Flugzeuggedanken - Joachim Ringelnatz - E-Book

Flugzeuggedanken E-Book

Joachim Ringelnatz

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Beschreibung

Inspiriert vom ersten Transatlantikflug von Ost nach West im Jahr 1928 verfasst Joachim Ringelnatz für die Wochenzeitschrift Simplicissimus sein erstes Gedicht über das Fliegen. Die Faszination für die Fortbewegung durch die Höhen der Lüfte inspirierte ihn zu zahlreichen Gedichten, die in diesem Sammelband vereint sind. Eine Ode an das Fliegen, aber auch ein humoristisch wie auch nachdenklicher Blick auf das Thema Flugreisen. -

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Joachim Ringelnatz

Flugzeuggedanken

 

Saga

Flugzeuggedanken

 

Coverbild/Illustration: a compendium of illustrations

Copyright © 1929, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728015780

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Flugzeuggedanken

Dort unten ist die Erde mein

Mit Bauten und Feldern des Fleißes.

Wenn ich einmal nicht mehr werde sein,

Dann graben sie mich dort unten hinein,

Ich weiß es.

Dort unten ist viel Mühe und Not

Und wenig wahre Liebe. –

Nun stelle ich mir sekundenlang

Vor, daß ich oben hier bliebe,

Ewig, und lebte und wäre doch tot – –

O, macht mich der Gedanke bang.

Mein Herz und mein Gewissen schlägt

Lauter als der Propeller.

Du Flugzeug, das so schnell mich trägt,

Flieg schneller!

Einsamer Spazierflug

Nun ich wie gestorben bin

Und wurde ein Engelein,

Fliege ich über dein Wohnhaus hin.

Häuschen klein.

Die du als Witwe wieder umworben

Sein magst,

Da ich doch schon verstorben

Bin –. Was du wohl sagst?

Ob du gefaßt bist oder klagst?

Oder ob dein Humor wieder steht,

Du dessen eingedenk bist,

Daß ein aufrichtiges Gebet

Ein unterweges Selbstgeschenk ist?

Ach, wie es dir wohl geht?

Ob du dich verlassen meinst?

Ob du gar Gott verneinst,

Anstatt daß du dankbar

Bist. Wüßte ich, daß du jetzt so weinst

Wie einst, da ich krank war,

Kippte ich die Maschine kurz

Steil ab auf Sturz.

Oder sollte einem Engelein

Solch ein Kegelpurz

Verboten sein??

Versöhnung

Es ließe sich alles versöhnen,

Wenn keine Rechenkunst es will.

In einer schönen,

Ganz neuen und scheuen

Stunde spricht ein Bereuen

So mutig still.

Es kann ein ergreifend Gedicht

Werden, das kurze Leben,

Wenn ein Vergeben

Aus Frömmigkeit schlicht

Sein Innerstes spricht.

Zwei Liebende auseinandergerissen:

Gut wollen und einfach sein!

Wenn beide das wissen,

Kann ihr Dach wieder sein Dach sein

Und sein Kissen ihr Kissen.

Fallschirmsprung meiner Begleiterin

Wie sie den Fallschirm mir zeigt und erklärt,

Kann ich nur halb zuhörn und zusehen.

Ich muß daran denken, wie ganz verkehrt

Oft Frauen mit ihren Schirmen umgehen.

Ich bin doch sonst kein solch Angstpeter.

Aber nun – – Und nun sind wir so weit,

Vielmehr so hoch. Etwa zweitausend Meter!

Wir erheben uns. »Alles bereit?«

Ich öffne die Türe.

»Gott soll Sie erhalten

Und Ihren seidenen Schirm entfalten.

Ich schösse mich tot, wenn ich jemals erführe – –«

Mir graust.

Das Frauenzimmer ist abgesaust.

Ich blicke ihr nach. Einmal überschlägt sie

Sich, wird ein Punkt, dann ein Pünktchen, und, ach,

Plötzlich ein sonnig blitzendes Dach,

Und ich weiß: das Dach trägt sie.

Ich schließe die Türe und reiße die Watte

Aus meinen Ohren. Ich fühle mich frei

Und sicher. Und ärgre mich doch dabei,

Weil sie mehr Schneid als ich hatte.

