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People=s entire daily routine involves movement. Restricted mobility therefore leads to development of a need for long-term care, as everyday activities can no longer be managed. Mobility is thus associated with quality of life, ability to participate, and personal independence. The aim should therefore be to get more movement into the day. Carers can have a positive influence on mobility, preventing those affected from becoming immobilized and bedridden, and can encourage processes to reverse such developments. To do this, it is necessary to identify meaningful reasons and occasions for getting the patient mobile and to implement these in collaboration with other partners. This book provides many tips and suggestions on how to successfully promote mobility in everyday life. All settings for geriatric care are taken into account, and interesting practical examples and movement concepts are presented. Management of elderly people who no longer want to move, or are no longer able to, is also addressed and ethically examined.
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Seitenzahl: 828
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1. Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-039584-8
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-039585-5
epub: ISBN 978-3-17-039586-2
Wie entsteht die Idee für ein Buch mit dem Titel »Förderung und Erhaltung der Mobilität« und mit dem Fokus auf alte Menschen und Pflege? Erstens durch die intensive Auseinandersetzung mit Studien zum Thema Erhaltung und Förderung der Mobilität, die positive Wirkungen zeigen und/oder auf Verbesserungsbedarfe aufmerksam machen. Wir verweisen an dieser Stelle auf die Verbesserung der Lebensqualität, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, aber auch auf die Prävention von Dekubitus, Sturz, Kontraktur usw. Zweitens durch die Beobachtung von Routinen im Rahmen von Praxisprojekten, die uns Anlass gegeben haben, Fragen zu stellen oder Aspekte zu thematisieren, die verbesserungswürdig erscheinen. Drittens durch die Zusammenarbeit mit engagierten Einrichtungen, Diensten, Mitarbeitenden, die uns an ihren Erfahrungen teilhaben lassen. Viertens durch zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen, in denen die Mitarbeiterinnen über ihre Praxiserfahrungen sprechen. Und zu guter Letzt, weil alte und hochbetagte Menschen uns Einblick in ihr Leben sowie in ihre Bedarfe und Bedürfnisse zur Erhaltung und Förderung der Mobilität gegeben haben, die wir gerne weitergeben möchten.
Die alten und hochbetagten Menschen werden uns im Rahmen des Buches immer wieder begegnen, weil sie uns dazu motiviert haben, darüber nachzudenken: Was geht noch?! Das beinhaltet ausdrücklich auch das Gegenteil, also auch zu Entscheidungen zu gelangen, dass z. B. jemand nicht mehr aufstehen möchte und im Bett eine partielle Autonomie erlebt. Die Bedürfnisse des alten Menschen stehen im Mittelpunkt.
Ein Beispiel: Wir lernen die weit über 90-jährige Frau Maier1 im Rahmen eines Projektes in einer Einrichtung der stationären Altenhilfe kennen. Die rüstige, sehr gepflegte und kontaktfreudige Dame sitzt im Rollstuhl bzw. sie »hängt« eingefallen und schief in einem Transportrollstuhl, in dem sie keine stabile Sitzposition halten kann. Frau Maier wird in ihrem Rollstuhl von den Mitarbeitenden von A nach B geschoben, ohne dass eine Eigenbewegung erkennbar wird. Im Gespräch formuliert Frau Maier einen Herzenswunsch: Sie möchte gerne ein paar Schritte gehen können, um selbständig auf die Toilette zu gelangen. Sie berichtet über Übelkeit und Schwindel und darüber, dass sie das Gefühl habe, dass die Mitarbeitenden sehr beschäftigt sind und keine Zeit haben, mit ihr das Gehen zu üben. Auf Nachfrage, ob Frau Maier die Mitarbeitenden schon einmal auf Gehübungen angesprochen habe, verneint sie dies mit dem Hinweis, nicht zur Last fallen zu wollen. Sie beschreibt Folgendes: »Na ja, die haben alle ihre Arbeit und die möchte ich nicht mit meiner Sache noch aufhalten. Das möchte ich dann auch wieder nicht.«
Gemeinsam mit Frau Maier wurde eingeübt, mit dem Rollstuhl selbständig Strecken zurückzulegen, und zwar indem sie sich trippelnd fortbewegte. Für Frau Maier war diese Maßnahme mit Lebensqualität assoziiert, da sie selbst entscheiden konnte, wann sie den Speiseraum verlassen oder wieder aufsuchen kann. Außerdem hat eine Mitarbeiterin sich intensiv darum bemüht, den Rollstuhl und das Sitzkissen durch das Sanitätshaus überprüfen zu lassen, damit ein bequemes und stabiles Sitzen möglich wurde. Die Überdosierung eines Schmerzmittels wurde bei der Hausärztin angesprochen und deutlich reduziert, so dass Schwindel und Übelkeit und die damit einhergehende Angst, aber auch Kraftlosigkeit deutlich reduziert werden konnten. Außerdem übte die Nichte das Gehen mit ihrer Tante, nachdem Frau Maier Mut gefasst hatte, am Geländer aufzustehen und sich wieder hinzusetzen. Sie ging nach einigen Wochen wieder wenige Schritte am Handlauf.
Warum dieses Beispiel? Weil es exemplarisch zeigt, dass im Alltag Routinen mächtig werden. Der Transport im Rollstuhl von A nach B wird von den Mitarbeitenden übernommen, weil es schneller geht. Die Medikation wird nach einem Krankenhausaufenthalt selten überprüft. Schwindel und Übelkeit passen auch zu anderen bereits bestehenden Diagnosen. Die pflegebedürftige Person resigniert und ist unzufrieden mit sich selbst. Gefühle werden geäußert wie:
»Ich tue nix, auf der einen Seite, ja und du kannst ja gar nix […]. Also dann bist du an dir selber unzufrieden. Also dann lässt man es.«
Aber das »Eigentliche« – der Wunsch von Frau Maier, ein paar Schritte zu gehen, um eine Teilautonomie, nämlich den Toilettengang selbst zu gestalten – gerät immer mehr in den Hintergrund oder die pflegebedürftigen Personen haben den Eindruck, dass sie mit ihrem Wunsch zur Last fallen. Am Ende ist möglicherweise ein Kreislauf entstanden, der nicht gestoppt wird, weil alle sich mit dem Zustand oder den Umständen eingerichtet haben.
Sie kennen diese Beispiele aus Ihrer Alltagspraxis. Und wenn Sie jetzt denken: »Ja, aber viele ältere Menschen wollen sich nicht mehr bewegen«, dann haben Sie recht, dennoch bleibt ein »Aber« und die Frage nach dem »Warum?« und danach, welche sinnstiftenden Beweggründe die Person tatsächlich wieder in Bewegung bringen könnten. Der Grat zwischen ermunternder Beziehungsarbeit und Zwang ist schmal, er muss aber immer wieder ausbalanciert werden, denn Gründe für das nicht mehr in Bewegung sein wollen oder können, sind nicht immer identisch mit einer Ablehnung von Maßnahmen.
Wir möchten mit diesem Buch Ideen und Impulse geben, sich mit der Erhaltung und Förderung der Mobilität auseinanderzusetzen und plädieren für »mehr Mut zur Bewegung«, d. h. sich gemeinsam auf Spurensuche zu begeben und im Team sowie mit pflegebedürftigen Personen und ihren Angehörigen und anderen Akteurinnen darüber nachzudenken, wie der Alltag bewegungsfreundlicher und -förderlicher gestaltet werden kann. Wir werden in diesem Buch wissenschaftliche Erkenntnisse, aber auch Praxiserfahrungen thematisieren und lassen unterschiedliche Expertinnen zu Wort kommen, um möglichst viele Perspektiven zu berücksichtigen. Wir möchten mit diesem Buch alle Akteurinnen ansprechen:
• Einrichtungs- und Pflegedienstleitungen in allen Settings der Altenhilfe
• Pflegende und Auszubildende, Betreuungs- und Präsenzkräfte/Alltagsbetreuende
• Mentorinnen und Qualitätsbeauftragte und alle, die sich für Bewegung in der Einrichtung einsetzen wollen
Wir betonen, dass die Erhaltung und Förderung der Mobilität nicht nur die Aufgabe der Pflegenden sein kann, sondern sie muss als gemeinsame Aufgabe der Betreuungskräfte, der Therapeutinnen, der Ehrenamtlichen, der Angehörigen, aber auch als Aufgabe der alten Menschen verstanden werden.
Im ersten Teil werden theoretische Aspekte in den Blick genommen. Unter anderem werden die demographische Entwicklung und die Bedeutung von Mobilität im Alter beleuchtet. Folgend werden die Inhalte des aktualisierten Expertenstandards nach § 113a SGB XI zu diesem Thema vorgestellt. Der Teil des Buches endet mit einer ethischen Perspektive auf das Verständnis von Mobilität.
Der zweite Teil thematisiert die Konzepte »Aktivitas« und »Kinästhetik«. Die Erhaltung und Förderung der Mobilität geht in diesen Konzepten von bestimmten Prämissen aus und erfordert sowohl die Eigenwahrnehmung als auch eine grundlegende Haltung, um pflegebedürftige Personen gezielt zu unterstützen. Im dritten Teil des Buches werden verschiedene Projekte vorgestellt. Es handelt sich um Schlaglichter bewegungsförderlicher Einrichtungen und Angebote, um Lust auf eigene Ideen zu machen. Praxisprojekte der Hochschule Esslingen werden im vierten Teil des Buches vorgestellt. Ziel des Projekts ist die gemeinsame Konzeptentwicklung mit Praxiseinrichtungen, um aktuelles Wissen zu Bewegung/Mobilität in die Pflegepraxis zu transferieren.
Der fünfte Teil ist das Kernstück des Buches, das sogenannte A–Z, in welchem Herausforderungen und vielfältige Ideen zur Erhaltung und Förderung der Mobilität beschrieben werden. Die Themen wurden im Rahmen der Forschung und Beratung der Einrichtungen und Dienste herausgearbeitet. Die Kapitel sind so aufgebaut, dass man die Inhalte als Schulungen oder zur Praxisanleitung einsetzen kann.
