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Ein toter Geschäftsmann in einem dänischen Ferienhaus, eine dubiose Reinigungsfirma und Partys mit Drogen. Frank Reuters erster grenzüberschreitender Fall zerstört die Illusion eines ruhigen Neuanfangs in Flensburg. Neben dubiosen Hoteliers, verschwundenen Geschäftspartnern und Einmischungen anderer Dienststellen bereitet ihm der Privatdetektiv Bargen Kopfschmerzen. Die Zusammenarbeit der Ermittler fördert den überraschenden Mörder ans Licht - ein deutsch-dänisches Drama wird enthüllt.
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Seitenzahl: 365
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Harald Jacobsen
Fördelüge
Küsten-Krimi
Tödlicher Partyrausch Der deutsche Geschäftsmann Klaus Paulsen wird ermordet in einem dänischen Ferienhaus entdeckt. Für Frank Reuter endet damit abrupt die Einarbeitungszeit in sein neues Aufgabengebiet. Zusammen mit Kommissarin May-Britt Oldsen aus Sonderburg übernimmt er die Ermittlungen. Während Reuter erste Verdachtsmomente gegen die eigenwillige Ehefrau des Toten aufdeckt, konzentrieren sich die dänischen Ermittler auf eine unbekannte Frau, die am Haus gesehen wurde. Dann tauchen erste Hinweise auf sogenannte Legal Highs und fragwürdige Partys unter der Regie eines Hoteliers auf. Zusätzlich macht sich die Inhaberin einer Reinigungsfirma verdächtig. Als sich dann auch noch der Privatdetektiv Henrik Bargen in die Ermittlungen einmischt, entsteht zunächst Konfusion. Doch dann raufen sich die verschiedenen Ermittler zusammen und können die Fäden schließlich entwirren.
Harald Jacobsen wurde 1960 in Nordfriesland geboren. Bereits seit seiner Jugend faszinieren ihn spannende Romane. Nach verschiedenen beruflichen Stationen durchlief er deshalb eine Ausbildung im kreativen Schreiben und veröffentlicht seit 2006 Kriminalromane, überwiegend mit regionalem Bezug. Seine Hauptfigur Frank Reuter blieb ihm treu und darf nach seinem Abschied vom LKA Kiel aktuell Ermittlungen mit grenzübergreifenden Fällen in Flensburg übernehmen. Zu dem dort ebenfalls ermittelnden Privatdetektiv Henrik Bargen entsteht über das Berufliche hinaus eine Freundschaft. Seine Ideen entwickelt der Autor in idyllischer Umgebung am Rande des Naturparks Aukrug, wo er zusammen mit Ehefrau und zwei Katern lebt.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Fördekartel (2018)
Reuter ermittelt an der Ostsee (2015)
Kielbruch (2014)
Mordsregatta (2013)
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2019
Lektorat: Susanne Tachlinski
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Gert Lapoehn Fotogr. / fotolia.com
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-5940-5
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die zwei Wochen Urlaub waren wie im Fluge vergangen und fielen weniger ergiebig aus als erhofft. Frank Reuter hatte sich diesen zeitlichen Vorlauf gegönnt, um vor Antritt seiner neuen Dienststelle alle privaten Angelegenheiten zu regeln. Er kannte sich mittlerweile in Flensburg und Umgebung einigermaßen gut aus und hatte auch seine dänischen Sprachkenntnisse nochmals verbessert, was aber weiterhin fehlte, war eine Wohnung. Von seinem Hotel aus konnte Frank den Weg zur Polizeidirektion im Norderhofenden leicht zu Fuß zurücklegen. Auf dem Holm, der Einkaufsmeile, lauschte er der Vielfalt an Sprachen. Deutch und Dänisch überwogen eindeutig. Es faszinierte Frank immer wieder, wie formlos die Skandinavier miteinander verkehrten. Er wusste aber auch, dass es durchaus feine Unterschiede beim allgegenwärtigen Duzen gab. Er fragte sich, ob er es sich jemals angewöhnen konnte oder immer wieder automatisch Fremde sofort siezen würde. Schließlich erreichte Frank das ganz in Weiß gehaltene Gebäude aus der Gründerzeit, in dem das Polizeipräsidium untergebracht war. Der Einzugsbereich der Direktion war enorm, nachdem im Jahr 2013 die Polizeidirektionen Husum und Flensburg fusioniert hatten. Dadurch wurden die Beamten selbst für Ermittlungen in Nordfriesland oder im Kreis Schleswig-Flensburg zuständig. Frank meldete sich bei dem uniformierten Kollegen im Foyer an und wurde wenige Augenblicke später von einem schmal gebauten Mann abgeholt.
»Kommissar Jo Fechner«, stellte er sich vor.
Der Name war Frank schon geläufig, da er zum Team um Hauptkommissarin Sonja Martenson gehörte, das bisher die Ermittlungen in grenzüberschreitenden Fällen mit übernommen hatte. Durch Franks Versetzung konnte diese Übergangslösung nun endlich beendet werden.
»Hauptkommissar Frank Reuter«, erwiderte er und schüttelte die angebotene Rechte.
Fechner ging mit ihm zum Fahrstuhl, der die beiden Männer ins dritte Stockwerk brachte. Auf dem Gang eilten Männer und Frauen zwischen den Büros hin und her. Es herrschte die übliche Geschäftigkeit einer Polizeidienststelle. Zwei Uniformierte kamen ihnen entgegen. Sie grüßten den Kommissar und warfen Frank einen neugierigen Blick zu. Am Ende des Gangs klopfte Fechner an eine Tür, um sie gleich danach aufzustoßen.
»Nach Ihnen, Herr Reuter«, ließ er Frank den Vortritt.
Das Eckbüro verfügte über zwei Fenster, sodass trotz des regnerischen Novemberwetters viel Licht in den Raum fiel. An einem Besprechungstisch saßen ein drahtiger Mann von etwa Mitte 50 und Hauptkommissarin Sonja Martenson, die Frank anhand einer Fotografie aus der Dienststellenübersicht erkannte. Sie entließ Fechner mit einem Nicken und erhob sich genauso wie der Mann.
»Moin, Herr Reuter. Sonja Martenson. Darf ich Ihnen den Dienststellenleiter Hauptkommissar Thorsten Albrecht vorstellen?«, begrüßte sie Frank.
Er schüttelte nacheinander die Hand der beiden Kollegen und nahm dann den angebotenen Sitzplatz sowie eine Tasse Kaffee an. Aus dem Augenwinkel musterte er Albrecht, der tiefe Ringe unter den Augen hatte und mit den grauen Schläfen älter wirkte, als er wahrscheinlich war. Der Job als Dienststellenleiter schien ausgesprochen aufreibend zu sein. Gleichzeitig lauschte Frank den Ausführungen der Hauptkommissarin, die von früheren Ermittlungen berichtete. Das spezielle Abkommen zwischen Deutschland und Dänemark ermöglichte es Ermittlern beider Länder, ohne großen behördlichen Aufwand ihrer Arbeit nachzugehen. Während ab sofort Frank von Flensburg aus derartige Fälle übernehmen würde, existierte in Sonderburg eine Kommissarin, mit der Martensons Team bereits mehrfach zusammengearbeitet hatte.
»May-Britt Oldsen verfügt genau wie Sie über beträchtliche Erfahrungen. Sie war vorher in Kopenhagen bei der Drogenfahndung und der Fachgruppe für Gewaltverbrechen im Einsatz«, erklärte die Hauptkommissarin.
