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Taavi Soininvaara

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Beschreibung

Blut ist Rot.

Leo Kara wird von Albträumen geplagt. Die Erinnerung an das tragische Schicksal seiner Familie kehrt zurück und er möchte Gewissheit, ob er Schuld am Tod seiner Mutter trägt. Dabei könnte ihm auch sein neuer Auftrag helfen: Ein Anwalt aus Helsinki vertritt eine Mandatin, Frau Vanhala, die im Besitz des sogenannten Smirnow-Materials ist, das die Tätigkeit prominenter finnischer Politiker für den KGB beweist. Leo Kara soll das Material den Behörden übergeben. Doch wem kann er trauen? Einmal mehr gerät Kara selbst in große Gefahr. Denn Mundus Novus hat schon den kirgisischen Hitman Manas, Mörder von Karas Mutter, beauftragt, alle Mitwisser zu liquidieren ...

Was Jussi Adler-Olsen für Dänemark und Stieg Larsson für Schweden sind, das ist Taavi Soininvaara für Finnland: der erfolgreichste Krimiautor. Seine große Mundus-Novus-Serie um den Ermittler wird von Lesern und Kritikern gefeiert. Leo Karas dritter Fall ist ein atemberaubender Thriller, der die dunkle Welt des organisierten Verbrechens ausleuchtet und die blutrote Vergangenheit eines Mannes.

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TAAVI SOININVAARA

Rot

Leo Kara ermittelt

Aus dem Finnischenvon Peter Uhlmann

Impressum

Die Originalausgabe unter dem Titel Punainen jättiläinen erschien 2011 bei Otava, Helsinki.

ISBN 978-3-8412-0540-7

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Januar 2013

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die deutsche Erstausgabe erschien 2013 bei Aufbau Taschenbuch,

einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Copyright © 2011 Taavi Soininvaara

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

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Impressum

Inhaltsübersicht

PROLOG - Die Tasche - Helsinki, 21. Oktober 1992

ERSTER TEIL - Smirnows Material - 4. – 6. Oktober, Gegenwart

ZWEITER TEIL - Der Beginn der Zerstörung - 6. Oktober – 8. Oktober

DRITTER TEIL - Das Lächeln - 9. Oktober – 12. Oktober

Hauptfiguren und wichtigste Institutionen

Alanko, Anni. Stellvertretende Generalstaatsanwältin.

Arho, Anita. Ehemals für Finanzen zuständiges Mitglied des »Kabinetts«.

Bellamy, Lilith. Im Jahre 1989 Mitglied der von Aleksi Kara geleiteten Forschungsgruppe.

Carter, Colleen. Analytikerin der USA-Abteilung des britischen Auslandsnachrichtendienstes SIS.

Danilow, German. Verantwortlicher für Immobilienangelegenheiten des AEM-Konzerns.

Egger, Nadine. Wirtin in Wien. Leo Karas Freundin.

Egger, Bruno. Nadine Eggers Sohn.

Elliott, John. Generaldirektor des britischen Nachrichtendienstes MI5.

FSB. Inlandsnachrichtendienst der Russischen Föderation.

Gilmartin, Betha. Vizechefin des britischen Auslandsnachrichtendienstes SIS.

Golowkin, Wasili. Clive Grovers Kontaktperson (»Betreuer«) in der Londoner Botschaft der Russischen Föderation.

Grover, Clive. Leiter der Abteilung für Aufklärungsoperationen des SIS.

Hakanen, Laura. Polizeiinspektorin. Chefin der Abteilung für Interne Kontrolle der Obersten Polizeibehörde.

Das Kabinett. Eine Gruppe führender Persönlichkeiten Finnlands, die in ihrem Land die Interessen der Machthaber Russlands vertritt.

Kankare, Risto. Geschäftsführender Direktor der Fortum  AG. Mitglied des Kabinetts.

Kara, Leo. Persönlicher Assistent des Generaldirektors des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC).

Karlsson, Jonny (Paranoid). Computerguru, bricht in Datensysteme ein, Hacker. Kati Soisalos Freund.

Ketonen, Jussi. Ehemaliger Chef der finnischen Sicherheitspolizei SUPO.

KPdSU. Kommunistische Partei der Sowjetunion.

