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Wenn es um schwulen Sex geht, zählt Fisten zu den Extremsportarten. Ohne Zweifel kann Mann bei dieser Praktik ungeahnte Höhen-Flüge erleben. Von Tipps zum gründlichen Spülen über die Wahl des richtigen Gleitmittels bis hin zu hilfreichen Entspannungstechniken und einem kompetenten Wegweiser für das dunkle Labyrinth der Eingeweide: Stephan Niederwieser - Autor zahlreicher Sexratgeber - beschreibt in seiner Fist-Fibel alles, was man wissen muss, um den ultimativen Kick zu erleben.
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Seitenzahl: 165
Veröffentlichungsjahr: 2012
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»In der Gemeinschaft ist es leicht, nach fremden Vorstellungen zu leben. In der Einsamkeit ist es leicht, nach eigenen Vorstellungen zu leben. Aber bemerkenswert ist nur der, der sich in der Gemeinschaft die Unabhängigkeit bewahrt.«
Ralph Waldo Emerson
Inhalt
Hinweis
(M)eine Geschichte
Vorwort
Geschichten
Mythen
Teil I: Den Horizont erweitern
Anatomie
Darmreinigung
Hilfsmittel
Dehnung
Ohne den Kopf geht’s nicht
Stellungen
Orgasmus
Teil II: Hand anlegen
Die Session, passiv
Die Session, aktiv
Krankheiten
Teil III: Schöner Fisten
Das perfekte Gleitmittel
Toys
Spezialtechniken
Drogen
Nachwort
Fuck(t)sheet
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweis
In vielen Büchern steht an dieser Stelle nur, dass Verlag und Autor die vorgestellten Praktiken nach bestem Wissen und Gewissen geprüft haben, aber für Schäden, die aus dem Nachahmen entstehen, nicht haften. Muss da ja stehen, weil immer mal ein Schlauer auf die Idee kommt, andere für sein Handeln verantwortlich zu machen. Ich möchte dem aber noch etwas Wichtiges hinzufügen: Ich bin gesund, ich kann denken, ich habe an einer deutschen Universität studiert, und ich bin staatlich geprüfter Heilpraktiker. Ich habe großen Respekt vor dem menschlichen Körper und würde niemals an Aktivitäten teilnehmen, die mich oder andere Menschen gesundheitlich in Gefahr bringen.
So brachial und brutal das für Praktikfremde anmuten mag: Sich eine Faust in den Hintern schieben zu lassen, halte ich für eine sichere Sexpraktik – wenn man weiß, was man tut, wenn man das Fisten richtig und umsichtig ausübt. (Ähnliches gilt übrigens fürs Autofahren.) Zum umsichtigen Handeln gehört auch, dass man Anleitungen und Ratschläge nicht blind befolgt, sondern dass man mitdenkt, dass man achtsam mit sich, mit dem Gegenüber, mit den Körpern und Dingen umgeht. Möge dich dieser Rat durch das gesamte Buch hinweg leiten und begleiten.
(M)eine Geschichte
Ruckediguh … Blut ist am (Hand-)Schuh
Er bettelte: »Ja, stopf mich! Hau’s mir rein!« Und ich folgte seiner Anweisung. Ich boxte und stopfte und fickte ihn mit meiner Hand. Plötzlich schoss ein dünner Strahl hellen Blutes geradewegs aus seinem Hintern heraus und quer über meinen Arm.
Ich erschrak. »John. Du blutest.«
»Ist es helles Blut?«, fragte er, sobald er wieder zu Atem gekommen war.
Ich hörte ihn schlecht, nicht nur, weil er seinen Kopf in sein Kissen vergraben hatte, sondern auch weil mir der Kopf schwirrte.
»Ja, es ist ganz hell.«
»Dann ist es nur ein kleines Äderchen. Das passiert bei mir öfter. Warte einen Augenblick, dann mach weiter!«
Mir wäre ohnehin nichts anderes übrig geblieben, als eine Pause einzulegen; ich war wie gelähmt. Und ich starrte wie die sprichwörtliche Katze auf das (Mause-)Loch. Das Blut versiegte tatsächlich schnell. Aber meine Erregung auch.
