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Der siebzehnjährige Dustin hetzt durch den Wald, um seinen Verfolgern zu entkommen, die dank Zugriff auf die neueste Überwachungstechnik seine Spur immer wieder aufnehmen. Gleichzeitig verfolgen dunkle Mächte in den Vorstandsetagen Londons das Ziel, die europäische Wirtschaft zu destabilisieren und ins Chaos zu stürzen. Sind sie verantwortlich für die tragischen Unglücke in Paris, Mali und München? Und welche Rolle spielt Dustin in diesem gefährlichen Spiel? In einem dramatischen Showdown in London muss Dustin nicht nur seinen Mut, sondern auch seine Instinkte unter Beweis stellen. Doch wer wird ihn zuerst finden? Der britische Geheimdienst oder seine gnadenlosen Verfolger? Ein fesselnder Verfolgungs-Thriller, der die Leser und Leserinnen in einen Strudel sich überschlagender Ereignisse reißt und eindrucksvoll zeigt, wie allgegenwärtig Überwachung in unserer heutigen Welt ist.
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Fluchtinstinkt
KEEP CALM UND RENNE UM DEIN LEBEN
Simon von Notts
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Veröffentlicht bei Infinity Gaze Studios AB
1. Auflage
Oktober 2024
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2024 Infinity Gaze Studios
Texte: © Copyright by Simon von Notts
Cover & Buchsatz: Valmontbooks
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung von Infinity Gaze Studios AB unzulässig und wird strafrechtlich verfolgt.
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829 60 Gnarp
Schweden
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„Es kommt meistens anders,
als man denkt.“
Sie kamen im Morgengrauen. Ich hatte gerade meine Schale mit Cornflakes und Milch hergerichtet und einen Löffel davon in den Mund genommen, als zwei schwarze Schatten an der Verandatür auftauchten und Sekunden später mit einem riesigen Krach das Fensterglas zerbarst. Mit ihren riesigen Hämmern schafften sie es, das Glas mit einigen wenigen Schlägen aus dem Fensterrahmen herauszulösen, und waren innerhalb von gefühlten 30 Sekunden im Wohnzimmer.
Vor solch einem überraschenden Angriff hatte ich in meinen Träumen immer Angst gehabt, aber ich war trotzdem überrascht, dass dieser Zeitpunkt nun gekommen war. Ich war nicht darauf vorbereitet, reagierte jedoch instinktiv, und dieser Reaktion verdankte ich wohl mein Leben.
Die Küche ging in den offenen Wohnbereich über und entsprach ganz dem modernen Wohnstil von heute. Von der Terrassentür waren es nur wenige Meter in die Küche, daher musste ich schnell sein. Ich glitt von meinem Barhocker und begann sofort, in Richtung Küchenausgang zu rennen. Mein Ziel war es, aus dem Wohnbereich in den Hauswirtschaftsraum zu flüchten und von dort zu entkommen.
Ich stolperte über den Mülleimer, schaffte es jedoch mit Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Der Mülleimer flog scheppernd in die Ecke zum Herd. In diesem Moment spürte ich eine Hand an meinem Rücken, die versuchte, mich zu greifen und festzuhalten. Die Hand rutschte ab und packte ins Leere. Ich konnte mich fangen, rannte zur Tür des Hauswirtschaftsraums und schlug sie von innen zu. Mit einer Handbewegung verriegelte ich die Tür und ließ mich dabei auf den Boden sinken.
In diesem Augenblick zischte die erste Kugel über meinen Kopf hinweg. Die Situation war für mich zu surreal, um zu begreifen, dass ich gerade beschossen wurde – wie in einem Kinofilm. Ich krabbelte auf dem Fußboden des kleinen Raumes in Richtung Hintertür. Zwei weitere Kugeln krachten durch das Holz der Küchentür über mir und schlugen irgendwo in den alten Küchenschränken ein, die meine Eltern dort aufgehängt hatten, nachdem sie vor einigen Jahren die neue Küche gekauft hatten.
Immer noch auf dem Boden robbend, gelangte ich zur Tür und zog am Türgriff, sodass sie aufschnappte und mir die kühle Morgenluft ins Gesicht schlug. Gleich würden meine Verfolger ums Haus gerannt kommen. Ich warf mich nach vorne und landete auf der Stufe, die in den Vorgarten führte. Ich rappelte mich auf und hastete geduckt den schmalen, von Hecken gesäumten Weg zum Gartentor entlang.
Auf der Straße vor unserem Cottage stand ein in die Jahre gekommener weißer Lieferwagen, den ich vorher noch nie hier gesehen hatte. Die Straße war nicht sehr breit, und es gab sehr selten Autos, die hier parkten, da alle Häuser ihre eigenen Auffahrten besaßen. Daher fiel das Fahrzeug sofort auf. Mit Sicherheit war dies das Fahrzeug der Eindringlinge. Eine Studie hatte kürzlich aufgedeckt, dass laut einer Statistik in den meisten Verbrechen in England ein weißer Lieferwagen involviert war.
Nebel waberte mir entgegen. Ich konnte niemanden auf der Straße sehen. Normalerweise waren zumindest vereinzelte Einwohner der Ortschaft mit ihren Hunden unterwegs, aber ich hatte wohl einen Zeitpunkt erwischt, an dem keine Menschenseele unterwegs war. Mein erster Gedanke war, laut um Hilfe zu rufen, doch da niemand in der Nähe war, würde ich wahrscheinlich durchlöchert im Straßengraben oder Vorgarten liegen, bevor jemand meine Schreie hören würde. Daher sprintete ich nach rechts die Straße hinunter, in Richtung des kleinen Ortskerns mit seinem urigen Pub und dem Marktplatz davor, und ließ das Cottage, in dem ich bis vor kurzem ein ruhiges Leben mit meiner Familie geführt hatte, hinter mir.
