Folk Voices - Manfred Baum - E-Book

Folk Voices E-Book

Manfred Baum

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Beschreibung

Ein nostalgischer Trip in die Vergangenheit, ein unkonventionelles Rechercheteam, ein Stall voller Emotionen und ein kräftiger Schuss Humor. Bruno Kern und Monika Littner haben einen Schlussstrich unter ihr altes Leben gezogen und sind auf Teneriffa gelandet. Sie war die umtriebige Managerin eines Erotik-Clubs namens Casa Fantasia. Er ist ein gefragter Schriftsteller und war über viele Jahre ihr treuester Kunde. Die ungewohnte Zweisamkeit stellt sie vor große Herausforderungen, aber sie reden nicht darüber. Was sie nach wie vor verbindet, ist der fantasievolle Sex. Aber reicht das auf Dauer für eine gemeinsame Zukunft? Da geschieht etwas, das dem Aussiedler-Leben der beiden eine neue Wendung gibt und sie ungewollt in ein aufregendes und sehr turbulentes Abenteuer verwickelt. Eine alte Freundin braucht dringend ihre Hilfe, denn sie hat eine mysteriöse Nachricht aus dem Jenseits erhalten. Was folgt, ist eine spannende, skurrile, aber auch humorvolle Recherche, um seltsame Botschaften und Hinweise aus der Vergangenheit. Bei ihrer Suche nach der Wahrheit, treffen Bruno und Moni auf alte und neue Blumenkinder und werden von zwei sehr speziellen Freundinnen aus der Casa Fantasia unterstützt. Bei der Aufklärung der geheimnisvollen Geschehnisse um eine alte Folkband, wachsen der narzisstische Einsiedlerkrebs und die selbstbewusste Emanze immer weiter zusammen.

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Er glaubte angekommen zu sein,

wollte nun endlich zur Ruhe kommen.

Es kam völlig anders…

Der Autor:

Manfred Baum, geboren 1960, schreibt bereits seit seiner Schulzeit. Danach schlummerte sein literarisches Mitteilungsbedürfnis lange Zeit vor sich hin. Er beschäftigte sich stattdessen mit dem Verfassen von Entwicklungsberichten und Hilfeplänen, im Rahmen seiner sozialpsychiatrischen Berufstätigkeit.

Aber dann tauchte plötzlich ein lange vermisster Schuhkarton mit uralten Texten wieder auf und die Leidenschaft war zurück. Er spürte sofort, dass er das alles inzwischen sehr viel besser konnte und machte sich ans Werk.

Gleich zu Beginn ein paar Anmerkungen:

Die beschriebenen Orte und Plätze auf Teneriffa gibt es wirklich. Die Namen der Kneipen und eines Freizeitparks wurden bewusst verfälscht. Alle handelnden Akteure und ihre Charaktere sind frei erfunden. Natürlich existiert auch die sogenannte Casa Fantasia nicht. Sie und einige der Hauptfiguren haben in einem älteren Roman eine Vorgeschichte.

Einige spanische Sätze werden bereits im laufenden Text übersetzt. Alle Übersetzungen wurden auf der letzten Buchseite noch einmal zusammengefasst.

Eigentlich sollte dieses Buch ein mysteriöses Krimiabenteuer werden. Es ist so ganz nebenbei ein humorvolles Zusammenwirken der Geschlechter daraus geworden. Bruno Kern wird nach seinem ersten Einsatz noch weiter ermitteln und die "Folk Voices" sind der Auftakt zu einer Buchreihe, zwei Fortsetzungen befinden sich in Arbeit.

Liebe Leser*innen, bitte seht es mir nach, wenn ihr trotz mehrfacher Überprüfung immer noch vereinzelte Rechtschreibfehler und falsche Satzzeichen findet. Auch die Grammatik war nie meine allerbeste Freundin. Ich schreibe, weil es großen Spaß macht und nutze gerne umgangssprachliche Formulierungen. Ein Lektorat kann ich mir nicht leisten, ich mache alles selbst. Für konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge bin ich offen.

Kontakt: [email protected]

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.

Inhaltsverzeichnis

1. Sinnkrise trifft auf Selbsterkenntnis

2. Brunos Jugend-Trauma

3. Monis Geheimnis

4. Mechthild

5. Ruf aus dem Jenseits

6. Zurück in die Vergangenheit

7. Die Auferstehung

8. Eine erste Lagebesprechung

9. Wer suchet, wird auch finden

10. Die ganze Geschichte

11. Reisediplomatie

12. Lagebesprechung, die zweite

13. Kurti

14. Die erste Markt-Recherche

15. Folk-Session

16. "Tranvia Tenerife" trifft VW-Bully

17. Franks Akte

18. Die Geigenexpertin und ihre alberne Freundin

19. Ein Trödelmarkt zeigt erste Spuren auf

20. Ein alter Bekannter

21. Agua-Folk

22. Digitaler Trialog

23. Männergespräche

24. Frauengespräche

25. Der Lorbeerwald

26. Chamorga

27. Beziehungsgewitter

28. Flucht aus San Andrés

29. Arbeitsfrühstück

30. Pico del Teide

31. Brainstorming

32. Undercover-Clyde

33. Jede Menge Sorgen…

34. Hilfe naht

35. Die Finca Callado

36. Die Therapeutin

37. Der Wolf verlässt seinen Bau

38. Ludwig Bender landet den Big Point

39. The day before

40. Die Stunde der Wahrheit

41. Liz

42. Jedem Ende wohnt ein Anfang inne

43. Epilog

Übersetzungen Spanisch - Deutsch

1. Sinnkrise trifft auf Selbsterkenntnis

Auch heute fiel ihm nichts ein. Bruno Kerns Blick wanderte auf die andere Seite der Bucht, seine Augen fixierten das monströse Betongerippe und er fühlte sich leer und ausgelaugt. Schon seit Wochen ging das so. Warum hatte er sich darauf bloß eingelassen? Moni war ausgeflogen und traf sich mit einer Freundin in El Sauzal. Wenigstens hatte sie eine! Die beiden Frauen ließen es sich bestimmt gutgehen und frühstückten ausgiebig im Café El Paradiso. Dessen Aussichtsterrasse lag sehr idyllisch: im lauschigen Grün, unter hochgewachsenen Palmen und direkt neben einem Wasserfall, inmitten des Parque Los Lavaderos.

Über die Bucht hinweg konnten die beiden zu ihm herüberschauen, direkt auf die bunte Mosaikstein-Terrasse. Zwar nur mit einem Fernglas, aber immerhin - theoretisch war es möglich ihn zu sehen und seine frustrierte Miene zu registrieren. Schreibblockade - jetzt schon ziemlich lange. Moni kannte das nur allzu gut, deshalb verzog sie sich lieber und ging ihm aus dem Weg, denn sie mochte seine Launen nicht ertragen.

Fast sechs Monate lebten sie nun schon gemeinsam auf Teneriffa, ganz in der Nähe von El Caleton, einem verfallenen Fischerdorf, fast am Ende der Welt. Es lag nur unweit von Puerto de la Cruz und unterhalb der paradiesisch schönen Steilküste. Ganz unten vom Dorf aus musste man sechzehn enge Serpentinen bewältigen, um zurück in die Zivilisation zu gelangen. Oben lag La Matanza, eine typisch kanarische Kleinstadt, direkt an der Inselautobahn. Ihre Finca befand sich genau auf halber Strecke, in der siebten Serpentine und bot einen fantastischen Blick auf die Bucht von El Sauzal.

Die enge und marode Straße war eine absolute Katastrophe, aber ihr Anwesen dafür wirklich ein Traum. Es könnte alles perfekt sein - war es aber nicht. Sie hatten es alle beide unterschätzt: ihr neues schönes Leben, die lang ersehnte Zweisamkeit, das Abschließen mit der Vergangenheit, nur noch nach vorne zu schauen und einfach glücklich zu sein. Zwei eingefleischte Einzelkämpfer stellte solch ein Ansinnen vor unglaublich große Herausforderungen.