Ich war jung. Es war meine erste Fist-Erfahrung. Damals habe ich mich geärgert, dass es keinen Ratgeber gab, in dem ich hätte nachlesen können, was einen beim Fisten so alles erwartet: dass manche es wilder mögen, als ich mir das vorgestellt hatte, dass es gar barbarisch wirken kann, dass es an Action viel weniger bietet als die einfachste Wichserei. Dass beim Fisten minutenlang gar nichts passiert, es aber in Sachen Erregung so ziemlich alles übersteigt, was man in seinem kleinen Sexleben so anstellen kann. Ich hätte gerne vorher gewusst, dass Blut zum Fisten in etwa so selbstverständlich dazugehört wie Spucke zum Küssen.
Als ich kurz nach diesem blutigen Zwischenfall das Hotelzimmer verstört verließ, hörte ich, wie John hinter mir den Schlüssel im Schloss herumdrehte. Im Aufzug nach unten hatte ich dann dieses innere Bild: wie das Zimmermädchen am Morgen die Tür öffnete und John tot im Bett fand – verblutet. Und die Polizei würde lange rätseln, wie diese Gewalttat hatte stattfinden können, obwohl die Zimmertür von innen abgeschlossen gewesen war. Erst die Obduktion würde ergeben, dass sich der weltbekannte Dirigent, verheiratet, Vater von drei Kindern, nach den Konzerten stopfen ließ wie ein Truthahn zu Thanksgiving: zweihändig! Eine Katastrophe für die Angehörigen, die es am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen bekämen, aber der Siegeszug für eine (Sex-)Praktik, die sehr zu Unrecht im Rufe von Gewalt und Schmutz und Gefahr steht.
Diese Geschichte wollte ich immer aufschreiben – einen unterhaltsamen Krimi daraus machen, den man ob seines Skandal-Potenzials vielleicht sogar in heterosexuellen Kreisen hätte unter die Leute bringen können. Aber daraus wurde nichts. Stattdessen schrieb ich diesen Ratgeber.
Hand und Fuß: leichter, wenn man weiß, wie man's richtig macht.
Vorwort
Mit einer Hand im Hintern
Klingt nach Western: ein Showdown zwischen den Bergen … Warum machen wir das eigentlich?
Weil ich wissen wollte, was andere für Erfahrungen mit dem Fisten gemacht haben, setzte ich ein Profil bei Gayromeo ein, mit dem ich Interviewpartner suchte. Gemeldet haben sich nicht viele. Die meisten konnten offensichtlich nicht lesen, denn sie suchten einen Sexpartner. Einige verabredeten sich mit mir – tauchten dann aber nie auf –, nur wenige waren bereit, ihre Erfahrungen zu teilen (vielen Dank euch allen).
Um (im wahrsten Sinne des Wortes) mehr first-hand experiences zu sammeln, fragte ich daraufhin in meinem Bekanntenkreis herum, fragte Freunde, ob sie jemand kannten, der bereit wäre, seine Erfahrungen mit mir zu teilen – und stellte überrascht fest, dass mehr von ihnen selbst etwas zu berichten hatten, als ich erwartet hatte.
»Es ist schwer zu beschreiben, was am Fisten so besonders ist. Die Nähe? Endorphine? Ich kann es allenfalls mit Verliebtsein vergleichen. Fisten gibt mir etwas, das ich allein nicht erreichen kann.« (Chris, 64)
Fisten ist keine Praktik mehr nur für Sonderlinge. Man muss nicht die Profile auf Dating-Portalen studieren, um mitzukriegen, dass Fisten kurz davor ist, zum Mainstream zu werden. MisterB., Sexshopbetreiber in Amsterdam und Berlin, verzeichnet über die letzten Jahre eine deutliche Zunahme an jüngerer Kundschaft, die sich mit immer größeren Dildos versorgt. Auch beim Pornolabel Raging Stallion bewerben sich immer mehr jüngere Darsteller um Rollen in Fist-Filmen. Wer weiß, vielleicht wäre der Hersteller des Backfetts Crisco längst Pleite, wenn es nicht so viele eifrige Fister gäbe.
»Mich hat einfach das Unbekannte gereizt. Etwas von der Mehrheit Geächtetes zu tun, gefällt mir irgendwie.« (Georg, 32)
Gleichzeitig aber ist das Unwissen groß. Fisten ist nach wie vor stigmatisiert, und alle, die es praktizieren, fürchten um ihren Ruf, sogar um ihren Job. Wird dieser Praktik und ihren Praktikern doch alles Mögliche nachgesagt: Fisten sei pervers, sei SM, Fister seien HIV-positiv (mehr darüber im Kapitel Mythen).