KRP (Keskusrikospoliisi). Eigenständige zentrale Behörde der finnischen Kriminalpolizei, deren Hauptaufgabe in der landesweiten Bekämpfung der organisierten und der besonders schweren Kriminalität besteht.

Kärävä, Ville. Rechtsanwalt. Eeva Vanhalas Vertrauter.

Laamanen, Erno. Präsident von Suomen Pankki, der Finnischen Zentralbank. Mitglied des Kabinetts.

Lukkari, Saara. Inspektorin. Leiterin der Abteilung Gegenspionage der SUPO.

Manas. Kirgise, vom KGB ausgebildeter Killer. In Diensten der Stiftung Mundus Novus.

MI5 (The Box). Britischer Nachrichtendienst.

Mironow, Nikolai. Erster Stellvertreter des Chefs des Nachrichtendienstes FSB der Russischen Föderation.

Moser, Anton. Generaldirektor des Konzerns AEM. Nadine Eggers Vater.

Mundus Novus. Eine Stiftung, die Forschungszentren besitzt.

Nyman, Claes (Klasu). Kriminaloberinspektor. Chef der Aufklärungsabteilung der KRP.

Okoye, Joy. Anton Mosers nigerianische Haushaltshilfe.

Palomaa, Eero. Assessor, Rechtsanwalt. Ehemaliger Helfer des Kabinetts.

Rostow, Andrej. Wissenschaftler. Verantwortlich für die Forschungsprogramme von Mundus Novus.

Saurivaara, Kirsti. Dekanin der School of Science an der Aalto-Universität.

Silowiki. Von Wladimir Putin geführte Gruppierung, die Russland beherrscht.

Sinko, Jose. Mitarbeiter von ProTurva, einer Firma für Sicherheitsdienstleistungen.

SIS. Britischer Auslandsnachrichtendienst.

Smirnow, Anatoli. Im Jahre 1992 Leiter der Verwaltungsabteilung im Außenministerium der Russischen Föderation.

Soisalo, Kati. Assessorin, Rechtsanwältin.

Starfire Optical Range (SOR). Forschungslabor der US Air Force.

Timtschenko, Arkadi. Oligarch. Gebürtiger Russe.

Tirkkonen, Sakke. Präsident der finnischen Abteilung des Motorradclubs MC Black Angels.

Ukkola, Jukka. Stellvertretender Leiter der KRP. Kati Soisalos Exmann. Mitglied des Kabinetts.

UNODC. Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung.

Vanhala, Eeva. Im Jahre 1992 Mitarbeiterin der SUPO. Mitglied des Kabinetts.

Vasama, Virpi. Jose Sinkos Ehefrau.

Väkikorpi, Asko. Generalstaatsanwalt. Mitglied des Kabinetts.

Ximing, Jiang. Chinesischer Steinbrucharbeiter.

»In den letzten Jahrzehnten wurde die Beherrschung des Weltraums vornehmlich genutzt, um Operationen zu Lande, zu Wasser und in der Luft zu unterstützen … Anfang des 21. Jahrhunderts wird sich die Beherrschung des Weltraums zu einem eigenen, gleichwertigen Mittel der Kriegsführung entwickeln … Die Überlegenheit auf den Kriegsschauplätzen sowohl im Weltraum, in der Luft, zu Wasser als auch zu Lande wird zur totalen Beherrschung aller Schlachtfelder führen … Wir müssen die stabile Fähigkeit entwickeln, die Überlegenheit im Weltraum sicherzustellen, genau so wie wir es zu Lande, zu Wasser und in der Luft getan haben.«

»Vision for 2020« U.S. Space Command, April 1997

»Wenn die USA ein Pearl Harbor im Weltraum vermeiden wollen, müssen sie die Möglichkeit eines Angriffs auf ihre Systeme im Weltraum ernst nehmen … Wer den USA gegenüber feindlich eingestellt ist, kann sich auf dem globalen Markt die Mittel beschaffen, um die US-Weltraumsysteme zu zerstören oder lahmzulegen, und unsere Satelliten oder deren Steuerungssysteme angreifen …«

Bericht der US-Kommission zur Untersuchungvon Management und Organisation der nationalen Sicherheitim Weltraum, 11. Januar 2001