In diesem Buch haben wir uns für das generische Femininum entschieden, schließen aber explizit alle anderen Geschlechter – wie männlich oder divers – ausdrücklich ein. Redundanzen sind erwünscht, wenn das Verständnis eines Kapitels dies notwendig macht. An einigen Stellen wird auf digitales Zusatzmaterial und ergänzende Dokumente oder ein anderes Kapitel verwiesen. Kontaktadressen zu den jeweiligen Autorinnen finden Sie im Autorinnenverzeichnis.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Auseinandersetzung mit und bei der Lektüre sowie beim Ausprobieren der Vorschläge für »Mehr Mut zur Bewegung«. Wenn Sie Anregungen haben, selbst gelungene Projekte zum Thema Erhaltung und Förderung der Mobilität durchgeführt haben, kontaktieren Sie uns! Beispiele guter Praxis ermöglichen es anderen Einrichtungen und Diensten, sich auf den Weg zu machen. Und wenn Sie sagen: »Das machen wir doch schon alles«, dann nehmen Sie dieses Buch als Ermutigung, dass Sie auf dem richtigen Weg sind.
1 Bei allen in diesem Buch aufgeführten Personen wurde der Name geändert, um deren Anonymität zu gewährleisten.
Vorwort – Idee und Aufbau des Buches
1 Grundlegendes
Bewegtes Altern oder Altern in Bewegung?!
Expertenstandard »Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege« – Mut zur Bewegung!
Ethische und philosophische Betrachtungen von Bewegung und Mobilität
2 Bewegungskonzepte und ihre Perspektiven vom Ich und Du
Aktivitas – der Mix machtʼs!
Kinästhetik – gesund bewegen! Bewegung mit oder gegen die Schwerkraft?
3 Bewegungsförderliche Einrichtungen und Angebote – (jede) Bewegung zählt!
Bewegt(er) leben – Fitness im Pflegeheim
»Ich bin dann mal raus…« – pflegerische Projekte im Außenbereich zur Förderung der Mobilität und Normalität
»Bewegende Alteneinrichtungen und Pflegedienste 2.0«(BAP 2.0) – Sport und Pflege arbeiten Hand in Hand
Lust am Wandern: Gemeinsam draußen und auf Tour
4 PEBKO – Projekte mit Pep!
Einführung PEBKO – Projekte mit Pep!
Tagespflege in Bewegung
»Rumliegen/-sitzen?« – Mobilität bei Menschen mit Ortsfixierung oder Bettlägerigkeit
5 A – Z zur Erhaltung und Förderung der Mobilität
A Halt mal! Innehalten und Haltungen in der Pflege bei der Erhaltung und Förderung der Mobilität reflektieren
B Asche bewahren oder Feuer anzünden – Selbständigkeit im Pflegealltag fördern!
C Biografie ist heute: sinnstiftende und gelebte Bewegung
D Mehr Mobilität mit dem Rollator – GEHT das?
E Schwuppdiwupp – im Rollstuhl: von der Notwendigkeit bis hin zur korrekten Auswahl, Anpassung und Wartung
F Umgebungsgestaltung – wohnst du schon bewegungsförderlich?
G Fit in die Zukunft – Technik und digitale Angebote machen’s möglich! Chancen virtueller Spiel- und Bewegungswelten
H Wohnraumberatung – von der Barriere zur Freiheit und wie ist das bezahlbar?
I Mobilität fördern und erhalten – (nicht nur) eine Aufgabe der Pflege – Zusammenarbeit braucht das Land!
J Angehörige mit ins Boot holen – Mutter, komm, wir laufen ein Stück!
K Betreuung mal anders – Bewegung wirkungsvoll und mit Spaß ist angesagt!
L Ehrenamt – Spaziergänge und Bewegungsanlässe im Quartier schaffen
M Nach dem Training zum Gehirnjogging – multimodale Programme: nur trendy oder wirken sie auf die Mobilität?
N Keinen Hunger oder Mangelernährung – was hat das mit Bewegung zu tun?
O Medikamente – viel hilft nicht immer viel!
P Der Sturz im Kopf: »Bleiben Sie mal lieber sitzen, damit Sie nicht fallen!«
Q Ortsfixierung – die Perspektive Rollstuhl und die zunehmende Kontrollverdichtung
R Bettlägerigkeit: Das Bett im Kopf oder heute schon die weiße Decke beobachtet?
S Mobilisation, tagesformabhängig – ein Alles oder Nichts! Was ist damit eigentlich gemeint?
T Kontinuität – bewegungsförderliche Maßnahmen (mal nicht personenabhängig)?
U Keine Zeit! Perspektiven auf die Zeit und was kann im Rahmen der Pflege an Bewegungsförderung integriert werden?
V Wofür zahle ich 3.000 Euro? Dienstleistungsmentalität, erlernte Hilflosigkeit und Krankheitsgewinn
W »Dieses Gezerre an mir… Ich weiß, dass Sie keine Zeit haben!« Wie fühlt sich das eigentlich an, was wir da tun?
X »Ich sag’s Ihnen ehrlich: Ich habe keine Lust!« Ablehnungsgründe verstehen und Lust zur Bewegung wecken
Y Bewegung erleben bis zum Schluss: Mobilität in palliativen Situationen
Z Nicht können oder nicht wollen – ethische Aspekte der Mobilität
6 Zum guten Schluss – Mut zur Bewegung!
Digitales Zusatzmaterial
Literatur
Die Herausgebenden
Die Autorinnen, die Autoren
Paul Klee hat einmal gesagt: »Bewegung ist die Seele aller Dinge«. Was ist damit gemeint? Menschliches Leben ohne Bewegung ist undenkbar. Nur einige Beispiele: Alle Sinnesorgane sind auf Bewegung angelegt, damit Wahrnehmung und Interaktion stattfinden können. Von morgens bis abends sind Menschen in ihrem Alltag auf Bewegung angewiesen, damit dieser gelingen kann. Das morgendliche aus dem Bett aufstehen, der Gang zur Toilette, die Zubereitung des Frühstücks, aber auch das Einkaufen, der Arztbesuch oder der Weg zur Arbeit oder, oder…
Durch Bewegung werden die Aktivitäten des täglichen Lebens ermöglicht. Neben diesen funktionalen Aspekten von Lebens- und Arbeitsgestaltung gibt es aber auch Bewegungsanlässe, die mit Spaß, Freude und Gemeinschaft oder mit Entspannung sowie mit der Ausübung von Hobbys einhergehen. Mobilität umfasst damit nicht nur das Bewegen und das Gehen per se, sondern wie Westphal & Doblhammer (2018) es darstellen, auch das Ausmaß der gesellschaftlichen Integration.
Dies betrifft Menschen jeden Alters, in jeder Lebenslage, eben ein Leben lang. Gleichzeitig kann es bereits als Binsenweisheit angesehen werden, dass unsere Gesellschaft im Zuge der demografischen Entwicklung zunehmend älter wird. Daher wird im Folgenden auf die grundlegenden gesellschaftlichen Entwicklungen und physiologischen Veränderungen bei älteren Menschen nur kurz eingegangen und das Thema »Mobilität im Alter« fokussiert. Dazu gehören auch »Verhinderungsgründe« sowie »Vorteile und Ermöglichungsbedingungen« für Bewegung. Der Beitrag schließt mit der Frage, ob Bewegung im Alter Sinn macht und knüpft an ein weit verbreitetes Vorurteil an, dass man im Alter »lieber etwas langsam machen sollte«.
Wandel bietet immer Chancen und Herausforderungen. Dies gilt auch für die demografische Entwicklung. Kennzeichen dieser Entwicklung ist das Älterwerden der Bevölkerung in Deutschland. Das Demografieportal (2021) zeigt auf, dass im Jahr 1960 jede achte Einwohnerin mindestens 65 Jahre alt war, heute ist es jeder Fünfte und bis 2060 wird es wohl jede dritte Person sein. Gleichermaßen gibt es auch immer mehr hochaltrige Menschen.
Der Anteil der über 80-Jährigen an der Gesamtbevölkerung hat sich von 1960 bis 2019 vervierfacht. Man geht davon aus, dass der Anteil der hochbetagten Menschen 7 % beträgt (Demografieportal 2021). Ungefähr im Jahre 2060 ist davon auszugehen, dass jede neunte Person in Deutschland dann über 80 Jahre alt ist (Demografieportal 2021). Und wenn Sie das lesen, dann stellt sich die Frage: Wie alt werden Sie im Jahr 2050 oder 2060 sein? Schätzungen für das Jahr 2060 gehen von einer weiteren Steigerung aus: Die mittlere Lebensdauer soll dann bei Mädchen bis zu 88,1 Jahre und bei Jungen 84,4 Jahre betragen (Demografieportal 2021).
Der medizinische Fortschritt ist einer der wichtigsten Gründe für diese Entwicklung (Radtke 2021). Neben der Verringerung der Kindersterblichkeit und Erfolgen bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten sind heute die präventiven und therapeutischen Interventionen bei geriatrischen Diagnosen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs entscheidend für eine höhere Lebenserwartung. Von zentraler Bedeutung sind darüber hinaus Verbesserungen in den Bereichen Bildung, Hygiene sowie Arbeits- und Lebensweisen der Menschen (Radtke 2021).
Auf der anderen Seite steigt aber mit der Lebenserwartung und – damit verbunden – mit zunehmenden Einschränkungen und Erkrankungen auch das Risiko für eine Pflegebedürftigkeit. Im Dezember 2019 galten 4,1 Millionen Menschen entsprechend dem Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) als pflegebedürftig (Destatis 2020). Nach Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (2015) wird die Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland bis 2030 um etwa 35 % zunehmen. Unter anderem wird die Zahl der Menschen mit Pflegebedarf in der Altersgruppe der 80- bis 89-Jährigen um mehr als ein Viertel steigen. Bei den 90-Jährigen und Älteren wird mit einer Verdopplung gerechnet (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2015).
Kuhlmey und Blüher (2015) verweisen darauf, dass alle größeren Befragungen bestätigen, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen bei einer eintretenden Pflegebedürftigkeit zu Hause leben und versorgt werden möchten. Mit diesem Wunsch – so die Autorinnen – ist die Hoffnung verbunden, ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Kontinuität zu erleben – insbesondere auch im Hinblick auf vertraute Personen und die Umgebung. Etwa drei Viertel der pflegebedürftigen Personen können diesem Wunsch entsprechend zuhause versorgt werden. Von diesen Personen werden fast 80 %, also 3,3 Millionen, zuhause gepflegt. Rund 2,1 Millionen werden allein durch Angehörige versorgt (Destatis 2020). Knapp eine Million der zuhause lebenden Pflegebedürftigen werden hingegen von Angehörigen in Zusammenarbeit mit dem ambulanten Dienst oder vollständig durch denselben versorgt (Destatis 2020).