Unwillkürlich fragte Frank sich, welche Leichen Oldsen wohl im Keller hatte, um auf einen so karrierefeindlichen Dienstposten versetzt worden zu sein. Seine abschweifenden Gedanken wurden von einer Frage des Dienststellenleiters unterbrochen.
»Konnten Sie sich schon ein wenig in unserer schönen Stadt einleben, Herr Reuter?«, wollte Albrecht wissen.
Höflich lobte Frank sowohl die Stadt als auch das Umland in den höchsten Tönen. Das fiel ihm nicht weiter schwer, da es aus ganzem Herzen kam. Die lebhafte Innenstadt mit der Fußgängerzone, die herrlichen Kaufmannshöfe und natürlich der Hafen sagten Frank sehr zu. Bis zum wunderbaren Strand in Glücksburg war es ebenfalls nicht weit und auch dort fühlte er sich auf Anhieb gut aufgehoben.
»Lediglich bei der Wohnungssuche hatte ich bislang keinen Erfolg. Entweder sagte mir die Lage nicht zu oder die Miete überstieg meine Möglichkeiten«, räumte er ein.
Albrecht schaute ihn mitfühlend an, während Martenson ein nachdenkliches Gesicht aufsetzte.
»Das ist in der Tat eine schwierige Situation. Möglicherweise lohnt sich ein Blick auf umliegende Gemeinden. Dort ist die Wohnungsmarktlage meist nicht so angespannt«, schlug er vor.
Darüber hatte Frank ebenfalls bereits nachgedacht. Noch scheute er aber diesen Schritt, der zu einem zeitlichen Mehraufwand führen würde. In Kiel hatte er es genossen, mitten in der Stadt zu leben und nur einen kurzen Weg zum Landeskriminalamt zu haben. So etwas in der Art schwebte ihm jetzt auch wieder für Flensburg vor, doch bisher liefen seine Bemühungen ins Leere.
»Sind Sie ein guter Handwerker, Herr Reuter?«, fragte Sonja Martenson plötzlich.
Nicht nur Frank schaute sie verwundert an, sondern auch Albrecht. Offenbar verstand er den Hintergrund der Frage ebenso wenig wie Frank.
»Früher habe ich viel selbst gemacht, ja. Meine Frau und ich haben mehrfach Häuser renoviert, in denen wir anschließend gewohnt haben. Warum fragen Sie?«, erwiderte er.
»Soweit ich informiert bin, sucht eine gute Bekannte von Kommissar Fechner nach einem Mieter für eine Wohnung über ihrem Fotoatelier auf dem Holm. Es gibt allerdings einigen Renovierungsbedarf, daher ist das Objekt nur für handwerklich begabte Menschen geeignet«, antwortete sie.
Das klang in Franks Ohren durchaus verlockend. Solange er nicht in eine feuchte, eiskalte Bruchbude einziehen musste, bestand durchaus Interesse.
»Nach der Einsatzbesprechung gehen wir zu Jo und fragen ihn. Einverstanden?«, schlug Martenson vor.
Frank willigte sofort ein. Anschließend kehrten sie zu dienstlichen Anliegen zurück. Albrecht händigte Frank seinen neuen Dienstausweis sowie eine Walther P99 samt Holster und drei Magazinen aus. Wie üblich, musste Frank dafür unterschreiben.
»Sind Sie mit der Pistole vertraut?«, fragte Martenson.
Da Frank bereits während seiner Zeit beim LKA eine baugleiche Walther als Dienstwaffe geführt hatte, entfiel eine spezielle Einweisung auf dem Schießstand. Die Einsatzbesprechung endete mit einer förmlichen Belehrung, welche Befugnisse er im Rahmen des Grenzermittlungsabkommens mit Dänemark hatte. Dann wünschte Albrecht ihnen eine gute Zusammenarbeit und entließ beide Hauptkommissare. Frank befestigte das Holster am Gürtel und schob Ersatzmagazine in die Seitentasche seiner Lederjacke. Den Ausweis klemmte er sich an die Brusttasche seines Hemdes, damit er sich ungehindert im Präsidium bewegen konnte.
»Ich zeige Ihnen zuerst Ihr neues Büro. Dort können Sie die Jacke loswerden und sich später in Ruhe einrichten. Danach stelle ich Ihnen meine Mitarbeiter vor, auf die Sie nach Rücksprache mit mir immer zugreifen können«, sagte Sonja Martenson.
Die neue Position brachte mit sich, dass Frank zwar leitender Beamter war, allerdings ohne eigene Mitarbeiter. Die Regelung, im Bedarfsfall auf Martensons Team zurückgreifen zu können, musste sich in der Praxis erst noch bewähren.
*
Fünf Minuten später lernte Frank die beiden weiteren Mitarbeiter von Martenson kennen. Fechner hielt sich im Hintergrund, während Frank die Oberkommissarin Helga Thoms und den Oberkommissar Fabian Kraft begrüßte. Der bullige Mann mit der Vollglatze erinnerte ihn unwillkürlich an Holly Fendt; der Leiter des Dezernats für organisierte Kriminalität beim LKA war einer der wenigen Freunde, die Frank im Kollegenkreis hatte. Genau wie Kraft war Holly ein wahrer Hüne mit Glatze und wachem Verstand.
»Hauptkommissar Reuter übernimmt wie bereits besprochen ab heute die Ermittlungen in allen grenzüberschreitenden Fällen. Wir unterstützen ihn nach Bedarf zukünftig, wenn der Umfang der Ermittlungen zusätzliches Personal erfordert«, erklärte Martenson.
Da die Abteilung auch so jede Menge Arbeit auf dem Tisch hatte, war Franks Übernahme der bisherigen Mehrarbeit durchaus willkommen. Nach der kurzen Begrüßung gingen die Ermittler zurück in ihr Büro, nur Jo Fechner wurde von Martenson aufgehalten.
»Sucht Ines eigentlich immer noch einen Mieter für die Wohnung über ihrem Atelier?«, fragte sie.
»Ja. Wieso, kennst du einen möglichen Kandidaten?«, antwortete Jo.
Mit einem Lächeln deutete Martenson auf Frank. »Herr Reuter ist handwerklich begabt und sucht nach einer bezahlbaren Unterkunft im Stadtzentrum«, sagte sie.
Der schmal gebaute Kommissar hob überrascht die Augenbrauen in die Höhe. »Ernsthaft? Ich muss Sie aber warnen. Frau Arndt hat spezielle Vorstellungen in Bezug auf die Renovierung. Die vorherigen Mieter haben die Räume in einem schlimmen Zustand zurückgelassen«, wandte er sich an Frank.
Der hob die Hände. »Ich bin zwar durchaus erfahren als Handwerker, immerhin habe ich zwei Häuser quasi grundrenoviert, aber kein gelernter Maurer oder so etwas«, wehrte er ab.
Fechner schmunzelte bei seiner Erwiderung. »Das erwartet Ines auch nicht. Was halten Sie davon, wenn ich Sie später einfach miteinander bekannt mache und Sie sich selbst ein Bild machen?«, bot er an.
Der Vorschlag war ganz in Franks Sinne. Obwohl ihn eine solche Aufgabe durchaus reizte, wollte er sich keinesfalls auf ein jahrelanges Bewohnen einer Baustelle einrichten.