»Ohne dass es irgendeine öffentliche Diskussion darüber gegeben hätte, hat das Pentagon schon Milliarden Dollar für die Entwicklung von Weltraumwaffen und für die Ausarbeitung von Plänen zu ihrer Anwendung ausgegeben.«

Tim Weiner, The New York Times, 18. Mai 2005

PROLOGDie TascheHelsinki, 21. Oktober 1992

Anatoli Smirnow war in Helsinki, um deutlich zu machen, dass die neue Russische Föderation Finnland genauso fest im Würgegriff hatte wie früher die Sowjetunion. Das würde er den finnischen Machthabern in seinem Vortrag klar vor Augen führen. Er saß in einem kleinen Raum hinter dem Vorlesungssaal des Finnischen Außenpolitischen Instituts in Punavuori. Auf seinem Schoß lag eine Tasche mit Kopien geheimer Dokumente aus dem Archiv der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, die alle Finnland betrafen. Smirnow fühlte sich wie jemand, der als nächster vor das Hinrichtungskommando treten musste. Er hatte schweißige Hände und einen Kloß im Hals, obwohl er ständig schluckte; sein Herz hämmerte, er war gezwungen, die Krawatte zu lockern.

So richtig konnte er immer noch nicht begreifen, wie es zu all dem gekommen war. Angefangen hatte es 1976. Damals war er, ein junger Sportler mit einer Ingenieurausbildung, für die Arbeit in der Abteilung Internationale Beziehungen des Leningrader Gebietskomitees der KPdSU angeworben worden, und hatte dann bisweilen mit Finnland und Finnen zu tun gehabt. Im Januar 1987 wurden die finnischen Angelegenheiten endgültig sein Hauptbetätigungsfeld, man ernannte ihn zum Sachbearbeiter im legendären »Finnland-Zimmer« der Abteilung Internationale Beziehungen des Zentralkomitees der KPdSU. Dort freundete er sich schnell mit seinem Vorgesetzten an, dem altgedienten Funktionär Iwan Rosdoroschny.

Als Rosdoroschny 1988 pensioniert wurde, überließ er ihm Kopien von Geheimdokumenten zu Finnland aus dem Archiv der KPdSU. Aufgeschreckt durch deren brisanten Inhalt beschaffte sich Smirnow nun aus verschiedenen Quellen weiteres Geheimmaterial über Finnland. Nach seiner Berufung zum Leiter des Sekretariats der Abteilung Internationale Beziehungen der KPdSU im Jahre 1990 landete auf seinem Schreibtisch eine beträchtliche Anzahl geheimer Unterlagen, noch mehr als seinerzeit im Finnland-Zimmer.

Der fehlgeschlagene Putschversuch der Altkommunisten vom 19. bis 21. August 1991 änderte schließlich alles, sowohl in der Sowjetunion als auch in Anatoli Smirnows Leben. Am 23. August gelangte ein Heft in seine Hände, das vorschriftswidrig in der Abteilung Internationale Beziehungen aufbewahrt worden war. Das Heft enthielt alle Informationen über die Zahlungen der KPdSU an Bruderparteien weltweit, auch an die finnischen Kommunisten. In dem Chaos durch den Putschversuch brachte er noch mehr geheimes Material über Finnland an sich.

Am 26. August stand Smirnow plötzlich mit dem Rücken zur Wand: Der Chef der Abteilung Internationale Beziehungen, Valentin Falin, befahl ihm, alle Dokumente zu vernichten, die bewiesen, dass die KPdSU ihren Bruderparteien, ihren Helfern, Agenten und ebenso Politikern und anderen einflussreichen Personen, die der Sowjetunion wohlgesonnen waren und über erhebliche Macht verfügten, viele Millionen Dollar gezahlt hatte. Mit besonderem Eifer hatte man Geld nach Finnland gepumpt, jedes Jahr flossen Millionen Finnmark sowohl an Politiker und Parteien als auch an Privatpersonen.

