Flashmans Feldzug - George MacDonald Fraser - E-Book

Flashmans Feldzug E-Book

George MacDonald Fraser

0,0

Beschreibung

Der vorliegende Roman ist der 11. und letzte, den George MacDonald Fraser geschrieben hat. Beim Erscheinen des Buches, das im Hardcover mehr verkaufte als jeder Flashman-Roman zuvor, war er 80 Jahre alt und bestens in Form. Zuvor hatten einige Kritiker behauptet, Flashy sei in den letzten Büchern weiser und milder geworden. Fraser dazu: „Ich glaube, er ist etwas erwachsener geworden. Das hat zweifellos mit meinem eigenen Alterungsprozess zu tun. Aber ich denke nicht, dass er netter geworden ist." Und wie stand er zu Flashman? „Ich lebe jetzt mit ihm seit fast vierzig Jahren. Ich habe natürlich große Empfindungen für ihn, aber ich glaube nicht, dass ich ihn sehr gemocht hätte. Aber ich teile seine allgemeinen philosophischen Ansichten. Ich bin eher Zyniker und glaube nicht an das Gute im Menschen." Tatsächlich neigt Flashy im Spätwerk zu milderen Ansichten. Flashmans Feldzug gehört zu den interessantesten der Serie und veranlasste den amerikanischen Schriftsteller John Updike zu einer Würdigung. Fraser war inzwischen eine anerkannte literarische Größe und erfreute sich gerade unter Historikern große Popularität. Die Äthiopien-Expedition, die unter die „Little Wars" des Empires eingeordnet wird, gehörte zu den obskursten Unternehmungen der Briten. Bei uns ist dieser Feldzug fast unbekannt, was umso mehr verwundert, da unter den Geiseln und Zeugen sowohl Deutsche, Österreicher und Schweizer waren. Es gibt einige Parallelen zur heutigen Kriegsführung: Als Geiselbefreiungsaktion gilt er als erste große humanitäre Intervention der Weltgeschichte. Deutlich zeigt sich in ihm die in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts beginnende Industrialisierung des Krieges. Durch die Teilnahme zahlreicher Journalisten war der Feldzug auch ein frühes Beispiel des „embedded journalism". Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen begleiteten die Armee, um Kulturgüter zu rauben und Erkenntnisse über ein unbekanntes Land zu gewinnen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 630

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



George MacDonald Fraser

Flashmans Feldzug

Die Flashman Manuskripte, Band 11

Kuebler Verlag

DAS BUCH

Der britische Feldzug in Abessinien gehört wohl zu den ungewöhnlichsten der Militärgeschichte. Ursache dafür war, dass der abessinische König Theodor II. sich beleidigt fühlte, da ein Brief von ihm an Königin Victoria unbeantwortet blieb. Daraufhin nahm er europäische Geiseln. Die Briten rüsteten eine Strafexpedition aus: 12.000 Mann und 30.000 Lasttiere wurden in Zulla am Roten Meer angelandet und Harry Flashman spielt dabei eine ungewollte, aber wichtige Rolle.

Der vorliegende Roman ist der 11. und letzte, den George MacDonald Fraser geschrieben hat.

DER AUTOR

George MacDonald Fraser wurde vor allem berühmt durch die „Flashman Manuskripte“, einer Serie genau recherchierter historischer Romane. Dabei handelt es sich um die fiktiven Memoiren von Sir Harry Flashman, einem hoch dekorierten britischen Offizier im Ruhestand, der auf seine Abenteuer zwischen 1840 und 1890 zurückblickt, die ihn unter anderem mit Bismarck, Abraham Lincoln, Crazy Horse, General Custer, Lola Montez und vielen anderen zusammengeführt hatte. Geboren wurde Fraser 1925, er war Soldat und kämpfte in Burma. Er wurde Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor (unter anderen „Die drei Musketiere“ und den James-Bond-Film „Octopussy“). Er starb 2008.