Er dankte der Hauptkommissarin für ihre Unterstützung am ersten Tag in der Dienststelle und kehrte anschließend zurück in sein Büro. Es befand sich unter dem Dach und war kaum größer als eine Besenkammer. Wenn Frank sich ans Fenster stellte und ein wenig vorlehnte, erhaschte er aber immerhin einen winzigen Ausschnitt der Flensburger Förde. Doch der Schreibtisch war offensichtlich nicht sehr alt und auch der Computer machte einen neuen Eindruck. Frank ließ sich in den Schreibtischstuhl fallen und richtete seinen Zugang nach den Vorgaben des Systemadministrators ein. Der hatte ihm eine Art Leitfaden auf den Tisch gelegt, womit der Vorgang auch für einen weniger computeraffinen Menschen ohne große Hürden möglich war. Da Frank danach noch eine gute Stunde bis zum Feierabend blieb, studierte er die abgeschlossenen Fälle der Grenzermittlungsabteilung. Als es an der Tür klopfte und Jo Fechner eintrat, schaltete Frank den Computer mit einem leisen Seufzer aus.
»Na, das klingt aber nicht sehr euphorisch«, sagte Fechner.
Mit leicht verkniffenem Gesichtsausdruck deutete Frank auf den Monitor vor sich.
»Was bisher so an Ermittlungen gelaufen ist, scheint kaum die permanente Anwesenheit eines Hauptkommissars zu rechtfertigen«, sagte er.
Fechner zuckte mit den Schultern.
»Ehrlich gesagt, waren wir über Ihre Versetzung auch ein wenig erstaunt. Besonders, da Sie im LKA ja einige spektakuläre Erfolge erzielt haben«, gestand er freimütig.
Frank fragte sich, wie viel seine neuen Kollegen wohl über die Vergangenheit bereits wussten. Er beschloss, ganz offen damit umzugehen.
»Schon vor den Ereignissen im Rahmen der SOKO ›Kieler Woche‹ im vergangenen Sommer zählte ich nicht zu den Lieblingen der Führung im LKA. Es gibt keine Karriere mehr für mich in Kiel, weshalb ich den Wechsel hierher sehr gerne vollzogen habe«, erwiderte Frank.
Fechner ließ ein schelmisches Grinsen aufblitzen. »Tja, das erklärt einiges. Nun, unsere Truppe wird Ihnen besser gefallen. Sonja ist zwar eine strenge Chefin, aber durchaus auch für unkonventionelles Vorgehen zu haben«, sagte er dann.
Das klang positiv in Franks Ohren und er beschloss, seiner neuen Aufgabe ohne irgendwelche Vorbehalte nachzukommen. Er sprang auf und schnappte sich die Lederjacke, um hinter Fechner das winzige Büro zu verlassen. Sie ignorierten den permanenten Nieselregen in der Nachmittagsdämmerung und gingen zu Fuß zu dem Atelier. Jo erzählte von Ines Arndt, die eine erfolgreiche Fotografin war.
»Sie suchte lange Zeit nach einer passenden Adresse im Zentrum. Vor zwei Jahren wurde ihr der alte Kaufmannshof angeboten, bestehend aus über zwei Etagen verteilten Räumlichkeiten«, berichtete er.
Die Fotografin hatte ein wenig Geld angespart und ergriff die Gelegenheit am Schopfe.
»Ines kalkulierte immer mit den Einnahmen und suchte deswegen von Beginn an nach solventen Mietern«, sagte Jo.
Sie erreichten einen unscheinbaren Durchgang zwischen zwei Häusern auf dem Holm. Wäre da nicht ein Werbeaufsteller des Fotoateliers gewesen, hätte Frank ihn vermutlich kaum bemerkt. Er folgte Jo, der ins Geschäft seiner Bekannten ging und nach ihr rief. Im vorderen Raum gab es einen Verkaufstresen mit allen möglichen Artikeln rund ums Fotografieren. Frank wunderte sich, dass man in der heutigen Zeit überhaupt noch den komplizierten Umgang mit Fotoapparaten pflegte. Ein dicker schwarzer Vorhang trennte den Eingangsbereich vom eigentlichen Atelier. Eine Frau mit pechschwarzen Haaren, die auf der einen Seite extrem kurz geschnitten und auf der rechten Kopfseite bis übers Ohr reichten, trat hindurch. Zwei grüne Augen fixierten zuerst Jo und dann Frank. Er hatte den Eindruck, als ob die Fotografin auf der Hut wäre. Obwohl sie auch noch sehr schlank, fast so dünn wie ein Model war, verströmte sie eine ausgesprochen feminine Aura.
»Moin, Jo. Wen bringst du denn da mit?«, fragte sie.
Ihre Stimme war einen Hauch heiser. Frank meinte, einen minimalen Dialekt oder Akzent bei der Aussprache zu hören, ohne sich aber ganz sicher zu sein.
»Moin. Das ist der neue Kollege, von dem ich bereits erzählt habe. Hauptkommissar Frank Reuter. Er sucht noch nach einer bezahlbaren Wohnung in der Stadt und verfügt über handwerkliche Fähigkeiten«, antwortete Jo.
Es war auffällig, wie verändert der Kommissar auftrat. Er schien sehr bemüht zu sein, seiner Bekannten alle möglichen Bedenken zu nehmen. Frank registrierte es und hielt gleichzeitig den Blick auf das fein gemeißelte Gesicht der Fotografin gerichtet. Ihre Alabasterhaut bildete einen geradezu unnatürlichen Kontrast zu den schwarzen Haaren.
»Stimmt das? Sie können eine Wohnung selbstständig renovieren, ohne es nur noch schlimmer zu machen?«, fragte sie nun an ihn gewandt.
Mit wenigen Sätzen berichtete Frank, wie er zusammen mit Karin früher ganze Häuser bezugsfertig instandgesetzt hatte.
»Klingt gut. Na schön. Ich zeige Ihnen die Wohnung. Sie ist genau hier oben drüber«, entschied die Fotografin.
Sie legte die Kamera, die mit ihrem klobigen Aufbau in Franks Augen ein wenig altmodisch wirkte, auf den Tresen. Dann beugte sie sich darüber und holte ein Schlüsselbund aus einer Schublade. Anschließend bat sie Jo, in ihrer Abwesenheit auf das Atelier aufzupassen. Als Frank ihr automatisch die Eingangstür aufhielt, streifte ihn ein überraschter Blick.
»Wie angenehm. Ein Gentleman der alten Schule«, sagte sie ohne einen Anflug von Spott in der Stimme.
Arndt stieg eine Eisentreppe ins Obergeschoss hinauf, deren weiße Farbe an vielen Stellen abgeblättert war. Nach einer Wende standen sie auf einer Plattform vor der Eingangstür. Die Fotografin hatte sich im Rausgehen einen Poncho angezogen, dessen Enden jetzt von einer Windböe aufgewirbelt wurden. Das Kleidungsstück war genauso schwarz wie ihre Hose und der weite Pulli, den Arndt dazu trug. Mit einem leisen Quietschen schwang die solide Stahltür nach innen und Arndt betätigte einen Lichtschalter dahinter. Sie ging weiter und Frank betrat unmittelbar nach ihr die Wohnung. Er sah auf den ersten Blick, was die Fotografin so verärgert hatte.
»Wer kommt denn auf eine so abscheuliche Idee?«, entfuhr es ihm beim Anblick des Fußbodens.