Und so biss sich Bruno einmal mehr in seinem Selbstmitleid fest und glorifizierte die Vergangenheit, anstatt etwas Vernünftiges zu Papier zu bringen. Schwelgte lieber in seinen abgestandenen Erinnerungen und fand es supertoll, wie er früher einmal drauf war.

Moni und er kannten sich schon sehr lange und hatten trotzdem erst kürzlich zueinander gefunden. Es war ein bisschen so wie bei "Harry und Sally". Aber bei denen gab‘s ein Happyend und der Film ging recht frohgemut zu Ende. Sie beide dagegen waren auf dem besten Weg sich gleich wieder zu verlieren. Wenn er nur daran denken musste, drückte es sofort kleine Tränchen an seiner Rotznase vorbei. Dabei meinten sie es gut miteinander, sie bemühten sich wirklich, hatten verdammt guten Sex und sie mochten sich sehr. Aber es war wie so oft, wenn zwei schwierige Charaktere aufeinandertrafen, die es gewohnt waren nur ihr eigenes Ding zu machen…

Nun aber besser der Reihe nach, denn seine Gehirnwindungen verknoteten sich schon wieder. Gar nicht gut für einen in die Jahre gekommenen Journalisten, der sein Geld damit verdiente, seine geistigen Ergüsse möglichst leserfreundlich in die Tastatur zu hauen. Er war schon seit jungen Jahren als erfolgreicher Autor von Krimis und Thrillern bekannt. Zudem zeichnete sich Bruno Kern als Kenner der Folkrockszene aus und hatte sich auch mit Konzertkritiken und Bandreportagen einen guten Namen gemacht.

Der schwierige Charakter war ihm angeboren. Er nutzte diese Floskel, um zu entschuldigen, dass er es schon immer schwer mit den Frauen hatte. Aber wenn man bei seinen allerbesten Freunden nachfragte, dann hatten es die Frauen noch viel schwerer mit ihm. Aber solch infame Behauptungen konnte er einfach nicht ohne Widerspruch stehen lassen. Auch deshalb waren seine sogenannten Freunde über die Jahre immer weniger geworden.

Und weil es sich zwischen Bruno und den Damen im alltäglichen Leben so kompliziert gestaltete, lebte er in "Vor-Moni-Zeiten" sehr gerne allein und das war auch immer gut so gewesen. Aber der Mensch wurde halt von seinen Bedürfnissen gesteuert, vor allem der Mann! Für diesen waghalsigen Spruch hätte ihm Moni sofort kräftig den Hinterkopf touchiert. Aber - gekauft wie gesehen und praktischerweise war sie gerade nicht da.

So durfte sich diese rein männliche Perspektive in seinen Hirnwindungen heute ungestraft breitmachen. Eigentlich sollte man ja meinen, die Gedanken seien grundsätzlich frei und Bruno könnte sowieso denken, was ihm in den Sinn kam. Theoretisch ja - aber nicht wenn Monika Littner im Raum war und ihn genauso ansah, wie sie es oft zu tun pflegte. Denn sie schaffte es irgendwie, in ihn hineinzuschauen und seine Gedanken vollständig auszulesen. Meist wusste sie ziemlich genau, was in seinem Kopf gerade vor sich ging und ihr blieb deshalb nichts anderes übrig, als ihm immer wieder die Meinung zu geigen und darüber zu sinnieren, warum ein Zusammenleben mit Bruno Kern so anstrengend war.

Moni konnte das ziemlich gut, darin war sie Expertin. Sie konnte auch alles andere gut, zum Beispiel das mit dem Bedürfnisse erfüllen - vor allem die sexuellen. Der Satz musste einfach raus - ein richtiger Machokracher - wo sie ihn schon mal nicht hören konnte.

Moni arbeitete nämlich ihr halbes Leben lang in der Casa Fantasia, so wurde ein erotischer Themenpark genannt, den man in gewisser Weise mit dem Europapark vergleichen konnte. Nur etwas kleiner und erst ab achtzehn. Die Casa war ganz fest in weiblicher Hand, verdiente ihr Geld aber fast ausschließlich mit den männlichen Bedürfnissen.

Den meisten anständigen Menschen ging sofort der Rolladen runter, wenn Bruno von den fantastischen Attraktionen zu schwärmen begann. Viele nahmen sogar ganz unreflektiert und abfällig den Begriff "Puff" in den Mund. Doch aus seiner Sicht traf dieses böse Wort nicht im Entferntesten zu. Er war da lange Jahre ein sehr treuer Stammkunde gewesen und mochte solch eine unschöne Bezeichnung gar nicht gerne hören.

Die Mitarbeiterinnen dort hatten auf seine narzisstischen Anwandlungen immer sehr viel Rücksicht genommen, auch wenn sie ihn oftmals veräppelten und für ihr Leben gerne aufzogen. Moni werkelte anfangs selbst noch am Kunden und war dann ganz plötzlich ins Management abgetaucht. Dadurch verloren sich die beiden eine Zeitlang aus den Augen und sie fanden sich erst wieder, als Moni mit jungen vierzig Jahren bereits ab in die Rente sollte. Es war in der Konzeption der Casa-Frauen gemeinsam festgelegt worden, dass sie alle frühzeitig mit dem Arbeiten aufhören mussten. Mit dem Ausstieg aus der Casa wurde ihr gutes Geld ausbezahlt, welches die geschäftstüchtigen Damen gemeinsam erwirtschaftet und vorausschauend angelegt hatten.

Moni hatte plötzlich nichts Besseres mehr vor und krallte sich Bruno für ihr Leben danach. Er wehrte sich nicht, da er schon immer in sie verschossen war, ohne sich zu outen. Das Verlieben eines Kunden in eine Frau aus der Casa war natürlich tabu. Deshalb hielt Bruno über all die Jahre brav seine Klappe, um es nicht zu versauen. Und siehe da - es funktionierte. Am Ende kapierte Moni ganz ohne sein Zutun, dass er genau der Richtige für sie war. Er musste sich zwar zum Schein noch ein wenig zieren, aber dann war alles gut - dachte er! Aber jetzt, wo sie allmählich der Alltag einholte, da kamen die eigenbrötlerischen Gewohnheiten der beiden doch immer mehr zum Vorschein.

Nur der intensive Körperkontakt war ihnen geblieben. Aber sie hatten sich immer weniger zu sagen und sie machten wieder beide ihr eigenes Ding. Das war ziemlich öde - vor allem, weil Bruno sein Ding gar nicht mehr machen konnte. Hier auf Teneriffa war es wirklich sehr schön, in der Sonne und auch am Pool, mit diesem traumhaften Blick aufs Meer. Aber er bekam seinen Kopf nicht frei und war deshalb unfähig, halbwegs brauchbare Zeilen abzuliefern. Zu allem Elend konnte er auch nicht mehr in die Casa gehen und sich von Monis ehemaligen Kolleginnen ablenken und inspirieren lassen.

In seinem Größenwahn hatte er bei seiner Verlegerin bereits einen Vorvertrag für eine Krimireihe unterschrieben. Die sollte natürlich auf Teneriffa spielen - wie originell. Aber er hockte jeden Tag nur wie festgeklebt auf der Terrasse und es fehlte ihm so sehr an Fantasie und guten Ideen. Seinen Frust darüber ließ er an seiner heißgeliebten Monika aus. Ziemlich beschissen, das wusste er natürlich.