20 % (820.000 Personen) aller pflegebedürftigen Menschen leben in Einrichtungen der stationären Altenhilfe. Die Tagespflege, also die teilstationäre Pflege, hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen, da neben der Sach- oder Geldleistung nach SGB XI zusätzlich auch Leistungen der Tagespflege in Anspruch genommen werden können. Angehörige werden durch dieses Angebot entlastet und damit scheint diese Angebotsform für viele Angehörige ein Kompromiss zwischen den Versorgungsformen ambulant und vollstationär zu sein.
Blüher et al. (2017) verweisen darauf, dass es insbesondere bei älteren Pflegebedürftigen zu einer Überlagerung von chronisch-degenerativen und psychischen Erkrankungen kommt, die häufig mit kognitiven Einschränkungen verbunden sind und Pflegebedürftigkeit begünstigen. Aufgrund der Zunahme alter und hochbetagter Menschen nehme auch die Bedeutung von Demenzerkrankungen als Ursache von Pflegebedürftigkeit zu. Je nach Schätzung – so die Autorinnen – wird es bis 2050 zu einer Zunahme von Menschen mit Demenz von momentan 1 bis 1,5 Millionen auf 1,5 bis 3,5 Millionen kommen (Blüher et al. 2017). Auf der anderen Seite zeigen die aktuellen Entwicklungen, dass bereits jetzt weit weniger Menschen an einer Demenz erkrankt sind, als noch vor wenigen Jahren auf Basis der demografischen Entwicklung prognostiziert wurde. Wolters et al. (2020) konnten aufzeigen, dass die aktuellen Inzidenzraten, also die Anzahl an Neuerkrankungen, bei Männern 24 % und bei Frauen 8 % unter den erwarteten Zahlen liegen. Die Autorinnen vermuten, dass positive Veränderungen des Lebensstils, wie weniger rauchen und verringerter Alkoholkonsum oder mehr Bewegung, hierfür mitverantwortlich sind (Wolters et al. 2020).
Veränderungsprozesse im Alter, auch im Hinblick auf Mobilität, werden oft in einem Atemzug mit Krankheit, Verfall und Abbau genannt. Aussagen von alten Menschen und Personen, die älter werden, erinnern daran: »Kommen Sie mal in mein Alter« oder »Es ist halt nicht mehr so«. Meist wird eine solche Aussage vorschnell auf das hohe Lebensalter geschoben. Dabei besteht aber die Gefahr, dass sich ein »Zustand infolge falscher oder gar keiner Behandlung aufgrund inadäquater Beurteilung weiter verschlechtert« (v. Renteln-Kruse 2008, S. 65) oder der Status quo akzeptiert wird, obwohl eine Verbesserung möglich wäre.
Normale physische Alterserscheinungen von Erkrankungen oder Krankheitsfolgen zu unterscheiden, ist nicht immer möglich! Alterungsprozesse sind komplex und verlaufen inter- und intraindividuell variabel (Sadjak 2017). Im Zuge des Alterungsprozesses kommt es aber durchaus zu einer zunehmenden Rückbildung einzelner Organe und deren Funktion. Beispielsweise steigt das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgrund der alternden Zellschicht an der Innenfläche der Arterienwände stark an. Entzündungsprozesse in der Arterienwand führen zu Verdickungen, die die Durchblutung beeinträchtigen, in Folge auch zu einer verringerten Sauerstoffzufuhr führen und die Bildung von Thromben befördern können (Rensing & Rippe 2014). Das Vorkommen von Venenthrombosen beträgt bei Hochbetagten fast 1 % pro Jahr. Eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Thrombosen bei alten Menschen ist der Risikofaktor Immobilisierung (Rosendaal et al. 2007).
Im Altern zeigen sich auch Veränderungen im Bereich der Lunge. Es kommt zu einer verringerten Austauschfläche zwischen Alveolen und Blutkapillaren. Parallel dazu nimmt die Elastizität von Alveolengängen und -wänden ab und die Geschwindigkeit des Gasaustausches verringert sich (Rensing & Rippe 2014). Die Atmung wird auch durch eine veränderte Nachgiebigkeit des Brustkorbs und einer zunehmenden Schwächung der Atemmuskulatur beeinflusst. Im Alter neigt der Körper dazu, die Reserven des Atmungssystems in akuten Krankheitsfällen zu vermindern. Das heißt eine verminderte Empfindlichkeit des Atemzentrums gegenüber Sauerstoffmangel oder einer Kohlenstoffdioxiderhöhung im Blut führen zu einer verminderten Atemreaktion (z. B. bei Herzinsuffizienz usw.). Bei alten und hochbetagten Menschen können damit einhergehende »Anpassungsvorgänge« beobachtet werden: Wenn alte Menschen ihre körperliche Aktivität vermindern oder die eingeschränkte Atmung erst einmal gar nicht als krankhaft wahrnehmen (wollen) (Janssens et al. 1999), hat das Auswirkungen auf die Mobilität, und zwar unter dem Aspekt »sich zu schonen«.
Muskeln, Knochen und Sehnen halten den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zusammen. Die auffälligste Veränderung der Körperzusammensetzung betrifft das Verhältnis von Fett und Körperwasser. Sadjak (2017) verweist darauf, dass mit dem Altern der Gesamtwassergehalt um ca. 10 % abnimmt. Gleichzeitig kommt es zu einer Zunahme des Fettgewebes, einem altersbedingten Umbau des Bindegewebes sowie einer Abnahme des Muskelgewebes (Sadjak 2017). Eine Abnahme der Knorpelsubstanz im Knochen ist festzustellen und die Qualität der Kollagenfasern verändert sich. Diese Veränderungen führen zu einem erhöhten Risiko für Brüche, aber auch zu sichtbaren Veränderungen an Schädel, Rücken oder in der Beinstellung, die auch als charakteristische Altersmerkmale wahrgenommen werden (Rensing & Rippe 2014).
Die Autoren verweisen zudem darauf, dass mit zunehmendem Alter auch die Muskelquantität durch den Verlust oder die Reduktion von Muskelfasern abnimmt. Ein solcher Muskelverlust kann unterschiedliche Gründe haben, beispielsweise eine verminderte Nahrungsaufnahme in Folge von Krankheit oder Appetitlosigkeit, Störungen in der Nahrungsaufnahme und/oder -resorption, Veränderungen des Stoffwechsels usw. (Rensing & Rippe 2014). Bei einem Gewichtsverlust trennt sich der Körper schnell von Muskelgewebe. Fett- und Knochengewebe sind auch davon betroffen, aber erst in einem späteren Stadium.
Ein altersabhängiger Muskelabbau hat viele Ursachen, u. a. eine verringerte Beanspruchung der Muskeln. Bewegungsmangel erzeugt einen Teufelskreis, Inaktivität führt zu Muskelabbau, ggf. Gewichtsverlust führt zu weiterem Muskelabbau (Rensing & Rippe 2014). Die Folge ist eine Erhöhung der Sturzgefahr, aber auch die Gefahr einer zunehmenden Ortsfixierung bis hin zur Bettlägerigkeit.
Gleichzeitig verändert sich während der gesamten Lebensdauer die Knochenmasse. Bereits ab einem Alter von etwa 28 bis 40 Jahren sinkt die Knochenmasse bei Männern kontinuierlich. Bei Frauen geht man davon aus, dass eine Abnahme von 1–2 % pro Jahr während der Menopause und bis etwa zehn Jahre danach stattfindet. Strukturänderungen in der Architektur des Knochens sind die Folge, die wiederum ein erhöhtes Risiko des Knochenbruchs zur Folge haben (Lanham-New 2008).
Gleichermaßen verändert sich die Mineralisierungsdichte von Knochen. Bei 90 Jahre alten Männern ist sie etwa 40 % niedriger als bei 20- bis 29-jährigen. Die Demineralisierung des Knochens hängt eng mit der Verminderung des Calciumgehalts des Blutes und der Calciumresorption im Darm zusammen (Rensing & Rippe 2014). Durch eine geringere Nahrungsaufnahme wird auch weniger Calcium und Vitamin D zugeführt. Als Folge wird Calcium aus den Knochen freigesetzt. Zudem gehen alte und hochbetagte Menschen weniger an die »frische Luft«, so dass die körpereigene Produktion von Vitamin D häufig wegen der geringeren UVB-Bestrahlung nachlässt (Rensing & Rippe 2014). Es wird geschätzt, dass eine von drei Frauen und einer von zwölf Männern im Alter von über 55 Jahren im Laufe ihres Lebens daher an Osteoporose erkranken und infolgedessen ein erhöhtes Frakturrisiko entwickeln (Lanham-New 2008). Das heißt: Altersbedingte körperliche Veränderungen und deren Folgen können zu einer Einschränkung der Mobilität führen. Andersherum werden körperliche Beeinträchtigungen durch einen Mangel an Bewegung verstärkt und sich selbsterhaltende »Teufelskreise« in Gang gesetzt.
Diese altersbedingten und/oder pathologischen Veränderungen sind in ihren Auswirkungen erheblich. Es muss dennoch bedacht werden, dass chronische Erkrankungen eben nicht mit einer »automatisch eintretenden Lebensqualitätsbeeinträchtigung« (Wahl & Schneekloth, 2007 S. 31) gleichzusetzen, sondern als beeinflussbares und gestaltbares Geschehen anzusehen sind. Alte Menschen beurteilen ihre eigene Gesundheit auch nicht ausschließlich auf Grundlage von diagnostizierten Erkrankungen, sondern ziehen beispielsweise Vergleiche zum Gesundheitszustand anderer älterer Personen (RKI 2015). Wichtig erscheint deshalb, dass »Personen trotz vorhandener Erkrankungen oder Einschränkungen in der Mobilität ihre eigene Gesundheit häufig noch als gut bewerten« (RKI 2015, S. 410) und sich subjektive Gesundheit und objektiver Gesundheitszustand somit oft unterscheiden.
Im Hinblick auf die psychologische Dimension des Alterns müssen im Altern zwar Verluste hingenommen werden, wie z. B. die Geschwindigkeit, Informationen zu verarbeiten oder Einbußen beim Kurzzeitgedächtnis (RKI 2002). Potentielle »Stärken des Alters liegen dagegen in den erfahrungs-, wissens- und fertigkeitsbasierten Leistungen, die Menschen im Lebenslauf erbracht haben, insbesondere in der Fähigkeit zur psychischen Bewältigung von Anforderungen und Belastungen im Alltag.« (RKI 2002, S. 8).