An vielen Stellen konnte er noch die Holzmaserung erkennen, doch der größte Teil war mit einer Lackfarbe in einem grellen Blauton bedeckt.
»Es waren junge Mediengestalter, die offensichtlich keine Beziehung zur alten Bausubstanz hatten. Die Wände bestehen genau wie unten aus roten Steinen, die ordentlich verfugt sind«, erklärte Arndt.
Doch davon war jetzt nichts mehr zu sehen. Die Vormieter hatten sie mit Rigipsplatten versehen und diese in schlichtem Weiß gestrichen. Franks Blick ging hinauf zur Decke, und wie erwartet entdeckte er dort vier mächtige Holzbalken. Hier hatten sich die früheren Mieter zwar nicht ausgetobt, doch deren Substanz war ebenfalls schlecht. Arndt zeigte Frank einen Nebenraum, der als Schlafraum geeignet war, sowie ein kleines Badezimmer mit sehr schlichter Ausstattung. Wenigstens eine Duschkabine war vorhanden.
»Im großen Raum gibt es an der westlichen Wand alle erforderlichen Anschlüsse, um dort eine Küchenzeile anzubringen«, erklärte die Fotografin.
Sie kehrten zurück zur Eingangstür. Frank rieb sich nachdenklich übers Kinn und versuchte sich darüber klarzuwerden, ob er sich eine Renovierung der Wohnung überhaupt vorstellen konnte. Die Arbeit würde ihn sicherlich gut ablenken, sodass er weniger an Karins und Jasmins Verschwinden aus seinem Leben nachdenken musste. Arndt ließ ihn sich in aller Ruhe umsehen; sie schien zu merken, dass er Zeit zum Nachdenken brauchte. Schließlich ging Frank in die Hocke und strich mit der flachen Hand über den Lack am Boden. Ohne aufzusehen, teilte er der Fotografin seine Einschätzung mit.
»Den gesamten Fußboden in beiden Räumen würde ich mit der Hand abschleifen. Wobei ich vermutlich auch eine Maschine einsetzen kann. Das muss man sehen. So wie ich die Maserung einschätze, dürfte es sich um Peachbine handeln. Später kann man es ölen oder eine Wachsschicht aufbringen«, sagte er.
Die Fotografin schwieg. Frank kam aus der Hocke wieder hoch und deutete dabei auf die Wände.
»Vorerst würde ich die Platten so lassen. Die Balken haben Vorrang, denn die müssen vermutlich alle ausgetauscht werden. Das Abschleifen und neu bearbeiten kostet zwar auch einiges an Geld, aber das wäre ich bereit zu investieren. Immer abhängig davon, ob Sie mich als Mieter akzeptieren und wie teuer die Wohnung wird«, sprach er weiter.
Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er es wollte. Frank hoffte sehr, dass die Fotografin ihm die Wohnung überließ.
»Die Miete wird nicht sehr hoch sein, Herr Reuter. Ihr Vorhaben gefällt mir und ihr Ton verrät Sie. Die Wohnung hat Sie bereits akzeptiert und ich auch. Die Kosten für die neuen Balken übernehme ich natürlich. Vielleicht können Sie ja den Austausch später vornehmen. Mal sehen«, sagte Ines Arndt.
Mit einem Handschlag besiegelten sie ihren Vertrag, den der Steuerberater der Fotografin noch schriftlich fixieren sollte. Zu Franks Überraschung drückte Arndt ihm bereits das Schlüsselbund in die Hand.
»Sie können jederzeit einziehen. Ich freue mich auf eine gute Nachbarschaft«, sagte sie.
Als Frank wenige Augenblicke später mit ihr ins Atelier zurückkehrte, schaute Jo in ihre Gesichter und grinste zufrieden.
»Das hat ja bestens geklappt. Also, ich habe Hunger. Was meint ihr? Sollten wir den erfolgreichen Tag mit einem gemeinsamen Essen im ›Gnomenkeller‹ abrunden?«, fragte er.
Für Frank war es auf jeden Fall ein guter Vorschlag, da er ungern schon wieder im Hotelrestaurant allein zu Abend essen wollte. Ines Arndt wollte nur noch eine Arbeit zu Ende bringen, aber dann mit den beiden Männern ihren Feierabend einläuten.
Wie viele Leben hat ein Mensch? Diese Frage kreiste auf einmal in seinem Kopf herum. Sein Blick versuchte die Wolken am blassen Novemberhimmel zu fixieren. Obwohl das große Oberlicht im Dach absolut sauber war, konnte Klaus nur verschwommen sehen. Er blinzelte angestrengt und wunderte sich gleichzeitig über die Kälte der Fliesen. Das Haus hatte eine moderne Fußbodenheizung, sodass man selbst im tiefsten Winter auf Socken durch die Räume laufen konnte. Seine Rechte tastete vorsichtig über das Hemd. Klaus registrierte die Feuchtigkeit, als er den Bauch erreichte. Eigentlich hätte er statt Kälte eher Schmerzen spüren müssen. Doch die blieben merkwürdigerweise aus. Nur bei den drei oder vier Stichen des großen Messers hatte Klaus vor Schmerz aufgeschrien. Vielleicht auch mehr aus Verwunderung, dass ihm so etwas widerfahren war. Er riss die Augen auf. Doch die Dämmerung schien heute Nachmittag früher als gewöhnlich einzusetzen. Die Kälte breitete sich mittlerweile im gesamten Körper mit großer Geschwindigkeit aus. Es verwirrte Klaus, dass sich von den Füßen her eine Gefühllosigkeit ausdehnte. Aufstehen hätte er vielleicht noch vor ein oder zwei Minuten können, doch jetzt war es rein körperlich nicht mehr möglich. Mit einem verzweifelten Stöhnen kämpfte Klaus gegen die unerbittliche Dunkelheit an, die ihn mehr und mehr umfing. Selbst sein so oft gelobtes Gehör ließ ihn mittlerweile im Stich. Obwohl die Spieler von Barcelona und Manchester United weiterhin den Fußball hin und her trieben, immer untermalt von den laut anfeuernden Fans beider Seiten, kam scheinbar aus den Boxen des großen Flachbildfernsehers kein einziger Ton mehr heraus. Dabei hatte Klaus die Fernbedienung nicht angefasst und seinem unerwarteten Besucher nicht die Höflichkeit erwiesen, wenigstens leiser zu machen. Klaus war nur verärgert über die Störung gewesen und verblüfft, überhaupt in dem Ferienhaus aufgestöbert worden zu sein.
»Ein Leben«, hauchte er in letzter Erkenntnis.
Mit diesen kaum zu vernehmenden Worten fiel Klaus Paulsen endgültig in eine gnädige Ohnmacht. Der hohe Blutverlust forderte seinen Tribut.