Und wie ging diese taffe Frau damit um? Sie machte ihr Ding, ließ ihn in Ruhe und schwieg. Offiziell in Rente, war sie ins Management der Casa Fantasia immer noch indirekt eingebunden. Dabei durfte das eigentlich gar nicht sein, soviel zu der scheinheiligen Konzeption dieser selbstbestimmten Weiber. Jeden Tag hing Moni stundenlang am Bildschirm und skypte mit Doro Manz. Die war die Geschäftsführerin der Casa und ihre engste Busenfreundin. Moni schien da so eine Art inoffiziellen Beratervertrag zu haben. Gestern Abend gelang es ihm ganz zufällig aufzuschnappen, wie sich die beiden Frauen über eine Filiale auf Teneriffa unterhielten. Zu allem Überfluss wurde gleich noch heftig über die selbstauferlegte Altersgrenze gelästert. Völlig einvernehmlich stellten die beiden Freundinnen fest, dass Moni noch viel zu jung für das Altenteil war und doch eigentlich mitten im Leben stand.

Aber er wollte nicht unfair sein. Schließlich lag es auch an ihm, dass Moni sich anderweitig orientierte. Nur den ganzen Tag seine Launen auszuhalten, wäre wohl ziemlich eintönig gewesen. Da würde es bestimmt noch viel schneller gehen, dass sie so richtig aneinandergerieten und lauter ungute Sachen zueinander sagten. Die würden sie zwar hinterher wieder bereuen, aber dann könnte es trotzdem zu spät sein und Moni wäre weg und so weiter...

Natürlich beschränkten sich ihre Gemeinsamkeiten nicht nur auf den körperlichen Bereich. Sie kochten auch zusammen und gingen gerne essen und ab und zu auch mal spazieren. Sogar wandern, ab in die Berge, aber eher selten, weil Bruno meist träge und frustriert sein Laptop bearbeitete und auf die göttliche Eingebung wartete.

Auch heute fixierte er dabei dieses scheußliche Betonskelett in der beeindruckenden Felswand gegenüber. Anfang der siebziger Jahre zog ein großer Investor direkt am Rand der Steilküste ein gigantisches Hotelprojekt hoch. Der Tourismus war zu dieser Zeit bereits heftig am Boomen. Zwei der Bettenburgen waren schnell fertiggestellt und die dritte noch mitten im werden. Da ging den Geldgebern plötzlich die Luft aus. Firma pleite - Bau eingestellt - nichts ging mehr. Und wie so oft in Spanien, blieb dann alles genauso stehen und keinen interessierte es mehr.

Jahre später wurde die Steilwand zum Naturschutzgebiet erklärt. In den unzugänglichen Felsen entdeckte man seltene Vögel und Pflanzen. Darüber thronte noch immer das Skelett von La Matanza, in Form einer mehrstöckigen Bauruine, die aussah wie ein antiker Apothekerschrank. Natürlich ohne die obligatorischen Schubladen mit den runden Knöpfen, so dass man durch die einzelnen Fächer einfach so hindurchschauen konnte. Die Stahlarmierungen rosteten seit Jahrzehnten immer weiter vor sich hin. Die einzelnen Wände fielen langsam in sich zusammen und niemand hatte eine zündende Idee, wie man das Ding ohne Gefahr für Menschen und Umwelt wieder abreißen konnte. So blieb das Skelett Zeitzeuge und Mahnmal für die Stilblüten von Größenwahn und Geldgier. Leider drohte es, irgendwann von ganz allein ins Meer hinabzustürzen.

Die göttliche Eingebung kam auch heute nicht. Sein altes Apartment in Deutschland hatte Bruno nur vermietet. Ob er seinem Mieter wegen Eigenbedarf kündigen sollte? Dann könnte er zurück in seine miefige Bude kriechen, einfach abtauchen in sein altes Leben und in gewohntem Umfeld auf die Rückkehr seiner Kreativität hoffen. Ab und zu überlegte er das schon. Aber Moni würde es ihm nie verzeihen und er wollte sie nicht wieder verlieren, jetzt wo es ihm endlich gelungen war sie einzufangen - ganz für sich allein.

Zudem dünkte ihm vage, dass er als Einsiedler auch nicht glücklich war. Trotzdem fiel es ihm damals immer leicht, seine Geschichten voranzubringen und rhetorische Stilblüten am Fließband zu produzieren. Bei jeder Neuerscheinung plünderten seine treuen Leser sofort die Buchläden. Die Literaturkritiker nannten seine sarkastischen Pamphlete originell und genial und man lobte ihn in den höchsten Tönen.

Dabei hatte Bruno Kern sein Leben lang nichts anderes getan, als seine soziale Inkompetenz in einer Art Gossen-Literatur zu kompensieren. Das Schreiben erlaubte ihm ungestraft, über gesellschaftlich relevante Themen herzufallen und über komplexe Sachverhalte zu polemisieren. Seine beißende Ironie tobte er am liebsten an Andersdenkenden aus und machte sich mit markigen Sprüchen über sie lustig.

In all den Jahren war es ihm gelungen, mit dem ganzen Mist eine Menge Geld zu verdienen und so konnte er sich fehlende Zuwendung und menschliche Wärme einfach kaufen. Eine sehr bequeme und gleichzeitig perverse Lebenskonstruktion - das wusste er selbst. Trotz seiner literarischen Erfolge blieb er immer allein und heulte in vielen sentimentalen Momenten die Einsamkeit in sein Kissen. Wie jeder andere Mensch träumte er schon seit seiner Pubertät von der einen großen Liebe, aber er investierte zu wenig, so dass es beim Träumen blieb, bis Monika Littner irgendwann entschieden hatte, ihn von seiner Pein zu erlösen.

Immer wenn ihn die spärlich gesäte Selbsterkenntnis ereilte, sah er einen weltfremden Narzissten, der stets ahnte, dass er nur ein armseliges Würstchen mit ausgeprägtem Minderwertigkeitskomplex war und eine dubiose Angst vor starken Frauen hatte. Aber als Narzisst konnte er das verdammt gut überspielen, was wieder zurück zu seinem schwierigen Charakter führte.

Warum tat sich Moni das überhaupt an und warum war alles nur so verdammt kompliziert? Sie hatten es noch gar nicht wirklich versucht miteinander und bis jetzt nur so eine Art gemeinsamen Inselurlaub verbracht. Und genau in dem Moment, wo es langsam ernst wurde, wo er Farbe bekennen musste, da wollte er sich einfach vom Acker machen.

Leise murmelte er vor sich hin: „Bleib cool Bruno, auf keinen Fall den Kopf in den Sand stecken, sonst wird das nichts mehr mit dir - nicht in diesem Leben. Die Moni ist deine Chance, die mag dich nämlich trotzdem - verkack‘s bloß nicht schon wieder!“

Aber Ende und aus mit diesem blöden Seelenstriptease. Außer ihm hörte eh keiner zu und er ging sich bereits selbst auf den Zeiger. Schließlich hatte er Moni hoch und heilig versprochen, sich heute richtig reinzuhängen und einen Einstieg in den ersten Roman zu finden.

Also zwang er sich zurück zu seinem eigentlichen Thema. Seine Tastatur lechzte bereits nach seinen Fingerkuppen und seine Verlegerin war längst am Rotieren.

Bruno hatte sich ein gemischtgeschlechtliches Ermittlerteam bei der Guardia Civil zurechtgelegt. Die beiden Hauptfiguren sollten die Sympathieträger für seine neue Krimireihe werden:

Claudio, ein spanischer Macho mit Herz, sehr von sich überzeugt, dabei emotional sprunghaft und leicht aus der Fassung zu bringen.

Elena, eine selbstbewusste Emanze, die immer genau wusste was sie wollte.

Sie war dazu verdammt, ihren Kollegen immer wieder zu erden, wenn der austickte und völlig neben sich stand. Dabei sah sie selbst sofort rot, wenn Claudio seine Sicht auf die Welt vom Stapel ließ und mit seinem Frauenbild nicht hinter dem Berg halten konnte.