Abessinien

Abessinien war zur Zeit der Handlung ein Königreich auf dem Gebiet der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea. Es war der einzige afrikanische Staat, der sich erfolgreich gegen den Kolonialismus wehren konnte..

George Macdonald Fraser

Flashmans Feldzug

Flashman in Abessinien, 1867-68

Band 11 der Reihe „Die Flashman Manuskripte“

Aus den nachgelassenen Papieren Harry Flashmans

Herausgegeben und bearbeitet von

George MacDonald Fraser

Herausgeber der deutschen Ausgabe: Martin Compart

Ins Deutsche übertragen von Corinna Fuchs

Impressum

Weitere Informationen: www.kueblerverlag.de

Ungekürzte deutsche Erstausgabe

Copyright © 2016 der deutschen Ausgabe by Kuebler Verlag GmbH, Lampertheim

Copyright © 1990 by George MacDonald Fraser,

FLASHMAN ON THE MARCH

Übersetzung aus dem Englischen von Corinna Fuchs. Herausgeber der deutschen Ausgabe

der Flashman-Manuskripte: Martin Compart.

Umschlaggestaltung: Grafissimo! Daniela Hertel.

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Einscannen oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

ISBN Printausgabe 978-3-942270-84-7

ISBN Digitalbuch, EPUB: 978-3-86346-121-8

Vorbemerkung

In den Feldzügen, die in den ersten zehn Paketen seiner autobiografischen Aufzeichnungen behandelt werden – Afghanistan, der Erste Sikhkrieg, der Krimkrieg, Indischer Aufstand, Brooks Expedition gegen die Piraten von Borneo, der Marsch auf Peking, Custers Debakel am Little Big Horn, war Sir Harry Flashman V.C. usw., der berüchtigte viktorianische Held und Hasenfuß, ein widerwilliger und oft auch voreingenommener Augenzeuge von Ereignissen der Geschichte, die sich um ihn herum entfalteten.

Nicht so im Abessinienkrieg von 1868, mit Sicherheit der seltsamste aller imperialen Feldzüge, als eine britisch-indische Armee in eines der am wenigsten bekannten und gefährlichsten Länder der Welt einmarschierte und sich trotz unüberwindlich erscheinender Widerstände und negativster Vorhersagen ihren Weg durch steiniges Gelände und schroffe Gebirgsgegenden zu ihrem Ziel bahnte, dort taten, wofür sie hergekommen waren, und dann wieder abzogen – mit kaum einem Mann an Verlusten.

Vielleicht gibt es in der ganzen Kriegsgeschichte keinen glänzenderen Erfolg. Zwölftausend Mann waren dafür nötig, eine mächtige Flotte, neun Millionen Pfund (damals eine atemberaubende Summe), eine präzise wenn auch extravagante Organisation und einen herausragenden alten Soldaten – und das alles, um eine winzige Gruppe britischer Bürger aus der Gefangenschaft eines verrückten afrikanischen Monsters von einem König zu befreien. So waren, um Flashman zu zitieren, halt die Zeiten.

Aber selbst wenn er nicht Teil des eigentlichen Feldzugs war, von Flashmans Rolle hingen Erfolg oder Misserfolg des ganzen Unternehmens ab: Seine Aufklärungsmission setzte ihn einer Reihe schrecklicher Gefahren aus (manche davon waren selbst ihm neu), in einem vom Krieg heimgesuchten Land voller Rätsel, Verrat, Intrigen, einsamer Burgen, Geisterstädte, den schönsten (und wildesten) Frauen in Afrika und schließlich geriet er in die Fänge eines verrückten Tyrannen in einer Festung am rückwärtigen Teil des Jenseits. All das berichtet er in seiner schon bekannten schamlosen Ehrlichkeit, und mit dem Licht, das er auf ein einmaliges Kapitel der imperialen Geschichte wirft, lädt er zu einem Vergleich mit späteren, weit weniger glorreichen Zeiten ein.

