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Ann Weiser Cornell geht davon aus, dass wir eigentlich ganz genau wissen, was wir uns wünschen, was wir wollen, was uns belastet. Wir haben nur verlernt, dieser inneren Stimme, die sich in unseren Körpergefühlen und Empfindungen ausdrückt, zuzuhören und ihre Wahrheiten zu berücksichtigen. Die Technik des Focusing, die die Autorin in ihrem Buch in einfachen und anschaulichen Schritten darstellt, lehrt uns, diesen Signalen aufmerksam zu lauschen. So können wir die "Weisheit" unseres gesamten Selbst - nicht nur die Gedanken und Ideen unseres Verstandes - für die persönliche Weiterentwicklung erschließen. Das Buch ist in elf kurze, klar strukturierte Kapitel unterteilt, mti deren Hilfe man Schritt für Schritt die Technik des Focusing erlernen kann.
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Seitenzahl: 195
Ann Weiser Cornell
Anleitungen und Übungen zur Selbsterfahrung
Ann Weiser Cornell geht davon aus, dass wir eigentlich ganz genau wissen, was wir uns wünschen, was wir wollen, was uns belastet. Wir haben nur verlernt, dieser inneren Stimme, die sich in unseren Körpergefühlen und Empfindungen ausdrückt, zuzuhören und ihre Wahrheiten zu berücksichtigen. Die Technik des Focusing, die die Autorin in ihrem Buch in einfachen und anschaulichen Schritten darstellt, lehrt uns, diesen Signalen aufmerksam zu lauschen. So können wir die «Weisheit» unseres gesamten Selbst – nicht nur die Gedanken und Ideen unseres Verstandes – für die persönliche Weiterentwicklung erschließen.
Das Buch ist in elf kurze, klar strukturierte Kapitel unterteilt, mit deren Hilfe man Schritt für Schritt die Technik des Focusing erlernen kann.
Ann Weiser Cornell ist die international wohl bekannteste Focusing-Trainerin. Sie hat Focusing bei Eugene Gendlin, dem Begründer dieser Technik, gelernt, mit ihm gemeinsam am Focusing Institute in Chicago gelehrt und der Methode entscheidende neue Impulse gegeben. Seit Mitte der 80er Jahre leitet sie weltweit Focusing-Workshops. Ann Weiser Cornell lebt in Berkeley, Kalifornien.
Die Übersetzerin dankt Ralf Rehder und Dr. Johannes Wiltschko herzlich für ihren fachlichen Rat.
Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel «The Power of Focusing. A Practical Guide to Emotional Self-Healing» bei New Harbinger Publications, Oakland.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2023
Copyright © 1997 by Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg «The Power of Focusing. A Practical Guide to Emotional Self-Healing» Copyright © 1996 by Ann Weiser Cornell
Redaktion Ingrid Ostlender
Covergestaltung zero-media.net, München
Coverabbildung AzmanL/iStock
ISBN 978-3-644-01386-5
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Für Bryan, der es genau wissen will
Focusing ist MIR zum ersten Mal 1972 während meines Linguistikstudiums an der Universität von Chicago begegnet. Durch die plötzliche, schmerzhafte Trennung von meinem damaligen Freund war mir klargeworden, daß sich in meinem Unterbewußtsein eine ganze Menge abspielte, und ich nahm mir vor, dieses tiefere Ich zu erkunden.
Freunde erzählten mir, ein gewisser Gene Gendlin würde Sonntag abends in einem Gemeindezentrum eine erstaunliche Sache namens «Focusing» unterrichten. Als ich zum ersten Mal dorthin ging, war ich fasziniert und frustriert zugleich. Fasziniert, weil ich sofort wußte, daß Focusing genau das war, wonach ich suchte: eine einfache und effektive Methode zu erkennen, was ich wirklich spürte und wollte. Frustriert, weil mir schwerfiel, es zu lernen. Ich verstand nicht, was ich tun sollte, und wenn ich versuchte, die Anleitungen nach meinem Verständnis umzusetzen, passierte nichts.