Wenn es aber eng wurde, drängelte der Macho sich vor und stellte sich wie ein edler Beschützer vor Elena hin. Sie ließ es gerne zu, haute es ihm hinterher aber sofort um die Ohren. Die beiden Kommissare kabbelten sich ständig und sie stritten heftig darum, wer das Sagen hatte. Sie ließen kaum eine Gelegenheit aus, um sich gegenseitig ihre Schwächen an den Kopf zu werfen. Dabei mochten sie sich sehr, aber genau das konnten sie sich gegenseitig nicht eingestehen. Verschämt und doch auch humorvoll spielten die beiden mit dem erotischen Knistern, das sie wie eine Aura umgab. Alle Nebenfiguren um sie herum checkten längst was los war, nur die beiden Oberzicken nicht.

In dieser Ausgangslage würde sein zukünftiges Ermittlerduo viele knifflige Fälle lösen und außerordentlich erfolgreich sein. So weit so gut, mehr hatte Bruno leider noch nicht zu Wege gebracht. Noch kein einziger Fall war vorskizziert und er fand das Ergebnis seiner wochenlangen Terrassenorgien recht armselig. Denn die beiden Kanaren-Cops, müssten eigentlich Bruno und Monika heißen. So richtig originelle Charaktere hatte er sich gar nicht ausgedacht.

Wieder landete sein Blick auf der anderen Seite der Bucht und wanderte dieses Mal an den Strand von El Sauzal hinab, wo man die dunklen Öffnungen der uralten Höhlen in den gelblichen Felsen sehr gut erkennen konnte. Auch dort führte eine Serpentinenstraße ans Meer hinunter und bis vor wenigen Jahren gab es da noch ein altes Fischerdorf. In den Siebzigern mischten sich viele Hippies unter die Einheimischen. Provisorische Hütten und einfache Bauten waren in dieser Zeit entstanden. Auch die alten Höhlen wurden wieder bewohnbar gemacht und das bunt gemischte Völkchen arrangierte sich, trotz offensichtlicher Gegensätze, sehr gut miteinander.

Das war den Behörden aber zunehmend ein Dorn im Auge. Im Jahr 2009 wurde dann kompromisslos geräumt und alles abgerissen. Man wies ein großes Sperrgebiet aus, wo früher die Menschen zufrieden lebten und auf ihre besondere Art glücklich waren. Heutzutage war es nur noch Tagestouristen erlaubt, auf der alten Straße bis zu einem großen Parkplatz hinunterzufahren. Sie konnten spazieren gehen und sich auf großen Info-Tafeln informieren, wie toll die Gemeinde die Renaturierung hinbekommen hatte. Auch die alten Höhlen durfte man besichtigen. Was mit den vielen lieben Menschen wurde, darüber fand man auf den Tafeln kein Wort.

Moni war wieder zurück, trat von hinten an ihn heran, umarmte ihn und drückte ihre Nase tief in sein Haar. Sie folgte dabei seinen Augen: „So schlimm?“

„Schlimmer, viel schlimmer, mein Hirn ist hohl, völlig leer, ich bin nicht bei der Sache!“, brummte er nölig.

„Wo bist du denn? Wieder daheim in deiner Bude, unter deiner kuscheligen Bettdecke?“ Moni konnte sogar seine zurückliegenden Gedanken lesen, es war echt sowas von unheimlich, wie gut die ihn kannte.

„Daheim gibt‘s nicht mehr, daheim ist hier, das weiß ich doch, du bist mein daheim. Ich will nicht wieder weg. Ich will zu dir! Aber es ist so schwer endlich anzukommen - bei uns anzukommen“, floss es ziemlich literarisch aus ihm heraus.

„Ich weiß“, flüsterte sie in seine Kopfwolle. „Mir geht's doch genauso. Lass uns Zeit, du bist zu ungeduldig. Wir haben Jahrzehnte damit verbracht, unsere Seelen abzukapseln. Wir mussten alleine klarkommen und haben niemanden an uns herangelassen. Das kannst du nicht so schnell wieder zurückdrehen.“

„Sicher hast du recht“, stimmte er ihr zu, ohne seinen suchenden Blick von den Felsen zu lösen.

„Was gibt‘s denn da drüben dauernd so Interessantes zu sehen“, wollte Moni nun wissen.

„Ach nicht so wichtig“, beschwichtigte er. „Immer wenn ich da drüben diese Serpentinenstraße sehe, die runter zum Strand führt, dann muss ich an die Folk Voices denken und meine wilde Jugend holt mich wieder ein.“

„Du sprichst in Rätseln, Bruno Kern, die Folk Voices sagen mir überhaupt nichts“, rügte Moni ihn etwas vorwurfsvoll. „Willst du mich nicht an deiner wilden Jugend teilhaben lassen? Das wäre doch ein erster kleiner Schritt.“

„Hmmm – natürlich! Da weiß ich aber gar nicht wo anfangen“, trat Bruno sanft auf die Bremse. „Ich erzähl‘s dir sehr gerne, da gibt es überhaupt keine Geheimnisse. Das ist aber eine lange und sehr traurige Geschichte und doch ist sie irgendwie auch schön und aufregend zugleich.“

Moni hüpfte schwungvoll auf seinen Schoß, klappte sein Laptop zu und grinste ihn an: „Hört sich supergut an, aber eigentlich hab ich gerade Entzugserscheinungen. Hatten wir heute nicht noch was vor?“

„Jetzt sprichst du aber ebenfalls in Rätseln, meine Liebste“, ließ er sich auf ihr neckisches Spielchen ein: „Ich bin ein alter Mann in einer existenziellen Krise und du eine runzelige Rentnerin. Was sollten wir denn noch vorhaben, in unserem drögen Leben? In Puerto de la Cruz gibt‘s ein deutschstämmiges Rentner-Ghetto. Da könnten wir gemütlich auf einer Parkbank sitzen und fette Tauben füttern. Aber erst wenn der Pflegedienst da war und mein Rollator wieder aus der Reparatur zurück ist.“

Moni grinste noch mehr und griff ihm kräftig zwischen die Beine: „Ich bin nicht runzelig - ich bin untersext!“ Bruno hob sie an, grunzte brunftig und trug sein williges Opfer eilig in Richtung ihres Hauses. Die Tür ging zu und der Rest viel unter die Zensur.

2. Brunos Jugend-Trauma

Am gleichen Abend erzählte er seiner Monika doch noch die tragische Geschichte der Folk Voices - eine der angesagtesten Bands aus den 90er Jahren, die für eine ganz kurze Zeit auch seine eigene Geschichte war. Eine Zeit die ihn euphorisierte und in Ekstase versetzte und in der er so richtig glücklich war, wie später nie mehr wieder. Bruno kamen immer noch die Tränen, wenn er sich in seinen sentimentalen Erinnerungen verlor.

Wolf Beck gründete die "Stimmen der Folkmusik" im Jahr 1988, als Bruno gerade einmal vierzehn Jahre alt war. Bernies Autobahnband und auch Ougenweide beeinflussten Wolfs Musikgeschmack sehr. Doch die hatten ihren Zenit längst überschritten und frischer Wind war gefragt. Wolf konnte Mandoline und Dudelsack spielen wie ein irrer Derwisch und die Voices wurden schnell bekannt in der Szene. Als zwei Jahre später die siebzehn Jahre junge Sara Küfer, mit ihrer Geige und der großen Harfe zur Band stieß, da war die Erfolgsgeschichte nicht mehr aufzuhalten. Wolf und Sara ergänzten sich perfekt - instrumental sowie auch stimmlich. Ein neuer Stern ging auf am Folk-Rock-Himmel. Zwei Gitarristen und ein Schlagzeuger, deren Namen Bruno schon gar nicht mehr wusste, machten die Band damals komplett. Schnell wurden Sara und Wolf auch noch ein Paar.