Denn Flashmans Geschichte kreist um eine Britische Armee, die aus guter, ehrlicher Absicht ausgeschickt wurde, von einer Regierung, die wusste, was Ehre hieß. Sie wurden nicht losgeschickt, ohne dass es an höherer Stelle peinliche Fehlentscheidungen gab oder Verzögerungen, bis jede Hoffnung auf eine friedliche Beilegung zu Grabe getragen war. Die Angst vor einer Katastrophe hing über dieser Expedition, aber das britische Volk stand voll hinter ihr. Kein Politiker hat daraus Vorteil oder Profit gezogen. Es gab keine messianischen Ansprachen. Es gab keine falschen Rechtfertigungen, Täuschungen, Verdeckungen oder Lügen, nur die Erfüllung der ersten Pflicht einer Regierung: ihre Bevölkerung zu schützen, egal, was es kostet. Um Flashman noch einmal zu zitieren, so waren halt die Zeiten.

Wie bei den anderen Papieren auch, habe ich nur seine Orthografie verbessert, was in diesem speziellen Fall bedeutet, ich habe die bizarre Schreibweise seiner abessinischen Eigennamen vereinheitlicht.

George MacDonald Fraser

Kapitel 2

Sollten Sie meine früheren Memoiren gelesen haben, dürften Sie mich besser kennen als Speedicut und demnach auch nicht seine Bedenken teilen, mir eine kühle halbe Million in Silber anzuvertrauen. Der alte Flash mag ein Paradebeispiel der schlimmsten Laster sein – Unzucht, Verrat, Feigheit, Betrug und Werteverfall, alle zutreffend, wie Sie wissen, und dies ist womöglich nicht einmal die Hälfte, doch schwerer Diebstahl gehört mitnichten dazu. Eine zwingende Notwendigkeit hat mich vielleicht schon mal dazu verleitet, bei der einen oder anderen Gelegenheit etwas einzustecken, aber niemals im großen Stil. Wie Sie sich vielleicht erinnern, bot sich mir einst die Chance, den Koh-i-Noor-Diamanten[13] an mich zu reißen, aber nicht für den Hauch einer Sekunde war ich versucht es zu tun. Wenn es eine Sache gibt, die ein ausgemachter Feigling wie ich wertschätzt, ist es Seelenfrieden, und als Gesetzloser auf der Flucht lässt sich dieser nur schwer erreichen. Davon abgesehen, einen Diamanten einzustecken ist eine Sache, doch stapelweise Geldkassetten, die weiß Gott wieviel wiegen und von fünf stattlichen Burschen bewacht werden, eine völlig andere.

Speed hatte ganz unbekümmert von einem kurzen Halt in Alexandria gesprochen. Nicht ahnend, dass unsere Reise dorthin, mit diesen dilettantischen Dagos, die mit unserem Schiff zwischen dem Absatz des italienischen Stiefels und Kreta planlos hin und her kreuzten, nun schon fast zweitausend Meilen andauerte. Die Hälfte der Zeit, die mir eingeräumt wurde, um Napier zu erreichen, war bereits verstrichen, als Ägypten in Sichtweite lag. Zwar halte ich es nur für einen sandbedeckten Misthaufen, doch war ich heilfroh ihn nach dieser todlangweiligen Überfahrt endlich zu erblicken. Außerdem sollte es dieses Mal keinen trostlosen Zug durch die Wüste geben. Die Reise per Kamel war eine Strafe, die ich in vergangenen Zeiten über mich ergehen lassen musste, doch nun gab es eine Zugverbindung für den ganzen Weg von Alex nach Suez über Kairo. Was einst eine tagewährende, gesäßfeindliche Unbequemlichkeit verhieß, war heute, dank unserer Ingenieure, die trotz wütender französischer Opposition die Konzession gewannen, eine lediglich achtstündige Zugfahrt. Sie waren überaus eifersüchtig auf den großen Kanal der Franzosen, der noch im selben Jahr fertiggestellt werden sollte. Arbeitskolonnen aus Tausenden von unglücklichen Fellachen wurden in den letzten Monaten seiner Vollendung gnadenlos ausgepeitscht, denn er bestand, bis auf die Namensgebung, ausschließlich aus Sklavenarbeit.[14]