Sollte er die Wahrheit vertuschen oder aufdecken? Man zwang ihn, eine Entscheidung zu treffen, die Unmögliches von ihm verlangte. Der Befehl Falins, das Heft zu vernichten, kam vierundzwanzig Stunden nach Präsident Boris Jelzins Erlass über die vorübergehende Beschlagnahmung des Eigentums und des Archivs der KPdSU. Falins Order verstieß demzufolge gegen Jelzins Ukas. Smirnow musste sich also auch für eine Seite entscheiden: für die Kommunisten der alten Macht oder die reformgesinnten neuen Machthaber. Er beschloss, die Kommunisten zu verraten und auf die Demokratie zu setzen.

Smirnow übergab den Behörden am 26. August 1991 den Großteil seiner Unterlagen und auch das Geld des Geheimfonds der Abteilung Internationale Beziehungen – 11,5 Millionen Dollar. Doch das Heft mit den Angaben zu den Zahlungen der KPdSU ins Ausland und die meisten Dokumente über Finnland behielt er.

Mittlerweile, ein Jahr danach, hatte sich herausgestellt, dass es eine kluge Entscheidung gewesen war: Die Demokratie hatte auch in Russland den Kommunismus besiegt. Tausende alte Parteifunktionäre, Kollegen und Freunde, hatten am Kommunismus festgehalten und inzwischen ihre Arbeit verloren. Sie standen mit leeren Händen da, er hingegen leitete nun die Verwaltungsabteilung im Außenministerium der neu geschaffenen Russischen Föderation.

Und er war auch vermögend, so reich, wie er es sich noch vor einem Jahr nicht einmal in seinen kühnsten Träumen erhofft hätte. Das war das Beste. In den Monaten nach dem Putsch der Kommunisten hatten alle versucht, die verworrene Lage in Russland auszunutzen und von dem unermesslich großen Eigentum der KPdSU zu profitieren, etwas für sich abzuzweigen, ihre Zukunft zu sichern. Er selbst hatte Informationen an den Journalisten Aleksander Jewlachow verkauft, der in der Wochenzeitschrift »Rossija« Artikel über die Parteifinanzen der KPdSU veröffentlichte.

Smirnow war so in seine Erinnerungen vertieft, dass er aufschreckte, als der Direktor des Außenpolitischen Instituts im Hinterzimmer erschien und vor ihm stehen blieb. Jetzt war es soweit. Er konnte sich nicht entsinnen, wann er zuletzt vor einem öffentlichen Auftritt so aufgeregt gewesen war – vielleicht damals vor langer Zeit, als er das erste Mal an einer Versammlung teilgenommen hatte, die vom Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU geleitet wurde, von dem Mann, der über die halbe Welt herrschte. Smirnow ging zum Rednerpult, öffnete seine Tasche und nahm das Vortragsmanuskript heraus. Das Stimmengewirr verebbte. Er spürte die Angst des Publikums. Sie wussten genau, warum er hier war und was sich in seinem Besitz befand. In diesem Raum war der Kalte Krieg noch nicht zu Ende.

Als er auf dem Rang des Auditoriums Ulf Sundquist und Paavo Lipponen erblickte, fasste er etwas mehr Mut.

Im Jahre 1974, am Beginn ihrer Politikerkarriere, waren die beiden Finnen in Moskau auf dem Weltkongress der Friedenskräfte zu Gast gewesen, um die Beziehungen der Sozialdemokratischen Partei Finnlands zur KPdSU weiterzuentwickeln. Sundquist und Lipponen hatten die Rede Leonid Breschnews gelobt, sie habe bei ihnen einen »unauslöschlichen Eindruck hinterlassen«. Ihren Inhalt bezeichneten die jungen Politiker als »fundiertes Programm der friedliebenden Kräfte«.

Anatoli Smirnow räusperte sich, begann mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln und kam dann in fließendem Finnisch zur Sache. »In meinem Besitz befindet sich eine große Anzahl als geheim deklarierter Dokumente über Finnland, darunter fast alle diesbezüglichen Geheimbeschlüsse der KPdSU aus den letzten Jahrzehnten. Leider darf ich sie nicht vorlegen, solange ich nicht weiß, welche Unterlagen aus dem Superarchiv der KPdSU in der nächsten Zeit für die Öffentlichkeit freigegeben werden. Ich kann Ihnen jedoch eine kleine Kostprobe geben«, sagte Smirnow und klopfte auf seine Tasche. »Diese Dokumente werden den Finnen die Augen öffnen. Viele finnische Politiker und andere einflussreiche Persönlichkeiten werden gezwungen sein, ihre Posten aufzugeben, und manche werden sich für ihre Taten auch vor Gericht verantworten müssen. Zu erwarten sind Nachrichten, die einschlagen wie eine Bombe, Skandale und viel Aufruhr.« Smirnow las zunächst von seinem Manuskript ab, aber allmählich ließ die Anspannung nach. Er wurde lockerer und wagte schon, beim Sprechen Blickkontakt zu seinem Publikum aufzunehmen.