Ein kleines Stück Flower-Power-Feeling lebte bei ihren mitreißenden Konzerten wieder auf. Das Outfit und die erotisierende Ausstrahlung der beiden taten ein Übriges, dass die Fans nach ihren Auftritten beschwingt und mit viel Wärme im Herzen, zurück ins tägliche Leben schwankten. Es war eine wilde Zeit für die Band. Sara und Wolf zogen mit ihrem alten VW-Bus durch die Lande, der Rest der Musiker reiste mit dem Equipment und einem Laster hinterher. Open-Air-Festivals und Mittelaltermärkte in ganz Europa standen jedes Jahr auf ihrem Tourplan.

Beiden war es immer sehr wichtig, bodenständig zu bleiben und nicht abzuheben. Natürlich verdienten sie gutes Geld mit ihrer Musik, es hatte aber nie eine Bedeutung für sie. Sie mischten sich weiterhin unters Festivalvolk und zogen völlig unbedarft über die vielen Märkte. Intensiv und hungrig lebten sie den alten Hippietraum, obwohl sie viel zu jung waren, um selbst noch welche zu sein.

Anfang 2002 kam dann der Anruf, der Brunos Leben nachhaltig prägen sollte. Wolf Beck rief ihn an – ihn, Bruno Kern, einen damals eher unbedeutenden Journalisten und noch wenig bekannten Autoren. Trotzdem hatten seine Musikkritiken Wolfs Aufmerksamkeit erregt. Er fragte Bruno für eine journalistische Tourbegleitung an. Am Ende sollten eine ausführliche Bandreportage und ein großes Abschlussinterview stehen. Die beiden trafen sich und der Funke sprang sofort über. Bei der folgenden Frühjahrsund Sommertour war Bruno bei jedem Konzert mit dabei und gab sich den aufputschenden Klängen hin. Er hatte getanzt und mitgesungen, gekifft und gelacht, wild gezecht und trotzdem geschrieben was das Zeug hielt, meist bis in die frühen Morgenstunden hinein und dabei jede Menge tolle Frauen kennen und lieben gelernt.

Es war eine herrliche und aufregende Zeit, lebensfroh und prickelnd, bis zum geht nicht mehr. Sie lebten einfach vor sich hin, unbeschwert, ohne trübe Gedanken und ohne Fragen nach dem morgen. So sehr wünschte er sich damals, diese Zeit dürfte nie zu Ende gehen. Und doch war die Tour natürlich irgendwann vorbei.

Wolf, Sara und Bruno führten zum Abschluss das geplante Interview. Sie wussten nicht, was bald danach geschehen sollte. Es hatte ihn berühmt gemacht, dieses verdammte Interview, ohne dass er das jemals wollte - vor allem nicht so.

Auf dem alten Bauernhof der beiden Folk-Größen saßen sie zusammen - es war ihr Rückzugsort, den sie vor der Öffentlichkeit geheim hielten. Sie lagen auf der rustikalen Holzterrasse in der Sonne, planschten nackt in ihrem Naturteich, sie schlemmten, rauchten und tranken und sie redeten - redeten viel und Bruno schrieb - schrieb alles auf. Sie kamen sich näher und er konnte dieses einzigartige Verständnis spüren, das zwischen den beiden so starken Persönlichkeiten herrschte - diese vollständige Akzeptanz des Gegenübers, diese bedingungslose Liebe und das absolute Vertrauen, wie er es nie wieder bei einem anderen Paar spüren konnte. In den wenigen Tagen auf dem Hof zog ihn die Ausstrahlung der beiden völlig in ihren Bann. Bruno himmelte sie an wie ein pubertärer Jüngling, der plötzlich das pralle Leben kennenlernte und sog ihre Worte in sich auf, las von ihren Lippen ab und vergötterte alles, was da so rauskam.

Und er führte ein richtig gutes Interview mit ihnen und brachte es zu Papier. Schrieb die Sicht der beiden auf die Welt nieder, ihre Lust am Leben, ihre Sehnsucht nach Frieden und Wahrhaftigkeit. Es gelang ihm dabei, ihre hohen Ansprüche und moralischen Werte in Worte zu fassen. Es wurde eine sehr aufrüttelnde und emotionale Botschaft an die Fans und die ganze Welt da draußen. Ziemlich abgehoben, das musste er heute leider zugeben. Aber damals war alles absolut authentisch für ihn und sie glaubten daran, dass sie die Welt gemeinsam besser machen konnten. Wie viele andere damals auch, nicht nur im Umfeld der Folk Voices. Es war einfach nur schön und Bruno hatte sich sehr wohl und zugehörig gefühlt, im Dunstkreis dieser beiden Alphatiere der deutschen Folkszene.

Ein paar Tage später waren Wolf und Sara mit ihrem Bus weggefahren und über Spanien mit der Fähre nach Teneriffa gereist. Eigentlich wollten sie noch weiter und sich eine Auszeit auf La Gomera nehmen, dort zur Ruhe kommen, in einer der Aussiedlerkommunen von Valle Gran Rey. Zuvor stand noch ein kurzer Abstecher zu den Fischerhöhlen von El Sauzal auf dem Programm. Auch dort lebten zu der Zeit noch jede Menge Althippies, darunter waren auch einige gute Freunde der beiden.

Da war es dann passiert - Bremsversagen. Der alte VW-Bus war in einer Serpentine aus der Kurve geflogen und tief hinab ins Meer gestürzt. Wie es der Zufall wollte, genau an der Stelle, die Bruno von ihrer Finca aus jeden Tag sehen konnte - die er ständig sehen musste, auf der anderen Seite der Bucht. Die ihn an diese prägende Zeit erinnerte und die ihm aufzeigte, wie endlich alles war, im Leben. Das Interview war damals gerade veröffentlicht worden und es machte nach dem Unfall richtig Schlagzeilen. Der Bus wurde bald danach aus dem Meer geborgen. Von Sara und Wolf fand man keine Spur – ertrunken - alle beide.

Die Folk Voices waren Geschichte, Bruno am Boden zerstört und von einem Tag auf den anderen in aller Munde - der Journalist, der das letzte Interview mit zwei Toten führen durfte und der die Bandreportage veröffentlicht hatte. Es war ein Nachruf daraus geworden. Die Voices lösten sich auf und sind ohne ihre beiden Leitfiguren nie wieder aufgetreten.

Moni nahm Bruno in den Arm, strich ihm zärtlich durchs Haar und er musste heulen wie ein Schlosshund - alles war wieder so nah und doch so unwirklich. Ob es eine gute Idee war, sich genau hier ein Haus zu kaufen?

3. Monis Geheimnis

Moni blies genau ins selbe Horn: „Jetzt wird mir klar, warum du ständig mies drauf bist und nur noch Stuss schreiben kannst - Sensibelchen muss ständig auf seine glorifizierte Jugend glotzen, die da drüben ein dramatisches Ende fand.“

Sie war noch nicht fertig und predigte ihm her: „Mensch Bruno, genau darüber solltest du mit mir reden! Sowas muss ich einfach wissen, wenn wir eine gemeinsame Zukunft anstreben.“

Er konnte nur nicken und zustimmend flüstern: „Das weiß ich doch selbst, ich wollte dir nichts verheimlichen. Das ganze Elend ist mir erst in den letzten Tagen bewusst geworden. Als wir die Finca gekauft haben, hatte ich noch keinerlei Ahnung davon, wo wir uns da niederlassen.“

Vor zweiundzwanzig Jahren war er nur kurz auf Teneriffa gewesen, gleich nach dem Unfall, zu einer Trauerfeier an der Absturzstelle. Herüber nach El Caleton gab es für ihn keinerlei Verbindung. Erst jetzt stieß ihn das Skelett wieder auf die tragischen Ereignisse von damals. In seiner nebulösen Erinnerung war der markante Rohbau überhaupt nicht abgespeichert gewesen. Erst jetzt hatte er zu recherchieren begonnen und alles kam wieder hoch.