Wir verweilten nicht lange in Alexandria. Ägypten dürfte der letzte Ort auf der Welt sein, an dem man eine Fracht voller Wertgegenstände mit sich führen möchte. Daher machte ich auch nur einen kurzen Abstecher ins Hôtel de l'Europe, um ein Bad und ein annehmbares Frühstück zu genießen. Der Feldwebel war in der Zwischenzeit damit beschäftigt, einige örtliche Eseltreiber aufzuspüren, die unsere Kisten zum Bahnhof befördern sollten.

Bald darauf zuckelten wir los. Vier Stunden nach Kairo, weitere vier im Express Richtung Suez, und noch vor Einbruch der Dunkelheit wurde ich beim Hafenkapitän vorstellig und dinierte im Speiseraum der Marine. Abessinien war in aller Munde und als es die Runde machte, dass der gefeierte Flashy General Napier seine Kriegskasse liefern sollte,[15] legte man sich mächtig ins Zeug. Man stellte mir eine dampfbetriebene Schaluppe zur Verfügung, unter dem Kommando eines fröhlichen Jünglings namens Ballantyne. Sein blonder Schopf war von der Sonne schon ganz ausgeblichen und auch die sonnenverbrannte Nase pellte sich leicht. Seine Männer wuchteten die Geldkassetten an Bord und verstauten sie sogleich unter Deck. Die Ledernacken mussten mit den beengten Verhältnissen unterm Vorschiff vorliebnehmen und bei Sonnenaufgang brausten wir den Golf von Suez hinunter Richtung Rotes Meer. Somit lagen zwischen unserer Ankunft und Abfahrt aus Ägypten nicht einmal vierundzwanzig Stunden, was immer noch ein Tag zu viel ist.

Der Golf von Suez ist an seiner schmalsten Stelle nicht breiter als zehn Meilen und Ballantyne, der so berauscht und sprudelnd in seinem jugendlichen Übermut war, wie es ein Einundzwanzigjähriger mit eigenem Kommando nur sein konnte, berichtete mir stolz, dass die Kinder Israels an dieser Stelle die berühmte Überquerung beim Auszug aus Ägypten vollzogen hatten. „Aber das ist alles Geschwätz mit der Teilung des Meeres und der ertrunkenen Armee des Pharaos, sage ich Euch. Es gibt Stellen, an denen man bei Ebbe von Ägypten bis zum Sinai laufen kann, und ein alter schwarzer Zigeuner hat mir verraten, dass sie auch nicht vom Pharao verfolgt wurden, sondern von einer Horde gemeiner arabischer Beduinen. Nachdem es Moses bei niedrigem Wasserstand auf die andere Seite geschafft hatte, kam die Flut, und die Bedus sind verdienterweise alle ertrunken. Es wurde auch kein ein verflixter Streitwagen entdeckt, als das Wasser wieder ablief. Da habt Ihr's doch!“[16]

Sein Bootsmann sagte, er bäte um Verzeihung, Sir, aber das sei Gotteslästerung, und so entbrannte zwischen beiden eine hitzige Diskussion, worauf die Seemänner grinsten und flachsten und mein Ledernacken-Feldwebel finster und missbilligend dreinblickte. Er war die freie und unverfängliche Art dieser Navy-Jungspunde nicht gewöhnt, die nicht anders konnten, als ihre Unterstufenattitüde mit auf See zu bringen und sich eher wie der Kapitän einer Fußballmannschaft aufführten als der einer Schiffscrew. Aber es ist doch ganz offensichtlich: der junge Kornett oder Fähnrich, der zum ersten Mal zu seinem Regiment stieß, wurde Teil einer Welt aus steifer Formalität und Disziplin, und hier war dieser Kerl, gerade dem Backfischalter entwachsen, der ein kleines schwimmendes Königreich sein Eigen nannte und entsandt wurde, um Sklavenhändler und Piraten zu bekämpfen, Schmuggler zu jagen, Pilger zu schützen und nicht zuletzt den wertvollen Silberbestand zu geleiten, auf dem die Hoffnung der gesamten britischen Armee ruhte – und das ohne Vorgesetzten, den er um Rat oder Hilfe bitten konnte. Er musste sich vollkommen auf den eigenen Verstand verlassen. Der junge Ballantyne folgte keinen Befehlen, da es außer seinem Reisemandat keine gab. Seine Mannschaft war ausnahmslos älter als er, aber er musste mit ihnen durch dick und dünn gehen, ihre Sorgen und Ängste teilen, ihr Vertrauen gewinnen und sie dazu bringen ihn zu mögen, weil das seine Stellung verlangte. Wenn er ihnen „Los!“ befahl, mussten sie ihm folgen. Sogar in den Tod.