Die soziale Dimension des Alterns geht vor allem mit den Möglichkeiten sozialer Teilhabe einher. Einerseits zeigt sich eine Entpflichtung von bisherigen gesellschaftlichen Rollen (wie z. B. durch den Eintritt in die Rente). Andererseits werden bis ins hohe Lebensalter auch identitätsstiftende »Verpflichtungen und eine an persönlichen Interessen und Bedürfnissen orientierte Lebensgestaltung« (RKI 2002, S. 9) eingegangen bzw. wahrgenommen (z. B. ehrenamtliches Engagement). Bei älteren Menschen haben daher alltagsrelevante Funktionsfähigkeiten und (größtmögliche) selbstbestimmte Lebensführung sowie die Entwicklung von Bewältigungsstrategien eine hohe Bedeutung für das Erleben von Gesundheit und Lebensqualität. Es zeigt sich aber auch die große Bedeutung von Prävention, um Gesundheit und Selbständigkeit so lange wie möglich aufrechtzuerhalten (RKI 2002). Die Förderung von körperlicher Fitness ist damit eine Voraussetzung, um Autonomie (Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit) im Alter zu ermöglichen (Rott 2015).
Zur Wiederholung: Für eine stabile Lebensführung in der Häuslichkeit und im Pflegeheim ist die Mobilität von zentraler Bedeutung, denn ohne Bewegung geht im Alltag nichts! Dies beginnt beim Aufstehen am Morgen und dem Gang zur Toilette. Auch die außerhäusliche Bewegung, wie beispielsweise der Weg zur Apotheke, zur Ärztin oder zum Einkaufen, ist abhängig von Fähigkeiten der Mobilität und sichert die Teilhabe alter Menschen an der Gemeinschaft – unabhängig vom Setting.
Mit zunehmendem Alter treten häufiger Mobilitätseinschränkungen auf. Beispielsweise gehen für die Altersgruppe 70 Jahre und älter gesundheitliche Einschränkungen auch mit einer Einschränkung der Mobilität einher (Nobis & Kuhnimhof 2018). Musich et al. (2018) gehen davon aus, dass ca. 30 % der älteren Erwachsenen (Bandbreite von 22,5 %–46,7 % in verschiedenen Studien) in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Ab 80 Jahren zeigen sich bei den Alltagsaktivitäten, die mit Bewegung einhergehen (z. B. Treppensteigen, die Zubereitung von Mahlzeiten), zunehmend Schwierigkeiten (Hieber et al. 2006). Erste Anzeichen, wie eine Veränderung des Gangbildes oder das Auftreten von Gangunsicherheiten, sind Indikatoren für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes und für spätere funktionale Einschränkungen (Musich et al. 2018).
Mobilitätseinschränkungen gehen mit einem verminderten Zugang zu medizinischen Leistungen sowie einer schlechteren psychischen Verfassung und abnehmenden funktionellen Fähigkeiten einher (Musich et al. 2018). Altersstudien wie die Generali Altersstudie (2017) verweisen darauf, dass gesundheitliche Beschwerden bei den über 75-Jährigen kontinuierlich zunehmen (z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus und muskoskeletale Erkrankungen). Als Folge können auch Einschränkungen bei der Bewegung beobachtet werden, die einen Sturz nach sich ziehen können. Mundt es al. (2019) verweisen in ihrem systematischen Review darauf, dass etwa ein Drittel der über 65-Jährigen einmal im Jahr einen Sturz erleidet. Die Hälfte der über 80-Jährigen und Älteren sogar jedes Jahr. Zumeist nimmt die Gangunsicherheit oder die Immobilität zu und wird durch die Angst verstärkt, erneut zu stürzen. Bei 30 bis 50 % der älteren Sturzopfer ist diese Angst sehr stark ausgeprägt; man spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten »Post-Fall-Syndrom« (Dieckmann 2008).
Wenig überraschend verweisen Studien darauf, dass der Umfang von Gehstrecken bei vielen Älteren abnimmt, sodass Versorgungsstrukturen für den Alltag, soziale Teilhabe sowie kulturelle Aktivitäten schwieriger erreicht oder wahrgenommen werden können (Dieckmann 2008; Oswald & Konopik 2015). Unter anderem verweisen Oswald und Konopik (2015) darauf, dass etwa ein Fünftel der zuhause lebenden alten Menschen während einer Woche innerhalb des letzten Monats nie oder nur selten außerhalb der Wohnung unterwegs waren. Häufiger sind alleinlebende Menschen hiervon betroffen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass nur ca. 6 % der 70- bis 85-Jährigen in einer barrierereduzierten Wohnung leben (Nowossadeck & Engstler 2017). Hinzu können Desinteresse oder eine fehlende Motivation an Bewegung kommen sowie die Überzeugung, dass sie keinen Nutzen aus Bewegung ziehen, diese vielmehr »nachteilig« sein könnte (Franco et al. 2015).
Folgen dieser eingeschränkten Mobilität ist eine zunehmende »Kontrollverdichtung« (Oswald 2014). Das bedeutet: Der Aktionsradius reduziert sich zunehmend auf einen Aufenthaltsort (z. B. den Sessel). Alltagsgegenstände werden so platziert, dass diese in Sitzposition griffbereit sind (z. B. Fernbedienung, Getränke, Medikamente usw.). Die Alltagsgestaltung kann so mit minimalem Bewegungsaufwand sichergestellt werden. Folgen sind eine zunehmende Immobilisierung und Erhöhung des Sturzrisikos. Man »richtet sich ein«. Zegelin (2013) spricht von »Ortsfixierung«. Zumeist wird diese noch verstärkt, indem Angehörige, Pflegende oder Ärzte die betroffenen Personen vor Stürzen warnen und dazu ermutigen, lieber sitzen zu bleiben.
Frühzeitige Interventionen zur Erhaltung und Förderung der Mobilität alter Menschen sollen dabei helfen, ihr tägliches Aktivitätsniveau zu halten oder dieses wiederzuerlangen, um damit die Lebensqualität zu befördern (Musich et al. 2018). Selbständigkeit und eine damit einhergehende verbesserte Lebensqualität sind somit Aspekte, die für alte Menschen in allen Settings der Altenhilfe zentral sind.
Bewegung ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Ihre Förderung ist bis ins hohe Alter möglich. Dem Tag mehr Bewegung zu geben heißt, die verbliebenen Kompetenzen im Alltag der pflegebedürftigen Menschen einzubinden. Dies kann aber nur dann gelingen, wenn die Maßnahmen in Kooperation mit allen Beteiligten (Therapeutinnen, Angehörige, Kolleginnen etc.) dauerhaft umgesetzt werden. Der Expertenstandard »Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege« (2020) betont die Kontinuität von Maßnahmen und verweist darauf, dass Erhaltung und Förderung der Mobilität bis ins hohe Alter möglich sind. Hierfür sind die Bedürfnisse, die Ressourcen und Defizite der Person zu beachten.
Vorteile und Risikofaktoren müssen hinreichend berücksichtigt werden, damit die Personen eine individuelle Förderung erhalten, die sie fordert, aber nicht überfordert. Was ist damit gemeint? Wenn man sich eine Waage vorstellt, dann gibt es auf der einen Seite immer Verhinderungsgründe oder Risikofaktoren für Bewegung – ein Leben lang (siehe Zusatzmaterial 1). Sei es Faulheit oder der innere Schweinehund, der überwunden werden muss. Diese Verhinderungsgründe beinhalten aber auch individuelle Risikofaktoren, wie etwa Übergewicht, Schmerzen oder die Einnahme von Medikamenten und körperliche Einschränkungen, die die Bewegung hemmen können. Diese Gründe und Risikofaktoren, sich nicht oder zu wenig zu bewegen, müssen in ein individuelles Gleichgewicht mit den Vorteilen und Ermöglichungsbedingungen von Bewegung gebracht werden. Ob das jeweils gelingt, bleibt natürlich eine Entscheidung der jeweiligen Person – auch das Recht, sich gegen Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Mobilität zu entscheiden. Denn Mobilität bleibt Ausdruck individueller »Körper- und Bewegungsgeschichten« (Abraham 2008, S. 178). Diese Geschichten zeigen, wie das »aktuelle Verhältnis zum eigenen Körper, zur Bewegung und Beweglichkeit vor dem Hintergrund des gelebten Lebens« zu begreifen ist (Abraham 2008, S. 179). Es kann also nur darum gehen, Angebote zur Bewegung zu unterbreiten und Verhinderungsgründe gemeinsam in den Blick zu nehmen, damit ein Gleichgewicht zwischen Ruhe und Bewegung im Alltag gelebt werden kann.
Insbesondere Menschen, die im Pflegeheim leben, weisen ein erhöhtes Risiko auf, Beeinträchtigungen der Mobilität oder eine Verstärkung der Mobilitätseinbußen zu erleben. Lange Phasen am Tag, die sitzend oder liegend verbracht werden, setzen eine zunehmende Abwärtsspirale in Gang (DNQP 2014, 2020; Harvey et al. 2013; Reid et al. 2013). Dieser Personenkreis profitiert von gezielten Maßnahmen zum Erhalt der Mobilität, weil weitere Funktionseinbußen vermieden oder zumindest verzögert werden können.
Die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur körperlichen Aktivität und Gesunderhaltung sind als Orientierungshilfe für Personen ab 65 Jahren zu verstehen; sie sind auf die jeweilige Person und ihre Fähigkeiten anzupassen (Franco et al. 2015). Die Empfehlungen können Sie im Beitrag zum Expertenstandard einsehen.
Anders (2008) verweist außerdem darauf, dass der relative Zugewinn motorischer Leistungen durch gezieltes Training bei älteren Menschen sogar ausgeprägter wirken kann als dies bei jüngeren Personen der Fall ist. Trainingsprogramme für ältere Menschen, die alltägliche Bewegungsabläufe wie z. B. Treppensteigen integrieren, führen zu erkennbaren Verbesserungen der körperlichen Leistung. Zudem sei eine Kombination von Kraft- und Balancetraining geeignet, die Mobilität zu fördern und zu erhalten und Stürzen vorzubeugen. Voraussetzung ist, dass die Maßnahmen individuell auf das Leistungsniveau und die Bedürfnisse des alten Menschen abzustimmen sind. Zu erkennen, dass eine ältere Person Mobilitätseinschränkungen hat, oder zu beurteilen, ob sie gefährdet ist, eine solche zu entwickeln, kann ein wichtiger Schritt zur Verhinderung von Behinderung und Abhängigkeit für ältere Personen sein (Cummings et al. 2014).