*
Es hatte die ganze Nacht geregnet. Überall standen riesige Wasserflächen auf den Feldern und es war definitiv kein Wetter, um mit dem Motorrad zu fahren. Unglücklicherweise blieb May-Britt Oldsen keine andere Wahl, da ihr alter Opel Corsa noch immer in Bennys Werkstatt stand. Irgendein bescheuertes Steuermodul war defekt und es dauerte länger als ursprünglich gedacht, ein entsprechendes Ersatzteil zu beschaffen. Dabei hätte May-Britt bereits seit Anfang des Monats mit dem Wagen unterwegs sein wollen. Als der Anruf aus Hejlsminde einging und von einem Leichenfund im Vibevej die Rede war, musste die Kommissarin sich trotz anhaltenden Regens auf ihre Honda NC750S schwingen. Daher war sie mächtig durchgefroren, als sie am Ferienhaus das Motorrad auf den Seitenständer stellte. Natürlich hätte sie sich auch von Anne abholen lassen können, doch das widersprach May-Britts Ungeduld. Bisher hatte sie die Versetzung auf den Dienstposten in Sonderburg als Rückschritt ihrer Karriere angesehen. Ein verdienter Dämpfer nach ihrem bösen Fauxpas mit den Drogen. In den zurückliegenden acht Monaten musste die Kommissarin lauter banale Ermittlungen übernehmen, sodass sich ihre Befürchtungen zu bestätigen schienen. Als Leiterin der dänischen Sektion für grenzüberschreitende Ermittlungen in Sonderburg würde sie keine beruflichen Blumentöpfe gewinnen. Doch seit dem Anruf vor einer guten Stunde bot sich ein neues Bild.
Ole, der Leiter der Kriminaltechnik, erschien in der Haustür des Ferienhauses und winkte ihr zu. Unterbrach den Gedankengang. Endlich. May-Britt wollte einen Blick auf den Leichnam werfen, was ihr bislang verwehrt worden war. Sie eilte über die Auffahrt und nahm es als gutes Zeichen, dass seit fünf Minuten der Regen nachgelassen hatte und sich mittlerweile sogar einzelne Wolkenlücken zeigten. Wenigstens die Rückfahrt konnte ganz angenehm werden.
»Zieh die Schützer über deine Schuhe und Handschuhe an. Nur zwei Minuten, und wehe, die verlässt die ausgelegten Platten«, mahnte Ole.
Brav befolgte May-Britt die Anweisungen und folgte derartig verkleidet Sekunden später dem Techniker ins Haus. Sein Team war bereits sehr fleißig gewesen, wie die kleinen Trittplatten im Gang sowie Pulverspuren an Türrahmen belegten. Ole führte sie am Tresen der zur Wohnstube offenen Küche vorbei, und da lag er. Ein Mann von etwa 50 Jahren inmitten einer großen Blutlache. May-Britt ging vorsichtig in die Hocke, um sich die Verletzungen im Bauchraum genauer anzusehen.
»Mehrere Stiche. Auf den ersten Blick konnte ich sechs Wunden erkennen, aber die exakte Zahl kann ich erst nach der Entfernung seiner Kleidung benennen. Alle Stiche wurden ihm vermutlich aus kurzer Distanz zugefügt, und das mit einiger Wucht«, erläuterte Ole kühl.
Nach einem abschließenden Blick erhob May-Britt sich wieder und nahm einen Ausweis entgegen, der in einer der durchsichtigen Spurensicherungstüten verpackt war.
»Klaus Paulsen. Deutscher aus Schleswig, wie bereits vorhin gesagt«, erklärte Ole.
Der Täter hatte sich weder die Mühe gemacht, das Haus zu verschließen, noch die persönlichen Dinge wie Ausweis oder Mobiltelefon an sich zu nehmen. Daher fiel die Identifizierung leicht und führte dazu, dass May-Britt in Flensburg anrief. In alter Gewohnheit sprach sie zuerst mit Sonja Martenson, mit der sie immer gut zusammengearbeitet hatte. Meistens schickte die ihren Mitarbeiter, Jo Fechner, der fließend Dänisch sprach und vom Naturell her gut zu seinen Kollegen in Sonderburg passte. Doch May-Britt erlebte eine große Überraschung, als Sonja ihr vom neuen, jetzt dauerhaften Dienststellenleiter Hauptkommissar Reuter berichtete. Sie würde ihn informieren, damit er sich umgehend auf den Weg nach Hejlsminde machen konnte. May-Britt erwartete ihn nun jeden Augenblick. Ein junger Techniker mit einem Ring im linken Nasenflügel erschien am Durchgang zu einem der Schlafräume.
»Auch nichts, Chef. Hier wurde gründlich sauber gemacht«, erklärte er.
Ole ließ ein verärgertes Schnauben hören.
»Verstanden. Dann nimm dir das kleine Badezimmer vor«, ordnete er an.
Verblüfft schaute May-Britt hinunter zum Leichnam, bevor sie Ole ansprach.
»Soll das etwa bedeuten, dass außer den Spuren hier nichts Verwertbares im Haus zu finden ist?«, fragte sie.
Der Leiter der Kriminaltechnik war ähnlich verwirrt wie sie.
»Ja, und das ergibt kaum einen Sinn. Bei dieser Sauerei hätte ich auch erwartet, jede Menge an Spuren zu finden. Bisher aber völlige Fehlanzeige«, räumte er ein.
Kopfschüttelnd reichte May-Britt ihm den Ausweis in der Tüte zurück und drehte den Kopf zur Eingangstür, wo soeben ein uniformierter Kollege auf sich aufmerksam machte. »Ein Hauptkommissar Reuter aus Flensburg möchte mit Ihnen sprechen«, rief er.
May-Britt nickte und ging langsam über die Metallplatten zurück zur Eingangstür. Als sie wieder auf der gepflasterten Einfahrt stand, zog sie die Überschuhe und Handschuhe aus. Dabei ließ die Kommissarin sich mehr Zeit als nötig, um den hochgewachsenen Mann mit braunen Haaren zu studieren. Reuter war immerhin kein Jungfuchs, der sich noch beweisen musste. May-Britt schätzte den Altersunterschied zwischen ihnen auf kaum mehr als fünf oder sechs Jahre. Er schaute sich um und registrierte offenbar jedes Detail. Schließlich hatte May-Britt sich der Schutzkleidung entledigt und sie in einen extra dafür bereitstehenden Behälter geworfen. Sie strich die Haare glatt, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, und ging dabei auf ihren deutschen Kollegen zu. Reuter konzentrierte sich jetzt ganz auf sie und lächelte dabei freundlich.
»May-Britt Oldsen«, stellte sie sich vor.
Er schüttelte ihre ausgestreckte Hand. Der Griff seiner langen Finger war fest, aber nicht angeberisch.
»Frank Reuter. Frau Martenson hat mich ja bereits angekündigt. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit, auch wenn der Anlass etwas unerwartet kommt«, sagte er.
»Ja, ich mich auch. Was meinen Sie mit ›unerwartetem Anlass‹, Herr Reuter?«, erwiderte May-Britt.
Ein flüchtiges Grinsen huschte über das Gesicht des Hauptkommissars. »Bei der Beschreibung des Dienstpostens war ich nicht davon ausgegangen, es gleich mit einem Mord zu tun zu bekommen«, gestand er.
Dem konnte May-Britt nur beipflichten und ging dann dazu über, Reuter über die bekannten Details aufzuklären. Während er aufmerksam zuhörte, holte der Hauptkommissar ein Notebook hervor und aktivierte das Gerät.
»Klaus Paulsen taucht nicht weiter in unseren Datenbanken auf. Es liegt nicht einmal eine Vermisstenanzeige vor. Demnach ist es wohl nicht ungewöhnlich, dass er hier in Dänemark unterwegs ist«, warf er ein.
May-Britt schaute über die Schulter zu dem schwarzen VW-Bus T6, der im Carport abgestellt worden war.