Ein Freund erzählt mir

»Ich sah auf der Wiese –– Oskar ist Zeuge –

Eine Dame sich aus der Kniebeuge

Langsam erheben

Und vor ihr etwas wie Segeltuch schweben.

Eine tausendköpfige Menge gafft

Nach dieser Lady in Hosen aus Loden.

Dann, langsam, bläht sich das Segel und strafft

Seine Taue. Die ziehen die Dame vom Boden.

Und hoch in die Wolken. Grotesk anzuschauen.

Das Weib schwebt unter dem Schirm an den Tauen.

Dann schließt sich der Schirm, aber trägt dennoch sie

Höher und höher, man weiß gar nicht, wie.

Dann zeigt sich ein Flugzeug. Die Tür der Kabine

Steht offen, und aus der Öffnung sieht

Ein Mann mit einer Ringelnatzmiene.

(Es gibt doch wahrhaftig nicht viel solcher Nasen!)

Und wieder plötzlich – nein, alles geschieht

Ganz langsam –– also unplötzlich neigt

Der Schirm sich nach unten. Die Dame steigt

Fußoberst weiter. Und solchermaßen,

Im Bogen, schweben der Schirm und die Dame

Ins Flugzeug hinein. Und sie oder du,

Einer von euch schlägt die Türe zu.«

Film. Rückwärts gedrehte Zeitlupenaufnahme.

Bär aus dem Käfig entkommen

Was ist nun jetzt?

Wo sind auf einmal die Stangen,

An denen die wünschende Nase sich wetzt?

Was soll er nun anfangen?

Er schnuppert neugierig und scheu.

Wie ist das alles vor ihm so weit

Und so wunderschön neu!

Aber wie schrecklich die Menschheit schreit!

Und er nähert sich geduckt

Einem fremden Gegenstande. –

Plötzlich wälzt er sich im Sande,

Weil ihn etwas juckt.

Kippt ein Tisch. Genau wie Baum.

Aber eine Peitsche knallt.

Und der Bär flieht seitwärts, macht dann halt.

Und der Raum um ihn ist schlimmer Traum.

Läßt der Bär sich locken. Doch er brüllt.

Läßt sich treiben, läßt sich fangen.

Angsterfüllt und haßerfüllt

Wünscht er sich nach seines Käfigs Stangen.

Helfen

Es betteln Armut und Betrug.

Es betteln die Faulen und Schwachen.

Wer viel gegeben, gab nie genug.

Ehrliches Lachen darf lachen.

Wir reden gern uns die Schuld vom Hals

Und arbeiten ungern für Faule.

Es packt uns Reue erledigtenfalls

Oder Gruseln bei offenem Maule.

Und ganz erschüttert hörn wir und schreiben

Von Armen, die unerreichbar bleiben.

Wie leicht klingt das, wenn jemand spricht:

»Hart! Aber das Schwache muß sterben!«

Doch dürfen auch manche Leute nicht

Am ewigen Helfen verderben.

Frühling

Die Bäume im Ofen lodern.

Die Vögel locken am Grill.

Die Sonnenschirme vermodern.

Im übrigen ist es still.

Es stecken die Spargel aus Dosen

Die zarten Köpfchen hervor.

Bunt ranken sich künstliche Rosen

In Faschingsgirlanden empor.

Ein Etwas, wie Glockenklingen,

Den Oberkellner bewegt,

Mir tausend Eier zu bringen,

Von Osterstören gelegt.

Ein süßer Duft von Havanna

Verweht in ringelnder Spur.

Ich fühle an meiner Susanna

Erwachende neue Natur.

Es lohnt sich manchmal, zu lieben,

Was kommt, nicht ist oder war.

Ein Frühlingsgedicht, geschrieben

Im kältesten Februar.

Flugzeug am Winterhimmel

Ich fliege im Flockengewimmel.

Ach, guter Himmel, laß das doch sein!

Ich Flugriese bin nur klein Vögelein

Gegen dich, schüttender Himmel.

Sag Schneegestöber, ich bäte es sehr,

Ein wenig nachzulassen.

Denn meine Flügel tragen schon schwer

An sechs ganz dicken Insassen.