Was bleibt zum Schluss zu sagen? Altern ist nichts für Feiglinge! Man muss sich den vielfältigen Veränderungsprozessen als Mensch früher oder später stellen. Körperliche und kognitive Funktionsreserven gehen zurück, Lebensbedingungen sowie soziale Netzwerke unterliegen einem dynamischen Wandel (RKI 2015). Das heißt die Veränderungen beziehen sich auf den gesamten Menschen und umfassen körperliche, seelisch-geistige sowie soziale Aspekte.
Auf der einen Seite wird der Diskurs um Demografie sehr stark darauf fokussiert, welche Folgen das Alter mit sich bringen kann, nämlich funktionale Verluste, Krankheit, aber auch die Entwicklung von Pflegebedürftigkeit. Das Bild einer Alterslawine von Hilfe- und Pflegebedürftigen, die die Gesellschaft überrollt, stellt sich ein. Auf der anderen Seite wird das Altern als Lebensphase, welche Lebensqualität und -sinn trotz Einbußen beinhaltet, kaum in den Blick genommen.
Werden aber (über) Hundertjährige befragt, dann wird auch ein beachtenswertes Ausmaß an psychologischen Stärken deutlich, welches zu ihrem Wohlbefinden beiträgt (Rott et al. o. J.) Die Autorinnen resümieren, dass ein hohes Maß an Lebenssinn und -wille diesem Personenkreis dabei hilft, erschwerte Bedingungen, wie beispielsweise vorhandene Gesundheitseinbußen, quasi zu neutralisieren (Rott et al. o. J). Marc Chagall sagte: »Die Leute, die nicht zu altern verstehen, sind die gleichen, die nicht verstanden haben, jung zu sein.« Wenn man dieses Zitat auf sich wirken lässt, wird deutlich, wie fließend die Übergänge zwischen Alt und Jung sind und man das Leben »bewegen« und sich selbst bewegen sollte, weil man sonst statisch ist und bleibt.
Bewegung muss Spaß machen und Sinn vermitteln, im Alter wie in der Jugend. Sie sollte sich an den Interessen und Vorlieben orientieren und mit einem individuellen Ziel verbunden sein. Es geht dabei auch um eine Suche nach den individuellen Körper- und Bewegungsgeschichten und wie diese dazu beitragen können, Bewegung in den Alltag zu integrieren. Der Grundsatz »nur so viel Hilfe wie nötig und so wenig wie möglich« sollte aber von allen berücksichtigt werden, damit die Ressourcen der Menschen zum Tragen kommen und erhalten bleiben (DNQP 2014, 2020; Berger 2018).
Oder wie Frau Maier, die bereits bekannte, rüstige Dame am Anfang des Buches zu bedenken gab: Immer auf Hilfe angewiesen zu sein, erzeugt das Gefühl, dass man nichts mehr kann. Die Aufrechterhaltung von Selbstständigkeit kann das Empfinden von personaler Würde und Lebensqualität befördern.
In jedem Alter ist Bewegung ein zentrales Bedürfnis, um selbst bestimmen zu können, wo ich mich aufhalten möchte, mit wem ich zusammen sein will und vor allem mit wem nicht. Selbstbestimmtheit, insbesondere die Frage, welche Ziele ich im Alltag verfolgen möchte, ist eng mit Erhaltung und Förderung der Mobilität verbunden. Aber auch die Möglichkeit, so lange wie es geht zuhause wohnen zu bleiben, geht mit der Frage nach den Fähigkeiten, sich zu bewegen, einher. Pflegende nehmen hierbei eine besonders wichtige Rolle ein: von der Erfassung des Mobilitätsstatus über die Identifizierung von sinnstiftenden Bewegungsanlässen bis hin zur Evaluation des Prozesses. Dabei sind die Bedürfnisse der alten Menschen, unabhängig von der Versorgungsart, in den Blick zu nehmen. Mobilität kann bis ins hohe Alter erhalten und gefördert werden und es bedarf einer Grundhaltung von »Mehr Mut zur Bewegung« (DNQP 2020).
Der vorliegende Beitrag zeigt die Entwicklung der unterschiedlichen Expertenstandards auf. Der Schwerpunkt liegt aber auf der Vorstellung der Kriterien des Standards (DNQP 2020). Zudem werden Tipps zur Umsetzung in den Pflegealltag gegeben. Die Ausführungen sind als eine Art Leitfaden zu verstehen und sollten an das Setting und die Einrichtung angepasst werden. Den Hinweis »Mehr Mut zur Bewegung!« gilt es, in der eigenen Pflegepraxis zu reflektieren und immer wieder im Team zu überlegen: Wenn etwas nicht mehr geht, was geht noch? Inhalte des Expertenstandards werden erläutert – auf die fortlaufende Nennung der Quelle wird verzichtet.
Expertenstandards in der Pflege waren über viele Jahre als berufsgruppenspezifische Beiträge zur Qualitätsentwicklung mit der Arbeit des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) verbunden. Zahlreiche Expertenstandards zu unterschiedlichen Themen wurden seit Ende der 1990er Jahre erarbeitet. Größtenteils liegen diese bereits in ein- oder zweifach aktualisierter Form vor (DNQP 2019). Die Standards entfalten eine hohe Bedeutung in den Einrichtungen und im Alltag der Pflegenden. Im Blick sind zentrale Qualitätsrisiken (wie Dekubitus, Sturz etc.), die in der Regel für alle Leistungsbereiche der Pflege gültig sind. Die Betonung auf »berufsgruppenspezifische Instrumente« macht eine von Dritten unabhängige Entwicklung deutlich.
An dieser Stelle wird nicht detailliert auf das Verfahren zur Entwicklung und Aktualisierung von Expertenstandards eingegangen. Diese können dem Methodenpapier mit Stand 20192 des DNQP entnommen werden. Büscher und Blumenberg (2018, S. 64) geben folgenden Hinweis zur Umsetzung von Expertenstandards:
»Die Arbeit mit Expertenstandards bedarf immer einer einrichtungs- und zielgruppenspezifischen Konkretisierung, da die eher allgemein formulierten Kriterien keine konkreten Umsetzungsvor-gaben machen. Dies stellt eine anspruchsvolle Aufgabe für die Verantwortlichen dar, unterstützt aber maßgeblich die interne Qualitätsentwicklung in den Einrichtungen und Diensten, da es durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Expertenstandard zu klärenden Dialogen innerhalb der Berufsgruppen und vielfältigen Impulsen für die Qualitätsentwicklung kommt.«
Mit der Überführung der Expertenstandards in die jeweiligen Strukturen und Prozesse der Einrichtungen und Dienste werden die Inhalte für das tägliche Handeln ebendieser also konkretisiert und sichtbar. Für jeden Standard gibt es ein auf das Thema abgestimmtes Auditinstrument3, wobei geprüft wird, inwieweit der Standard umgesetzt ist.
Mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (2008) wurde vom Gesetzgeber das Ziel formuliert, die Leistungen der Pflegeversicherung besser auf die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen/Angehörigen abzustimmen. Mit diesem Gesetz wurden auch die Expertenstandards als eine wichtige Säule der Qualitätssicherung im SGB XI verankert. Die Entwicklung und Fortschreibung von Qualitätsinhalten sollten durch die Umsetzung von Expertenstandards eine stärkere Anerkennung des internen Qualitätsmanagements befördern.
Mit dieser Entscheidung wurde die Sicherstellungsverantwortung zur Entwicklung und Aktualisierung u. a. den Vertragsparteien (Spitzenverband Bund der Pflegekassen, Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, die kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene und die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene) übertragen, die dazu aufgefordert wurden, eine »Verfahrensordnung zur Entwicklung von Expertenstandards« zu erstellen. Dieses Verfahren orientierte sich überwiegend am methodischen Verfahren des DNQP. Eine fachlich unabhängige Entwicklung und Aktualisierung sollten dadurch sichergestellt werden (Berger 2018; Berger & Hennings 2014a).
Die Vertragspartnerinnen hatten sich zu Beginn darauf verständigt, dass vorrangig Beschlüsse über die Aktualisierung der bisher entwickelten Expertenstandards des DNQP unter Beachtung der Urheberrechte herbeigeführt werden sollten. Diese Rechte konnten zwischen den Vertragsparteien und dem DNQP nicht geklärt werden, so dass das Vorhaben scheiterte, die bis dato veröffentlichten Expertenstandards einzubinden.
Nach einem Aufruf der Vertragsparteien, relevante Themen einzureichen, wurde die Entwicklung des Expertenstandards »Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege« ausgeschrieben. Das DNQP wurde mit der Erarbeitung beauftragt. Der Entwurf wurde in einer Fachkonferenz konsentiert und im Juni 2014 an den GKV-Spitzenverband übergeben. Eine modellhafte Implementierung wurde anschließend durchgeführt. Der Endbericht »Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege« (EXMO) attestierte zwar, dass der Expertenstandard praxistauglich und die Kosten für eine Umsetzung gering seien. Ein Wirksamkeitsnachweis könne aber nicht erbracht werden (Görres & Rothgang 2016). Der erweiterte Qualitätsausschuss sprach folglich eine Empfehlung zur »freiwilligen Umsetzung« des Standards aus. Parallel sollte der Expertenstandard aktualisiert werden, dies ist mittlerweile erfolgt. Die aktuelle Fassung (2020) kann auf der Website »Geschäftsstelle Qualitätsausschuss Pflege«4 heruntergeladen werden.
Wie sind die Expertenstandards nach § 113a SGB XI rechtlich einzuordnen? Die Expertinnen beschreiben ein Qualitätsniveau, welches bereits mit der Veröffentlichung den allgemein anerkannten Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse präzisiert und damit Wirksamkeit im Sinne des § 11 (1) SGB XI entfaltet. Dort heißt es: »Die Pflegeeinrichtungen pflegen, versorgen und betreuen die Pflegebedürftigen, die ihre Leistungen in Anspruch nehmen, entsprechend dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse. […].«
Im Vorfeld der Aktualisierung wurde eine Literaturstudie erstellt. Der Standard wurde anhand dieser Erkenntnisse überarbeitet und die Fachöffentlichkeit in die Konsultationsphase eingebunden. Die Abnahme des Abschlussberichts erfolgt durch die Geschäftsstelle des Qualitätsausschusses Pflege. Eine erneute Implementierungsstudie ist geplant.