In den meisten Häusern brannte schon Licht, und ich nahm an, dass die Bewohner gerade beim Frühstück waren an diesem nebligen Septembermorgen. Vor mir tauchte im Nebel die alte Kapelle auf, die ich schon aus Kindheitstagen kannte. Ich glitt durch das Eingangstor und rannte durch das feuchte Gras um die Kapelle herum. Mehrfach stolperte ich über die alten, verwitterten Grabsteine und schaffte es schließlich auf den Feldweg, der hinter der Kirche hoch zum Wald führte.
In England gibt es keine frei zugänglichen Feldwege wie in den meisten anderen europäischen Ländern. Alle Wege gehören den Besitzern der Ländereien, und bis vor einigen Jahrzehnten war es Wanderern nicht erlaubt, diese Wege zu benutzen, ohne das Risiko einzugehen, von den Besitzern dabei erwischt und bestraft zu werden. Heutzutage sind die Landherren etwas liberaler, und es gibt ein gut ausgebautes Netz von Wanderwegen, das von jedermann benutzt werden kann.
Der Feldweg führte leicht aufwärts in ein großes Waldstück, das unmittelbar am Ortsrand meines Heimatdorfes begann. Ich rannte am Waldrand entlang, bis ich auf ein dichtes Gestrüpp traf, das oberhalb des Weges lag. Ein Mix aus verschiedenen Büschen und Bäumen bot mir ausreichend Sichtschutz und die Möglichkeit, kurz durchzuschnaufen. Mein Herz raste, während ich durch die Büsche nach meinen Verfolgern Ausschau hielt. Aber ich konnte niemanden sehen. Hatten sie aufgegeben und suchten nicht mehr nach mir? Oder standen sie etwa direkt hinter mir und würden mir gleich in den Kopf schießen? Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Meine Beine taten weh, und ich hatte Durst. Glücklicherweise war ich heute früher aufgestanden als sonst, da ich wieder einmal sehr schlecht geschlafen hatte und von Albträumen geplagt schweißgebadet aufgewacht war. Ich atmete tief durch und begann nochmals vorsichtig, die Umgebung mit meinen Augen abzusuchen. Wo waren sie? Mein Blick wanderte über die Ortschaft und die dahinterliegenden Felder, die von den für England typischen Steinmauern und Büschen eingegrenzt waren. Eine wirklich idyllische Momentaufnahme von der leicht geschwungenen Landschaft und den kleinen Häusern, die sich eng aneinander schmiegten. Ich schaute von rechts nach links, aber ich konnte niemanden entdecken.
Ich setzte mich auf den Boden und holte aus Gewohnheit mein Handy aus der Tasche. Ich prüfte, ob ich irgendwelche Nachrichten bekommen hatte, merkte dann jedoch, dass ich keinen Netzempfang hatte. Somit konnte ich also auch nicht die Polizei rufen, um mich aus dieser misslichen Lage zu befreien.
Ich steckte das Handy wieder ein und richtete meine Aufmerksamkeit auf den Wald hinter mir. Die beste Option wäre wahrscheinlich, im Wald unterzutauchen und mich zu einem der nächsten Dörfer durchzuschlagen.
Während ich meinen Gedanken nachhing, vernahm ich ein lautes Summen, ein hohes, monotones Geräusch, das mir bekannt vorkam. Ich schaute vorsichtig aus den Büschen heraus, und dann sah ich sie: eine große, dunkle Drohne, die über der Ortschaft schwebte und langsam in Richtung Waldrand flog.
Ich erschrak fürchterlich, als mir klar wurde, dass die Drohne nicht zufällig am Himmel schwebte.
Meine Verfolger hatten sich ihre Kräfte gespart und suchten nun mit Hightech-Unterstützung nach mir. Mir wurde ganz anders zumute. Hoffentlich hatten sie keine Infrarotkamera an Bord der Drohne, denn dann würden sie mich sofort anhand meiner Körperwärme lokalisieren.
Von wo wurde die Drohne gesteuert? Ich schaute in Richtung unseres Hauses und konnte die Schatten der beiden Männer auf der Terrasse stehen sehen. Dort waren sie von den Blicken der Nachbarn geschützt und konnten in aller Ruhe die Gegend mit der Drohne abfliegen. Einer der beiden schien eine Zigarette zu rauchen. Das wäre sicherlich auch eine Option für mich nach der ganzen Aufregung, dachte ich. Aber leider hatte ich meine Zigaretten nicht bei mir. Ich würde mich auch nur als Gelegenheitsraucher bezeichnen, aber nun war eben eine solche Gelegenheit.
Während ich die Drohne im Auge behielt, hörte ich auf einmal Stimmen und Schritte von rechter Hand. Ungefähr fünfzig Meter entfernt zu meiner Rechten kam eine Gruppe von Jägern mit ihren Hunden aus dem Wald. Sie trugen alle orangefarbene Signalwesten, hatten ihre Gewehre geschultert und versammelten sich auf dem Weg, den ich eben noch entlanggerannt war, und unterhielten sich angeregt miteinander. Scheinbar waren sie gerade von der Jagd zurückgekommen und hatten das erlegte Wild schon separat abgeliefert oder an einem vereinbarten Punkt zur Übergabe hinterlassen. Meine erste Idee war, geradewegs zu ihnen zu rennen und bei ihnen Schutz zu suchen beziehungsweise um Hilfe zu bitten. Ich war kurz davor, meine Deckung zu verlassen, als ich plötzlich einen weiteren weißen Lieferwagen den Waldweg entlangfahren sah. Er kroch langsam den Weg hinauf, und es schien so, als suchten seine Insassen nach etwas. Mir war klar, nach wem sie suchten, aber ich war auch sehr überrascht, dass nun ein weiteres Fahrzeug involviert war, denn die beiden Schatten auf der Terrasse unseres Hauses standen immer noch da.