Ich hatte nie bei der Navy gedient. Soldaten sind durch Reserviertheit und ein kriegerisches Aussehen leicht zu täuschen, aber ein Seemann hätte mich durchschaut, bevor wir die nächste Sandbank überquerten. Das ist die verflixte Sache mit dem Leben an Bord eines Schiffs – man kann weder Körper noch Geist verbergen.

Am zweiten Tag auf See, kurz nach dem wir die Ras Mohammed Südspitze der Sinai-Halbinsel passierten, bekamen wir eine Kostprobe von Ballantyne geboten. Der Ausguck im Bug erspähte ein flaches, schäbig aussehendes Boot mit großem Lateinersegel, welches abrupt den Kurs änderte, als es von uns Kenntnis nahm und auf eine kleine Inselgruppe nahe der ägyptischen Küste zusteuerte.

„Ein Sklavenhändler, darauf verwette ich meinen Hut!“, rief der junge Nelson. „Bootsmann, macht die Kanone klar! Tomkins, öffnen Sie die Waffentruhe! Sir Harry, ich würde es begrüßen, wenn sich auf jeder Seite zwei Ihrer Männer positionieren könnten, für den Fall, dass wir schießen müssen. Tally-ho!“ Er packte das Steuer, während sein Maschinist den Kessel befeuerte und die kleine Schaluppe daraufhin geradezu über das Wasser flog. Ballantynes Arbeiter wirbelten unter Deck und tauchten kurz darauf wieder auf, die Arme beladen mit Knarren und Entermessern. Wie gefordert, wies ich meinen Feldwebel an, sein Gefolge an der Reling aufzustellen, womit ich seiner Militärseele einen echten Schock versetzte. Er selbst hatte ihnen nämlich gerade erst den Befehl gegeben, sich Hüte und Jacken anzuziehen. Aber wenn die afrikanische Sonne so auf einen runterbrennt, schießt man in einem langärmligen Oberhemd einfach genauer.

Doch dazu kam es nicht, denn die Sklavenhändler erreichten noch vor uns ein felsiges Eiland und verließen mit ihrem menschlichen Frachtgut fluchtartig das Schiff. Wir waren noch immer eine halbe Meile entfernt und unfähig einzugreifen, als ein Dutzend weißgewandeter Araber und mehr als hundert nackte Schwarze – Männer, Frauen und Kinder – die Küste hinaufstolperten und zwischen den Felsvorsprüngen verschwanden. Wir konnten ihre Schreie hören und das Knallen der Karbatschen, als die Händler sie weiter vorantrieben. Wir drehten bei, um einen Schuss auf das Land abzufeuern, worauf sich ihr Anführer umdrehte und unser Vorhaben mit Spott und obszönen Gesten quittierte. Ballantyne schäumte vor Wut und drohte ihm mit der Faust.

„Ihr widerlichen Bastarde! Das werdet ihr noch bereuen!“, brüllte er, so dass sich seine Stimme fast überschlug. „Bootsmann, haltet die Kanone bereit – nein, wartet noch! Marines, zielt auf diesen Hundesohn – nein, wartet noch!“ Der Anführer der Bande hatte eines der Kinder an sich gerissen und wie einen Schutzschild hochgehalten. Seine Schurken folgten diesem Beispiel oder mischten sich unter die aufgeschreckten Sklaven, so dass uns eine freie Schussbahn verwehrt blieb.