»Den haben unsere Techniker noch nicht untersucht. Nach einem ersten, flüchtigen Blick glaubt Ole aber, es mit dem Wagen eines typischen Außendienstmitarbeiters zu tun zu haben«, sagte sie.
Reuter überprüfte weitere Angaben und konnte einige neue Fakten liefern.
»Paulsen ist Angestellter einer kleinen Firma, die laut Eintrag im Handelsregister mit Rohstoffen und Düngemitteln zu tun hat. Das Unternehmen gehört seiner Ehefrau, Meike Paulsen. Sein Aufgabengebiet scheint tatsächlich die Betreuung und Neugewinnung von Kunden unter anderem auch in Dänemark zu sein«, erklärte er.
Der kurze Austausch nahm lediglich wenige Minuten in Anspruch. Danach schwiegen beide Ermittler. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Schließlich räusperte May-Britt sich und deutete auf einen Streifenwagen, der vorm Haus an der Straße parkte.
»Wir sollten mit Astrid Terpe reden. Sie hat den Toten gefunden und uns alarmiert«, sagte sie.
Reuter erhob keine Einwände, sondern griff den Vorschlag sofort auf. May-Britt nahm erleichtert zur Kenntnis, dass ihr deutscher Kollegen fast so gut Dänisch sprach wie Jo Fechner. Das machte die Vernehmung von Terpe erheblich einfacher.
*
Da seine Kollegin mit dem Motorrad zum Tatort gekommen war, spielte Frank den Chauffeur für Kommissarin Oldsen. Sie erklärte ihm den Weg zum Haus der Zeugin. Es lag am Ortsrand von Christiansfeld, nur wenige Meter hinter dem Ortsschild auf der linken Straßenseite. Als Frank seinen Golf hinter einem dunkelblauen Volvo abstellte, fiel sein Blick auf das Firmenlogo in der Scheibe der Heckklappe. Es zeigte einen hellen Sandstrand mit blitzblauem Himmel und einer gelben Sonne am Himmel darüber. Darunter stand: »A. Terpe, Gebäudereinigung«. Frank stieß die Fahrertür auf und folgte Oldsen, die bereits auf die Haustür zuhielt. An der Westseite bemerkte er den großen Wintergarten, der offenbar zum Büro umfunktioniert worden war. Bevor Oldsen die Türklingel betätigen konnte, wurde die Haustür bereits geöffnet. Frank musterte die mittelgroße Frau mit dunkelblonden Haaren, die nur halb die Ohren verdeckten. Erste silberne Fäden bestätigten den Eindruck, dass Astrid Terpe die 40 bereits überschritten haben musste.
»Kommissarin Oldsen, und das ist mein Kollege, Hauptkommissar Reuter von der Kripo Flensburg«, stellte May-Britt sie vor.
Die Zeugin nickte knapp und führte die beiden Ermittler dann in ihr Büro im Wintergarten. Ein alter Holzschreibtisch füllte den Raum fast zur Hälfte aus. Auf Beistelltischen stapelten sich Papiere und Verpackungen, die vermutlich irgendwelche Reinigungsartikel enthielten. Terpe nahm einen Stapel Papiere von einem Korbstuhl und schaute sich dann ratlos um. Frank erlöste sie, indem er ihr kurzerhand die Papiere abnahm und sie auf einen anderen Stapel legte, der sich auf einem niedrigen Tisch befand. Dann lehnte er sich gegen die Wand und lächelte Terpe aufmunternd an. »Ich sitze die meiste Zeit im Auto oder im Büro. Daher stehe ich gerne«, versicherte er ihr.
Sie nickte dankbar und setzte sich hinter den Schreibtisch.
»Schildern Sie uns bitte noch einmal, wie Sie den Toten entdeckt haben«, bat Oldsen.
»Ich wollte eine Nachkontrolle vornehmen. In den zurückliegenden Wochen kam es mehrfach zu Beschwerden, weil nach bereits erfolgter Komplettreinigung irgendwelche Leute in Häusern Partys gefeiert und jede Menge Dreck gemacht haben«, erklärte Terpe.
Um sicherzustellen, dass das Haus im Vibevej wirklich am Folgetag bezugsfertig war, sei Astrid Terpe dorthin gefahren.
»Ich mache immer zunächst einen Rundgang ums Haus und schaue durch die Fenster. Meistens lässt sich so schon gut erkennen, ob Unbefugte im Haus gewesen sind«, erklärte sie.
Im Vibevej habe anfangs alles in Ordnung ausgesehen, bis Terpe den Leichnam neben dem Küchentresen bemerkt habe.
»Waren Sie sich nicht unsicher, ob der Mann eventuell noch Hilfe brauchen könnte?«, wollte Frank wissen.
Terpe krauste die Stirn. Nach kurzem Zögern schüttelte sie den Kopf. »Ganz sicher war ich nicht. Aber da war so viel Blut, und selbst als ich kräftig gegen die Scheibe klopfte, bewegte er sich nicht. Ich ging einfach davon aus, dass er tot war, und rief daher die Polizei«, antwortete sie.
Die nächste Frage kam von Oldsen. »Sie waren demnach nicht im Haus. Habe ich Sie da richtig verstanden?«, hakte sie nach.
Terpe beteuerte, keinen Fuß ins Haus gesetzt zu haben. Der Anblick des Toten sei ein mächtiger Schock gewesen und deswegen habe sie sich wieder in ihr Auto begeben und das Eintreffen der Polizei abgewartet.
»Konnten Sie das Gesicht des Mannes erkennen?«, fragte Frank.
Terpe nickte nach einigen Sekunden. Sie wirkte verunsichert.
»Aber Sie kennen den Mann nicht, oder doch?«, fragte Frank weiter.
»Nein. Nie gesehen. Wer ist er denn?«, erwiderte Astrid Terpe.
Natürlich würde Frank niemals dessen Identität gegenüber der Zeugin ausplaudern. Er ignorierte daher ihre Frage und ließ seinen Blick durch den Raum wandern.
»Ist Ihnen jemand in der Nähe des Hauses aufgefallen? Fußgänger oder auch Autos?«, fragte Oldsen.
»Darauf habe ich nicht geachtet. Ich glaube aber, ein grüner Audi mit deutschem Kennzeichen fuhr am Haus vorbei, während ich auf die Polizei wartete«, antwortete Terpe.
Sie konnte aber weder das Modell noch die Insassen beschreiben. Vom Kennzeichen hatte Terpe sich ebenfalls nichts gemerkt, wurde sogar unsicher, ob es tatsächlich ein Deutsches gewesen war.
Frank warf einen Blick zu seiner dänischen Kollegin, doch Oldsen hatte vorerst keine Fragen mehr. Als er sich von der Wand abdrückte, verschob er eine Fotografie. Er rückte sie wieder gerade und deutete dann auf den Mann darauf, der lässig an der Reling einer Ölplattform lehnte. »Ist das Ihr Ehemann?«, wollte er wissen.
Terpe nickte zwar, doch ihre Miene verdüsterte sich. »Ja, das ist Ole. Er hat viele Jahre für ein norwegisches Unternehmen auf Plattformen gearbeitet«, antwortete sie.
Frank entging nicht, dass Terpe in der Vergangenheitsform sprach. »Und heute nicht mehr?«, hakte er nach.
Die Augen von Astrid Terpe nahmen einen gequälten Ausdruck an. »Nein. Ole hatte einen Arbeitsunfall und kann seitdem nicht mehr auf Plattformen arbeiten. Jetzt verdient er sein Geld als Mechaniker bei Sven Mikkelsen«, erwiderte sie.