Als der Lieferwagen auf Höhe der Jäger war, hielt er an, und der Beifahrer sprach mit zwei Jägern aus der Gruppe. Die Jäger waren zuerst freundlich, schienen dann jedoch aufgebracht und zeigten mehrfach auf die Drohne am Himmel. Scheinbar waren sie ganz und gar nicht damit einverstanden, dass dieses Gerät dort oben kreiste. Einer der Jäger nahm sein Handy zur Hand und machte Anstalten, jemanden anzurufen, als der Fahrer ihm zu verstehen gab, dass er selbst jemanden kontaktieren würde, damit die Drohne nicht weiter die Tiere im Wald aufschreckte. Damit schienen die Jäger einverstanden, und sie gingen langsam zu ihrer Gruppe zurück. Die Gesellschaft entfernte sich nun in Richtung des Ortskerns.
Nachdem der Fahrer den Anruf beendet hatte, wartete er noch einige Minuten, bevor er Gas gab und das Auto ebenfalls durch den Schlamm in Richtung Dorf davonschlitterte. Kaum war das Fahrzeug aus meinem Blickfeld verschwunden, konnte ich feststellen, dass die Drohne den Rückzug antrat und in Richtung unseres Hauses davonflog. Was für ein Glück! Wären die Jäger nicht auf der Bildfläche erschienen, hätten sie mich sicherlich entdeckt. Ich war immer noch nicht ganz sicher, ob die Drohne über ein Infrarot-System verfügte oder nicht und welche weiteren technischen Hilfsmittel verwendet würden, um mich zu lokalisieren.
Nun wurde es wieder sehr ruhig um mich, und ich war ganz allein. Ich musste mich mit der immer wieder in meinem Kopf auftauchenden Frage auseinandersetzen: Was sollte das alles?
Mein Name ist Dustin und ich bin 17 Jahre alt. Ich wohne mit meinen Eltern in einem Cottage in einer kleinen Ortschaft im Nordosten von England. Meine Eltern und meine 14-jährige Schwester Lilly sind gerade für zwei Wochen im Urlaub auf Lanzarote und werden nicht vor Ende nächster Woche zurück sein. Ich habe diesen Sommer die Schule beendet und bin momentan dabei, mich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben. Der Hauptgrund, warum ich nicht mit in den Urlaub gefahren bin, ist, dass ich noch etwas Zeit mit meiner Freundin Liz verbringen möchte, bevor ich möglicherweise eine Ausbildung in einer etwas weiter entfernten Stadt beginnen werde. Ich habe Liz in meiner Schule kennengelernt. Sie ist in der Klasse ein Jahr unter mir und ich habe das Gefühl, es ist die ganz große Liebe. Ich wäre jetzt gerne bei ihr.
Der Boden, auf dem ich saß, war klamm und ich merkte, wie meine Kleidung die Feuchtigkeit aufsog. Es ist sicherlich nicht ideal, direkt vom Frühstückstisch aufgeschreckt zu werden und ohne jede Vorwarnung nur in einem Kapuzenpullover, Jeans und Sneakers bekleidet im Morgennebel an einem Waldrand im Gebüsch zu kauern. Aber es konnte natürlich auch noch schlimmer kommen.
Plötzlich hörte ich wieder ein näher kommendes Motorengeräusch eines Fahrzeugs aus Richtung der Ortschaft. Würden sie tatsächlich zurückkommen? Mir blieb fast der Atem stehen. Und tatsächlich schob sich wieder der alte weiße Lieferwagen den schlammigen Waldweg entlang und kam Stück für Stück näher zu meinem Versteck. Ungefähr alle zehn bis fünfzehn Meter drehten die Vorderräder durch und der Fahrer musste am Lenkrad korrigieren, damit er nicht von dem Feldweg abrutschte. Woher wussten sie, dass ich hier war?
Der Fahrer des Lieferwagens fuhr in einem niedrigen Gang und gab nur wenig Gas, damit die Räder eine bessere Haftung bekamen. Er saß in Fahrtrichtung rechts und somit auf meiner Seite. Er musterte den Waldrand sehr genau, und sein Beifahrer schaute auf ein portables Gerät, das einem Tablet glich. Was um Himmels willen sah er sich da an? Und plötzlich wurde es mir klar: Das war ein Ortungsgerät, und diese Bastarde konnten mich aufgrund meines Handysignals orten. Panisch griff ich in meine Hosentasche, meine Hände zitterten. Ich löste das hintere Cover ab und riss den Akku aus meinem Handy heraus. War das zu spät? Würden sie merken, dass ich in der Nähe war?
Zwischen den beiden Männern im Auto herrschte an diesem Morgen dicke Luft. Zum einen waren sie schon die halbe Nacht auf, um diesen Halbwüchsigen zu finden und auszuschalten, was ihnen bis jetzt nicht gelungen war. Zum anderen hatte Kevin, der Fahrer des Lieferwagens, zum wiederholten Mal eine Mission gefährdet, indem er sich mit Zivilisten angelegt hatte – in diesem Fall mit den Jägern. Das hätte schlimm enden können und damit wäre für sie erst mal der Auftrag beendet gewesen, und sie hätten sich dem Einsatzleiter erklären müssen. Rich, der Beifahrer, war bekannt für seinen Perfektionismus und seine Kaltblütigkeit, und es gab nichts, was er mehr hasste, als mit jemandem zusammenzuarbeiten, der sich nicht unter Kontrolle hatte. Aber sie hatten nun mal die Mission zusammen auszuführen, deswegen sollten sie den Burschen schnellstmöglich finden und ausschalten. Dann könnten sie diesen Job auch abhaken.