„Oh, ihr Halunken!“, pöbelte Ballantyne. „Ihr feigen Schweine! Ihr werdet uns nicht entkommen! Macht das Boot klar, Bootsmann! Haltet eure Messer bereit, Männer! Wir werden uns rächen, ihr gemeinen schwarzen Unholde! Sie können nicht mit all den Sklaven vor uns weglaufen! Pistolen, Tomkins, ich brauche zwei. Und zwei für Sir Harry – und ein Messer! Wir werden sie in Nullkommanichts zerlegen, nicht wahr, Sir? Haha!“

Er war so blutrünstig, dass er es kaum erwarten konnte, Hand an den Feind zu legen und es mir deshalb auch fast leidtat, als ich ihm den Spaß verderben musste. Ich wäre erledigt, wenn ich mich auf ein Hauen und Stechen mit diesen verzweifelten Barbaren einließ. Aber ich besaß die perfekte Entschuldigung, um mich über seine Anweisung hinwegzusetzen. Ich gab dem Bootsmann den Befehl, die Maschinen stoppen zu lassen und unterbrach damit Ballantynes falsettartiges Gezeter.

„Verzeiht, mein Bester, aber es geht nicht! Wir führen die Kriegskasse der Armee mit uns und können sie nicht wegen ein paar lausiger Schurken aufs Spiel setzen!“

„Aber wir könnten ihnen in Windeseile den Garaus machen und diese armen Seelen retten!“, konterte er. „Wir haben das schon mal gemacht, wissen Sie! Der Bootsmann könnte Ihnen …“

„Nun, heute werden Sie es unterlassen“, entgegnete ich, worauf er das hohe C anschlug. Der Bootsmann schüttelte den Kopf und sagte zustimmend, ich bitte vielmals um Verzeihung, Sir, aber wir können den Verlust der Taler unter keinen Umständen riskieren. Ballantyne schien gleich in Tränen auszubrechen, gab sich aber keine Blöße.

„Wohl wahr, Sir Harry. Ich war nicht ganz Herr meiner Sinne! Verzeiht meine Gedankenlosigkeit. Trotzdem sage ich, wir könnten zumindest das Boot dieser Halunken in den Grund bohren! Das macht ihren Handel zunichte. Bootsmann, macht die Kanone klar!“

„Was ist mit den Sklaven, Sir?“, fragte dieser. „Diesen schwarzen Teufeln ist es zuzutrauen, dass sie ihnen aus Trotz die Kehlen durchschneiden, wenn wir ihr Schiff versenken.“

Ballantyne ließ sich das Gesagte für gute zwei Sekunden durch den Kopf gehen, sorgsam abwägend, ob er als Hans dem Hänschen eine mitgeben oder ihn zu hundert Zeilen Vergil verdonnern sollte. Dann blaffte er: „Nein. Wenn wir sie nicht aufhalten, werden sie diese armen Kreaturen verkaufen wie Vieh. Sie können gar nicht schlimmer dran sein, gestrandet mit diesen Unmenschen. Ein Höllenschiff mit schwarzem Elfenbein weniger!“

Der Bootsmann tippte sich an den Hut, merkte aber an, dass es mit unserer 6-Pfünder wohl den ganzen Tag dauern würde, bis die Holzplanken des Sklavenhändlerboots durchschlagen wären. „Dann verbrennt das Scheißding!“, schrie Ballantyne, worauf er zwei seiner Männer in einem Beiboot entsandte, die das Schiff der Sklavenhändler in Flammen setzten. Es brannte lichterloh wie der Fackelzug in der Bonfire Night, was die Schurken am Felshang hilflos aufschreien ließ. Wir gingen auf Distanz und Ballantyne schwor ihnen lauthals Rache.