Mit Hilfe geduldiger Freunde lernte ich Focusing schließlich doch, und von da an wurde es durch viele Entwicklungen in meinem Leben hindurch zu meinem Begleiter. Als ich 1980 meine Laufbahn als Linguistikdozentin beendete und auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld war, lud mich Gene Gendlin ein, mit ihm gemeinsam Focusing zu unterrichten. Nachdem ich Gene bei vielen Workshops in Chicago assistiert hatte, zog ich 1983 nach Kalifornien und begann, selbständig Focusing zu lehren.
Ich habe nie vergessen, welche Schwierigkeiten ich zu Beginn mit Focusing hatte, und entschloß mich, nach Wegen zu suchen, wie man diese Methode so vermitteln kann, daß sie wirklich für jeden erlernbar ist. Durch meinen beruflichen Hintergrund als Linguistin bin ich besonders sensibel für alles Sprachliche, und mit der Zeit wurde mir immer klarer, daß die Ausdrucksweise, die man beim Unterricht benutzt, den Focusing-Prozeß ungemein fördern oder behindern kann. Um diese Erkenntnisse auch anderen Focusing-Trainern zugänglich zu machen, schrieb ich zwei Focusing-Anleitungen, eine für Focusing-Schüler und eine für Focusing-Begleiter.
Ende 1994 geschah zweierlei: Erstens kam ich mit Hilfe meiner Kollegin Carol LaDue auf meiner Suche nach einer verbesserten Unterrichtsform einen entscheidenden Schritt weiter, und zweitens bat mich der New Harbinger Verlag, dieses Buch zu schreiben. Die erste Hälfte 1995 war für mich eine ausgesprochen kreative Zeit: Ich probierte die neue Lehrweise aus, die ich in Workshops in Kalifornien, Australien und Maryland entwickelt hatte – und schrieb. Das Unterrichten klappte gut und das Schreiben auch. Dieses Buch ist nun meine neue Focusing-Anleitung, die auf meiner fünfzehnjährigen Unterrichtserfahrung aus der Leitung Hunderter von Focusing-Workshops aufbaut.
Ich mag Focusing sehr. Es ist ein wunderschöner, komplexer und ergiebiger innerer Wachstumsprozeß, der inzwischen fest mit meinem Leben verwoben ist. Ich kann eigentlich nicht sagen, daß ich Focusing «mache», es ist eher so, daß ich es lebe. Neben vielem anderen hat mir Focusing auch eine spirituelle Öffnung gebracht, die ich nicht erwartet hätte.
Ich bin überzeugt, daß die Zeiten, in denen wir leben, von uns allen erfordern, unerschrocken und mit ganzer Kraft das zu sein, was wir sind. Für meine Begriffe ist Focusing der schnellste Weg, unsere eigene Wahrheit zu finden und zu leben. Focusing zu lehren ist für mich mehr als ein Beruf, es ist eine Leidenschaft. Wenn ich Ihnen auf Ihrem Weg mit Focusing helfen kann, schreiben Sie mir bitte; meine Adresse und Telefonnummer stehen hinten im Buch.
Kein Buch ist das Werk eines einzigen Menschen. Mein besonderer Dank gilt Barbara McGavin, die Tage mit dem Lesen und Kommentieren früher Fassungen zugebracht hat; viele ihrer Vorschläge wurden in die endgültige Fassung mit aufgenommen. Barbaras Intelligenz und ihr Engagement für ausgezeichneten Focusing-Unterricht sind für uns alle ein Geschenk.
Ich möchte Gene Gendlin danken, meinem Lehrer, ohne den es uns nicht möglich gewesen wäre, zu sehen und zu verstehen, was Focusing ist, geschweige denn, wie man es unterrichten kann.
Ich danke Neil Friedman, einem Therapeuten, der viel über Focusing geschrieben hat und der auf seine Weise der Engel war, der dieses Buch ermöglicht hat.
Ich bin auch meinen anderen Kollegen und Lehrern dankbar, die an der Weiterentwicklung von Focusing bis zu dem Punkt, an dem man so darüber schreiben kann, mitgewirkt haben: Reva Bernstein, Les Brunswick, Lakme Elior, Elfie Hinterkopf, Bebe Simon und viele andere.