Rich schaute auf sein mobiles Ortungsgerät, mit dem sie das Handysignal des Jungen zuletzt empfangen hatten, und spürte ein freudiges Kribbeln, als er sah, dass sie sich nun in dem Umkreis befanden, in dem sich das Handy das letzte Mal eingewählt hatte, bevor der Kontakt verloren ging. Das lag wohl daran, dass sein Handy jetzt keinen Netzempfang mehr hatte. In einem Umkreis von 500 Metern musste er sein. Wenn die beiden anderen, die bis jetzt mit der Drohne die Umgebung abgesucht hatten, nun auch noch mit ihrem Fahrzeug die Suche aufnehmen könnten, dann sollten sie in der Lage sein, ihn einzukreisen und zu finden. Je eher, desto besser.
Ich legte mich flach auf den Boden und hielt den Atem an. Das Fahrzeug kam näher und näher. Ich konnte jetzt die Gesichter der beiden Insassen sehen, und mein Herz raste, als der Lieferwagen langsam an meinem Versteck vorbeifuhr. Sie machten keine Anstalten anzuhalten, und als sie eine gefühlte Ewigkeit später um die nächste Wegbiegung verschwanden, stieß ich einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
Nun hieß es, schnell Land zu gewinnen, um den Gefahrenbereich zu verlassen. Ich kroch aus meinem Versteck und rannte tiefer in den hinter mir liegenden Wald hinein, bis es immer ruhiger und stiller um mich herum wurde. Zurück in unser Cottage konnte ich nicht, da sie dort bestimmt noch auf mich warteten. Und mein Handy zu benutzen, wäre schlichtweg selbstmörderisch.
Mittlerweile war es hell geworden, und ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass ich mittlerweile schon über eine Stunde auf der Flucht war und es jetzt langsam auf neun Uhr zuging.
Mir kam es vor wie ein halber Tag, aber es war noch immer relativ früh am Morgen. Ich musste mir schleunigst einen Plan zurechtlegen, wie ich weitermachen wollte.
Die vier Verfolger hatten sich mittlerweile kurz getroffen, um ihr weiteres Vorgehen abzusprechen. Sie vereinbarten, die Drohne fürs Erste nicht mehr zu benutzen, um weitere Konfrontationen mit Jägern und Wildhütern zu vermeiden. Als ersten Schritt wollten sie die umliegenden Höfe und Häuser abfahren und die Bewohner darauf aufmerksam machen, dass sie den Jungen suchten und dass es eine Belohnung in finanzieller Form gäbe, falls sie helfen würden, ihn zu lokalisieren. Normalerweise vermieden sie es, wenn möglich, Zivilisten persönlich anzusprechen oder zu involvieren, aber in diesem Fall war das die erfolgversprechendste Methode. Außerdem würden die Leute die Suche für sie erledigen, und ihr Aufwand, den Jungen zu finden, war minimal. Sie nahmen an, dass er sich in dem Waldstück versteckte und mit Sicherheit bald irgendwo auftauchen würde, da er kein Einzelkämpfer war. Dafür hatte er auch gar nicht die Ausrüstung, die Ausbildung und am allerwenigsten die Courage.
Nachdem sie sich wieder getrennt hatten, fuhren sie nacheinander alle Landwirtschaftsbetriebe, Farmen und Häuser in einem Umkreis von fünf Kilometern ab. Es gab nicht wirklich viele Farmen in der Umgebung, daher besuchten sie insgesamt nur vier davon und ein Cottage. Logistische Unterstützung bekamen sie dabei von der Einsatzzentrale, die sie mit allen wichtigen Informationen versorgte und ihnen auch mitteilte, welche Gehöfte sie abfahren sollten. Zusätzlich wurden Satellitenbilder auf das Tablet der Verfolger geschickt, sodass sie sich einen besseren Überblick über die Landschaft und die Umgebung machen konnten. Für den Moment wurde beschlossen, dass keine weitere Verstärkung erforderlich sei, da man nicht auffallen wollte und auf einen schnellen Zugriff hoffte.
Sie stellten sich als Mitarbeiter des MI5, Military Intelligence, Section 5 des Vereinigten Königreichs, vor und zeigten den leicht verwunderten Farmern ihre hochwertigen Ausweisimitate sowie ein Bild von Dustin, das die Einsatzzentrale von seiner Facebook-Seite kopiert hatte. Das MI5 ist der britische Inlandsgeheimdienst und untersteht dem britischen Innenministerium. Es ist zuständig, die parlamentarische Demokratie und die wirtschaftlichen Interessen des Landes zu schützen sowie Terrorismus und Spionage abzuwehren. Als Grund für die benötigte Mithilfe gaben die falschen MI5-Agenten an, dass der junge Mann in Verbindung mit einer Straftat gesucht werde und schnellstmöglich in Gewahrsam genommen werden müsse, um weiteren Schaden vom Vereinigten Königreich abzuwenden. Alle versprachen voller Eifer, sich sofort bei der auf der Visitenkarte angegebenen Telefonnummer zu melden, falls sie den Gesuchten sehen würden.