Die Erhaltung und Förderung der Mobilität ist ein zentrales Thema, Mobilitätsdefizite und kognitive Beeinträchtigungen gehören zu den wichtigsten Ursachen einer dauerhaften Pflegebedürftigkeit. Da die Mehrheit der pflegebedürftigen Menschen von Mobilitätseinbußen betroffen ist, wird die Erhaltung und Förderung der Mobilität als zentrales Ziel einer professionellen Pflege beschrieben. Folgende Aspekte werden aufgeführt:
• Mobilität ist eine grundlegende Voraussetzung für Selbständigkeit und autonome Lebensführung und ermöglicht soziale Teilhabe. Sie befördert Lebensqualität und subjektives Wohlbefinden.
• Pflegerische Maßnahmen zur Erhaltung oder Förderung der Mobilität leisten einen wichtigen Beitrag, um die Reduktion weiterer Funktionseinbußen und gesundheitlicher Störungen zu verhindern, die den pflegebedürftigen Menschen abhängig von pflegerischer Hilfe machen, und stärken die Ressourcen der Selbstpflege. Zudem kann spezifischen Risiken, wie z. B. Sturz-, Kontrakturen-, Thrombose- oder Dekubitusgefährdung, entgegengewirkt werden.
Der Standard betont die Bedeutung der Mobilitätsförderung: Insbesondere die Haltung der Pflegefachkräfte und der Einrichtungen ist für die Umsetzung von Maßnahmen entscheidend. Eine konsequente Orientierung an den Ressourcen der pflegebedürftigen Menschen wird empfohlen.
Der Expertenstandard definiert Mobilität:
»als die Eigenbewegung des Menschen mit dem Ziel, sich fortzubewegen oder eine Lageveränderung des Körpers vorzunehmen. Lageveränderung und Fortbewegung umfassen den Lagewechsel im Liegen, Sitzen, das Aufstehen und das Umsetzen sowie das Gehen mit oder ohne Hilfen« (DNQP 2020, S. 14).
Der Expertenstandard richtet sich an Pflegefachkräfte und Einrichtungen aller Settings der Langzeitpflege, weil dort eine gewisse Kontinuität gelebt werden kann und somit eine dauerhafte Mobilitätsförderung möglich ist. Neu ist die Erwähnung von »psychisch kranken Menschen«, bei denen Antriebslosigkeit oder Müdigkeitserscheinungen zu einer verminderten Mobilität führen können (z. B. durch Einsatz von Medikamenten).
Unterschiedliche Settings sind mit unterschiedlichen Anforderungen und Voraussetzungen konfrontiert. Das bedeutet, dass die besonderen Bedingungen des Settings bzw. der jeweiligen Einrichtung zu berücksichtigen und die Vorgaben des Standards daran anzupassen sind. Maßnahmen sollten aber kontinuierlich durchgeführt und nicht dem Zufall überlassen werden.
Die Zielsetzung des Standards lautet: »Jeder pflegebedürftige Mensch erhält im Rahmen seiner Selbstbestimmung eine pflegerische Unterstützung, die zur Erhaltung und Förderung der Mobilität beiträgt« (DNQP 2020, S. 18). Die Umsetzung des Standards setzt einen pflegerischen Auftrag voraus, der durch einen Aushandlungsprozess zwischen dem pflegebedürftigen Menschen und der Pflegefachkraft vereinbart wird. Das Selbstbestimmungsrecht des pflegebedürftigen Menschen umfasst daher auch das Recht auf Ablehnung oder Verzicht von Maßnahmen (DNQP 2020).
Pflegebedürftige Menschen, die auf Hilfe und pflegerische Betreuung angewiesen sind, weisen ein erhöhtes Risiko auf, Beeinträchtigungen der Mobilität oder weitere Mobilitätseinbußen zu erleben. Eine Identifizierung von Risikogruppen entfällt, begründbar ist das u. a. damit, dass rund 75 % der Menschen, die in einer stationären Einrichtungen leben, Einschränkungen bei der Fortbewegung oder der Bewegung in liegender Position haben; in der häuslichen Versorgung geht man von ca. 60 % der Menschen aus (DNQP 2014).
Mobilität und Mobilitätseinschränkungen sind komplexe Phänomene, die nicht nur anhand der Einschätzung der funktionalen Bewegungsfähigkeiten beurteilt werden können. Es konnte kein Instrument identifiziert werden, mit dem sich sämtliche Aspekte standardisiert erfassen ließen, daher empfiehlt die Expertenarbeitsgruppe eine kriteriengeleitete Einschätzung, deren Inhalte im nachfolgenden Kasten dargestellt sind (DNQP 2020).
Aktueller und früherer Status der Mobilität, Beurteilung der folgenden Fähigkeiten:
• Selbstständiger Lagewechsel in liegender Position, eingeschlossen ist dabei das selbstständige Aufrichten in eine sitzende Position
• Selbstständiges Halten einer aufrechten Sitzposition
• Selbstständiger Transfer (aufstehen, sich hinsetzen, sich umsetzen)
• Selbstständige Fortbewegung über kurze Strecken (Wohnräume)
• Selbstständiges Treppensteigen
Merkmale der materiellen und sozialen Umgebung
• Nutzung von Hilfsmitteln, Raum- und Umgebungsgestaltung, Einbeziehen von Angehörigen usw.
Individuelle körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen und Ressourcen
• Unter anderem eine fehlende Motivation zur Bewegung, Angst, Schmerz, Adipositas
Erkrankungen und aktuell durchgeführte therapeutische Maßnahmen
• Diagnosen, die eine Auswirkung auf die Mobilität haben, aber auch Medikamente, die Mobilität beeinflussen
• Therapien, wie z. B. Physio- oder Ergotherapie
(DNQP 2020)
Die Pflegefachkraft muss über die Kompetenz verfügen, die Mobilität des pflegebedürftigen Menschen und die Gründe für seine Mobilitätseinschränkung (z. B. Übergewicht, visuelle oder kognitive Einschränkungen, Angst vor Stürzen, Schmerzen, Müdigkeit, Einnahme von Anticholinerika, Antidepressiva oder Benzodiazepinen usw.) einzuschätzen. Probleme und Ressourcen im Zusammenhang mit der Mobilität sollen differenziert beschrieben werden. Die Perspektive des pflegebedürftigen Menschen ist zentral und sollte eingebunden werden. Eine Einschätzung erfolgt immer zu Beginn des pflegerischen Auftrags und in individuell festzulegenden Abständen:
• Bei Veränderungen der gesundheitlichen Situation (z. B. nach Schlaganfall) oder bei Rückkehr aus dem Krankenhaus
• Bei Veränderung der individuellen Pflegeziele oder Umgebungsbedingungen (z. B. Umzug innerhalb einer Einrichtung) und generell in Verbindung mit der Evaluation
• Bei stabiler gesundheitlicher Situation ist eine Einschätzung in einem Intervall von einigen Monaten ausreichend!
Mit der Aktualisierung des Standards wird darauf hingewiesen, dass die Einschätzung mit der regelmäßig durchzuführenden Ergebniserfassung in der stationären Langzeitpflege in Einklang gebracht werden soll, bei der auch Aspekte der Mobilität eingeschätzt werden. Die Ergebnisse sollten übersichtlich dokumentiert werden, damit diese bei einem Beratungsgespräch oder Überleitung (Krankenhauseinweisung oder Umzug) sinnvoll genutzt werden können (DNQP 2020).
• Entscheiden Sie, wie eine Einschätzung der Mobilität konkret erfolgen soll und wann darüber hinaus biografische Daten erfasst, zusammengeführt und gemeinsam besprochen werden.
• Bei der Einschätzung der Mobilität muss die Perspektive des pflegebedürftigen Menschen eingebunden werden. Ein checklistenartiges Abarbeiten von Anforderungen wird dem »Gewordensein« von Personen nicht gerecht. Es geht vielmehr darum, die Biografie, die subjektive Bedeutung, aber auch die Erfahrungen wahrzunehmen. Besonders wichtig sind Aspekte, die es über die Schwelle in die Gegenwart schaffen, aber auch individuelle Bewegungsgeschichten und -gewohnheiten.
• Der Einsatz spezifischer Instrumente, wie des »Timed up and go Tests« oder komplexer Assessmentinstrumente (z. B. Resident Assessment Instrument – RAI), sollte nur in Ausnahmefällen erfolgen, etwa wenn die Wirksamkeit eines Interventionsprogramms überprüft wird.
• Sichten Sie die vorhandenen Einschätzungsinstrumente, die in Ihrer Einrichtung bereits verwendet werden, und ergänzen Sie diese ggf. um die Aspekte einer kriteriengeleiteten Einschätzung. In der digitalen Anlage des Buches können Sie Fragestellungen einsehen, die in die strukturierte Informationssammlung (SiS) integriert werden können (siehe Zusatzmaterial 6).
• Vermeiden Sie Doppeleinschätzungen und prüfen Sie Bezüge zur Einschätzung weiterer Risiken wie der Sturz-, der Dekubitus- oder der Kontrakturgefahr. Stimmen Sie die Einschätzungsintervalle mit der Ergebniserfassung in der stationären Langzeitpflege ab.
Mobilität sollte als übergeordnetes Qualitätsziel verstanden werden, also Bestandteil des internen Qualitätsmanagements sein und in einem Konzept festgehalten werden. Unter anderem sind die folgenden Inhalte eines Konzepts zur Erhaltung und Förderung der Mobilität zu beschreiben:
• Stellenwert der Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Einrichtung sowie zielgruppenspezifische Weiterbildungs- und Schulungsmaßnahmen für die an der Versorgung Beteiligten
• Einrichtungsspezifische Vorgehensweisen (von der Einschätzung über Planung, Maßnahmen und Angebote zur Förderung und Erhaltung der Mobilität bis hin zur Evaluation)
Die übergeordneten Ziele des Konzepts sollten allen an der Versorgung Beteiligten intern und extern bekannt sein und in Form von spezifischen Informationen (Informationsabende und -materialien) bekannt gemacht werden. Hier ist das Management gefragt.
Der Expertenstandard empfiehlt zur Sicherstellung der Koordination und Kooperation ein Bezugspflegesystem, um individuelle Interaktions- und Aushandlungsprozesse sicherzustellen, aber auch um zu gewährleisten, dass die Verantwortung von Maßnahmen in einer Hand liegen. Wichtig ist dabei: Individuelle Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Mobilität werden gemeinsam festgelegt und müssen an den Ressourcen und Bedürfnissen der Person ansetzen und für sie sinnstiftend sein.