Was spürt man eigentlich beim Fisten?
Du fragst dich vielleicht, was am Fisten eigentlich geil ist. Zum einen natürlich die Dehnung deines Schließmuskels (au ja, das spürt man – und wie), zum anderen die Reizung der inneren Organe (Prostata, Blase). Aber auch und vor allem die Dehnung deiner Darmmuskulatur. Das eigentliche Gefühl beim Gefistetwerden basiert also auf den Dehnungsreizen, die in der Darmwand ankommen.
Weil selbst unter Freunden nicht übers Fisten gesprochen wird, ist es schwer, an Fakten über diese Technik heranzukommen. In meinen Gesprächen habe ich immer wieder große Wissenslücken entdeckt. Selbst langjährig erfahrene Fister plagen sich mit dem Spülen ab – ein Problem, das durch fundierte Anatomiekenntnisse schnell gelöst werden könnte. Und manche glauben immer noch, wenn sie etwas Pulsierendes im Becken spüren, sie hielten die Aorta in Händen.
»Beim Fisten ist Geben und Nehmen ausgeglichen. Ich bin aktiv, er nur die Faust.« (Jürgen, 53)
So soll dieser Ratgeber nicht nur allen helfen, künftig ein wenig »richtiger« zu fisten, sondern auch mit Vorurteilen und längst überholten Vorstellungen aufzuräumen. Du wirst hier erst mal ausführlich in die Anatomie aller wichtigen Organe eingeführt, ich habe die besten Tipps für Darmspülungen zusammengetragen, werde dir jede Menge lustiger Toys vorstellen und erklären, wie du dein eigenes Gleitmittel herstellst.
»SM? Durchs Gefistetwerden erreiche ich so tiefe Ebenen der Entspannung, dass ich es eher als Meditation bezeichnen würde.« (Mischa, 28)
So funktioniert dieses Buch
Am liebsten hätte ich dich Schritt für Schritt durch das Thema geführt: zunächst das Spülen erklärt, dann die Dehnung, dann wie man jemanden zum Spielen findet – und dich am Ende durch eine Session geleitet. Aber schon für das einfache und schnelle Spülen ist es wichtig, dass du die Anatomie deiner Darmwege kennst …
So habe ich das Buch am Ende dreigeteilt. Bevor wir zur Sache schreiten, liefere ich dir einen Überblick über die Geschichten der vielleicht einzigen Sexpraktik, die Schwule im letzten Jahrhundert zur Kultur beigetragen haben. In Mythen räume ich mit Gerüchten und falschen Vorstellungen rund ums Fisten auf – was dir helfen wird, dich von blockierenden Gefühlen und inneren Verboten zu lösen.
»Wenn ich in Filmen sehe, dass jemand einen ganzen Arm weg-steckt, kriege ich einen Mordsständer.« (Peter, 43)
Im Teil 1 (Den Horizont erweitern– die Vorbereitung)geht es um dich und darum, wie du dich auf den vielleicht größten bisher vorstellbaren Sexakt am besten vorbereitest. In Anatomie führe ich dich dann durch den Unterbauch, denn ohne zu verstehen, wie der aufgebaut ist, stochert man im Dunkeln. Die Tipps im Kapitel Spülungen werden dir helfen, die Vorbereitung auf den eigentlichen Akt dramatisch zu verkürzen. Danach stelle ich dir die notwendige »Hardware« (Hilfsmittel) rund ums Fisten vor. Und dann geht es los mit den Dehnübungen, die dich über die nächsten Monate begleiten werden. Ein Ausflug in die Psyche wird dir zeigen, mit welcher Geisteshaltung du die Dehnübungen unterstützen kannst. Ein Überblick über die möglichen und sinnvollen Stellungen rundet den ersten Teil ab. Das Kapitel Orgasmus diskutiert, was dich beim Fisten eigentlich erwartet.
Im zweiten Teil (Hand anlegen – Anleitung für Anfänger)geht es um dich und einen Partner, um die Session von der aktiven und der passiven Seite aus betrachtet sowie darum, was es als Anfänger alles zu beachten gibt: Wie und wo du Männer findest, mit denen man fisten kann, und wie du feststellst, ob sie dafür überhaupt geeignet sind. Dazu gehört auch das darauffolgende Kapitel, in dem ich dir ausführlich erkläre, welchen Gefahren du dich bei dieser Art von Sex aussetzt.