Ich rannte quer durch den Wald in Richtung Westen und vermied es, die breiteren, gut ausgebauten Wege zu benutzen, damit ich auf keinen Fall meinen Verfolgern in die Arme lief. Der Wald war hier sehr dicht und es roch nach feuchter Erde und Bäumen. Ich hatte mehrfach Probleme, mich durch das Dickicht durchzuschlagen, und mehr als einmal musste ich umkehren und mir einen anderen Weg suchen. Immer wieder erschrak ich, als es um mich herum im Wald knackte. Ich schaute mich gehetzt um, aber konnte niemanden sehen.
In diesem Teil des Waldes war ich noch nie gewesen, daher war es schwierig für mich abzuschätzen, wo das Waldstück aufhörte. Ich hielt Ausschau nach Waldarbeitern oder Spaziergängern, aber ich konnte niemanden sehen. Es kam mir vor, als ob dies an diesem Morgen eines der einsamsten Waldstücke am Ende der Welt wäre. Mir tat alles weh und ich konnte kaum noch rennen.
Da sah ich vor mir plötzlich das Ende des Waldes auftauchen. Was für eine riesige Erleichterung. Beflügelt joggte ich weiter, bis ich den Waldrand erreichte, und stoppte kurz vor dem Feldweg, der parallel am Waldrand entlang verlief, sodass ich mich noch im Schutz der Bäume hinhocken konnte, um durchzuschnaufen. Auf dem Feldweg waren frische Reifenspuren im Schlamm. Waren das die Spuren meiner Verfolger? Lauerten sie mir etwa hier auf? Ich ließ meinen Blick schweifen, konnte aber niemanden sehen.
Vor mir lag ein großer Acker, der von einigen Steinmauern und Hecken eingefasst war. Der Acker fiel leicht abwärts und zu meiner rechten Hand lag im Tal eine kleine Farm, umgeben von saftigen, grünen Wiesen. Schafe standen auf einer Weide neben dem Hauptgebäude. Unglaublich – es sah tatsächlich so aus, als ob die Farm bewohnt war. Hilfe war plötzlich ganz nah.
Ich war nun wieder optimistisch, dass der Spuk bald vorbei sein würde, und verließ den Waldrand, um schnellstmöglich zu der Farm zu gelangen.
Nach zehn Minuten Joggen in gemäßigtem Tempo gelangte ich zu der Farm. Sie war traditionell mit grauem Stein gebaut, und die niedrigen Gebäude duckten sich im Tal aneinander. Insgesamt machte die Farm nicht den Eindruck, besonders gut gepflegt zu sein. Scheinbar war nicht genug Geld vorhanden, um die Gebäude grundlegend zu modernisieren. Die Zufahrt zum Farmgelände war mit einem Gatter gesichert. Ich öffnete es und begann auf dem Schotterweg in Richtung des Wohnhauses zu laufen. Dieses lag am linken Ende des U-förmig gebauten Gebäudeensembles. Nebenan lag auf der Stirnseite ein kleines Stallgebäude, daneben ein Heuschober, und auf der gegenüberliegenden Seite ein großer Schuppen mit einem breiten Tor. Ich nahm an, dort wurde normalerweise der Traktor geparkt, der nun in der Mitte des Hofes stand.
Ich war noch nicht einmal fünf Meter gelaufen, als mich der Hofhund erspähte. Er sprang sofort auf mich zu und bellte. Es war ein großer, zu dem Erscheinungsbild der Farm passend auch schon in die Jahre gekommener Dobermann mit braun-schwarzem Fell. Als er die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund. Der Hund stoppte sofort und knurrte mich böse an. Seine Augen verrieten mir, dass er nichts Gutes im Sinn hatte. Doch er gehorchte dem Befehl, stehen zu bleiben.
Ein Mann kam hinter dem Traktor hervor, an dem er scheinbar gerade etwas repariert hatte, und schaute mich missmutig an. Nachdem er mich einige Sekunden gemustert hatte, hellte sich sein Blick auf, als ob ihm etwas eingefallen war, und er rief den Dobermann nochmals, sodass dieser sich auf der Stelle umdrehte und zurück zu seinem Besitzer rannte. Dann winkte der Mann mir, näherzukommen.
Ich legte das letzte Stück zu dem Mann, der neben seinem Traktor stand, zurück und begrüßte ihn so freundlich wie möglich. Als ich nun in der Mitte des Farmgeländes stand, nahm ich den Geruch von altem Kuhdung und vermodertem Holz noch stärker wahr als schon vorher am Gatter. Wie gesagt, auch der Geruch trug nicht dazu bei, meinen ersten Eindruck von dieser Farm zu verbessern. Vor dem Stallgebäude konnte ich eine weitere Person sehen, die gerade eine Schubkarre voller Mist aus dem Stall schob. Es handelte sich um einen jüngeren Mann, wahrscheinlich den Sohn des Mannes, den ich zuerst gesehen hatte. Dem älteren Mann wandte ich mich jetzt wieder zu. Er trug eine grüne Latzhose, graue Gummistiefel und einen Parker mit Armeemuster. Sein Gesicht war alt und ungepflegt, und seine Zähne waren kaum noch vorhanden. Er begrüßte mich mit einem kurz angebundenen „Morgen“ und fügte gleich die Frage hinzu, was ich denn hier wolle.
Ich bemühte mich, nicht gleich alles auf einmal zu erzählen, und versuchte, sachlich zu bleiben. Daher berichtete ich nur, dass ich verfolgt würde, aus meinem Zuhause geflohen sei und nun dringend Hilfe bräuchte. Am besten wäre es, wenn er mir sein Handy oder Telefon leihen könnte, sodass ich Hilfe rufen könnte. Der Mann schaute mich grimmig an und sagte erst mal gar nichts. Die Situation kam mir sehr seltsam vor. Ich hatte wirklich gehofft, auf einen Menschen zu treffen, der mehr Emotionen zeigte und mir selbstverständlich helfen wollte.