Ein Umstand, der das Familienleben offenbar schwieriger gemacht hatte. Frank bohrte nicht weiter nach, sondern verabschiedete sie von Astrid Terpe. Oldsen folgte ihm hinaus ins Freie. Sie stiegen schweigend in den Golf ein, den Frank kurz darauf zurücksetzte. Astrid Terpe stand mit vor der Brust verschränkten Armen in der Haustür. Sie wirkte verloren, wie sie so dastand und den Ermittlern hinterherschaute.
»Kennen Sie das Unternehmen von Terpe?« fragte Frank einige Minuten später.
»Nein, aber die bisherigen Auskünfte sind eher positiv. Laut Aussage der Vermietungsgesellschaften, für die Terpe die Abschlussreinigung übernimmt, erledigt sie alle Aufträge pünktlich und akkurat«, antwortete May-Britt Oldsen. Einer ihrer Mitarbeiter habe aber bereits den Auftrag, sich intensiv mit dem Reinigungsunternehmen auseinanderzusetzen.
»Sehen Sie in Terpe mehr als nur eine Zeugin?«, fragte Frank.
Oldsen verneinte. Sie wolle nur kein Detail übersehen und habe deswegen einen Hintergrundcheck von Astrid Terpe sowie ihrem Reinigungsunternehmen angeordnet.
Frank gefiel diese Gründlichkeit.
*
Der deutsche Kommissar hatte ihr mächtig zugesetzt. Astrid kämpfte mühsam um ihre Beherrschung. Es war doch ein Fehler gewesen, die Polizei zu verständigen. Zu spät. Astrid hatte ihre Jacke geholt und die Autoschlüssel. Kaum war der Golf auf der Landstraße verschwunden, öffnete sie die Fahrertür des Volvos, rutschte hinters Lenkrad und startete den Motor. Versteckt zwischen diversen anderen Matten lag der verdreckte Fußabtreter aus dem Haus im Vibevej im Laderaum des Kombis. Den musste sie schleunigst loswerden. Die fröhliche Musik aus dem Radio fachte Astrids Wut weiter an. Mit einem Hieb auf den linken Knopf würgte sie die Übertragung ab. Als das Heck ihres Kombis auszubrechen drohte, nahm Astrid erschrocken den Fuß vom Gaspedal. Sie war dabei, wie eine verkappte Ralleyfahrerin durch die Gegend zu rasen und auf diese Weise unnötige Aufmerksamkeit zu erwecken. »Komm runter«, schalt sie sich selbst.
Sie atmete mehrfach tief durch und schaffte es schließlich, die Fahrt einigermaßen kontrolliert fortzusetzen. Einen Kilometer vor dem Hotel rief sie Mikkelsen auf seinem Handy an und verlangte ein sofortiges Treffen auf dem hinteren Parkplatz. Obwohl er erkennbar keine Lust darauf hatte, drängte Astrid ihn dazu. Als sie den Volvo an der südlichen Seite des Hotels vorbeilenkte, erfreute sie sich für einen kurzen Moment an dem Blick auf den Anleger mit den wenigen Motorbooten. In den Sommermonaten dümpelten meistens so viele Segelschiffe und private Motorjachten im kleinen Hafenbecken von Hejlsminde, dass für Neuankömmlinge kaum ein Liegeplatz zu bekommen war. Jetzt waren es lediglich die Einheimischen, die ihre Motorboote im Wasser ließen und damit gelegentlich kleine Ausflüge unternahmen. Als Astrid den Volvo neben dem Kleinbus des Hotels abstellte, kam Peter Mikkelsen mit raumgreifenden Schritten über den wenig besuchten Parkplatz herübergeeilt. Sie stellte den Motor ab und stieß die Fahrertür auf, um auszusteigen. Doch der Hotelier packte den Rahmen und drückte die Tür so weit zu, dass Astrid wohl oder übel sitzen bleiben musste.
»Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Du sagst mir nicht, wann und wie wir uns treffen. Kapiert?«, zischte er. Dabei warf er permanent prüfende Blicke in die Umgebung. Kein Unbedarfter sollte Zeuge des Treffens werden.
Astrid spürte, wie die mühsam verdrängte Wut sich schlagartig zurückmeldete. »Paulsen ist tot. Erstochen. Die Polizei ermittelt schon. Sogar ein Deutscher hat mich vorhin in die Mangel genommen!«, antwortete sie scharf. Die Worte kamen in einem Stakkato über ihre Lippen.
Mikkelsen furchte überrascht die Stirn. Da er gleichzeitig die Hand vom Türrahmen nahm, drängte Astrid sich ins Freie. »Wir müssen jetzt eine Weile die Füße stillhalten«, sagte sie.
Bei der aggressiven Vorgehensweise des Deutschen hatte sie die ganze Zeit während der Vernehmung nur an eines denken können: Was, wenn er ihren Wagen durchsuchen wollte? Astrid spürte die Übelkeit wie eine Welle zurückkehren. Sie zuckte zusammen, als Mikkelsen sie hart an den Schultern packte.
»Stillhalten? Kommt überhaupt nicht in die Tüte. Die Leute kommen wegen der Partys und der Pillen hierher. Nur wegen eines Toten und einigen Provinzpolizisten lasse ich mir doch nicht mein gutes Geschäft kaputtmachen«, stieß er hervor. In seiner Erregung drückte Mikkelsen schmerzhaft zu, und lange Speichelfäden flogen aus seinem Mund.
Astrid schüttelte seine Hände ab und stieß den Hotelier hart vor die Brust, sodass dieser zurückwich. Mit der Attacke hatte sie ihn überrumpelt. Doch jetzt verfinsterte sich sein Blick wieder.
»Verdammt, Peter! Das sind keine simplen Dorfsheriffs. Die Kommissarin aus Sonderburg und der Deutsche arbeiten an Fällen, die grenzüberschreitend sind. Da setzt man doch keine Trottel für ein«, flüsterte Astrid aufgebracht.
Beide achteten sorgsam darauf, dass keine anderen Besucher auftauchten.
»Und deswegen machst du dir gleich ins Höschen?«, höhnte Mikkelsen.
Er gab sich alle Mühe, den abgebrühten Kriminellen zu geben. Doch Astrid hörte die unterschwellige Angst in seiner Stimme mitschwingen.
»Ich bin nur vorsichtig. Wir müssen uns wenigstens einige Tage zurückhalten. Ich riskiere doch nicht wegen ein paar Tausend Kronen meine gesamte Existenz«, erwiderte sie.
Peter Mikkelsen rieb sich grübelnd am Kinn. Sein Blick verlor sich in der Ferne, während er angestrengt nachdachte. Ein silberfarbener Mercedes rollte auf den Parkplatz. Blitzschnell beugte der Hotelier sich vor.
»Zwei Tage. Mehr nicht. Und jetzt verschwinde von hier!«, raunte er Astrid zu.
Da sie hatte, was sie wollte, kam sie der Aufforderung nach. Astrid glitt zurück auf den Fahrersitz und zog die Tür ins Schloss. Nachdem sie den Motor gestartet hatte, steuerte sie den Volvo gemächlich über den Parkplatz zur Ausfahrt. Das ältere Ehepaar neben dem Mercedes warf ihr nur einen kurzen, desinteressierten Blick zu. Astrid baute darauf, dass der Mann und seine Begleiterin mit anderen Gedanken beschäftigt waren. Was war schon Auffälliges an einem Fahrzeug mit dem Logo einer Reinigungsfirma? Astrid wusste, dass ihre Nerven immer noch viel zu angespannt waren. Sie malte sich aus, wie die Polizisten mit dem Ehepaar sprachen und sich nach ihrem Wagen erkundigten.