„Zu schade!“, seufzte er. „Die feigen Grobiane schaffen es immer bis zur nächsten Küste, aber wir haben sie verfolgt und hätten die Sklaven mit Leichtigkeit befreien können. Diese hasenfüßigen Halunken hätten sie niemals mit der Waffe verteidigt!“ Er schaute zurück zur Küste und dem brennenden Boot. „Aye, diese Bestien hocken immer noch zwischen den Felsen. Man muss auf der Hut sein, wissen Sie. Ein alter Kumpan, Jack Legerwood, ist so einer Bande vor ein paar Monaten zu weit gefolgt. Sie haben ihn erwischt und den armen Kerl in seine Einzelteile zerlegt. Herrgott, wenn ich sie nur zu fassen bekäme!“

Sie wissen ja, wie ich über Heldentaten denke. Ich würde nicht einen Finger krümmen, um ein paar mittellose Schwarze vor der Sklaverei zu bewahren. Wahrscheinlich auch kein schlechteres Leben als in einem Drecksloch in der Wüste und wohl eine angenehme Abwechslung für die Damen, die ein neues Zuhause in irgendeinem Harem finden. Ich sagte dies auch zu Ballantyne, worauf er hingegen puterrot anlief und „Ach was!“ schnaubte, arnoldscher Paladin, der er war, unerschütterlich loyal, reinen Herzens und voll christlichen Eifers, seinen Nächsten zu lieben und allen Ungläubigen mit größtem Vergnügen ein jähes Ende zu bereiten.

Aber ich will mich nicht über ihn mokieren, jedenfalls nicht zu sehr. Ich habe weitaus mehr für ihn und seinesgleichen übrig, als für diese psalmdreschenden Bibelfanatiker, die Lippenbekenntnisse ablegen, um die Heiden vom falschen Weg abzubringen, predigen und ihre zwei Pfennig der Antisklavengesellschaft beisteuern, aber niemals einen Gedanken an den jungen Ballantyne verschwenden, der die Seewege für die Zivilisation freihält oder Jack Legerwood, der einen Tod sterben musste, den man nicht mal seinem ärgsten Feind wünscht. Ich habe sie sogar wie meinen alten Schiffskameraden Brooke lästern hören, man solle erst schießen und dann fragen und über Sklavenjäger, Piraten und Briganten wie der Zorn Gottes kommen. Aus der Entfernung ist es immer ein Leichtes andere zu tadeln, aber ich habe sie in den Grenzgebieten gesehen. Halbstarke, noch mit Flaum auf den Wangen, die Männerarbeit verrichten, dafür aber bezahlt werden wie Sidiboys[17] und häufig noch vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag die Kugel bekommen – ich hatte gerade erst einen erlebt. Noch nicht alt genug zum Wählen, aber die erdrückende Last auf den Schultern, darüber entscheiden zu müssen, was mit Hunderten von schwarzen Leben geschehen soll. Eine furchtbare Frage, der seine ehrwürdigen Vorgesetzten zu Hause geflissentlich ausweichen würden. Ich bin übrigens der Meinung, dass er Recht hatte, und ich spreche aus der Erfahrung von jemandem, der die Verantwortung unzählige Male von sich weggeschoben hat. Aber die Ballantynes und Legerwoods dieser Welt taten dies nicht, und wenn der Sklavenhandel von unseren Meeren verschwinden sollte, war dies nicht wirklich der Arbeit von Reformatoren und Staatsmännern geschuldet, mit ihren hochtrabenden Idealen in London, Paris und Washington, sondern der lange vergessenen Heerschar ziemlich nutzloser junger Briten, die sich gerne damit die Zeit vertrieben. Sie dürfen den Geschichtsschreibern gerne ausrichten, dass dies meine Worte sind.