Fürs Lesen verschiedener Manuskriptfassungen und für hilfreiche Vorschläge geht mein Dank an Helene G. Brenner, Marilyn Skelton Jellison, Larry Letich, Judy Levy, Judith Ann Perlin, Roger Pritchard, Bebe Simon, Martha Sloss und John Swinburne.
Außerdem möchte ich mich bei den lieben Freunden bedanken, die mich auf meinen Reisen bei sich zu Hause schreiben ließen und mich in ihre Familien aufnahmen, besonders Sebastiaan und Kate sowie Larry und Helene.
Gar nicht genug kann ich meinen Schülern danken, mit denen ich das vorliegende Material ausprobieren durfte und von denen ich so viel gelernt habe.
Ein ganz besonderer Dank geht an die fähigen Mitarbeiter bei New Harbinger, die für mich wahre Engel sind.
Immer wenn Jenny vor anderen Leuten sprechen sollte, schnürte sich ihr die Kehle zu. Je wichtiger eine Situation für sie war, desto stärker wurde die Enge im Hals. Referate an der Uni und Einstellungsgespräche waren qualvoll, fast unmöglich. Sie war schon bei vielen Therapeuten gewesen und hatte viele Techniken ausprobiert, um dieses enge Gefühl loszuwerden, aber ohne Ergebnis. Ihre Eigendiagnose lautete, sie sei «bescheuert, masochistisch» und stünde «sich immer selbst im Weg».
Dann kam sie auf Focusing. Beim Focusing hörte man angeblich seinem Körper teilnehmend und absichtslos zu, und viele Menschen schienen sich durch diese Art des inneren Zuhörens tiefgreifend und bleibend zu verändern. Sie war skeptisch. Es klang zu simpel. Aber sie wollte es auf einen Versuch ankommen lassen, schließlich suchte sie händeringend nach irgend etwas, das funktionierte.
Neugierig machte Jenny unter anderem, daß Focusing eine erlernbare Fertigkeit ist, keine therapeutische Technik. Zwar integrierten es viele Therapeuten in ihre Arbeit, aber man konnte Focusing auch lernen, ohne eine Therapie zu machen. Die Idee, sich eine Fertigkeit anzueignen, die sie nicht nur für dieses enge Gefühl im Hals, sondern für jedes anstehende Thema in ihrem Leben selbständig benutzen konnte, ohne jemanden dafür zu bezahlen, gefiel ihr.
Als Jenny zu ihrer ersten Focusing-Stunde kam und mir ihre Lage schilderte, hatte ich sofort das Gefühl, daß Focusing ihr helfen könnte. Ich habe im Lauf der Jahre Hunderten von Menschen Focusing beigebracht, und Jennys Situation war klassisch. Ihr Körper sprach bereits mit ihr. Sie mußte nur noch lernen zu hören, was er sagte.
Ich fragte Jenny, ob sie das enge Gefühl auch im Augenblick spüre.
«Ja. Und zwar, weil ich hier bei Ihnen eine neue Technik lernen soll und meine, daß ich alles richtig machen muß.»
Ich bat sie zu beschreiben, wie sich das anfühlte. Sie sah mich überrascht an. «Na, eng eben!» Ich fragte sie, ob sie noch einmal zu dem Gefühl zurückgehen und nachprüfen könnte, ob das Wort «eng» auch wirklich paßte.
Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. «Eigentlich», sagte sie langsam, «ist es mehr, als ob eine Hand zudrückt.»
Inzwischen hatte Jenny die Augen geschlossen und konzentrierte sich nach innen. Ich bat sie, das Gefühl der zudrückenden Hand behutsam zu begrüßen. «Sagen Sie einfach: ‹Ja, ich weiß, daß du da bist.›»
Diese Haltung war ihr völlig neu. «Ich habe es noch nie direkt angeschaut, sondern immer bloß versucht, es loszuwerden.» Deshalb dauerte es eine Weile, bis sie sich in diese neue Haltung hineinfand, aber dann spürte sie eine deutliche körperliche Erleichterung. «Es ist immer noch da, aber es tut nicht mehr weh. Es ist fast so, als ob es mir jetzt nicht mehr weh tun muß, weil es meine Aufmerksamkeit hat.»