»Komm zu dir, Mädchen. Du fantasierst dir da etwas zusammen«, rief sie sich zur Ordnung.
Um auf andere Gedanken zu kommen, schaltete Astrid das Radio wieder ein und trommelte zur Melodie eines Popsongs mit den Fingern auf das Lenkrad. Es funktionierte. Mehr und mehr entspannten sich Astrids Muskeln. Eine Weile verflog die Angst vor der Polizei. Doch dann sprang ein Gedanke sie an, sodass sie um ein Haar den Volvo in den Gegenverkehr gelenkt hätte. Im VW-Bus von Paulsen musste sich ein Karton mit der neuen Lieferung befinden. Astrid hatte in ihrer Aufregung vergessen, die Pillen an sich zu nehmen. Ein dummer Fehler, der sie umgehend wieder in Panik versetzte.
*
Bereits kurz nach dem Grenzübertritt nahm Frank Verbindung mit Meike Paulsen auf, um sich einen Termin bei der Unternehmerin zu beschaffen. Auf einem Parkplatz, der sich an der ehemaligen Grenzstation befand, hatte er alle Informationen zu Klaus Paulsen recherchiert. Es lag weiterhin keine Vermisstenmeldung vor, weshalb Frank sich auch am Telefon nicht zum Leichenfund in Hejlsminde äußerte.
»Warum interessiert sich die Polizei für unser Unternehmen?«, wollte Meike Paulsen wissen.
Er blieb vage und erklärte sein Interesse mit einer laufenden Ermittlung, ohne auf Klaus Paulsen einzugehen. Die Unternehmerin gab nach, und so fand Frank sich gute 40 Minuten später in ihrem Vorzimmer wieder, wo eine arbeitsame Sekretärin ihn platziert hatte. Er rechnete damit, dass sich jederzeit die Tür zum Büro der Vorgesetzten öffnen und Meike Paulsen ihn hereinbitten würde. Daher reagierte Frank zunächst nicht, als eine drahtige Frau in einem weißen Laborkittel das Vorzimmer betrat und zu ihm hinüberschaute.
»Hauptkommissar Reuter?«, fragte sie.
Er erhob sich und erkannte schnell seinen Irrtum. Die Unternehmerin kam offensichtlich aus einem der Labore und hatte ihre Arbeit unterbrochen, um den Termin wahrzunehmen.
»Ja, danke für Ihre Zeit«, erwiderte er höflich und wies sich dabei aus.
Nach einem flüchtigen Blick auf den Dienstausweis bat Frau Paulsen ihn, ihr zu folgen. Sie überraschte Frank ein weiteres Mal, als sie nicht wie erwartet den Kittel auszog, bevor sie sich hinter ihren Schreibtisch setzte. Die Tischplatte war nicht mit Unterlagen übersät und selbst die erforderliche Technik wie etwa die Computermaus oder Tastatur erweckte den Eindruck, gerade erst dort hingelegt worden zu sein. Meike Paulsen rollte den Schreibtischstuhl dicht an die Platte und legte die Hände links und rechts neben ihrem Smartphone ab, welches sie Sekunden zuvor aus der Kitteltasche geholt hatte.
»Nun, Herr Hauptkommissar. Was genau führt Sie zu uns?«, fragte sie dann.
Frank hatte bis zu ihrem Hinsetzen die Zeit genutzt, um sich einige Bücher und Modelle von Apparaturen in dem Regal an der westlichen Wand anzusehen. Es handelte sich dabei ausschließlich um Fachliteratur sowie Nachbildungen von Geräten, die für chemische Prozesse erforderlich waren. Für ihn stellten sowohl die Buchtitel als auch die Apparaturen böhmische Dörfer dar.
»Könnten Sie mir zuerst ein wenig mehr über das Unternehmen erzählen? Was stellen Sie her und wo finden Sie Ihre Abnehmer?«, bat Frank.
Im Gesicht von Meike Paulsen blitzte kurz Verwunderung auf, doch dann kam sie der Bitte nach. Mit erstaunlich wenigen, sehr präzise formulierten Sätzen umriss sie das Spektrum des Unternehmens. Sie selbst hatte es vor einem Jahrzehnt gegründet und sich zunächst auf den Vertrieb von Lebensmittelzusätzen konzentriert. Basis dafür war ihre Ausbildung zur Chemielaborantin. Meike Paulsen hatte einige Jahre in diesem Umfeld gearbeitet und die Chance für eine Selbstständigkeit ergriffen.
»Vor drei Jahren haben wir unser Angebot ausgeweitet und beliefern seitdem Kunden mit Düngemitteln sowie Badezusätzen«, schloss sie den Bericht.
Frank war beeindruckt über die souveräne Antwort. Hätte er sein eigenes berufliches Leben erläutern müssen, wäre er sicherlich des Öfteren ins Nachdenken verfallen. Meike Paulsen verzettelte sich jedoch kein einziges Mal und jeder Satz war äußert perfekt strukturiert. Vermutlich eine Charaktereigenschaft, die sich auch in ihrem Berufswunsch widerspiegelte.
»Wenn Sie von ›wir‹ sprechen, meinen Sie wen?«, hakte er nach.
»Meinen Mann natürlich. Klaus ist der Verantwortliche für die Kundenakquise und ihre Betreuung«, antwortete sie.
Es war an der Zeit, auf den eigentlichen Grund seines Besuches zu kommen. »Können Sie mir sagen, wo sich Ihr Mann zurzeit befindet?«, fragte Frank.
Dieses Mal krauste Meike Paulsen alarmiert die Stirn. »Was sollen all diese Fragen, Herr Hauptkommissar? Ist etwas mit Klaus?«
Frank hob abwehrend eine Hand in die Höhe. »Nur noch diese eine Auskunft, Frau Paulsen«, bat er.
Mit einem ungeduldigen Seufzen beugte sie sich vor und gab über die Tastatur einige Befehle in den Computer ein. Mit geübten Blicken studierte Meike Paulsen das Ergebnis auf ihrem Monitor.
»Klaus hat heute Vormittag einen Kunden in Esbjerg und um 14 Uhr trifft er sich mit Neukunden in Holstebro«, sagte sie.
»Also keinen Termin in Hejlsminde oder in der Nähe?«, fragte Frank.
Doch jetzt war es mit der Geduld von Meike Paulsen offensichtlich vorbei. Ihr Hang zur Präzision mochte auch dazu führen, dass sie sich auf Franks Zusage berief, keine weiteren Fragen zu stellen, bevor er nicht zum Anlass des Treffens kam. Statt einer Antwort schenkte sie ihm nur einen wütenden Blick.
»Ich muss Sie das fragen«, stellte Frank daher klar, »denn am frühen Vormittag wurde ein Mann tot in einem Ferienhaus in Hejlsminde aufgefunden. Er hatte die Ausweispapiere Ihres Ehemannes bei sich und ein schwarzer T5 stand im Carport. Dem amtlichen Kennzeichen nach ist der Bus auf Ihre Firma angemeldet«, erklärte er weiter.