Vom Sinai bis zum abessinischen Hafen Zoola sind es ungefähr tausend Meilen und ich hatte angenommen, dass unsere muntere kleine Dampfmaschine diese Distanz in Windeseile zurücklegen würde, aber ich hatte mich geirrt. Auf halber Strecke schlug der Kessel leck und es ist der Barmherzigkeit des lieben Gottes zu verdanken, dass wir kurz vor Dschiddah lagen. Zu diesen Zeiten war es der einzige Ort entlang der ganzen gottverlassenen Roten-Meeres-Küste, der überhaupt einen Fliegenschiss wert war – als der Hafen, in dem die Muslime von Bord gingen, um weiter nach Mekka zu pilgern, das ein paar Tagesmärsche landeinwärts liegt.

Konsequenterweise wimmelte es daher von muslimischen Gläubigen, die in jeder Art von Boot, seien es chinesische Dschunken, altertümliche Dampfer bis hin zu Feluken und Dingis, an- und abreisten. Wir hatten dort einen Konsul stationiert und die Navy war immer abrufbereit. Sie nutzen diesen Ort als Stützpunkt mit einem Vorratslager und einer Schmiede, in der auch unser Maschinist seinen Kessel flicken lassen konnte.

Dort gibt es einen Ort namens El Golea, in den Tiefen der Sahara, von dem behauptet wird, er sei der heißeste Fleck der Erde. Ich hingegen würde mein Geld auf Dschiddah setzen oder irgendwo anders am Roten Meer, wenn wir schon dabei sind. Tagelang kamen wir fast um vor Hitze und der Bootsmann gewann eine Wette mit den Marines, als er auf dem Deck ein Ei briet.

Das Hafenviertel war ein heilloses Durcheinander aus den unterschiedlichsten Booten und die Stadt selbst schien unter der riesigen Horde von Pilgern förmlich zu ersticken. Sie hatten sie in einen menschlichen Ameisenhaufen verwandelt, aus dem Hitze und Gestank stoßwellenartig herausquollen und ich könnte schwören, dass sie über den berühmten weißen Mauern sogar sichtbar wurden. Keuchend lag ich unter einer Markise und versuchte dabei den ohrenbetäubenden Lärm von einer Million umherlaufender Nigger, mit ihrem Rufen und Klagen, zu ignorieren. Ich blätterte durch eine alte Ausgabe des Punch, in der ein Reim über in Ketten gelegte Briten in Abessinien stand, und eine Karikatur von Kaiser Theodor als dicklippiger Mohr. Weit gefehlt, wie ich herausfinden sollte.

Der Punch hielt nicht besonders viel von unserer Expedition und klagte in guter alter Manier über Ungereimtheiten im Kriegsamt und welche Kosten dabei für die Mittelschicht entstünden. Daraufhin schlugen sie vor, man solle diese Kosten begleichen, indem man Theodor schnappte und ihn im Ägyptischen Saal am Piccadilly in einem Käfig zur Schau stellte für einen Schilling pro Kopf.[18]

Wenn ich über die Verspätungen ungeduldig klagte, war Ballantyne bereits drauf und dran zu platzen. Ein paar Schaluppen, baugleich der unseren, lichteten ihre Anker und machten sich auf den Weg die arabische Küste hinunter zu irgendeinem Ort, an dem laut unseren einheimischen Spionen eine große Ladung afrikanischer Sklaven erwartet wurde. Unser junger Held empfand dies wie ein Baby, dem man die Flasche verwehrte.

„Mehr als tausend Sklaven auf dem Weg nach El Confound-it[19] und wir stecken hier in diesem Drecksloch fest! Was für ein Pech! Wir werden es niemals pünktlich dorthin schaffen!“

„Oh, da bin ich mir nicht sicher“, antwortete unser Informant. Ein weiterer lebhafter Jugendlicher, in eine modische Djellaba gekleidet, einer Jacke mit Messingknöpfen und Piratentuch um den Kopf.

„Die Sklavenhändler haben sich schon seit 'ner Woche nicht blicken lassen und Confound-it liegt nicht weit von Zoola entfernt. Sag deinem Maschinisten einfach, es gibt keinen Grog mehr, wenn er nicht bald ein bisschen Dampf macht!“