Der dritte Teil (Schöner Fisten – Anleitung für Fortgeschrittene) ist … eben für Fortgeschrittene. Wenn du eifrig geübt und erste Erfahrungen gesammelt hast, darfst du dort weiterlesen. Vorher nicht! Hörst du? Blättere sofort zurück! Lass die Finger weg!
Das ist natürlich ein Scherz. Lies ruhig auch gleich diesen Teil des Buches. Vielleicht wird das dir die »Zukunft« schmackhaft machen. In jedem Fall wird es dich auf all das vorbereiten, was dir da draußen begegnen wird: Drogen, furchteinflößende Spielzeuge, härtere Gangarten. Außerdem ist die Grenze zwischen Anfängern und Fortgeschrittenen so klar ja gar nicht zu ziehen – eine Mehrzahl der Leser werden die sogenannten »fortgeschrittenen« Techniken nicht mal interessieren.
Tja, und am Ende bist du hoffentlich gut über alle Facetten dieser Sexpraktik informiert, sodass du sie gefahrlos und genussvoll ausüben kannst. Mit Sicherheit jedoch wirst du, wenn du diesen Ratgeber zu Ende gelesen hast, bei dem Sprichwort »Der hat’s ja faustdick hinter den Ohren« ein ganz anderes Bild vor Augen haben …
PS: Du wirst jetzt lachen, aber nirgendwo habe ich passendere Zitate für die Fist-Fibel gefunden als in Goethes Faust. Ein paar davon habe ich übers Buch verstreut.
Geschichten
Von Dr. Faust zum Fisten
Eine Technik des 20. Jahrhunderts mit Wurzeln in der Vergangenheit.
Dildos sind bereits aus der Antike (6. Jh. v. Chr.) bekannt. Aus den Darstellungen und Beschreibungen muss man schlussfolgern, dass sie eher dazu dienten, den Partner voyeuristisch zu stimulieren, anstatt sich selbst damit zu befriedigen. Die Formenvielfalt war schon damals recht ausgeprägt, beispielsweise zeigt ein Vasenbild einen zweiköpfigen Dildo.
Schon vor über dreitausend Jahren wussten die Ägypter um die luststeigernde Wirkung von Dildos. Im alten China fertigte man Kunstpenisse aus Porzellan. Es folgten Dildos aus Leder, Holz, Wachs und Glas. Heute bestehen diese Sexspielzeuge vorwiegend aus Silikon, PVC, Acrylglas, Aluminium und Edelstahl.
Der sogenannte »Dildo« wurde im 18. Jahrhundert als medizinisches Hilfsmittel zur Erweiterung der Vagina vor der Geburt benutzt. Im selben Jahrhundert wurde aber auch der Godemiché erfunden, der sogar so konstruiert war, dass er die männliche Ejakulation imitierte.
Es scheint nur ein kleiner gedanklicher Schritt nötig zu sein, um von der Penetration durch Gegenstände auf die Hände zu kommen. Zumal Frauen sich schon seit Langem fisten lassen, zumindest vaginal. Und dennoch hat es bis in die 1980er Jahre hinein gedauert, bis diese Praktik bekannt genug wurde, dass die dafür erforderliche Hardware industriell hergestellt und großflächig vermarktet wurde.
Der amerikanische Schriftsteller Edmund White erinnert sich, dass der französische Philosoph, Soziologe und Psychologe Michel Foucault (1926–1984) behauptet habe, Faustficken sei das Einzige, was das 20. Jahrhundert zum sexuellen Repertoire hinzugefügt hätte. Und tatsächlich, geht man in der Literatur zurück, liest man Leopold Sacher-Masoch oder Walters Viktorianische Ausschweifungen, so findet man keine Hinweise darauf, dass Männer es schon immer gern mit der Faust getrieben hätten. Fisten als Mainstream mit eigener Szene, für die sogar spezielle Produkte entwickelt wurden, das ist eine Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre.
Hm, wenn ein Dildo passt, müsste auch eine Hand Platz finden.
Faustficken ist das Einzige, was das 20. Jahrhundert dem sexuellen Repertoire hinzugefügt hat.