Pflegefachkräfte müssen wissen, welche Maßnahmen von der eigenen Berufsgruppe oder von anderen Gruppen angeboten werden. Inhalte und Ziele der therapeutischen Maßnahmen sollten bekannt sein und bei der Tagesstruktur bzw. Maßnahmenplanung Berücksichtigung finden. Maßnahmen der Therapeutinnen ersetzen nicht die pflegerischen Aufgaben, sondern ergänzen diese. Zudem werden wichtige Impulse für den pflegebedürftigen Menschen und seine Angehörigen oder die Pflegenden selbst gegeben. Es geht bildlich gesprochen um ein »Orchestrieren«, in dem die einzelnen Professionen jeweils um ihren Part wissen und die Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden. Die geplanten Maßnahmen sollen in einem gemeinsamen Maßnahmenplan zusammengeführt werden, der für alle Beteiligten einsehbar ist. Die Fachkraft sorgt dafür, dass die Maßnahmen zur Bewegungsförderung abgestimmt und kontinuierlich und über den Tag verteilt angeboten und nach einer Erkrankung zeitnah wieder aufgenommen werden.
In Zusammenarbeit mit den jeweiligen Expertinnen erfolgt auch die Auswahl geeigneter Hilfsmittel. Die individuelle Anpassung der Hilfsmittel an die Bedarfe und Bedürfnisse der pflegebedürftigen Personen sowie die Einweisung in den Umgang mit diesen ist Aufgabe der Therapeutinnen und Orthopädietechnikerinnen. Die Pflegenden sind gefragt, wenn es um die Integration von Hilfsmitteln in den Alltag geht, d. h. die Personen anzuleiten, das Hilfsmittel korrekt zu nutzen. Bei Beschädigungen, Abnutzungen und anderen Mängeln (Reparaturbedarf) müssen die notwendigen Maßnahmen veranlasst werden (DNQP 2020).
Kooperationen mit »externen« Anbietern (z. B. Sportvereinen) unterstützen die Einbeziehung von pflegebedürftigen Menschen im Quartier und somit deren Teilhabemöglichkeiten. Dies betrifft Menschen in der Häuslichkeit, aber auch (teil-)stationäre Einrichtungen können sich Angeboten im Quartier anschließen und in das Alltagsleben der Einrichtung/Tagespflege integrieren. Die Organisation sollte sich daher über Angebote außerhalb der Einrichtung bzw. in der unmittelbaren Umgebung des Wohnortes informieren (DNQP 2020).
»Kontinuität« ist für alle Beteiligten wichtig. Erstens bedeutet das eine inhaltliche Kontinuität, also z. B. das Einüben alltäglicher Bewegungsabläufe in gleicher Art und Weise. Ziel ist es, Sicherheit zu vermitteln, um ggf. Angst zu reduzieren. Zweitens: die zeitliche Kontinuität. Es ist zu beachten, dass nur sporadisch durchgeführte Maßnahmen wenig erfolgsversprechend sind (DNQP 2020). Etwas überspitzt: Das einmalige Trinken vor einer Wüstenwanderung rettet nicht vor dem Verdursten! Drittens: Es gibt keine allgemeingültigen Empfehlungen hinsichtlich Dauer und Häufigkeit sowie Intensität von Maßnahmen. Einige Interventionsprogramme beinhalten feste Vorgaben. Wenn es keine Vorgaben gibt, dann sollten die Einrichtungen/Dienste Festlegungen treffen. Hierfür können die Empfehlungen z. B. der WHO genutzt werden (DNQP 2020).
• Empfehlung für Personen im Alter ab 65 Jahren, wöchentlich mindestens 2,5 Stunden mäßig anstrengend körperlich aktiv sein oder etwa die Hälfte dieser Zeit mit intensiv-belastenden Aktivitäten verbringen.
• Bei bestehenden Mobilitätseinschränkungen mindestens drei Mal wöchentlich mobilitätsfördernde Aktivitäten zur Verbesserung von Balance und Sturzprävention durchführen. Soll die Muskulatur gestärkt werden, mindestens an zwei Tagen pro Woche trainieren.
• Kann aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen die genannte Intensität nicht mehr erreicht werden, sollte ein Belastungsniveau angestrebt werden, das auf der Grundlage der verbliebenen Ressourcen möglich ist.
Orientierungshilfen sind als Kompass zu verstehen. Eine Anpassung ist daher notwendig. Das Ziel, die Motivation der Person und die körperliche Verfassung sind entscheidend, wie die Dauer, Häufigkeit und Intensität anzupassen sind.
Wenn sich die Mobilität verschlechtert, gilt es zu reagieren und ggf. notwendige Schritte der Diagnostik oder Therapie einzuleiten. Fallbesprechungen sind dann sinnvoll und richtig, wenn zunehmende Einschränkungen erkennbar oder Maßnahmen abgelehnt werden (»Ich steh nicht mehr auf!«). Ziel muss es sein, zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen, die von den Bedürfnissen des pflegebedürftigen Menschen geprägt ist. Die Ergebnisse einer Besprechung sind zu dokumentieren, in der Häuslichkeit unter Einbeziehung der Angehörigen.
Für den ambulanten Bereich ist demnach Kooperation und Koordination schwieriger zu realisieren. In diesen Konstellationen sind edukative Angebote besonders wichtig, um die Wichtigkeit der Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Mobilität zu verdeutlichen, gemeinsame Handlungsansätze zu besprechen und ggf. festzulegen. So viel Eigenbewegung wie möglich und so wenig Hilfe wie nötig, sind die Ziele.
• Klären Sie, mit welchen Partnerinnen eine Kooperation bereits besteht, vertieft oder verbessert werden soll. Planen Sie einen regelmäßigen Austausch, z. B. mit dem Sanitätshaus oder der Physiotherapie, und sprechen Sie darüber, welche Erwartungen Sie haben, um eine gute Zusammenarbeit sicherzustellen.
• Bei kommunikativen Problemen mit/zwischen den Kooperationspartnerinnen (z. B. Ärztin und Apothekerin) sollte gemeinsam im Gespräch nach Lösungen gesucht werden.
• Die Durchführung und der Erfolg sämtlicher Maßnahmen sollte von den Therapeutinnen in der Pflegedokumentation festgehalten oder mündlich kurz erläutert werden.
• Legen Sie Anlässe fest, wann die Hausärztin für ein Rezept »Physiotherapie« anzusprechen ist (z. B. neues Hilfsmittel), und klären Sie, ob Maßnahmen der Physiotherapie in das pflegerische Handeln integriert werden können. Beachten Sie bitte: Therapeutinnen sollten selbst auch ein Interesse an der Ausstellung von Folgerezepten haben.
• Suchen Sie neue Formen von Fallbesprechungen (z. B. Telefonkonferenzen, andere digitale Formate), um alle Akteurinnen an einen Tisch zu bekommen.
• Prüfen Sie die vorhandenen Konzepte, um sicherzustellen, dass die Haltung »Bewegung in alle Maßnahmen des Alltags zu integrieren« transparent wird.
• Betonen Sie regelmäßig die Bedeutung der Mobilitätsförderung und bleiben Sie mit Angehörigen, Ehrenamtlichen und pflegebedürftigen Personen im Gespräch. Äußerungen wie »Ich zahle hier so viel Geld!« bieten Gesprächsanlässe, um das Handeln zu begründen.
• Sorgen Sie für Kontinutiät bei den Maßnahmen und machen Sie sich im Team gegenseitig darauf aufmerksam, wenn Maßnahmen nicht durchgeführt werden.
Die Pflegefachkräfte müssen über die Kompetenz verfügen, Betroffene zu informieren, anzuleiten und zu beraten. Dieses »Handwerkszeug« ist unerlässlich, um die Bedeutung der Mobilität für die Gesundheit und den Erhalt der Selbstständigkeit verständlich zu vermitteln, aber auch um auf die Bedürfnisse der Betroffenen und ggf. ihre fehlende Motivation einzugehen. Es geht aber auch darum, die einrichtungsinternen Angebote, das Einbeziehen anderer Berufsgruppen sowie Bewegungsübungen darzustellen, die allein oder mit Unterstützung durchgeführt werden können. Hilfreich kann Informationsmaterial zur Bedeutung sowie zur Erhaltung und Förderung der Mobilität sein. Einrichtungen und Dienste sollten diese zur Verfügung stellen (DNQP 2020).
Anhand der identifizierten Probleme, Risiken und Ressourcen setzt die Pflegefachkraft eine Information, Beratung oder Anleitung um. Diese müssen an den Möglichkeiten und Fähigkeiten des Gegenübers ausgerichtet werden. Es geht also um einen sinnvollen Zeitpunkt, die Dauer sowie um die Inhalte von edukativen Angeboten selbst. Es ist unumgänglich, die Motivation, aber auch emotionale Aspekte einzuschätzen, z. B. kann die Angst sich zu bewegen mit einem zurückliegenden Sturzereignis in Verbindung gebracht werden. Es nützt dann wenig zu sagen »Sie brauchen keine Angst zu haben«, vielmehr sollte diese Angst thematisiert werden.
In der nachfolgenden Tabelle sind die Ziele und die jeweiligen Inhalte von Information, Anleitung und Beratung skizziert ( Tab. 1.1). Die Betroffenen sollten die Auswirkung einer eingeschränkten Mobilität und die bestehenden Möglichkeiten zur Erhaltung und Förderung der Mobilität kennen. Nur auf Grundlage einer gezielten Information und Beratung kann eine Entscheidung für oder gegen Maßnahmen getroffen werden. Bei Menschen mit Demenz ist eine praktische Anleitung zu empfehlen – etwa durch das Vorführen einer Handlung (DNQP 2020).
Tab. 1.1: Überblick Information, Beratung und Anleitung (nach Berger & Hennings 2014a)
InformationBeratungAnleitung
Der Wunsch einer Person, sich nicht mehr bewegen zu wollen, ist Ausdruck von Selbstbestimmtheit. Pflegende haben diese Entscheidungen zu akzeptieren, aber gleichzeitig auch zu reflektieren, ob andere Gründe vorliegen, wie etwa den Pflegenden nicht zur Last fallen zu wollen. Eine Ablehnung von Maßnahmen muss keine endgültige Entscheidung sein. Sie kann mit dem Betroffenen immer wieder thematisiert werden. Ein »Der will eh nicht mehr« muss immer wieder hinterfragt werden, denn häufig zeigt sich, dass eine motivierende Beziehungsarbeit zur Bewegung anregen kann. Inhalte und Ergebnisse von Information, Anleitung und Beratung sind zu dokumentieren (DNQP 2020).