»Helsinki war ein Labor, ein Versuchsfeld, auf dem die Sowjetunion in aller Ruhe testete, wie die westlichen Länder auf die verschiedenen Formen der indirekten Machtausübung reagierten. Die Sowjetunion hat die finnische Politik in der ganzen Zeit vom Krieg bis zu ihrem Zusammenbruch nach Belieben gesteuert. Finnland war wie eine Maus in den Krallen der Katze.«

Er trank einen Schluck Wasser und fuhr fort: »Ich besitze zahlreiche Dokumente – es handelt sich um hunderte Seiten –, auf denen die Botschaft der Sowjetunion in der Helsinkier Tehtaankatu die KPdSU über Ereignisse in Finnland informiert: über Gespräche mit Politikern der SPFi, der Zentrumspartei sowie ihrer Vorgängerin, der Agrarunion, und der konservativen Kokoomus, über den Zustand der Kommunistischen Partei Finnlands, über Jugendorganisationen, Gewerkschaften, andere Verbände, Volksbewegungen, Unternehmer und deren Einstellung und Verhältnis zur Sowjetunion. Auf der Grundlage dieser Berichte wurde dann in Moskau entschieden, Menschen zu diffamieren, die sich kritisch zur Sowjetunion geäußert hatten, oder Sympathisanten der Sowjetunion anzuwerben beziehungsweise zu belohnen. Die KPdSU nahm Einfluss auf fast alle wichtigen personellen Entscheidungen in Finnland. Das betraf sowohl die Wahl des Präsidenten und der Ministerpräsidenten als auch der Vorsitzenden von Freundschaftsgesellschaften und Sportorganisationen. Egal, welchen Vertreter der Sowjetunion finnische Politiker trafen, die KPdSU erhielt immer einen Bericht über das Gespräch.«

Smirnow spürte jetzt, dass er Herr der Lage war. Er trank sein Glas in aller Ruhe aus und goss Wasser nach.

»Wenn es in der Sowjetunion etwas gab, worauf man sich verstand, dann war es das Anfertigen von Berichten und Protokollen und das Verwalten von Archiven, geheimen wie öffentlichen. Die Berichterstattung erfolgte permanent und lückenlos. Im Archiv der KPdSU finden sich vollständige Listen der Teilnehmer an den Parteitagen der großen finnischen Parteien, Berichte über alle wichtigen Angelegenheiten Finnlands und über Gespräche mit hunderten finnischen Politikern, führenden Vertretern der Wirtschaft, Beamten, Diplomaten, Professoren, Journalisten und anderen einflussreichen Leuten. Mir liegen auch Zusammenfassungen der Gespräche der finnischen Staatsführung mit Leonid Breschnew, Konstantin Tschernenko, Juri Andropow und Michail Gorbatschow vor. Eine Veröffentlichung dieser Unterlagen in ihrer Gesamtheit wird die berufliche Laufbahn zahlloser Personen in Ihrem Land zerstören. Dann beginnt endlich auch in Finnland die Aufarbeitung der Ereignisse während der Zeit des Bestehens der Sowjetunion.« Bei diesen Worten klopfte er wieder auf seine Tasche.