Ich bat Jenny, sich innerlich zu der Empfindung zu setzen wie zu einer Freundin, einfühlsam und neugierig, wie es der Freundin geht.
Ein paar Minuten lang spürte Jenny mit geschlossenen Augen schweigend in sich hinein. Dann machte sie erstaunt die Augen auf. «Mensch, daß es so etwas sagt, hätte ich nie gedacht. Das ist ja wirklich verblüffend.»
Ich wartete ab. Den Rest würde sie mir schon erzählen, wenn sie soweit war.
Kurz darauf redete sie weiter. «Es sagt … es sagt, es liegt ihm was an mir! Es sagt, es will mich nur vor Fehlern bewahren!»
«Und wie fühlt sich das jetzt an?» fragte ich.
«Das enge oder zudrückende Gefühl ist völlig weg. Mein Hals fühlt sich offen und entspannt an. In meinem ganzen Körper breitet sich ein gutes, warmes Gefühl aus. Das ist ja verblüffend. Ich hätte nie gedacht, daß sich das so verändern würde!»
Dieses Beispiel zeigt, was beim Focusing passiert. Focusing ist ein körperorientierter Prozeß des Selbstwahrnehmens und der psychischen Genesung. Man nimmt einfach wahr, wie man sich fühlt – und dann knüpft man mit seinen eigenen Gefühlen ein Gespräch an, bei dem man hauptsächlich den Zuhörerpart übernimmt. Focusing beginnt mit der vertrauten Erfahrung, etwas im Körper zu spüren, das mit irgendeiner anstehenden Sache im eigenen Leben zu tun hat. Wenn einem im Magen flau wird, sobald man vor anderen reden soll, oder wenn sich ein enges Gefühl in der Brust bemerkbar macht, sobald man an den bevorstehenden wichtigen Anruf denkt, dann erfährt man, was man im Focusing Felt Sense nennt - eine Körperempfindung, die eine Bedeutung hat.
Und was machen Sie, wenn Ihnen flau wird, Sie ein enges Gefühl in der Brust bekommen oder sich Ihnen die Kehle zuschnürt? Wenn Sie so sind wie die meisten von uns, versuchen Sie, es loszuwerden. Vielleicht verwünschen Sie es ein bißchen: «Wieso muß dieses blöde Gefühl gerade jetzt kommen, wo ich doch mein Bestes geben soll?» Oder Sie hacken auf sich selbst herum: «Wenn ich ein besserer Mensch wäre, würde ich jetzt nicht so stocksteif werden.» Vielleicht machen Sie auch ein paar Atemübungen, trinken einen Schluck oder rauchen eine Zigarette.
Was Ihnen nicht einfällt - es sei denn, Sie kennen Focusing – ist, diesem Gefühl zuzuhören, es zu Ihnen sprechen zu lassen.
Dabei gestatten Sie sich genau dann, wenn Sie das Körpergefühl zu Wort kommen lassen, offen zu sein für die Tiefe und den Reichtum Ihrer ganzen Person. Außerdem wird das Gefühl sich viel eher entspannen, wenn Sie ihm zuhören. Es wird sich auflösen und Sie mit Ihrem Vorhaben klar und konzentriert fortfahren lassen. Vielleicht kommen Sie in diesem Bereich Ihres Lebens sogar auf eine Weise vorwärts, die Sie verblüfft und freut.
Focusing heißt, seinem Körper auf behutsame, annehmende Weise zuzuhören und die Botschaften anzunehmen, die das Innere einem sendet. Es ist ein Prozeß, bei dem man seine innere Weisheit respektiert und sich der unterschwelligen Wissensebene bewußt wird, die durch den eigenen Körper zu einem spricht.
Wenn man seinen Körper zu Wort kommen läßt, ergeben sich daraus Erkenntnisse, körperliche Entspannung und positive Veränderungen im Leben. Man versteht sich selbst besser, man fühlt sich besser, und man richtet sein Leben eher so ein, wie man es eigentlich gern hätte.