Nach einem kurzen Schweigen brummte er, dass ich gleich das Telefon benutzen könnte. Er wolle erst mit seinem Sohn sprechen. Daraufhin entfernte er sich von mir und schlurfte mit dem Dobermann an der Leine zu seinem Sohn, der mit einer Schaufel in der Hand an der Stalltür lehnte und argwöhnisch herüberschaute. Beide Männer wechselten einige Worte, und der Junior schaute mehrmals zu mir. Dann kam der Farmer wieder zu mir herüber und zeigte auf die Tür zum Wohnhaus. Ich sollte ihm folgen, wenn ich telefonieren wolle. Ich nickte und ging hinter ihm her. Dabei begann ich zu überlegen, wen ich eigentlich anrufen wollte und wie ich das alles so kompakt wie möglich erklären könnte. Ich würde definitiv zuerst die Polizei anrufen und dann meine Freundin und Familie.
Der Farmer hatte es nicht wirklich eilig und trottete in Richtung des Wohnhauses. Dort angekommen, band er den Dobermann vor dem Haus an seiner Hundehütte an. Das alles dauerte gefühlt eine Ewigkeit. Ich hatte den Hof hinter mir aus den Augen verloren, und als ich meinen Blick etwas nach rechts schweifen ließ, da der Farmer immer noch an der Leine des Hundes herumhantierte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung hinter mir. Doch es war zu spät. Krachend fiel ein schwerer Gegenstand auf meinen Hinterkopf. Ich verlor sofort das Bewusstsein und alles wurde schwarz um mich herum, noch bevor ich auf dem Boden aufschlug.
Der Sohn des Farmers trat näher und legte die Schaufel beiseite. Der Alte kam nun auch heran und blickte auf den bewusstlosen Jungen, der vor ihnen auf dem schmutzigen Boden lag. Sie hoben den leblosen Körper an – der Farmer den Oberkörper und sein Sohn die Beine – und trugen ihn in den Heuschober. So schnell würde er nicht aufwachen. Sie legten ihn auf den Boden in die Ecke des Heuschobers und schlossen die Tür. Dann griff der Farmer in seine Jackentasche und holte die Visitenkarte heraus, die ihm vor kurzem von den beiden falschen MI5-Agenten überreicht worden war.
Er tippte die Nummer in das Handy seines Sohnes ein, und als sich am anderen Ende jemand meldete, berichtete er kurz, dass er den Gesuchten soeben überwältigt habe. Nachdem er seinen Namen und seine Adresse genannt hatte, wurde von der anderen Seite ein umgehendes Erscheinen angekündigt und danach hastig aufgelegt.
Beide Männer waren nun gespannt, wie hoch die Belohnung ausfallen würde. Ein kleiner unerwarteter Bonus war immer gern gesehen und würde einen weiteren Ausflug zu einem der Pubs in der Umgebung ermöglichen.
Ich erwachte mit höllischen Kopfschmerzen und brauchte einige Sekunden, um zu verstehen, wo ich war. Ich lag auf dem Bauch, mein Kopf zur Seite gedreht, und vor meinem Mund hatte sich eine Lache von Speichel gebildet. Ich lag auf einem harten Betonboden und hatte Heu im Gesicht kleben. Mein Gehirn begann langsam zu arbeiten. Nach und nach verstand ich, was geschehen war. Wieso hatten sie mich niedergeschlagen? Ich hatte sie doch um Hilfe gebeten. Was hatten sie mit mir vor? Wo war ich?
Nach einigen Minuten war ich in der Lage, mich aufzurichten und mich auf den Boden zu setzen. Ich konnte frisches Blut an meinem Hinterkopf fühlen. Ich schaute mich um. Offensichtlich hatten sie mich in den Heuschober gebracht und es nicht für nötig gehalten, mich zu fesseln oder einzusperren. Das hieß, sie wollten mich schnell loswerden oder woanders hinbringen. Sie würden bestimmt gleich wiederkommen.
Ich ließ meinen Blick in dem Heuschober schweifen. Es war sehr düster hier drin, und nur vereinzelt fiel Licht durch Ritzen in der Decke und an den Wänden. Die Tür zum Hof war geschlossen, eine Leiter führte in der Mitte des Schobers in das Obergeschoss, in dem ich Heu lagern sehen konnte. Sich dort zu verstecken wäre sicherlich keine Option, da von dort keine Flucht möglich war. Auf der Rückseite waren zwei Fenster, die zur Außenseite der Farm ausgerichtet waren, sowie eine kleine Holztür.
Ich rappelte mich auf und schleppte mich zu der Tür. Ich rüttelte am Türknauf, aber sie war verschlossen und ließ sich nicht öffnen. Verdammt, das wäre auch zu einfach gewesen. Ich bewegte mich weiter zu einem der Fenster. Ich konnte sehen, dass das Fenster zur Außenseite des Hofes zeigte und dahinter ein Feld lag. Ein schmaler Weg führte zu dem nahegelegenen Wald. Mein Herz raste. Ich wusste, jeden Moment konnte jemand den Heuschober betreten und mich erneut niederschlagen oder diesmal ganz ausschalten. Ich musste schnell handeln.
Ich fokussierte meinen Blick auf das Fenster und konnte einen Schieber sehen, mit dem es sich öffnen ließ. Ich schob den Metallhebel zur Seite und das Fenster sprang mit einem Knirschen auf. In dem Moment hörte ich Motorengeräusche aus der Richtung der Hofauffahrt. Danach schlugen mehrere Türen und der Hund begann wieder zu bellen.