Die spielen Karten in meinem Leib

Und trinken, weil sie so frieren.

Und wollen nach Zoppot, um Zeitvertreib

Und Örtliches zu studieren.

Und käme ich dort nicht pünktlich hin,

Die würden es niemals verzeihen.

Lieber Himmel, wenn ich gelandet bin,

Dann darfst du gern wieder schneien.

Der Sänger

Vor dem Debut soupierend saß,

Bei einer Frau, der Sänger.

Sie staunte über seinen Fraß

Und wurde immer länger.

Der Sänger auf die Bühne trat,

Schlicht, ohne sich zu rühmen.

Ein Hauch von Bier und Fleischsalat

Verlor sich in Parfümen.

Der Sänger sang das hohe C.

Der Beifall wuchs und tobte.

Die Dame in der Loge B

Stand auf und garderobte.

Der Sänger stürzte aus dem Haus

In den verschneiten Garten.

Die Dame folgte, einen Strauß

Auspackend, voll Erwarten.

Der Sänger lüpfte seinen Frack

Und duckte sich im Garten.

Es klang wie »Schlacht am Skagerrak«.

Die Dame mußte warten.

Vom langen Stehn im nassen Schnee

Holt man sich Rheumatismus. –

Der Sänger mit dem hohen C

Kennt seinen Mechanismus.

Gedanken an Wedekind

(März 1928)

Wedekind war immer interessant,

Ein Stoßhorn in die häßlich mittlere Welt.

Wahrscheinlich hat er mich nie gekannt.

Ich bin ihm wohl zehnmal vorgestellt.

Das letzte Mal hatten wir eine absurde,

Mir unvergeßliche Stunde mitnand,

Als ich zum Kriege gerufen wurde

Nach dem Nordseestrand.

Und als ich zurückkehrte,

War der Verehrte

Verstorben.

Mehr bekämpft als umworben,

Hat er doch trotzig gesiegt.

Ehrliche und unehrliche Feinde

Haben doch ihn nicht kleingekriegt.

In seiner treuen Gemeinde

Will ich mitgenannt sein.

Ich senke jetzt meine Nase

Zu einem stillen Glase

Wein.

Apropos:

Wein gibt sich anders als Bier. Und wo

Ist in München die Wedekindstraße?

Freunde, die wir nie erlebten

Ihr, die nie ich sah,

Nimmer menschlich sehe,

Seid mir nun so nah,

Wenn ich einsam gehe.

Was ich weiß, nicht wußte

Über euch, hab ich's versäumt?

Ich's verfehlt? –

Oder mußte

Fern vergehn, was ich erträumt? –

Schenkte Gott die Kunst, das Wort

Ferner, Toter nachzulesen.

Ach wie heiß mich das beschlich:

Dann und dann und da und dort

Ist ein Herz wie meins gewesen,

Still für sich.

Tröstliches Gefühl: Es dächte

Später wer so über mich. –

Keine aller Erdenmächte,

Wär sie noch so übermütig,

Kann uns trennen,

Die wir Gleiche sind zu nennen.

Denn wir waren nie gesellt,

Weil der Gott uns weise, gütig

Fern vonander aufgestellt,

Wissend um die Welt.

An der alten Elster

Wenn die Pappeln an dem Uferhange

Schrecklich sich im Sturme bogen,

Hu, wie war mir kleinem Kinde bange! –

Drohend gelb ist unten Fluß gezogen.

Jenseits, an der Pferdeschwemme,

Zog einmal ein Mann mit einer Stange

Eine Leiche an das Land.

Meine Butterbemme

Biß ein Hund mir aus der Hand. –

O wie war mir bange,

Als der große Hund plötzlich neben mir stand!

Längs des steilen Abhangs waren

Büsche, Höhlen, Übergangsgefahren. –

Dumme abenteuerliche Spiele ließen

Mich nach niemand anvertrauten Träumen

Allzuoft und allzulange

Schulzeit, Gunst und Förderndes versäumen. –

Hulewind beugte die Pappelriesen.

O wie war mir bange!

Pappeln, Hang und Fluß, wo dieses Kind

So viel heimlichstes Erleben hatte,

Sind nicht mehr. Mir spiegelt dort der glatte