In den frühen sechziger Jahren begann Professor Eugene Gendlin an der Universität von Chicago der Frage nachzugehen, warum Psychotherapie manchen Menschen hilft und anderen nicht. Zu diesem Zweck studierten er und seine Kollegen einige hundert Tonbänder von Therapiesitzungen. Bei einer ganzen Reihe unterschiedlicher Therapeuten und Klienten nahmen sie den gesamten Therapieverlauf von der ersten bis zur letzten Sitzung auf. Dann baten sie sowohl Therapeuten als auch Klienten anzugeben, ob die Therapie erfolgreich gewesen sei. Zusätzlich setzten sie psychologische Tests zur Bestimmung positiver Veränderungen ein. Nur wenn alle drei Ergebnisse übereinstimmten – die Beurteilung des Klienten, des Therapeuten und des unabhängigen Tests -, wurde der Therapieverlauf in die Studie mit einbezogen. Zuletzt lagen also zwei Gruppen von Bändern vor: die von den erfolgreich und die von den erfolglos verlaufenen Therapien.
Anschließend verglichen die Wissenschaftler die Bänder, um herauszufinden, was den Unterschied zwischen Erfolg und Mißerfolg ausmachte. Zunächst hörten sie auf den Aufnahmen den Therapeuten zu. Es lag nahe anzunehmen, daß irgend etwas am Verhalten des Therapeuten bestimmte, ob die Therapie erfolgreich wurde oder nicht. Die Therapeuten in den erfolgreichen Therapien waren sicher irgendwie einfühlsamer, authentischer, nahmen die Klienten ernster oder waren schlicht intelligenter, vermuteten die Forscher. Tatsächlich aber ließ sich kein signifikanter Unterschied im Therapeutenverhalten feststellen. Im wesentlichen ähnelten sich die Therapeuten in beiden Tonbandgruppen. Sie gaben ihr Bestes – und manche Klienten machten Fortschritte, andere dagegen nicht.
Anschließend hörten die Forscher auf den Bändern den Klienten zu, und dabei machten sie eine faszinierende Entdeckung: Diesmal gab es tatsächlich einen Unterschied zwischen den erfolgreichen und erfolglosen Therapien. Diesen Unterschied hörte man bereits in der ersten oder zweiten Sitzung - und zwar bei den Klienten. Worauf es auch ankam, die erfolgreichen Klienten lernten es also nicht durch die Therapie, sondern konnten es bereits, als sie zur Tür hereinkamen.
Zu ihrer großen Überraschung fanden Gendlin und seine Forscherkollegen heraus, daß sie den Erfolg einer Therapie durch bloßes Anhören der Aufnahmen jedes beliebigen Erst- und Zweitgesprächs vorhersagen konnten. Wenn sie dem Klienten zuhörten, konnten sie tatsächlich prophezeien, ob die Therapie im Endeffekt erfolgreich sein würde oder nicht!
Und was war das? Was hörten die Wissenschaftler auf diesen Bändern, das ihnen die Vorhersage eines erfolgreichen Therapieverlaufs erlaubte?
Sie hörten folgendes: An irgendeiner Stelle in der Sitzung verlangsamten die Klienten ihr Sprechtempo, drückten sich weniger klar aus und begannen, nach Worten zu suchen, um zu beschreiben, was sie gerade spürten. Auf den Bändern hörte sich das etwa so an: «Hmmm. Wie soll ich das beschreiben? Es sitzt so hier. Es ist … hm … es ist … nicht richtig Wut … hmmm.» Oft erwähnten die Klienten, daß sie dieses Gefühl an einer bestimmten Stelle im Körper spürten, zum Beispiel: «Es ist hier in der Brust», oder «Ich hab da dieses komische Gefühl im Bauch».
Die erfolgreichen Klienten hatten also eine vage, schwer zu beschreibende Körperempfindung, die sie während der Sitzung direkt wahrnahmen. Die erfolglosen Therapieklienten dagegen drückten sich die ganze Sitzung hindurch klar aus! Sie blieben «im Kopf». Sie spürten nicht in ihren Körper hinein, und sie hatten nie ein Gefühl, das zunächst schwer zu beschreiben war. Sie konnten ihre Probleme noch so genau analysieren, erklären, darüber nachgrübeln oder sich die Augen ausweinen – im Endeffekt blieb ihre Therapie doch erfolglos.