»Ich bin heute hier in Helsinki, um Ihnen mitzuteilen, dass der Einfluss der Sowjetunion auf die Angelegenheiten Finnlands noch größer war, als es der Westen vermuten konnte. Mir ist bekannt, welche finnischen Politiker ohne Wissen ihrer Parteien mit Vertretern der KPdSU verhandelten, welche Geschäftsleute die Interessen der Sowjetunion vertraten. Und das absolut Wichtigste ist  …« Er ordnete die Seiten seines Manuskripts, um die Spannung zu erhöhen. »Ich verfüge über Beweise, die zeigen, welche Finnen als Helfer des KGB arbeiteten und welche Honorare man ihnen zahlte. Und ich besitze die Belege für alle Geldsummen, die auf Anweisung der KPdSU nach Finnland überwiesen wurden.«

Anatoli Smirnow genoss es, als er die Seufzer im Publikum hörte und die verblüfften Gesichter sah. Die armseligen Kerle fürchteten, demnächst könnten Köpfe rollen, und zwar ihre. Am liebsten hätte er ihnen gesagt, dass er nicht beabsichtigte, sein Material zu veröffentlichen, sondern nur alle in Kenntnis setzen wollte, dass es existierte. Auf diese Weise erinnerte die neue Kreml-Administration die Finnen daran, wer hier in Wirklichkeit die Macht ausübte.

* * *

Der rothaarige Mitarbeiter der SUPO-Überwachungsabteilung war leger, aber korrekt gekleidet, er trug eine dunkle Baumwollhose und ein hellblaues Hemd. Die schwarze Ledertasche auf seinem Schoß wurde vom langen hellbraunen Mantel verdeckt. Er saß im Foyer des Traditionsrestaurants Elite im Helsinkier Stadtteil Etutöölö. Als 17:09 Uhr ein Charterbus vorfuhr, erhob er sich. Alles war bereit.

Er drückte die Zigarette aus und beobachtete unauffällig, wie der Direktor des Außenpolitischen Instituts die Tür zum Restaurant aufhielt, bis die ganze Gruppe aus dem Kleinbus das geräumige Foyer betreten hatte. Vor der Garderobe wurde es eng, als die Gäste –  Beamte des Außenministeriums, ehemalige und aktive Politiker, kommunistische Funktionäre und Journalisten  – dem Portier ihre Mäntel hinhielten. Der SUPO-Mann fand Anatoli Smirnow in der Menge und trat näher an ihn heran.

Als Smirnow seine Tasche auf den Fußboden stellte, um den Mantel auszuziehen, bückte sich der SUPO-Mann blitzschnell und tauschte die Tasche des Russen gegen seine. Die des Russen versteckte er sofort unter seinem Mantel. Das Ganze erforderte nur ein paar rasch aufeinander folgende Bewegungen. Anatoli Smirnow hatte seine Tasche höchstens zehn Sekunden losgelassen. Das Gedränge im Foyer erleichterte dem rothaarigen Polizisten die Arbeit.

Er verließ das Restaurant, ging hundert Meter weiter bis zur Oksanenkatu, klopfte dreimal an die Seitentür eines weißen Ford Transit und zwinkerte seiner Kollegin zu, als die Tür des Lieferwagens aufglitt. Dann reichte er ihr die Tasche und kehrte zum Restaurant zurück, er würde im Elite zu Abend essen und Smirnow im Auge behalten.

Die SUPO-Mitarbeiterin Eeva Vanhala, die im Laderaum des Transporters saß, hatte dicke Tränensäcke und dunkle Augenringe. Ihr Gesicht war kreidebleich, letzte Nacht hatte sie nur wenig geschlafen und das auch noch unruhig. Eeva Vanhala schwitzte, sie trug die Verantwortung für diese Operation. Das war mit Abstand ihr wichtigster Auftrag, seit sie in der Abteilung für Gegenspionage der SUPO arbeitete. Sie hatten Smirnows Tasche schon vor einigen Wochen in Moskau fotografiert und somit genug Zeit gehabt, ein identisches Exemplar zu beschaffen und so zu bearbeiten, dass es genau die gleichen Kratzer und abgenutzten Stellen aufwies wie das Original. Den Tausch würde der Russe nur bemerken, wenn es der Zufall wollte, dass er das Double öffnete und die leeren Blätter sah. Doch das war zumindest in den nächsten anderthalb Stunden nicht zu befürchten, so lange würde das Essen für die Gäste des Außenpolitischen Instituts mindestens dauern. Es blieb also nicht viel, aber ausreichend Zeit. Das war die einzige Gelegenheit, das Material zu kopieren. Übernachten würde Smirnow in einem der Gebäude auf dem Gelände der russischen Botschaft, und dort einzudringen kam nicht in Frage.