Edmund White und Charles Silverstein haben schon 1977 in ihrem Buch TheJoy of Gay Sex über das Fisten geschrieben. Der erste Satz zum Thema lautet: »It’s extremely dangerous«. Fisten war Ende der 70er Jahre in Amerika bereits so weit verbreitet, dass es einen Club gab, den FFA, Fist Fuckers of America (Lustigerweise trug eine Vereinigung der ganz anderen Art dieselben Initialen: Future Farmers of America, die künftigen Bauern von Amerika). Und das Fisten ist dort so detailliert beschrieben, dass es scheint, die beiden hätten auf einen größeren Erfahrungsschatz zurückgegegriffen. »Trotz der offensichtlichen, hinreichend publizierten Gefahren wird Faustficken immer populärer, üblicherweise als eine Unterart des Sadomasochismus«, schreiben die Autoren in The Joy of Gay Sex weiter.
Larry Kramer geht in seinem umstrittenen Roman Faggots (deutsch: Schwuchteln) von 1978 ausführlich auf das Fisten ein. Robert Mapplethorpe dürfte zu den Ersten zählen, die es wagten, diese Sexpraktik fotografisch festzuhalten und die Fotos als Kunst zu verkaufen. Tom Bianchi hat schon Anfang der 70er Jahre auf Fire Island Fist-Szenen fotografiert. Und der Schauspieler Knut Koch meint sich in seiner Autobiografie Barfuß als Prinz zu erinnern, dass das Fisten zusammen mit den Slings nach Europa kam. »Als die ersten Saunen Slings aufhängten, wurde gefistet.«
Auch die Bezeichnung »fisten« verweist auf den Ursprung der Praktik in den USA. Alternativ werden auch die Begriffe fisting, fistfucking (zu Deutsch »faustficken«) oder handballing verwendet – was viel harmloser klingt und der Technik in meinen Augen viel mehr entspricht, denn es geht ja doch zumindest großteils darum, mit der Hand zu ficken.
Ich habe mir erzählen lassen, dass es damals noch sehr »einfach« zuging. Ans Spülen hat man angeblich noch nicht gedacht. Den Darm zu reinigen, gehörte quasi mit zum Spiel: Mit dem ersten Handschuh wurde er entleert, mit dem zweiten dann gedehnt.
San Francisco gilt als Epizentrum dieser »neuen Strömung«, einfach weil ab den 1960er Jahren so viele Schwule dorthin zogen, dass eine Dichte erreicht wurde, die eine Diversifizierung und Ausdifferenzierung in verschiedene sexuelle Spielarten möglich machte. Im Zuge der zweiten sexuellen Revolution ab 1968 war Fisten natürlich etwas, mit dem man sehr viel mehr provozieren konnte als mit Händchenhalten und Küssen. Es war radikal – auf politischer Ebene, aber eben auch auf emotionaler.
Bis in die 80er Jahre hinein wurde dadurch viel Wissen angesammelt: wie man Einläufe mit verschiedenen Zusätzen (Tee, Kaffee, Drogen) interessanter macht, dass man Backfett gekühlt besser durch den Schließmuskel einführen kann (sogenannte Crisco bunnies) etc.
Mit Aids wandelte sich die Szene. Das Fisten verlor – wie alle anderen Arten des Sex zwischen Schwulen – an Beliebtheit. San Francisco war nicht mehr länger der Mittelpunkt der schwulen Welt. Das Wissen ging nach und nach verloren.
Seit der Jahrtausendwende halten Sexshops allerlei bereit, was angeblich speziell fürs Fisten entwickelt wurde: Schließmuskeldehner, Spülgerätschaften, Gleitmittel. Was davon sinnvoll ist, schauen wir uns in den nächsten Kapiteln an.
Mythen
Glauben heißt: nicht wissen
Um kaum eine Freizeitbeschäftigung ranken sich so viele Mythen wie um den Sex – um Fisten ganz besonders.
Fisten, das Einführen einer Hand in das Rektum, wirkt martialisch. Hört man dabei noch die Urlaute, die der Kehle des Passiven entsteigen, könnte man annehmen, dass die Sexpraktik etwas Gewalttätiges an sich habe. Dieser Anschein könnte vom Erleben unterschiedlicher nicht sein. Aber in der Spanne zwischen dem, wie es aussieht, und dem, wie es sich anfühlt, ist reichlich Raum für Mythen, Theorien und Fantasien, die meist auf unreflektierten Ängsten basieren.