Eugene Gendlin entschloß sich herauszufinden, wie man diese Fertigkeit lehrbar machen kann, die den entscheidenden Unterschied zwischen erfolgreicher und erfolgloser Therapie ausmacht. Als Therapeut wollte er nicht einfach tatenlos Zusehen, wie es manchen seiner Klienten besser ging und anderen nicht. Er wollte allen helfen.
Gendlin fand tatsächlich einen Weg, wie man diese so wirkungsvolle Fertigkeit zur psychischen Genesung lehren kann, und nannte sie «Focusing». Zunächst dachte er, Focusing diene nur dazu, Psychotherapie zu verbessern. Doch dann wollten immer mehr Menschen Focusing von ihm zu anderen Zwecken lernen: als Selbsthilfetechnik anstelle einer Therapie, um Entscheidungen besser zu treffen oder um für bestimmte Projekte Kreativität freizusetzen. 1978 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel Focusing, von dem mittlerweile mehrere hunderttausend Exemplare verkauft sind. Das Interesse an Focusing war so groß, daß Gendlin Workshops einrichtete und das Focusing Institute aufbaute, um für das weltweit wachsende Netz von Menschen, die Focusing betreiben, einen Ansprechpartner zu schaffen. (Informationen darüber, wie Sie sich mit diesem Netz in Verbindung setzen können, finden Sie im Anhang.)
Focusing ist eine natürliche Fähigkeit, die entdeckt, nicht erfunden wurde - und zwar, indem man beobachtet hat, was Menschen machen, wenn sie sich erfolgreich ändern. Das Vermögen zum Focusing ist eine natürliche menschliche Anlage, wir haben eigentlich ein Recht darauf. Wir werden alle mit der Fähigkeit geboren zu wissen, wie wir uns jeweils fühlen. Für die meisten von uns haben allerdings schmerzhafte Erfahrungen in der Kindheit oder später bewirkt, daß wir das Vertrauen in unseren Körper und unsere Gefühle verloren haben. Wir müssen Focusing erst wieder lernen.
Focusing ist eine sehr vielfältig einsetzbare Fähigkeit; es ist nicht nur für einen bestimmten Anwendungsbereich gedacht, sondern für alle möglichen Zwecke. Wunderbarerweise kann man Focusing erlernen und dann ein Leben lang nutzen, wann immer man es braucht. Jennys Geschichte am Beginn dieses Kapitels ist ein Beispiel dafür, wie man Focusing dazu verwenden kann, ein aufdringliches Körpersignal wie eine zugeschnürte Kehle zu verstehen und zu verändern. Hier sind ein paar weitere Anwendungsbereiche für Focusing:
Wer eine Psychotherapie macht, aber das Gefühl hat, dort steckengeblieben zu sein, beschließt oft, Focusing zu lernen, um wieder Bewegung in die Therapie zu bringen. Man hat den Eindruck, die Therapie habe eine Weile Fortschritte gebracht, doch dann sei sie irgendwie ins Stocken geraten. «Ich sage immer wieder dasselbe und habe immer wieder dieselben Erkenntnisse», berichtete mir eine solche Klientin. «Da ist irgendwas, an das ich nicht rankomme, das weiß ich genau, aber ich habe keine Ahnung, was das ist.»
Manche Therapeuten integrieren Focusing-Techniken in ihre Therapie. Andere empfehlen ihren Klienten, Focusing zu lernen und zwischen den Sitzungen zu üben. Wenn Sie zur Zeit eine Therapie machen und gern hätten, daß Ihre Therapeutin mit Focusing arbeitet, bekommen Sie dazu Tips im elften Kapitel «Wenn Sie gerade eine Therapie machen».
Viele Menschen haben keinen Kontakt zu ihren Gefühlen und Wünschen. Männer sind oft darauf getrimmt, Gefühle zu ignorieren, besonders «schwächere» und zartere Gefühle wie Angst und Traurigkeit. «Wenn man mich fragt, wie es mir geht, kriege ich eine totale Mattscheibe. Da ist irgendwie überhaupt nichts.» Frauen sind dagegen oft darauf getrimmt, sich unterzuordnen, ihre eigenen Gefühle abzutun und die Gefühle anderer für wichtiger zu erachten. Als Folge davon wissen wir oft überhaupt nicht mehr, was wir fühlen und wollen. Wir sind abgeschnitten von unserem Körper, der Quelle, die uns sagen könnte, wie wir uns fühlen. Focusing holt uns in den Körper zurück und bringt uns wieder in Verbindung mit dem, was für uns wirklich ist: mit unseren Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen.