Ich war hin- und hergerissen. Auf der einen Seite wollte ich schnellstmöglich diesen Ort verlassen, und das Fenster stand vor mir offen. Auf der anderen Seite wollte ich sehen, was auf der Farm vor sich ging. Ich fasste den Entschluss nachzuschauen, auch wenn ich es später bereuen würde.
Ich schlich so leise wie möglich zu der Tür in Richtung Hof und suchte mir einen Schlitz in der Wand neben der Tür, durch den ich hindurchsehen konnte. Er war nicht sehr groß, aber ich konnte ausreichend sehen, was im Hof vor sich ging, ohne dabei entdeckt zu werden. In der Hofeinfahrt standen zwei weiße Lieferwagen – das mussten die beiden Fahrzeuge meiner Verfolger sein, fuhr es mir durch den Kopf. Oh mein Gott, sie waren wieder da und die Farmer hatten sie wahrscheinlich höchstpersönlich gerufen. Wie konnte das sein? Warum riefen sie meine Verfolger anstatt mir zu helfen? Mir wurde richtig schlecht und ich schluckte mehrmals, um den üblen Geschmack in meinem Mund loszuwerden.
Der Farmer und sein Sohn blieben in der Mitte des Hofes stehen und hielten den Hund zurück. Zwei der vier Verfolger verharrten in der Nähe des Gatters. Die zwei anderen Männer kamen strammen Schrittes zu den beiden Farmern herübergelaufen. Nun konnte ich meine Verfolger etwas genauer betrachten. Sie waren ganz in Schwarz gekleidet. Auf dem Kopf trugen sie Wollmützen, dazu einen Parker sowie dunkle Hosen und robuste, fast stiefelähnliche Schuhe. In ihren Gesichtern sah man Anspannung, und ihre Körperhaltung ließ darauf schließen, dass sie höchstwahrscheinlich eine Armee-Ausbildung durchlaufen hatten oder zumindest etwas Ähnliches.
Nichtsdestotrotz waren die beiden Farmer, besonders der Ältere, nicht sonderlich beeindruckt und begrüßten die Verfolger ähnlich knapp wie mich zuvor. Die Männer unterhielten sich kurz, scheinbar wollten meine Verfolger wissen, wo ich war. Aber die beiden Farmer blieben ruhig stehen und wollten offensichtlich nicht direkt verraten, wo sie mich hingebracht hatten, sondern erst die Belohnung kassieren. Das wiederum machte die Verfolger nervös und die Stimmen wurden immer lauter und aufgebrachter, sodass ich nun viel besser verstehen konnte, worum es ging. Besonders der eine Verfolger, der Mann, der den Lieferwagen auf dem Waldweg gefahren hatte, war kurz davor zu explodieren. Er schrie die Farmer an, dass sie die Belohnung bekommen würden, sobald sie den Jungen übergeben hätten. Sie sollten nun endlich kooperieren, ansonsten würden sie mich einfach selbst auf der Farm suchen.
Der alte Farmer schüttelte den Kopf und brüllte ihn an, dass dies seine Farm sei und er hier bestimme, was vor sich gehe und wer sie betreten dürfe. Dabei ließ er die Leine des Dobermanns etwas loser in seiner Hand. Der Hund machte einen Satz in Richtung der beiden Männer, aber erreichte sie nicht. Sie zuckten zurück und blieben mit etwas Abstand zu den Farmern stehen.
Scheinbar hatten die Verfolger nun genug davon, sich von den Farmern auf der Nase herumtanzen zu lassen, und winkten den beiden anderen Verfolgern zu, die im Hintergrund gestanden hatten, auszuschwärmen und den Hof zu durchsuchen.
Das wiederum gefiel dem Farmer nicht und nun ging alles Schlag auf Schlag. Er ließ seinen Dobermann los, der einen riesigen Sprung in Richtung der beiden Männer machte, die in seiner Nähe standen. Außerdem zog der alte Farmer ein langes Messer aus der Innenseite seiner Jacke und bewegte sich mit erhobenem Messer auf die Männer zu. Mir stockte der Atem. Plötzlich sah ich, dass die beiden Verfolger im Hintergrund auf einmal Waffen in ihren Händen hielten und sofort abfeuerten. Sie hatten Schalldämpfer auf ihren Pistolen, daher hörte man fast keine Geräusche. Einige Kugeln trafen den Dobermann in den Kopf und Oberkörper, als er gerade im Sprung war, um einen der Männer zu attackieren. Noch in der Luft verlor er die Körperspannung und krachte als zappelndes Geschoss auf einen der Männer, der sich seitlich abrollte und so dem Hauptgewicht des Hundes entkam.
Der Farmer hatte bereits fast den anderen Mann erreicht und zu einem Hieb mit dem Messer ausgeholt, als eine Kugel seinen Kopf traf. Der Kopf des Mannes riss zur rechten Seite, und der Körper sackte komisch verdreht in sich zusammen. Blut und Hirnflüssigkeit spritzten auf den dreckigen Boden. Auch der andere Verfolger konnte der Messerattacke entkommen und rollte sich gewandt ab.