Der pflegerische Auftrag und das Setting bestimmen den Rahmen, in dem sich das Handeln der Pflegenden bewegt. Während der Beratungsbesuche in der ambulanten Pflege nach § 37 Abs. 3 SGB XI kann auf Angebote im Quartier aufmerksam gemacht werden oder auch auf Informationsbroschüren zum Thema Mobilität eingegangen werden. Bei weiteren Besuchen können Bewegungsübungen vermittelt werden. Pflegedienste, die mit den Pflegekassen einen Vertrag über die Durchführung individueller häuslicher Schulungen abgeschlossen haben, können zusätzlich eine gezielte Anleitung und Schulung für Angehörige anbieten, z. B. Gestaltung eines Transfers. Gleichermaßen bieten ambulante Dienste auch Betreuungsangebote oder -gruppen an. Diese Angebote ermöglichen es, Maßnahmen der Mobilitätförderung gezielt einzuüben. In der Tagespflege ist Begleitung ein wichtiger Ansatzpunkt, um zuhause lebende Personen und deren Angehörige mit Informationen und einer gezielten Beratung zu unterstützen (DNQP 2020).
Wichtig: Die Verantwortung für Pflege und Betreuung in der häuslichen Versorgung liegt zumeist bei den Angehörigen und die Pflegefachkraft hält sich nur eine begrenzte Zeitspanne und als Gast im häuslichen Umfeld auf. Es geht also vorrangig darum, wesentliche Risiken für eine Mobilitätseinschränkung aufzuzeigen und angemessene, alltagsnahe Maßnahmen vorzuschlagen sowie weitere Kontakte, z. B. zu Sanitätshäusern oder der Wohnraumberatung, herzustellen oder zu vermitteln (DNQP 2020).
• Erheben Sie den Fortbildungsbedarf bezüglich Information, Anleitung, und Beratung und planen Sie alltagsnahe Schulungen und Übungseinheiten für die Mitarbeiterinnen.
• Insbesondere im ambulanten Bereich muss bei edukativen Angeboten immer überlegt werden, ob der Pflegebedürftige selbst oder die pflegenden Angehörigen die Adressaten sind. Sollen Angehörige Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Mobilität umsetzen, müssen sie alltagsnahe Fähigkeiten und Kompetenzen entwickeln, um den Pflegebedürftigen adäquat anzuleiten und zu motivieren.
• Angehörige sind Schlüsselfiguren: Eine aktive Information und Beratung ist unerlässlich, um Meinungen entgegenzuwirken, z. B. dass ein alter Mensch sich nicht mehr bewegen muss, weil er seinen Lebensabend verdient hat. Informieren Sie regelmäßig bei Veranstaltungen, Angehörigenabenden, aber auch Beratungsgesprächen über die Wichtigkeit der Mobilität im Alter.
• Halten Sie zielgruppenspezifisches Informationsmaterial vor und gestalten Sie eine Beratungsbox mit Anschauungs- und Informationsmaterial. Überlegen Sie, wie die schriftlichen Informationen zu gestalten sind (z. B. »Wittener Liste«). Es gibt aber auch eine Vielzahl an Informationsbroschüren in guter Qualität, die genutzt werden können.
• Überlegen Sie, wann und in welcher Form bei Ihnen in der Einrichtung/im Dienst Informations- oder Beratungsgespräche geführt werden und wie die Ergebnisse dokumentiert und thematisiert werden. Inhalte sind wichtiger als eine Häkchenmentalität (»ist erledigt«). Edukative Angebote sind an die Möglichkeiten und die Motivation des Gegenübers anzupassen.
• Menschen mit Demenz profitieren besonders von einer Anleitung, etwa beim Einüben eines Transfers oder bei einer Gehübung. Sinnvoll erscheint es, diese Anleitungssituation immer wieder im Team zu reflektieren, um herauszufinden, welche Maßnahmen gut funktionieren.
Wenn mobilitätserhaltende und -fördernde Maßnahmen dauerhaft umgesetzt werden sollen, müssen folgende Faktoren berücksichtigt werden: Mitarbeiterinnen müssen von der Sinnhaftigkeit der Angebote überzeugt sein. Zudem sollte klar sein, mit welchen Maßnahmen man welche Gruppe an Pflegebedürftigen ansprechen will (z. B. Menschen mit Demenz) und welche Qualifizierungsmaßnahmen hierfür notwendig sind. Außerdem gilt es immer wieder zu prüfen, ob die angedachte Zielgruppe wirksam erreicht wurde und ob die Maßnahmen korrekt und dauerhaft umgesetzt werden (DNQP 2020).
Um ein zielgruppenspezifisches Angebot inklusive der Umgebungsgestaltung sicherzustellen, müssen von Seiten der Einrichtung, neben genügend qualifizierten Mitarbeitenden, Räumlichkeiten und Trainingsmaterialien (Hanteln oder Gewichtsmanschetten) für Gruppenmaßnahmen zur Verfügung stehen (DNQP 2020).
Im Expertenstandard werden drei Arten von Interventionen unterschieden:
• Mobilitätsförderung als Teil pflegerischen Handelns: Fokus ist es, ein Maximum an Eigenaktivität zu fördern und Übungen gezielt in den Alltag einzubinden, z. B. das Gehen mit Unterstützung, das Ankleiden oder das Umsetzen vom Rollstuhl auf den Stuhl. Aber auch jeder Gang in die Küche oder den Aufenthaltsraum kann zur »bewegungsfördernden Einheit« werden. Grundlage für diese Maßnahmen sind die jeweiligen Vorlieben und Fähigkeiten der Person, dies können z. B. auch Haushaltstätigkeiten sein. Achtung, nicht von allen Personen wird diese Tätigkeit als motivierend empfunden. Männer, die ein Leben lang nicht im Haushalt aktiv waren, werden das ggf. auch im Alter nicht attraktiv finden.
• Spezielle Einzelmaßnahmen (unterschiedliche Bewegungs- und Fitnessübungen): Die Studienlage erlaubt keine spezifischen Empfehlungen, was die Auswahl der Maßnahmen, die Häufigkeit oder die Intensität betrifft. Eine ressourcenorientierte Auswahl zeigt aber positive Ergebnisse.
• Gruppenmaßnahmen: Hier liegt der Fokus auf Balance, Koordination, Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit. Dies wird erreicht durch Übungen zur Stärkung der Muskulatur, Gangtraining mit Gewichten oder durch den Einsatz von Übungs- oder Widerstandsbändern. Tänzerische Übungen sowie Tai-Chi und Yoga sind ebenfalls wirksame Maßnahmen. Aspekte des Gruppentrainings können auch als Einzelmaßnahme zum Tragen kommen.
• Komplexere Gruppen- und Einzelprogramme haben an Bedeutung gewonnen. Hierbei werden unterschiedliche mobilitätserhaltende und -fördernde Übungen (z. B. zu Kraft, Balance und Ausdauer etc.) zusammengefasst, die individuell abgestimmt werden können. In diesen Programmen werden auch andere Themen eingebunden, wie z. B. Übungen zur Verbesserung der Kognition oder der Alltagskompetenzen. Andere Disziplinen (u. a. Ergo- oder Physiotherapie) können an diesen Interventionen gleichermaßen beteiligt werden ( Teil 5, Kap. N).
Die Entscheidung, welche Übungen angeboten werden, sollte anhand der Zielgruppe getroffen werden. Programme externer Dienstleister (z. B. Yogakurse) können eine sinnvolle Ergänzung sein, wenn sie auf die Bedarfe und Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen zugeschnitten sind. Zwar gibt es keine Hinweise zur Wirksamkeit unterstützender Technik (z. B. durch MOTOmed®, Fitnesstracker etc.), aber der Einsatz kann sinnvoll sein, um Menschen zu motivieren, sich überhaupt zu bewegen (z. B. Spiele auf der Wii™).
Bei allen Interventionen geht es darum, die Ressourcen des Betroffenen einzubinden. Es gibt einen Unterschied zwischen sich aktiv an Maßnahmen beteiligen und passiv mobilisiert werden. Gleichermaßen müssen die Grenzen der Belastbarkeit und Schwankungen in der Tagesform sowie eine abnehmende Bereitschaft zur Bewegung im Alter bedacht werden, damit Unter- und Überforderung vermieden werden. Nicht zu vergessen: Ein einheitliches »Handling« (z. B. beim Transfer) schafft Sicherheit, Routine und Akzeptanz beim Pflegebedürftigen. Dieses Handling sollte allen Beteiligten bekannt sein, es sollte eine Anleitung von Pflegehilfs- und Betreuungskräften, aber auch von Ehrenamtlichen und Angehörigen erfolgen. Ziel muss es, den Transfer möglichst in gleicher Weise durchzuführen. Situativ erforderliche Fähigkeiten, wie das Aufstehen oder Hinsetzen, sollten im Alltag wiederholt werden, um die Mobilität zu unterstützen. Bei Menschen mit Demenz ist zu beachten, dass sie ggf. ablehnend reagieren können. Der Beziehungsaufbau mittels verbaler und nonverbaler Kommunikation steht hier im Vordergrund (vgl. Expertenstandard zur Beziehungsgestaltung in der Pflege bei Menschen mit Demenz) (DNQP 2020).
Umgebungsrelevante Faktoren, wie gemütliche Sitzecken, eine gute Beleuchtung, Buffettische mit Getränken, aber auch interessant gestaltete Flure, sollten bedacht werden. Die Umgebung soll den Betroffenen Impulse zur Bewegung geben. Zu berücksichtigen sind auch »allgemein sinnvolle Maßnahmen«, wie das Einstellen der individuellen Betthöhe, damit die Füße auf den Boden gestellt werden können. Individuelle Hilfsmittel müssen sinnvoll einbezogen werden. Es müssen regelhaft die korrekte Anwendung, notwendige Anpassungen und der Bedarf des jeweiligen Hilfsmittels sowie der sicherheitstechnische und hygienische Zustand geprüft werden (DNQP 2020).
• Die Integration von bewegungsfördernden Maßnahmen in die Pflegehandlungen ist in jedem Setting eine wichtige Möglichkeit, die Bewegung aktiv zu fördern oder zu erhalten.