Es ist bei jeder Art von Sex schwer, ihn ohne Beurteilung gelten zu lassen – bei einer Praktik wie dem Fisten fällt das noch schwerer. Schon weil sie instinktgetriebener ist und schlechter verstandesmäßig kontrolliert werden kann (was beim Ficken und Blasen leichter möglich ist). Hinzu kommt das eigene Rollenverständnis, das gesellschaftliche obendrein. Wer ist Mann, wer ist Frau? Wer liefert sich wem aus und warum? Zudem fördert es natürlich kein bisschen die gesellschaftliche Akzeptanz der Homos, wenn sie mit Sexpraktiken an die Öffentlichkeit treten, die »Heteros« mit Sicherheit abstoßend finden (als hätte die Homosexualität etwas mit dem Lustempfinden im Hintern zu tun).
Viele halten Fisten für Gewalt, der man wehrlos ausliefert ist.
Angst, Angst, Angst
Es gibt, glaube ich, kaum eine boshaftere und missgünstigere Gruppierung in unserer Gesellschaft als die schwule Szene. Jede sexuelle Vorliebe, jede Art, sich zu kleiden oder sich zu geben, wird gleich mit einem Unwort bedacht. So werden Fister als Fist-Elsen (harmlos) oder Fist-Kühe (schon nicht mehr so nett) bezeichnet. Schlimmer ist jedoch, dass Menschen, die das Spiel mit der Faust schätzen, allerlei pathologische Züge unterstellt werden: dass nur alte Männer, die keinen mehr ab- oder keinen mehr hochkriegen, sich fisten lassen, dass alle Fister HIV-positiv sind oder Windeln tragen müssen, weil sie inkontinent geworden sind. Witzigerweise bekomme ich auch von Männern abartige Kommentare übers Fisten zu hören, die selbst ständig auf der Suche nach größeren Schwänzen oder Dildos sind, um sich damit durchknallen zu lassen.
Es fisten nur die Alten!
Ich habe lange geglaubt, dass Fisten nur eine logische Konsequenz von jahrelangem Analverkehr ist. Weil eine Rosette durch viel Rammeln keine Spannung mehr halten kann, muss eine Faust her. Aber das ist völliger Unsinn. Wenn man es genießt, gefickt zu werden, führt das keineswegs zu einem ausgeleierten Schließmuskel – vorausgesetzt, man macht es richtig.
Das tut doch höllisch weh!
… ist eine subjektive Bewertung. Ja, ich habe niemanden kennengelernt, der behauptet hat, Gefistetwerden hätte ihn von Anfang an nur geil gemacht. Das Gedehntwerden ist ein neues Gefühl. Dass es als lustvoll und geil empfunden wird, beweisen tausende Fister tagtäglich. Vielleicht wirst auch du bald zu ihnen gehören. Am Anfang jedoch bedarf es durchaus einer gewissen Affinität zum Schmerz, einer Bereitschaft, sich auf Empfindungen einzulassen, die man erst einmal als schmerzhaft bewerten würde – um sie dann für sich umzuinterpretieren.
Es fisten nur Ledermänner!
Fisten wird meist als brutal dargestellt. Man lässt sich eine Faust in den Hintern knallen, die Backen werden gespreizt, und irgendwann hängst der halbe Darm raus … Fisten ist eine Extremsportart, für die man eine Vorliebe zum Schmerz haben muss. Schmerzen halten nur echte Männer aus, Ledermänner.
Aber auch das ist völliger Unfug. Fisten erfordert sehr viel weniger den Genuss an Schmerzen als die Fähigkeit zu entspannen, die Gedanken loszulassen, sich hinzugeben. Und das können allenfalls jene am besten, die sich mit Meditation, mit fernöstlichen Entspannungsmethoden beschäftigen. Das können natürlich auch Ledermänner sein, aber auch jede andere Art von Mann.
Sie lassen sich fisten, weil sie keinen hochkriegen!
In der Tat sieht man sehr oft, dass Fistees (also die, die gefistet werden) keinen Steifen haben, während der Partner mit dem Arm in ihnen steckt. Das liegt aber nicht an einer Unfähigkeit zur Erektion, sondern daran, dass man als Fistee so mit seinem Hintern und den Empfindungen beschäftigt ist, die den gesamten Körper durchfluten, dass man die Erektion verliert. Das ist aber kein Problem, weil eine Erektion beim Fisten ohnehin nicht notwendig ist.
Wer fistet, wird sich früher oder später mit HIV infizieren!