aus und landete auf dem Hinterteil. Das Steißbein schmerzte, sie fluchte, verstummte aber, als ihr ein paar Studenten entgegenkamen, die sie kannte. Sie stand auf und klopfte sich den Schnee von den Hosen.
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