Eeva Vanhala brauchte nur ein paar Minuten, bis sich das Kombinationsschloss öffnete, denn sie wusste, wie man den richtigen Code mit höchstens dreißig Versuchen fand. Sie klappte den Deckel hoch und fluchte. Die Tasche war vollgepackt mit Unterlagen, das mussten hunderte Seiten sein … Ihre Hand zitterte, als sie das erste Dokument nahm und umdrehte, auf die Glasplatte des kleinen Tischkopierers legte und den Knopf drückte. Das Gerät sortierte die Kopien in zwei Fächer – eine für die SUPO, die andere für sie selbst. Das nächste Blatt, umdrehen, hinlegen, wieder zwei Kopien, das nächste, umdrehen, hinlegen … Nach einer Viertelstunde war sie gezwungen, eine Pause zu machen, die Hände wollten einfach nicht mehr in dem Takt arbeiten, den die Befehle aus ihrem Gehirn vorgaben. Sie hatte noch nicht einmal annähernd die Hälfte geschafft. Wieder stand ihr der Angstschweiß auf der Stirn.

Das nächste Blatt, umdrehen, zwei Kopien, oh verdammt, ein Papierstau … Zwei Kopien, das nächste Blatt, umdrehen … Nach anderthalb Stunden lag in der Tasche immer noch ein etwa zwei Zentimeter hoher Stapel. Ihr Kollege im Restaurant Elite würde sich melden, sobald Smirnows Tischgesellschaft den Kellner um die Rechnung bat, ihr blieb also noch etwas Zeit. Dennoch versuchte sie, das Tempo zu beschleunigen, geriet dadurch aber nur in ihren Handbewegungen durcheinander. Sie wollte lieber nicht daran denken, für welche Vergehen man sie anklagen würde, sollten die zusätzlichen Kopien bei ihr gefunden werden.

»Die Tischgesellschaft des BÄREN hat die Rechnung bestellt!«, dröhnte es plötzlich in ihrem Ohrhörer. Eeva Vanhala bestätigte den Empfang der Meldung. Ein Dokument mit etlichen Seiten war noch übrig, das nächste Blatt, umdrehen, zwei Kopien, das nächste Blatt, umdrehen, gottverdammich, wieder ein Papierstau, zwei Kopien …

Smirnows Material schnell wieder einpacken, ihre Kopien in die Umhängetasche und den Ohrhörer raus. Sie stieg hastig aus, rannte fünfzig Meter bis zu ihrem Peugeot auf der Apollonkatu und warf ihre Tasche in den Kofferraum. Dann versteckte sie Smirnows Aktenkoffer unter ihrem Mantel und eilte im Laufschritt zur Glastür des Restaurants Elite.

Als sie ihren rothaarigen Kollegen im Foyer der Gaststätte sah, blieb sie stehen. Wenn Blicke töten könnten, hätten die ihres Kollegen sie auf der Stelle hingerichtet. Anatoli Smirnow wartete im Mantel vor der Garderobe, rauchte und hatte die Tasche fest in der Hand. Eeva Vanhala begriff, dass sie zu spät gekommen war. Sie stand mit Smirnows Aktenkoffer am Mika-Waltari-Park im eisigen Nordwind und spürte auf der Zunge den gallebitteren Geschmack des Versagens.

Die Teilnehmer am Essen des Außenpolitischen Instituts verließen einer nach dem anderen das Restaurant, um auf ein Taxi oder ein anderes Auto zu warten. Eeva Vanhala beobachtete, wie Anatoli Smirnow am Rand des Parkes stehenblieb und sich mit dem Institutsdirektor unterhielt, aber ihr fiel nichts ein, was sie unternehmen könnte. Wie sollte sie erreichen, dass der Russe die von der SUPO präparierte Tasche losließ? Verdammt, die Sache ging total schief.

Plötzlich tauchte ihr Kollege aus dem Restaurant auf und befahl ihr mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen. In aller Ruhe und so, als wäre es Zufall, schlenderte der rothaarige Mann zu Smirnow hin, steckte sich eine Zigarette in den Mund und suchte in seinen Taschen. Schließlich bat er den Russen um Feuer.