„Meine Schreibblockade war vorher schon da,“ ergänzte Bruno. „Aber ich hatte von Anfang an so eine Ahnung, irgendwie war mir komisch, immer wenn ich übers Meer geschaut hab. Jetzt weiß ich auch warum!“ Es blieb nichts mehr zu sagen und er zog seine Rotznase hoch. Moni hielt ihn gut fest und drückte ihn schon wieder.

Sie schlug vor etwas zu kochen, um ihn abzulenken. Sie hatte Garnelen und Tintenfisch gekauft und auch etwas Spinat und wollte alles zusammen, in eine Zitronen-Sahnesoße einbinden. Dazu würde sie Spaghetti kredenzen. Bruno war einverstanden und schlurfte ihr hinterher. Er begab sich zu ihrer rustikalen Outdoor-Küche, schnappte sich eine Zwiebel und ein Messer, mochte nicht mehr schreiben und auch nicht mehr sinnieren und ständig das Skelett anglotzen. Zusammen kochen und essen war gut, das machte ihn jetzt an, sein Magen knurrte und er freute sich schon auf ihr gemeinsames Dinieren - auch auf das, was danach passieren würde. Aber das fiel erneut unter die Zensur. Ihre öffentlich zelebrierten Sexclubzeiten waren definitiv vorbei! Für immer - so hoffte er zumindest.

Sie saßen auf der Terrasse vor ihren dampfenden Tellern. Bruno hatte seinen Stuhl so hingedreht, dass er weit raus aufs Meer und auf den Küstenstreifen von Puerto de la Cruz schauen konnte. Das Skelett lag dadurch in seinem Rücken, er konnte und wollte es nicht sehen. Gierig schob er sich eine Riesengarnele zwischen die Kiemen, die gab es hier günstig zu kaufen. Wenn man Fisch und Meeresfrüchte gerne mochte, dann war man auf den Kanaren absolut richtig.

Moni verspürte keinen Appetit. Sie stocherte nur in ihrem Teller herum, drehte die Nudeln auf ihre Gabel und ließ sie wieder herunterrutschen. In Bruno keimte Hoffnung auf, dass er sich ihre Portion auch noch einverleiben konnte, was natürlich Quatsch war, denn es gab noch genug Nachschlag in Topf und Pfanne. Mit kritischem Blick fragte er: „Was ist los mit dir? Tummeln sich zu viele Zwiebeln in der Soße?“

Sie schüttelte den Kopf: „Nein Bruno, das ist es nicht. Ich labere dich voll, dass du mit mir reden sollst, dass ich wissen will was dich beschäftigt und ich bin selbst nicht ehrlich zu dir, mach mein Zeug und lass dich außen vor.“

Er grinste verschämt und beichtete ihr, dass er ihre verschworenen Gedankenspiele mit Doro Manz sehr wohl kannte: „Meine erotische Göttin fühlt sich doch noch zu jung und Teneriffa ist unterversorgt. Ist es das, was dich wirklich ernsthaft umtreibt?“

Moni konnte ebenso verschämt grinsen und sie verdrehte dabei peinlich berührt die Augen: „Ja das beschäftigt mich schon auch, aber nicht so richtig - nur ein bisschen. Doro und ich spinnen halt gerne rum. Wobei Doro schon immer mehr Gefallen daran findet, hier im Süden zu arbeiten und was Neues aufzuziehen. Aber wie gesagt, wir spinnen wirklich nur, da gibt es nichts konkretes. Nein Bruno, es ist was ganz anderes. Ich hab mich doch heute Morgen mit einer Freundin getroffen - das war nicht einfach irgendeine Freundin!“ Sie verstummte und schaute etwas betreten zu Boden.

„Dein Essen wird kalt,“ zischte er jetzt ziemlich misstrauisch retour. „Wer ist es?“ Irgendwie kam ein verdammt ungutes Gefühl in ihm hoch.

„Du liegst völlig falsch, nicht was du wieder denkst“, antwortete Moni beschwichtigend. „Mechthild ist hier, hier auf Teneriffa. Sie hat sich ein Zimmer in El Sauzal genommen. Ich hab mich heute Morgen mit Mechthild getroffen!“

Bruno zeigte sich überrascht. War denn jetzt die ganze Casa-Clique am Auswandern? Weil all die hübschen Frauen in ihrer Wehmut nach ihm zerschmolzen? Oder war Moni plötzlich andersrum geworden und outete sich genau in diesem Moment? Er konnte nur spekulieren und musste ausgiebig an Mechthild denken. Das konnte dauern, denn Mechthild war ein Thema für sich…

4. Mechthild

Mit ihr verband ihn nämlich eine ganz besondere Geschichte. Sie arbeitete in der Casa Fantasia, genauer gesagt in der Folterkammer und sie war masochistisch veranlagt. Bruno redete nicht gerne darüber, denn natürlich gingen überall sofort die entsprechenden Schubladen auf. Aber die ganzen Vorurteile trafen einfach nicht zu.

Mechthild war das Aushängeschild fürs Mittelalter in der Casa. Niemand kannte sich mit dieser geschichtlichen Epoche so gut aus wie sie. Schon von Kindesbeinen an trieb sie sich mit ihren Eltern auf den vielen Mittelaltermärkten herum, die inzwischen auch wieder so richtig in Mode gekommen waren. Später musizierte sie selbst in einer Folkband mit, hatte gesungen, Querflöte, Geige und Harfe gespielt, aus alten Stoffen Kleider genäht, opulente Rittermahle begleitet und all sowas getan, was eine richtige Hobby-Zofe auszeichnete. Das war ihr bis heute geblieben und sie konnte ihr Fachwissen über die vielen Jahre immer mehr verfeinern und erweitern.

Beruflich war sie eine Zeitlang eher eiskalt und geldgierig unterwegs gewesen. Nach ihrer Bankerinnenlehre konnte sie sich schnell ins Investment hocharbeiten. Ihre ausgeprägte Fähigkeit sehr strukturiert zu denken, Zusammenhänge zu verstehen und diese für ihre eigenen Interessen zu nutzen, blieb nicht lange unentdeckt. Schon mit sehr jungen zweiundzwanzig Jahren wurde sie von einem Hedgefonds angeworben. Schnell war sie eine gefürchtete Größe in dieser Männerdomäne. Keiner ihrer Kollegen konnte so zielsicher wie sie, attraktive Firmen aufspüren, die am Kapitalmarkt völlig unterbewertet waren. Unauffällig ergaunerte sie die Mehrheitsanteile. Sobald ihr Arbeitgeber das Sagen hatte, wurden die Firmen skrupellos zerlegt, die Filetstücke einzeln verkauft und Strohmänner als neue Geschäftsführer platziert. Die meldeten ein paar Monate später Insolvenz an. Zu der Zeit waren die Anteile ihres Hedgefonds längst wieder veräußert worden. Die Provisionen trieben ihren Kontostand rasend schnell in die Höhe.

Was da so sehr nach der Erfolgsstory einer Unsympathin klang, war sechs Jahre später schon wieder zu Ende. Denn eiskalt und skrupellos war Mechthild Graf nur an ihrer Oberfläche. Zu Beginn ihrer Karriere konnte sie das Leid und die Verzweiflung der naiven Firmenchefs und ihrer Angestellten noch ganz gut ausblenden.

Der spektakuläre Suizid des Patriarchen einer alten Familiendynastie, machte ihr erstmals schwer zu schaffen. Seit über dreihundert Jahren wurde in seiner Firma mit Papierdruckmaschinen gutes Geld verdient. Als der allerletzte Lastwagen des Konkursverwalters, das längst verkaufte Werksgelände mit verwertbarem Inventar verlassen wollte, da warf sich der alte Mann vor dessen Vorderreifen. Mechthild geriet in den Medien ziemlich negativ ins Rampenlicht.