Währenddessen hatte sich der junge Farmer eine Axt geschnappt, die an dem Traktor gelehnt hatte, und rannte damit auf den Mann zu, der sich gerade vor dem Hund in Sicherheit gebracht hatte. Er schwang die Axt und erwischte den Mann, der sich gerade vom Boden aufrappelte, am rechten Arm. Doch der Verfolger schien den Schmerz kaum wahrzunehmen. Er sprang wieder auf die Beine und attackierte sofort. Mit einem kräftigen Tritt traf er den Kopf des Farmers, der stöhnend zu Boden ging und die Axt fallen ließ. Der Verfolger setzte nach, kniete sich hinter den Farmer und nahm seinen Kopf zwischen seine Arme. Mit einem gekonnten Griff drehte er den Kopf und brach ihm das Genick. Der Farmer verdrehte die Augen und sackte seitlich zusammen.
Die Männer blieben weiterhin in Alarmbereitschaft und sicherten zuerst die Umgebung, da sie nicht sicher waren, ob noch weitere Angreifer warteten. Als sie überzeugt waren, dass keine unmittelbare Gefahr mehr bestand, nahmen sie die beiden toten Farmer und schleiften sie in eine Ecke der Farm, die schwer einsehbar war. Danach verstauten sie ihre Waffen und klopften sich den Dreck von ihrer Kleidung.
Ich hatte genug gesehen und ließ mich nach unten auf den Boden gleiten. Ich war so überrascht und schockiert von diesem Gewaltausbruch, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Mir war nur klar, dass ich so schnell wie möglich verschwinden musste. Ich raffte mich auf und huschte zu dem geöffneten Fenster an der Rückwand des Heuschobers. Ich zog mich am Fensterbrett hoch, hob mein Bein darüber und ließ mich auf den weichen Boden fallen.
Zu meiner Rechten, wo die verschlossene Tür in den Heuschober führte, standen zwei alte Fahrräder an die Außenwand gelehnt. Ich konnte kein Schloss daran erkennen, also schwang ich mich auf das nächstbeste Fahrrad und begann zu treten. Es funktionierte tatsächlich – es war nicht abgeschlossen und fahrbereit. Nach einigen Metern merkte ich, dass der hintere Reifen etwas wenig Luft hatte, aber ansonsten kam ich gut voran. Ich hielt mich rechts und fuhr auf dem Feldweg, der hinter der Farm entlangführte. Der Weg brachte mich weg von der Zufahrt zur Farm. Vor mir konnte ich einen Waldrand sehen, und ich strampelte so schnell ich konnte, um diesen fürchterlichen Ort hinter mir zu lassen.
Im Westen Londons, in einem modernen Bürogebäude, dessen Bau erst vor kurzem abgeschlossen worden war, beendete ein Mann vor Wut schnaubend ein Telefongespräch und war kurz davor, sein Handy auf den Boden zu werfen. Er blickte aus dem zehnten Stock seines verglasten Einzelbüros auf die Themse hinunter und schüttelte den Kopf. Soeben hatte ihn die Einsatzzentrale informiert, dass der Zugriff auf der Farm schiefgelaufen war. Der Junge war entkommen und die Suche musste fortgesetzt werden. Wie konnte das passieren? Anstatt den Jungen auszuschalten, hatte es zwei zivile Opfer gegeben. Dies sollte nur eine Routineoperation sein, die schnell und ohne großes Aufsehen über die Bühne gehen sollte. Nun schien sie sich in ein größeres Problem zu verwandeln.
Der Mann verließ sein Büro und gab seiner Sekretärin zu verstehen, dass er jetzt einen Conference Call im Meetingraum habe und nicht gestört werden wolle. Er lief über den Gang und betrat den großen, nach dem neuesten Standard eingerichteten Raum, der ebenfalls einen wunderbaren Blick über Londons Dächer und auf die anderen Bürotürme ermöglichte. Dort ließ er sich in einen der überdimensionalen Sessel am Kopf des riesigen Tisches fallen und schlug die Beine übereinander. Dann zog er das Spiderphone zu sich und begann, sich in die Telefonkonferenz einzuwählen.
An dem Conference Call nahmen fünf weitere Parteien teil. Der Mann gab eine kurze Zusammenfassung der Lage und erörterte die misslungenen Zugriffsversuche im Elternhaus sowie auf der Farm. Alle waren sehr besorgt über die Neuigkeiten und verlangten eine schnelle und reibungslose Umsetzung der Operation, um die Interessen der involvierten Parteien zu schützen. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass finanzielle Mittel bereitgestellt würden, um mehr Spezialisten in die Mission einzubinden. Es müsse jedoch weiterhin so wenig wie möglich Aufsehen erregt werden, und unter keinen Umständen dürfe etwas an die Öffentlichkeit gelangen. Weitere zivile Opfer sollten vermieden werden, wären aber sicherlich kein Grund, den Zugriff zu verzögern oder abzubrechen.
Ein nächstes Update wurde für die kommenden Tage vereinbart. Weitere Punkte wurden zunächst nicht besprochen und auf das nächste Telefonat verschoben. Danach legten alle Teilnehmer auf. Der Mann saß alleine in dem riesigen Meetingraum und überdachte nochmals das Gespräch. Alle Parteien waren sich einig, dass der nächste Zugriff erfolgreich sein musste, ansonsten würde die Wahrscheinlichkeit steigen, dass eine dritte Partei davon Wind bekäme und die Presse und Öffentlichkeit miteinbeziehen würde. Das wäre das Todesurteil für das gesamte Projekt.
Der Mann stieß sich mit dem Fuß vom Boden ab, sodass der Stuhl sich schwungvoll drehte, und sprang dann auf den Boden in Richtung Tür. Er verließ den Raum, um in sein Büro zurückzukehren. Für den restlichen Morgen hatte er keine weiteren Meetings in seinem Kalender, deshalb setzte er sich an seinen Laptop und begann mit wenig Motivation, einige E-Mails abzuarbeiten, die sich noch vom Vortag in seinem Posteingang befanden.