Heftige Gefühle wie Traurigkeit, Angst oder Wut können einen manchmal richtig überwältigen. Sie schlagen über uns zusammen wie eine Ozeanwelle, schütteln uns durch wie ein Sturm, und angesichts ihrer Wucht fühlen wir uns oft ganz hilflos. Doch diese Emotionen sind aus gutem Grund so heftig. Sie haben uns eine wichtige Geschichte zu erzählen; sie bringen uns ein bedeutendes Stück unserer Ganzheit zurück. Focusing läßt Sie diese Geschichte anhören und das Gute dieser heftigen Gefühle empfangen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Mit Focusing lernen Sie, wie man zu starken Emotionen eine gute Beziehung bekommt, wie man sie zur Kenntnis nimmt und ihnen zuhört, anstatt in ihnen zu ertrinken.
Eine Blockade ist jede Stelle in Ihrem Leben, an der Sie etwas tun möchten, es aber unterlassen. Die häufigsten Blockaden sind die Ordnungshemmung (zum Beispiel nie zu schaffen, seinen Schreibtisch aufzuräumen) und die Schreibhemmung. Die Allzweckblockade heißt «Verschieben-wir’s-auf-morgen». Wenn Sie die Feerstelle in folgendem Satz ausfüllen können: «Ich möchte_________________, aber ich tu’s nicht», dann haben Sie eine Blockade.
Eine Abhängigkeit funktioniert wie eine umgekehrte Blockade. Dann heißt der Satz: «Ich möchte mit dem _________________ aufhören, aber ich tu’s nicht.»
Focusing hilft Ihnen dabei, Blockaden oder Abhängigkeiten loszuwerden, indem Sie lernen, dem Teil von Ihnen mitfühlend zuzuhören, der für die Blockade oder Abhängigkeit verantwortlich ist, und ihn zur Mitarbeit zu gewinnen.
«Du hast schon wieder alles falsch gemacht. Du lernst es nie. Gib lieber gleich auf.»
«Mit dir stimmt grundsätzlich etwas nicht. Du bist so verkorkst, daß du nie auf einen grünen Zweig kommen wirst.»
«Du bist komisch. Zeig bloß keinem anderen, wie komisch du bist – sonst will kein Mensch mehr etwas von dir wissen.»
Wer sagt Ihnen diese fürchterlichen Dinge vor? Wenn Sie so sind wie die meisten Menschen, sagen Sie so etwas höchstens zu sich selbst. Wir sind typischerweise zu uns selber viel strenger und grausamer als zu irgend jemand anders. Focusing hat wirkungsvolle Mittel parat, mit denen Sie sich von überzogener Selbstkritik und anderen Formen der inneren Sabotage befreien können. Sie lernen, Ihren inneren Kritiker in einen Helfer und Verbündeten zu verwandeln. Sie lernen auch, sich selbst und sämtliche Teile von Ihnen immer mehr zu mögen und zu akzeptieren. Und dieses Sich-selbst-Annehmen trägt dann dazu bei, daß Sie sich in den änderungsbedürftigen Bereichen Ihres Lebens schneller und nachhaltig ändern können.
Jeder Mensch muß täglich Entscheidungen treffen: kleine Entscheidungen wie «Was soll ich heute abend essen?» und große wie «Was soll ich mit dem Rest meines Lebens anfangen?» Wenn einem das Entscheiden nicht leicht fällt, kann der Alltag zu einem regelrechten Spießrutenlauf werden. Entscheidungsschwierigkeiten gehen oft mit Orientierungslosigkeit, Selbstzweifeln und Angst einher.
«Ich möchte Focusing lernen», erklärte mir ein Mann, «weil ich merke, daß ich mich bei Entscheidungen im Endeffekt nach dem richte, was ich tun sollte, weil andere das finden oder weil es in unserer Gesellschaft so üblich ist. Und das paßt mir nicht.»