Sie begann danach genauer hinzuschauen und sich selbst und ihre Arbeit zu hinterfragen. Schnell war sie nicht mehr das beste Pferd im Stall und ihre Skepsis wurde von Tag zu Tag größer. Sie entdeckte Eigenschaften an sich, die sie vollständig verdrängt hatte: Empathie für die Schicksale anderer Menschen und moralische Skrupel, immer weiter zu lügen und zu betrügen.

Ein Vorfall, an dem sie nur indirekt beteiligt war, brachte das Fass zum Überlaufen und warf Mechthild völlig aus der Bahn. Sie war gerade dabei, eine Fastfoodkette abzuwickeln und zwei weibliche Servicekräfte saßen arbeitslos auf der Straße. Völlig unerwartet standen die beiden mit der eindringlichen Bitte vor ihr, in einer anderen Filiale weiterarbeiten zu dürfen.

Mechthild wusste längst, dass auch die restlichen Standorte unmittelbar vor dem Aus standen. Nur noch die Grundstücke waren für ihren Arbeitgeber von Interesse. Sie wollte den Frauen keine falschen Hoffnungen machen, war aber auch nicht in der Lage ehrlich mit ihnen zu sein. Ihr schlechtes Gewissen bewog sie fatalerweise dazu, die jungen Damen auf eine Stellenanzeige in einer Tageszeitung aufmerksam zu machen, die rein zufällig auf ihrem Schreibtisch lag.

Im Nachhinein betrachtet, war dieser gutgemeinte Rat der größte Fehler ihres Lebens gewesen. Unmittelbar danach verließ sie mit sofortiger Wirkung den Hedgefonds.

Denn die beiden Frauen hatten sich beworben und die Jobs als Bedienungen sofort bekommen. Allerdings war das Café Bienenstich ein gut getarntes Bordell und Emily und Lisa wurden bereits an ihrem dritten Arbeitstag von einer Rockergang vergewaltigt. Der Geschäftsführer des Cafés hatte die beiden attraktiven Mädchen sofort an die Biker verschachert, kaum dass die Tinte auf dem Arbeitsvertrag getrocknet war. In ihrer Naivität hatten sie ihn nicht einmal gelesen.

Seither führte Mechthild, zusammen mit Lisa Kunz, den langwierigen Kampf um Gerechtigkeit, der mit Sicherheit durch alle möglichen Instanzen gehen würde. Eine erfolgreiche Anwältin war auch mit an Bord, die Mechthild aus ihrem unredlich erwirtschafteten Vermögen finanzierte. Ihr schmutziges Geld sollte wenigstens im Nachhinein noch etwas Gutes bewirken. Noch immer war völlig unklar, wie das Verfahren einmal enden würde.

Aber das war eine ganz andere Geschichte. Die führte allerdings dazu, dass Mechthild nun in der Casa Fantasia arbeitete und sie erklärte wenigstens im Ansatz, warum sich ihre sexuellen Präferenzen so entwickelt hatten. Das war selbst für Bruno schwer zu verstehen und manchmal kaum auszuhalten und er kannte sie jetzt schon eine ganze Weile - mehr vom Reden, obwohl sie damals auch ab und zu miteinander schliefen.

Kennengelernt hatte er Mechthild in ihrer Sünderinnenrolle. Die Mädels an der Bar unterhielten sich über die neue Frau in der Casa, die erst seit kurzem in der Folterkammer ihr Unwesen trieb. Dass die tatsächlich Schmerzen mit Lust verband und ob das überhaupt ginge, ob das gesund sein konnte und wie es in ihr drin wohl aussehen musste. Brunos Neugierde war geweckt und er entschied sich, naiv und blauäugig, zu einem kostenpflichtigen Besuch in ihrem mittelalterlichen Reich.

Wie er da reinkam und Mechthild zum ersten Mal sah, da zog sie gleich das volle Programm für ihn ab: schluchzte los, dass sie ihn schon erwartet hätte, ihn, den von der Obrigkeit gesandten Folterknecht, dass sie all ihre Sünden gestehen würde und er sie nicht foltern müsse, er solle gnädig mit ihr sein und so weiter…

Sie legte ihren Kopf und auch die Hände ganz selbstverständlich in die Öffnungen des Prangers und bettelte zugleich darum, nicht zu sehr gepeitscht und gegeißelt zu werden. Bruno wurde sofort unwohl und ganz anders und er überlegte, ob er gleich wieder gehen sollte.

Aber er war schon ein bisschen fasziniert von der Frau, die ihm da ihren knackigen Hintern entgegenstreckte und nur darauf wartete, dass er damit anfing sie zu bestrafen. Zumindest tat sie so, so ganz kaufte er ihr die Nummer nämlich nicht ab, denn sie trug ganz schön dick auf. Er verkündete ihr, dass er viel lieber mit ihr reden wolle und trotzdem bezahlen würde. Sie schaute ihn etwas irritiert an, doch dann nickte sie und meinte, er dürfe sie als Folterknecht natürlich befragen und sie würde gerne alles beichten.

Mechthild verließ dann kurz ihre Rolle und bat ihn ganz leise, er solle den Pranger trotzdem schließen und ihre Beine anketten, denn das würde in der Videoüberwachung besser aussehen. Sie war noch nicht allzu lange hier und mochte sich ihren Ruf nicht versauen, von wegen, dass die Jungs bei ihr nur quatschen wollten. Bruno tat ihr den Gefallen, drehte an der hölzernen Zwinge und die drei kreisrunden Öffnungen schlossen sich knarrend um ihren Hals und um die Hände. Ihre Fußgelenke hatte man eh schon mit dicken Eisenbändern bewehrt und er musste die schweren Ketten nur noch in zwei Ösen einhängen. Langsam ging er um die Sünderin herum und tat so, als ob er noch am Überlegen wäre, wie er sie am besten malträtieren könnte.

Aber den Sadisten raushängen war echt nicht sein Ding. Er wollte einfach nur wissen wie die Frau so tickte, die ihm ihren nackten Körper ohne Kopf und Hände präsentierte.

Er schlenderte zur Vorderansicht, zog sich einen grob behauenen Holzbock heran und setzte sich direkt vor sie hin. Dann griff er demonstrativ streng in ihre langen, roten Locken und herrschte sie an: „Dann beichte, aber sag nur die Wahrheit! Vielleicht werde ich dann gnädig sein und gebe dich wieder frei… Mal ehrlich, können wir den Scheiß auch lassen und ganz normal miteinander reden?“

Sie grinste ihn an und nickte zur Bestätigung. Und so entstand genau in diesem Moment eine neue, wundersame Bekanntschaft, die Brunos Horizont sehr erweitern und schnell in eine innige Freundschaft münden sollte. Bruno lernte eine blitzgescheite, hochsensible und weltoffene Frau kennen. Obwohl sie sich in der Casa Fantasia über den Weg gelaufen waren, stand der Körperkontakt nur ganz am Rande ihres intensiven Austauschs.

Sie begannen über das Mittelalter zu philosophieren, das auf der einen Seite glorifiziert wurde, in kitschiger Burgenromantik und auf überladenen Trödelmärkten, bei buntem Treiben in fantasievoller Kleidung, zu einfachem Essen und fröhlicher Musik.

Gleichzeitig stand es auch für die dunkle Seite des menschlichen Wesens, wenn man die kalten Verließe und Folterwerkstätten bedachte, deren Spuren auf fast jeder alten Festung zu finden waren. Deren Reste zur Schau gestellt wurden, die man besichtigen konnte, um sich zu gruseln und deutlich zu machen, wie gut wir es heutzutage doch hatten.