Eeva Vanhala war einen Meter von Anatoli Smirnow entfernt, als der den Aktenkoffer auf den rötlichen Fußwegsteinen absetzte und die Streichholzschachtel aus der Hosentasche holte. Sie trat rasch hinter ihn, stellte ihre Tasche neben seine und schnappte sich das Double. Als sie den Platz vor dem Restaurant verließ, fühlte sie sich fast schwerelos: Die ganze Anspannung und die Enttäuschung waren wie weggeblasen, ein Wohlgefühl überkam sie. Das nannte man wohl einen Endorphinrausch. Sie hatte Smirnows Material für sich kopiert.

ERSTER TEILSmirnows Material4. – 6. Oktober, Gegenwart

1

Dienstag, 4. Oktober

Im Jahr 1989 ist der 13. Oktober ein Freitag. Vater, Mutter, meine zehnjährige kleine Schwester Emma und ich, Leo Kara, sitzen im Esszimmer, um mit dem Dinner das Wochenende zu eröffnen. Die Stimmung ist angespannt. Vater gießt sich einen Drink ein, Wodka mit Selters, Mutter bringt das Essen auf den Tisch und Emma plappert wie immer alles Mögliche. Auf Anweisung meines Vaters schalte ich den Fernseher mitten in einer Folge von »Coronation Street« aus. Es gibt Schmorbraten vom Lamm mit Pfefferminzgelee, Bratkartoffeln, braune Soße, gedünsteten Kohl, Brokkoli und als Beilage Yorkshire-Pudding. Mutter und Vater trinken dazu Rotwein und Wasser, Emma und ich Dr Pepper. Als jeder sein Essen auf dem Teller hat, fängt Vater an, über seine Arbeit zu reden. Es ist die letzte gemeinsame Mahlzeit und wir hören einen Vortrag über die astronomischen Entdeckungen, die das Modul Kvant-1 der sowjetischen Raumstation Mir angeblich gemacht hat. Keinen interessiert das.

Plötzlich klirrt es laut, das Küchenfenster wird eingeschlagen, wir ducken uns alle blitzschnell unter den Tisch. Dann zersplittert eine zweite Scheibe. Emma kreischt und die Eindringlinge stürmen herein, ich kann noch vier schwarz gekleidete Soldaten sehen, zwei in der Küche und zwei im Wohnzimmer, bevor Vater mit dem Gewehrkolben geschlagen und mir ein Beutel über den Kopf gezogen wird. Man schleppt uns in einen Kleintransporter, der vor dem Haus wartet. Als der Wagen durch die Londoner Straßen holpert, werde ich hin und her geworfen und verletze mich an Armen und Beinen, Emma weint hysterisch und Vater verlangt von den Angreifern eine Erklärung. Die drehen statt einer Antwort den Regler der Stereoanlage auf volle Lautstärke, If you don’t know me by now von Simply Red ätzt sich in mein Gedächtnis ein. Ich übergebe mich und verliere das Bewusstsein.

In einem Keller wache ich wieder auf, meine Oberlippe ist mit geronnenem Blut bedeckt. Emma liegt auf dem kalten Betonboden und schläft unruhig. Ich gerate in Panik, brülle und hämmere mit den Fäusten an die Stahltür, bis meine Kräfte erlahmen. Irgendwo weiter oben höre ich Vaters und Mutters gedämpfte Schreie. Dann dreht sich der Schlüssel im Schloss und ich sehe Manas das erste Mal. Der kirgisische Killer lächelt hohl, seine Hände sind blutverschmiert. Und in diesem verdammten Moment wird Emma wach und erblickt Manas, der gerade wieder geht und die Tür abschließt. Vor Angst und Entsetzen verliert meine Schwester völlig die Fassung. Verzweifelt sucht sie einen Fluchtweg und findet schließlich unter Kisten einen uralten Abfluss in die Kanalisation. Sie schafft es, den Metalldeckel beiseitezuschieben und schlägt dann mit einem großen Stein auf den Rand der Öffnung im Boden, um sie zu vergrößern, ein paar Mörtelbrocken brechen heraus. Emma hämmert, bis sie blutige Hände hat, und es gelingt ihr schließlich, in den Schacht hineinzusteigen. Ich probiere es auch, aber für mich ist das Loch zu eng.

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