Sie redeten schnell auch über sich selbst, über ihr Leben, warum sie beide lieber alleine waren, über ihre schwierige Rolle im Kampf der Geschlechter und über ihre Unfähigkeit, sich sozial angemessen zu verhalten. Über Brunos Arbeit, über seine Bücher, auch über seine Musikkritiken, von denen Mechthild witzigerweise alle kannte, die er jemals über die alten und neuen Mittelalterbands verfasst hatte.

Auch über Mechthilds Arbeit in der Investmentbranche, wie sie sich immer weiter von ihren Gefühlen entfernte, wie sie so geworden war, wie sie nie sein wollte. Was sie bewegte umzukehren, wie schwer es für sie war, wieder zu sich selbst zu finden. Über ihre gescheiterten Therapien und ihre abhanden gekommene Lust. Wie sie irgendwann bemerkte, dass eben diese Lust und der Schmerz sich so nahe waren. Für sie ein praktikabler Weg zu ein wenig Befriedigung zu gelangen, der andere Menschen allerdings völlig befremdete.

Mechthild sprach über Macht und Ohnmacht, über ihre tiefsitzenden Schuldgefühle, dass sie irgendwie büßen wollte, gedachte alles wieder gutzumachen und sie doch gleichzeitig wusste, dass es niemanden nutzte, wenn sie ihren Körper stellvertretend peinigen ließ.

Sie erzählte ihm auch davon, dass die anderen Frauen sie in ihren gemeinsamen Supervisionen oft hinterfragten. Aber sie konnte sehr überzeugend sein, wenn sie ihre Interessen verteidigte. Es gelang ihr stets den Menschen deutlich zu machen, dass das, was ihr einen Vorteil brachte, auch das Beste für alle anderen war. Obwohl sie genau wusste, dass es sich ganz anders verhielt und dass die Menschen das eigentlich auch wussten, es aber trotzdem akzeptierten, weil sie einfach so gut reden konnte. Innerlich blieb sie dabei auf der Strecke, alleine und ungeliebt. Und keine Therapie der Welt würde das ändern können, wenn sie es nicht selbst änderte.

Die beiden saßen nackt in einer äußerst unwirtlichen und surrealen Umgebung, beziehungsweise nur Bruno saß, denn sie ließ sich lieber einzwängen, in ihre selbstquälerische Foltergarnitur. Mechthild erklärte ihm die Welt und warum sie nicht so war, wie sie eigentlich sein sollte – auch warum die meisten Menschen nicht so waren, wie sie gerne sein mochten. Sie hatten die Zeit völlig vergessen und auch den Grund, weswegen er ursprünglich gekommen war.

Aber eigentlich war es sowieso eher seine Neugierde gewesen. Es war so unheimlich schön, was da gerade zwischen ihnen passierte, wobei ein banaler Beischlaf nur stören würde, es wieder zerstören würde, dieses gute Gefühl, jemanden schon so lange zu kennen, obwohl man sich zum ersten Mal sah. Mechthild erschien ihm so vertraut und doch gleichzeitig so fremd, weil er nicht verstand, wie so eine kluge Frau den Weg wählen konnte, sich selbst zu erniedrigen, um sich zu spüren, um sich besser zu fühlen, um mit sich ins Reine zu kommen.

Aber es war ja nur das Erste von vielen weiteren Treffen gewesen, die ihre platonische Beziehung immer mehr festigten. Längst von der Folterkammer losgelöst, trafen sich Bruno und Mechthild oft am Pool und hingen auf einer der bequemen Liege-Inseln ab. Sie führten sich die verschiedensten Cocktails zu Gemüte und eher selten garnierten sie ihre intensiven Gespräche auch damit, dass ihre Körper ganz verschämt Kontakt miteinander aufnahmen, um nach außen hin den Schein zu wahren. Um sich nicht nur ihr Innerstes, sondern auch ihren Körper preiszugeben, um voneinander zu lernen, um sich immer noch besser zu verstehen.

Aber ohne darüber reden zu müssen, war den beiden einsamen Seelen schon von Beginn an klar gewesen, dass sie nicht irgendwann in einer Zweierbeziehung enden würden.

5. Ruf aus dem Jenseits

Oh Mann, das war intensiv gewesen. So wortgewandt wie er über Mechthild nachdachte, musste er unbedingt auch seine Romanfiguren agieren lassen. Vielleicht sollten schreibblockierte Autoren die Kriminalliteratur meiden und sich stattdessen im Genre der Seifenopern austoben. Komplizierte Beziehungskisten schienen Brunos Spezialgebiet zu sein, sowas konnte er - in echt und auch als Schreiberling.

Trotz all der schönen Gedanken war Bruno sichtlich angefressen, weil Moni hinter seinem Rücken mit seiner besten Freundin kollaborierte. Wenn die beiden miteinander konkurrierten, gefiel ihm das wesentlich besser. Seit er mit Moni so richtig zusammen war, reduzierten sich die langen Gespräche mit Mechthild sowieso immer mehr. Er war nicht so der Skyper und Whatsapper und zum Telefon griff er nur, wenn jemand bei ihm anrief. Mechthild respektierte das und ließ ihn in Ruhe - zumindest bisher war das so gewesen. Er hatte keine blasse Ahnung, warum sie plötzlich hier aufschlug und mit Moni klüngelte.

Aus diesem Grund pflaumte er seine Geliebte unflätig an: „Ich will sofort wissen was hier Sache ist, was hat diese Mittelalterzofe hier verloren? Warum trefft ihr euch heimlich und wieso wohnt sie in El Sauzal? Wenn Mechthild zu Besuch kommen will, dann kann sie doch hier auf der Finca wohnen. Was läuft da zwischen euch beiden, wovon ich nichts wissen soll?“

Moni grinste, weil Bruno so richtig abging: „Fragen über Fragen, komm wieder runter, du HB-Männchen, es besteht keine Gefahr, alles ist ganz harmlos. Lass es dir erklären und friss mich nicht gleich auf. Spar dir deine Energie für später, denn die brauchst du noch, für andere Dinge!“ Moni war fertig mit grinsen und schaute dafür schon wieder ganz zweideutig.

Schließlich erbarmte sie sich und berichtete ihm, dass ihrer beider Freundin nicht zu Besuch auf der Insel war. Sie mochte deshalb nicht bei ihnen wohnen, weil sie Bruno in seiner persönlichen Schaffenskrise nicht zusätzlich stressen wollte. Wäre sie urplötzlich hier aufgekreuzt, könnte sich ihre Paarfindungsphase noch komplizierter gestalten und Bruno eventuell das Gefühl bekommen, sich entscheiden zu müssen. Und wenn er sich dann für Moni entschied und deshalb Mechthild in den Wind schoss, wäre das doch ziemlich kontraproduktiv.

„Es gibt schließlich gar nichts zu entscheiden!“ Moni verkündete ihm diese Botschaft mit bedrohlichem Unterton und setzte dabei ihren klassischen "Monika-Littner-Blick" auf. Die junge Beziehung der beiden Aussiedler galt auch für Mechthild als gesetzt und sie stand überhaupt nicht auf Narzissten. Aber sie mochte ihn - sehr sogar und das sollte auch so bleiben. Sie wollte es auf keinen Fall versauen, deshalb schlief sie lieber woanders.

Frauen konnten sowas von kompliziert sein, Bruno begann zu lamentieren: „Aber ich will Mechthild gerne sehen und freu mich so, dass sie hier ist. Alles könnte wieder so wie früher sein, bevor wir hier auf diesem Eiland gelandet sind und du mich in die Monogamie getrieben hast! Stattdessen trefft ihr verschwörerischen Weiber euch heimlich und es soll dabei nicht um mich gegangen sein? Ich will aber, dass es um mich geht…, verdammt!“

Während er sich weiteren äußerst frauenfeindlichen Gedanken hingab, war Moni ganz nachdenklich geworden